Die halb gerettete Seele
erschienen 1920
im
Ernst Rowohlt Verlag
Berlin
Einer, Cherub unter Cherubimen
Darnahescht, ein Gottes Strahl im Harnisch,
Dem es obliegt, dem Gesandten Satans
Zweifelhafte Seelen zu bestreiten,
Focht um eine halberlöste Seele
Hoch in Lüften wider den Verfluchten
Und begriff, daß er ihm unterlag:
Wars, daß ihm in den erhabenen Brüsten
Jene sturmverwandte Kraft verzagte,
Die den Hader himmelwärts entschiede -
Wars, daß allzu innerlich verworfen
Dort in Schreckens Arm das Leben krankte -
Er empfand nicht, das er sonst empfunden, -
Nicht von dort her mitten aus Vernichtung
Zuwachs eines jungen Brudersturmes
Geisterhaft zu seinem Sturme tretend
Und empor die Reißung des Gemeinen:
Abgeschlürft den Höllen Pforten nah und
Näher sank der Kampf zur Niederlage, -
Da vermeint er, ihm gelänge noch:
Lechzend, und die Schwinge halb verrissen,
Und den Brodem, den der Abgrund hohl
Schon mit faul und süß zu atmen anhub,
Aus der tief beleidigt heiligen Nüster
Schüttelnd, fühlt er hin zu sich ein erstes
Allerbängstes Ringen, ein erregend
Wie ein Segel sehnsuchtsvolles Blähn -
Wenig, aber aus dem reinsten Schmerze,
Aber aus der tiefsten Not lebendig, -
Und die scheiternde Verkämpfung stand. -
Da vermochte den Gesandten Gottes,
Statt die Werdepein dem eigenen Reichtum
Einverleibt gewaltig zu entscheiden -
Da vermocht ihn, statt das halb Erfochtene
Überflügelnd nun erst zu beharren
In dem wilderen Sturm der kühnsten Liebe
Die Kometen auswirft durch die Ketten
Der in sich verfugten Sternenbahnen -
- Ja, ihn übermocht ein unergründlich
Jauchzen, oder war es nicht ein Bangen ?,
Jenes höchste Zauberwort zu sprechen,
Dem durch alle Welt nichts widerstände,
Wenns ein Geist in Gottes Namen ruft:
Nur in Gottes Namen dürft ers sprechen,
Das er da um seiner Schwäche willen
Schrie wie Aare -, und der Böse schwand.
Lang in Kreisen wie der Adler steigend
Trug der Cherub seinen Raub gen Himmel -
Lange stieg er nicht, noch trug er ihn:
Ihn begann aus seinen Ellenbeugen
Ein Gesicht des Hohns mit grauenhaften
Schreien zu beschimpfen, eine schlechte
Hand war Faust, und schlug in sein Gesicht:
Ihm verschwand, und über leeren Armen
Leerten seine Schultern ihre heiligen
Flügelstarken Geisterkräfte aus:
Lotrecht stürzend wie der Meteore
Schwingenlos zur Erde stürzen, wirbeln,
Schlagen fühlt er sich, und hätte nicht
Gott ihn noch im Winke der Verwerfung
Angehalten, seine Ferse greifend,
Er zerschellte gegen jene Felsen,
Die ihm also, nach des Ewigen Willen
Nur das Bein des Angesichtes brachen:
Ungefüg und schnöde rang er auf,
Und er sah im strengen Licht der Sterne
Greisen ähnlich einen stillen Engel:
Dieser, mit dem Finger seines Blutes
Kluft verzaubernd, bog sich auf sein Ohr:
»Vielfach sind die Ordnungen des Einen
Und aus keiner fiele man ins Leere:
Suche, Mensch, die Arbeit zu vollenden,
Der du Engel dieses Mal gebrächest.
Was du droben unentschieden ließest,
Bleibt, ein Leiden aller Kreatur,
Aufgemerkt im Herzen des Erhabenen,
Wo der ungetane Wille weint.
Geh und tu ihn, und die Schulter füllt Dir
Der gewohnte Fittich, und dem Reinsten
Fehlst du nicht, wie Du ihm jetzo mangelst
Innen zu der Fülle seiner Kräfte,
Sondern Kette schließt sich der Vollendung
Wie dem All nun fehlt, was Einer fehlte:
Lebe so und also lebst Du wohl.«
Dies vernahm er und er sah sich einsam.
Und er wuchs zu der Erhabnen Einem,
Priesterlich von Ort zu Ort ein Lehrer,
Aber lächelnd, - mächtig, doch gelinde;
Die Gewissen in den Schulen richtend,
Wo der Aberwitz sich witzig deuchte,
Aber wie der volle Mai den zarten
Und den zagen Seelen jener Wonnen
Abglanz hauchend, denen er entstammt;
Aus zerhauener Lippe sang er Wohllaut
Jenem gleich, darin die sieben Throne
Wie die sieben Sterne, sieben Farben,
Sieben Leier Saiten einig sind;
Wenn ihm unter der geborstenen Braue
Schnöden Bögen, drein sich seines Sturzes
Ungebild geprägt, der Geist entbrannte,
Und die Seele, heilig durch den Wirrwarr
Greifend, trug den Donner und den Lenz, -
So gestanden die um ihn Gedrängten,
Daß ihm wohl, dem Fremden, Wunderbaren
Nichts zum Engel als die Flügel fehlten:
Aber eben diese fehlten ihm!
Und so duldete ihn keine Stätte:
Ihn umsonst versuchten die beschämten
Schulen, ihn zu Reu bekehrter Zweifel,
Hingeschmolzene ihn umsonst zu halten,
Ihm umsonst entbot mit den Vesieren,
Karawanen, die mit Festgewändern,
Sklavinnen und Fülle des Gemünzten
Zu ihm reisten, seine Huld der Schah:
Gottes Wille deucht ihn nicht vollendet,
Bis er einst, im Hafen, an des Meeres
Landungen, wo alles um den Seemann
Buhlt und um den Kaufmann und des Seeraubs
Fechter und Verächter, jenen Jüngling
Fand, der aus dem feilschenden Getümmel
Wie aus Wolken zu ihm trat ein Stern.
Rechts vom Arm die Kupplerin und links den
Falschen Freund, den hübschen Mund voll Lügen,
Schüttelnd und verstoßend, ging der Sanfte
Auf ihn zu und sprach: »Was soll ich tun?«
Und er sagte: »Tu den Willen Gottes.«
Sagte jener: »Das vermocht ich nie,
Denn er ist nicht schön.« »Und wer bewirkte«
Sprach der Heilige heiß mit Liebes Augen
»Wer das Schöne?« Und der Schöne schwieg:
Und er nahm ihn mit sich fort, und sagt ihms.
Und sie fuhren Tage, Wochen, Monde
Längs der weißen Straßen so selbander
Längs der bunten Gassen jener Städte,
Raunend, lauschend, Eins am Andern Arme.
Ihm beschied der Heilige des Lebendigen
Herrlichkeit, soweit sie Gott verordnet,
Ihm die ewige Leidenschaft der Sieben
Tage, deren letzter ewig währet,
Ihm das selige Spiel der Schöpfer Kräfte
Wider Kräfte und die Lust des Alls.
Aber wie ihm auch der Sturm der Himmel
Aus der Seele brechend Mund und Augen
Glühend schuf, - ein Innerstes gemahnt ihn
Jenes bitteren, unentschiedenen Kampfes
Und er ahnte, daß er unterlag:
Aus den süßen Augen, kühl bescheiden
Spottend lieblichen Erwiderungen
Stieg vor ihm das Hafenbild der Unzucht
Durcheinander mit des faulen Abgrunds
Süßigkeit ein Abermal empor,
Die ihn einmal traf und ihm gewidert,
Und er sah, es war das Ein und Gleiche,
Und der Ein und Gleiche er und jener
Cherub, kämpfend vor den Cherubimen,
Und die Seele ward, und ward ihm nicht -
- Ward ihm nicht. - Er fand sich eines Morgens
Einsam auf dem Lager an der Straße,
Und ihn hatte, der mit ihm gezogen,
Heimlich, wie Gefangene fliehn, verlassen.
Und er wandte seine strengen Füße
In den Spuren um und schlug sich rückwärts
Auf die Suche. Tage, Wochen, Monde
Suchte er umsonst und ihm gelang nicht.
Keinen fragt er, er behielt des Freundes
Namen in der eingeweihten Lippe, -
Sondern, wie der Tropfe nach dem Tropfen
Hängt und Flamme nach der Flamme hungert,
Das dazwischen liegend Unberauschte
Übersättigend, in Eins zu schlagen, -
Also strömt er jenem Strome zu.
Und es ward: Ihm trat aus einem Hause
In des Königs Stadt der schöne Jüngling
Lächelnd, und ein weniges scheuer bei;
Und sie wechselten bescheidene Worte
Wie sich unter den Geprüften ziemt, -
Mit sich fort zum Tor hinaus die Straßen
Und die Länder gegen die Gebirge
Zog der Wunderbare mit dem Schönen
Zu dem höchsten Gipfel Durnawends -
Dort am Rande der demantenen Zinne
Betteten sie sich im Rund der Höhle
Über Irdischem, - - und des Verwundenen
Stufen oberhalb, - von der Begegnung
Erster Stufe allen Glücks zu sanften
Stufen aller himmlisch angehobnen
Hügel Hoffnungen, - und bis zur Stufe
Abgrunds, drin die erste Reife schwieg, -
Allem diesem überlegen hub sich
Hoch und höheres Spiel der Unterweisung,
Denn er lehrt' ihn aller Welt Geheimnis,
- Alle Regelung der Sternenbahnen
Und der Bahnen in des Menschen Seele,
- Alle Lust der Sieben Leier Saiten
Neben dem Geheimnis der Vesiere
Und dem Rätsel in des Königs Herzen
Und dem obersten der Talismane,
Aller Reinheit Trieb ins Allertrübste
Und der Sehnsucht Gottes nach der Welt.
Und der Ewige flößt' ihm zu dem Ernste
Aller Weisheit allen Scherz des Rausches
Und der seligen Anmut auf die Engels
Lippe, die im Schoß des süßen Sommers
Unter Faltern blüht und die Verführung
Alles Meers und Lichtes auf den Meeren.
Sieben Wochen sahn sie von den Stufen
Des erhabenen Bergs das Rad in Osten
Sterne heben und in West verschwenden, -
Sieben Wochen deuchte den Erhabenen
Die vollkommene Schwebe aller Schöpfer-
Kräfte wider Kräfte Gottes Frieden
Also nah ins Spiel der Welt zu holen,
Daß die Schultern ihm zum Fluge stärkten,
Jenen Schwan und jenen paradiesisch
Funkelnden Orion zu erreichen,
Das Gefild und Erbe seiner Brüder - -
Sieben Mal erschien der Mond den beiden
Auf ihn hin verwandten Augenpaaren,
Doch das achte Mal dem einen nur -
- Kehrend von der Quelle, da er Wasser
Für das Mahl der Nacht gegangen holen,
Fand er leer die Statt und leer die Höhle,
Und der Mond schien weiß auf seine Blässe.
Und er stieg die alten Wege aber
Zu den Menschen, steil wie ein Gewässer,
Ohne hinter sich zu sehn, bergab.
Er durchschritt die Länder, in die Ströme
Schwang er sich und hob sich von den Ufern
Unaufhaltsam in die neue Straße.
Durch die Gürtel aller Hungersnöte
Und der Pesten fuhr er, sah dem Aufruhr
In das brennende Gesicht, dem Fremden
In das dunklere, und zwischen Heeren
Der Geschienten ging er durch die Lager,
Überschritt die Brandstatt und die Walstatt
Und das Lügenfeld der Fürsten Eide,
Trat dem Könige vor und bei des Richters
Stuhle stand er auf die blutige Richtstatt.
Keine Gassenzeile jener bunten
Kaufmannstädte, und der goldnen keine
In des Königs frechen Sieben Städten
Drin er nicht den Vorhang von des Goldschmieds
Raube und den Teppich von erpreßter
Ware hob und wieder sinken ließ:
Sinken ließ umsonst und hob vergeblich -
- Nirgend beim zu teur erkauften Kaufe
Noch betrognen Tausche, Labyrinthen
Jener Märkte, da den Kram vom Krämer
Und vom Käufer keine feilere Feilheit
Scheidet, sondern Drei in Eins verfangen,
Wimmeln durch das Irrsal ihrer Frist -
Noch an Wechslers Tischen bei der falschen
Münze, noch wo Kerkergitter Arme
Noch wo Fenster ein gemaltes Lächeln
Zeigen aus den Gräbern alles Wesens
- Nirgend wo der Mensch, sein Höchstes fliehend,
Stirbt an seiner Niedrigkeiten Neige,
Und, ein wirkend halb schon halb verwirktes
Geisterwesen, Wirklichkeit erfährt,
- Nirgend wo er, seine Sterne lästernd,
Sehenden Augs und Schauder in der Seele
Sich verkehrt und Schändliches umschlingt,
- Nirgend fand er dessen, den er suchte,
Oder seines Namens eine Fährte. -
Und so kam er, immer tiefern Abgrunds
Garn an seiner Laufte Spule nehmend,
Zu dem letzten der verrufenen Gaue
Nah beim Meere, in der Diebe Sprengel
Und im Schatten des Gehenkten, Kus.
Dort, dem Tore nah, im Staube hört er,
Im Vorbeigehn, von gefärbten Lippen,
Jenen Namen, und von immer krummrer
Gassen Unflat seine Sohlen hebend,
Immer endlicher an aller Grenze
Von Beseelung einer Kreatur,
In der allerletzten der verlorenen
Hafenschenken, einwärts wo die Sonne
Weißes Gift in eine Hofstatt spie,
Sitzen fand er den so lang Gesuchten:
Bei dem Würfler und dem Knabenschänder
Saß er, eine Neige Weins in Jenes
Lederbecher spülend und die Zehe
Auf des Andern rohem Fuße tänzelnd,
Blaß und schmal und trotzig und verzagt.
Und er sprach den Gruß und saß zu ihnen.
Und es ward ein Wanken in dem Heiligen.
Und er schwieg. Ihm stieg vor seinen Blicken
Klar wie jener Gipfel Berg der Berge
Die Vergeblichkeit des in Verwandlung
Immer gleichen ungeheuren Auftrags,
Und er sah, daß er ihm unterlag,
Blickte um sich her und nahm den Abschied
Von der Sehnsucht seines Leibs, die Seele
Zu erfüllen. Nicht zum dritten Male
Jenen aus den Fugen seiner Kräfte
Noch das Irdische aus Erden Angeln
Auszuwiegen, fühlt er sich ein Herz,
- Nicht ein abermal die eitlen Wege
Und die leeren Gassen zu den Steigen
Des Verlusts ihn mit sich zu entfremden
- Dieser Welt Gesetz war über Ihm,
Über dem zuvor der Wille Gottes
Und das Amt gewesen, ihn zu tun - -
Hoch in Lüften über dem Geschaffnen
Er ein Brand aus schöpferischer Brunst.
Dort hinauf, der Sonne zu, entschweben
Sah er seiner Engelschwinge letzten
Ihm verbliebenen, als ein Pfand auf Heimkehr,
Gottverwandten Flaum, und hieß den Höchsten
Selber seines Höchsten Meister sein
- Aber eine Sehnsucht überkam ihn,
Dieses Ekels und der bittren Schwäche
Überhoben, einmal noch des Berges
Kühle Geisterluft und sterneblaue
Reinheit, und darüber, in der schwindelnd
Flimmrigen Verstirnung, jener Tänze
Und des Chors Entzückungen zu kosten,
Wie des Hauses Luft der Sohn vom Haus,
Denen er nur ihm bewußt gehörte,
- Zu verlassen das zu oft vergeblich
Seinem Zug zur Tiefe Abgerungene
Und sich selbst ins Göttliche zu retten,
Ja und wärs durch ein vermessen Wort, - -
- Und er sprachs nicht: sondern sprach zu jenem,
In den Staub bei seinem Staube sitzend:
»Walte Gott hinfort des eignen Willens,
Welchen meine Schwäche nicht vollendet.
Hier will ich nun sein und bei Dir bleiben;
Der da rein ist, helfe Dir und mir.«
Und er trank den schlechten Becher aus.
Ganz nicht aus: denn unter jenen Worten
Riß ihn die gewaltigste Beflüglung
Wild aus seinen Schultern brechend, hoch,
Und der Andre blieb an Seiner Stätte
Seinen äußerlichen Anschein tragend
Und die Schlechten vor ihm auf den Knien. -
Aber jener Jüngling, jener schöne
Rätselhafte, sanfte, wankelmütige
Ward von Menschen künftig nicht gesehn:
Und sie wissen nicht, daß ihn der Cherub,
Allen Hader himmelwärts entscheidend,
Mit sich riß, und rein ward vor dem Reinsten.