Vermischte Gedichte
1906 bis 1916
erschienen 1924
im Ernst Rowohlt Verlag, Berlin
Inhalt
Auf eine angeschossene Taube, die der Dichter fand
In das Stammbuch meines Kommandeurs im Felde
Der Mann und die Liebe - Versagung
Als das geschlagene Russland Frieden schloss
Der Mann und die Liebe - Venus im Fenster
Der Mann und die Liebe - Nacht vor Settignano
Der Mann und die Liebe - Nigella hispanica atropurpurea
Der Mann und die Liebe - Abetone
Der Mann und die Liebe - Absage
sämtliche Gedichte von Rudolf Borchardt
Auf jedem Ein- und Ausgang meines Lebens
Trag ich, wie deine Sache, deine Siegel:
Mich zu eröffnen sucht die Welt vergebens,
Du tust mich zu und sitzest vor dem Riegel.
Du füllst mich, wie dein Antlitz deinen Spiegel -
Du hast die Zelle meines tiefsten Bebens,
Mein Innerstes, hast du mit dir beschrieben;
Und es erfolgt für mich: Ich muß dich lieben
Mit jedem Ein- und Ausgang meines Lebens.
Ενάζ? ξένος μέλεα βαρβάρος
Eur. Bacch.
Zwischen Greif und Sphinge schreitend
Kam der Rosen-Übergoßne
Unerforschtem Tal Entsproßne
Mit dem goldnen Horn.
Neben seinen Füßen gleitend
Schlichen Panther, und es scheuchten
Nackte mit erhobnen Leuchten
Sie von seinem Pfad -
Wind des Abends, Wind der Frühe
Inselher vom Meere fliegend
War dem Wink des stillen Gastes
Duftender bereit:
Aus dem Horn der braunen Hände,
Süßer als die Milch der Kühe,
Floß der Strom und nie zu Ende
Seinen Weg entlang,
Hain, darin die roten Hirsche,
Ernsten Löwen in die Fährte
Laufen, wo ein Aufgebäumtes
Züngelt durch das Grün -
Aus dem Haus der wilden Kirsche
Fordert er die Blutversehrte,
An den Trunk die Fremdgesinnte
Heilig Wohnende. -
An das Blut das ausgefloßne,
In die taube Luft verschloßne,
Fürchterlich gewordne Leben,
An den Trunk den Durst!
Wie sie im Entrückten horsten,
Vogel schrein und Fittich schweben,
Wie sie rennen in den Forsten
Hinter einem Raub,
Wie sie lauren, wie sie kauren,
Wie sie stutzen, käun und liegen, -
Herrn der Öde, Herrn der Rode,
Ziehn sich an den Duft:
In den Duft wie wilde Fliegen
Fahrend hinter einem Tode,
Reisen witternd die Kentauren
Durch den heißen Wald.
Aber die Verhüllte lehnte
Immer bei der Quelle wallend;
Bach hinab durchs Laue dehnte
Eine sich und sah -
Aus des Laubes tiefsten Nestern
Zu den Felsen widerschallend
Hallend schickten sich die Schwestern
Einen großen Schrei,
Und sie kamen. Aus den nackten
Pässen, aus der weißen Hölle
Der Gebirge, aus den Gluten
Des entbrannten Tags,
Durch die springenden Gerölle
Warfen Nackte sich wie Stuten
Fiebernd mit empörten Flanken
Hang um Hang zu Tal, -
Wem zu nahen? Was zu werben!
Welches Graun des Ungemeinsten
Zu ergreifen sind die Reinsten,
Die Heroen da!
Oder welches Graun zu geben,
Denen alle Zehnten sterben,
Daß sie fern dem heilen Leben
Sitzende, versühnt
Blut und Singen und das Zittern,
Salz und Samen des Lebendigen
Zögen in den hunderthändigen
Immer hohlen Neid?
Denn es ward den Heiligen Zwittern
Zwischen Gott- und Menschen-Ehren
Dies Entbehren, dies Erbittern
Am erzwungenen Tisch,
Und von ihnen kehrt das Leben
Königlich im Gold der Veste
Wuchernd in den weißen Höfen,
Fiebernd, singend, seine bangren
Jüngren Augen ab, -
Saal an Sälen, Gau an Gauen
Schwillt vom dumpfen Lied der Schwangren,
Reiner Wind von Süd und Weste
Trägt das Lachen schwerer Frauen
Aus den Kammern fort,
In den Lärm von Zug und Jagden
Schlag von Stühlen, wo sie weben,
Lärm beim Mahl, und Blut und Fettes
Haben sie vollauf -:
Ihnen steht zu Brust an Brüsten
Ewig stark des süßen Bettes
Wonne weit getan, es rüsten
Tag und Nacht die Kraft
Wie der Lampe, und die Viere
Schwester Zeiten ihres Jahres
Treiben Himmel auf die Stiere
Wie durch dunkles Feld. -
Brache, Saat und Blust und Ernten
Sehn sie braun und greisen Haares, -
Nie den mörderisch Entfernten,
Erst im Sprung den Gott!
Ah! So gehe zur Olive
Ein Erhabner sich zu kränzen!
Gießend zwischen Neid und Neide
Stehe einer auf!
Eide sinds, und nicht gehalten!
Einer holt die neuen Eide!
Die Geschlechter, die Gewalten,
Einer bindet sie!
Neue Eide müssen kommen,
Daß die Flur der Tausend Trachten
Nicht ermüde, noch der Frachten
Die beladne See!
Aber wo, und wie, und wannen
Gehn mit Kühen, stehn mit Kannen ?
Wie verkündet, wie vernommen
Heiligen den Bund?
Kann es aus den Tiefen kommen?
Zwischen Korn und Nattern keimen?
Zwischen Tod und Brot gefüttert
Wachsen in das Licht?
Oder zwischen nackten Schleimen
Kam es fahrend? sanft erschüttert?
Über einem Schiff geschwommen,
Von den Eilanden?
Zwischen Tod und Leben reisend
Lacht der Rosen-Übergoßne, -
Gegen die Geleite kreisend
Wirft er sich herum,
Wirft, und reißt zu neuem Werke,
Die Verschlungnen in sein Kommen,
Chöre der begrabnen Stärke
Vorwärts in den Weg, -
Und er hat in starke Schließen
Seiner Arme, link und rechten,
Welche Beute eingefangen!
Nacken, welches Haar!
Und er gibt den großen Wangen
Niederab das veilchene Gießen
Seiner Barte, seiner Flechten,
Und er gibt den Mund
Schwarzes atmend in das schwerste,
Tödlich aufgetane Schlürfen -
Ein Wie-wieder-Schlafen-dürfen
Wild gemischtes Gift -
Zückender, als in des Buhlen
Klammern Mund auf Mund vernichtet
Sich entStürzen, und das Erste
Aufgeopfert sein
Wie ein tiefstes Sich Erinnern
An das Tobende von Flöten,
Wut von Pauken, Rausch von Fluten,
In sich finden bei dem tiefsten
Erbe allen Bluts -
Sucht bei menschgebornen Süchten,
Sterngleich bürdelos zu funkeln,
Reißend mit dem Tier zu töten - -
Flüchten aus der Angst des Fleisches
Um sein Rings und Stets.
Denn sie langt, in seinen Griffen
Abwärts taumelnd, mit betäubten
Armen langsam, wie nach Kronen
In die Dämmrung auf -
Greift, und greift Hinaufgehäuftes:
Zwischen Fingern ihr von Häupten
Geist in ihre Schauder träuft es -
Blut und Mund in eins -
- Blut, o Du nicht! Du nicht Diesen!
Leib nicht, wie sie dich umheulen!
Dies Besiegeltsein mit Gliedern
Nicht ein zweites Mal!
Alles Blut, es lehnt mit Liedern
Aus den Bängnissen, - mit Riesen -
Armen seines Säul an Säulen
Aufgewölkten Rauchs
Groß gestützt bei seinen Malern,
Von den Tausend Lehen steigend,
Volk an Volk in allen Tälern
Gassen auf gestaut,
Hin und her erkannt mit Rufen,
Ruhlos fieberhafter schweigend,
Fallend Stufen über Stufen
Tiefer in die Welt,
Daß es allen Eid begrabend,
Eide unerhört erneure,
Schwillt das Leben in die Stunde,
Da es sich verwirft -
Sinnlos links und rechts die Runde
Blickend, sitzt das ungeheure
Aufgebaut in seinem Abend,
Und begreift die Last
Der Bereitschaft in den Adern
Nicht so dumpf, wie das zerrissen
Badende des ungewissen
Erstgebornen Sterns -
Königs Gold und alle Gemmen
Auf der Herrschaft seiner Hände,
Dies zu schwer mit zu viel Kämmen
Dies, mit Fett und Ruch
Aus Lebendigem, und der Tugend
Heiliger Bäume aufgebundene,
Mit Vergötterung großer Nächte
Vollgeküßte Haar,
Alles lähmender gebundene
Vorwärts wachsen in die Mächte,
Vorwärts lagern seiner Jugend
In ein Ewiges
Nicht so starrend, wie die Schluchten,
Finster blühend mit gefeiten
Wildnissen, wo alle Leiten
Münden in Verdacht -
Nacht ist auf, die kein genaues
Weiß, noch ihrer Ewigkeiten
Sättigung, noch vielen Taues
Die Genüge will,
Noch ein Maß im Über-Reichen,
Noch ein Festeres im Weichen,
Noch im Wüsten ihres Stammelns
Eine letzte Scham:
»Schamlos schrei ich meine Klage, -
Ja, mich schaudert meines Lebens!
Untergang, nimm meine Tage,
Dunkel, meinen Schoß!
Schoß gib deine Nacht, und, Ader
Deinen Abgrund, - Ungeheuer,
Laß dich fassen, schwelge, Feuer
Mich aus mir hinweg -
Wasserfall und Winde, mannt mich,
Lust verschleudre mich, ach Hader
Ende du mich, Bühle, bannt mich,
Berge fallt auf mich!
Fort, Gesichter, die ich ehrte!
Her, in ein Gemächt verkehrte
Sehnsuchtsschauder meiner Ängste, -
Ach, daß über mir wie Hengste
Raste euer Riß!
Hört ihrs, was ich will! Und wollts jetzt
Nehmen oder nicht? Mir geben
Oder noch nicht? Ah, so sollts jetzt
Anders hören noch, mich Leben,
Götter, zu euch schrein!
Messer her, und her mit Knütteln,
Brecht sie euch aus Wäldern, Keulen, -
Wach zu heulen, weh zu rütteln,
Zu ermorden, kommt!
Nimm, ins Kraut geduckter Panther,
Abscheu, diesen Schrei Entmannter,
Schrei Zerstampfter, Überrannter,
Totgebuhlter, nimms -
Tod oh komm, du einzig Reiner,
Leib vergeh, mich ekelt deiner,
Sattheit, - wenn du irgend wannen
Zwischen Stern und Kluft
Nie Ersättigten ein Essen
Aufbewahrst, komms in mich pressen.
Gänzlich, dran wir uns vergessen
Zwischen Kuß und Gruft!«
Zwischen Tod und Leben brausend
Meisternd das in Eins Geschlossne
Tanzt der Rosen Übergoßne
Ins Geschick der Welt -
Haut den Zauber aus der Traube
Stampft sich Wildernis zur Laube
Strahlt aus jedem Einen Tausend, -
Einverleibt, erschlägt,
Leiht dem Tode unabwendigen
Schoß und Küsse des Lebendigen,
Klammert in des Todessüchtigen
Armepaar den Rausch,
Täuscht die Hälften in das Ganze,
Schmilzt das Derbe mit dem Flüchtigen,
Geist und Tier und Fels und Pflanze
Kreisen ins Gestirn.
Hinter ihm das Fürchterliche
Schmeichle sich die Furcht ins wilde
Tänzer Brautbett, dem Gefilde
Schwarz aus Monde lacht,
Vor ihm raffe sich Entseeltes
Leidenschaft in den verschmolzenen
Kuß gepaarter Jagd, Gequältes
Wisse nichts von Qual, -
Und dem Einsamen Versühner,
Wirbelnd um den Stab der Zauber,
Drum der Sternendämmer grüner
Nächtiger Tage gleißt,
Ihm begegne zwischen Heeren
Beiderseits sein Spiegelbruder:
Angetan mit seinen Ehren,
Schauerlich ihm gleich,
Festlich lallend, grausig eitel,
Einen Reigen um sich reizend,
Reben von den Fingern spreizend,
Kranz um die vermummten Scheitel, -
Hefen ums Gesicht
Malend mit dem bunten Ballen,
Zu erschüttern, zu gefallen,
Und sein Selbst nicht mehr zu achten,
Abgesprungen, in die Trachten
Zwischen Ich und Nicht.
Priester hier und Heiland jener,
Heilige beide in der Paarung,
Tanzen sie die Offenbarung,
Wirbeln sie in eins -
Um sie hunderttausendfaltig,
Alle Paarungen unkenntlich,
Göttermenschlich, menschgestaltig,
Schwillt die Kreatur, -
Bis die Seele, die sich leidet,
Bis das Leid, das seelenlose,
Nicht die Leidenschaft der Rose,
Nicht die Nachtigall beneidet
Schütternd im Gebüsch:
Klingend ist ein Licht erglommen
Über Frieden aller Tiefen:
Wald und dunkle Wiese triefen
Über Schlummern seiner Frommen
Schluchzen ihres Traums.
Ich bin gewesen, wo ich schon einmal war:
Mai und der Juni waren mein Weggeleit;
An ihren Händen bin ich wieder
Zwischen die Hügel hinein gekommen
Und kannte fast die Wege nicht mehr; doch ging
Mir untern Füßen, wie sich durch Morgenrauch
Der Bau der Landschaft unerschüttert
Gegen den scheinbaren Aufruhr herstellt,
Der Trost der stillen Erde im Herzen auf:
Denn es bewölkt das Himmlische Teil in uns
Das Irdische mit seiner Schöpfung,
Eh es uns tagt; und es tagt nicht jedem.
Hier saß ich nächtlich; hörte vom Mäuerlein
Des Weinbergwegs den wachsenden Laut, den Laut
Der tief verhohlenen Gewässer
Neben den Betten der Eingeschlafnen -
Hier kreuzte meinen steigenden Pfad der Weg
Der wilden Dirne, die aus der hintersten
Talschaft des schwarzen Hochgebirges
Hölzerne Ware gehäuft zu Markte
Gewaltigen Schritts mir singend vorübertrug,
Friedloses Goldhaar über der Götterstirn
Sich bändigend, und keusch wie Tiere
Fahrend in all ihrer Pracht des Leibes. -
Hier sprach ich: »Mischleib, Nymphe, Hamadryas:
Nur noch so lang, wie nun dein beschlagener
Fußtritt bergab nicht ganz verhallt ist,
Wie dir das Ohr in der Luft noch nachsingt -
Nur noch so lang den Ewigen Schöpfungstag
Durch deine Augen sehn, wie er niederfährt!
Nur noch so lang durch deine Nüstern
Ziehen den Atem wie Ersten Nachtwinds!
Dir scheint die Sonne, fruchtet der Regen; Feld
Und Herde nährt dich; Schauder und Kuß verheißt
Dir die Unendlichkeit des Schoßes;
Aber wir Anderen sind nicht glücklich!«
Hier sprach ichs; wo ich Hügel hinauf, hinab
Im dichten Frühduft gegen die Höhe zu
Beschäftigt strebe; hier von wo mir
Eben mit Sonne mein Haus hervor ahnt.
Denn anders dünkt den eben von Himmeln her
In Leib verbannten bäumenden Geist der Grund
Unstet, dran er, Geblüt des Cherubs,
Kind des Gestirns, wie ein Gast sich umtreibt,
Und anders wohl den Erde verwaltenden
Mühseligen Vogt des Himmels, den Halbgott Mensch,
Der für den Stand der hundert alten,
Tausend urältesten Vesten einsteht,
So wahr er selber mitten durchs winkende
Dickicht des alten zaubrischen Unbestands
Die Grenze zieht, und dort den Gott setzt,
Wo er ein bitter Geliebtes aufgibt. -
Hier wars der Duft; hier ist es das Blau: bin ich
Gewesen, wirklich, wo ich schon einmal war?
Ich bins: des sei mir Zeuge, Sonne,
Seit du auch mir zu bedeuten aufsteigst -
Wie du den Tau trinkst, drin ich auf Knieen bin,
Den Kelch erschließest, den ich erreichen kann -
Dem braunen Pflüger, der, den Stieren
Fluchend, das Eisen im Lehm herumzwingt,
Den ersten Schweiß am Halse herniedertreibst -
Wie du im weißen Hofe am Straßenrand,
An dem ich wie im Traume streife
Mächtiger durch die Gewalt des Feiglaubs
Schon dringst, so daß man Schalter verschließen kommt:
Und legst den schönen Töchtern der Bauerschaft
Gold Gottes über die unnahbarn
Schlafenden, heiligen Angesichter.
Der Becher
Becher Wein, du blickst mich an
Wie das Auge meiner Schlimmen,
Der ich nicht vertrauen kann,
Noch zu ihr mich selber stimmen
Einversenkter Schmelz im kalten Rund,
Spiegelflach ein Dunkel, nirgend Grund.
Becher Duft, du wankst nach mir
Wie das Äugen meiner Argen,
Der die mächtige Begier
Zorn und Spott umsonst verbargen -
In dir denkts wie sie, und winkt und blinkt -
»Noch besinnt ers, - balde, und er trinkt!«
Wie's die Allerliebste denkt,
Dünkt dichs nicht, du kennst den Zecher:
Langen Zug und ungekränkt
Will er, und aus eignem Becher.
Trinker sucht Euch, wo man schenkt vom Faß:
Ich will blicken können durch mein Glas.
Becher Glut, da ich dich hob,
Wer dem ich dein Feuer bringe?
Denn, ich setze dich nicht grob
Ab und unverrichter Dinge:
Durch und durch erglühst du mir die Hand -
So durch Fassung kennt sie meinen Brand.
Auf eine angeschossene Taube,
die der Dichter fand
Da liegst du nun, gebrochner kleiner Pfeil;
Die Sehne ist dir durchgeschlagen
Und keine Schwinge mehr ist heil,
Denn eine Schwinge taugt nicht, dich zu tragen.
Du richtest meinem ungeheuren Nahn
Den Blick der Todes Angst entgegen:
Mein Stutzen heißt dir Fang und Zahn,
Mein Niederbeugen Hunger deinetwegen,
Und keine Flucht mehr; denn du bist nicht schnell;
Das Leben könnt ihr nur gewinnen,
Weil du und weil dein Nestgesell
Den überholen mögt, und dem entrinnen:
Feindselig durch die Wüste eurer Welt
Hinschießend, immer vor dem Feinde,
Im Rufe nur, der gellt und gellt,
Hängt ihr zusammen, einsame Gemeinde!
Wie sich in meiner Hand, die Wärme flößt,
Das lebenschwarze Auge wundert!
Ich bin nicht Gott, der dich verstößt
Wie hundert jeden Tag und aberhundert, -
Es gab dir Flug, und was dich fristen mag,
Er, deines Feinds gleichmütiger Frister,
Dem Fleck, wo deine Ohnmacht lag,
Vorüber fuhr dein Gott, flog dein Geschwister,
Und die du nie gewürdigt deines Raubs,
Wenn du im Blau die Bahn gerundet,
Schon kroch an dir Geburt des Staubs,
Ihr bist du Aas, sieht sie dich kaum verwundet! -
Zünglein, das mir schon dreist vom Finger schmaust,
Du bist voll Botschaft ohne Sprechen;
Damit du ein Mal Stärkern traust,
Muß Gott den Ring der eignen Fügung brechen, -
Sich einzulenken, wo ihn selbst des Hohns
Im eigenen Werk, der Unbill jammert,
Bedarf er seines großen Sohns,
Den das gemeine Reich nicht ganz umklammert.
Hier dankt er mir, was er mir zugewandt:
Daß er mir seine Seele gönnte,
Hat zwischen dir und ihm entspannt
Die Brücke, die er selbst nicht bauen könnte.
Der jeden Leib in Todes Schranken wies,
Läßt sich die eigne nicht verwetten:
Es schuf, der das Geschöpf verstieß,
Noch das Geschöpf, Verstoßnes zu erretten.
Frei sein ist nichts: ich wollt, ich wäre dein
So völlig einwärts wie der Baum der Rinde,
Die er bewohnt und tränkt; der Pol dem Stein
Magnet, der Demant seinem Fürstenkinde.
Im Winde totes Laub ist frei; Gesinde
Sind die entworfenen Sterne vor dem Schrein
Des Herrn: das Loblied laß mich, nicht den Schrei sein,
O Herz der Ordnungen! laß mich nicht frei sein,
Frei sein ist nichts: ich wollt, ich wäre dein!
Ich, die verwundete Schwalbe, drei Tage des Menschen Genossin,
Sahe den schrecklichen Tod freundlicher werden und starb
Schwestern im Blau, fliegt schweigend hier überhin, wo sich das Geistlein
Schüttelt und ringt nach Ruf, wenn es euch Rufende hört.
Gönnt mir Schweigen und singt, singt anderswo, wenn ihr das Meer wagt
Nicht ganz, nicht ganz stumm flattert ich eine beiseit.
Laß die Waffen, letzter Held
Aus den letzten Händen:
Die Geschicke dieser Welt
Sind nicht mehr zu wenden.
Melusinens Lied
Oh Guy von Lusignan,
Ich seh dirs an, unglücklich willst du werden!
Was willst du, Mann!
Du willst von mir, was ich nicht geben kann!
Ich fasse die Beschwerden
Die unheilbaren nicht, davon du brennst...
Nur die Gebärden
Seh ich, sonst nichts, untröstlich Kind der Erden!
Ich bin, wie du mich kennst:
Das lebt nicht hinter mir, wonach du lüstest:
Wenn du begännst
Danach zu greifen, griffest du Gespenst!
Oh Lusignan, du büßtest
Die ganze Lust! Was ist das, wo erfühlen
Du mich noch müßtest?
Wo blüht mir, wo, ein Mund, den du nicht küßtest
Wo, tiefer dich zu kühlen
In mir, verspart ich dir den wilderen Schoß
Als diesen schwülen?
Wo Brüste, lauer lau an dich zu spülen? -
Guy, laß mich wieder los!
Aus meinen Freuden heim, aus deinen Wehen
Ins ältere Los -
Nur sag nicht: »Lust«, sag nicht: »Was ist sie groß?«
Kein Weg, bei mir zu stehen,
Ging tiefer als durch Wonnen Mund auf Mund -
Ins Tiefre gehen
Nur Stürze tauben Steins in meine Seen -
Da lieg ich tausendstund,
Und rund und rund ist ewig nichts geschehen -
Und bin ein Schlund
Der Welt, und wars, vor euch und eurem Bund!
Daß michs noch einmal triebe
Zu dir! Da warst du froh und rot und rein:
Nun bist du Stein, nun bist du weiß wie Lein,
Weil du mich liebst -; und weil ich dich nicht liebe. -
Oh Guy von Lusignan,
Ich seh dirs an, du schluchzest in der Kehle!
Geh beichten, Mann!
Ich hab es nicht, was dich getrösten kann!
Gleich einem Meerjuwele
Fischtest du mich zu dir, und ich gewann
Dich frischen Brand in meinen kalten Bann -
Mehr weiß ich nicht: was frommt, daß ich mich quäl
Oh Guy von Lusignan,
Ich gebs ja keinem, was ich vor dir hehle!
Nur Mund und Leib will ich an jeden Mann
Verschenken, daß er mir von dir erzähle!
Vielleicht, es spürts kein andrer, was mir fehle?
Ein Fischer nicht? Dein Jäger nicht im Tann - -
Oh Guy von Lusignan -
Stirb nicht daran; ich habe keine Seele.
Bremse
Der Mann:
Ah nicht weiter, mit der Gewalt nicht - ah nicht
Mit dem Hieb mir über den Scheiteln, Liebe!
Ich vermags nicht, unter dem Hundstag, hier das Steile zu stürmen!
Ich bin Blut und Strieme den ganzen Leib lang,
Rasten laß mich; gönne dies Blatt, wie herb sichs
Malme, mir im Schlünde Verlechzten! Gönne mir zu vergessen!
Zu vergessen, was ich verlangte - ah mir
Zu vergessen, daß ich es nicht mehr, was ich
Noch verlange, daß ich es nicht mehr liebe, was ich verachte!
Gnade, in mich Hauendes - Gnade, Wahnsinn!
Wilde Bremse, erzen im Blau, die nackten
Feuer schwenkend! Ende mein Leiden, daß ich nur wieder lebe!
Bremse
Der Dämon:
Wer berief mich? Schlummernd in Glockenblumen
Schaukelt ich. Wer weckte mich auf? Ich stellte
Dir nicht nach. Unbärtige treff ich, denen Wunden ein Spiel sind.
Vorwärts oder stirb, wo du stehst. Entbunden
Ward ich - her und bändige mich. In ihn, der
Welt erregt, und will ihr nichts antun – rächend fahren die Keile.
Dich lieben müssen ist die letzte Schule,
Drin mich die Welt am hohen Maße richtet:
Drin mich, sobald ich um Bequemes buhle
Und mir zu sehr gefiel, ein Blick vernichtet;
Drin was ich sonst getrachtet und gedichtet
Nicht gilt: Besteh ich nicht vor diesem Stuhle,
Verwirk ich endlich noch mein ganzes Heil:
Ich sage nur noch: »werde mir zuteil!«
Dich lieben müssen ist die letzte Schule.
An Schröder
Diese Frucht der Persephoneia, Gastfreund,
Schont ich dir und mir in Gedanken herbstlang -
Dir und mir vor Nacht, da das erstemal Orion in Osten
Groß mit Hunden hinter dem Jahr heraufkommt,
Brach ich heut die zeitige Last: nicht klagend,
Wohl nicht klagend; aber der alten Totenklage gedenkend.
Wenn das Fest ist, dies, da man Ihrer andenkt,
Ihnen nichts als alternde Blumen, nichts als
Bettlerlicht auf Knien ins unbekränzte Dunkel hinabreicht,
Dann nicht ohn ein reiferes Zeichen sollst du,
Ohn ein Opfer, das dir gemäßer sei, nicht
Stehn und suchen: Nimm den geheimnisvollen Apfel des Hades.
Denn die Schale, wo sie schon aufbricht, wer sie
Längshin durchreißt, Nester der Purpurkerne
Schöpfend schenkt, wie sollt es ihn reun, ob berstend einer zerblute,
Da nach Keim sie unten verhungern, dein Blut
Nicht bis hin langt? Sühne das Nichts und Fast-Nichts
Gleichnishaft und scheide: Du hast nur Bilder, Mensch, deiner Gottheit!
Alle, die wir wurden und da sind, wohnen
An der Grenze. Jede Sekunde stößt an
Reifes Jenseits, draus keine Hand mehr Händen Wirkliches abnimmt.
Dennoch, Bruder, nimm du sie dennoch, Ernte
Gib sie dennoch, die ich der Herbstglut preisgab,
Weiter - halb gab: Denn in der Baumnacht, taulos, haftete jahrlang
Stets licht-abseits stille die kalte Halbfrucht,
Grün und fremd, dem emsigen Vielfuß kundig,
Spinngeweben heimlich, und trank von Glut noch Regen bis heut nicht.
Besser so. Es muß für die Reinsten etwas
Keusch, ein Ei sein, das in der eignen Hut wächst,
Kühl, ein Herz, das, vielen genehm, dem Einen Einsamer anhangt.
Uns auch bräunt am Leben die Wange, Gastfreund,
Unsres Herbsttags, Kern über Kern entfaltend,
Lautlos wachsend, warten auch wir nach ganz vernichteter Jugend:
Was untröstlich gegen den Stamm blickt, standhaft
Abgewandt von Sonnen, die Heutges bunter
Sehn als gestern, dies zu entdecken wehrt mir, außer der Andacht,
Auch dies Zwielicht, da mir mit Tau ins Nachtbeet
Weit im Bogen fahrende Gäste kehren -
Faltern gleich, doch eben um ein unsagbar Deutliches anders,
Ob sie gleich, wie jene, bei Tag wer weiß wo,
Nachts, wer weiß woher, mit dem Seglerlaut des
Flugs angeisternd, vor dem nur heut noch schönen Munde sich stillen.
Ich kann kein Wunder tun mit Stein zu Brode
Für dich, so weiß du aussiehst, seit du darbst -
Ich darf dir nichts vergelten von dem Tode,
Den du, mein Kreuz auf dich genommen, starbst,
Als du dir Teil von meinem Fluche teiltest:
Als du mit dem Gesicht, das mit mir litt,
Dich neigend mir den großen Schaden heiltest,
Mein Nachbar auf dem Stein, den jeder tritt.
Von allem Blute, das du in mich flößtest,
Damit du mich der Welt zurückgebarst,
Kein Tropfe frommt mir nun, frommt, dem du löstest,
Kein Gran, dir zu erstatten, was du warst -
Nur was du bist, so sprichst du, soll dir taugen;
Nur was du wirst, erhärten, was du bist:
Mit der Erbarmung deiner tapferen Augen
Dein Los begreifend, Ritter, Mann und Christ,
Steigst du, den Schutz versagend deiner Blöße,
Was dein nicht sein soll, lassend ohne Haß,
Schon fern dem Wunsch, der sich für dich vergösse,
Einsam durch deines Lebens schwersten Paß. -
Nichts hilft, und wollt es helfen, nein: dir ahndet
Für Ausflucht viel zu streng, was du erlost -
Die Welt, die rings auf Taumelgifte fahndet,
Für unseresgleichen kocht sie keinen Trost -
Welt! Welt! - die Welt, die Bessern und die Schlechtern
Wie Bälle tauscht; die eitle Tränen stillt
Im leeren Blick mit eitelern Gelächtern;
Die Welt, drin sich das Tiefste nie vergilt,
Die Welt, von deren ganzer Scham ich brenne,
Ohnmächtig, weil du leidest, stiller Held,
Sie, die nur fiebert, wie sie Gott entränne -
Bescheide mich, und sie - ist unsre Welt?
Besser wohl, ist sies nicht: Wir sind aus keinem
Blute, das mit dem letzten Borge prahlt.
Was dir und mir im Kern verbrüdert Einem
Entstammt, ist stolz, daß Leben sich nicht zahlt,
Und den sie eben noch Vergeuder schalten,
Weil er ein Nichts zehnfältig überwog,
Wird den und den, der galt, wo Kluge galten,
Vom Knie noch heben, das er vor ihm bog,
Wird stehn unkäuflich über ihm, der weltlich
Geprägt wie Kain die Stirne trug; die Tat,
Die not tut, sie ist ewig unentgeltlich -
Laß würfeln überm Rock, der ohne Naht,
Laß Tauben feil stehn, wechseln unterm Tempel
Um Feingold Gülten, um den Silberling
Des Judaslohns leicht Geld; laß unterm Stempel
Des Preises Fürstentöchter, wie ein Ding
Für eine Stunde Raserei, nach Schminke
Und dunkler Nacht begehren; laß geschehn,
Daß Mammon und ein Ringer sich die Klinke
Von solchen Kammern in die Hände drehn,
Bruder, vor denen dichs beim Überfluren
Der Schwelle griff und in die Kniee riß -
Den Schoß laß klügeln, laß die Geister huren,
Die Dichter feilschen und für Phalaris
Bildner den Bauch des Viehs aus lautern Erzen
Gießen, drin eine Jugend uns verbrennt -
Still! wer die Mitzeit aushält zu verschmerzen,
Besteht die Zeit, wie Grund und Firmament.
Frühe vor Tag in dem Tau, wo sie kalt lag, fand ich die Grille,
Atmet' ihr über den Fühler, da hob sie ihn; gab ihr im Hinfliehn
Hauch meiner ängstigen Brust, gedankenlos, ohne das Mitleid.
Mitleid übe der Grobe, der Leichtgerührte: der Jäger,
Wenn er die Hinde gerade erschossen hat, schone des Rickleins,
Oder es bringe den Kindern der Häßliche, daß sie erbarme,
Warm im Runde der blutigen Hand, den geborgenen Nestling.
Mich nicht eben wie diese erbarmt es mich, mich die Gejagte
Schwingt es über den Bach wie den Hirsch, mich durch die Gereute
Schneller denn irgendein anderes Wild, ein gehetzteres wäre,
Oder von Baume zu Baum von dem frevelen Knaben gesteinigt,
Surrt die unselige Grille! nicht diese wohl: diese in Busen
Schob ich mir, achtlos Tun, ein zerfahrenes, wilder Gedanken.
Ruchlos bin ich, ein Wild, ich selber geworden, wer war ich,
Daß ich das Veilchen im Tau ersah, darüber ich stürme!
Daß ich der Grille gewahrte, eh hinter mir, eh ich sie eintrat?
Grille, du rufst und rufst in dem Busen mir immer; was rufst du!
Hinter mir rennts geschwinder denn ich; wie hurtig ich wäre
Läuferin ich, der Gespielinnen immer ich erste Gepriesne,
Flüchtiger sausts, es erspäht mühloser noch, ach, es erjagt mich
Endlich, und - seh ichs jetzt oder nicht, - was suchen, was spüren? -
Hat michs doch, schon zielt es auf mich, schon über mir jauchzt es!
Bergt mich, Klüfte im Fels, wie nur immer den zitternden Steinbock!
Wasserfall schütze mich, daß ich im Stoß vor dem Stößer verschwinde.
Dryas, gönne im Stamme mir Unterschlupf, Erde, erbarm dich,
Tu mir auf die heiligen Brüste und birg mich in ihnen,
Wie ich die Grille mir zwischen den Brüsten hier, also verbirg mich
Armseligste! Ich rufe nicht her daraus, wie mir die Grille
Ruft am jagenden Herzen, ich schweige schon! Nicht meinen Herzschlag
Soll er vernehmen, der Schöne, der Tanzende, hinter mir drein Der!
Noch meinen Herzschlag, Göttin, ersticke mir; noch in den Brüsten
Mir das verdoppelte Bild meiner Angst, das schrillende Tierlein!
Eisige mir in der Kühle die Brust, da wird es verstummen,
Wie sichs mir in der Wärme ermunterte, daß es sich toll ruft -
Grille, du rufst und rufst und rufst noch immer? was rufst du?
Mich nicht eben! Warum grade mich, mich eine, Apollon?
Oder, wohl, die eine nicht mich; warum zu den vielen
Mich noch? Eine denn noch zu unzähligen, ich aber diese?
Schön, ich dünke dichs? Schönste? Ich haßte mich, war ich es lang noch:
Jung, ich altere doch, oh, altert' ich! Lieblich? Ich liebe
Nicht, nicht dich, und liebte mich keiner, ich lebt' es mir eins noch!
Muß ich es geben denn, was du mir nehmen willst, muß ich sein, was
Du dir dünkst, daß ich sei und befiehlst es mir - muß ich es lügen,
Was dich blendete, wie, ich weiß es nicht, - muß ich die Echo
Werden, weil du mir singst, an der Steinwand, muß ich es dulden ?
Leben soll ich mir nicht, nicht sterben mir, wie es den Töchtern
Ziemt der bescheidenen Erde, den einfachen? Feiergedanken
Nicht mehr kennen, sie blühen nur auf in Kindern des Alltags!
Alltags Dinge nicht schaffen, sie glücken nur täglichen Weibern?
Scherzen mit rechtlich geborenen Kindern nicht, rechtlichem Vater
Nicht die noch ungeschickten, wie Tierlein sind, in die bereiten
Arme heben, ich nicht? Halbgöttlichen gleichen? An Brüsten
Nicht das Geborene säugen wie dich nicht, Phöbus, die Mutter
Säugen gedurft, Ambrosia gab man dir, geistrige Zauber;
Davon schrilltest du ihr an der Brust, unmenschlicher Spieler,
Zithergewandter als Säugling schon, wies mir an der Brust schrillt,
Aus der unmenschlichen Kehle, ein Tier, was schonte ich sein auch?
Grille, du rufst und rufst, und rufst noch immer! Was rufst du?
Wann nur gewahrtest du mich, Unsäglicher! Daß ich es wüßte!
Daß mich ein Aug, wie andere Bräutliche, daß mich ein Schrei doch,
Wild und ein süßer, ein einfacher hätte, ein seliger getroffen,
Troffen, oh, wohl wie ein Schuß, ein verwundender, daß mir das Herz dran
Wider den Willen zersprungen sich auf tan hätte, und wüßt es!
Aber erspäht ward ich, und ich wußte es nicht; aber erlauert
Ward ich von Geistergesichte; begeistert hab ich, und weiß nicht,
Einen Gespenstigen, mir Überlegnen, einen mir Fernen!
Fernher sieht er und wirkt fernher, sich selber berauscht er
Fern in Leiergebraus, nicht andere, selber zuerst sich!
Fernher schießt er, ein immer Ermordender, nicht wie ein Kämpfer,
Kommt und fordert den Kämpfer ins Offene, wählt sich ein Opfer
Unbefragt in der gräßlichen Höh! O liebliche Nähe,
Aber auch mir nun bist du versagt, der Geflüchteten; schon Sein
Eigen dünk ich mir nun, der das Nächste unter dem Fuß saust,
Lüfte erfüllt mein Name, ich fliehe sie, denn er erschallt ihn,
Völker verkündigen mich, ich meide sie, Törinnen neiden
Mir den entsetzlichen Ruhm, ich neide der letzten, der Hirten-
Mädchen verbranntester, unansehnlichster, daß sie im Dunkel
Darf, dem erbärmlichen, sterben, Erbarmen nehmen und geben
Unter den Sterblichen, die sich einander noch gerne erbarmen
Und eines Tierleins, selbst achtlos, noch wilder Gedanken -
Grille, du rufst und rufst und rufst und rufst noch immer, was rufst du?
Hätt ich ihn nur nicht selber gewahrt, und, wie er geschaffen,
Wüßt ich es nicht und graute mirs immer nicht über den Busen!
Einmal warst du mir nah, und vergeblich, Phöbos Apollon,
Eitel spähte das schreckliche Blau in dem himmlischen Auge.
Nah schon warst du mir, unter mir brachen die eisigen Knie,
Tod und Ende erschien; da kreuzte dir Hermes, ein Sturmwind,
Aaren gleich über Fittichen hockend der Sohlen die Laufbahn,
Stand bei dir, und vergaßest du mein für den Wink; und es tat sich
Neben mir auf aus Stimmen des Hags und winkte mich einwärts:
Schutzrecht gab mir das Mädchen des Baums dem gepeinigten Mädchen,
Rankte sich mir um den Wuchs und schloß um uns beide die Rinde,
Aber sie blieb mir hell wie ein Glas; und sagte die Nymphe:
»Fürchte dich nicht; er gewahrt dich nicht, soweit mir der Bann reicht,
Aufgehoben betrachte ihn nur; was fliehst du den Großen?«
Grille, du rufst nicht mehr, wie du riefst; ich wollte, du riefest.
Prachtvoll standst du im glühenden Blau, grausamer Bezwinger,
Eng in Hüften und breit deiner Schulteren, drüber verächtlich
Prunkte das Knabengesicht seellos und lachte der schöne
Singende Mund, und verschmähte die Welt das Auge des Sehers.
Zwitschernd ging dir wie Vögeln die Zwiesprach mit dem Gebrüder,
Der wie ein Zwilling neben dir sah, und hatte die Ferse,
Schimmernde, auf einem Steine und bückte sich, Fittiche richtend.
Nebeneinander, Entsetzliche, standet ihr, größer, als wir sind,
Harte Gewaltiger, gleißender Haut, mit lachenden Zähnen
Zwischen dem schwelgenden Munde, Verzehrende, Flammengeschwister,
Und ihr beredetet euch, über mich, in eigener Sprache.
Furchtbar müssen sie sein so wie ihr, euch willige Bräute,
Große und lachende Mädchen des Zufalls, brennende Dirnen
Ohne ein Herz in Brüsten, in deren vergessende Arme
Und in den Schoß ihr Brennende fahrt zu gewitternder Hochzeit.
Hätt ich dich Einen gesehn, wer weiß, ich wäre dir schwächer
Dann oder wann erlegen und trüge von dir die Gespenster.
Aber ich sah euch Gleich zu Gleichende, wo ihr ein Blut seid,
Sprecht, wie es hergeht unter euch allen, lacht, wie ihr auslacht,
Tötet, wie du im Sprechen den Stein nachzieltest dem Eidechs,
Trafst und erschlugst, achtlos, wie ich achtlos schützte die Grille -
Grille, du rufst nicht mehr, aber rufe du wieder! ach rufe!
Selige dort, im Baume Gesessene, der er vorbeistob
Blendend hinter der Spur, der vermeintlichen, aber betrogen!
Fernher hörten wir sie, die Götterklage, wir lachten,
Weinend ich, aber bitterlich sie, des erschütternden Wohllauts,
Denn er vernahm mein nicht und befragte den Wald und die Felsen.
Selige, war ich du, und er stöbe mir, stöbe vorüber:
Gerne für Gnade des Ausruhns nur, für Gnade des Schutzes
Vor der Liebe des Liebunwissenden, Liebeunwerten
Lobte ich mir dein Ästegeschick in dem ewigen Grüne!
Holzgeworden und windbesucht viel lieber und wurzelnd
In den geheiligten Grund und ein Spiel sein heiliger Lüfte,
Spiel im Spiele der zärtlichen Nachtigall, oder dem Spiele
Ländlicher Mädchen und Hirtengeschlechts, in den Schatten mir kehrend!
Ihnen beschützte ich Küsse und Heimlichkeit, menschliche Wonne
Und das Zittern der Braut und die Lust des verwegenen Werbers
Über der freundlichen Erde, der unteren; aller der Heimat
Gerne vergaß ich und all des geweigerten, Himmlischen dankbar,
Daß sie mich ließen, welkte ich hin, die Verborgene: alles
Ists, das Verborgene, schön, und das Ruchbare, alles ein Greuel!
Aber sie lassen mich nicht, es erbarme sich meiner der Vater
Selber, der Meisternde, denn, und liebte mich wie ich ihn liebe,
Weinend, ein fliehendes Kind: ach, hilf mir, eh er mich einholt!
Birg mich in dich, wie ich in mich eins deiner Sterbenden einbarg -
Grille, du rufst nicht mehr, aber rufe du wieder! ach rufe.
In das Stammbuch meines Kommandeurs im Felde
Wenn du den Blick auf diese Zeilen senkst
Und still aus deinem Frieden den Gedanken
Rückwärts in das Erschüttern und Erschwanken
Der großen Schreckensjahre lenkst -
Wenn vor der Seele wieder dir erwacht
- Mit Hügelwellen, die ihr Ziel nicht kennen,
Mit mageren Heistern, die sich Wälder nennen -
Champagnerland, Ardennen -
Der Landschaftsblick der Völkerschlacht -
Sinnlos von irren Linien ein Gewimmel,
Aus nirgend fließend, nirgendhin gemeint,
So voller Vorwurf für den reinen Himmel,
Daß er sich zuschließt und es wild beweint -
Dann dämmere dir an seiner Straßen Wendung,
Das Dorf am Rand des Greuels und der Schändung,
Drin du den bärtigen Korporal befahlst,
Dein tapferes Leben zu dem meinen neigtest,
Mir in die Seele sahst, mir Seele zeigtest
Und winkend Dich vorüberstahlst.
Einsam, im Wust und der Verheerung Graus,
Noch heilig und noch heil stand Gottes Haus,
Dahin wir aus verhauenen Buden,
An denen Sparrbaum und Gebälk zerspliß,
Als wärs in Licht aus Finsternis,
Die ungefügen Kriegsgesellen luden:
Wir zogen sie zum Feuerquell des Seins,
Wir schlugen ihn wie Moses aus den Klippen,
Sie waren Viel, sie wurden Eins,
Ein Leib, Ein Volk, mit Herzen und mit Lippen,
Und keiner fragte mehr, »was meins, was deins?«
Du saßest still im Winkel deiner Wand,
Wie du mir sonst und sonst zur Seite saßest,
Wenn du mit solchen Augen, die den Brand
Des letzten Höllentors gekannt,
Das süße Leben neben mir ermaßest:
Unsäglich lag es da -
Juwel, gefaßt im dunklen Ring von Sterben:
Nur wer wie Du durch Splittern und durch Scherben
Emporstieg über Drohung und Verderben,
Nur solch ein Heldenauge sah,
Wie wert es sei, aufs neue drum zu werben -
Wie nah dem ungeheuren Blick ins Grauen
Die schimmerndste Geburt der Seele blüht -
Unendliches Vertrauen,
Andacht und Inbrunst, Leidenschaft, Gemüt -
Und wie sie außer solchem Heldentume
Und Ringen mit den Engeln
Sich nie entfaltet - nicht aus unsern Mängeln
Und nie aus aller Fülle -, diese Blume!
Dormoise-Stellung, März 1916
Ich ziehe mich aus Kriegs- und Staats-Geschäften
Und werfe mich zu dir mit langen Reisen -
Du hast allein den Mund, uns zu bekräften,
Den Stern im Sterne, mitten Punkt von Kreisen,
Das Bild, dran wir wie Troer und Templeisen
Noch unterm Hinfall die Bewährung heften - - -
Jungfrau, Vorkämpferin für Kind und Ahne,
Gib mir die beiden Augen in die Fahne,
Bestelle mich zu Kriegs- und Staats-Geschäften.
Aus »PETRA«
Helenalied
Helena ging von Hand zu Hand -
Die Sonne steht über jegliches Land.
Ein jegliches Land hat an ihr teil -
Helena blieb, blieb ganz und heil.
Keiner soll sich im Rechte glauben:
Willst du sie haben, du sollst sie rauben.
Sein Teil an ihr ist jedem gemessen;
Und willst du sie, sollst du, was war, vergessen
Andre triffts, wie es dich getroffen,
Und willst du sie halten, du sollst nicht hoffen
Schlaf und schlage nicht wild die Luft:
Ich bin gefeit mit durchlauchtigem Duft, -
Milchbleich, auf Flügeln vier,
Über das Ohr häng ich dir,
Zu Häupten an deines Bettes Saum,
Von Zeus an dich ein gerechter Traum -
Menschen Aufbegehren und Zürnen
Findet mich Gott, und fern und hürnen.
Helena ging von Hand zu Hand. -
Lieg still und höre mich unverwandt.
Du raubst sie dem, der sie heut noch hat,
Du bringst sie in deine feste Stadt.
Nie im Sichren sollst du dich glauben,
Stunde um Stunde, du mußt sie rauben.
Des Raubs erfreust du dich nie in Ruh:
Sah sie nur Einer, des Feind bist du.
Solang dein Mund ihr die Lippen hält
Und Aller Sonne dein einzig Zelt,
Bist du im Kriege; kenne die Welt. -
Bangt dem Knaben vor Wunden und Kriegen?
Ich wehre dir nicht, zu der Magd zu liegen.
Will dem Gaumen die Kost nicht schmecken?
Ein Hausweib nimm und mach dich ans hecken,
Ihrer genießt du in Züchten und Treuen;
Auch hats wohl Kebse, dein Herz zu erfreuen.
Und widern die Alten, du schickst nach Neuen.
Still, still, heile, Schmerz!
Menschenkind, nun gib dein Herz:
Ehe dirs aufschreit, eh dirs bricht,
Gib mirs immer, es taugt dir nicht.
Mir her den zuckenden Erdentand,
Eifernd Leiden, grimmigen Brand -
Helena geht von Hand zu Hand.
Laß mich Sterbliches von dir streifen
Sei wie wir, und geh sie dir greifen -
Blindlings raffend und blindlings schenkend,
Nichts erwartend, ungedenkend,
Wie den Bergleu oder den Stier,
Sei Gott und reiße sie hin mit dir,
Gib dein Erbittern, gib dein Erbarmen
Und nimm sie der Welt mit beiden Armen.
Nimm sie dir, wie sie sich Theseus nahm,
Da sie, ein Kind, vom Brunnen kam.
(Man sagt, er brach ihr zuerst die Scham -)
Um ihr Jubeln und Schluchzen und Lallen
Jauchzten Aphidnas Nachtigallen,
Löwen spielten und Vögel sprachen,
Die Rosen füllten sich, Reben brachen,
Und ringsumher im berückten Reviere
Zwiefältig trugen so Bäume wie Tiere:
Mit seiner hohen Jahre Ermatten
Doch mußte der Held sie der Welt erstatten,
Und es stiegen und sanken die ewigen Gatten.
Du gehst sie nun reißen von Meneleus:
Aber zuvor dein Herz gib Zeus,
Denn alle die Welt von all ihren Küsten
Wird Segel stellen und Schiffskost rüsten
Nach deinem Gelüsten -
Wie trügst dus, schlug dir ein Herz in Brüsten?
Männer mit Knaben und trägen Greisen
Geharnischt werden sie gegen dich reisen -
Wie dus trügst, das müßte sich weisen!
Zehntausend Schiffe schürfen an Strand, -
Du hältst ihre Füße in jeder Hand.
Zehntausend Zelte säumen den Fluß, -
Du ertrinkst in ihrem Kuß.
Schlacht klirrt, es dröhnt der Grund,
Der blutige Fluß färbt den Sund, - -
Dein Finger fühlt ihr und formt ihr den Mund.
Mann prallt an Mann und Wagen an Wagen, -
Lächeln sollst du und Leier schlagen -
Gib mir dein Herz, so wirst dus ertragen.
Mund auf Mund und Leib über Leibe
Hörst du den Abschied des Manns vom Weibe:
Hektor stirbt, daß die Heimat bleibe.
Dicht bei ihres Lachens goldenen Glocken
(Gib mir dein Herz, jetzt ist dirs erschrocken)
Bricht Herzenjammer und Seelennot,
Witwenschrei und einsamer Tod -
Sei Gott und sage: »Ihr Mund ist rot.«
Weithin über des Weltalls Leid,
Blicke aus Blau der Ewigkeit;
Wie wir Entsetzlichen sei gefeit.
An den Kindern des reinen Lichts,
An diesen liegt es und sonst an nichts.
Löse dich aus dem verworrenen Handel
Tritt ohne Herz in den ewigen Wandel.
Helena geht von Hand zu Hand,
Du hast nicht Titel auf sie noch Pfand.
Auf einer Kerze muß Feuer stehn,
Damit die Blinden im Dunkel sehn, -
Wie sie leuchtet, soll sie vergehn.
Trage das Feuer in deinen Tagen,
Der fernste Tag wird es singen und sagen.
Trage die Sonne auf hohem Scheitel.
Alles davor und danach ist eitel.
Nicht mit Gotte, sondern mit Manne
Teilst du die Dauer der Erdenspanne -
Gib dein Herz und nimm den Geist,
Der sich den Gott in die Arme reißt,
Also begehrt, was ein Halbgott heißt,
Und alle die Wonne der öden Erden
Heißt menschgeboren vergöttert werden.
Gib mir dein Herz, auf daß du nicht grollst,
Begreifst du, daß du verlieren sollst:
Mitten im namenlosen Frohlocken
Macht Tod, mein Bruder, die Küsse stocken,
Er haucht dir Hinfall über die Locken.
Gib mir dein Herz, damit du nicht grollst,
Begreift es, was du verlieren sollst,
Sondern noch lachst und die Dankschuld zollst.
Was alle Wesen um sie geduldet,
Gott sei es gedankt, es ward ihr geschuldet.
Bräche die Stadt, liegt Troje in Trümmern,
Den sie küßte, darfs nicht kümmern.
Sehn sie die Witwen im Burgtor scheinen,
Sie werden staunen und süßer weinen -
Vor dem wilden Wunder werden die Alten
Die toten ädrigen Hände falten
Und nicht mehr begreifen, daß sie sie schalten,
Und sagen: »Undenkbar! daß man sie hätte,
Einer allein, wie die Frau im Bette,
Und den Hund an der Kette -
Undenkbar, daß er das Leben rette.
Viel besser, es schritten aus allen den Lagern
Todberauschte herbei mit den hagern
Feldzugsgesichtern, die langsam vermagern,
Und messe sich Helden Gewalt an Heide,
Und tausend stürben im schlechten Felde,
Daß etwas sei, davon man noch melde,
Und Gräben voll Speeren und Felder voll Heeren
Lägen gemäht wie am Ernttag Ähren,
Und wer sie davonträgt, muß sich bewähren.
Kein Menschen Los vermag sie zu fassen,
Lieber sterben, als sie Dem lassen.
Was tuts, und liegen voll Tod die Gassen!
Fallen soll, die sie hehlt, die Stadt,
Des Todes sterben, der sie nun hat,
Aus seinem Vergehn und unserm Verderben
Ein Herr des künftigen Tags sie erben,
Ein Mensch im Rausche um Gottheit werben,
Und mitten im Blute die Meister droben,
Die sie aus Heilig und Herrlich gewoben,
Immer noch loben,
Weil, solang sie ein Arm ergreift,
Und wieder ein Arm sie aus Armen streift,
Sommer fruchtet und Herbsttag reift,
Und Winter nicht schlummert, und Frühling faltert,
Und Lied nicht stirbt, und die Welt nicht altert.«
Versagung
Laß meinen Sinn mit deinem schalten:
So wird er unser Sinn.
Du wirst von selbst ihm widerhalten
Und beugst ihn halb und halb und nach und nach dahin.-
Die Welt ist halb und halb; die Traube
Berauscht sich nach und nach.
Spät erst zu Hoffnung wird der Glaube,
Zu Liebe sie; und noch machst du den Glauben schwach.
Gib nichts darauf, daß du, gewunden
Um deine lange Faust,
Gleich einem Koppelseil von Hunden
All meine Stränge Bluts regierst und drinnen zaust -
Ich lehr dich sonst, wie man das Auge,
Das ärgert oder trutzt,
Ausreißt und wildem Fleisch die Lauge
Für Balsam reicht, und Schnitt, und Brand, wenn sie nicht nutzt.
Ich werbe lange; eh zum Buhlen
Gradhin du mich erzwingst,
Magst du mir aus dem Leibe spulen
Die Adern, dran du meinst, daß du mich heut schon ringst.
Weh uns, wenn mir der Nerv verschwindet,
Weil ihn dein Mund verbrennt.
Hoffe von meiner Kraft, was bindet;
Von meiner Schwäche nur das Schale, das uns trennt.
Als das geschlagene Russland Frieden schloss
In eine Soldatenzeitung zu Weihnacht
Versorget Waffen und Gewehr:
Vom Himmel hoch, da kommt es her,
Man kennts noch kaum, es ist zu fern,
Halb ein Gesicht und halb ein Stern.
Und ists ein Stern, so gleicht er dem,
Der aufstand über Bethlehem,
Und Weihnacht deutete sein Licht;
Doch wessen wärs, wärs ein Gesicht?
Sag dus Kamerad, sag dus Gesell,
Was scheint Euch dort das Bild so hell ?
Wem dünkts euch ähnlich, sagt mirs,
Ihr, Leutnant und greiser Musketier?
Und Der die faltigen Augen kneift,
Und Der nach Glas und Stecher greift,
Und Dem das Herz am Koller klopft,
Und Dem die buschige Wimper tropft -
»Gesell, ich weiß nicht, was es gibt,
Mich dünkt zu sehn, was ich geliebt«;
»Kamerad, ich mach mir keinen Reim;
Mich dünkts ein Anblick von daheim.«
»Herr Bruder, fragt nicht, was es sei;
Mir blickts in einem zehnerlei,
Ich kenns nicht, dennoch, es enthält,
Was heimlich mir die Seele schwellt.«
Und fragtet ihr landauf, landab,
Euch keiner andere Antwort gab -
Was jeder hingab, jedem scheints,
Was alle träumen, das vereints;
Was alle zweifeln, heißt es wahr
Mit Aufgang überm vierten Jahr!
Es schimmert unter schlechtem Zelt
Ganz klein der Trost der neuen Welt.
Es zieht sein schimmerndes Gefurch
Die bittern Wintersterne durch,
In welschen Regen aus dem Frost
Nach West der erste Stern von Ost -
Die Welt hat Augen nur für ihn:
Dies ist die Stunde, hinzuknien -
Vor ihm erbleicht auf seiner Bahn
Orion und Aldebaran. -
Erscheinung, göttlich Wort, o Bild,
Bleib stehn, wohin bist du gewillt?
Steig nieder, tritt in unser Tor,
Daß jeder hat, was er verlor!
»Gedulde deiner Hoffnung Schmerz
Noch eine Frist, o Menschenherz,
Was du so heiß von mir begehrst,
Ich bins noch nicht, ich weiß es erst.
Bis ich die Bahn gemessen aus
Und still steh über einem Haus,
Wo Könige tief wie arme Leut
Sich neigen vor dem großen Heut,
Ein Bogen ist zu laufen noch
Hoch über manchem Trichterloch,
Ein hoher Bogen, den ich zieh
Ob mancher armen Kompanie.
Und löscht ich das Gestirn der Nacht,
Noch muß ich löschen Menschenmacht.
Grell liegt und gräßlich noch zur Stund
Vom Sundgau bis zum blutigen Sund,
Von Alp und Balkan bis zum Meer
Laufgrabennetz und Schulterwehr,
Schlohweiß und nun gespensterblau
Das Vorfeld und der Drahtverhau.
O darbend Volk, ich weiß, ich weiß!
Doch sieh, ich bins ja schon, der Preis,
Hier ists ja schon, (doch schweig, doch schweig!)
Die Taube und der neue Zweig.
Vom Sanften ist er nicht gediehn,
Vom herben Strauche brach ich ihn,
Daß ihr, so wahr mein Zeichen blinkt,
Im Lorbeer aus den Schlachten hinkt.
Es wird vor eines jeden Haus
Das friedevollere Grün daraus,
Und jedem wird das Heimgesicht
Unglaublich scheinen wie mein Licht,
Und es gebeut ein anderer Mund:
>Ich bin es wirklich, geht jetzund,
Versorget Waffen und Gewehr,
Vom Himmel hoch, da komm ich her.<«
Geist im Harnisch über diesem Grabe,
Nimm das Werk, das ich geschlossen habe;
Licht, nach Wiederaufgang wieder brünstig,
Nimm, und sei mir günstig,
Denn du weißt, ich habe nichts als meines,
Vom Gefilde nichts, und nicht des Weines
Hügel in der Traube dir gegeben, -
Sondern von dem Leben,
Des ich dir, solang dein Odem weilte,
Frei zu Untertan den Zehnten teilte:
Zins auf Zinse, da du sie nicht hobest,
Harr ich, daß du lobest.
Denn ich schwur mich, Fremder, an dein Fremdes,
Seit ich breiter durch des Knabenhemdes
Wickelbande brach und Spiel in Bann tat, -
Seit ich Waffen antat,
Auszuziehn auf Raub und einen Gegner,
Hast du, sitzend über Meer, ein Segner,
Wie der Berg Magnet den Bug von Schiffen,
Hast du mich ergriffen.
Mich, der ohne Vater und Genossen
Umfuhr, du, noch ohne echten Sprossen,
Wo du, tief verschneit, und deiner Sendung
Noch getreu, Vollendung,
Und als Lohn der ausgehaltenen Tugend
Über dir Verewigung als Jugend
Aaren gleich auf dich herniederzücken
Sahst, und dich entrücken.
Willenlos, Natur, du mußtest lenken;
Götter wollen. Laß dir heut gedenken,
Daß die Kraft, die mich hinübersaugte,
Herwärts wiederum taugte, -
Daß, wie du zu flehen mich gezwungen,
Ich, zu deiner großen Wanderungen
Erster dich befehligt. Denn ein Waller
Ist der Gott, und Aller:
Bei den Hydren, die du hier, ein Würger,
Schlugst, bei meiner Burg, die dich zum Bürger
Allen schenkt, die blankes Deutsch vom vollen
Festen Munde wollen,
Bei der Zehrung, die du mir die Scheuer
Würdigtest, bei meinem Wald, zu Feuer
Aufgeraucht dir Spender und Verschwender, -
O Northumberländer
Meergeborene Frucht der seegewohnten
Fraun und Freiherrn, die an Borde thronten,
Schiffer Gott und Sinkender Geleiter,
Renner, Retter, Reiter,
Segne mir den Mut, den ich dir danke,
Und den zückenden Mißmut: Eh ich wanke
Aus Beruf mit Schilde vor der Muse,
Eh ich die Meduse
Meines aufgehobenen Arms erlasse,
Daß sie weiter Mark der Knaben prasse,
Eh sie mir den Widerstand entnerve,
Schieße mir die Schärfe
Eines Göttertodes durch die Kehle,
Daß ich dir die unentehrte Seele
Bei der Au, da nie ein Fuß auf Schwüre
Trat, entgegenführe,
Daß die Heilige, der wir hier gepflichtet,
Die dich rechts verwirft und links errichtet,
An dem Tag, der mich von hinnen nähme,
Unser sich nicht schäme,
Wenn sie anhebt, über Ernten hausend,
Eine Geisterkost für das Jahrtausend
Aus der Garbe meiner großen Zeiten
Langsam zu bereiten.
Swinburnes Todestag 4. Juni 1909
Venus im Fenster
Stern, blick auf meine Marter
Durch diesen armen Fensterspalt:
In Tränen lieg ich Harter
Die zweite Stunde bald.
Der Stern der Wonnen heißt du
Und ihrer Herzen Meisterin -
Was denn die Nacht zerreißt du,
Da ich der Ärmste bin!
Lockt dichs zu sehn ein Bette,
Auf dem man dich von je entbehrt?
Du bist zur rechten Stätte:
Wann hätt ich dein begehrt?
Und da dus bist, so wandre.
(Der Spalt und klafft er denn so breit? -)
Sahst du genugsam Andre?
Verweilt dich so mein Leid?
Ward dir von Mann und Frauen
Der treue Knoten zu gemein?
Zieht dichs, in Pein zu schauen
Die trotzten deiner Pein? -
Du bist zur rechten Stelle
Denn abermals, verklärter Gast -
Hier liebt ein Schlafgeselle
Verzweifelnd, was er haßt,
Begehrt, was ihm verleidet,
Zerschwelgt die Lippe, die ihm lügt -
All seine Ader weidet
Wehlust unzugefügt.
Die Lieblichste der Schlechten,
Die je vom Besten Reiz geliehn,
Längst zwischen Herrn und Knechten
Verfochten und verschrien,
Heillos in jeder Fiber
Und unverschmerzlich jeder Zoll -
Geh, Stern - sie ist mir lieber,
Als war sie, wie sie soll.
Der Mund, den ich ihr weigre -
Die Härte, die sie von mir haut -
Die Proben, die ich steigre -
Der Frost, den sie nicht taut -
Hier brichts in seine Stücke
Und scheitert die gestrenge Brust
Und stürzt sich von der Brücke
Ins Herzleid ihrer Lust. -
Vorbei - der Keusche täubt mir,
Der längst erhabener entstieg.
Unausgesprochen glaubt mir
Die Nacht, was ich verschwieg.
Zurückgenommen, ehe sichs vollendet,
Dem Seufzerhauch vergleich ich dies Gedicht,
Das der Entwurf so reich, so frei verschwendet -
Doch gleich beschränkt: daß es sich nicht verspricht:
So wird die Pause: Fühle den Verzicht.
Einsam sich selbst zu sieht das Herz gewendet
Noch einmal seiner Form vollkommenen Bogen,
Dem er sein mächtiges Gefühl entzogen, -
Zurückgenommen -: ehe sichs vollendet.
Steigst du nun auch mit Degen und Fidel die finstere Gasse,
Welche dich ewig hinweg, ohne Erinnerung, nimmt -
Ob Jan Hagel dir auch die Männchen über das Grab macht
Und der verschnittene Geck offen die Nase dir rümpft,
Ich zerbreche das Wappen dir nicht. Laß ruhen und ruhe
Über verschüttetem Kelch gerne beim untern Gelag,
Gerne bei Bessern, als du sie hier fandst - schlechter Gesellen
- Leben sie alle denn noch? - männlicher guter Gesell!
Blume der Nelke,
Haben sie dich denn auch zu früh geschnitten?
Ich hänge doch voll Knospen und ich welke!
Oh Frühlingswiese!
Ein schönes Segel blüht im mitten Meere.
Die Seele ringt und redet mit der Brise.
In einer Weide
Mich wiegend, grüss ich mein Gesicht im Wasser
Traum hier, Traum dort, ein Spiegel trennt uns beide.
Der Mann und die Liebe
Nacht vor Settignano
Nur noch bis hier, und dann Gutnacht.
Von hier, bis wo ich dich gebracht.
Nach Haus, ich bitt dich, geh das Stück.
Ich spring indes bergab zurück.
Du siehst die ganze Straßenrampe
Im Mond, wie unter einer Lampe
Das Tischtuch, scharf der kleinste Strich.
Ja, wirf in meine Arme dich.
So wollt ich - ah. Nein, lieber stumm.
Und wiederum. Und wiederum.
Nicht hier. Wenn eine Bank hier wäre;
Zurück? Gut, bis zur ersten Kehre.
So meinst du, könnt es werden? Sag
Nichts Hastiges! - Dieser eine Tag
Tun, was durch all das Jahr nicht ward? -
Sturm aus der Stadt - der Braus, die Fahrt,
Die Meile staubiger Niederungen,
Dorf hinter Dorf, im Schuß verschlungen,
Talauf, zur recht und linken Quell,
Brücke nach Brücke, das Mugell!
Das Grün noch heiß, doch immer grüner,
Dann - herzversetzt - verlangsamt – kühner
Und kühner - hinter uns versunken,
Vorn steil - den Weg ans Rad getrunken,
Fast ohne Wort, zurückgeschmiegt,
Hinangeschwenkt, emporgewiegt -
Ein wenig planer, wieder steiler -:
Voll brauner Mienen Sonntagsweiler,
Sich um den stehenden Wagen Schiebende,
Freimütig höflich in ihn lugend.
Und mit dem Unschuldsstolz der Jugend
Uns preisend, fast uns dankend - »Liebende!«
Dich macht es blässer, mich verbrennts.
Und so hinauf nach San Lorènz.
Und wieder Dank in tiefen Mienen
Und Freuden Ehrfurcht in dem Dienen,
Und aufgetan der kühlste Saal
Und frische Rosen um das Mahl
In ganzen Armen statt der welken,
Und altern Wein, betäubt von Nelken-
Erkühlung, dessen Amaranth
Die Tochter schenkt, und unverwandt
Mit Augen, die sich sanft befeuren,
Dich grüßend, zutrinkt: »Eurem Teuren!«
Hinaus, den Pfad, der bergauf streicht,
Durchs mitte Volk; die Menge weicht.
Die steinige Kuppe; weiß der Paß;
Ledern Gestrüpp; verglühtes Gras
Um toter Disteln Silbersterne.
Bitter das Nahe, süß die Ferne.
Und du und ich, umsonst vereinigt,
Starr wider starr, erloschen, steinigt -
Die Distel ich, der Lorbeer du,
Seit Monden ohne Naß nicht treibend -
Wenn Wind es spielt, einander reibend -
Gut; wieder auf; dem Flecken zu.
Wohl macht dein Prunkschuh ungelenk,
Doch Arm in Arm bleibt leer Gehenk,
Als hakte man ein Boot zum Steg;
Nun aber fehlen wir den Weg
In Cytisus und Felsenbrocken;
Stocken, und Ausweg, wieder Stocken -
Und aus dem Halt, den ich dir wähle,
Und aus der Hand, nach der du langst,
Und meinem Trost und deiner Angst
Und dann, am Bachriß, dem Befehle,
Der dich in meine Arme hebt,
Und aus dem Dank, der überschwebt,
Wird in der Stunde eine Seele.
Zu schwach noch für ein Wort; zu leer
Von mehr als sich; von sich schon schwer,
Und eben dem, was du verlachst,
Und kühl von allem, was du fachst,
Und langsam, wie sich Waagen neigen,
Gewicht aus deinem in mein Schweigen
Abziehend, daß du dir entschweben
Empfindest, was mich um dich mehrt,
Und daß Geliebtsein, nicht Begehrt,
Dir mächtig scheint und eine Kraft,
Und ein geheimnisvolles Leben,
Und dunkel, eine Leidenschaft.
Das geht, bis wir auf Straßen sind.
Du lachst und jubelst wie ein Kind.
Nicht also? ging es anders zu?
Wenns anders zuging, sag mirs du.
Oh!
Oder wärs, wenn dies nicht ward,
Gekommen so zur Niederfahrt
Und diesem Weg und dieser Stunde
Und so gelübdeschwerem Munde,
Wie hier? Und hier?
Und fühlst es nun,
Wie Liebe nur vorbeizuschreiten,
Nichts weiter, braucht, - und wie vor Zeiten
Vor Göttern, tritt man aus den Schuhn?
Und, wie der Vorzeit Urgemüt
Die Stellen, drein der Blitz geglüht,
Elysisch hieß und scheu umschritt,
Also, wo heut dein Wagen glitt -
Nur weil man ahnte, daß du liebst,
Du aller Erde Leid vertriebst,
O Leidvertreib, und wolltst dus werden?
Hast dus gefühlt, wie gern zur Erden
Für dich, und Ihn, der dich erschuf,
All Die, - nur selig unser Beider, -
Geworfen hätten ihre Kleider
Wie Teppich untern Huf?
Und womit überbeut
Dir einen einzigen Blick aus diesem Heut
Der Babelturm aus Gier und Angst,
Nach dem du immer noch verlangst -
Geld - das dich anderm Gelde gleicht,
Macht - die vor andern Mächten weicht
Und längst schon keinen mehr ermächtigt,
Geltung, - die dich nur mitberechtigt,
Und, was vom Preise, der dran stickt -
Und wer ihn aufbringt, mag es kaufen -,
Entleert ist und bescholten blickt?
Was rettet dich aus diesem Haufen
Und macht dich einmal ohnegleichen
Reich, oder frei ob eignen Reichen -
Am Steuer reich und frei von Zoll - -
Als daß du aller Welt ein Wesen
Erscheinest, dessen Bild sie lesen,
Unkäuflich und geheimnisvoll?
Unnahbar, wie Gestirn, den Mächten,
Weil ganz hinein begriffen in die Kraft,
Die ohne drum zu rechten
Sich das Geringste dienstbar schafft,
Und deren keines, das da lebt,
Sich ungeschändet überhebt?
Und was ist Wesen, als was handelt,
Weil es dem Mächtigen Stetigkeit
Entgegenwirft und erst im Streit
Sich unbewußt durch Liebe wandelt? -
Ist dir dies Werben nicht Verdruß,
Noch unwert armumschlungner Werber,
Und fühlsts nicht härter und nicht herber
Als Riß an dir und auf dir Kuß,
So bitt ich eins, daß du mirs gibst,
Von Eides Lippen ein Versprechen -
Nicht dies - kein Wort so leicht zu brechen
Wie dies, daß du mich liebst -
Nicht mich - zwar mich wohl, könnt es sein!
Doch nicht so kahl -: keins von den zwein:
»Mich oder nichts« - nein, treib mich aus,
Doch so, daß Keil den Nagel triebe:
Was gilts, um was er geht, der Strauß -
- »Mich oder andres!« - aber liebe!
Andres - und dann in nichts mir günstiger,
Als daß du dies je herzinbrünstiger,
Je selbstentwandter, weltvermeßner,
Vollkommen liebst und deinvergeßner,
Je minder mich - o schweig, es ist
Ein Gleichnis, weder Spiel noch List.
Und dennoch: listig dürft ichs nennen
Im Schmerze: wenn um mich nicht brennen -
Um was es sei, - - doch also loh,
Daß nicht ein Halm sei, nicht ein Stroh
In aller Welt, das dir vergibt
Um dieses Einen willen,
Vor dir zu stehen ungeliebt,
Denn Liebe meint das Ganze:
Versprich mirs, so, und ich will stillen
Mein Herz und leicht mit stehn an diesem Tanze!
Sagst du mirs stumm, ich nehm es stumm.
Und wiederum. Und wiederum.
Heiliges Mädchen, du Glückliche du, die es bleiben und sein darf,
Oh Pallas, immer ein Mädchen,
Nimm die Weihe von denen, die's morgen schon nicht sein dürfen,
Oh Pallas, nimmer ein Mädchen!
Glückliche du, die die Liebe nicht kennt und sie darf dir ein Greul sein,
Greul sein, sie, die wir lieber nicht kennten, und müssen sie heilig,
Oh Pallas, nennen und halten,
Oh Pallas, halten von morgen!
Glückliche du, die den Mann nicht kennt, den Entsetzlichen, Einen,
Welcher uns morgen zerreißt!
Glückliche du, von allen den Männern und allen uns Mädchen,
Oh Pallas, Gepriesene du!
Glückliche du, die sich unter den Männern die Treuen und Klügsten
Selbst erkürt und steht ihnen bei, und allen den Tapfern
Dort vorn auf dem Wagen -
Nimm die Weihe von uns Unseligen, welchen die Klugen,
Welchen die Treuen und Tapferen alle, vom Greulichen Einen,
Für ewig verwehrt sind!
Bei Diomedes darfst du, dem herrlichen Ritter, und darfst bei
Herakles dem Gewaltigen stehn und unter dem Ölbaum
Oh Pallas, immer ein Mädchen -
Ihm die Schale des Trosts und dem Dulder von Ithaka schenken
Nichts dergleichen dürfen wir nachtun, ja und es dürfte
Oh Pallas, nimmer ein Mädchen,
Oh Pallas, nimmer ein Mädchen!
Nigella hispanica atropurpurea
Längst herangeharrte Gestalt, im krausen
Wuchergrün geahnete, bitter knospend,
Bittersüß erblüht zur erloschen dunkelglockigen Blume -
Welch ein Wort, dem Gärtener, aus dem Hades
Steigend, bringst du in seinen wilden Juli?
Leise sprichs, ein Einsamer hörts; doch deutlich, denn ein Verstörter
Hört halb hin; er wartet auf andres; frag nicht,
Was ? er sagts nicht. Jeglichen Nachmittag hier
Stäupt ihn die erbitterte Sonne, fahrend längs seiner Tore. -
Traurende Hochzeiterin, welche fremde
Hochzeit rüstet dieser Altar des Selbstmords?
Wulstig krausts und haderig krallts, nach einwärts schlagen die Küsse. -
Langsam sprichs, bedenke dich; Zeit genug hat
Er, des Zeit die seine nicht ist. Es hat sie
Die Entfernte - wie einen Blumenstock, des zwar sie nicht wartet,
Im versperrten Saal gegen Mitternacht: der
Regen stürzt - es steigen in Röhren schluckend
Haus empor und Flure entlang die Wässer - gehn ihm in Kannen
Tür vorbei - man badet und sprengt - es schwenken
Dienende die Zeit, die er hat zu leben
Blank aus Fenstern: eben wie diesen, also hat sie mich bei sich. -
Überhört ich, was du gehaucht? du sprichst nicht
Zweimal. Einmal deuten die Götter, blitzt das
Ingewissen, zittert die Braut, entscheiden Zeiten die Blume.
Vieles hat der ärmere Mensch. Für einen
Brief, der ausblieb, Bote auf Bote läuft ihm.
Fürstlich schenkt er. Selber sich unkund, Namen holt er Geschöpfen
Aus den Lebens Schmerzen herauf; denn ihm ist
Eines not und ist ihm versagt: Und was drum?
Was mich höhnt, je mehr es mich höhnt, wie nenn ichs? eine Geliebte.
Dein auch eben hart ich nicht acht. Die Botschaft
Ging vorbei. Viel schuldiger sind wir, als der
Zorn sich wähnt, der immer nach Antwort fiebert: Siehe, ich schenke
Dir mein Herz, das Eine nicht will: sie will mich
Herzlos. Herzgeschenke sind Namen: Deiner,
Düstrer Schoß voll Folter und Irrsinn, heißt »Unglückliche Liebe«.
Unglücklich, - nicht weil unerhört: es hörten
Dich die Untren: Farbe bekennen darfst du,
Stygische, - im Schilde sie führen, offen, all deine Zeichen.
Unglücklich, - nicht weil unerfüllt: dein Tanzplatz
Steht, schon ist in Haken und Horn dein sanfter
Schoß verkehrt, entartet in schlimmen Schranken kriechen die Paare.
Unglücklich im giftigen Keim; unglücklich
Wartende; unglücklicher, sich erfahrend;
Ganz unglücklich, wenn sie sich aufentfaltet, aus dem verirrten
Herzgespinste, so wie die Braut aus Schleiern,
Hertritt mit der endlichen Gabe - Taumel
Hier wie dort. Sie blüht, wo sie fällt; sie blüht, wo einer sie säte.
Die Welt umgibt mich voller Fingerzeige
Auf dich, die tausendfach verteilt erscheint -:
Je tiefer ich mich ihren Formen neige,
Je mehr erkenn ich, wie noch selbst der Feind
Die Not, der Tod, das Häßliche dich meint;
Hier aber ist die Stelle, wo ich schweige.
Nichts kann der Mensch Gottähnlichers erleben.
Wer kann mir nehmen? Oder wer mir geben?
Die Welt umgibt mich, voller Fingerzeige.
Der Wagen prallt zurück; die Pferde stehn.
Aussteigen soll ich? nach dem Hause gehn?
Dem da ? wo nicht ein Stein,
Nicht eines Steines Schatten zu mir spricht?
Dies ist es nicht.
Ihr hörtet falsch, dies kann das Haus nicht sein.
Die Straße selbst schon nicht, das Haus noch minder -;
Wie? dennoch? - Kinderjahre, Kinder-
Erlebnisse, belehrt mich, steht mir bei!
Erinnerungen, sagt mir, wo ich sei!
Zeigt mir, und wenn mich außen alles tröge,
Das Ding, das Nichts, dran ich mich richten möge! -
Es darf nur eines blassen Geisterwinks,
So kenn ich gleich mein altes Rechts und Links -
Zeigt mir den Zaun, ich weiß, was er umzirkt,
Das Straßeneck, ich ahne, was es birgt,
Den Anfang, und ich kenne den Verlauf,
Das tote Fenster, und es tut sich auf,
Und aus dem Öffnen, hinter Arm und Hand,
Füllt sich die Luft mit Einer, die drin stand,
Als wir es waren!
Nord, West, Süd, Osten, sendet einen Geist,
Kluftüber durch den Tod von zehen Jahren,
Der mir die Heimat weist,
Mir Kreisendem, um den die Heimat kreist!
Wohl mir, und daß Ihr keine Geister seid!
Wohl Euch, die Ihr zu zweit,
Die Ihr den Bebenden, ans Ziel Verirrten,
Zu lösen, leibhaft aus der Nachbarschaft
Herzugetreten, mich in meine Kraft
Aufs neu bestellt, o wohl Euch guten Wirten!
Ihr seids doch noch, wie ihrs gewesen: Wipfel
Wie einst! Nur Eures Hauses obrer Gipfel
Steigt überm Grün, dahinter sich versteckt,
Was mir ein Blick im Innren wieder weckt:
Die Rampe steigt, der Brunnen rauscht so fort,
Die Rose lebt und stirbt am alten Ort,
Und was die Kronen wiegt und Winden lauscht,
Einfach erwachsen find ichs, nicht vertauscht,
In sich erstarkt, aus sich heraus gewandelt,
Nicht eben eingefeilscht, schon umgehandelt - -
Indes die Mummerei des Nachbarbaus
Das Unsre, draus uns Eigensucht vertrieb,
Zu einer großen Klage machte, blieb
Das Eure sich getreu, ein Vaterhaus!
Wir blicken Euch auf Euer Glück nicht scheel:
Ein Denkmal steht es Unsrem tiefsten Fehl,
Ein Gleichnis Unsrem Säen ohne Frucht,
Der frevlen Siedlung und der frevlen Flucht - -
Nur wo der Sinn auf seinem Kauf beharrt,
Und seis um schweren Kauf, unsterblich wird er dauern!
Voll Prüfstein stecken deines Hauses Mauern:
Vertändele deine Art und deinen Part,
Und rückwärts ins Verwirkte lernst du trauern;
Entsagender, nur du hast Gegenwart!
Die Kinder jauchzen Euch zurück in Garten;
Mich nicht, mich laßt; hier bin ich gut allein;
Am Herben dieser Stunde zu erharten,
Will ich von dieser Heimat nur den Stein,
Nur einen Sitz. So hats noch keine Not,
Wenn er für Ruhe gilt, da sonst für Brot
Nur Stein um Stein in meine Hände stieß,
Was andern Mutter war und mir so hieß.
Dort auf der mitten Freiung das Getänn
Verbirgt mich schon Vorüberblickenden:
Als Knabe war ich schlecht drin aufgehoben -
Nun deckt mich zu, was ein Jahrzehnt gewoben.
Lebt wohl und laßt mich meinen Geistern:
Nur den sein selber nicht bewußten Sinn
Kann dieser Elfenhohn der Dinge meistern:
Ihr kamt, und vor der Liebe floh er hin -
Und da ichs wieder bin,
So laßt mich meine Speise kosten,
Mißgönnt mir ihre bittren Bissen nicht -
Wo mirs ins Innre zielt, bin ich auf Posten,
Bin ich die Tat und suche mir Gericht:
Still und ade!
Ich tat nicht wohl, die Wohltat tut mir weh -
Wannsee ? O wohl; indes, ein Andrer See
Wird mir zu Füßen, weitet sich, und blinkt
Schon Spiegelung, dran meine Wimper trinkt -
Nicht Lethe - (eine Felsenlippe speit
Die wilde Strömung der Vergessenheit,
Strudel, der die Bereitschaft wie das Sträuben
Zugrunde fortreißt, bis sie aus Betäuben
Wirrsinnig aufgetaucht, verweinten Rufern
Zulächeln, keiner weiß, von welchen Ufern -):
Vergessen: will den Leib, der sich ertränkt;
Erinnerung: daß sich dein Auge senkt -
Den Tiefblick, der im Widerblicke mündet,
Das Herz, das sich erträgt, wie sichs ergründet:
Kein Kielgang furcht den See, kein Segler blitzt,
Nicht der ihn fährt, nur wer am Strande sitzt
Und unvermerkt die Lider überdacht,
Erschwimmt Begegnung mit der stillsten Fracht:
Mich vor den stummen Mienen fortzuschleichen,
Dem klaren Vorwurf auszuweichen,
Und hinzusitzen, wo mirs wohlt,
Indes die trügelose Fläche
Mir zu vertaner Kraft verwundene Schwäche
Mir meinen alten Abgrund wiederholt,
Was wärs, als mir zerschmetterten Genuß
Vom letzten Recht der Schatten fortzuklauben?
Als dürft ich mir am hoffnungslosen Fluß,
Was mir als Trost vom Leben werden muß
Und werden will, vom feigen Tode rauben ?
Weh mir, und hätt ich michs erfrecht!
Spar du dein Herz, du sparst, was du verschuldest
Die Uhr hebt aus, ein Büttel nennt dich Knecht!
Erinnrung ward dem sterblichen Geschlecht
Wie Schlag zur Kette am Geflecht -
Es wird ein jedes Lebensrecht
Erst fest an Rechten, die du duldest.
Versage dich und du bist arm.
Gib dich hinunter, sauge allen Harm,
Nimm die Gefühle, sammle die Gestalten
Wie scharfe Speere in dein Herz zurück -
Die Welt wächst ewig jung, und du willst alten?
Wird neu, und du nur lägst als taubes Stück
Im Wechselsturm von Leiden und von Schalten
Und bettelst bei beseelenden Gewalten,
Nur weil sie deinen Vätern galten,
Um die leibhaftige Minute Glück,
Da du dein Sein, dein Menschendasein segnest,
Du? der dir nie entsagst? und drum dir nie begegnest?
Haus, o Gehöft, einst unser, nicht mehr mein,
Wie kannst du meinen Anblick tragen?
Ich gebe dir von diesem schlechten Stein
Die Losung aus verwichnen Tagen,
Du kennst sie noch und läßt mich ein.
Vergebens dräust du, neue Schrift am Tor;
Der alte Sohn vom Hause sitzt davor;
Von hier noch, ja von hier, er darf es wagen.
Tu ab die Tünchen, altvertraut Gesicht,
Herunter mit dem Putz, er ziemt sich nicht,
Schlinggrün hinauf, das hier am Pfeiler tanzte,
Gefällte Bäume, geistert in den Stand;
Verwunschen sei, was hier ein andrer pflanzte
Als jene kaltgewordne Hand!
Sink in die Erde, fratzenhafter Strunk!
Verwildre, zugeschorner Rasenprunk!
Ich bitte deine schlichte Wiesenflur -
Um meiner nicht, um keiner Füße Spur -
Nicht meine friedlos hingewälzten Glieder,
Verwühlte Halme, gebt mir schweigend wieder -
Frei, wie ihr wart, ein Waldrest, uns vertraut,
Um Stämme alter Bäume schießt ins Kraut!
Und ihr, Gebilde, die vom Fremden sprecht,
Mir aus den Augen, fort aus meinem Recht!
Ich bin nicht hergekommen, um den Preis
Des hier in Tod versunknen Einerleis
Dem todgeweihten Einerlei zu klagen,
Und mir den Tort demütig heimzutragen,
Daß jeder Scherbe, jeder Fetzen schreit:
»Auch ich war einmal ganz: Vergänglichkeit!« -
Mich trifft sie nicht, euch mag die Rede treffen:
Da ihr ein Spuk schient, konntet ihr mich äffen -
Wohl mir, daß ihr zur rechten Zeit
Des Stoffs euch schuld gebt, der ihr wirklich seid,
Dem Geist euch untergebt Gefangne:
Ich bin es selbst, das hier Vorbeigegangne,
Der Mensch und die Unsterblichkeit.
Was je mir war, mir steht es zu Gewinn,
Und Schölt es jede leere Gruft: »Verloren!« -
Eh ich es nicht heraufbeschworen,
Wer wagts, und sagt von einem Ding: »Dahin!«?
Noch ist mir nichts umsonst geschehen,
Und macht es nur ein Wunder auferstehen,
Ich wirk es, weil ich selbst dies Wunder bin!
Antworte meinem Anhauch, tote Runde!
Begeistre dich aus dieser Geisterstunde!
Beschreibe dich, o Haus, mit jener Schrift,
Die keinem deutlich ist, als den sie trifft,
Und selber ihm bleibt sie unsäglich!
Gewohnheit blicke mir, das stillste Atemgift!
Bis zum Ergrausen blicke mir alltäglich!
Dichter, noch dichter wimmle Gegenwart,
Von meinen alten Augen vollgestarrt -:
Schatten, ja du! der noch vom gleichen Punkt
Tagaus, tagein zur gleichen Rüste wanderst,
Der Mauerzarge, die daneben prunkt!
Durch deren Bröckelstuck du gleicher Spalt
Wie einst die alte Wand querab mäanderst,
Verlorner Launen müßiger Aufenthalt! -
Ich blicke nichts in euch hinein:
Seht her, mein Aug ist willig, zuzufallen.
Ich fuhr aus mir, euch Schläfer zu befrein,
Euch Wänden flehend aus und ein,
Beschwörend um und um entlang zu wallen,
Zieh, was von euch mir auferstanden,
Gleich einer Wogung hinterdrein,
Bin für Sekunden wieder mein,
Nun wieder mir abhanden -
Aus diesen Fenstern sehnt sichs, wie sichs sehnte,
Aus Winkeln dehnte sichs, wie nun sichs dehnt,
Von mir, der durchschritt und ins Freie lehnte,
Schwebt noch die Tür, nur halb ins Schloß gelehnt,
Es trägt den Buchstab, so verblieben,
Wie ihn mein müßiger Finger hingeschrieben,
Die Scheibe, die von meinem Hauche tränt.
Ein Jubeln hier und dort ein Grollen -
Hier wohnt ein Blick von einst, wie Bilder an der Wand -
Von hier entbindet sich ein altes Flüchtenwollen,
Ein Toben wider Schloß und Band - -
O Unglück, Knabenglück,
Wann aber überkommt ihr mich mit Vollen?
Stück, Stück und wieder Stück,
Langsam mit Schmerz entwachst ihr eurem Ort,
In mich zurück
Entschwebt ihr, durch mich hin und aus mir fort!
Wann soll es sein?
Wann gebt ihr euch darein,
Schließt euch und werdet fest?
Ists hier, ists droben unterm Dach, das Nest?
Ists noch mein Geist,
Der Schwalben gleich, die ihr Geniste füttern,
Hinkreist, von dannen kreist?
Werd ich nicht selbst besucht, nicht selbst gespeist
Mit schwachem Hin- und Wiederflug
Wie Nestlinge von Vogelmüttern?
Was? werd ich selbst ein Trug?
Wo bin ich denn behaust?
Fort! Über und genug!
Mir schwillt! Mir graust!
Geschmeiß, ihr sollt mich nicht mit jedem Viertelszug
Halb nagen und nur halb erschüttern!
Nicht buhlend längs am Sims zu streifen -
Es kos't sich nichts, es fleht sich nichts hervor
Mit diesem Schmachten, diesem Schweifen!
Ich bin gekommen, durchzugreifen:
Hinweg! und wärs aus Sturz, aufs neu empor!
Und lehnten drin des Rachetags Gespenster,
O Jugend, o mein Haus,
Noch einmal wirf den Blick der alten Fenster,
Der Tore letztes Wort ein letztes Mal heraus!
Nicht wie du sonst mir nach verlornem Strauß
Heimkehrendem Geduldungen verhießest -
Ich brauch ihn nicht mehr, Balsam, den du gießest:
Die Säule Feuers über mir losch aus -
Ich will von dir mein unverkäuflich Teil:
Zurück in meine Hand, geworfen Beil:
Werk, nicht von Menschenhänden, steige steil
Und unangreifbar durch den blinden Graus,
Darin du wankst und nun vor mir zerfließest!
Dies wärs ? - So hättest du mir, Haus, geblickt,
Das ich nur erst gewahre wie durch Tränen?
Aus solcher Höhlungen verneintem Gähnen,
Vor deren Gram mir die Gebärde schrickt?
Dies Wort verschwiegst du, und ich wüßt es nicht
Und machts erdröhnen, und ich mußt es nicht?
Wohlan, wohlan. Ich weiche dir nicht aus.
Ich kenne dich, du bist es, Trauerhaus,
Bist, was ich herzustellen mich erkühne,
Unangetastet, unverrückt,
Bist meiner Jugend halbverhangne Bühne,
Darauf mir nie ein leichter Schritt geglückt;
Da ich von keinem Liebliches empfangen,
Da niemand ungekränkt von mir gegangen,
Da Unrecht Aller, tätig und geduldet,
Sich auf mein Haupt erwachsend übertrug,
Bis ich, von aller Schuld und meiner überschuldet,
Den Blitz herbeirief, und zu Boden schlug -
Der Vorhang ist hinauf und es beginnt
Das Trauerspiel im alten Labyrinth
Der Jugend seine Masken herzugeben:
Kreis ein, Kreis aus, Kreis ein: Das Irre Leben.
Leicht hub sichs an: Gefüllt bis an den Rand,
Ein Schiff mit Kindern treibts an diesen Strand,
Halb scheu, halb rauh ihr ungeschickt Gebaren,
Die Schwestern stumm, die Brüder steif in Paaren:
Doch Mutwill hat die Oberhand,
Und die sich eben Fremde waren,
Schon freveln sie, Gesellenschaft vertauschend,
Am Schauer der Befreundung sich berauschend -
Hier sind sich zwei verschworen, dort verwandt,
Das Spiel wird ernster, giltiger jedes Pfand
Und wers verlor, muß wie im Ernste büßen:
Die Kinderei stolziert auf Freiers Füßen
Und merkt nicht, was die Zeit und alles rings behext:
Der Abend stürmt durch Jahre, man erwächst,
Der Busch wird Hecke, zum Gebüsch die Rose,
Zwielicht das Licht, und jede Farbe blinder -
Schon seid ihr halb noch kindisch, nicht mehr Kinder,
Euch trägt, euch hegt, euch engt die Insel gleicher Lose:
Gleichheit nie vor euch eingesogner Wonnen,
Der Einklang nie so frisch gefühlter Pein,
Macht euch auf eurer Welt allein,
Die ihr nur eben erst begonnen!
Und wie sie sich um euch verwandelt! Rings
Erschüttert euch der Wirbel jeden Dings:
Versucht, den Feuerkelch zu pflücken,
Der unter euren Schritten sich erschließt, -
Ihr greift in jähem Niederbücken
Nur Stroh, und was aus seinem Samen sprießt.
Der Mond steigt auf, doch schneller schießt Gesträuch.
Wand links, Wand rechts sperrt euch in enge Gassen -
Dort schwinden sie, euch scheinbar durchzulassen -
Geht -: und der Grund treibt Fels, euch zu umfassen:
Ja, jeder Fußbreit wechselt unter euch!
Ihr seid wie sie und wißts nicht – Lebensfinder,
Ihr Liebeseligen, noch vor Stunden Kinder
Unmerklich euch entwandte: Von der Erden
Bis in Zenith der Taumel steten Rankens
Verstellt sich euch als Wachsen, lockt als Werden,
Betäubt euch mit der Süßigkeit des Wankens.
Befreundung band in eines die Gefühle,
Die nun so süß entfremdet sich entbinden -
Wo sich Vertraute anders wiederfinden,
Ist nichts so reizend, wie die neue Kühle:
Laubgassen weichen. Im verflochtenen Saal
Von rechts, von links, von schrägher mündet Strahl,
Versammeln sich von ungefähr Verirrte
Und tauschen das Geleit zum andernmal -
Verschwunden sind sie in den Taumelhecken:
Und, wie am Läuten über weite Strecken
Sein Vieh erkennt und bei sich sagt der Hirte:
»Sie sind versorgt, solang sie sich entdecken«,
So hört die Schöne dicht am neuen Herrn
Fühllos des alten Freundes Scherz von fern,
Und er das Lachen, das ihm eben girrte,
Fern, und ihm graust: Ein Stern, es fällt ein Stern:
»Glaub, was du sagst, und leugne, was du riefst«:
»Die Welt ist Traumwelt, leb, als ob du schliefst.«
»Vergöttre, was am tiefsten dich verwirrte,
Es bringt zutag das Wunder von Zutiefst!«
»Nur zu, wir sind zu Gast, und keiner kennt die Wirte.
Mondwirrsal! Labyrinth! wie mags die Sonne schaun!
Und dennoch scheints: Der Tag will sich vertraun,
Und unterm Niederstrahl aus kühlen Himmeln
Beginnt die Dunstwelt aufzublaun,
Das Fangnetz seinen Raub ans Licht zu wimmeln.
Gestillten Blicks im Vorgefühl der Freude
Vollwachsen tritt die Erste durchs Gestäude,
Das ihr den alten Spuk entgegensprießt -:
Indes sie siehts nicht; und in Luft zerfließt
Vor ihr das übernächtige Gebäude.
Sie hebt die Ferse: Was beginnt sie nun?
Beschäftigt schlüpft sie aus den beiden Schuhn,
Ist schon hinab und bei den andern Gästen
Blickt sie ins Spiel, wie Sitzende bei Festen.
Denn seit sie unbemerkt den Zauber brach,
Tat ihrs ein zweiter, mehr und mehre nach -
Sie scheinen ihrer Sache sehr gewiß!
Verblendete! Ihr rückt auf steile Wälle!
Allein sie sehn kein Hindernis, Betretens:
und es schwimmt; um auf der Stelle
Sich hinterrücks aus Lüften zu erneun, -
Ohnmächtig dennoch: Keiner kehrt sich
An das entseelte Sperren und Bedräun,
Die große Sonne wächst, der Zauber leert sich,
Wem spart er noch den spottgewordnen Bann?
Doch seh ich dort die Hecken Einen zwängen;
Vergebens sucht er neben durchzudrängen,
Kaum daß er freien Fuß gewann,
Bleibt er in neuen Fallen hängen,
Längst nicht mehr Knabe, noch nicht Mann.
Und hinten glänzts: aus den verschollenen Gängen
Kommt feierlich das Kind und sieht mich an.
Unseliger, blick auf mich, und sage nicht »zu spät!«
Nicht vor dich, hinter dich und nicht beiseite!
Der Zarten, die voll Zweifel bei dir steht,
Frommt der Verstrickte nicht zum Weggeleite!
Denk etwas außer dir, und schreite – schreite
Den Weg, der weiser ist, als der ihn geht!
Wirf nicht auf mich den Todesblick des Sinkens!
Wirf du vom Rande des Ertrinkens
Den letzten Mut wie einen Hakenstrick
Hieher, nach deinem Ewigen, Blick in Blick,
Und hangend von den Burgen meines Seins
Greif ichs, und haftets hier, so ist es deins!
Du bist der Würfel deines eignen Spiels,
Der Jäger deines Wegs und keines Ziels,
Das überschüssige Mittel welker Zwecke,
Der Schöpfer und das Opfer dieser Hecke,
Der Gänger jedes Schritts, der Fänger jedes Staubs,
Raub jedes Spinnwebs, Räuber keines Raubs!
Den Gott gewahren, der im Punkte webt,
Des sich die blöde Seele überhebt -
Da du zur Welt erwuchsest, hieß dirs Tugend:
Heut, wenn du noch gestehst, daß alles lebt,
Und dir aus Lebens Rechte widerstrebt,
Erwürgst du und verwirkst du deine Jugend!
Am Kleide schwebt dem Rüstigen das Gespinst,
Dem noch die Fliege, dem du nie entrinnst!
Ein Faden! Und vor tausendkleinem Zwirn
Versonnen stockt dein wundersichtig Hirn - -
Ein Ferneduft! Und, eben noch Gezwerg,
Wirfst du schon riesige Gedanken
Der Ahnung nach, und holst dir Wald und Berg
Vor deinen Schritt hinein als neue Schranken!
Verfluchter, atme, und es ist ein Schein!
Ich schwöre dir, es gibt ein Groß, ein Klein,
Was du als einen Trug verleumdest, Ist,
So wahr du Scheit und Unze Gottes bist,
So wahr in deinem Fuß, in deiner Faust,
Die widerlich im eignen Garne wüten,
Der Inbegriff von Sternenbahnen haust
Beim Inbegriff von Sternenblüten! -
Ist alles Wort vergeudet und vergebens?
Weckt nichts in dir den Aufstand eignen Lebens?
Muß ich dir Übermutigem, Überfeigen
Den Vorwurf dieses Mädchenkindes zeigen,
Das noch nicht lang sein Haar im Nacken flicht?
Ich sage dir, es ist kein Spuk so dicht,
Kein Trug, der noch so sperrig vor ihr prahlt -
Sie müssen schwinden oder neigen,
Wenn aus dem unverschuldeten Gesicht
Die Andacht dieses kühnen Auges strahlt;
Sie senkt wohl manchesmal die Lider,
Verwechselt oder ruht die Glieder,
Doch deine Wildnis ist die ihre nicht -
Ihr sagt das Herz, wie Pflicht und wie Verzicht
Das große Recht auf freie Straße zahlt,
Und Dickichte verziehn wie Morgendämpfe,
Wo Mut sich Heldenbahnen voller Kämpfe
Und Liebe sich die Krone malt! -
Gesegnet, wenn sie ihre Blicke läßt!
Laß ab vom andren, diese halte fest:
Entlaß die Hand, die sie dir tröstend bot -
Auch liebend kann sie nicht zu Hilfe kommen,
Aus dir heraus gebierst du deine Not
Um dich herum, von dir bist du beklommen,
Und nur was du mit dir zur Welt genommen,
Im Kampf mit dir entdeckt dirs deinen Frommen,
Errettet dich vor Tod -
Ah, so nicht wars, so war es nicht gemeint!
Ich scheide mich von deinem Werke – Feind,
Wahnwitz, ich bin dir nicht verschuldet!
Wie? zwingen, was dich nur mit Schauder duldet?
Die ohne dich, und daß du sie gejammert,
Längst still für sich den Weg ins Offne fand,
Die junge Geberin der guten Hand,
Hältst du in deinem Wust verklammert?
Weil du alleine deine Marter leidest,
Weil du Entwachsenen ihre Menschheit neidest,
Weil dieses Wirrsal, das nur dich noch engt,
Sogar bei dieser Jüngsten nicht verfängt,
Springst du, im Tag allein gebliebner Rest
Von ihrer Jugend schwärmerischem Fest
Vor ihren Füßen auf, - in deinen Stricken,
Um sie in deinen Ränken zu ersticken,
Du - ihre letzte Falle, letzter Bann,
Der Namenlose, der nicht leben kann? -
Vergebens, daß du tust, als ob du von mir lernst:
Du mischest deine Wahrheit, deine Lüge
Umsonst mit meinem heiligen Ernst
In das Verhängnis deiner Winkelzüge -
Umsonst, daß du mir nun zu gleichen scheinst:
Ich bin das Jetzo: Gnade Gott dem Einst!
Umsonst, umsonst, daß du der Reinen trutzt
Der du zur Wildnis wurdest untern Füßen -
Sie hat gezaudert, wohl, sie hat gestutzt,
Und muß mit kurzem Schmerz die kleine Schwäche büßen -
Dann, - ob dein Arm um sie sich auch versiebenfältigt,
Wie deinesgleichen bist du überwältigt:
Groß blickt sie aus und schreitet lebenwärts
Mit einem leichten Schritte durch dein Herz - -
Ich seh von hier, zu meiner eignen Sühne,
Mich stürzen im Zusammenbruch der Bühne. -
Wenn ihr Gewalten, die zeitlebens nach mir zieltet,
Mich nicht zum Spiele hubt und aufbehieltet,
Wenn ihr mich drum erquickt und neubegabt,
Durch Höll und Himmel zubereitet habt,
Daß ich mich wage, wo die andern zaudern,
Gedeihe, wo die Zärtlichen erschaudern,
Und in das Schlechte, Mächtige hinein
Einsam bekenne euer Ja und Nein -
Wenn ich, der hier mich selbst zu Tod verdammte,
Euch tauge jetzt und hier in Schildes Amte,
Schafft mir zu tun! Weils euer Aug ersiehet
Das Werk, für das es einen braucht,
Dem ihr die Frist sich zu erschöpfen liehet,
Da er die Frist zu leben ausgehaucht,
Der nicht, wie dieser darf und jener mag,
Dankbar sich lagere im geschenkten Tag,
Der ausgesperrt von billiger Begnügung,
Beschwert mit allen Kosten seiner Fügung,
Euch mit dem Einsatz flieht und dem Gewinst,
Wenn ihm nicht wuchert, was dem Nachbarn zinst -
Gebt mir zu schaffen!
Ob ich diese Jahre,
Seit ihr im Tod mir löschtet die Geburt
Und nackt und bloß mich euch ins Lehen schwurt,
Den Leib in eurem Tagedienste spare,
Ob ich die Stirn gebeugt, wo sie mich schelten,
Weil ich mit dem geliehenen Pfunde kargte
Und nicht im Gäßlein feilhielt, nicht am Markte,
Sie, die noch nie gelernt, dem Wirt vergelten - - -
Ihr wißts, und wann ich vorwärts treten muß,
Ihr hegt zum Anfang heute schon den Schluß,
Ihr stürzt aus eures Äthers weißer Blendung
Im Blitz die ganze Mühsal meiner Sendung
Deutlich und mächtig her in mein Revier
Und ruft: »Wo bist du?«; daß ich spreche: »Hier«.
Und so, weil schon die Glocke schlug,
Darf ich die letzte Spur aus meiner Wange streichen.
Links, donnernd um die letzten Weichen,
Gleisen gehorsam, malmt und hält mein Zug.
Dem ihr hier Gedächtnis weiht,
Dankt ihm, was ihr habt und seid:
Reich und Speicher, Schiff und Haus.
Worte sprechen ihn nicht aus.
Stumm vor drei heiligen Kriegen -
Wieder verstummt nach Siegen -
Stirn, die gepocht, Mund, der geschwiegen:
Von Fuß auf bis ins Herz gediegen.
Noch die Sekunde, die dir nicht gehörte,
Denk ich ihr nach, so dünkt sie mich verloren:
Ich frage mich umsonst, was sie so störte,
Daß sie dir brach, was ich mir zugeschworen.
Ich prüfe mich auf Pulse, mich auf Poren
Ob etwas sie betäubte, sie empörte,
Den Herzschlag frag ich nicht: genug, genug,
Daß mir das Herz noch schlägt und doch mich trug
Durch die Sekunde, die nicht dir gehörte.
Robert Borchardt der Jüngere, gefallen vor Lemberg
Wanderer bleibe stehn und lies!
Noch ein junger Mensch war dies,
Sorglos, liebenswürdig, gut,
Auch für dich hat er sein Blut
Gegeben, da der Feind ihn traf.
Schon zu ernst und viel zu brav,
Als daß je in sein Entschwinden
Sich die Seinen könnten finden.
Noch zu jung, um mehr zu geben
Seinem Lande als sein Leben. -
Wandrer geh und denk im Wandern
Dieses hier, und all der Andern.
Ein Zweiter
Unter diesem Stein entschlafen
Liegt der Bravste aller Braven,
Liegt der Flor von Elsaß Söhnen,
Liegt der Schönste aller Schönen,
Liegt gefallen vor dem Sieg,
Den er hoffte: Arthur Flieg.
Seinen Namen wahr zu feiern
Ziemt nicht Knechten, erst Befreiern.
Abetone
Wer der Unsterblichen hier oder Halbgott Forsten wahre und Firnes walte,
Dem nach Leiden der Staubgebornen halb noch zögre der Trieb -
Ihm befehl ich den ausgestandenen Berg und nenn ihn ihm Halt nach Halte,
Daß er sie schirme, wenn ihr zulieb nicht, immer noch mir zulieb.
Wo die Geleise durch Schwarzwald aufgehn, taglang steigend aus Tusker Tälern,
Bis an die Landscheid, die der Lombarde steilrecht über sich schaut -
Paß dran Wässer und Volk sich zweigen, heilig blieben mit Vorzeit Mälern,
Hinwärts Herbergshallen und herwärts, aufrecht Maut wider Maut -
Weiht mir dort im Getös des Tanns, Agyieus, und in der Schmelzflut Tosen,
Ernstere Nymphe, die Wagenspur, die sie neben mir fuhr -
Müd ihr spielendes Herz erlösend, Hand auf Rosen und Mund in Rosen:
Ich verneige mich, herzandächtig ihrer und der Natur.
Keusche Dryade, schirme die Mulde, weiß am Rande der Mondwildnisse,
Wo sie den Stilleren reinaufbrausend weh in die Arme sich schmolz -
Sterbe dem Fußbreit, wo wir die Stunden dauerten, nimmer die Bergnarzisse,
Daure mit Rausch, der den Kuß mitseufzte, das mit ihr bebte, das Holz.
Leiser nun, doch meidender nicht, umschwebt mir und sühnet den heiligen Jammer -
Bannplatz will wie der Dank auf Erden Kümmernis, ehe sie ruht -
Welcherlei Liebe auch trug ein Bette, welcherlei Laut nachhallte die Kammer,
Ungut tu sie und ungut treibe sies, Liebe am End ist gut.
Ehe dir Junius wieder die Scheibe, und wann nicht mehr, und wann er sie runde -
Bringst du sie, Trivia, wieder, die dreifach unverschmerzliche Nacht -
Zittre ins Haus, ob ein hingerißner Mund vielleicht an vergöttertem Munde,
Was an Munde dort Mund verwirkt hat, wieder zu Lauterem macht.
Einzige, die du der Fehlbaren Hausungen nahst, o Lautere, in der verwormen
Finsternisse Verhängnis Hälften, und dein unsterblicher Schein
Blüht das Irre zu Urzeit Irrsal, Traufe zu mehr denn musischen Bornen,
Und deine Laufbahn läßt nichts hinten, daß es noch blicke gemein -
Dort die Stätte unbräutlichen Brands, wo ein Fluchgeist haust und Geister der Schmählust,
Stehe gefeit von dem unnahbaren Trost, mit dem du uns feist,
Zieh von dannen wie Dampf vom Teiche herzbewölkende Wohl- und Wehlust,
Daß einem Geist, der im Traum dort einblickt, lächle ein lieblicher Geist.
Mädchengeschlecht, Geschwister der Oreas, sehnige Bräute des Wests, aus Halmen
Lauernde, ob euch der Buhle erspäht und neckt mit dem kollernden Fels,
Heißet ihns schichten zum Mal - ihr wißt wo -, streut drum Flor der stiebenden Almen,
Unbegütigte sahen ihn prangen, Unachtsame des Quells - -,
Undankbaren umrauschten die Tritte Wälder und schlichteten selige Pfade -
Ach ein schwärendes Blut, wo rechnets frei vom Hader den Dank!
Glätte die Tapfen der letzten Wandrung, geistre im Laubigen, Hamadryade,
Wo mir umsonst um ein Wort vom erznen Munde die Biegsame rang.
Wohl umsonst; oh lausche aus Dickichten, spähe zur Schluchtnacht nieder vom Ranfte,
Wo, im Kühl der Najade gediehn, verschollener Waldschaum blüht;
Heget ihn beiden uns Ärmsten ein Weihtum, ewig schimmre der veilchensanfte,
Der uns nicht gab, was keines mehr gäbe, aber gereut im Gemüt:
Nymphe, wie du jetzt sah die Entzückte, traurend Neckende - mir in die Seele
Greifend der Blick, als heischt er den Dienst, und tief zu den Blumen den Arm -
Rührende List zur bitteren Unzeit; trüb erst ward dem trüben Befehle
Kaltes Gehör; ich klomm in die Tiefen, brachte den Glanz und den Harm,
Und einen Abschied, ihr auf Knien das Haupt in Schoß. Euch weih ich die Böschung,
Wo uns die scharf ausklärenden Tränen, ersten und letzten, geschahn,
Fieber und Fackel zugleich verlosch; drum wir wohl auch nach solcher Verlöschung
Götter verzeiht, was Leides uns taten! aber uns nicht mehr sahn.
Zu dem, was bleibt, so wahr ich in dir daure,
Zähl ich umsonst dies tiefbegrabne Feuer,
Mit dem ich hinter deinem Munde traure
Nach Lebewohl; und weiß nichts ungetreuer
Als Zeit, die flieht: doch sieh! sie ließ ein teuer
Geschenk mir nach - ich lächle und ich schaure:
Sie warf mir Silber durch die vollen Scheitel
Und lenkt die Leidenschaft von dem, was eitel,
Zu dem, was bleibt, so wahr ich in dir daure.
Mein teurer Freund, gewiß, du dauerst
Mich sehr, so einsam nachts vor meinem Haus!
Ich fühl es schmerzlich, was du so betrauerst:
Aber, einmal ist es eben aus.
Sieh, ewig währt ja nichts auf dieser Erden:
Zum Beispiel, hier, fing etwas Neues an.
Es kann etwas sehr Schönes daraus werden;
Sicher ist es nicht bis jetzt, - es kann.
An barem Gelde wird mirs nicht mehr fehlen.
Aus welchen Taschen ? weiß mein Kavalier.
Doch sollt er je wie andre dich bestehlen,
Ich entschädige dich, vielleicht, bei mir.
Für deine Bitten, Schwüre, Briefe, Sorgen,
Hab ich nur Tränen. Zwar, wenn dus verlangst,
Laß michs nur wissen, treffen wir uns morgen:
Dächte man wohl gar, ich hätte Angst!
Ich kann es alles zu vertreten wagen,
Wie über mich dies Schöne, Neue kam:
Wenn dir dran liegt -: will ich Dirs alles sagen,
Nur, erlaß mir dann die falsche Scham!
Nur in den schönen Stunden, wenn ich dein war,
So will mir scheinen, hab ich dich geliebt!
Obs dann auch Liebe war, und wirklich rein war?
Sicher bin ich nicht, daß es das gibt.
Nimm meine Freundschaft, Guter! Dazu paßt du
So gut! wie ich, Du weißt, auch immer fand.
Zum Anderen etwas weniger; auch hast du
Von jeher mein Naturell verkannt:
Ich halte mich wie das Glück auf seinem Balle,
Doch werd ich wackelig, wenn ich lange steh.
Stelle mich nicht zu hoch, mein Freund. Ich falle
Sonst herunter, und du tust dir weh.
Absage
Verlangst du nach dem Wort »verzeih« ?
Verlangst du nach dem Wort »vergib« ?
Ist dirs vielleicht gar einerlei,
Wie »diesen lieb« und »jenen lieb«? -
Kein Himmel fragt, was wir versahn;
Was wir gewollt, kein Ebenchrist;
Dir wird verziehn, was du getan;
Vergeben wird dir, was du bist.
Was du getan, wird dir verziehn,
Klagst du und wolltests ungeschehn:
Du strahlst, es sei dir wohlgediehn,
Und ich solls nehmen für Versehn?
»Nicht zürnen«, heißt dirs? - Deine Schuld
Rollt wie ein Wechsel durch die Welt.
Mir zahlst du nicht - jedoch, Geduld,
Er lebt, der dich beim Worte hält.
Denn du bist du, so nach wie vor;
Der Rächer folgt nicht auf dem Fuß:
Er öffnet fern von hier ein Tor,
Dran du gepocht, und lacht den Gruß.
Dir wird vergeben, was du bist,
Wenn, was du bist, von hinnen wich;
Ich bin nicht mehr, der sichs vermißt,
Zu treten zwischen dich und dich.
Schweig und verehre meinen Schmerz.
Es geht um mehr als deins und meins;
Nicht mich, du schlägst das Menschenherz:
Die ganze Geisterwelt ist Eins.
Nicht was du eben tust - laß ab!
Daß du die bist, der dies beliebt:
Denk, ich verzieh und ich vergab,
Wenn dir dein Leben dies vergibt.
Ein Teil von dir ist allem beigemischt,
Was ich zu nächst gewahre und in der Ferne:
Ein Teil von meinem früheren Blick erlischt,
Seit ich in dir die Welt aufs neu erlerne,
Du lachst mir aus dem Glück der Morgensterne,
Und noch die Neblung, die sie nun verwischt,
Enthält an ihrem Rande dein Verschweben -
Schön ist der Alltag. Einfach ist das Leben:
Ein Teil von dir ist allem beigemischt.
Wenn du, o Jammervolle,
Von der ich schied in Grolle -
Ah nicht in Grolle, nein,
In Pein -
Wenn du, die nie verziehst,
Und, wenn du heut mich siehst,
Mich fliehst, -
Um alter Liebe willen
In diesen Zeilen liest -
Denke dann im Stillen,
Daß ich die bittern Schanden,
Die du auf dich gebracht,
In vieler Herren Landen
Und, endlich, in der Schlacht -
Daß ich den Hohn der Schelme
In mancher langen Nacht
Und endlich unterm Helme
Überwunden, überstanden.
Das überwind auch du:
Sieh zu,
Und wage noch zu leben.
Hab Mut, und habe lieb.
Vergib.
Ich habe dir vergeben.
Ich kann nicht mehr zur Linken noch zur Rechten
List und den Vorteil mehren der Parteiung,
Dein Auge wirft die Herren zu den Knechten
Und weist nur Weg, nicht Ausweg, in die Weihung;
Wer dich begriff, Gefäß der Prophezeiung,
Dem kann nur, was er ist, den Sieg erfechten,
Er blitzt notwendig mitten durch die Scherben
Der feurigen Zeit, auf Leben und auf Sterben,
Und kann nicht mehr zur Linken noch zur Rechten.
So wie die Uhr mit Vierteln ihrer Stunden
Dem Schlag verfällt, nachdem die Zeiger streichen:
Unwissend rücken sie durch ihre Runden,
Und Hall erlöst ein Punkt, den sie erreichen -
Erschüttert so tret ich durch deine Zeichen,
Von denen ich noch eben nichts empfunden,
Bis mahnend, dräuend, dröhnend dein Bedeut
Aushebt durch mich mit Schmerzen und Geläut -
Und all mein Leben zählt nach diesen Stunden.
sämtliche Gedichte von Rudolf Borchardt