Teil 2 - Letzte Gedichte 1941 Erinnerung und Exil

Inhalt (Fortsetzung)

Maienglück in der Schweiz

Die Gipfel

Berner Mittag

Kathedrale im Licht

Kurzes Zürcher Wiedersehen und neuer Abschied

Nachklang

Erinnerung der Johannisnacht

Rosenhymne

Feindselige Wandlung

Verwehrte Weise

Der Lebensgefährtin

Überwunden

Spätsommerabend

Nächtliches Illuminations-Märchen der Pariser Weltausstellung

Bilderbogen Lugano

    I. Der Tag

    II. Nacht nach dem Gewitter

    III. Musik Luganos

    IV. Gandria

    V. Carona; Agra; Cademario; Sonvico ...

    VI. Nord und Süd

    VII. Morcote

    VIII. Besuch bei Hermann Hesse

    IX. Farbiger Abend

    X. Abschied

Weihnachtsgnade

Auf Abbruch

Das Unvergängliche

Katastrophe

Mir bleibt mein Lied

Der Friedenstörer

Ewige Heimat

Osterglück

Von Gott verstoßen

Liebesgemeinschaft in der Fremde

Entwertete Welt

Bedrohter Sommer

Tage der Gefahr

Ein letztes Lied

Trostverse für eine Verzagte

Rechtfertigung eines Emigranten

Die Nelken

Abschiednehmen

Gebet um Frieden

Kriegerische Wandlung

Zürcher Zwischenspiel 1938

Lots Weib

Bäume im Exil

Am Jahresende

Neujahrs-Zuversicht

Odysseus 1939

Kassandra seit 1933

Fiebernächte

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16. 05. 1937

Maienglück in der Schweiz

Pfingstlich blüht das Land uns wieder,
das der Traum sich lang erbat,
und es duftet junger Flieder
um den lichten Hügelpfad.
Wiesen sind ein gelber Segen,
alle Bäume stehn geschmückt,
bunt kommt uns die Welt entgegen,
die nichts Drohendes bedrückt.

Kühe grasen freundlich läutend,
das Gehöft steht wohlgebaut.
Auf die Schneegebirge deutend
die Bastei ins Blaue schaut.
Vögel singen überschwenglich,
Eichhörnchen hüpft uns voran,
unser Glück scheint unvergänglich,
daß uns nichts mehr schrecken kann.

Von den kalten Abendhängen
holt uns dann des Städtchens Hut:
in des Marktes Laubengängen
hallt das Schreiten wohlgemut.
Bunt erglühn die Brunnenbilder,
wo das Wasser ewig rann,
und die alten Wirtshausschilder
locken -uns in ihren Bann.

Am gediegnen Schenkentische
gehn uns Kirsch und roter Wein,
Brathuhn und gebackne Fische
als ein Festmahl wohlig ein,
daß wir wieder uns behagen
wie in heimatlichem Land,
und mit Abenden und Tagen
hat dies Maienglück Bestand.


 Mai 1937

Die Gipfel

Die tödliche blaue Einsamkeit der Schroffen,
Der bleich gefärbte Schnee am kahlen Grat:
Da bleibt nichts mehr zu fürchten und zu hoffen,
Da ist die Welt dem Ewigen genaht.

Das schweigt und wartet auf die Dämmerstunde,
Ob ihnen das Unsägliche geschieht,
Daß ihre feierlich erstarrte Runde
Des Himmels Abglanz purpurn überzieht.

Wenn dann die Schimmer allgemach verrinnen,
Stehn einsam vor der namenlosen Macht
Und ebenbürtig wieder weiß die Zinnen,
Den Sternen nahe Statuen der Nacht.


25. 05. 1937

Berner Mittag

Gemächlich hallt der Mittagsglocken Schwung.
Die alte Turmuhr läßt ihr Spielwerk kreisen.
Ein Hund. nimmt an dem Brunnen seinen Trunk.
Ich ähnle selbst schon den zufriednen Greisen,
die auf der Kirchplatzbank sich gütlich tun.
Die Kinder eilen heimwärts aus der Schule.
Die Läden schließen. Auch die Tauben ruhn;
um eine weiße nur balzt noch ihr Buhle.
Wunschloses Glück strömt jetzt durch unser Blut,
beseligt träumt der Frieden der Gefühle,
und in der Gassen mittägliche Glut
bringt der Gebirgsfluß Waldesgrün und Kühle.


23. 05. 1937

Kathedrale im Licht

Plötzlich ist die Pracht der Kathedrale
abendlich ein Glanz in Himmelhöhn,
hebt sie sich vom schimmernden Portale
strahlend, über alle Maßen schön.
Alles Märchenhalte, was der Meister
sich in Steingedichten ausgedacht,
flammt jetzt als ein Feenschloß der Geister
überschwenglich in der Maiennacht.
Oben dort im tageshellen Saale
halten sie ein Fest, das lautlos lebt.
Fackeln leuchten dem Gespenstermahle,
das in Wolkennähe silbern schwebt.
Auch die ausgesperrten Wasserspeier,
angekrallt am luftigen Gesims,
werden bei der geisterhaften Feier,
ledig ihres dumpfen Erdengrimms,
in die reinen Sphären mitgetragen,
wo nichts Dunkles und nichts Schweres gilt.
Huldigend aus seinem Wolkenwagen
hält der Vollmond seinen goldnen Schild.


 26. 05. bis 04. 06. 1937

Kurzes Zürcher Wiedersehen und neuer Abschied

Die sehr geliebte Stadt noch einmal sehen,
sich an sie schmiegen wie an Mutters Knie,
durch ihre Gassen schmerzhaft glücklich gehen
und abends auf dem Lindenplatze stehen,
umspielt von ihrer Maienmelodie.

Beschaulich mittags in den See sich sinnen,
die Badenden betrachten, einen Schwan,
mit jedem Blicke neu zu sehn. beginnen;
wenn hier die Stunden ungenutzt verrinnen,
sind sie doch niemals ohne Frucht vertan!

Weingärten gürten sich um unsre Pfade,
am Ackerrande Maut Vergißmeinnicht,
die Welt ist eine Wiesenpromenade,
Holunder grüßt, es knospet die Kornrade,
und alles blüht in jugendlichem Licht.

Das bleibt ein lang entbehrtes Wohlbehagen,
auch wenn uns Regen in die Räume bannt:
man labt mit Trank und Speise seinen Magen
und braucht sich keine Guttat zu versagen,
ist jeder Kellnerin als Gast bekannt.

Und wieder sehn, wie alles das entschwindet
und man die sehr geliebte Stadt verliert,
sich plötzlich wieder in der Fremde findet
voll Sehnsucht, die man lange nicht verwindet,
und, schwer zu trösten, nach der Sonne friert.


04. / 05. 06. 1937

Nachklang

Der Zug, der ungerührt von dannen fährt,
singt jetzt noch des geliebten Landes Lied.
Zu kurz hat dieses Mal mein Glück gewährt,
von dem ich wieder unbefriedigt schied.

So vieles wurde abermals versäumt,
so viel Ersehntes wieder nicht gesehn;
nun dünkt dies Zwischenspiel mir nur erträumt, s
cheint alles Schöne plötzlich ungeschehn.

Das Bild der Berge überm See verschwimmt,
der Abendpfad zutal ist nicht mehr da,
unfreundlich naht die fremde Nacht und nimmt
den letzten Abglanz, den der Blick noch sah.

Und immer mehr entfernt sich meine Fahrt
von dem, was mich ergötzt hat und verwöhnt,
bis nur noch, im Gedächtnis aufbewahrt,
ein Schimmer manchmal meinen Schmerz verschönt.


24. 06. 1937

Erinnerung der Johannisnacht

Einst gingen wir auf heimatlichen Wegen
(der Sommerabend wurde plötzlich kalt)
in Jugendleichtsinn der Gefahr entgegen
und glaubten an des Glückes Allgewalt.
Es flammten auf den Höhn Johannisfeuer,
unendlich schimmerte der Fluß im Tal;
wir hofften immer auf ein Abenteuer
und sahen alles wie zum ersten Mal.

Das grobgemalte Marter! für den. Schnitter,
der unter einem Apfelbaum am Feld
vorn Blitz getroffen wurde im Gewitter,
das Meer aus Mohn, vom Hauch der Nacht gewellt;
die weißen Wolken segelnd durch die blaue
traumhelle Kälte, die schon Morgen schien,
des Baches Ufer, wie beschneit von Taue,
der Weiden Bettelvölker auf den Knien.

Dann fanden wir die Fähre, riefen lange,
bis endlich sich der Ferge blicken ließ;
der Trunkne meisterte trotzdem die Stange,
mit der er uns durch die Gewässer stieß.
Wir landeten. War es an Traumgestaden,
war es an einem Strande Wirklichkeit?
Mein Lied versuchte frische Fracht zu laden ;
was vor uns lag, blieb unermeßlich weit.

Trotzdem war einst, wie heut, dem Fluchtversuche
zuletzt einmal der Weg zurück bestimmt,
daß man am Saatenfelde bei der Buche
vom Wunder Abschied nahm - und Abschied nimmt.
Als man nach Haus kam, gab es Taubensuppe
(seit damals hat sie mir nicht so geschmeckt!)
und trotz der zürnenden Familiengruppe,
war dem verlornen Sohn ein Platz gedeckt.

Wo wäre jetzt ein Platz für mich gelassen,
kam ich zurück in das, was uns gehört?
Verwüstet ist das Glück der Heimatgassen,
des Vaterhauses Traulichkeit zerstört.
Die Feuer opfern drohenden Dämonen,
die Höhen sind ein feindlich böser Wall;
nichts läßt den Friedlichen in Frieden wohnen,
das Gnadenlose waltet überall.


10. 07. 1937

Rosenhymne

Wieder ist das farbenfrohe Prunken
dieses Rosenhags mir Sommerlust,
daß ich längst, von Duft und Buntheit trunken,
nicht mehr traure um den Lenzverlust,
in dem Rausch der Farben und Gerüche,
in dem Sonnenspiel auf Gelb und Rot,
ganz vergesse meine frommen Flüche
auf die Welt, die immer mehr verroht,
nichts vermisse vom verlornen Leben,
sondern, diesem Blumenüberfall
ohne Widerstreben hingegeben,
Rosen sehe, atme überall,
in ein weiches Meer von Rosen sinke,
auf ihm treibe, wohlig hingestreckt,
hold betäubt in meinem Traum ertrinke,
bis ein Rosenlied mich wieder weckt,
die Seerosen wie Delphine gleiten
durch das Glück, das gläsern uns umgibt,
wo das Herz für Zeit und Ewigkeiten
sich der Rosenseele zärtlich gibt.


19. 07. 1937

Feindselige Wandlung

Oft scheint der Mensch, dem ich entgegen gehe,
von weitem einem alten Freund zu gleichen;
doch wenn ich schließlich ihn von nahem sehe,
ist er ein Fremder und gibt mir kein Zeichen
geheimer Bruderschaft. Mit fremdem Wesen,
geht er an mir vorüber, zugeschlossen,
im Blick ist nichts Vertrauliches zu lesen.
Als wär' er keiner meiner Zeitgenossen
und könnte nicht, was uns verstört, ermessen,
der Eingeborne ferner Sternenräume,
treibt er vorbei und hat mich schon vergessen,
indes ich noch ihn anzureden träume.
Bis ich, erwachend, wieder einsam stehe,
von keines Freundes Tröstung zu erreichen,
und jeder Mensch, dem ich entgegengehe,
scheint jetzt bedrohlich einem Feind zu gleichen.


27. 07. 1937

Verwehrte Weise

Die Nacht ist stumm. Ich hocke bei der Flasche,
verstummt, verstockt, und suche einen Klang
und höre nur die Uhr in meiner Tasche
und eines Trunknen grölenden Gesang,
manchmal das Rollen ferner Eisenbahnen,
ein Abschiedslied, das mich in Schwermut hüllt,
doch seine Melodie ist nur zu ahnen
und wird mir nicht zum Nachtgedicht erfüllt.
Ich sitze reglos, trinke lustlos, sehe
zum ersten Mal das Welken meiner Hand
und spüre, daß ich allgemach vergehe,
bevor ich meine wahre Weise fand.


18. 08. 1937

Der Lebensgefährtin

Die Jahre, die ich ohne Dich verbrachte,
sind wie ein ungepflegter, leerer Plan,
wo nichts sich angenehm und nützlich machte;
das gut Erdachte wurde nicht getan.
Das Wunder kam: ich hatte Dich gefunden
und ließ Dich nicht, eh mir Dein Segen ward.
Und blieben meinem Herzen auch die Wunden,
die uns die Liebe zufügt, nicht erspart -
aus ihnen blühte unsers Bundes Dauer,
die Leichteres und Schweres wohl bestand,
in dem Gespinst aus Lustbarkeit und Trauer
auf sicherm Grund zu zweit Erfüllung fand.
Die Nachtigallen ihre Hymnen singen
an jedem Weg, den unsre Liebe geht.
Die Jahre, welche wir vereint verbringen,
sind wie ein Hain, der stets in Blüten steht.

Nichts vermag mir Angst zu machen,
was als Alpdruck mich bedroht,
darf ich neben Dir erwachen
in das neue Morgenrot.
Was der Tag dann auch verfehle.
Deine Nähe macht ihn reich,
Lind die Dir vermählte Seele
dünkt sich den Beglückten gleich.
Doch wenn mit verlorenem Blicke
reglos Du am Fenster lehnst
und entzweit mit dem Geschicke
Dich nach Heimatlichem sehnst,
möchte ich, daß meine Treue
Dir ein wenig Heimat sei,
Dein Gemüt sich wieder freue
an des Lebens Vielerlei.

Sehr innig fühl' ich mich mit Dir verbunden
und spreche lautlos zärtlich auf Dich ein,
durchstreif' in mannigfach gestimmten Stunden
die Straßen und den Park ich ganz allein,
als gingst Du wohlgemut an meiner Seite,
von mir und unsrem Engel nur bemerkt.
Vielleicht, daß ich auch hier noch mit Dir streite,
damit Dein Beifall meine Meinung stärkt,
weil ich Dich gern mit mir im Einklang wüßte
bei allem, was mein Herz verwirft und liebt.
Seit ich zum erstenmal Dich schüchtern küßte,
spür' ich den Zauber, der uns Zwei umgibt,
dies Paradies mit seinen frommen Tieren,
wo auch das Feindliche sich lieben lernt,
und bin gewiß, ich kann Dich nicht verlieren,
und sei ich noch so weit von Dir entfernt.

Schließlich träume ich uns beide
als das letzte Liebespaar
irrend auf der wüsten Heide,
die einst Menschenheimat war.
Ringsum häuft sich das Zerstörte,
flammt der grause Weltenbrand,
doch uns bleibt, was uns gehörte:
dieses Schweifen Hand in Hand,
sei es durch das Unbeseelte,
jenseits schon von Traum und Tat.
Wenn mir Dein Geleit nicht fehlte,
wußte meine Not sich Rat.
Über allem Erdenleide,
drin wir zeitlich uns verirrn,
trägt die Liebe doch uns beide
auf das ewige Gestirn.


 22. 08. 1937

Überwunden

Nach und nach verblaßt es im Gedenken,
machen es die Jahre unscheinbar,
fängt die Fremde an uns abzulenken
von dem Hang an das, was Heimat war.

Schon vergaß man einer Straße Namen,
die man einst an jedem Tag belief,
und ist nicht mehr fähig nachzuahmen,
wie der Karrenmann sein Obst ausrief.

Seltener pflegen sie von Haus zu schreiben,
immer mehr scheint uns ihr Wort entstellt,
bis sie uns so unverständlich bleiben
wie Geschöpfe einer andern Welt.

Manchmal taucht aus den vergangenen Zeiten
einer auf, der Gleichgesinnt einst galt,
doch er wird uns nur Verdruß bereiten
und verwehn wie eine Spukgestalt.

Auch wenn unverhofft beim Zeitungslesen
man geliebter Landschaft Bild entdeckt,
wird von ihrem einst vertrauten Wesen
nun kein Wunsch nach Wiederkehr erweckt.

Schließlich lohnt es auch nicht mehr zu hassen,
und man wird den todgeweihten Wahn
seinem sichren Selbstmord überlassen
und befreit sein, Neuem aufgetan.


28. 08. 1937

Spätsommerabend

Sommerliche Prachtapotheosen
noch einmal ihr Farbenspiel entfachen.
Abgeblüht entblättern sich die Rosen,
um den Astern langsam Platz zu machen.

Welkes Laub schwimmt in den Brunnenbecken.
Zeitig nun schon die Laternen strahlen
aus dem Grün der Promenadenhecken,
die sich mählich wieder herbstlich malen.

Bald muß ich des Lesens mich begeben,
naht der Wächter, um den Park zu sperren.
Süße Schwäche überkommt das Leben,
Todeswünsche machen sich zu Herren.


Anfang September 1937

Nächtliches IIluminations-Märchen der Pariser Weltausstellung

Als wir an den bunten Wassern saßen,
zauberte sich aus Musik und Licht,
daß wir alle Not der Zeit vergaßen,
goldner Sommernächte Traumgedicht.

Auf des stadtgewohnten Stromes Wogen
Boote mit der frohen Menschenfracht
flink entschwindend ihre Zirkel zogen
durch den Traum der goldnen Sommernacht.

Liebesgötter aus den Lüften sangen
munter in verführerischem Chor.
Die Fontänen farbig wechselnd sprangen
silberfüßig zum Geleucht empor,

spielten mit der Vielfalt ihrer Schleier
in dem fließenden Najadentanz,
wurden immer aufgelöster, freier,
um zuletzt als körperloser Glanz

in das reine Weiß sich zu verklären,
wo der Springquell sich vermählt dem Licht.
Und als ob wir selbst verzaubert wären,
trug uns mit sich fort das Nachtgedicht.


09. bis 30. 09. 1937

Bilderbogen Lugano

I. Der Tag

Der Tag legt langsam ab die Nebelhüllen
und zeigt dem See die schimmernde Gestalt,
die reife: herbstlich bunt die Hügel füllen
mit Rebengärten wieder sich und Wald.

Die Felsgebirge stellen ihre Narben
mit grausig greisenhaftem Stolz zur Schau.
Das Tal entfaltet alle seine Farben
und prunkt im Sonnenscheine wie ein Pfau.

Und manche Höhe hält als fromme Spende
ein Kirchlein näher an des Himmels Rand,
und manche malt als goldene Legende
ihr Wallfahrtskloster an die Schroffenwand.

Im Rund der Bucht läßt sich die Stadt bestrahlen,
die malerisch sich an die Hänge schmiegt,
bis daß der Mittag in den Marmorschalen
der grellen Plätze schwer und schwerer wiegt.



 

II. Nacht nach dem Gewitter

Am Rock noch den Geruch von all dem Feuchten
des Regentags am treibhauswarmen See,
trab' mitternachts ich heim im Wetterleuchten,
das noch gespenstert überm Monte Bre.

Der steht als Bühnenkönig mit der Krone
künstlicher Kerzen in der dunklen Bucht,
am Gürtel Alpenveilchen und Limone,
den ganzen Reichtum herbstlich reifer Frucht.

Jetzt aber hat das Schauspiel ihn vergessen:
die Flut, die an den letzten Tränen schluckt,
ist nicht mehr vom Gewitterwahn besessen,
der nun endgültig fern im Dunst verzuckt.

Die Rampenlichter flimmern nur noch spärlich
am Ufer, das der Nebelvorhang schließt,
und kein Verschwörer ist dem Schlaf gefährlich,
darin der Traum der Nacht gen Süden fließt.

 

 

III. Musik Luganos

Es fiedeln vor den Schenken die Kapellen,
Musik tanzt durch die hallenden Arkaden
in das Gebalz der Uferpromenaden
und auf das Sees vom Wind bewegte Wellen.
Die schwingen sich sogleich im selben Takte,
geführt von der Musik der Schiffsverdecke,
und fiedelnd von der nächsten Felsenecke
begrüßt der Gartenschank sie, der beflaggte.
Am Abend ist der Rathausplatz ein Klingen,
das echot im Gewirr der alten Gassen,
wenn auf den luftigen Cafeterrassen
Tenöre schmelzend von der Liebe singen
und von den Fenstern rings kunstlose Stimmen
wetteifernd in den Höhenflug sich wagen,
bis alle Uhren mitternächtlich schlagen.
Die letzten Walzer auf den Wassern schwimmen
im Lichterschiff, das heimkehrt. Es umkreisen
den Narrn, der mit verklärtem Angesichte
spricht in die Stille tönende Gedichte,
gedämpft der Nacht-Bar tänzerische Weisen.

 

 

IV. Gandria

Der schmale Bergpfad wird zum Gassenpaß,
der eng, halsbrecherisch das Dorf durchklettert,
wo überall aus felsigem Gelaß
gefühlvoll südlich eine Arie schmettert.

Ein Durchlaß übersteigt den andern steil,
daß man um Dächer streift wie eine Katze.
Der Maler hält sein Werk im Freien feil
am treppenhaften, krausen Kirchenplatze.

Der Pfarrer flattert schwarz von Nest zu Nest,
wo das Geheimnis nistet, Tod und Leben.
Die Schenken rüsten sich zum Winzerfest,
aus dunklen Kellern duften Rauch und Reben.

Wir kehren in der stillsten Wirtschaft ein
und trinken auf der luftigen Terrasse.
Auf See und Höhen spielt noch Sonnenschein,
doch uns holt nachtwärts schon die schmale Gasse.

 

 

V. Carona; Agra; Cademario; Sonvico ....

Zuhöchst ringsum auf jedem Hügelrücken
liegt eine Ortschaft, die das Los erhob,
sie allem Talgebundnem zu entrücken,
und die es in das Geisterwesen wob,
wo sie im Sonnenglanz ihr Dasein feiert,
unnahbar als ein weißes Wunder glimmt,
an Regentagen magisch sich umschleiert
und unbewegt die Feuchtigkeit durchschwimmt.
Wir fuhren oft hinauf die Serpentinen
(der Schwager blies) mit rosseloser Post
und ließen uns im Gartenschank bedienen
mit herbem Wein und ländlich derber Kost,
besahn das Kugelspiel geraume Weile
und machten mit den Katzen uns vertraut.
Die Zeit stand still, wir hatten keine Eile
und hörten im Herumgehn keinen Laut
als unsern eignen Schritt bedächtig hallen
in den Arkaden alter Häuserpracht,
die nun in Armut, ungepflegt, verfallen,
kaum eine Ahnung war vergangner Macht.
Und in den reichbestallten Kathedralen
hing bei den Wunderwerken an der Wand,
wie sie die zeitlos großen Meister malen,
des Warenhauses billig bunter Tand.
Doch draußen sah man von der Kirchhofsmauer
in das Unendliche von Berg und Tal,
das Blau des Himmels wurde immer blauer
und traf den See mit goldnem Sonnenstrahl.
Da wünschte ich, niemehr von hier zu scheiden,
ein Teil zu sein in diesem weiten Bild,
mich in des frühen Herbstes Schmuck zu kleiden,
gleich ihm friedfertig und von Herzen mild.
Trotzdem: mich in das Menschliche zu schicken,
fand ich mich schließlich auf dem Weg hinab,
und macht' ich oft auch Halt, zurückzublicken;
so kam ich immer wieder leicht in Trab,
beschwingt vom Frohsinn solcher Farbigkeiten;
die mit dem Prunk der Blüte und der Frucht
sich eilten, ihre Schätze auszubreiten
an Wiesenhängen, in der Felsenschlucht,
Kastanienwaldungen und Rebengärten
und oft ein Dickicht, wo man Beeren pflückt,
den Falter hat zum flüchtigen Gefährten,
sich zärtlich zum Johanniskäfer bückt.
Dann hörten wir die Stimme, die vertraulich
uns aus der Stadt am See entgegenkam,
bis uns der volle Glockenchor erbaulich
in ihre fromme Abendstimmung nahm.

 

 

VI. Nord -und Süd

Wenn wir es wollen, sind wir hoch im Norden:
Schutthalden fallen von dem kahlen Hang
und enden in den einsam düstren Fjorden.
Doch wenn wir wollen, ist der Überschwang
des Tropischen an unsern Tag verschwendet
mit Farbenfreudigkeit, Musik und Duft;
die eben noch so karge Landschaft wendet
sich jäh in südlich lebensfrohe Luft
und schmückt sich mit Agaven und mit Palmen
und hängt Oliven in das Laubgerank.
Da singt dem Pan mit heidenhaften Psalmen
für Nord und Süd der Föhn den Erntedank.

 

 

VII. Morcote

Vom See führt es hinauf zum Himmelsblau
durch bunte Gassen, wo die Kinder lärmen,
und ist noch Leben, schwatzt von Mann zu Frau
in muntren, neugierfrohen Reiseschwärmen.
Auch als es Treppen steil zu steigen gilt,
bleibt man, schweratmend, gutgelaunt noch stehen,
wie im Museum ein berühmtes Bild,
den See und das Gelände zu besehen,
und hält nach kleiner Pause wieder aus
und schleppt sich ächzend höher in die Lüfte
und schreitet schließlich durch das Gotteshaus
zum Totenacker, ins Gebirg der Grüfte.
Da liegt, was einmal unsersgleichen war,
verschlossen allen Erdenherrlichkeiten,
so nah, so fern, dem See, der Menschenschar,
des Dorfes Enge und des Himmels Weiten.
Da liegen sie, die Toten, eingesperrt,
der Eitelkeit der Erben preisgegeben,
die abgeschmackt zur Prahlerei verzerrt
das Angedenken an ein schlichtes Leben.
Da liegt der Mime und der Musikant,
gelandet hier nach Ruhm und Abenteuer,
jetzt wesentlich, ein Stück der Bergeswand,
vertraut dein Sternenglanz und Sonnenfeuer,
so hoch gebettet, daß ihr Geisterblick
fern über See und Berg den Süden findet,
daß unser kleines irdisches Geschick
tief unten im Alltäglichen entschwindet,
in der Geschäftigkeit, wo jeder strebt
des Totenreiches Mahnung zu vergessen,
wo man aufatmend wieder lärmt und lebt
und irdisch wohlig trinken wird und essen.

 

 

VIII. Besuch bei Hermann Hesse

Es ist von überall im Tal zu sehen,
das Hieronymus-Gehäus, das helle,
des fernen Bildners hohe Arbeitszelle,
in der die stillen Dichtungen entstehen.
Da bleibt er über das Getrieb erhoben,
entrückt der eignen Weise hingegeben,
und überblickt in Einsamkeit von oben
der ganzen Landschaft wandelbares Leben.
Vielfältig liegt sie vor ihm ausgebreitet
und läßt von seinen Sinnen sich durchstreifen
und wird zur grenzenlosen Welt geweitet,
in der die Märchen unvergänglich reifen.
Da schien auch ich entrückt der Erdenfehde,
als ich zugast war in dem Heiligtume.
Das Diesseits blühte in des Dichters Rede,
in seinem Blick der Sehnsucht blaue Blume.
Es grüßten rings die Bücher von den Wänden,
vor die des Gartens Huldigung sich legte,
in dem der Dichter mit den guten Händen
das Feld bestellte und die Pflanzen pflegte.
Da wies er mir die Früchte seiner Mühen,
die Trauben und die schwellenden Tomaten,
der Blumenbeete farbenreiches Blühen,
und war ein Landmann, stolz auf seine Saaten,
im Einklang mit dem irdischen Geschehen,
auf seiner Scholle würdig im Bewahren
und in den Werken der Natur erfahren,
vor denen seine Dichtungen bestehen.
Ein Brunnen quellte ihm auf eignem Grunde,
nah an der Straße, blieb sein Reich versponnen.
Es schenkte diese sonntägliche Stunde
mir still Verehrendem kostbare Wonnen.
Von ihm, dem Magier und Lebensmeister,
der sich aus dem Gewühl zu halten wußte
und in der großen Bruderschaft der Geister
nur immer strahlender entfalten mußte,
ward ich bestärkt in meinem eignen Wege,
der mich zunächst zurück zum Talpfad brachte.
Der Dichter führte mich abseitig Stege,
wo man vor Grotten becherte und lachte,
Kastanien reif vor unsre Füße fielen,
bis wir am Kreuzweg herzlich Abschied nahmen.
Der Hügelwall mit seinen Schattenspielen
gab meinem letzten Abstieg dann den Rahmen,
der dunkel Dunkles faßte. Noch im Gehen
verspürte ich den Zauber dieser Zelle,
in der die stillen Dichtungen entstehen,
die tröstlich sichtbar blieb von jeder Stelle.

 

 

IX. Farbiger Abend

Der letzte Abend hatte soviel Farben,
man müßte Maler sein, (das Wort ist arm!)
zu zeigen, welche bunten Flammengarben
aufsprühten in phantastischem Alarm,
wie purpurn sich des Himmels Fläche füllte,
im See sich spiegelnd als ein Weltenbrand,
des Südens Glut sich unbeherrscht enthüllte
im Widerschein an roter Bergeswand
und üppiger die Feuersbrunst entfachte,
daß sie wildlodernd in den Wald sich fraß,
bis doch die Welt sich golden überdachte
im Abendfrieden, der den Kampf vergaß.

 

 

X. Abschied

Es regnete, den Abschiedsschmerz zu mildern,
als wir den liebgewordnen Ort verließen,
als müßte er mit all den bunten Bildern
nun in das Grau der Dauerflut zerfließen.
Daß dies noch gestern Süden war, schien Lüge,
die Farbigkeit des Sees war Schmutz geworden,
verschwunden waren rings die Hügelzüge,
und übrig blieb ein gnadenloser Norden,
wo Palmen, fehl am Platz wie Fremde, froren
und feuchte Schauer um die Rosen sprühten,
die Sommerlieder sich beschämt verloren,
Eidechsen nicht mehr an den Mauern glühten.
Noch einmal sah ich von der Bahnterrasse
(wir mußten lang auf unsre Abfahrt warten)
seltsam gestimmt vergebens in das Nasse
und sucht nach dem Paradiesesgarten,
der uns in wundersamen Ferienwochen
mit Glück erfüllte über alle Maßen,
und habe ihm die Wiederkehr versprochen.
Als wir endgültig dann im Zuge saßen,
schiffbrüchig durch die Nebelwogen schwankten,
die über den versunknen Schätzen brauten,
geschah es, daß wir unserm Schicksal dankten
und willig uns der Heimfahrt anvertrauten,
weil sie befrachtet war im Angedenken
mit all den Düften und den bunten Bildern,
verführerischer Zauberwelt Geschenken,
den märchenlosen Winter mir zu mildern.


24. 12. 1937

Weihnachtsgnade

Ob auch Wolken fast den Stern verdecken,
weil die Welt das Friedliche verneint,
unsre Lippen noch die Tränen schmecken,
um das Weh der Kreatur geweint;
wie wir mit den Leidenden uns härmten,
laß uns mit den Frohen fröhlich sein.
und das Fest begehn mit grogerwärmten
Wangen bei des Baumes Lichterschein!

Ob es ringsum droht auch und gewittert,
wir sind hier zusammen wie zuvor,
und so sehr man vor der Zukunft zittert
und bedenkt, wieviel man schon verlor;
aus dem Zwinger der verstörten Stunden
wurde stets das Menschenherz befreit.
Sind die Schmerzenswochen überwunden,
kommt für jeden eine Weihnachtszeit.

Wieder voller kindlichem Vertrauen
kehrt man in das fromme Märchen heim,
glücklich, die Geschenke aufzubauen,
glücklich den gewohnten Weihnachtsreim
mitzusingen, wenn im Rundfunkschalle
plötzlich unsre Muttersprache tönt
und mit seinem Friedensgruß an alle
sich der Abend heimatlich verschönt.

Was vermag die Macht uns dann zu schaden?
Wir sind ihrem rohen Reich entrückt
und durch ihr sehr überlegene Gnaden,
unzugänglich ihrem Haß, beglückt,
nicht mehr einsam in der heiligen Stunde,
denn es ist auf Erden überall
jeder Gute nun mit uns im Bunde
gegen den barbarischen Verfall.

Ob man draußen kriegerisch sich rüstet;
hier erklingt der uns vertraute Chor.
Wer sich mit Brutalem lästernd brüstet,
weiß nicht, daß er hier sein Heil verlor;
machtlos bleibt er vor dem kindlich Hehren,
das um uns den Weihnachtszauber webt,
und der Stern wird heller wiederkehren
aus der Wolke, die beglänzt entschwebt.


 25. 01. 1938

Auf Abbruch

Immer wieder wie auf Abbruch wohnen,
zwischen Koffern, die man nie ganz leert,
in Hotels und billigen Pensionen,
wo das Herz vor Heimweh sich verzehrt,
unbehauster als die Zirkusleute,
deren Heim auf Rädern um sie bleibt,
doch was uns im eigenen erfreute,
ist nicht fremden Räumen einverleibt,
diesen schlecht beleuchteten Verschlägen
voller Küchendunst und Gasgeruch,
mit der Kost für lebensmüde Mägen
und den Wänden ohne Bild und Buch.
Plötzlich wirst du es nicht mehr ertragen
und an irgendeinem Zufallsort
dich noch einmal festzusetzen wagen,
so als jagte nichts dich fürder fort,
wirst du ein paar leere Zimmer mieten,
auf dem Trödelmarkt erfeilschter Tand
soll dir einen Schein der Bleibe bieten,
mit dem Bild der Heimat an der Wand,
jener Heimat, die dich doch verbannte
und heut nichts mehr von dir wissen mag,
wo einst mancher deinen Freund sich nannte,
nie vergaß auf deinen Namenstag,
jeden Mittwoch im Hotel zur Krone
dich erwartete zum Dauerskat,
wünschte dich sogar zum Schwiegersonne,
holte sich bei dir vertraulich Rat.
Heimlich hoffst du, daß im fremden Lande
dir allmählich Ähnliches gelingt,
neue Gunst mit dauerhaftem Bande
unbedingter Freundschaft dich umschlingt.
Doch du bleibst durchaus mit deinesgleichen
unentrinnbar fremd und sehr allein,
harrst der Wunder, die dich nie erreichen,
und wirst weiter dein Geschick beschrein.
Langsam sammelt sich in deinen Schränken
wieder eine kleine Bücherei;
doch ein Mangel wird dich immer kränken:
deine Lieblinge sind nicht dabei.
Gäste kommen, die dich sehr beneiden,
weil du eine eigne Wohnung hast.
Nur der Eine wird dich immer meiden,
der von dir so heiß ersehnte Gast,
der dich früher in der Heimat ehrte,
schüchtern stolz an deinem Tische saß,
aber hier jetzt, wo sein Ruhm sich mehrte
und der deine tot ist, dich vergaß.
Alles dieses kannst du schwer verwinden,
immer wieder macht es dich verstört.
Dennoch wirst du schließlich Frieden finden
in dem kleinen Reich, das dir gehört,
einen Hund besitzen, der dich liebt,
manchmal sanft mit Rotwein dich berauschen,
dankbar, daß es diesen Trost noch gibt.
Aber wenn du endlich abgefunden,
so dich fügst in alles fremde Tun,
hast die Heimatsüchte überwunden
und gedenkst, getrost hier auszuruhn,
der Musik des Alls im Rundfunk lauschen,
dein bescheidnes Dämmern zu genießen,
mit dem Ungewohnten schon bekannt,
willig, hier dein Leben zu beschließen
als in einem neuen Vaterland,
wird ein amtlich unnahbares Schreiben
dich mit höflich tödlichem Bescheid
aus dein kaum gewärmten Nest vertreiben,
ungerührt von Harm und Herzeleid.
Wieder mußt du durch die Welten fahren,
überall verfemt und abgelehnt,
auch in deinen letzten Lebensjahren
ohne das, wonach dein Sinn sich sehnt,
dort noch, wo sie dir ein Obdach geben,
flüchtig nur geduldet, unbekannt,
immer scheu und wie auf Abbruch leben,
bis es aus dem Leben dich verbannt.


28. 01. 1938

Das Unvergängliche

Die wir heut noch, freundschaftlich vereint,
im vertrauten Raum zusammenhalten,
wo die Sonne auf Gesichter scheint,
die gezeichnet sind mit Kummerfalten -
wenn uns das Verhängnis einmal trennt,
weiß ich, daß (soweit man sich entschwindet)
doch sich Gleichgesinntes wiederkennt,
wie und wo es auch einander findet.

Wer sich trotz Bedrängnis und Verfall
als ein zuverlässiger Gefährte,
wahrhaft jederzeit und überall,
in dem Widerstreit der Welt bewährte,
wird auch über dies Gefild hinaus
sich den Gutgewillten sichtbar machen
und in einem neuen Vaterhaus
bei den Seinen wohlverwahrt erwachen.

Darum kann ich durch das letzte Tor
zuversichtlich in das Dunkel gehen:
was ich im Gewesenen verlor,
darf im Künftigen ich wiedersehen;
von der Furcht, enttäuscht zu werden, frei;
wer die Treue hielt in diesem Leben,
wird im nächsten, wo es immer sei,
sich den Freunden zu erkennen geben.


23. 02. 1938

Katastrophe

Im Labyrinth verzweifelnder Gedanken
irr' ich umher und weiß mir keinen Rat;
der Boden unter uns begann zu wanken,
vergebens wurde jede gute Tat.

Der Untergang scheint nicht mehr aufzuhalten;
kein Wunder hilft dem, der nichts opfern will.
Die Hände furchtsam im Gebet zu falten,
macht keinen Vorwurf des Gewissens still.

Die unheilvollen Zeiten zählen doppelt;
der altert rasch, dem alle Hoffnung schwand.
Verrat und Wahn, in ein Gespann gekoppelt,
rast unaufhaltsam in den Weltenbrand.

Ich bin zu schwach, ich werde mitgerissen
und wage keine letzte Gegenwehr,
ganz wider bessres Wissen und Gewissen;
so hat mein Dasein keinen Segen mehr.

Es bleibt mir nichts, als reuig abzudanken:
Fruchtlos war alles, was ich sang und tat.
Das Land, auf das wir bauten, kam ins Wanken;
bald stürzt es, und die Welt weiß keinen Rat.


11. 03. 1938

Mir bleibt mein Lied

Mir bleibt mein Lied, was auch geschieht,
mein Reich ist nicht von dieser Welt,
ich bin kein Märtyrer und Held;
ich lausche allem, was da klingt
und sich in mir ein Echo singt.
    Ob jedes andre Glück mich flieht -
    mir bleibt mein Lied.

Schutzengelhaft gibt es mir Kraft,
denn seine Melodie beschwört
das Böse, das den Frieden stört,
doch nicht in meinen Abend dringt,
den zärtlich die Musik beschwingt.
     Ob sich der Himmel schwarz umzieht -
     mir bleibt mein Lied.

Was lärmend schallt, ist bald verhallt,
mißtönende Vergangenheit,
die nur die eigne Schande schreit,
wenn maßvoll mit holdseligem Ton,
in fast jenseitiger Klarheit schon,
mein Lied auf seinem Abschiedspfad
    den Sternen naht...


28. 03. 1938

Der Friedenstörer

Wieder steigt aus dunklen Schluchten,
der sich lang verborgen hielt;
seine schweren Schritte wuchten
in die Welt, die kindlich spielt.
Seine Eisenschuhe treten
zart Erblühtes in den Kot,
und mißtönende Trompeten
lärmen sanfte Lieder tot.

Mit geschlossenem Visiere
führt er seine wilde Jagd
zu dem Paradies der Tiere,
wo sich nichts zu wehren wagt,
daß nach leicht errungnen Siegen,
wüst von Blutgeruch umdampft,
wimmelnd vom Geschmeiß der Fliegen,
schlächterhaft er weiter stampft.

Wird ihm niemand Halt gebieten?
Schon drängt er sich in den Hain,
wo mit tausendj ährigen Riten
Fromme sich der Gottheit weihn.
Lästernd raubt er den Altären
das gesegnete Gerät.
Plötzlich schweigt der Sang der Sphären
in verletzter Majestät.

Triumphierend hetzt der Schänder,
der die heiligen Eide brach,
durch die ungeschützten Länder
seines Beutezuges Schmach,
immer weiter, immer wilder,
ohne Scheu vor Menschenrecht,
Bücher roh zerstörend, Bilder,
sanfter Seelen Folterknecht.

Jede Siedlung steht in Flammen,
die der Feindliche betrat.
Gellend durch die Nacht, verdammen
Glocken seine Freveltat,
und des Himmels Zornesnöte
ruft zur großen Rache auf,
weltverneinend tönt das »Töte!«
störend in der Sterne Lauf.

Mütter, die ihr Kind verloren,
Witwen, Waisen, schattenhaft,
vorwurfsvoll in Trauerfloren,
sammeln ihre letzte Kraft,
auf des Quälers Spur zu bleiben,
bis ihn sein Geschick zerbricht;
Treiber und Getriebne treiben
in des Jüngsten Tags Gericht.

Schon sind schwer zu unterscheiden
in der immer dichteren Schar,
die das Böse tun und leiden,
was man ist, und was man war,
krallt sich eins ans andre, fluchend
in des Weltenbrandes Rauch,
Hilfe und Vergeltung suchend
mit dem letzten Lebenshauch.

Bis ein Schrei das All erschüttert,
dem kein Laut auf Erden gleicht,
und die Bestie, satt gefüttert,
endlich träg, beiseite schleicht.
Stumm verdauen dann die Stunden,
lauschend fernem Zukunftslied,
und in dunkler Schlucht gebunden
wieder liegt der Störenfried.


06. 04. 1938

Ewige Heimat

BEKANNTMACHUNG
Auf Grund des Paragraphen 2 etc. etc.... erkläre
ich im Einvernehmen mit dem Herrn Reichsminister
des Auswärtigen folgende Personen der
deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig:
HERRMANN, MAX
geb. am 25. Mai 1886 in NEISSE

Der Reichs- und Preußische Minister des Inneren.

Wer mich zu entehren glaubte,
wenn mit frevelndem Befehle
er das Heimatrecht mir raubte,
ahnt die ewig lenzbelaubte
Heimat nicht in meiner Seele.

Da besteht in altem Glanze
heimatliches Bild und Wesen:
wieder auf besonnter Schanze
werden wir zum Frühlingskranze
uns die ersten Veilchen lesen.

Wieder vor der Bergeskette,
die das Wiesental umwindet,
ist des Städtchens Silhouette,
und auf unserm Fensterbrette
Spatzenvolk sein Futter findet.

Mit gewohntem Wohlgefühle
wandle ich bekannte Pfade
bei der alten Pulvermühle
in des Wäldchens Schattenkühle
zum belebten Wellenbade.

Große Orte und geringe,
Ströme, Höhen, Äcker, Auen,
ernsthafte und heitre Dinge,
wenn ihr Wirkliches verginge,
könnte noch mein Wachtraum schauen.

Schöner, als sie jemals schienen,
blieben sie mir im Gedenken,
machen mir verliebte Mienen,
und ich werde mich mit ihnen
immer wieder schön beschenken.

Was jetzt Gutes muß verderben
dem geknechteten Geschlechte,
wird noch lang nach unserm Sterben
laut mit meinen Worten werben
für die ewigen Heimatrechte.

Wer uns glaubte zu entehren,
wenn er heimatlos uns nannte,
sieht: die Heimat wird sich mehren
und die Seele nichts entbehren
derer, die sein Haß verbannte.

Ewig lenzbelaubt beglücken
wird der Traum uns scheinbar Tote:
lächelnd sehn wir von den Brücken
auf den Tanz der Wassermücken
und die Fahrt der Liebesboote.

Was man liebt, kann nie vergehen:
heimatlich vertraute Töne
überall uns treu umwehen;
denn die Heimat bleibt bestehen
in dem Lied verstoßner Söhne.


 17. 04. 1938

Osterglück

Diese österlichen Wochen
wollten sich nur schwer entfalten:
wenig wurde mir versprochen,
und noch weniger gehalten:
wagte ich, ein Glück zu hoffen,
hemmte mich geheime Reue,
doch nun sind die Gräber offen,
und es lebt die Welt aufs neue.

Du hast mich zärtlich angesehn,
da konnt ich friedvoll schlafengehn
und ängstete mich nicht.
Du hast mich zärtlich angesehn,
da kann ich freudig auferstehn
im Ostermorgenlicht.

Wieder quält mit vielen Plagen
Wehrlose der Menschenschinder,
wird der Mutter Sohn erschlagen,
sind am Kreuze Gottes Kinder.
Wieder weiß und rosa schweben
Blüten in der Bäume Kronen,
die uns mit zum Himmel heben,
wo die Frühlingsgötter wohnen.

Du hast im Park an mich gedacht
und mir ein Sträußchen mitgebracht,
das leuchtet nun im Glas
und öffnet meine Büchergruft
dem frühlinghaften Lebensduft
von jungem Laub und Gras.

War ich an dem Totenmale
vor dem Drohenden erschrocken,
läuten jetzt vom grünen Tale
trostvoll schon die Osterglocken.
Untergang ist überwunden,
jeder Zweig zeigt neue Triebe,
und mein Herz hat heimgefunden
in die Zuversicht der Liebe.

Hält treulich eins des andern Hand,
besitzen wir das Heimatland,
wo wir auch immer sind.
Es rauscht im Wind der Osterchor,
es blüht die Welt wie nie zuvor,
die neu mit uns beginnt!


03. 05. 1938

Von Gott verstoßen

Damals war ich meinem Gott nicht fremd,
wenn ich bei den ersten Finsternissen
kindlich fromm, im langen weißen Hemd,
kniete zwischen meines Bettes Kissen
und mit schlicht vertrauendem Gebet
Glück erbat für alle Kreaturen,
kam durchs Fenster an mein Herz geweht
Gottes Atem von den Abendfluren.

Da vernahm ich IHN, auch wenn ER schwieg,
spürte ich, daß ER sich zu mir neigte,
wenn mein Flüstern auf zum Himmel stieg
und IHM meine Seele offen zeigte.
Manchmal war ER tief hinabgetaucht,
dennoch wußte ich, daß meine Beichte,
noch so leise vor sich hingehaucht,
IHN im Meer der Ewigkeit erreichte.

Plötzlich war ER nicht mehr für mich da
(nicht, daß ER mir feind geworden wäre,)
unauffindbar, weder fern, noch nah,
nicht in meiner, nicht in SEINER Sphäre,
und wohin ich, IHN zu halten, griff,
immer faßte meine Hand ins Leere.
Unbeweglich lag mein Lebensschiff
auf dem götterlosen toten Meere.

Häufig, wenn mich Angst und Reue trieb,
wollt' ich SEINE Wiederkehr erzwingen,
hoffte ich, durch Lügen IHM zulieb
SEINE Nachsicht mir zurückzubringen,
spielte ich das unbefangne Kind,
das an seiner Gottheit Langmut glaubte
und das ihm versagte Angebind
kindlich schmeichelnd hinterrücks sich raubte.

Doch ER läßt sich nicht mehr mit mir ein,
weder gütlich, noch gestreng mich richtend,
und ich bleibe unbetreut allein,
mein Gebet ins fremde Schweigen dichtend,
hilflos vor der gegnerischen Zeit,
ausgeschlossen von des Gottes Walten,
drin von Ewigkeit zu Ewigkeit
sich die Seinen bei den Händen halten.


14. 05. 1938

Liebesgemeinschaft in der Fremde

Wir wollen näher aneinander rücken,
und laß mir auch im Schlafe deine Hand!
Nur so ertrag ich der Verbannung Tücken
und bin geborgen in dem fremden Land.
Wenn schlimmer noch die Zeiten sich verstricken
und näher treiben an den Weltenbrand,
befriede meine Furcht mit deinen Blicken
und- laß mir auch im Schlafe deine Hand!

Wie töricht wir uns immer wieder stritten
und spielten sinnlos eins des andern Feind!
Was wir bisher genossen und erlitten,
hat schließlich stets uns fester noch vereint.
Der Menschen Gegnerschaft und guter Wille,
ein Feld, so bunt, daß man vor Wonne weint,
ein öder Bahnsteig in der Abendstille:
Bild hat um Bild uns inniger vereint.

Auch Künftiges kann mein Gefühl nicht schrecken,
wirst du mir fürderhin Gefährtin sein:
wir dürfen vor den Stürmen uns verstecken
in unsrer Liebe heiligem Märchenhain,
und wenn sie draußen ungebärdig wehen,
unmenschlich eifernd Haß und Rache schrein,
bin ich gewiß, den Wahn zu überstehen,
wirst du mir fürderhin Gefährtin sein.

Mag mancher gläubig in die Sterne blicken,
ich les die Zukunft mir aus deiner Hand;
begnadet vor viel anderen Geschicken,
hat meins in deiner Zärtlichkeit Bestand.
Das Schwerste muß getreuer Liebe glücken;
denk' an die Wirren, die sie überwand!
Wir wollen näher aneinander rücken,
und laß mir bis zum Letzten deine Hand!


09. 06. 1938

Entwertete Welt

Du hast ein Gut so sehr begehrt;
doch wenn dich das Geschick bedenkt,
scheint seine Gabe wenig wert,
bist du mit Nichtigem beschenkt.
Erfüllung geht uns nie zupaß,
kommt ungelegen und zu spät.
Auf Zufallslust ist kein Verlaß,
Gunst ist kein Wurf, der stets gerät.
Die Zärtlichkeit hat nicht Bestand,
das Liebenswürdige wird streng.
Der Zuversicht einst weites Land
ist plötzlich unerträglich eng.
Wo nichts als Widriges geschieht,
ein offnes Wort uns nicht mehr lohnt,
der Gute sich verloren sieht,
im Eignen fremd und ungewohnt,
im Fremden ungewollt zuhaus,
so daß es kein Entrinnen gibt,
er teilt sein Herz vergebens aus,
wird nicht gehaßt und nicht geliebt.
Auch ihm ist nichts mehr lieb und leid,
verfehlt Entbehrung und Genuß,
zuletzt zerbröselt seine Zeit
an sinnlos kleinlichem Verdruß.
Kein Überschwang wird mehr gefühlt,
der grundlos ist und wunderbar;
entseelt vergeht und ausgekühlt,
was brennendes Begehren war.


16. 06. 1938

Bedrohter Sommer

So friedlich könnte dieser Sommer sein:
freigebig bunt ist überall ein Blühen,
grün rauscht der Park, und seine Wipfel glühen
wie Alpenrot im Abendsonnenschein.
Nichts Böses ahnend klingt der Vögel Sang.
die Liebespaare arglos sich umarmen,
es findet jeder Bettler ein Erbarmen,
und seinen Schlaf beschützt der Laubengang.
Gleichmütig lullend tönt die Platzmusik,
zufriedne Seelen lauschen wohlerzogen.
Doch das Idyll wird lärmend überflogen:
Propeller knattern immer lauter »Krieg«,
als krächze Raubgeflügel unheilvoll,
die mildgestimmte Welt zum Wahn zu zwingen,
den Sommer um sein Friedliches zu bringen,
als ob er unser letzter werden soll.


24. 07. 1938

Tage der Gefahr

Das sind die Tage der Gefahr:
es hält das All den Atem an.
Ein Fluch liegt auf dem ganzen Jahr.
Geheim wird Gräßliches geplant,
du spürst es unentrinnbar nahn.
Eh deinem Traum noch Böses schwant,
ist Unheilvolles schon getan.
Du möchtest fliehn und bleibst gebannt,
es hält das All den Atem an,
uns ist kein Ausweg mehr bekannt.
Das Leben kommt nicht mehr zur Ruh,
solang die dunkle Drohung schwelt.
Der Unsichtbare sieht dir zu,
bis doch dein Fuß den Steg verfehlt.
Die Welt wankt unter deinem Schuh
und stürzt ins Leere ab entseelt,
ihr Name wird nicht mehr genannt.
Zerstört ist, was uns heilig war.
Das All, das die Vernichtung ahnt,
hält angsterfüllt den Atem an.


01. 08. 1938

Ein letztes Lied

Ein Lied wird mein letztes werden,
ohne daß ich darum weiß:
friedlich bei den Lämmerherden
(rings der Park ruht mittagsheiß)
werd' ich einem Ton nachsinnen,
der mir sonderbar verscholl,
und ein Trostgedicht beginnen,
das ich nie beenden soll.

Oder wird auf Wiesenwegen,
kehr' ich von den Bergen heim,
mir der abendliche Segen
wieder spenden Bild und Reim
und in Worten aufbewahren,
was mich farbenfroh umringt;
doch ich werde nie erfahren,
ob es Gleichgestimmten klingt.

Oder werden nachts dem Kranken,
wenn kein Schlummer mich beglückt,
die verängsteten Gedanken
in das Künftige entrückt,
wo ich schwelge in Gedichten,
die der Stift nicht niederschreibt,
die zuletzt sich selbst vernichten,
weil kein Morgen mehr uns bleibt.

Soll vielleicht mit diesen Zeilen,
deren Weise mich noch wärmt,
mich das Ende schon ereilen,
wenn das Herz noch hymnisch schwärmt,
schwinden plötzlich die Beschwerden,
wird das Leben leicht und leis?
Ein Lied muß das letzte werden,
ohne daß es darum weiß.


18. 08. 1938

Trostverse für eine Verzagte

Du sollst nicht trauern und verzagen,
Dir ist noch Gutes zugedacht:
stets tröstet Dich nach trüben Tagen
die sanfte Friedlichkeit der Nacht;
noch oft wird aus besorgten Nächten
ein schöner Morgen Dich befrein
und von den uns verhaßten Mächten
Dir keine mehr gefährlich sein.

Du wirst noch oft durch Sommerfluren
auf liebgewordnen Wegen gehn,
die Lande, die wir einst durchfuhren,
mit gleicher Freude wiedersehn,
den Bergwald mit den vielen Quellen,
die Wiesen, wo sie rüstig heun,
es werden Wein und Bachforellen
am Abend oft noch Dich erfreun.

Du wirst noch oft im Sand Dich sonnen
(ich seh' vom Strandkorb auf das Meer),
was jetzt noch droht, ist dann verronnen
und das Vergangne wiegt nicht schwer,
Du wirfst Dich wohlig in die Wellen
und balgst Dich jauchzend mit der Flut
und läßt Dich wie ein Fischlein schnellen
durch allen Glanz der Mittagsglut.

Es war Dein Sonntagsglück gewesen,
Dich von der Welt zurückzuziehn,
um ungestört ein Buch zu lesen,
zu lauschen fernen Melodien;
so still genossner Feierstunden
unendliche Verzauberung
wird wieder Deiner Muße munden
als eines Jungbrunns guter Trunk.

Und scheint die Fremde Dich zu halten,
bleibt das Vertraute Dir entrückt,
so wird mit heimischen Gestalten
die Zukunft wiederum beglückt:
Du kehrst, wie einst nach Reisetagen,
zurück durch das bekränzte Tor;
so laß das Trauern und Verzagen,
Dir steht noch soviel Glück bevor!


24. 08. 1938

Rechtfertigung eines Emigranten

Ihr werft mir vor, zuviel zurückzudenken,
die alten Zeiten niemals zu verwinden,
mich fruchtlos ins Gewesne zu versenken
und keinen Weg zur Gegenwart zu finden,
was einst ich liebte, heimlich noch zu lieben,
dem uns Versagten schwächlich nachzutrauern
und, aus dem Heimatlichen schnöd vertrieben,
auf die Versöhnung unverwandt zu lauern.

Wie könnte ich mein Schicksal sonst ertragen
und, redlich denkend, in der Fremde leben,
abseitig, ohne selbst mich anzuklagen
und meine Menschenwürde aufzugeben,
wenn ich zu dem, was mein einst war, nicht hielte!
Es soll doch künftig wieder uns gehören,
der Traum, der heut mit einem Wunschbild spielte,
den wirklichen Triumph heraufbeschwören.

Denn jeder unsrer sorgenden Gedanken,
der Treue hält dem heimatlichen Wesen,
erhebt sich über der Verbannung Schranken,
der Zukunft Trost im Morgenrot zu lesen,
von meinesgleichen nie sich zu entfernen,
bis wir uns alle schließlich ganz vereinen
und wieder uns mit Sonne, Mond und Sternen
wird hold der Heimat lautrer Glanz bescheinen
.


28. 08. 1938

Die Nelken

Der Nelkenduft, den meine Mutter liebte,
weht jetzt mir zu aus diesen fremden Beeten.
Wer dachte einst, ich müßte je betreten
dies ferne graue Land, das ungeliebte?

Wenn ich vom Markt am Samstag Nelken brachte,
fand ich ein Sträußchen bald an jedem Platze,
da meine Mutter mit dem Blumenschatze
den ganzen Schank zum Nelkenhäuschen machte.

Sie selbst trug ein paar Nelken an der Bluse,
und aus dem Bierdunst und der Gäste Lärmen
entschwebte sie mit mädchenhaftem Schwärmen
verzaubert als des Blütenmärchens Muse.

Der Duft umgab uns, wenn wir Verse lasen,
ich und die Mutter, wie verschworen beide,
ganz hingegeben dem erdachten Leide,
und Nelken prangten rings in allen Vasen.

Die Zeiten milder Glücklichkeit vergingen,
die Mutter löste längst sich aus dem Leben,
und mir war es nicht einmal mehr gegeben,
ein Nelkensträußchen ihrem Grab zu bringen.

Nun sucht die fremde Luft, die ungeliebte,
mich plötzlich durch Erinnrung zu verführen,
mit wohlvertrautem Hauche zu berühren,
dem Nelkenduft, den meine Mutter liebte.


02. 09. 1938

Abschiednehmen

Nun ist es Zeit, daß ich damit beginne,
Abschied zu nehmen von des Daseins Gaben,
Daß ich mich nach und nach darauf besinne,
die nagenden Begierden zu begraben.

Noch hab' ich an so vielem ein Behagen,
genießen möcht' ich wie in Jugendtagen,
und weiß: die Trennungsstunde hat geschlagen,
es mahnt mich mählich, Lebewohl zu sagen.

Zu Ende sind für mich die frohen Zeiten;
es gilt, sich auf das Schlimmste vorbereiten,
denn auch des Lebens kleine Freundlichkeiten,
sie fangen an, von selbst mir zu entgleiten.

So wag' ich nicht, mich länger zu belügen;
das Spiel ist aus, im Guten wie im Bösen.
Dem Unvermeidlichen will ich mich fügen,
mit Anstand mich aus der Umarmung lösen.

Den heimatgleichen Fluß im Wiesentale,
den gutgemalten Wald im Bildersaale,
der Astern Farbenvielfalt in der Schale,
das alles grüß' ich wie zum letzten Male.

Als könnt' ich morgen schon es nicht mehr sehen,
bleib' ich am Schwanenteiche länger stehen,
vor der Umzäunung mit den zahmen Rehen,
und lasse stärker mir die Welt geschehen.

Schon schenkt das große herbstliche Verschwenden
die Friedhofpracht der bunten Chrysanthemen,
das Schauspiel doch in Schönheit zu beenden.
Es dunkelt rascher. Ich muß Abschied nehmen.


28./29. 09. 1938

Gebet um Frieden

Laß Dich diesmal, Gott, erweichen
von den bangenden Gebeten,
aus den fernen Himmelreichen
sichtbarlich hervorzutreten
und gebiete Halt dem Morden,
gib den Zweifelnden ein Zeichen!
Deine Welt ist toll geworden;
laß Dich diesmal, Gott, erweichen!

Laß den Haß das Spiel verlieren,
mach' die Kriegerischen milde!
Schenk' den Menschen und den Tieren
wieder friedliche Gefilde,
wo sie ihr Geschick erleben,
günstige und schwere Stunden,
dem Natürlichen ergeben
und an keinen Wahn gebunden!

Laß den Frevel nicht geschehen,
die Verwüstung Deiner Erde!
Laß Dich bei den Deinen sehen
als Beschützer Deiner Herde,
laß die Ställe nicht zerstören
und die Weide nicht vergehen!
Höre, wie wir Dich beschwören:
laß das Schlimmste nicht geschehen!

Soll der Schrecken ohne Ende
Tag und Nacht zur Hölle machen?
Deine Friedensengel sende,
unsre Wege zu bewachen!
Die Vertrautheit Deiner Sterne
leuchte unserm Traumentrinnen!
Alle Drohungen entferne,
laß den Morgen gut beginnen!

Laß uns Deine Hand erreichen,
die uns aus den Wirren löse!
Laß die dunklen Wolken weichen
und verstummen das Getöse,
daß wir endlich Dich erkennen
und sich Deiner Liebe Zeichen
kann in unsre Herzen brennen!
Laß Dich diesmal, Gott, erreichen!


29./30. 09. 1938

Kriegerische Wandlung

Hier weiden friedlich sonst die Lämmerherden,
die Menschen freun sich an der Blumen Pracht;
und morgen soll der Park zum Schlachtfeld werden
und Giftgas strömen durch die Sternennacht!

Wo jetzt noch Buben harmlos Fußball spielen
und man die Drachenschnur geduldig hält,
wird ein Geschützrohr in die Lüfte zielen,
aus denen plötzlich die Vernichtung fällt.

Das uns vertraute Laubwerk der Gesträuche
muß dann dem Hinterhalt Verhüllung sein,
und die verhaßten kriegerischen Bräuche
gehn mählich auch den Sanftgesinnten ein.

Ich hoffte, niemehr sollte dies geschehen,
daß sinnlos sich die Menschheit selbst zerfleischt
und, wo heut sanfte Friedensprediger stellen,
der Hetzer morgen Kriegerisches kreischt.

Ich ahnte nicht, daß immer dicht daneben
das Drohende beim arglos Milden wohnt.
Nun bleibt der Schatten über meinem Leben,
hat es für diesmal auch uns noch verschont.


22. 10. bis 02. 11. 1938

Zürcher Zwischenspiel 1938
(Für Ulrich Becher)

Ein Traum, so unverhoff t genaht
und allzu bald verweht:
wie seltsam, daß den Wiesenpfad
man wieder glücklich geht,
auf Stadt und See hinunterschaut,
den Abendglocken lauscht,
sein Luftschloß auf die Höhen baut,
wo sanft der Herbstwind rauscht,
wenn man vom nächtlichen Balkon
die Lichterkette grüßt
und als der Lust verlorner Sohn
sein Einsambleiben büßt.
Und doch fühlt meine Einsamkeit
sich hier noch heimatlich,
als ob mir nicht soviele Zeit
befremdlich fern verstrich;
der Schritt glücksucherisch durchstreunt
die Gassen wohlvertraut,
und jeder Brunnen spricht als Freund
mit liebevollem Laut,
es lädt mich jede Wirtschaft ein
und meint es gut mit mir:
schon hocke ich beim Glase Wein,
als blieb' ich immer hier.
Bis der erzwungne Abschiedsgang
zum Hügelwalde steigt,
der uns den ganzen Überschwang
herbstfroher Farben zeigt
und macht die Trennung doppelt schwer,
und bitter schwant mir schon,
es gebe keine Wiederkehr
für den verlornen Sohn.
Dein Nebel weicht der Wiesenpfad,
die Stadt am See vergeht -
Der Traum, so unverhofft genaht,
ist allzu rasch verweht.


12. 12. 1938

Lots Weib

Es ist zuviel, sie kann es noch nicht fassen,
daß ihr bestimmt ist, so davonzugehn,
für immer ihre Heimat zu verlassen
und nicht nach ihrem Gut zurückzusehn,
sich nicht mehr umzuwenden, was auch werde,
ob ihre Stube auch zu Staub verbrennt,
daß ihren Lieblingsplatz auf dieser Erde
der eigne Blick fortan nicht mehr erkennt.
Dort saß sie eben noch in ihrem Sessel
und nickte ihrem Spiegelbilde zu,
das Kaffeewasser brodelte im Kessel,
die Seele schwelgte in Nachmittagsruh,
und plötzlich läuft man sinnlos, wie vertrieben,
läßt sie das ihr Gehörige im Stich.
Ihr schönstes Kleid ist dort im Schrank geblieben,
am Tisch das Brot, das sie mit Honig strich,
die Uhr tickt noch, als wäre alles sicher,
vielleicht schellt grade jetzt das Telefon,
und ihre Flucht dünkt ihr bald kümmerlicher
und wie Verrat an ihren Schwestern schon.
So willenlos der Panik zu verfallen!
Vermutlich ängstet man sich ohne Grund.
Die Glocken hört sie noch wie gestern schallen,
und munter bellend springt um sie der Hund,
der das Gefährliche doch immer wittert,
bevor der Menschensinn es noch gewahrt;
so bangt sie nicht, wenn auch der Boden zittert
nun unter ihrer jähen Flüchtlingsfahrt.
Nur das Verbot, sich nicht mehr umzublicken,
so lang sie sehn kann, nicht den Liebesblick
nach dem Entschwindenden zurückzuschicken,
liegt ihr als schweres Joch auf dem Genick.
Doch nein, so weit wird sie sich nicht ergeben:
sie rafft sich auf, sie strafft sich und bleibt stehn
und wagt es, nach dem doch verlornen Leben,
dem ihr verbotnen Glück, zurückzusehn.
Sie steht und steht und kann sich nicht mehr trennen,
sobald das Heimische vor ihr erscheint,
sie glaubt den Rathausbrunnen zu erkennen,
die Statue, zu der sie selbst versteint,
nicht mehr von ihrer Stelle zu bewegen,
so sehr das Hündchen an der Leine zerrt,
und ist gefangen in dem Feuerregen,
der jeden Weg ins Freie ihr versperrt.


16. 11. 1938

Bäume im Exil

In der Stadt verlornen Zwischenräumen,
die sich überheblich Gärten nennen,
läßt sich, rauscht es herbstlich in den Bäumen,
die Musik der Wälder noch erkennen,
singt das Ungebundne seine Sage,
Lieder längst versunkner Paradiese,
und gedenkt bewegter Wildnistage
mit dem herben Duft der nahen Wiese
und der Stämme seltsam heisrem Knarren,
wo der Wasserfall am Felsen schallte
und ein Quell, verborgen unter Farren,
die geheimnisvolle Losung lallte,
wo vielleicht ein Liebespaar, umschlungen,
wesensgleich den Wolken und den Winden,
eins von den erwählten, ewig jungen,
durfte eine Spur der Gottheit finden.
Aber, nahn die Abendschatten schneller,
liegen die entlaubten Baumskelette grau,
verkommen in dem Nebelkeller,
wie Gefangne, hilflos an der Kette,
magre Arme durch das Dunkel schwingend,
daß der Straßen Gnade sie beachte,
ihnen ihre Freiheit wiederbringend,
sie erlöse aus dem Häuserschachte.
Doch des Lebens ungerührtes Treiben
sieht verächtlich auf die dürren Besen,
und verlassen, irr vor Ohnmacht bleiben
die um ihre Welt gebrachten Wesen,
wie in allzu engen Käfigräumen
Tiere rastlos auf und nieder rennen,
daß Verbannte in den Unglücksbäumen
nur das eigne Fremdlingslos erkennen.


Dezember 1938

Am Jahresende

Auf dem vereisten Teiche stehn die Schwäne,
und hilflos blicken wir einander an.
Wo bleiben nun die ernst gemeinten Pläne,
mit denen ich das alte Jahr begann?

Nur wenig Tage hat es noch zu spenden,
und meine Reue kommt, wie stets, zu spät:
es ist versäumt und muß unrühmlich enden,
weil kurz vor Toresschluß nichts mehr gerät.

Soviel getreuer Vorsatz ward verraten,
nun sind wir eingefroren, Mensch und Schwan.
Es unterblieben die notwendigen Taten,
doch das Unnütze wurde gern getan.

Leichtfertig hat man seinen Tag verzettelt
und üppig seinen trägen Stolz genährt,
daß der Verschwender mittellos jetzt bettelt,
ihm sei noch einmal eine Frist gewährt.

Doch nichts darf sich hinieden wiederholen,
Versäumtes bleibt in Ewigkeit versäumt;
hast du dem lieben Gott die Zeit gestohlen,
so wird dir kein Kredit mehr eingeräumt.

Es wächst die Schuld, du kannst ihr nicht entrinnen,
bald fehlt dir, sie zu tilgen, Gut und Kraft.
Gelübde, die das neue Jahr beginnen,
sie werden schließlich lautlos abgeschafft.

Du willst nicht wissen, wie sie enden mußten,
und weißt es doch, und wie du enden mußt,
wie du an selbstverschuldeten Verlusten
mählich verblutest, ist dir wohl bewußt.

Und dennoch mach' ich wieder ernsthaft Pläne,
wie ich für jedes Jahr sie mir ersann.
Es dämmert. Fast unwirklich stehn die Schwäne,
und fragend blicken wir einander an.


Ende 1938

Neujahrs-Zuversicht

Wieder aus Freuden und Leiden
aus Genuß und Gefahr
immer gemeinsam uns beiden,
wob sich ein fragliches Jahr;
wenn wir uns langsam jetzt lösen
von dem gelockerten Seil,
bleibt es im Guten und Bösen
doch unsres Leben ein Teil.

Dir verdank' ich das Gute,
Dir auch des Schlimmen Verzug
das ich mit besserem Mute,
wenn ich Dich spürte, ertrug,
und als von Stunde zu Stunde
Drohendes näher uns glitt,
stand ich auf sicherem Grunde,
weil ich nichts einsam erlitt.

Sind wir wie auferstanden
doch aus Todesgefahr:
wieder ist alles vorhanden,
was unser Leben war,
liegt am Kamine die Katze,
grüßt uns ein Blumenstrauß
alles an seinem Platze
ist wieder heil und zuhaus.

Und so soll es sich halten
auch in dem künftigen Jahr,
wieder sich fraglich gestalten
mit Genuß und Gefahr,
wieder im Ganzen ergeben
unter Sonne und Mond
unser gemeinsames Leben,
das sich zuletzt doch lohnt!


Anfang 1939

Odysseus 1939

Odysseus, Dulder, viel umhergetrieben
und weiter von der Heimat stets entrückt,
hast du dir auch ein Trostgedicht geschrieben,
hat dich die Sehnsucht allzusehr bedrückt?
Ein fremdes Meer umrauschte die Kajüte,
ein fremder Himmel hat sich fremd besternt,
doch die Vertraute bleibt dir im Gemüte,
so sehr sich deine Fahrt von ihr entfernt.

Sirenensänge konnten dich verlocken,
auch wenn sich deine Treue willig band:
verweht war das Geläut der Heimatglocken,
das fremde Lied folgt dir von Land zu Land.
Und immer wieder gab es Auf enthalte,
ein Inselparadies, das dich behielt
und dich verjüngte, und warst doch der Alte,
mit dem die fremde Jugend spöttisch spielt.

Unfaßbar war die Zauberin gewesen,
die dir das Vieh in Deinesgleichen wies;
du durftest auch den letzten Segen lesen,
der alle in das Menschliche entließ.
Gern wärst du außer jeder Pflicht geblieben;
jenseits von der verwandelnden Gefahr,
und ahnst nicht, wieder längst umhergetrieben,
verging ein Augenblick, verging ein Jahr?

Vergeblich schmeichelte der Nymphe Werben,
die deinem Ruf Unsterblichkeit versprach;
dir geht es nicht um Leben oder Sterben,
nur um die Heimkehr in dein Schlafgemach.
nach Ewigkeiten wie dereinst zu liegen
ganz ohne Angsttraum wieder und Beschwer,
an der Getreuen Hüfte dich zu schmiegen,
und fern verrauscht ein fremdes Märchenmeer …

Am Hades-Eingang standen deine Toten
in stummem, unverständlichem Verzicht
und kannten nicht die Nöte, die dir drohten,
und auch des Abenteuers Prickeln nicht.
Wenn sie dir nun die Hände hilfreich boten;
dich aufzunehmen in ihr starres Reich,
warst du schon wieder auf dem morgenroten
Meere der Unrast seiner Fluten gleich.

Wie oft hast du die Lotosfrucht gegessen,
die jedes Heimweh aus den Sinnen weht,
und bliebst doch von dem einen stets besessen:
ob noch der Baum zuhaus im Garten steht,
von ihm dir die gewohnte Frucht zu pflücken,
mittags zu ruhn in seiner Schatten Schutz -
siehst du ihn wieder, liegt er längst in Stücken,
in Schmutz verkommen und zu nichts mehr nutz.

Du Niemand, nicht den Riesen nur zu trügen,
dir selbst zum Leide immer fremd, allein,
auch heimgekehrt von all den Irrfahrtzügen
wirst du den Deinen noch der Niemand sein,
kennst du dich nicht mehr aus in ihren Worten,
ist ihnen dein Gehabe nicht vertraut,
scheint fremder als in allen fremden Orten
das Bild der Heimatstraßen umgebaut.

Dein Hündchen wird dich nicht beglückt umbellen,
der Sohn inzwischen ist ein fremdes Ich,
kein Freier wird sich dir zum Endkampf stellen,
und keine Liebe wartete auf dich.
Du kannst den alten Bogen nicht mehr spannen,
die Kraft der Hand, der Seele ging uns aus,
weil unsre Zeiten überall verrannen,
und auch wer heimkehrt, kommt nie mehr nach Haus.


16. 10. 1938

Kassandra seit 1933

Es war ein Sonntag, ähnlich vielen andern,
in der uns noch vertrauten Stadt Berlin,
gemacht, um froh im Grunewald zu wandern,
da uns die Welt noch voller Frieden schien.
Man konnte auch zuhaus im Sessel bleiben
mit Backwerk und Likör und einem Buch,
vielleicht am Rundfunk sich die Zeit vertreiben -
doch aus dem Rundfunk tönte schon der Fluch:
es belferte die Rachsucht losgebunden,
es stampfte schon der Marsch der Mörderschar.
Da wußtest Du, daß unser Sonntagsstunden
harmlose Traulichkeit vernichtet war,
daß niemehr wieder uns beglücken sollte,
was doch bis heut als unser Leben galt,
das Land, in dem man würdig altern wollte,
sich wandelte zur feindlichen Gestalt.
Du wußtest, was wir uns zu glauben sträubten,
daß nun der Weltenuntergang begann,
und während wir mit Träumen uns betäubten,
die Träne über Deine Wange rann.

Die Zeit verfloß, mit ihr auch manche Zähre,
und guten Mutes warst vielleicht selbst Du,
still hoffend, daß der Fluch entkräftet wäre.
An jenem Abend gingst Du früh zur Ruh.
Als plötzlich Dich das Telefon aufstörte:
»Der Reichstag brennt!« Da schliefst Du nicht mehr ein;
Du fühltest, was uns heimatlich gehörte,
von nun an würde es verloren sein.
In unsern Koffern fingst Du an zu kramen,
verweiltest Dich bei dem und jenem Stück,
noch einmal sprachst Du ihre Kosenamen,
und ließest sie, und sahst nicht mehr zurück:.
Als wir, unwirklich noch, im Nachtzug saßen,
der uns ins dunkle Unbekannte trug,
der Blick durchs Fenster auf die Heimatstraßen
zum letzten Mal sein Kreuzeszeichen schlug,
da wollte niemand deiner Warnung glauben,
man sprach zu Dir, wie man zu Kranken spricht,
und ließ sich ungern seine Ruhe rauben
und scheute Dein vergrämtes Angesicht.

Es ist seitdem uns nicht so schlecht gegangen:
auch in der Fremde war uns Vieles gut,
es tröstete der Bergwind unsre Wangen,
des Meeres Lied belebte unser Blut.
Doch wenn wir uns versuchten zu gewöhnen
und einer neuen Glücklichkeit zu traun
und wollten uns mit dem, was ist, versöhnen,
Das Häßliche beschönigend beschaun,
hat wieder Dich die große Angst befallen,
schien Dir der jüngste Tag unheimlich nah,
Dein Zukunftsblick den bleichen Larven allen,
wie einst Kassandra, ausgesetzt sich sah,
wie sie bist Du verdammt, vorher zu wissen,
was doch Dein Wille nicht verhindern kann,
bevor noch in den tiefsten Finsternissen
der Dämon seinen bösen Plan ersann.
Zum Wächter des Gewissens uns gegeben,
damit kein Herz in Trägheit sich verschließt,
vermagst Du nie mehr arglos zu erleben,
was Dein Gefühl erleidet und genießt.


Anfang 1939

Fiebernächte

Er wohnt in mir und läßt sich nicht verjagen,
auch wenn Er sich geraume Zeit nicht zeigt,
seit jenen mörderischen Krankheitstagen,
ein ungebetner Gast, der immer schweigt,
und den ich doch in meinem Blut empfinde,
wie Er heimtückisch seiner Stunde harrt
und aus dem spiegelnden Schlafzimmerspinde
mir stets bedrohlich in die Augen starrt,
bis ich mich seinem bösen Willen füge
und lösche die vertrauten Lichter aus
und bin allein mit meiner Lebenslüge
vor seinem Spiel der Katze mit der Maus.
Da kann mich die Vergangenheit nicht retten,
da ist die Zukunft meine Sterbezeit,
da steht mein Bett von allen andern Betten
entfernt um viele Wirklichkeiten weit,
daß meine Hilferufe lautlos bleiben
und keine Zeugenschaft die Martern kennt,
die mir den Angstschweiß aus den Poren treiben,
wenn sich der Schmerz in meine Nerven brennt.
Denn jetzt beginnt das ungleich schwere Ringen,
mit dem der Würger grausam sich vergnügt,
mit festen Griffen wird er mich umschlingen,
bis ihm die Größe meiner Furcht genügt,
und wieder seine Fänge von mir lassen,
damit ich wähne, daß ich ihm entging,
und plötzlich wieder meine Kehle fassen,
mich abzutun zum unbeseelten Ding,
um nachher mich aufs neue zu beleben,
indem er mit Gesichten mich durchjagt,
die, rasch sich wandelnd, durcheinander schweben,
daß jeder Halt sich meinem Hirn versagt,
mit ihrem Aberwitze mich verwirren:
schon kreist die eigne Sucht im gleichen Rund,
ihr schwindelt es, schutzlos fliegt sie im Irren,
fern allem Himmelstrost und Erdengrund,
vergebens will sie an ein Bild sich klammern,
da hat ein andres schon sie mitgezerrt.
Die Nächte wurden mir zu Schreckenskammern,
und einmal bleibt vielleicht ihr Tor versperrt.


 

 Teil 3 der Gedichte aus - "Letzte Gedichte"