W E L T E N
17. 08. - 30. 12. 1937
Inhalt
Die Tiere von Ninive.
(Jona, Schlußwort.)
zurück zu Gertrud Kolmar Die Gedichte
Die Mergui-Inseln sind Laich.
Hingesamt vor den Schenkel des Frosches,
Der, blaues Birma, gelbes Siam, grünes Annam,
Hockt und rudert, den Schwimmfuß Malakka in chinesische
Fluten stößt.
Nein.
Meine Mergui-Inseln baden nicht singend im indischen Meere.
Sie tauchen aus Nachtsee schweigsam in stetig tagloses
Dämmer empor,
Kuppig, schwarzgrün bezottelt,
Widerriste ungeheurer Büffel, die in Meertiefe bräunlichen
Tang durchweiden.
Ihre Nüster kocht Schaum.
Ihre Flanke rauscht Finsternis. Fahl schwelendes
Wetterleuchten
Zittert aus dem gebogenen Horn. Verglostet . . .
Unter dornigem Struppwerk des Kamms
Ducken, mit Pferdshaaren, fluglose Vögel sich, die noch kein
Forscher erkannt hat.
Von steiniger Lichtung
Starrt mondgoldnes Auge schiefergrauer reglos gewundener
Schlange in ewigen Abend auf.
Aber in Kalksteinhöhlen,
Deren Wände zerfressen von Wellenschnauzen, zernagt sind
von Tropfenzähnen,
Feiern Meerechsen in malachitgrünem Brautschmuck
brünstige Vermählungen,
Kröpft schwarzer Geier mit kahlem, blaurotem Antlitz
scharlachflossigen Fisch,
Huschen aus Löchern dunkle Schwalben, erdbraun
beschwingt, mit veilchendüsteren Brüsten,
Blühn nelken- und safranfarb Blumentiere, atmen schon
Beute, fächeln mit Fangarmen hin,
Rollt eine große Schnecke sich in den pantherfleckigen
porzellanenen Mantel ein.
Und schlummert.
Schiffe wurden verweht.
Verweht . . . zerrissen . . . Planken treiben, Fetzen der Welt,
Die den Meißel des Werkers trägt und des Schreibenden Stift
und den Pflug und Kaufmanns Gewicht und Waage,
Tausend hastende Räder, tausend haspelnde Worte
Und das Geld. - Hier kauert im Ungestirnten
Stummes Zwielicht,
Fern sanfter Mondklage, glühenden, blitzenden Sonnengesängen.
Land träumt, ummurmelt von salzig triefenden Lefzen
uralter Amme.
Dumpf weißliches Glimmen sinnt.
Nur Tier und Pflanze.
Seltsame Grottenratte, die graulich gesprenkeltes,
türkisfarbes Ei bebrütet,
Schlafstrauch, des tintige Beeren
Den Esser für eines Jahrs Hingang in Druseln lullen – doch
niemand pflückt sie geschäftig . . .
Stille.
Sein noch ohne Tun.
Wo Schlinggerank klammernd mit mageren Armen schuppige
Zwergstämme würgt,
Unter Akaziengefieder
Bricht aus tiefgrüner Blattscheide einsame Frucht hervor,
Lang und gerundet, steil in nackter, fleischiger Röte
schwellend.
Sie wartet,
Bis Lippen leisen, schwüleren Hauches
Flüsternd durch Dickicht tasten, rühren, schauern,
umhüllen:
Sie bebt
Und die im Fruchtfleisch verborgenen Stränge gießen
zeugenden Samen aus.
Ich denke dein.
Immer denke ich dein.
Menschen sprachen zu mir, doch ich achtet' es nicht.
Ich sah in des Abendhimmels tiefes Chinesenblau, daran der
Mond als runde gelbe Laterne hing,
Und sann einem anderen Monde, dem deinen, nach,
Der dir glänzender Schild eines ionischen Helden vielleicht
oder sanfter goldener Diskus eines erhabenen Werfers
wurde.
Im Winkel der Stube saß ich dann ohne Lampenlicht,
tagmüde, verhüllt, ganz dem Dunkel gegeben,
Die Hände lagen im Schoß, Augen fielen mir zu,
Doch auf die innere Wand der Lider war klein und unscharf
dein Bild gemalt.
Unter Gestirnen schritt ich an stilleren Gärten, den'
Schattenrissen der Kiefern, flacher, verstummter
Häuser, steiler Giebel vorbei
Unter weichem düsteren Mantel, den nur zuweilen
Radknirschen griff, Eulenschrei zerrte,
Und redete schweigend von dir, Geliebter, dem lautlosen,
dem weißen mandeläugigen Hunde, den ich geleitete.
Verschlungene, in ewigen Meeren ertrunkene Nächte!
Da meine Hand in den Flaum deiner Brust sich bettete zum
Schlummer,
Da unsere Atemzüge sich mischten zu köstlichem Wein, den
wir in Rosenquarzschale darboten unserer Herrin, der
Liebe,
Da in Gebirgen der Finsternis die Druse uns wuchs
und reifte, Hohlfrucht aus Bergkristallen und fliedernen
Amethysten,
Da die Zärtlichkeit unserer Arme Feuertulpen und
porzellanblaue Hyazinthen aus welligen, weiten, ins
Morgengraun reichenden Schollen rief,
Da, auf gewundenem Stengel spielend, die halberschlossene
Knospe des Mohns wie Natter blutrot über uns züngelte,
Des Ostens Balsam- und Zimmetbäume mit zitterndem
Laube um unser Lager sich hoben
Und purpurne Weberfinken unserer Munde Hauch in
schwebende Nester verflochten. -
Wann wieder werden wir in des Geheimnisses Wälder fliehn,
die, undurchdringlich, Hinde und Hirsch vor dem
Verfolger schützen ?
Wann wieder wird mein Leib deinen hungrig bittenden
Händen weißes duftendes Brot, wird meines Mundes
gespaltene Frucht deinen dürstenden Lippen süß sein ?
Wann wieder werden wir uns begegnen ?
Innige Worte gleich Samen von Würzkraut und
Sommerblumen verstreun
Und beglückter verstummen, um nur die singenden Quellen
unseres Blutes zu hören ?
(Fühlst du, Geliebter, mein kleines horchendes Ohr, ruhend
an deinem Herzen ?)
Wann wieder werden im Nachen wir gleiten unter
zitronfarbem Segel,
Von silbrig beschäumter, tanzender Woge selig gewiegt,
Vorüber an Palmen, die grüner Turban schmückt wie
den Sproß des Propheten,
Den Saumriffen ferner Inseln entgegen, Korallenbänken,
an denen du scheitern willst ?
Wann wieder, Geliebter . . . wann wieder . . . ? . . .
Nun sintert mein Weg
Durch Ödnis. Dorn ritzt den Fuß.
Bäche, frische, erquickende Wasser, murmeln; aber ich finde
sie nicht.
Datteln schwellen, die ich nicht koste. Meine
verschmachtende Seele
Flüstert ein Wort nur, dies einzige:
»Komm . . .«
O komm . . .
Der Pfauen Pracht,
Blau, grün und gülden, blühte in Dämmerung
Tropischer Wipfelwirrnis, und graue Affen
Fletschten und zankten, hangelten, tummelten, balgten sich
im Geschlinge.
Der große Tiger, geduckt, zuckte die Kralle, starrte, verhielt,
Als das stumme seltsame Wild durch seine indischen Wälder
floh,
Westwärts zum Meere.
Das Einhorn.
Seine Hufe schlugen die Flut
Leicht, nur spielend. Wogen bäumten sich
Übermütig,
Und es lief mit der wiehernd springenden, jagenden
silbermähnigen Herde.
Über ihnen
Schrieb Flug schwarzer Störche eilige Rätselzeichen an den
Himmel Arabiens,
Der mit sinkender Sonne eine Fruchtschale bot:
Gelbe Birnen, gerötete Äpfel,
Pfirsich, Orange und prangende Trauben,
Scheiben reifer Melone.
Schwarze Felsen glommen im Untergange,
Amethystene Burgen,
Weiße glühten, verzauberte Schlösser aus Karneol und
Topas.
Spät hingen Rosennebel über den taubenfarb dunkelnden
Wassern der Bucht.
Das Einhorn.
Seine Hufe wirbelten Sand,
Der lautlos stäubte. Es sah
Einsame Städte, bleich, mit Kuppel und Minarett und den
Steinen der Leichenfelder
Schweigend unter dem klingenden Monde. Es sah
Trümmer, verlassene Stätten, nur von Geistern behaust, in
funkelnder Finsternis
Unter kalten Gestirnen.
Einmal lockte der Wüstenkauz,
Und im Fernen heulten Schakale klagend;
Hyänen lachten.
Am Eingang des Zeltes unter der Dattelpalme
Hob das weiße syrische Dromedar träumend den kleinen
Kopf, und seine Glocke tönte.
Vorüber das Einhorn, vorüber.
Denn seine leichten, flüchtigen Füße kamen weit her aus
dem Goldlande Ophir,
Und aus seinen Augen glitzerten Blicke der Schlangen, die
des Beschwörers Flöte aus Körben tauchen, gaukeln
und tanzen heißt,
Doch das steile Horn seiner Stirnmitte goß sanfteres Licht,
milchig schimmerndes,
Über die nackten Hände und weich umschleierten Brüste
der Frau,
Die da stand
Zwischen Mannasträuchern.
Ihr Gruß:
Demut
Und der stille Glanz tiefer, wartender Augen
Und ein Hauchen, leise quellendes Murmeln des Mundes. -
Brunnen in Nacht.
Der du die Stoffe bindest und löst, kältest und glühst, sie
schwächst und bekräftigst,
Der du Säuren reizt, Erze peinigst, geheime Mischung in
Kapseln birgst, in Röhren und Tiegeln braust,
Wenngleich nicht der Alkahest noch der weiße oder der rote
Löwe ist, was du siedest,
Adept einer Alchimie, die mir fremd und wunderbar dünkt;
Herr du des Feuers, das du in ehernem Käfig bändigst, das
nun kriechend sich duckt wie ein sprungbereit lauerndes
Raubtier,
Einst schnellte, die Stäbe zertrümmerte, wütende Krallen um
deine Glieder schlug (o, mir bangt, wenn ich's denke!):
Ich will eine andere Flamme locken, milde, gezähmte Glut,
die mir auf dem Herde schmeichelt und schnurrt und
spielt wie ein häusliches Kätzchen;
Denn bunte Speisen will ich bereiten, ein kleines Mahl, das
dich freuen soll,
Wenn du müde und doch mit Lächeln in meine dämmernden
Räume kehrst.
Was scheltet ihr mich ?
Was spottet ihr mein ?
Weil meine Welt flach ist, wenig Schritt im Geviert,
engumbaut,
Voll ruhmlos kleinlicher Dinge, geringfügiger Verrichtungen,
Erfüllt vom Klappern der Näpfe, Brodeln der Töpfe, den
häßlichen Dünsten schwitzender Fette, überschäumender
Milch?
Weil ich bauchige Mehltonnen hebe, Gewürzbüchschen öffne,
Muskatnuß reibe,
Kräuter wiege, in gläserne Schale Saft der Zitrone presse,
goldgelbes Dotter in blauem Becher zerquirle ? . . .
Ja,
Wißt ihr denn, was die türkische kupferne Kaffemühle in
Sarajewo sah
Und im böhmischen Eger mein Krug, leuchtend
weißtupfig-rot wie Fliegenpilze des Waldes ?
Wißt ihr,
Daß für mich große schwarzrauchende Schiffe alle Meere
befahren, mit Fracht aller Küsten sich schleppen,
Daß, wenn die bleichen Körner durch meine Finger rieseln,
stille Gesichter der Männer Ranguns mich schaun
Oder das dunklere Antlitz des Negers singt, der in den
Reisfeldern Südcarolinas erntet ?
Daß aus dem hölzernen Teekästchen unsichtbar eine Inderin
steigt
Im Silberschmuck, in ocker- und terrakottfarb gewebtem
Wallen und Wehen?
Aus Zwiebelschärfe hallen mir kräftige Stimmen bulgarischer
Bauern wider,
Und ich frage zäh quellende Tropfen, ob nicht der Ölbaum
meiner fremden, verlorenen Heimat sie schuf.
O sonnige Wiese, davon meine schmale, ängstliche Küche
überfließt,
Mit dem Gürtel aus Natternkopf, Schafgarbe, Mäusegerste,
Skabiosen,
Mit ruhig weidenden Scheckenkühn, dem rhythmischen
Schlag ihrer Quastenschwänze,
O bräunlichgoldener Streif, den Mohnrot und Kornblumen-
blau durchwirkt,
Den Mittagsstille umhaucht und der warme Duft künftigen
Brotes! -
Da ich Krumen in die erhitzte brutzelnde Butter warf,
Schütterte noch aus geschwärzter Pfanne das Pochen von
tausend Hämmern in Adern der Erde,
Zischte im Knistern noch immer empört gemartertes Eisen,
Das der Mutter geraubt, vergewaltigt in Öfen, zur Formung
gezwungen ward.
Da von dampfender Suppe mein Löffel schmeckte, den
kundige Hand geschnitzt,
Wuchs über niederes Dach wieder ein Lindenast,
Blühend, umtönt von Bienenchören.
Es komme mein Freund und esse.
Sieh, alles Wesen war mir zu Dienst, auf daß ich dem Einen
diene.
Liebe deckte auch heut wie gestern den Tisch.
Nimm denn mit Liebe an, was die Schüssel trägt:
Möge es deinen Augen gefallen, sein Ruch dir angenehm
sein, und was zum Munde eingeht, sei dir gesegnet!
Am Strande nördlichen Meeres,
Wo schwarzer grausamer Sturm Schwärme gell kreischender
Möwen peitscht,
Wo an rissige Klippen geschleuderte Woge eisgrün klirrend
zerbricht,
Zerschellt, zerspritzt,
Starrt der Turm.
Hart, finster, lastend, stumm in grauer Öde.
Erstorben.
Ohne Mund.
Kein Tor, keine Pforte: verschlossen.
Aus blicklosen Fenstern geistert in Nebeln düsterrot
glimmendes Licht,
Kolkt ein Rabe krächzende Prophezeihungen,
Schwimmt Schneeeule lautlos,flockenrieselnd in das
kristallen singende Schweigen der Nacht. -
Irgendwo fern klagt ein Schiff im Eise . . .
Irgendwo.
Irgendwo in Böhmen senkt eine Birke schmale blond
umflossene Wangen rötlichen Trümmern zu.
Wehmütig, mit auf der Brust gefalteten Händen.
Doch um ihren Fuß spielen Glockenblumen,
Bunter Wachtelweizen belächelt das machtlose Burgverlies,
und Gras trauert tändelnd auf der begrabenen Schwelle;
Feuerfalter gaukeln in Sonne über gestürzte Mauern, über
erloschne Geschlechter hin.
Aus gierig glänzenden Augen der blauen Haie, die spähend,
schnappend in Küstengewässern sich tummeln,
Blicken die Herrn der Feste, Seelen illyrischer Seeräuber her,
Die einst den trotzig plumpen, vierschrötig niederen Bau
zum Hüter blitzender Beute setzten.
O schwarze Flaggen, Kaperfahrten, waffenschlagende
Plankenkämpfe mit den Venedigern!
Vorbei.
An den verfallenden Kammern
Läuten nicht trunken goldene Becher mehr, die blutfarbnen
Weines voll sind,
Dringt auch heut nicht Fischerkindergelärm, noch der
scharfe Ruch gebratenen Seefangs.
Jadeschimmernde Eidechsen huschen emsig schwänzelnd
umher, tuscheln in Eidechsmundart zusammen
Oder sitzen auf lichtumspülten, warmen Steinen geruhsam
sinnend.
In dunklen Mauern gebiert das Skorpionsweibchen lebende
Junge und stirbt; aber die Söhne erben der Väter Gift.
Auch dieser ist einsam.
Dem ein herrischer Mund zu sein gebot, die zeptertragende
Hand eines Königs im Osten.
Doch die Krone sprang von der Stirn, und die
myrrhenduftenden Prunkgewänder verdarben. -
Er aber steht und leidet.
Unsäglich leerer Himmel, der Vogelfittich und fruchtende
Wolke nicht kennt, gießt brennende Bläue endlos über
ihn aus;
Gluthitzen, Strahlenfluten rinnen von seinen bleichen
Quadern.
Die Zypresse floh. Zeder und Ölbaum sind fortgewandert,
und keine Rebe schmiegt liebende Arme um seinen
schlafenden Stein.
Kein Hirt treibt die Schafe, daß sie aus erdnahen Fugen ihm
staubige Gräser rupfen,
Und dem Zug beladner Kamele zeigt er niemals den Weg.
Zuweilen,
Wenn die Sichel der Nacht des Tages glühende Garben mäht,
Ein schmaler Mond wie Balsam ihm silbrige Kühle träuft,
Bebt aus seinem Wesen
Der scheue, leise, schnell ermattete Klang
Verschollener Harfe.
Vielleicht vergaß mich meine Seele im Traum,
Sank gen Morgen gebreitet, und ihres Wandelfluges
Harrte der weiße Turm: Durch seine heißen,
verwunschenen, lebenlosen Gemächer irrte sie,
Ihre Ahnen suchend,
Und rührte verschwebend Saiten an, die noch tönen . . .
Die Tiere von Ninive
(Jona, Schlußwort.)
Die Nacht
Neigte goldblasse Schale, und Mondmilch troff
In das kupferne Becken
Auf dem Dache des weißen Hauses,
Und eine blaugraue Katze mit Agtsteinaugen
Schlich und hockte und trank.
In einer Nische bröckelnden Tempelgemäuers
Saß Racham der Geier regungslos mit gesunkenen Flügeln
Und schlief.
Fern
Hinter den Weingärten lag an wüstem Ort ein gestürzter,
verendeter Esel.
In seinem gebrochenen Blick fraßen Würmer,
Und sein Geruch ward stinkend und befleckte die reine Luft
und verhöhnte den leisen Tau, der ihn netzte.
Und er harrte spitzer, fallender Fittiche, des gelben, häßlich
nackten Vogelgesichts, bohrender Krallen und des
zerreißenden tilgenden Schnabels,
Auf daß bestattet werde, was Erde und Wind verpestet . . .
Der Geier träumte.
Nah dem Tore der Stadt
Ruhte am Hügel, den gebogenen Stab zur Seite, ein junger
Hirt.
Sein Knabenantlitz, erhoben wie leerer empfangender
Becher, füllte sich schimmernd mit dem rieselnden
Licht der Gestirne,
Quoll über,
Und ihr schwebend sirrendes, singendes Kreisen
in unendlichen Räumen rührte sein Ohr.
Rings zerging das weiche Vließ seiner Lämmer in dunstig
dünnes Gewölk.
Ein Kind,
Kleiner abgezehrter, schmutziger Leib,
Bedeckt mit Fetzen, bedeckt mit Schwären,
Über die Schwelle der Grabkammer hingeworfen,
Streckte sich, schlief.
Es kannte nicht Vater noch Mutter, und nur ein Hund,
Einer der Ausgestoßenen, Verachtetsten,
Gleich arm, gleich krank, geplagt und zerschrunden,
Kratzte sich, duckte den Kopf und leckte liebreich die
Wange unter den strähnig schwarzen verfilzten
Haaren. -
Und das Kind ballte die Faust und schlug ihn im Traum.
Und ein Sturm flog auf mit mächtigem Braus,
Ein großer Sturm fuhr von Osten auf und kam und fegte
die Weide, entsetzte die Herden und wirbelte totes
Geäst
Und griff wie mit Nägeln in des Propheten Bart, zerrte und
zauste.
Doch Jona ging,
Und die Last über Ninive, die er geschaut, hing über seinem
Scheitel.
Er aber wandelte in schwerem Sinnen. -
Von der starken Säule des Königsschlosses schmetterte ein
bemalter Stein,
Und es heulte im Sturm und es schrie im Sturme und eine
Stimme rief:
»Um dieser willen!
Um dieser Tiere, reiner und unreiner, willen!«
Und der Gesandte des Herrn schrak und sah; aber nur
Finsternis war, und er hörte nichts als ein unablässiges
Wehen und Sausen,
Das seinen Mantel faßte und zog und schüttelte wie eines
Bittenden Hand das Kleid des unbarmherzig
Enteilenden.
Er aber kehrte sich nicht; er schritt
Und raffte und hielt den Mantel.
Gib mir deine Hand, die liebe Hand, und komm mit mir;
Denn wir wollen hinweggehen von den Menschen.
Sie sind klein und böse, und ihre kleine Bosheit haßt und
peinigt uns.
Ihre hämischen Augen schleichen um unser Gesicht, und ihr
gieriges Ohr betastet das Wort unseres Mundes.
Sie sammeln Bilsenkraut . . .
So laß uns fliehn
Zu den sinnenden Feldern, die freundlich mit Blumen und
Gras unsere wandernden Füße trösten,
An den Strom, der auf seinem Rücken geduldig wuchtende
Bürden, schwere, güterstrotzende Schiffe, trägt,
Zu den Tieren des Waldes, die nicht übelreden.
Komm.
Herbstnebel schleiert und feuchtet das Moos mit dumpf
smaragdenem Leuchten.
Buchenlaub rollt, Reichtum goldbronzener Münzen.
Vor unseren Schritten springt, rote zitternde Flamme, das
Eichhorn auf.
Schwarze gewundene Erlen züngeln am Pfuhl empor in
kupfriges Abendglasten.
Komm.
Denn die Sonne ist nieder in ihre Höhle gekrochen und ihr
warmer rötlicher Atem verschwebt.
Nun tut ein Gewölb sich auf.
Unter seinem graublauen Bogen zwischen bekrönten Säulen
der Bäume wird der Engel stehn,
Hoch und schmal, ohne Schwingen.
Sein Antlitz ist Leid.
Und sein Gewand hat die Bleiche eisig blinkender Sterne in
Winternächten.
Der Seiende,
Der nicht sagt, nicht soll, der nur ist,
Der keinen Fluch weiß noch Segen bringt und nicht in Städte
hinwallt zu dem, was stirbt:
Er schaut uns nicht
In seinem silbernen Schweigen.
Wir aber schauen ihn,
Weil wir zu zweit und verlassen sind.
Vielleicht
Weht ein braunes, verwelktes Blatt an seine Schulter, entgleitet;
Das wollen wir aufheben und verwahren, ehe wir weiterziehn.
Komm, mein Freund, mit mir, komm.
Die Treppe in meines Vaters Hause ist dunkel und krumm
und eng, und die Stufen sind abgetreten;
Aber jetzt ist es das Haus der Waise und fremde Leute wohnen
darin.
Nimm mich fort.
Schwer fügt der alte rostige Schlüssel im Tor sich meinen
schwachen Händen.
Nun knarrt es zu.
Nun sieh mich an in der Finsternis, du, von heut meine Heimat.
Denn deine Arme sollen mir bergende Mauern baun,
Und dein Herz wird mir Kammer sein und dein Auge mein
Fenster, durch das der Morgen scheint.
Und es türmt sich die Stirn, da du schreitest.
Du bist mein Haus an allen Straßen der Welt, in jeder Senke,
auf jedem Hügel.
Du Dach, du wirst ermattet mit mir unter glühendem Mittag
lechzen, mit mir erschauern, wenn Schneesturm peitscht.
Wir werden dürsten und hungern, zusammen erdulden,
Zusammen einst an staubigem Wegesrande sinken und
weinen . . .
Aus dem Dunkel komme ich, eine Frau.
Ich trage ein Kind und weiß nicht mehr, wessen;
Einmal hab' ich's gewußt.
Aber nun ist kein Mann mehr für mich . . .
Alle sind hinter mir eingesunken wie Rinnsal,
Das die Erde trank.
Ich gehe weiter und weiter.
Denn ich will vor Tag ins Gebirge, und die Gestirne
schwinden schon.
Aus dem Dunkel komme ich.
Durch finstere Gassen schritt ich einsam,
Da jäh vorstürzendes Licht mit Krallen die sanfte Schwärz
zerriß,
Der Pardel die Hirschkuh,
Und weit aufgestoßene Tür häßliches Kreischen, wüstes
Gejohle, tierisches Brüllen spie.
Trunkene wälzten sich . . .
Ich schüttelte das am Wege vom Saum meines Kleides.
Und ich wanderte über den verödeten Markt.
Blätter schwammen in Lachen, die den Mond spiegelten.
Magere, gierige Hunde berochen Abfälle auf den Steinen.
Früchte faulten zertreten,
Und ein Greis in Lumpen quälte noch immer sein armes
Saitenspiel
Und sang mit dünner, mißtönig klagender Stimme
Ungehört.
Und diese Früchte waren einst in Sonne und Tau gereift,
Träumend noch vom Duft und Glück der liebenden Blüte,
Doch der wimmernde Bettler
Vergaß das längst und kannte nichts anderes mehr als Hunger
und Durst.
Vor dem Schlosse des Mächtigen stand ich still,
Und da ich die unterste Stufe trat,
Zerbarst der fleischrote Porphyr knackend an meiner Sohle. -
Ich wendete mich
Und schaute empor zu dem kahlen Fenster, der späten Kerze
des Denkenden,
Der sann und sann und nie seiner Frage Erlösung fand,
Und zu dem verhüllten Lämpchen des Kranken, der doch
nicht lernte,
Wie er sterben sollte.
Unter dem Brückenbogen
Zankten zwei scheußliche Gerippe sich um Gold.
Ich hob meine Armut als grauen Schild vor mein Antlitz
Und zog ungefährdet vorbei.
Im Fernen redet der Fluß mit seinen Ufern.
Nun strauchl' ich den steinigen, widerstrebenden Pfad hinan.
Felsgeröll, Stachelsträucher verwunden die blinden, tastenden
Hände:
Eine Höhle wartet,
Die im tiefsten Geklüft den erzgrünen Raben herbergt, der
keinen Namen hat.
Da werde ich eingehn,
Unter dem Schutz der großen schattenden Schwinge mich
niederkauern und ruhn,
Verdämmernd dem stummen wachsenden Wort meines
Kindes lauschen
Und schlafen, die Stirn gen Osten geneigt,
Bis Sonnenaufgang.
Mutter,
Die du mir warst, eh' mich die meine wiegte,
Ich kehre heim.
Laß mich hintreten vor dich.
Laß mich still dir zu Füßen sitzen, dich anschaun, dich
lernen:
Den stolzen verhüllten Wuchs, mächtig ragend von
mythischen Throne,
Der da auf Säulen weißer steinerner Elefantenfüße ruht,
Zu dessen Armlehne jadezüngiger bronzener Drache wurde,
Dein ernstes sonnengelbliches Antlitz, das blauschwarzes
Haar seiden umspinnt,
Die Stirn, Hegemauer großer Gedanken,
Und deine Augen, jetzt finster glänzender Obsidian,
Dann wieder samten und tief, dunkle Urwaldsblumen.
Laß an deine Gewänder mich rühren, die Ruch von Ambra
und Myrrhe, von Sandel und Zimmet wehn,
Die flammenden, indischem Webstuhl entlodert,
Und jene maisblassen, drauf ein Chinesenmädchen braunen
Zweig, Mandelblüte und kleine rostfarbne Falter
gestickt hat.
Weise mir deine Kronen: die südliche,
Grüngoldnes Palmenlaub, perlenbetaut, von Turmalin und
Smaragd, Hyazinth und Saphir durchblüht,
Und die nördliche, funkelnd von Eiskristall, mit den
Aquamarintropfen der sibirischen Meere.
Meinen Scheitel streife die Hand, deren Fläche noch Duft
und Schmelz persischer Früchte hält,
Und mein Ohr umspiele Schalmeiensingen, wie es David der
Hirt einst in den Gefilden Beth-Lechems übte.
Du Sinnende, Glühende, du, die adligste, reichste und reifste
der Schwestern:
Du anders als jene seltsame dunkelhäutige,
Die bald mit dem Skarabäusring ihres Fingers Einlaß fordernd
an riesig steinerne Wohnungen toter Könige pocht,
Bald wieder, Straußenfeder und Muschel im wolligen Haar,
Pygmäen durch Wälder treibt
Oder in Wüstenleere falbmähnige Löwen weidet.
Anders du als die kindlich jüngste, die mit des Känguruhs
drolligen Sprüngen hüpft
Und Händevoll grasgrüner Sittiche über den Buschstrand
des Murray ausstreut.
Anders …
Du hast noch die stumme unendliche Geduld,
Das Wissen vom Nicht-Tun, gewaltiger Ruhe, die in sich
versunken träumt,
Dein ist die Schau,
Der rätselnde Auf blick in blaue Nacht zu leuchtend
wandelnden Welten.
Du bist, ob du nicht wirkst.
Und sprichst mit dem leichten Heben schmaler gülden
bestäubter Hand, mit sanfter Wendung schlangen-
biegsamen Halses
Und hörst den Ruf des Saxaulhähers,
Der deiner Einöde Kysyl-kum roten Sand durchwirbelt und
des Wasserquells nicht bedarf,
Und weißt das Märchen des Rock, dessen unermeßlicher Flug
dein Haupt überschattet.
Um dich ist Ferne.
Du sitzest,
Zaubernde hinter gläserner Wand,
Geschieden, doch nah, sichtbar, unfaßlich.
Draußen ziehn sie dahin,
Träger, die dir aus bauchigen Schiffen Ballen und Kisten und
Körbe höhlen, Geschenke:
Jahrmarktsglück, Flitterspiel, Klapperlärmen, billig
armseligen Prunk . . .
Draußen bettelt und nimmt und rafft dein eigenes Abbild,
Schemen,
Der Seiden, lieblich wie Krokus und Orchidee, mit häßlich
schwarzem englischen Tuch vertauschte
Und deines Sehers Sprüche, die blühenden, vieltausend-
jährig verzweigten Äste, um graue Büschel dürr
und geschwätzig knisternder Blätter gab.
Sie ahmt, die gespenstische Magd, dir Herrscherin nach,
heuchelt deine Gebärde, dein Wort, stiehlt deinen
Namen,
Wenn du hinabgetaucht zum tiefen Innen unseres Sterns,
dem Bade schäumenden Feuers . . .
Brenne . . .
Birg voll Scham, was die Törichte blößt, deiner Mitte
Geheimnis, das Flammensamen empfing,
Und die Geborenen, Geierdämonen, laß ewiglich kreisen
über den Totentürmen,
Türmen des Schweigens . . .
Dein war das Dunkel, die Höhle des Mutterleibes.
Dein war der Grund, Erde, die Tiere trägt.
Blind krochst du, suchend und saugend, unter den Zitzen der
Hündin umher
Und nährtest dich, wuchsest und wurdest sehend
Und spieltest zwischen Geschwistern . . .
Weißt du noch?
Nein, du weißt nichts mehr.
Kaum kennst du dies Fell, das dir wallt, weißflockig
schäumende See um isabellfarbne Inseln.
Liebliche du, Anmutige, mit dem schmalen, gestreckten
Haupt, den sanften, braunen, glänzenden Mandelaugen,
Du träumst
Nördliche blasse Birken im Moor, dem schwärzlich
brandiges Ungeheuer, der schaufelhörnige Elch, entloht;
Dein Blut
Hetzt noch den grauen Wolf durch Tannenfinsternis
russischer Wälder,
Spürt noch weidende Renntierherden über Moos und Flechte
der Tundra,
Hört noch angstvolles Jammern, des Eishasen Klageschrei
Vor dem Jäger . . .
Tags
Ruhest du still auf der Decke und hebst mir dein
Frauenantlitz mit jener Milde der Hindin, des Einhorns
entgegen,
Oder du läufst gesenkten Kopfes, schnupperst und scharrst
an Komposthaufen, Büschen und Beeten, wie Hunde tun.
In Herbstnächten,
Da starke, kältere Sterne flimmern,
Hin und wieder vom Baume fallender Tropfen tönt,
Da gilbendes Gras Frische und Feuchte atmet,
Zieh' ich den Mantel um meine Schultern, öffne die eiserne
Tür
Des Gartens;
Du jagst in riesigen Sätzen. Du fliegst, du stiebst
Schneesturmgleich über den Teppich welker, triefender
Blätter;
Silbern wehende Flamme, lodert dein mähniger Schweif dir
nach.
Und ich gehe und rufe dich mit dumpferer Stimme, und du
harrst, hoch und leicht, hauchfahl, ein Schemen an
Wegeswende.
Du stehst und starrst.
Was erblickst du ?
Glosten am Faulbaum, in Geißblattsträuchern gelbe Augen
auf, Katzenaugen, die du hassest ?
Tritt ein Gespenst, die Flatterhände voll blutiger Gekröse,
dich an - und deine lange Nase wittert die Beute ?
Bist du nur Wohnung fremder, unfaßlicher Seele, die
zuzeiten das Tierhaus läßt als wesenlose durchsichtige
Hülle?
Sie irrt
Über Rasen, zwischen den bronzenen Chrysanthemen, und
du wartest auf Wiederkehr.
Naht sie ?
Meine Finger berühren die Kühle und Glätte der Echsen-
stirn . . . ein Halsband klimpert.
Folgsam trabt neben mir die bleiche und stumme Gefährtin
heim.
Heut bin ich krank, nur heute, und morgen bin ich gesund.
Heut bin ich arm, nur heute, und morgen bin ich reich.
Einst aber werde ich immer so sitzen,
In dunkles Schultertuch frierend verkrochen, mit
hüstelnder, rasselnder Kehle,
Mühsam hinschlurfen und an den Kachelofen knöchrige
Hände tun.
Dann werde ich alt sein.
Meiner Haare finstere Amselschwingen sind grau,
Meine Lippen bestaubte, verdorrte Blüten,
Und nichts weiß mein Leib mehr vom Fallen und Steigen der
roten springenden Brunnen des Blutes.
Ich starb vielleicht Lange schon vor meinem Tode.
Und doch war ich jung.
War lieb und recht einem Manne wie das braune nährende
Brot seiner hungrigen Hand,
War süß wie ein Labetrunk seinem dürstenden Munde.
Ich lächelte
Und meiner Arme weiche, schwellende Nattern lockten
umschlingend in Zauberwald.
Aus meiner Schulter sproßte rauchblauer Flügel,
Und ich lag an der breiteren buschigen Brust,
Abwärts rauschend, ein weißes Wasser, vom Herzen des
Tannenfelsens.
Aber es kam der Tag und die Stunde kam,
Da das bittere Korn in Reife stand, da ich ernten mußte.
Und die Sichel schnitt meine Seele.
»Geh',« sprach ich, »Lieber, geh'.
Siehe, mein Haar weht Altweiberfäden,
Abendnebel näßt schon die Wange,
Und meine Blume schauert welkend in Frösten.
Furchen durchziehn mein Gesicht,
Schwarze Gräben die herbstliche Weide.
Geh'; denn ich liebe dich sehr.«
Still nahm ich die goldene Krone vom Haupt und verhüllte
mein Antlitz.
Er ging,
Und seine heimatlosen Schritte trugen wohl anderem
Rastort ihn zu unter helleren Augensternen.
Meine Augen sind trüb geworden und bringen Garn und
Nadelöhr kaum noch zusammen.
Meine Augen tränen müde unter den faltig schweren,
rotumränderten Lidern.
Selten
Dämmert wieder aus mattem Blick der schwache,
fernvergangene Schein
Eines Sommertages,
Da mein leichtes, rieselndes Kleid durch Schaumkraut-
wiesen floß
Und meine Sehnsucht Lerchenjubel in den offenen Himmel
warf.
Garten im Sommer
Gar nichts anderes war's; kein Vogel, kein Falter flog.
Nur ein gilbendes Blatt zitterte in den umsponnenen Weiher,
ich sah es.
Komm.
Ach, dies tauig hauchende Gras, wie es zärtlich meine
fiebrigen Zehen kühlt!
Bück' dich ein wenig:
Haselnüsse, die wohl der große plündernde Buntspecht
hierher verstreut hat.
Aber noch sind sie nicht reif.
Nein, ich bin nicht genäschig noch hungrig.
Später werden wir unter die Obstbäume gehn und auf dem
Rasen schöne rotflammige Äpfel suchen
Oder die runden, saftigen goldgrünen Pflaumen schütteln.
Ja, willst du ?
Weißt du noch: all die Pfauenaugen, so viele, die an den
abgefallnen, verrotteten Früchten sogen und taumelten ?
Und auch ein Trauermantel wehte, finsterer Sammet, gülden
umsäumt, blau beperlt . . .
O die Rose! Sie duftet... Gestern noch wollte sie Knospe
bleiben;
Nun schloß Nacht sie auf, daß sie blühe, die scheue, errötende,
und sie scheint glücklich . . .
Du Geliebter, im Traum der Hummeln und Bienen muß
solch unberührt schwebender alabasterner Becher glühn.
Du fragst mich, ob Bienen und Hummeln träumen ?
Sicher träumen sie, wenn sie in jener rahmweißen
Schwertel schlummern, kindlich von süßer, schaumiger
Bienenmilch.
Aber Steinhummeln sind die schönsten, summend in warmen
schwarz und fuchsigen Pelzen . . .
Was blickst du auf einmal seltsam mich an und lächelst ?
War ich bleich schimmernd in Mitternächten dir
berauschender Kelch ?
Dir Milch, dir Wein, goldbrauner Malaga, rubinenes
Kirschenwasser ?
Schweig'. Ich lege die atmende Hand auf deine Lippen . . .
Morgenwind. Leise schauernde Halme. Feuchte.
Und ein winziger reglos hockender Frosch, der aus grüner
Bronze geformt ist.
Und eine Seejungfer, stahlblau mit gläsernen Flügeln,
Sirrt dahin. Mich fröstelt . . .
Weiden wie badende Fraun neigen die Stirnen, fahlblond
rieselndes Haar dem Teich.
Sprich, bedeutet ein Schneckenhorn Gutes dem, der es
aufhebt ?
Wenn du zweifelst, schenk' ich's der Flut.
Wie sie sich kräuselt, sich bauscht . . . seiden . . . und blinkt
doch Kälte.
Hier auf dem einzig offnen, besonnten Fleckchen im
Röhricht, Lieber, lass' noch ein wenig uns sitzen
Und hinüberschaun nach den Fenstern, unseren Fenstern,
die Waldrebe und dumpferer Efeu umkriechen.
Wie mir dies kleine umschattete, weltversunkene Schloß
gefällt!
Auch das Mauergeschnörkel, auch die geschwärzte
Vergoldung, die bröckelnden Putten, die müden
Blumengewinde,
Auch das Moos, das an den zersprungenen griechischen
Vasen hängt.
Auch am Tor die mächtige Linde und ihre Ringeltaube, die
wieder mit dunkelndem Rucksen ruft.
Und das kunstvoll geschmiedete Gitter . . .
Gehst du jetzt . . . soll ich schon folgen? Führ' mich; ich
friere . . . ich fürchte . . .
Bis zu den Mummeln, dem gelben Leuchten, möchte ich
schwimmen.
Sieh', der Flausch deiner Brust wuchert algenhaft, und ich
weiß: der Wassermann bist du.
Und ich weiß: unzählige Schätze, Seesilber, Schlämmgold,
häufst du tief in verborgenen Kammern unter dem
Wasser, der Erde.
Wirst du jetzt meine Hände nehmen, mit mir zum Grunde
tauchen, zur Pforte, die ein schwerer, schnauzbärtiger
Wels bewacht ?
Soll ich nie Schwester noch Bruder mehr sehn, nicht den
alten Vater mehr, den ich liebe ?
Du, ich bebe . . .
Wenn ich empfinge: mein Kind trüge Schwimmhäute
zwischen Fingern und Zehn, trüge Muscheln und
Wasserlinsen seltsam in immer triefenden Haaren.
Kehr' ans Ufer . . . Spötter!
Flüsterst du scherzend, ich müßte dir Zwillingsknaben,
Kastor und Polydeukes, gebären, weil ihrer königlichen
Mutter Name mich schmückt ?
Glauben denn wir, daß im Schwan ein Göttliches irdischem
Weibe zu nahn vermag ? Die liebliche Fabel ? -
Ich verstumme . . . ich log . . .
Meine kosenden Hände ducken Gefieder, tasten weicheren
Flaum, und weiße, zitternd gebreitete Fittiche schlagen
über mich hin . . .
Ihre purpurnen Schuhe kennen den Weg und die Spange um
ihren Knöchel weiß ihn.
So wandelt sie ohne Willen, gebunden, im Traum.
So wandeln die heißen dunkelnden Augen durch Reihen
steinerner Flügelkatzen und schwerer bemalter Säulen
zum Vorhof des Tempels,
Da ein nackter Greis in schmutzigem Lendentuche auf
winziger Pauke hämmert und endlos sein näselnder
Singsang fleht.
Die Aussätzige, von wirren Haaren verhangen, reckt
stöhnend den Arm.
Unfruchtbare seufzen Gebete.
Ein Jüngling steht hoch und steil, unbeweglich, mit breitem
bronzenen Schwert,
Und ein Wahnsinniger krümmt mit leisem verzückten
Lachen sich über rosengranitener Schwelle.
Wie sie vorüberstrebt, hascht die Kranke, Verdeckte nach
ihrem Kleide, den amarantfarbenen Säumen;
Sie aber zieht, die Wolke, an unerreichbaren Abendhimmeln
dahin.
Dreimal fragt ihre pochende Hand die kupferne Tür, die ihr
dreimal erwidert.
Ein Priester öffnet.
Sein Bart rinnt, blauer Fluß, über die linnene Bleiche des
Untergewandes, den Safran des Mantels.
Auf seiner hohen schwarzen Haube spreizt ein silberner
Vogel sich.
Er gießt Milch in rote Tonschalen, Milch der wachsweißen
Kuh mit vergoldeten Hörnern,
Trank den heiligen Schlangen,
Die ihre glatten, getuschten Leiber am Boden des
düsternden Raumes knäueln und wälzen.
Und eine größte chrysolithäugige hebt sich und lauscht und
wiegt den Bauch zu unhörbarem Liede.
Die Frau verneigt sich ihr, schirmt mit dem Finger das Auge
und küßt der Natter die Stirn. -
Sie schweigt
Und tritt hinaus in den leeren inneren Hof;
Nur perlmutterne Tauben picken Weizenkörner vom
lauchgrünen Nephrit.
Sie ängsten nicht.
Zwischen bunt beladenen Wänden hält streng und schmal
eine Ebenholzpforte sich,
Und dreimal rührt die Frau mit elfenbeinernem Stabe das
Schloß, das ihr Antwort weigert.
Sie bleibt und wartet.
Dort wird sie eingehn.
Unter dem Bilde des Abgotts mit goldenen Krötenschenkeln,
Im Rauche glimmenden Sandelholzes,
Beim Strahlen zuckenden Feuers
Wird der Fremde nahn,
Wird langsam schreiten und seine rechte Hand auf ihre Mitte
legen als ein Zeichen.
Er wird sie hinführen in den sengenden Kreis
Und ihre Brüste schauen
Und schweigend stark aus glühen Umarmungen Wollust
schmelzen.
Sie töten . . .
So ist es ihr vorbestimmt und sie weiß es.
Sie zaudert nicht. Kein Beben zwingt ihre Glieder; sie blickt
nicht um,
Kennt weder Glück noch Unglück.
Sie füllte sich ganz mit brennender Finsternis, mit dumpf
erglänzender Demut, die dem Gebote des Scheusals
dienen, dem goldenen Götzen sterben will. -
Doch in ihrem Herzen ist Gott.
Auf ihrem ernsten und schönen Antlitz haftet sein Siegel.
Das aber weiß sie nicht.
Die Frauen des Westens tragen den Schleier nicht.
Die Frauen des Ostens legen ihn ab.
Ich möchte mein Antlitz mit dunklem Schleier verhüllen;
Denn es ist nicht schön mehr zu schauen, nicht lieblich
mehr, denn es ist graulich und rissig wie Steine
morschen, erkalteten Herdes.
Mein Haar stäubt Asche.
So will ich warten allein in Dämmerung auf schmaler,
hochlehniger Bank,
So will ich sitzen, da zögernd Nacht um mich sinkt,
Ein schwarzer Schleier.
Ich ziehe ihn um mich und bedeckte mein Gesicht.
Doch meine Augen starren . . .
Ich sehe. Ich fühle:
Durch die verschlossene Tür tritt lautlos
Ein Kind.
Das einzige, das mir zubestimmt und das ich nicht geboren.
Nicht geboren um meiner Sünde willen;
Gott ist gerecht. Und ich schweige, und murre nicht, ich trage und berge das
Haupt, und so darf ich es suchen
Manchen Abend.
Ein Knabe.
Nur dieser eine: zart, stumm und flehend, mit weichen
düsteren Locken,
Unter bräunlicher Stirn die fremden graugrünen Meeraugen
dessen, den ich geliebt, den ich immer liebe.
Er fürchtet mich nicht, bebt nicht zurück vor dem
Schmeicheln der welken Lippen und Hände.
Er naht und sein blauer Sammet rührt meinen Arm und seine
spielenden kleinen Finger greifen nach meiner Seele
Und tun ihr weh.
Zuweilen bringt er mir seine Murmel, die finstere, golden
geäderte, Tigerauge genannt,
Oder auch eine Blume, blasse Narzisse,
Oder auch eine Muschel, rötlich, mit Warzen; er hebt sie
sacht an mein Ohr und ich höre dem Rauschen zu.
Einst
Um die Hälfte der Nacht, der Winternacht,
Erwacht' ich und schaute durch Schatten:
Der mich liebte, ruhte auf meinem Lager und schlief.
Sein Atem war Muschelrauschen in Stille.
Ich lauschte.
Und er schlummerte tief, so geborgen in meiner Liebe
Unter Träumen: sie falteten über ihm Flügel, purpurn wie
Saft des besamten Granatapfels, den wir geteilt.
Friede.
Und ich war glücklich und hob mich und saß, innig betend,
Und neigte wieder das Angesicht und hielt es mit Händen
und stammelte Dank um Dank.
Aus meinem Blut
Knospete eine Rose . . .
Das war die Keimnacht,
Die Segen wollte, Nacht der ungeflüsterten Bitte, doch ich
empfing dich nicht.
Sieh deine Mutter weinen . . .
Auch du wirst sterben.
Morgen werde ich einen Spaten nehmen, unter die
Schneebeersträucher gehen und dich begraben. -
Wenn ich Finsternis packe, verwunden Schroffen
Meine Hand.
Da ist Gebirg, das mit Zacken und Schrunden sich aufsteilt
und bäumt wie eines Drachen Kamm.
Da ist der Ural.
Kette von Nord nach Süd, Scheide von West und Ost, Mauer
zwischen zwei Erden.
Ich muß die Lampe löschen, daß er werde, daß er von mir
krieche, riesiges Echsengetüm, in Nacht.
Denn es quillt sein Gestein und sein Gewälde wächst
Aus meiner Seele.
Und der Hauch meines Mundes webt rauchig über dem Schnee
des Jaman-tau, meines ewigen Gipfels.
Ich sinne.
Plumpe, zottige Bären trollen brummend aus Höhlen,
Wolfsnasen wittern im Bruch,
Braunpelzige Zobelmarder schleichen.
Selbst schuf ich das fiedrig schreckende gelbäugige
Eulengesicht
Und springendem Quellfluß den großen grausilbernen Fisch
Und schwarzen Forsten schwere flügelknatternde Auerhähne,
Die immer wieder doch meines Felsenadlers goldene
Kralle schlägt und aufreißt in Lüfte . . .
Aber die Wurzel großer düstermähniger Tanne stößt in
Tiefen, drängt augenlos blind unerschöpflichen
Kammern zu, getürmten, gehäuften Schätzen,
Die da Grün sind: Schlangenhäutiger Serpentin, Otter
unter den Steinen, und Malachit wie erstarrtes Laub
Und hellerer Chrysopras, den Sonne nicht sehen darf, die
ihm gierig den Apfelglanz aussaugt und fahlt.
Edelerz flimmert; Rubinkörner locken verstreut die
Schnäbel unterirdischer hammerköpfiger Vögel.
Mandelsteine reifen, mit buntem Achat gefüllt; Chalcedon
schwillt traubig,
Und brauner Marmor mit eingesprengten orangenen
Muscheln
Dämmert . . .
All das ist schön.
Aber ich habe anderes noch, Widriges, Dumpfes:
Schattenschlünde, da Ungestalt hockt, Halbwesen, das mir
entschlüpfte, eh' ich ihm Herzschlag gab.
Stumm, erstickt schreit es nach mir, doch mich schaudert;
ich blicke nicht nieder.
Es harrt der Erlösung . . .
Einmal vielleicht, einmal
In kalter, sternloser Trübe,
Wenn Winternacht leise pfeift wie ungeheure grauliche Ratte,
Baumstümpfe, faulige Stummelzähne, im Munde der Erde
kaun,
Flocken gespenstisch Leichentücher erstorbenem Hochmoor
breiten -
Dann werde ich hingehn
Und, meine Hände auf bebender Brust, mich dem
Abgrund neigen . . .
Sie gingen
Durch den nebelleicht kühlen Wintermorgen, Liebende,
Hand in Hand.
Erde bröckelte hart, gefrorene Pfütze sprang gläsern unter
den Sohlen.
Drunten am Uferwege
Saß einer in brauner Sammetjoppe vor seiner Staffelei
Und malte die blattlos hängende Weide.
Kinder pirschten neugierig näher,
Und die Großen hielten für Augenblicke mit ihrem Gange
ein, tadelten, lobten.
An dem algengrünen, glitschigen Stege
Schwamm ein lecker, verrotteter Kahn.
Drei Schwäne über den Wellen
Bogen die stengelschlanken Hälse, schweigend, entfalteten
sich, blühten.
Die Frau brach Brot und warf es weit in die Flut.
Unter starrenden Eichen,
Die Äste, schwarz, verrenkt, wie gemarterte Glieder streckten,
Schritten sie an den fröstelnden Rasen, efeuumwucherten
Pfeilern verschlossener Gärten dahin.
Als sie die lange steinerne Brücke betraten,
Riß Sonne den Nebel von sich wie ein Gewand,
Und die Stadt stieg auf, schräg hinter dem breiten Becken
des Flusses.
Ineinander, übereinander schoben sich Dächer, schwarzgrau
glänzend wie Dohlengefieder, einzelne, höhere
patinagrün; goldene Turmhauben blitzten.
Möwen umkreischten, hungrig flatternde Bettler, das
Brückengeländer.
Sie waren hinüber
Und schauten vor mürrisch alltäglichem Hause den Knaben
zu, die ihrem gelben Hund die wunde, blutende Pfote
verbanden.
Frauen mit Marktnetzen, Henkelkörben blickten
vorübereilend die müßigen Fremden knapp und
mißtrauisch an,
Verschwanden hinter den Türen düsterer kleiner murkliger
Läden.
Lauter und stärker, wohlhäbiger, fülliger wurden die Straßen.
Stattliche Gasthöfe luden mit kräftigen Lettern ein;
Rötliche Backsteinmauern standen machtvoll-gewichtig da
gleich Ratsherren alter Zeit mit Puffenwams und Barett
und prunkender Schaube.
Bahnen lärmten fröhlich, bimmelten flink, wie ein
Gassenjunge am Parktor, entwischten.
Männer in dicken, warmen Mänteln beredeten rauchend und
lebhaft schreitend Handel und Wandel,
Und bald fing die Garküche an, ihren Stand mit nahrhaften
Bratgerüchen zu rühmen.
Laden reihte an Laden sich,
Bot zartes, saftiges Fleisch und Wildbret, Fische,
geräucherten Aal und Sprotten,
Bot knusprig braunes längliches Brot, süß, mit Korinthen
gefüllt, und herbes, das mehlüberstäubt oder mit Salz
und Kümmel bestreut war.
Zwischen zwei Kupferbechern duckte ein winziges
chinesisches Teehaus von kirschrot gelacktem Holze
sein geschweiftes vergoldetes Dach.
Doch das Gewölb, da um teures Geld Tränke und Salben
und Pulver gemengt und verabreicht werden,
Wies durchs Fenster den Greis, wie lebend, gebückt im Sessel,
In wollener Kutte, mit schlohweiß wallendem Bart;
Er schloß die Lider.
Hinter ihm grinste ein langes scheußliches Beingeripp
mit Totenschädels höhnischen Augenhöhlen und Zähnen,
Die glitzernde Sense in einer Hand und mit der andern des
Sinkenden Schulter krallend.
Eine Uhr zeigte Mitternacht.
Da erschrak die Frau und griff nach dem Manne -
Er nickte und lächelte aber;
Denn er sah nichts als ihr finsteres Haar und ihr blasses
dunkeläugiges Antlitz.
Sie nahm den Silberstift
Und hieß ihn hingehn über die weiße matt glänzende Fläche:
Ihr Land. Er zog
Und schuf Berge.
Kahle Berge, nackte kantig steinerne Gipfelstirnen, über
Öde sinnend;
Ihre Leiber
Schwanden umhüllt, vergingen hinter dem bleichen Gespinst
Einer Wolke.
So hing das Bild vor dem schwarzen Grunde, und Menschen
sahen es an.
Und Menschen sprachen:
»Wo ist Duft ? Wo ist Saft, gesättigter Schimmer ?
Wo das strotzende, kraftvoll springende Grün der Ebenen
Und der Klippe bräunlich verbranntes Rot oder ihr taubes
graues Düster ?
Kein spähender Falke rüttelt, hier flötet kein Hirt.
Nie tönen groß in milderes Abendblau die schön
geschwungenen Hörner wilder Ziegen.
Farbenlos, wesenlos ist dies, ohne Stimme; es redet zu uns
nicht.
Kommt weiter.«
Sie aber stand und schwieg.
Klein, unbeachtet stand sie im Haufen, hörte und schwieg.
Nur ihre Schulter zuckte, ihr Blick losch in Tränen.
Und die Wolke, die ihre zeichnende Hand geweht,
Senkte sich und umwallte, hob und trug sie empor
Zum Schrand ihrer kahlen Berge.
Ein Wartender,
Dem zwei grüngoldene Basilisken den Kronreif schlangen,
Stand im Dämmer auf, glomm und neigte sich, sie zu grüßen.
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