Letzte Gedichte II. Überwunden

Inhalt

II Überwunden

Verluste

Gebet um Frieden

Mea culpa, mea maxima culpa

Gebet um ein Wunder

Unerschütterliche Hoffnung

Stadt ohne Kinder

Rechtfertigung des Dichters

Tödliche Wandlung

Sehnsucht nach neutraler Stätte

Seltsames Gespann

Große Gewißheit

Beschwörung des Mondes

Des Wunders gewärtig

Die Bücher

Verlorene Heimat

Schlechter Tausch

Spiele der Erinnerung

Sich bescheiden

Das Unabwendbare

Die Verurteilten

Weihnachts-Trost 1939

Magische Beschwörung für 1940

Mein wahres Leben

Elegie

Vertauschtes Leben

Gerichtet

Falsche Sehnsucht und wahrer Trost

Kindische Bitte

Frage und Antwort

Sieg der Ahnen

Unverwüstliches Traumglück

Hyde Park im Schnee

Das Ärzteviertel

Frühlingstrost

Litanei der Bitternis

Ich lese Shakespeare

Die Sterbeglocke

Die Zimmer

Versagter Freudentag

Ostermärchen 1940

Enttäuschung und Stolz

Vergebliche Suche

Endgültige Verzauberung

Unwirksamer Frühling

Pfingsten 1940

Hochzeits-Gedenken 1940

Zu spät

Träumerische Dichterseele

Sommerlich die Gärten tönen

Reue

Unerschütterlich

Sonntag im Hyde Park

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II. Überwunden.
 

»Dein armer Dichter kommt schon wieder
und fällt mit seiner Bürde nieder
und sieht Dich, weil er sonst nichts kann,
mit Augen voller Schwermut an.«
(Johann Christian Günther)

 

»Dennoch schwebt in späten Nächten,
Wenn nichts schnattert mehr und schreit,
Wort an Wort mit Engelsmächten
Durch mein Zimmer, umentweiht.
Und ich werde, hingekauert,
Jenes ersten Sanktus inn',
Während mich die Scham durchschauert,
Ob ich seiner heilig bin.«

(Franz Werfel)

 


22. 08. 1939

Verluste

Haben wir nicht alles längst verloren,
was uns etwas Lebenslust verlieh?
Das Vertraun zur Menschheit ist erfroren
und was unter seinem Stern gedieh.
Jede Hoffnung klingt mir selbst verlogen,
und im Herzen tönt kein gutes Wort.
Meines Glückes Heimatschwalben zogen
in die uns versperrte Ferne fort.
Liebesfreuden, die mein Lied besungen,
waren nur erdichtet und erdacht.
Ist mir manchmal etwas Lust gelungen,
hat sie mich nicht fröhlicher gemacht.
Auch bescheiden schwärmendes Vergnügen:
einer Schenken-Nacht harmloser Spaß,
Spiegelfechtereien, Bühnenlügen,
über denen ich den Gram vergaß,
des Cafés erprobte Flüchtlingsbleibe,
wo man häuslichem Verdruß entrann
und am Stammplatz bei der Fensterscheibe
ungestört sein Leben übersann,
winzige Laster, niemandem zuleide,
der Gewöhnung sanfte Narretei,
beides, Geisterschmaus und Augenweide,
von Duckmäuserei und Mißgunst frei,
so erholsam, wenn man sinnlos lachte,
sich bewußt in Kindischem gefiel,
was das Leben doch erträglich machte,
war es auch nur flüchtig und ein Spiel -
alles dieses angenehm Geringe
hatte meinen Sinnen wohl behagt;
doch nun ist der Trost der kleinen Dinge,
ach, der kleinsten! dem Gemüt versagt,
will die Welt sich gegen mich verschwören,
ist die Luft um uns feindselig kühl,
wird mir bald nichts andres mehr gehören
als das Heimweh und ein Schuldgefühl.


 24. 08. 1939

Gebet um Frieden

Mein Gott, bewahre mir im Stillen
des Seelenfriedens Heiligtum,
laß nicht dem Würger seinen Willen
und gib dem Krieger keinen Ruhm,
o wolle gnädiglich erhören
der Schwachen furchtsames Gebet
und laß den Bösen nicht zerstören,
was unter Deinem Schutze steht!

Auf Erden läßt sich leidlich leben,
und jeder wird einmal bedacht.
Dem Widersacher zu vergeben,
belohnt mit sanftem Schlaf die Nacht;
das Gute, nicht das Schlimme suchen,
ist, was das Menschenherz befreit,
und, wenn wir unserm Los nicht fluchen,
wird es zum Glück der Ewigkeit.

Vergiß die Hoffart von uns allen
und zieh uns nicht zur Rechenschaft,
o laß uns durch das Schwert nicht fallen!
Gib meinem Glauben wieder Kraft,
den Hang zum Haß zu überwinden
und meinen Feinden zu verzeihn,
mich mit dem Nachteil abzufinden
und in der Not getrost zu sein!

Auf alles will ich gern verzichten,
wird unsrer Welt der Mord erspart,
will abseits meine Lieder dichten,
die dann kein Buch mehr aufbewahrt,
will namenlos verschollen bleiben,
von jedem Freunde weit getrennt,
den Meinen keinen Brief mehr schreiben,
ein Fremdling sein, den keiner kennt.

Doch, Gott, gib Vollmacht nicht dem Tode,
verwüstend ungehemmt zu sein,
sei nicht die grausame Pagode,
unnahbar unsrer Herzenspein,
laß uns noch einmal Atem schöpfen
und harmlos unsre Wege gehn,
laß wieder über unsern Köpfen
den Stern des Ewigen Friedens stehn!


27. 08. 1939

 Mea culpa, mea maxima culpa

Keinen wag' ich anzuklagen,
wenn das Schreckliche geschieht,
als mein eigenes Versagen,
das jetzt keine Ausflucht sieht.
Auf das eigne Wohlergehen
war ich sträflich nur bedacht,
konnte andre leiden sehen
und schlief ruhig jede Nacht,
ließ die Liebenden mir dienen,
hielt ihr Opfer für gering,
wenn mit vorwurfsvollen Mienen
ich bedeutsam müßigging,
willig, mich zu überheben,
wenn mir ein Gedicht gelang,
der ich doch das bißchen Leben
nie aus eigner Kraft bezwang,
der Gefährtin Zärtlichkeiten
nur mit Bitternis vergalt,
und so wurd' ich mit den Zeiten
schließlich bös und herzenskalt,
schuld an all dem bösen Treiben,
das die Menschheit nun verstört,
bis mein Tun sich und mein Schreiben
nicht mehr gegen Gott empört.


 30. 08. 1939

Gebet um ein Wunder

Mein Gott, ich habe viel verbrochen,
doch straf' mich nicht, wie mir's gebührt!
Gib, daß aus diesen Schreckenswochen
doch noch ein Weg zum Frieden führt,
im letzten Augenblick erscheine
und nah am Abgrund donnre »Halt!«
Bewahre Du mich und das Meine
vor der zerstörenden Gewalt!

Laß uns von Deinen Engeln retten,
mach' durch ein Wunder alles gut!
Laß mein Geschick sich nicht verketten
der Krieger bösem Übermut!
Gib Frist mir, daß ich mich bewähren
und Besserung bezeugen kann,
die alten Sünden laß verjähren
und fang ein neues Schuldbuch an!

Laß uns dem Untergang entrinnen!
O gib mir eine zweite Zeit:
laß mich noch einmal frisch beginnen,
geläutert, in Bescheidenheit,
und halten, was ich Dir versprochen,
daß mich kein Abweg mehr verführt!
Mein Gott, ich habe viel verbrochen;
doch straf' mich nicht, wie mir's gebührt!


05. 09. 1939

Unerschütterliche Hoffnung

Bis zum allerletzten Augenblicke
hofft mein Herz auf Dein Dazwischentreten,
Daß Du nachgibst meinen Angstgebeten,
die zu Dir, mein Gott, ich nächtlich schicke,
nicht erlaubst, daß aus den reinen Lüften,
Deinen Lüften, Giftgasbomben regnen.
Soll uns nun kein goldner Herbst mehr segnen,
Deine Menschheit feindlich sich zerklüften?

Deine dankbaren Geschöpfe freuten
gern sich ihrer kleinen Lebens-Spanne.
Laß nicht aus dem großen Teufelsbanne
auf uns los die blutbefleckten Meuten!
Sind den Totenstrom hinabgeschwommen
längst schon unsre schwächlichen Geschicke?
Noch im allerletzten Augenblicke,
hoff' ich, wirst Du mir zu Hilfe kommen.


07. 09. 1939

Stadt ohne Kinder

So tot sind Plätze, Gärten jetzt und Gassen
wie Hameln nach des Rattenfängers Rache:
die Kinder alle haben uns verlassen,
ein Mutterherz bangt unter jedem Dache.

Läuft unser Leben noch im alten Gleise,
so ist ihm sein Verderben schon bereitet;
die Kinder aber werden auf der Reise
von ihren Engeln liebevoll begleitet.

Uns hat der Friedensengel längst verlassen,
sein Flügelschlag ist nicht mehr sanft zu hören;
mit dröhnenderem stürmt in unsre Gassen
der Todesengel, alles zu zerstören.

Verwandelt sind des Parkes Lieblings-Stellen,
es fehlt das heitre Spielgeschrei der Knaben;
statt dessen jagt uns der Sirenen Gellen
wie wahngetrieben in den Luftschutzgraben.

Das Paradies der Kinder ist verschwunden,
die tote Stadt verlassen und verloren,
das Mutterherz hat keinen Trost gefunden
und mein Gebet vergebens Gott beschworen.


09. 09. 1939

Rechtfertigung des Dichters

Ist es nicht eitel, jetzt noch nachzusinnen,
wie sich die Dinge gut beschreiben lassen,
Gedichte wieder kunstvoll zu beginnen,
in eine Form Unsagbares zu fassen,
wenn rings im schwersten Kampf die Welten wanken
und furchtbar die Geschicke sich entscheiden,
die aufgewühlten, blutenden Gedanken
in wohlgewebte Worte einzukleiden?

Ist es nicht Sünde, sich von all dem Bösen
und Bittren, diesem Wahn gewordnen Leben,
sei's auch für eine Weile nur, zu lösen
und sich dem Spiel der Reime hinzugeben,
von allem Feindlichen sich zu entfernen,
abweisend in sein Werk sich einzuspinnen,
hoch oben bei den überlegnen Sternen
der Anteilnahme Pflichten zu entrinnen?

Und schmerzt mich selbst mein menschliches Versagen
und such' ich meine Schwäche zu bezwingen,
wird dennoch, wenn die andren Schlachten schlagen,
die Gottheit mich auf meine Insel bringen:
da ist die Luft erfüllt von holden Tönen,
wird abseits sich von Fehden Lind Gefahren
die Zauberkraft des Maßvollen und Schönen
über die Sintflutzeit hinaus bewahren!


15. 09. 1939

Tödliche Wandlung

Was einst zu dauern schien, ist rasch entschwunden
und, was noch gestern galt, heut nicht mehr wahr:
das leichte Leben, weit und ungebunden,
der Alltag ohne tödliche Gefahr.

Das alles ist mit einem Mal vergangen:
die Selbstverständlichkeit der freien Wahl,
das Tun und Ruhn nach eigenem Verlangen,
der Möglichkeiten unbegrenzte Zahl.

Bin ich nicht gestern noch durchs Land gegangen,
das schrankenlos dem Wandrer offenstand,
und heut schon ist der Schweifende gefangen,
stößt seine Sehnsucht an die starre Wand!

Noch gestern konnt' ich ruhig schlafen gehen,
dem Weltenschlummer friedlich eingeschmiegt;
heut fürcht' ich mich, die Nacht zu überstehen,
durch die das mordende Geschwader fliegt.

Bedrohlich liegt das Dunkel auf der Lauer,
des Lebens helle Lichter gingen aus.
Was mich zu schützen schien, war nicht von Dauer,
auf wankem Grund steht jedes Vaterhaus.


18. 09. 1939

Sehnsucht nach neutraler Stätte

Doch dort, wohin ich mich von Herzen sehne,
ist alles Leben friedlich wie zuvor,
liegt noch das Lusthaus an der Bergeslehne,
das nichts von seiner Gastlichkeit verlor,
da sitzen meine Freunde nachts beisammen,
indes ich einsam hier vor Angst vergeh;
würgt mich das Dunkel, spiegeln dort die Flammen
der Hügelstraßen furchtlos sich im See.

Auch du jetzt, am exotischen Gestade,
den Fehden fern im Inselparadies,
sonnst dich im Sande, tummelst dich im Bade,
ein Glückskind, das der Engel nicht verließ,
dein Angesicht verklärt der Glanz der Wellen,
der du nach nichts Vergangenem verlangst,
indessen meine Züge sich entstellen
von Widerwillen, Neid und Todesangst.

Ihr alle wie auf seligeren Sternen,
zu denen mich ein Traumbild nur entführt,
sollt niemals unsre Nöte kennenlernen.
Vielleicht, daß euch die Kunde flüchtig rührt,
die bald vergessne, wenn im Morgenblatte
ihr überflogt den spärlichen Vermerk,
wie ich mich selbst einst abgewendet hatte
vom Weh der Welt zum eignen eitlen Werk.

Auch ich jetzt könnte bei den Wohlbewahrten;
abwartend, unbeteiligt, sicher sein,
am rechten Platz nach all den Flüchtlingsfahrten;
frei von Verzweiflung und Gewissenspein,
weil mir fürwahr vom Schicksal nicht beschieden
ursprünglich dies bedrängte Leben war:
denn eines Dichters Heimat ist der Frieden,
die Freistatt ohne Feindschaft und Gefahr!

Dort darf er wandern, ohne umzukehren,
soweit ihn immer seine Sehnsucht bringt,
wird nichts dem Leichtsinn seiner Lieder wehren,
die wie zuvor die Liebe nur beschwingt.
Die Gutgewillten finden sich zusammen,
es glänzt um sie trotz aller Finsternis,
und ihnen ist, steht auch das All in Flammen,
das Wunder, das die Welt versöhnt, gewiß.


19. 09. 1939

Seltsames Gespann

Jeden Mittag macht zur gleichen Stunde'
eine Kutsche aus versunkner Zeit
wacklig durch den Park die gleiche Runde
in altväterischer Langsamkeit.
Dämmernd nickt der Lenker am Verdecke,
im Begräbnistrott die Mähre stelzt
ganz verschlafen die gewohnte Strecke.
Drinnen hockt, fürsorglich eingepelzt,
eine Mumie, von den Ururalten
eine, ein verwittertes Gestell.
Bei dem Platze läßt sie schließlich halten,
wo die Astern blühen im Rondell.
Wie ein Wachsbild nicht mehr wahrer Tage
harrt die Gruppe dort die gleiche Frist,
bis sie mit dem Zwölf-Uhr-Mittag-Schlage
aus dem starren Bann entlassen ist.
Dämmernd nickt das Wrack am Wagenfenster,
dämmernd nickt der Kutscher und sein Tier,
trollt sich das Gespann der Tag-Gespenster
heim in sein verwunschenes Revier.


22. 09. 1939

Große Gewißheit

Scheint mein Leben schon verloren,
von Todfeindlichem umringt,
naht der Tröster meinen Toren,
der dem Schwachen Hilfe bringt.
Wenn ich mich vernichtet glaube,
einsam in der Sintflutnot,
trägt den Lorbeerzweig die Taube
an das fast zerschellte Boot.

Je verfallner ich mich fühle,
desto sichrer sinkt die Flut.
Spür' ich schon des Grabes Kühle,
Wird mich neuer Lebensmut
von den Toten auferwecken,
daß ich frisch beginnen soll:
überwunden ist der Schrecken
und die Welt des Glückes voll.

Immer stand ein Ausweg offen,
wenn die Not am höchsten war:
wagten wir nicht mehr zu hoffen,
kam die Rettung wunderbar.
Unvorhergesehne Pfeiler
stützen den bedrohten Bau,
stärker wächst er nun und steiler
in des Himmels reines Blau.

Darum woll'n wir nicht verzagen :
alles lindert sich zuletzt.
das Gespinst aus Unglückstagen
wird von festlichen ersetzt.
Die sich Gottes Kinder wissen,
zweifeln und verzweifeln nicht:
nach den langen Finsternissen
strahlt geläuterter das Licht.

Immer wieder überwinden
wir den schwersten Widerstand;
wenn die Wasser weichen, finden
wir das liebe Heimatland.
Jedem Leid blüht ein Erbarmen,
friedlich wieder liegt das Meer,
und die Landenden umarmen
sich vertrauter als vorher.


27. 09. 1939

Beschwörung des Mondes

Den Mond beschwör' ich, daß er Frieden bringe;
er blickt so sanft auf die verstörte Nacht.
O daß von ihm die Zauberkraft ausginge,
die allem blutgem Zwist ein Ende macht,
o daß sein Licht das Wirrverstrickte löste!
Schon fühl' ich, wie es mich von Furcht befreit.
O komm herab, fern wallender, und tröste
die Welt mit deiner stillen Ewigkeit!
Traumwandelnd streifst du über unsre Dächer;
kennst du die Angst, die unter jedem bangt?
Der Glaube an das Glück wird immer schwächer,
so herzlich der Verbannte heimverlangt.
Du bist der Gleiche, Mond, wie einst geblieben,
zu dem der Kinderwunsch verstohlen stieg;
laß wieder sich die Menschen kindlich lieben,
vernichte das Unmenschliche: den Krieg!
Gleichmütig spendest du der Lichterfluten
verklärten Glanz und silberne Magie
sowohl den Ungerechten wie den Guten,
und du versagst dich deinem Werke nie.
Auch über den mir einst vertrauten Stätten
ziehst du gleichmütig weiter deine Bahn,
als ob sie sich nicht längst verwandelt hätten
Mißratnem hörig und ruchlosem Wahn.
Gib allein gnädig das Verlorne wieder
und lasse dich aus deinem Himmelreich
zur Erde näher einmal doch hernieder
und mache; Mond, sie deinem Wesen gleich
oder hebe mich empor in deine Sphäre
dorthin, aus der verstörten Menschen-Nacht,
wo ich mit dir bei den Gestirnen wäre
mit deinem Gottesfrieden sanft bedacht!


01. 10. 1939

Des Wunders gewärtig

Die Kammer der Gefühle halt ich rein,
den Gottgesandten würdig zu empfangen;
er wird der Mittler eines Friedens sein,
nach dem die Seelen sehnsüchtig verlangen.
Noch weiß ich nicht, wann er uns nahen soll,
doch will ich alles zeitig vorbereiten.
Ach, wir sind kummervoll und hoffnungsvoll,
ungläubig fromm in diesen wüsten Zeiten
und sehr bedürftig, daß uns armer Schar
die Himmelsfügung eine Hilfe schicke:
die Ruhe schwand, die einmal unser war,
das Unheil droht in jedem Augenblicke.
Doch kommst du bald, kommst du noch nicht zu spät
längst fing ich an, den Raum dir herzurichten :
am Tisch die Blumen und das Schreibgerät
und eine Mappe voll von Beichtgedichten
sind alles, was ich dir aufweisen kann.
Dann führen wir Gespräche ohne Worte,
einander zugetan, von Mann zu Mann,
entzogen plötzlich diesem Zufallsorte,
dort, wo nichts Gegenständliches mehr stört
und sich die Widersprüche leicht versöhnen.
Wer erst sich gegen das Geschick empört,
beginnt in Demut dann sich zu gewöhnen.
Das ist die Stunde, da der Engel naht,
uns das Verlorne wiederzuerstatten,
und hat er sie vollbracht, die große Tat,
für die wir uns bereit gehalten hatten,
wird er das Trostgestirn am Himmel sein,
nach dem die Seelen sehnsüchtig verlangen,
und einst mit seinem sänftigenden Schein,
was auch in uns unsterblich ist, empfangen.


10. 10. 1939

Die Bücher

Der Blick auf all die guten bunten Rücken
vertrauter Bücher an der Zimmerwand,
er konnte damals trösten und beglücken,
als meine Welt noch unerschüttert stand
und ich Zwiesprache hielt mit jedem Blatte,
und Wortlaut war und Bild mir wohlbekannt,
ich wußte, was es mir zu sagen hatte,
wir hatten oft uns heimlich Freund genannt.

So war ich niemals ganz allein gewesen,
wenn ich in meiner Stube nächtlich saß,
mit einem guten Trunk versehn,
beim Lesen die Sorge um das Künftige vergaß,
vielleicht nur müßig in Gedanken schwärmte;
Gesellschaft gabt ihr immer wesengleich,
was draußen machtvoll eiferte und lärmte,
galt nichts in unsrem geisterhaften Reich.

Als ich euch plötzlich dann verlassen mußte
und hier und dort ein fremdes Obdach fand,
das nichts von unsern stillen Wonnen wußte,
wo keine Bücher grüßten von der Wand,
vermochte euch kein Druckwerk zu ersetzen,
das man mir lieh. Wie wünscht' ich euch mir nah,
und wär' es auch nur ein papierner Fetzen,
Abfall von dem, was einst ich vor mir sah!

Allmählich schien ich doch mich einzurichten,
seßhaft zu werden auch in fremdem Land,
da mußte ich auf euch nicht mehr verzichten:
ihr sammelt euch aufs neue an der Wand;
war oft das Heimweh kaum noch zu ertragen,
gabt ihr mir, liebe Bücher, neue Kraft:
wir waren wieder -wie in alten Tagen
die wohlbewährte stille Bruderschaft.

Doch nun, wenn die Vernichtung auf mich lauert
und Mörderisches meine Nacht umkreist,
ob eure Kraft zu trösten weiter dauert
und ihr mir einen sichren Ausweg weist,
ihr werdet doch am Ende, nicht versagen,
wenn euch ein Mensch sein Todesbangen klagt?
Ich sitze vor euch hilflos, ganz geschlagen,
und fürchte fast, daß ihr auch unterlagt.


12. 10. 1939

Verlorene Heimat

So unergründlich ist es mir versunken,
wie eine Märchenstadt im Meer verschwand,
als hätten wir den Lethewein getrunken,
der uns vergessen macht das Heimatland,
als wäre nie der Nebel zu durchdringen,
der plötzlich es gespensterhaft umgab,
als läge es, wo keine Vögel singen
und wo kein Grün gedeiht, im tiefen Grab.

Als wäre soviel zwischen uns vergangen,
daß die Erinnrung ihren Halt verlor,
als fühlte ich nicht eben ein Verlangen,
zurückzukehren durch das offne Tor
des Hauses, das ich wie kein andres kannte,
das mich so lang beschützt hat und betreut,
als ob zu Asche alles das verbrannte,
die nun der Sturmwind in die Weiten streut.

War mir auch längst die Stätte schon verboten,
wo meine beste Lebenszeit verrann,
so ist sie mir erst jetzt ein Reich der Toten,
aus dem kein Hauch zu mir mehr kommen kann.
Es fehlt der Grund, auf den ich mich beziehe,
als käm' ich aus dem Nichts und wäre Nichts,
wenn ich zu Träumen von der Zukunft fliehe,
bleib' ich im Spiel des eigenen Gedichts.

Die Sehnsucht hat nichts mehr, davon zu zehren;
Vergangnes ist vergangen ganz und gar.
Will ich mich gegen einen Vorwurf wehren -
leer liegt der Platz, wo einst die Heimat war.
Ich rufe laut; kein Echo wird erwidern.
Der Stern, der einst mir Licht gab, ist zerstört.
Ganz einsam bin ich nun mit meinen Liedern,
ein Heimatloser, der zu Nichts gehört.


 22. 10. 1939

Schlechter Tausch

Im Silberschein herbstlicher Helligkeiten
erglänzen die Ballons dem Himmel nah;
es waren friedvoll glücklichere Zeiten,
als ich die Bergesgipfel leuchten sah,
als keine Bomben meinen Weg bedrohten,
der mich am grünen Strom ins Weite nahm,
wo immer vor mir fern die Firnen lohten
im Schimmer, der von Gottes Antlitz kam.
Und fand ich abends von so holdem Schwärmen
zur Stadt zurück mit reifendem Gedicht,
so drängte sich mit arglos frohem Lärmen
die Menge vor der Läden vollem Licht.
Hier hat die Stadt den Atem angehalten,
sich totgestellt und reglos nun geduckt,
und nur ein paar verspätete Gestalten
gespenstern, die das Dunkel bald verschluckt.
Doch wenn die ersten Morgenröten schimmern,
beginnt schon das Gehämmer überall,
als ob die Henker das Schafott uns zimmern.,
und immer bangt uns vor dem Überfall;
kein Augenblick ist jetzt mehr ohne Schrecken,
seitdem sich das Entmenschende begab,
zur Sterbensnot kann es den Schlaf erwecken,
bei jedem Traumglück liegt ein offnes Grab.
Als sei Vergangenes nicht wahr gewesen
und hat es noch so selig mich gemacht.,
als hätte mich das Unheil auserlesen
und an den völlig falschen Platz gebracht,
und hier bin ich nun hoffnungslos gefangen,
mit Fremdem auf Verderben und. Gedeih,
und werde wohl niemehr dahin gelangen,
wo man in Frieden furchtlos lebt und frei!


31. 10. 1939

Spiele der Erinnerung

Was noch vor einem Jahr mein Leben war,
verblaßt vor banger Gegenwart zur Sage:
in der jetzt fernen Stadt am selben Tage
besah ich Känguruh und Kasuar.
Am Hange, von des Tierparks höchstem Stand,
umfaßte unser Blick die Sicht, die holde;
die Hügelwälder im Oktobergolde
und hinterm See der Berge weißes Band,
und brachte uns die Tram zurück zutal,
so taten wir an jeder Straßenkehre
dem Bilde, Abschied nehmend, alle Ehre,
das neu sich wies mit jedem andren Mal.
Am wohlvertrauten Quaiplatz stieg man aus,
um im Café die Zeitungen zu lesen ...
Heut ist das alles wie ein Traum gewesen.
Gefangen fühl' ich mich in fremdem Haus,
ein Friedlicher, der nicht hierher gehört,
wo ich der mordenden Geschwader harre,
voll Angst ins Dunkel toter Straßen starre,
indes Erinnerung den Tag beschwört
vergangnen Jahres, daß er wiederkehrt
mit seinem ahnungslos beglückten Feiern,
mir noch einmal das Schlimme zu verschleiern,
als wäre das Verlorne unversehrt,
so wie wir es verließen, aufgetaucht:
Tierpark und Talfahrt und Nachmittagspause,
und fürder wär' ich rechtlich dort zuhause,
wo mein Gemüt nichts zu vermissen braucht.


09. 11. 1939

Sich bescheiden

Nicht Vergnügungen und Ehren
will ich künftig mehr begehren,
nur noch: friedlich zu bestehn.
Ohne Ärgernis zu geben
soll mein kleines Erdenleben
schmerzlos gut zu Ende gehn.

Darf mir die Gefährtin bleiben,
darf ich still Gedichte schreiben,
Gras und Baum und Stern besehn,
wird mein kleines Erdenleben
ausgesöhnt und gottergeben
schmerzlos gut zu Ende gehn.

Einmal, wenn die Nebel weichen,
wird das Land ersehntem gleichen,
wird nichts Fremdes mich umstehn,
Mutterlaut mir Antwort geben,
kann mein kleines Erdenleben
heimatlich zu Ende gehn.

Selig darf die Tür ich schließen,
mein bescheidnes Reich genießen,
ob auch draußen Stürme wehn;
alle Schuld ist mir vergeben,
und geläutert kann mein Leben
ohne Angst zu Ende gehn.

Was mich lockte, ist verflogen.
mit, dem Strom hinabgezogen,
und kein Irrlicht mehr zu sehn.
So mag ohne Widerstreben
dann mein müdgewordnes Leben
rechter Zeit zu Ende gehn.


20. 11. 1939

Das Unabwendbare

Die Brunnen des Todes sind aufgebrochen
der Würger hat seine Fesseln gesprengt,
die große Verwünschung ist ausgesprochen :
nun wird geplündert, gewüstet, gesengt,
Verdammnis dröhnen die Stürme, die Meere,
die Fahnen flattern, in Blut getaucht,
und hinter dem Zuge der heidnischen Heere
der Brand der geschändeten Städte raucht.
Der Himmel spiegelt die höllischen Gluten,
in die wir hilflos starren, gebannt:
bald haben die wildflammenden Fluten
den Wall auch um unser Versteck überrannt.
Ich warte und weiß doch: ich kann nicht entrinnen,
schon morgen ist mir das Letzte geraubt.
Die Hoffnung, ich dürfte noch eimnal beginnen -
im Grunde hab' ich sie niemals geglaubt,
Im Grunde hatte mein Leben verzichtet,
schon damals, als ich die Heimat verließ,
und nur einen schwachen Trost sich erdichtet,
der längst sich als unerfüllbar erwies.
Von unserer Alten Welt mich zu trennen,
ermangelte ich der wagenden Kraft;
so kann uns die wüste Gewalt Überrennen;
indes der Gedanke die Neue Welt, schafft.
Sie wird mein scheidender Blick nicht mehr fassen,
mein Ende soll ohne Erhebung sein:
von allem, was mir lieb war, verlassen,
verblute ich winselnd und gottlos allein.
Ein Lied ist erwürgt. Ein Herz ist gebrochen.
In Trümmern liegt ein gastliches Haus.
Die große Verwünschung -wurde gesprochen.
Das Licht geht aus.


28. 11. 1939

Die Verurteilten

Nachts erschrak ich vor dem eignen Schatten,
fremd klang mir der eignen Stimme Ton,
meine Sinne schienen zu ermatten;
nahte die geahnte Trennung schon?
Ruhig atmest du an meiner Seite
nicht gewahr der Angst, die mich bedrängt,
daß ich längst den Abschied vorbereite
von der Welt, an der mein Herz noch hängt.
Unser Zimmer ist wie zugemauert,
abgedichtet gegen das Geschehn;
doch dem Tod, der draußen auf uns lauert,
kann ich mit dem allen nicht entgehn.
Wohlgeordnet hielt ich meine Habe,
das Regal mit Büchern stolz bestückt,
längst bereit schon für die Übergabe
an den Fremden, dem das Erbe glückt.
Mal' ich hin und wieder in Gedichten
mir noch ein verspieltes Paradies, -
bald wird es, wie mich, der Feind vernichten,
den ein Ungott uns heimsuchen ließ.
Nichts ist mehr wie früher, nichts verläßlich,
auch der Freunde Zuspruch leicht wie Luft,
die Magie verging, die Welt ist häßlich,
ohne Farbe, Melodie und Duft.
Nichts gestattet mir, mich zu belügen,
gibt sich so, als wär' es liebgemeint.
Unbarmherzig auch in deinen Zügen
die gerechte Bitternis erscheint.
Nicht nur mir ist eine Welt zuende;
doch ist jedes Opfer jetzt allein.
Daß ich keinem einen Trost mehr spende,
keiner mir vermag ein Trost zu sein,
macht das Dunkel ungeheuerlicher,
das die ganze Menschheit überkam.
Was wir glaubten, scheint uns nicht mehr sicher,
nackt gemacht vergehen wir vor Scham,
sehn wir plötzlich unsern eignen Schatten,
hören wir der eignen Stimme Ton.
Die Gefühle flackern und ermatten,
und verloren hin ich morgen schon.


Weihnachten 1939

Weihnachts-Trost 1939

Welchen Trost soll ich dir diesmal geben,
wenn die weihnachtliche Stunde schlägt,
da doch ringsum all das fremde Leben
nun das Kreuz der Kriegsnot traurig trägt?
Kann das Christgestirn die Nacht durchdringen,
deren Dunkel .feindlich uns umschweigt,
und das Kindermärchen wiederbringen,
das dir glücklich seine Wunder zeigt?

Kann ich dir noch einmal Freude machen,
lebte ich nicht, stets dir zu Beschwer?
Wenn wir aus dem langen Alp erwachen,
stellt sich das Zerstörte wieder her?
Hat des Lichterbaumes stiller Schimmer
einen Widerschein in deinem Blick,
ist das Fest, wie einst im Heimatzimmer,
dir auch hier verstattet vom Geschick?

Womit würde ich dich recht beschenken,
welche Gabe wäre wohlgewählt,
dich vom Weltenleide abzulenken,
als ein Weihnachtsmärchen gut erzählt,
daß die trauten Düfte dich entzücken,
Wenn ein Tannenzweiglein knisternd glimmt
und die Ängste dich nicht mehr bedrücken,
die gelind die Christnacht von dir nimmt?

Einmal muß es doch für alle gelten,
was die Himmelsbotschaft uns verhieß:
Friede für die ausgesöhnten Welten,
Flüchtlingen das Heimatparadies,
wo die dir vertrauten Glocken klingen
von den Türmen, die der Schnee umweht,
frohe Stimmen Weihnachtslieder singen
in der Sprache, die dein Herz versteht.

Auch das Schlimmste hat einmal ein Ende:
wer getreulich dem Gestirn vertraut,
landet dort, wo wirklich die Legende
ihren Kindern eine Bleibe baut,
und er darf nach allem Leid erleben,
daß es in sein spätes Glück ihn trägt!
Diesen Trost kann ich dir wieder geben,
wenn die weihnachtliche Stunde schlägt.


01. 01. 1940

Magische Beschwörung für 1940

Dies neue Jahr voll Hoffnung zu beginnen,
erfordert ein fast törichtes Vertraun.
Der Dichter wird sich ein Gestirn ersinnen,
sein Luftschloß wundersam auf ihm zu baun.
Dich nimmt er mit auf seine Märchenreise
und fabelt dir die Sorgen aus dem Sinn
und zaubert dir auf seine Dichterweise
zum Himmelstor der neuen Zeit Beginn.

Wenn sich die Wolkenwände vor dir teilen,
siehst du das Nievergessne unversehrt.
Es will die Herzlichkeit das Heimweh heilen:
was dein war, ist erhalten und vermehrt,
und was uns fremd schien, zeigt vertraute Züge
und macht sich nun verständlich und beliebt,
und alles hast du wieder zur Genüge,
was deinem Leben Mut und Freude gibt.

Du kannst der Weihnachtslieder Klang noch hören,
doch ist der kriegerische Lärm verweht:
nichts Grobes darf die Sternenstille stören,
in der mein Luftschloß unangreifbar steht.
Du gehst mit mir durch alle seine Räume,
und jeder hat für dich ein Glück bereit;
vergessen ist die Drohung banger Träume,
es blüht dir eine sorgenlose Zeit.

Der gute Vorsatz, den man lange hegte,
wird endlich ausgeführt, das Werk getan.
Das Wüste, das sich auf uns zu bewegte,
stürzt wirkungslos aus unserer Lebensbahn
und wird uns fürder keine Furcht mehr machen:
die Sphären fließen wieder frei und rein,
in deinen Blicken strahlt ein Mädchenlachen
und wird mit mir im Paradiese sein.

Wenn wir noch manchmal an Vergangnes denken,
so soll es jetzt ganz ohne Weh geschehn:
die Zukunft kann uns schönre Heimat schenken,
was uns gestorben galt, wird auferstehn,
und ist manch' alter Freund nicht mehr zu finden,
sind neue treuer auf dein Glück bedacht.
Den Lieblingsplatz am Hügel mit den Linden
schenkt nun für immer dir die Sommernacht.

So schwärme ich in frohen Zukunftsbildern
und bin des nahen Wunders ganz gewiß,
ich kann es dir in seinem Glanze schildern,
ist jetzt um uns auch nichts als Finsternis.
Was ich ersinne, wird Gestalt gewinnen,
und plötzlich darfst du es verwirklicht schaun:
auch dieses Jahr magst du getrost beginnen
und seinem Wesen hoffnungsvoll vertraun!


02. 01. 1940

Mein wahres Leben

Mein wahres Leben blüht im Traum der Nacht,
nur da noch kann es mir ersprießlich glücken:
in immergrüner Paradiesespracht
darf ich die Blume der Erfüllung pflücken.

Ich habe holde Frauen. zu Besuch
und kann mit weisen Männern weise sprechen.
Wohlwollend wird die Märchenfee den Fluch
der sonst auf meinem Alter lastet, brechen.

Da sind mir meine Toten nicht mehr tot:
wir treiben es in fröhlichem Vereine
und fahren mit dem gleichen Sommerboot
auf dem belebten Strom im Sonnenscheine.

Da gibt es keine Sorgen, keinen Zwist,
nur Zuversicht und lächelnde Gesichter,
und eine Welt, die ihm gewogen ist,
beschenkt mit schönen Bildern ihren Dichter.

Es übertrifft das Werk den guten Plan,
ganz leicht gelingt die stille Schöpferstunde.
Das Kriegerische ist Barbarenwahn
und geht an seiner Nichtigkeit zugrunde.

In Eintracht freut sich, ewig unbeschwert,
hier seines Wesens jeder Traumgefährte
und gönnt denn andern, was das Herz begehrte
weil ihm auch jeden Wunsch sein Traum gewährte.

Tags aber hat ein fremdes Fügen Macht,
mein Schicksal fälschlich anders zu gestalten.
Mein wahres Dasein blüht im Traum der Nacht,
und bald wird er mein Leben ganz behalten.


04. 01. 1940

Elegie

Wie lang schon sah ich nicht die Schlittschuhläufer
sich tummeln auf dem weiß gefrornen Fluß,
die Schüler zwischendurch beim Punschverkäufer
fröhnend verbotnem Alkoholgenuß?
Wie lang schon in der Runde seliger Säufer
durft' ich nicht selbst vergessen den Verdruß
und trunken schwärmend wie ein Wiedertäufer
wahllos verlieren mich im Bruderkuß?

Statt dessen regelt eine fremde Strenge
mein Leben jetzt nach einem fremden Maß;
ich stoße mich an seiner kargen Enge,
die oft das Überflüssige vergaß.
Ringsum bewegt sich eine fremde Menge,
die nie den Sinn für meine Art besaß.
Mir fehlt die Kraft, daß ich die Fesseln sprenge
und wage abenteuerlichen Spaß.

Wo seid ihr kleinen Späße hin verschwunden?
Statt daß ihr mir mit mildem Kitzel leicht
hinweghelft, über schwere, leere Stunden,
damit der dumpfe Mißmut von mir weicht,
hab' ich niemehr die Spur von euch gefunden
und eurer Spiele Ringelreihn erreicht,
nein, ich bin unbeweglich hier gebunden,
wo freudlos die verlorne Zeit, verstreicht.

Wie gerne fuhren wir mit Schellenläuten
im Schlitten wieder durch beschneites Land,
bis wir im warmen Dorfschank uns erfreuten,
wo auf dem Tisch der Grog schon dampfend stand.
o schöne Zeit, da wir noch nichts bereuten,
aus Freude, nicht aus Kummer Hand in Hand!
Wenn wir uns nun der Zukunft Zeichen deuten,
bleibt nur das Chaos nach dem Weltenbrand.

Und ich und du ein Teil des Ungewissen,
genau so nah dem Abgrund wie dein Sieg,
von Furcht und Hoffnung hin und her gerissen,
am eignen Schicksal leidend und am Krieg.
Finden -wir beim ans diesen Finsternissen,
hört eins das andre noch, wenn alles schwieg,
dann will ich nichts Gewesenes vermissen,
weil unser Flug zu neuen Sternen stieg.


21. 01. 1940

Vertauschtes Leben

Dinge, die sich jetzt mit mir begeben,
sollten mir ursprünglich nicht geschehn :
mir bestimmt war ein ganz andres Leben;
doch es hat ein boshaftes Versehn
manche Menschenlose schlecht gezogen
und das Zugedachte falsch verteilt.
Furchtsam treib' ich auf den fremden Wogen;
feindlicher Galeere angeseilt.

Mir gehörte nach des Himmels Willen
kein so abenteuernder Verlauf.
Abseits; mit sich selber eins, im Stillen
wüchse meine kleine Pflanzung auf,
ihre Zartheit hätt' ich wohlbehütet
und mich nie aufs offne Meer gewagt,
wo der gnadenlose Sturm jetzt wütet
und uns durch die Dunkelheiten jagt.

Meine Jahre sollten Frieden haben
und auf heimatlichem Grund gedeihn;
sich an Gottes guten Gaben laben
und im Ungemach erträglich sein,
sich mit dem verborgnen Glück bescheiden;
das der Schreibtisch und sein Werk verheißt;
bis der kleine Schatz an Lust und Leiden;
sieh unmerklich nach und nach verschleißt.

Doch der Fremde, der wie ich betrogen;
ungewollt in mein Geschick geriet;
wäre durch die Weiten gern gezogen,
wenn er häuslich sich gehalten sieht :
er begehrt das Los, an dem ich leide,
weil es meinem Wesen widerstrebt,
und so haben, irrgeführt, wir beide,
als wir lebten, dennoch nicht gelebt.


31. 01. 1940

Gerichtet

Das Todes-Urteil ist uns längst gesprochen
(o daß noch einmal Gnade sei statt Recht!);
begründet wurde doch der Stab gebrochen
über dem unverträglichen Geschlecht.

So harren wir halb irr in dunkler Zelle
auf den Entscheid der unbekannten Macht,
ob sie uns noch einmal entläßt ins Helle
oder begräbt im. Grauen ewiger Nacht.

Manchmal will die Verzweiflung aufbegehren
und hämmert an dem festgefügten Wall
und wird die eigne Marter nur vermehren
und fördern den endgültigen Verfall.

Und manchmal wagen wir sogar zu hoffen
und träumen, wieder straflos frei zu sein;
das Tor zur schönren Zukunft scheint weit offen:
das Land des Friedens lädt uns freundlich ein.

Im nächsten Augenblick ist es entschwunden,
die letzte Luke grausam zugeklappt;
wir liegen wieder furchtsam und gebunden
und lauschen, ob das Untier näher tappt.


 07. 02. 1940

Falsche Sehnsucht und wahrer Trost

Die Sehnsucht nach den heimatlichen Stätten
hat keinen Sinn mehr, seit sie so verkamen.
Als ob wir nicht viel schönre Heimat hätten
in dem Gedenken, das wir mit uns nahmen,
als ob ihr Spiegelbild, das unbefleckte,
den Glanz der alten Zeit nicht reiner hielte.
da noch mein Herz die Drohung nicht entdeckte
und ohne Arg mit allen Gaben spielte.

So ist an Maß und Anmut ungeschmälert,
wie sie uns einst erschien, bewahrt geblieben
die alte Welt, behügelt und betälert,
und ihre Menschheit, noch nicht giergetrieben,
wir können durch das Unzerstörte gehen,
dem alten Freund in alter Freundschaft nahen,
Erinnrung läßt Vergangnes auferstehen,
wie wir es früher wohlgefällig sahen.

Doch wenn wir jetzt zurück zur Heimat kämen,
zur Wirklichkeit der heimatlichen Welten,
so müßten wir uns unsrer Liebe schämen,
weil dort die alten Götter nicht mehr gelten:
und wär' ich wieder an vertrauten Orten,
spürt' ich das Böse hinter allen Wänden,
die Falschheit in den ehmals graden Worten,
den «'ahn im Blick. das Blut an allen Händen.

Verloren ist, was wir als Heimat kannten;
das Liebgehaltene kommt so nicht wieder:
Wenn wir das Floß der Überfahrt verbrannten
besteht der Träume Heimat und der Lieder:
sie werden den Verbannten würdig trösten,
und ohne daß die Zuversicht, sich schwächte
dein Vorbild gleich im Kleinsten wie im Größten
der Tage Schatten, das Gestirn der Nächte.


08. 02. 1940

Kindische Bitte

Ich bin so gern beschenkt,
sei's auch mit Kleinigkeiten:
wer immer mich bedenkt,
wird mir ein Glück bereiten:
sei's mit geringem Tand
und billger Trödelware,
ich nehm's als Liebespfand
und als das Wunderbare,
das mir im Traum erblüht
aus eines Magiers Taschen.
Mein kindliches Gemüt
läßt gern sich überraschen
mit irgendeinem Spiel
von sonst verlachten Sachen:
ach, es bedarf nicht viel,
mich etwas froh zu machen!
Ein Abend-Trunk, ein Buch
tun mir genug zugute;
vergessen ist der Fluch
und mir wird leicht zumute,
das Leiden scheint gelind,
die Plage zu ertragen,
durch jedes Angebind
wird mir zu Weihnachts-Tagen
die Zeit der ärgsten Not.
So gönnt mir meine Sachen!
Denn bin ich morgen tot,
ist nichts mehr gutzumachen.
Begehr' ich jetzt vergebens
die kleine Spende Wein-
es könnte meines Lebens
letzte Bitte sein.


10. 02. 1940

Frage und Antwort

Ich frage mich: Was ist mir noch geblieben
von allem, was das Leben leidlich macht!
Kein Freund. Kein Mädchen; willig, mich zu lieben.
Kein Anreiz einer hold verschwärmten Nacht.
Auch nicht der Anschein einer schmalen Habe.
den das Geschick auch Bettlern nicht versagt.
Ja nicht einmal die Lust der Alltagsglaube,
das Bißchen, was dem Gaumen noch behagt:
der Trunk, den mir ein Kleinlicher nicht neidet,
ein Schauspiel, zu verzaubern meinen Sinn,
ein Mahl, das mir der Vorwurf nicht verleidet.
der mir nachrechnet, was ich schuldig bin.
Die späten Stunden, die mir günstig waren,
sind mir nun auch zum Werk nicht mehr gewährt:
man mahnt, mit allem Übrigem zu sparen,
der Leichtsinn wurde lang genug genährt!
Und alledem kann ich nicht mehr entrinnen,
es gibt kein Schweifen, keinen Zufluchtsort;
die Möglichkeit, noch einmal zu beginnen,
floß mit der Sintflut dieser Unzeit fort.
War mein Gedicht mir einst zum Trost geschrieben;
nun wiederholt es, was mich trostlos macht.
Von meinem Leben ist mir nichts geblieben
als dieser leere Raum ans Tag und Nacht.


13. 02. 1940

Sieg der Ahnen

Stumm mit den gewohnten Rossen
kommt der Ahnen herbe Schar,
müdgeackert, werkverdrossen,
einen Dornenkranz im Haar;
ihre kalten Blicke zählen
spöttisch unser Hab und Gut,
denn die Wege, die wir wählen,
dünken ihnen Übermut.

Und sie haben recht, zu höhnen
über unsre Lebensfahrt:
keiner hat von ihren Söhnen
den ererbten Grund bewahrt;
trotzig oder feig verließen
wir das Land, das uns gehört,
einen Frieden zu genießen,
den die Sintflut doch zerstört.

Mit dem Korb am Bach beim Fischen
harrt er, wie er damals stand,
sonntags wird er Karten mischen
in dem Schank mit derber Hand
oder eine Magd liebkosen,
die er sich zum Tanze griff,
Bauernahn der Heimatlosen
auf dem fremden Totenschiff

Scheitert es an einer Klippe,
schreit zum Himmel unser Fluch,
sitzt die Mutter unsrer Sippe
über dein Legendenbuch,
liest mit kindlichem Vertrauen
der Verheißung fromme Mär,
und die alten Augen schauen,
als ob wieder Sonntag wär'.

Denn im Maienmorgen wieder,
wie es eh und immer war,
blüht am Heimat-Hang der Flieder,
fehlt von meiner Ahnen Schar
keiner, wenn auf ihrem Grunde
unvergänglich sie besteht,
während meine letzte Stunde
in der Fremde fremd vergeht.


14. 02. 1940

Unverwüstliches Traumglück

Den wachen Traum von Bergen und von Tälern,
in denen leicht mein Heimatlied erklingt,
soll mir die fremde Wirklichkeit nicht schmälern,
so viel Entschädigung sie sonst uns bringt.
Da bin ich glücklich mit erdachten Gaben
und atme Heimatluft mit jedem Hauch,
darf mich an lang Entbehrtem wieder laben,
die Feste feiern nach der Väter Brauch.
Der Hände Werk- wird uns nach Wunsch geraten,
den Frohmut hemmt kein grämliches Verbot.
Zufrieden mit des Tages guten Taten
lustwandeln wir im Abendsonnenrot.
Und haben unser Spiel noch nicht verloren,
noch bleibt uns für die Zukunft mancher Trumpf;
schon hat mein Traum sie hold heraufbeschworen,
irrlichternd auf der Wirklichkeiten Sumpf.
Ich folge gern, und mag ich auch versinken,
in hinterhältgem Nichts hilflos vergehn,
zuvor durft' ich mir doch Verzückung trinken,
die Berge und die Täler wiedersehn,
mein deutsches Lied befreit erklingen lassen,
als wär' es nie vor Scham und Gram erstickt,
und mich von ihm zu Sternen bringen lassen,
wo man das Irdische nicht mehr erblickt.


18. 02. 1940

Hyde Park im Schnee

Ein heimatlicher Weihnachtswald von Schnee
ist mitten in der fremden Stadt entstanden;
die Möwen stehn auf dem gefrornen See,
des nahen Meeres Ahnung kam abhanden,
ratlos sehn sie in die verwunschne Welt
und rutschen auf der ungewohnten Glätte.
Es stäubt, als ob der Wind vom Himmelszelt
die letzte kalte Last geschüttelt hätte.
Die Straßen draußen tauten längst zu Schmutz,
ihr Weihnachtmärchen wurde zu Gemülle;
doch hier hält sich der Büsche weißer Putz,
des Winterglückes heimatliche Hülle.
So bin auch ich, wenn ich den Park durchgeh,
verwandelt jetzt zum hoffnungsfrohen Kinde:
vielleicht, daß in dein fremden Wald von Schnee
ich die verlorne Jugend wiederfinde,
wie sie Schneebälle wirft im Flockenspiel
umklingelt vom Geläut beschwingter Schlitten,
und kommt zuletzt noch zum ersehnten Ziel
in dieser andern Stadt und Stimmung mitten.


21. 02. 1940

Das Ärzteviertel

Das ganze Straßenviertel riecht nach Äther,
viel Ärzteschilder sind an jeder Tür.
In Wartezimmern zittern junge Väter,
erschrickt ein eingebildetes Geschwür.
Die Ungewißheit wolkig zu verbringen.
betrinkt der Gatte sich im nahen Schank:
der blutge Eingriff wird vielleicht mißlingen.
man hielt es nicht mehr aus im Klinik-Gang.
Versippte, die darin schon Übung haben,
stell'n angeregt sich zur Besuchszeit ein
wie zum Geburtstagsfest mit manchen Gaben,
mit Früchten, Büchern oder Stärkungswein,
besprechen fachlich kühl mit ihresgleichen
des Leidens Einzelheiten und Verlauf.
Der Pomp für die vielleicht erzielten Leichen
steht nebenan im Laden zum Verkauf.
Die Pflegerinnen sich zum Dienst begeben,
rotbäckig, stramm, in männlichem Gewand,
wie wohlgenährt von all dem Menschenleben,
das unter ihren Händen schon entschwand,
und zur Visite eilen die Doktoren,
im Köfferchen ihr Marterinstrument,
von dem, was umgebracht wird und geboren,
berechnend ihr ergiebiges Prozent.


24. 02. 1940

Frühlingstrost

Laß des alten Tages Sorgen
untergehn im Schlaf der Nacht!
Hinter Nebeln liegt verborgen,
was dir morgen Hoffnung macht,
neuer Schimmer neuer Sonnen,
Frühlingsduft und Frühlings-Ton.
Ist ein netter Tag gewonnen,
zeigt ein neues Ziel sich schon.
Trocknen werden alle Tränen,
deine Blicke sehen hell.
Wenn wir uns verloren wähnen,
kommt die Rettung zauberschnell.
Aus entlegenen Versteck-en
engelhaft der Helfer naht,
wird mich seine Weise wecken,
öffnet sich ein andrer Pfad
zu des Lenzes jungem Segen,
der die Sorgen schwinden macht,
neuer Lebensgunst entgegen
nach der Zeit in Angst und Nacht.


28. 02. 1940

Litanei der Bitternis

Bitter ist es, das Brot der Fremde zu essen,
bittrer noch, das Gnadenbrot,
und dem Nächsten eine Last zu sein.
Meine bessren Jahre kann ich nicht vergessen;
doch nun sind sie tot,
und getrunken ist der letzte Wein.

Ringsum ist eine ganze Welt verfallen,
alles treibt dem Abgrund zu,
nur noch Schwereres steht uns bevor,
denn wir treiben hilflos mit den Trümmern allen;
immer denkst auch du
an das Glück, das dein Gemüt verlor.

Selbst die große Stadt muß sich verstellen;
dunkel sein wie Dörfer einst,
die verwunschnen, die man fremd durchfuhr,
seltsam klingt wie damals nachts der Hunde Bellen,
daß du trostlos weinst,
angeweht vom Spuk der Heimatflur.

Bitter ist es, vor jedem neuen Tage
Angst zu haben, niemehr frei
von geheimen Sorgen, Reue, Gram,
furchtgeplagt bei jedem neuen Glockenschlage,
daß er letzter sei,
eh man recht vom Leben Abschied nahm.

Ungemilderte Bitternis im Herzen.
bin ich längst mir selbst zur Last
zwischen Morgenrot und Abendrot.
Bitter ist es, alles Glück sich zu verscherzen,
ungebetner Gast
bittrer, und das Bitterste: der Tod.


 29. 02. 1940

Ich lese Shakespeare

Ich lese Shakespeare, den ich nie recht schätzte,
obwohl ihn mancher Kenner mir empfahl,
in Englisch les ich jetzt, was Falstaff schwätzte
und Kätchen und ihr tobender Gemahl,
in diesen sonderbar gestimmten Nächten
im Kriegszeit-London lese ich mir laut
die blutgen Gräuel von vergangnen Mächten,
um die der Nebel dieses Landes braut,
und spüre selbst, daß ich den Klang verfehle,
(ach, Englisch recht zu reden lern' ich nie!)
die falschen Töne kratzen meine Kehle,
ich sehne mich nach deutscher Poesie,
und scheltet ihr mich einen frechen Flegel —
viel echter mir der übersetzte scheint,
wenn Shakespeare durch die Mittler Tieck und Schlegel
in unsrer Sprache prahlt und spaßt und weint.
Doch, da ich auf dem Englischen bestehe,
hat er mit Prospero mein Herz behext,
daß ich am Ende schmecke, höre, sehe
die eigne Blume auch im Ursprungs-Text;
im Dunkel der Jahrhunderte verschwunden,
halt ich nun schattenhaft mit Schatten Rat
in diesen nächtlich sonderbaren Stunden,
die knistern von verborgner Übeltat.
In fremder Sprache fremden Tod beschwörend,
dem Fluch der Gegenwart so fern, so nah,
und zu den Toten selber schon gehörend
als einer, der die Gräber offen sah,
bin ich von Shakespeare wunderlich gefangen
und wider meinen Willen ihm verstrickt,
bereit, zu jenem Gleichmut zu gelangen,
wo man, wie er, gefaßt ins Leere blickt.


02. 03. 1940

Die Sterbeglocke

Wenn einst daheim die Sterbeglocke klang,
die Frauen fragten an dem Kirchentor,
für wen der Glöckner jetzt die Schelle schwang,
da trug der Morgen schon den Trauerflor,
da wurde auch mit Tränen aufgewacht
und die Verwesung schauernd nah gespürt
und vor dem neuen Tag ein Kreuz gemacht,
daß er uns fort von allem Toten führt.
Durch Frühlingsdüfte schlurfte man bedrückt,
der Stadtpark wußte schon von unserm Leid,
und war er auch mit jungem Grün geschmückt,
behielt er noch des Winters Witwenkleid.
Von ferne immerzu die Glocke scholl,
als bliebe ewig uns ihr Ton im Ohr,
und man war bang und trotzdem hoffnungsvoll,
Schneeglöckchenstrauß am Rock und Trauerflor.

Auch dieser Lenz macht mich getrost und bang,
beschwert mit Schuldgefühl die kleinste Lust:
unstillbar mahnt der Sterbeglocke Klang,
des Krieges Jammer ist uns dumpf bewußt
in jedem Augenblick von Tag und Nacht,
da man ein zwiegespaltnes Leben führt,
zutraulich einschläft und mit Furcht erwacht
und die Verwesung aller Welten spürt.
Wie Opfertiere scheinen sie geschmückt;
auch wer gern lacht, denkt plötzlich an das Leid
und hat noch rasch den Frohsinn unterdrückt
und traut sich nicht mehr aus dem Trauerkleid.
Es ist die Zeit von bösen Trieben toll,
du fühlst ihr Fieber in der eignen Brust
und wartest, was dir noch geschehen soll,
eh du dich ganz verloren geben mußt.


09. 03. 1940

Die Zimmer

Von wieviel Zimmern muß ich wohl noch scheiden,
eh mich das letzte mitleidlos erstickt,
und ungebeten sein und schweigend leiden,
von einem Ort zum anderen verschickt?
Ich darf die sichre Bleibe nirgends finden,
die mir der nächste Augenblick nicht nimmt,
daß wieder ausgesetzt den Zufallswinden
mein Lebensfloß auf fremden Meeren schwimmt.
Nur mein Gedenken darf sie noch betreten,
die Räume, wo ich traurig war und froh:
den einen mit dem Traumwald der Tapeten,
in den mein alltagsmüder Sinn oft floh,
den andern mit der Sicht zum Bühnenhause,
vor dem sich die Theaterfrauen schmuck,
buntscheckig, sonnten in der Probenpause
und Sänger nahmen einen Stärkungs-Schluck,
und jenes Zimmer auch mit dem Balkone,
auf dem ich lang in stummer Andacht stand,
den See betrachtend und die Lichterkrone
der samtnen, sternen-nahen Bergeswand,
und eins, wo mich das Meer in Schlummer rauschte,
und eins mit tiefem Fenster in Paris,
wo nachts ich auf die Liebespaare lauschte.
Ihr Stuben, die ich ungern stets verließ,
auch das hoch oben über Londons Essen,
in dem ich leidlich mich geborgen sah
und konnte manches Mal sogar vergessen,
was Grauenvolles in der Welt geschah,
und schließlich die getreue stille Zelle,
mit Büchern ringsum wieder wohl bestückt,
die Fremde endete an ihrer Schwelle,
ich schloß die Tür und war mit mir beglückt.
Da konnte mir so manches Lied gelingen,
ich fühlte mich den Dichterahnen gleich,
die mich mit ihrer Ewigkeit umfingen
in diesem meinem kleinen Schreibtischreich,
wo ich mich, wenn die andern endlich schliefen,
auf das, was meine Sendung ist, besann
und holte aus mir selbst verborgnen Tiefen
die Kraft, durch die man weiterleben kann.
Du Trostgemach, von dir auch muß ich scheiden
(o hätte ich dich lieber nie gekannt!)
und unbehaust mein Los zu Ende leiden
von fremdem Platz zu fremdem Platz verbannt.


20. 03. 1940

Versagter Freudentag

Früher wäre das ein Freudentag gewesen,
wenn er soviel Freundlichkeiten mir erwies:
in der fremden Zeitschrift war mein Lied zu lesen,
und der Park voll Frühling schien das Paradies.
In der ungewohnten Tracht ganz andrer Laute
war die eigne Dichtung ein besondres Ding,
das ich anzusprechen mich nicht mehr getraute,
doch mit väterlichem Stolze stumm umfing.
Dieses Dichterglück am ersten Frühlingstage,
diese Frühlingswonne zum Erfolg der Kunst!
Keinen Grund zu Kummer gab es mehr und Klage,
Ruhm und Sonne siegten über Nebeldunst.
Meine kühnsten Wünsche schienen übertroffen:
wenn der erste Lenztag sich so gütig gab,
war auch für die Zukunft Günstiges zu hoffen,
auferstand das Totgeglaubte aus dem Grab.
Ja, ich wollte guten Mutes feiernd schwärmen,
festlich diesen festlich reichen Tag begehn,
doch da sah ich Blicke neben mir sich härmen,
und schon war es auch um meine Lust geschehn,
nicht mehr stand mein Sinn nach Wein und frohem Wesen,
wieder trat das Weh der Welt vor mein Gemüt;
müßig war's, in fremder Zeitschrift mich zu lesen,
und vergebens hat der Frühlingspark geblüht.
Jetzt ist keinem mehr vergönnt die holde Pause,
da das Leben sich erholt von aller Not,
Trauerhaus steht dunkel neben Trauerhause,
und in jeder Seele ist ein Glaube tot.
Auch mein Lächeln mußte, kaum versucht, erfrieren,
freudlos ist die Freude und im Glas kein Wein,
an Gelüste darf ich mich nicht mehr verlieren
und mit keinem Glück mehr glücklich sein.


24. 03. 1940

Ostermärchen 1940

Österlich wird es dich wecken
aus dem Traum, der dich erschreckt:
in den frisch erblühten Hecken
ist ein Festgeschenk versteckt:
was wir guten Mutes suchen,
finden wir zu rechter Zeit,
Osterwein und Osterkuchen
hat die Fremde auch bereit.

Weidenkätzchen im Gesträuche,
Frühlingspiel und Rutenspaß:
die vertrauten Heimatbräuche
Keiner unterwegs vergaß.
Mit dem Primelstrauß im Glase
macht der Tag dich sorgenfrei,
kindlich froh der Osterhase
und sein bunt bemaltes Ei.

Zu der Kindheit leichtem Gange
ist dein Leben heimgebracht;
Ferienglück: es wird nun lange
keine Schularbeit gemacht.
Blätterst du im Bilderbuche
auf besonnter Gartenbank,
ahnst du nichts vom Schicksalsfluche,
der zur Wanderschaft uns zwang.

Morgens auf dem alten Markte
prangt in Fülle Fleisch und Fracht,
eine Welt, die niemals kargte,
nimmt dich auf nach Not und Flucht,
läßt nicht zu, daß ihre Gaben
frevlerisch ein Krieg zerstört,
wieder darfst du alles haben,
was dir österlich gehört.

Denn das Dunkel ist verwunden,
und der Traum tritt in den Tag,
holen Ostermorgenstunden
Totes aus dem Sarkophag.
Nun kommt wieder Blühn und Reifen,
Sommerglück und Herbstgewinn,
frei durch heilge Freiheit schweifen
darf der auferstandne Sinn.


28. 03. 1940

Enttäuschung und Stolz

Schon lange glaub' ich nicht mehr an das Gute,
das mir ein Traum der Jugendzeit verhieß.
Nun züchtigt uns des Schicksals Dornenrute
und treibt mich wieder aus dem Paradies.
Enttäuschung ist das Ende des Vertrauens,
seit lauer Trost bei mir nicht mehr verfing.
Es blieb vom Leichtsinn des Luftschlösser-Bauens
ein Leben, das verarmt zugrunde ging.
Die andern durften meinen Traum beschämen,
denn ihrer war das tätige Gedeihn.
Wenn wir noch einmal doch nach Hause kämen,
wir würden vor uns selbst Besiegte sein.
Denn womit könnten wir uns füglich rühmen,
da schließlich nichts nach unserm Plan gelang?
Die Welt gehört doch heut den Ungetümen,
die morden, nicht dem Geist, der friedlich sang,
und nichts ist meinem Wesen mehr zuwider
als bösgewillte, unbeseelte Macht,
sie lacht der Liebesbotschaft meiner Lieder
und schreckt uns in die Dunkelheit der Nacht,
wo wir vor der Vernichtung furchtsam zittern
und jedesmal voll Argwohn schlafengehn,
mit schlimmer Ahnung uns die Rast verbittern,
um wieder bangend morgens aufzustehn
in einen Tag, von dem wir Gram erwarten,
auf die Verdammnis immerdar gefaßt.
Schon zieht er auf mit feindlichen Standarten
und einem Schlachtruf, der die Sanften haßt.
Woher soll ich ein wenig Mut noch holen,
den Ansturm wieder glimpflich zu bestehn,
wenn alles folgt den prahlenden Parolen,
gefestigt meinen schweren Weg zu gehn,
auch ohne Hoffnung weiter auszuharren
bei meinem kleinen Werk unwandelbar
als einer der verlachten alten Narren,
dem treu, was mir von Kindheit heilig war?
Doch will ich mir die Üppigkeit erlauben,
nicht nachzugeben, bleib' ich auch allein,
und kann ich an das Gute nicht mehr glauben,
kein Überläufer zum Erfolge sein.


22. 04. 1940

Vergebliche Suche

Getrost hat man den Kasten angedreht,
aus dem die Stimmen aller Länder tönen:
vielleicht, daß endlich hier ein Ruf ergeht,
die Seelen miteinander zu versöhnen,
daß Volk und Volk sich zu erkennen gibt,
die Menschen ihre guten Träume tauschen
und eins des andern fremde Weise liebt,
bereit, auf ihren Herzensklang zu lauschen.
Da hebt es an und hetzt im Mutterlaut,
daß wir uns des mißbrauchten schämen müssen;
so friedlich war der edle uns vertraut,
nun knattert er ins All mit Räuberschüssen,
das lügt und lästert in mißratnem Haß.
Wir flüchten rasch zu einer andren Welle:
da spaßt es grob aus einem hohlen Faß
und klappert leer als unbeseelte Schelle.
Und eine dritte hat sich selbst gelobt,
sich prahlend über alle zu erheben,
und auch die nächste, hoffnungsvoll erprobt,
gibt nur ein Zerrbild von dem wahren Leben.
Und wenn es hochkommt, schwelgt es in Musik,
betäubt den Sinn mit abgespielten Weisen
und läuft, als drohte rings nicht blutger Krieg,
im alten Trott gemach auf alten Gleisen.
Noch einmal jagt man durch das ganze All
im Ätherzauber weniger Sekunden
und hat im vielfach wandelbaren Schall,
was man so sehnlich suchte, nicht gefunden:
das Einende, das jeder Mensch versteht,
die Bruderschaft im Guten und im Schönen.
Enttäuscht hat man den Kasten abgedreht,
damit im Schweigen Gottes Worte tönen.


22. 04. 1940

Endgültige Verzauberung

O schenkte mir ein Traum das Zauberwort,
das mich verwandelte zum winzigen Tiere,
daß ich, gleichfarbig mit dem Zufallsort,
mich unbeachtet in der Schar verliere,
zu einem wohlgefiederten vielleicht,
daß ich mich, wenn Gefahren dröhn, erhebe,
von feindlicher Verfolgung nicht erreicht,
hoch über dem Getümmel friedlich schwebe.
Noch besser wär's, mich wechselte die Nacht
zu einer scheinbar unbeseelten Sache,
daß ich zum Bilde an der Wand gemacht,
als Vase oder Statue, erwache,
ein Gegenstand, beharrlich, ungestört,
gewiß, an dem gewohnten Platz zu bleiben
und daß er diesem Haushalt zugehört,
was auch beweglichere Wesen treiben.
Du sichre Ruh dinglichen Dämmerns! — Nein,
auch du verwundbar von Zerstörerhorden.
Am besten ist es, nicht, garnicht zu sein,
aus nichts gekommen und zu nichts geworden.
O schenkte mir ein Traum das Zauberwort,
mich leidlos in die Lüfte aufzulösen,
und plötzlich war' ich ohne Spuren fort,
entrückt den guten Mächten und den bösen!
Dann werd' ich leichter als des Windes Hauch
beseligt durch die leeren Sphären schweifen,
formloser als der flüchtigen Wolke Rauch,
von keines Menschen Sinn mehr zu begreifen,
von jedem irdischen Gefühl verschont,
von Reue, Furcht und Liebe nicht belastet,
ein Geist, der zwischen Sonne, Stern und Mond
verklärt in ewigen Gefilden rastet.


01. 05. 1940

Unwirksamer Frühling

Diesmal, wenn der Flieder blüht,
welkt untröstlich mein Gemüt,
blieb der Winter mir im Blut,
macht der Frühling nichts mehr gut.
Mein Vertrauen ist verletzt:
allzu spät lockt Holdes jetzt,
kein entschädigendes Glück
bringt, was ich verlor, zurück,
keins mehr macht mich kindlich froh.
Flammt der Park auch lichterloh
in der Blumen schönstem Prunk,
hilft mir kein Verjüngungs-Trunk:
plötzlich bin ich schmählich alt.
Daß des Dichters Weise galt,
ist für meine Zeit vorbei:
niemand hört im Kriegsgeschrei,
was der Schwärmer friedlich sang.
Gegen Gram und Untergang
wehrt sich nichts in meiner Brust.
Fast verliebt in den Verlust,
nach Gewinst nicht mehr bestrebt,
fremd schon dem, was mit mir lebt
und mich überleben soll,
bin ich nicht mehr hoffnungsvoll
um das Künftige bemüht.
Diesmal, wenn der Flieder blüht,
spür' ich, daß mein Licht verglimmt
und mein Atem Abschied nimmt.
Glückt mir noch ein Maigedicht,
lächelt und erlöst es nicht.
auf dem Festplatz jubeln Leiern,
schweben Schaukeln lustbeschwingt,
und du kannst ein Pfingsten feiern,
das dir wieder Freude bringt.


 12. 05. 1940

Pfingsten 1940

Fürchte nicht der Städte Sterben
nicht des Heimischen Verfall:
immer formt sich aus den Scherben
neu der strahlende Kristall.
Andre Schatten, andre Farben,
unvergänglich stets der Kern.
Soviel Tode wir schon starben,
so oft schien ein neuer Stern.
Neue Städte sind geboren,
wo die alten man vergaß.
Eine Heimat ist verloren,
die man längst nicht mehr besaß.
Eine Heimat ist gewonnen,
die mit Zukunft uns bedenkt.
Stunden, ungenutzt verronnen,
sind uns pfingstlich neu geschenkt.
Pfingsten bringt dir seine Blüte,
Sonne flutet durch dein Haus,
segnend gießt der Geist der Güte
sich auf das Beseelte aus,
alle Fesseln kann er brechen,
jeder Ort wird heiliges Land,
auch die fremden Zungen sprechen,
was dein Herz schon früh verstand.
Immer ist die Luft von Klängen
wie ein Märchenhain durchweht,
wo in duftigen Birkengängen
junges Leben sich ergeht:
was die fremden Mienen meinen,
spürst du, ist dir wohlgesinnt,
wirst Gewesenes nicht beweinen,
weil das Neue schön beginnt.
Das Beengende verschwindet,
Weite tut vor dir sich auf:
durch die Maienwiesen windet
sich des Heimatflusses Lauf,
schaun wir froh vom Hügel nieder
über die erträumte Au;
dort steht, unvergänglich, wieder
des Gebirges weißer Bau.
Seine tief verborgnen Schätze
warten, daß dein Herz sie hebt.
Fremde Straßen auch und Plätze
sind von ihrem Glanz umschwebt.
Pfingsten mildert jede Wildnis,
von den Höhen schmilzt der Schnee.
Lächelnd spiegelt sich dein Bildnis
in dem wieder blauen See.
Du verstehst den Vers der Wellen,
lichter Wipfel Pfingstgedicht,
Frühgeläut der Waldkapellen
seinen Frieden dir verspricht,
hörst in dem Gegurr der Tauben
einen heimatlichen Laut,
Liebe flüstert in den Lauben,
gut ist alles und vertraut.
Primelbeete schweigend preisen
dich mit sanftem, samtnem Blick,
in des Windes Frühlings-Weisen
reimt auf Glück sich drin Geschick;
auf dem Festplatz jubeln Leiern,
schweben Schaukeln lustbeschwingt,
und du kannst ein Pfingsten feiern,
das dir wieder Freude bringt.


14. 05. 1940

Hochzeits-Gedenken 1940

Sei nicht bedrückt:
Just vor dem schlimmsten Ende
kommt immer wieder eine Schicksals-Wende,
die dich beglückt!
Dein Stern besteht
und wird dich heil geleiten
auch aus den allertiefsten Dunkelheiten.
Der Schmerz vergeht.
Vergangnes schwand,
ist ganz und gar vergessen;
doch vor dir dehnt sich weithin, unermessen,
der Zukunft Land.
Im Sonnenlicht
sind Lämmer auf der Weide.
Und schließlich wird aus allem Herzeleide
ein Lenzgedicht,
das dir gehört,
und will mit blinden Bildern
die Bitternis und Mißgestimmtheit mildern,
die dich verstört.
Mir selbst genügt,
dich neben mir zu wissen,
dein Haupt des Nachts ganz nahe meinem Kissen.
Dein Angst-Traum trügt;
Gott will dir wohl
und läßt dein Sternbild strahlen.
Was wüste Gegner drohen, fordern, prahlen,
klingt machtlos hohl.
Nimm meine Hand;
wenn von der Welt nichts bliebe,
so hätte doch der Himmel unsrer Liebe
Bestand.
Bräutlich geschmückt,
in jugendlichem Schimmer,
kehrst du ins heimatliche Hochzeits-Zimmer.
Sei nicht bedrückt!
Der Schmerz vergeht,
und Furcht und Schuld vergehen.
Der Bund im gleichen Stern geschlossner Ehen
besteht.


21. 05. 1940

Zu spät

Bis jetzt noch könnt' ich mich gesichert glauben
und mein gewohntes Spiel mit Worten treiben,
im Schattenraume meiner Märchenlauben
mir trostreich hoffnungsvolle Strophen schreiben,
das Drohende nicht sonderlich beachten,
das Sterben meiner Welten übersehen,
im blutigen Anbruch der Entscheidungs-Schlachten
absichtlich jede Mahnung mißverstehen,
schien meinem Trachten jede Straße offen,
die Mannigf alt der Lebensmöglichkeiten
von keinem sperrenden Verbot betroffen
und alles wie in alten guten Zeiten.

Doch nun umzüngelt mich der Hölle Feuer,
ist Gottes Mai nicht wiederzuerkennen,
will das erbarmungslose Ungeheuer
die stillen Lauben grausam niederbrennen.
Vorbei ist meines Leichtsinns laues Zaudern,
das lässig selbstgefällige Verharren;
wir müssen wie gelähmt mit kaltem Schaudern
auf das uns nahende Verderben starren.
Wo kam das hin, was mich beglücken konnte?
Glänzt unverändert doch der grüne Rasen
und blüht wie je der sommerlich besonnte
Vormittags-Park, in dem die Lämmer grasen.

Die Unschuld der Natur webt arglos weiter,
geruhsam rauscht das neue Laub der Linden,
doch stimmt die Lieblichkeit mich nicht, mehr heiter,
es ist nicht mehr das nämliche Empfinden.
Was unerschütterlich mir galt, versagte,
was unverwüstlich schien, hat keine Dauer;
in unserm Alltag, der mir doch behagte,
lag die Vernichtung längst schon auf der Lauer.
Das Warnende hab' ich gering geachtet,
weil schließlich - wähnt' ich - alles gut gerät,
den Kampf als Unbeteiligter betrachtet,
bis jetzt noch. —
                            Aber nun ist es zu spät.


23. 05. 1940

Träumerische Dichterseele

Träumerische Dichterseele,
werde tapfer, werde hart,
widersetz' dich dem Befehle
wahnverstrickter Gegenwart!
Feuer lodern und verrauchen;
traue nicht dem schönen Schein!
Kannst du Freundeshilfe brauchen,
bist du fürchterlich allein.
Spinne nicht der seidnen Fäden
leicht zerreißbares Geflecht!
Diese Welt mit ihren Schäden
heischt ein gröberes Geschlecht.
Höre auf mit deiner Klage!
Niemand lauscht auf dein Gedicht,
denn in dieser Zeiten Plage
rührt des Sanften Kummer nicht.
Suche nicht dich zu entziehen,
wenn es dich zu wehren gilt;
gib die Hoffnung auf, zu fliehen
in ein bessres Wunschgefild!
Laß dich nicht von Angst verstören,
werde mannhaft und gefaßt!
Stets wirst du dorthin gehören,
wo kein Herz das andre haßt,
und der Glaube an den Frieden
überlebt die Gegenwart.
Dichterseele, sei entschieden,
werde tapfer, werde hart!


28. 05. 1940

Sommerlich die Gärten tönen

Sommerlich die Gärten tönen,
singen Vögel, rauscht das Laub.
Hinter all dem zärtlich Schönen
geht die Raserei auf Raub.
Sie verstockt sich, nicht zu hören
auf des Lebens Harmonie;
stets nur konnte sie zerstören,
was in Friedlichkeit gedieh.
Wir, die dankerfüllt genießen,
was in Busch und Baum geschieht,
die sich gern bezaubern ließen
durch der Jahreszeiten Lied,
wittern plötzlich das Verderben,
das mich, der das Leben liebt,
dennoch läßt gewaltsam sterben,
wenn es alles dies noch gibt,
ungestört vom Bomber-Dröhnen,
gegen Schlachten-Donner taub:
sommerlichen Glückes Tönen,
Lerche und bewegtes Laub.


01. 06. 1940

Reue

Wir wußten nicht, wie gut die Zeit uns war,
und scheuten uns, als Glückliche zu gelten,
und waren unzufrieden, klagten gar,
verleumdeten uns wohlgesinnte Welten.
Ihr sanfter Glanz schien uns nicht hell genug:
wir suchten Grund, uns töricht zu empören —
und war doch stets ein Fest mit Wein im Krug,
ein treuer Freund, erfreut mich anzuhören,
ein Schreibtisch und ein voller Bücherschrank!
Des gütigen Geschickes Liebesgaben
empfingen wir gleichgültig, ohne Dank,
als mußte stets uns etwas Leckres laben.
Klein war des Lebens tägliche Gefahr,
mein Dichter-Obdach paradiesisch sicher,
die Eintracht aller Wesen heilig wahr.
Nun trifft der Fluch uns desto fürchterlicher,
der jeden Augenblick mit Mord bedroht
und jeden Hauch mit Todesangst belastet.
Der Weltenbrand an unsern Toren loht,
es blieb kein Platz, wo man behütet rastet,
auf niemanden und nichts ist mehr Verlaß,
kein Mensch und keine Sache unverdächtig,
in jeder Seele glimmt ein Fünkchen Haß
und wird, eh man es ahnte, übermächtig.
Auch ich bin schuldig, trotzte undankbar,
zu träg, mit Gutem Gutes zu vergelten:
ich wußte nicht, wie hold die Zeit mir war.
Nun würgen mich böswillige Unterwelten
.


16. 06. 1940

Unerschütterlich

Höre nicht auf, an das Wunder zu glauben:
Dein Vertrauen allein macht es wahr!
Laß dir durch nichts deine Zuversicht rauben,
sie nur besteht auch die größte Gefahr!
Nichts soll für immer die Blicke uns trüben;
durch alles Dunkel dringt wieder das Licht.
Sich in Geduld auch im Schlimmsten zu üben,
spricht uns einst frei vor dem Jüngsten Gericht.

Höre nicht auf, im Gebete zu werben
um die befreiende himmlische Tat,
daß wir vorzeitig verzweifelnd nicht sterben,
eh überraschend Erfüllung sich naht!
Immer verlohnt sich das menschliche Mühen,
macht uns das Werk unerschütterlich stark.
Wieder beginnen die Linden zu blühen,
duften die Rosen im prangenden Park.

Schutzengel werden dich weiter behüten,
läßt du nicht los ihre helfende Hand.
Im unvergänglichen Reiche der Mythen
harrt unsrer Herzen ihr Heimatland.
Sommerlaub hätschelt die liebelnden Tauben,
zutraulich nah hüpft im Grase der Star.
Höre nicht auf, an das Gute zu glauben:
morgen vielleicht ist das Wunder schon wahr.


16. 06. 1940

Sonntag im Hyde Park

Die Wolken formten sich zu Heimat-Hügeln
am Sommerabend in dem fremden Land;
da warf mein Heimweh mit beschwingten Flügeln
sich in des Sonnenunterganges Brand.
In meinen Ohren fing es an zu klingen:
es dachte jemand in der Fremde mein.
Die Menschen, die den gleichen Park durchgingen,
sie durften hier beglückt zuhause sein;
was auch an Unheil jetzt ihr Land bedrohte,
mit ihresgleichen war es zu bestehn:
noch fuhren auf dem Teich die frohen Boote
und ließen stolz im Wind die Wimpel wehn.
Ich aber war von allem ausgeschlossen,
bei mir nicht mehr und hier noch nicht zuhaus.
Mir dünkte eine Ewigkeit verflossen,
seit ich daheim die Lampe löschte aus
und Abschied nahm von den gewohnten Wänden
und glaubte nicht, daß es für immer sei —
da hielt ich mein Geschick noch in den Händen,
im nächsten Augenblick war es vorbei.
Nun trieb ich bei dem fremden Sonntagsvolke
als Schatten, der den Lebensgeist verlor,
zerronnen war die Heimatform der Wolke,
es nahte eine Nacht wie nie zuvor.


 

Letzte Gedichte II. Überwunden Fortsetzung