Rudolf Borchardt - Die Beichte Bocchino Belfortis

Die Beichte
Bocchino Belfortis

aufgeschrieben ab 1905
veröffentlicht in den
"Poetischen Erzählungen"
im Ernst Rowohlt Verlag
1923


 


 

Weil Ihr mich eben anseht. - Weil der Teufel
Euch Züge gibt wie meine, mich zu äffen. -
Weil ich sonst nicht verhandle mit der Luft
Noch eines Menschen Schemen, oder einem
Der so wie Mönche aussieht, doch nur aussieht,
Und ist vielmehr bloß ein Stück tünchen Werk,
Die Hände in der Kutte, grau auf grau,
Und steht am Pfeiler, rechts in San Matteo
Zu Pisa, wenn Ihr in den Chor wollt. - - Wasser!
Ah Wasser! - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
- - - Sagt mir, wo ich bin; was nennt sich
Der Ort hier? - Ah. - Venosa. - Ja, ich weiß,
Ich fiel hier krank... Ihr wollt mir... ? - Ja, ich weiß,
Ich soll hier sterben. - Bischof von Venosa,
Belforti nehmen keine fremden Dienste.
Belforti sind die Könige der Mark
Volterra, und daß ich hier Reisepage
Des Erzbischofs, vielmehr sein Familiär
Zu sein Euch dünke, kommt von diesem Fieber,
Das auf der Reise mich befiel. Raimondo
Wird Euch vermelden, wer Belforti sind.
Mein Diener. Guter Leute Kind. Recht brav.
Ich bin kein Page. Es ist eine Wette -
Bischof, Verabredung; Ihr werdet wissen,
Wie das der Brauch ist unter großen Herren,
Kleider zu tauschen, Leute anzubinden.
Ich bin sehr jung, jedoch kein Page. - Bin
Sehr jung und darum soll ich, weil das Fieber,
Mit dem Erzbischof reisend, mich befiel,
Hier in Venosa, in Venosa sterben. -
Das ist sehr einfach. - Das ist Logica.
Sehr einfach, deutlich. - - Wer das nicht versteht,
Und Zweifel hegt, und hinten, da, so frech,
Mit dieser Warze auf der Nase, da
So lacht, und sagt »He Page«, und »Bocchino« -
- Loslassen! Meinen Degen! Ich durchrenn ihn,
Den Hund! Den Pastasciutta! Was? Du mir?!
Des Schiedsspruchs wegen, da Dus schon verdient,
Das Leben Dir gefristet, Hundemönch,
Pisanische Grimasse, - - wie, und jetzt,
Als war das nie gewesen mit dem Abt
Von San Matteo, und dem Buben-Schiedsspruch,
Den ich im Stiefel tragend heimwärts ritt,
Zu sagen »Nichts« und »Nichts da von Vergeltung«,
»Kein Geld, wir sind nichts wert« zu sagen »Was?«
Und wenn sie von der Mauer schon, die Köpfe
Zusammen, schreien, schon von weit, »wieviel?«,
So muß ich hochstehn in die Stegereifen
Bergan und leere Hände schütteln aufwärts
Zur leeren Stadt und in die leeren Häuser
Und leeren Säckel und muß schreien »Nichts!
Nichts, garnichts, nichts, und drei Belforti tot!«
»Nichts, garnichts, es ist nichts mehr mit Belforti!«
Und darum sag ich, Degen her! - - - Ah kalt. -
Ah gut. - Venosa. - Freilich ja Venosa.
Und sterben; gut. Ja, freilich. Ja ich dank Euch -
Ah wohl; es wurde so gelärmt, ich konnte
Nicht schlafen. Eine Rauferei. Nicht alle
Sind geistlich edler Sitten. Aber nun,
Da alles still ward, mein ich, werd ich schlafen.
Wie sagt ihr? Mir die Beichte abzunehmen
Schickt Euch der Bischof von Venosa her?
Wo ist der Erzbischof -
                                Ja freilich, leicht
Begreift sichs; eines Pagen willen kann
Der ganze Reisezug sich nicht versäumen.
Er muß dahin, die vielen Pferde müssen,
Auch die Maultiere, immer laufen, eines
Dem andern bergab in die Tapfen steigend, -
Auch soll das viele Futter nicht umsonst
Geschwungen werden in die Krippen; nicht
Als wüßt ichs von Gebühre . . ., oder hätts
Gelernt, den Tieren Futter schwingen - - außer
Man hat ein Lieblingstier, das auch ein Graf,
Gefallens halber, selbst einmal versorgt, -
Statt es den Pagen -
                            Wasser. - - Seid bedankt,
Barmherziger Bruder. Eben wird mir leicht,
Da eben noch so schwer mir war; so leicht -
Es zieht wie eine fadenrechte Wolke
Die Wetterschwere von der Stirn mir fort.
Und was denn beichten? Nun ich frag Euch nicht,
Ob es so weit sei, Pfarr. Es ist so weit,
Hab ich gelernt nachsagen der Frau Mutter,
Immer so weit, zu beichten, für Belforti.
Denn wißt Ihr, was Ihr sagt und was Ihr wollt,
Und wem? Und daß Ihr mit Belforti sprecht?
Wißt Ihr, daß an den Fingern einer Hand
Die mögen sein zu zählen, die in Jahren,
Ich sage nicht zuviel, siebzig und fünf
Belforti letzte Beichten abgenommen?
Belforti sterben durch das Land den Bösen
Den Ungebeichten Tod. Belforti haben
Nicht Zeit, sich zu bedenken auf ihr Stündlein,
- Es käme immer noch zuvor. Oh Bett
Des guten Städters, Lager, Decken, Oh!
Belforti hat den hinterhalten Pfeil
Im Halse, wenn er durch den Hohlweg reitet
Von Monveltraio, und Belforti stirbt
Im Handgemeng, und stirbt auf Fehderitten,
Und stirbt erstochen nachts in einer Gasse,
Auf die er tritt, indes man die Trabanten
Hinaus auf andre Gassen treten lassen -
Und stirbt gerichtet unterm Schwert; das ist
Bocchino, hinter dem ich heiße. Ist
Bocchin Belforti, Meister von Volterra,
Tyrann, wie sie wol sagen, Volks Hauptmann
Und des gewaltigen Ottaviano Sohn,
Des Riesengründers, und des noch gewaltigem
Bonaventura Urenkel. Und starb,
Nachdem er Jahr um Jahr die Mark gemeistert
Und zittern machen halber die Maremme
Und halb Toskana, da, im roten Hemd,
Den Hals durchschlagen, Henkertod, als Feind
Der Freiheit und der Guten. Dem nach heiß ich
Bocchino; und den andern nach Belforti.
Und Allen nach ein Edler von Volterra.
Und schulgesetzt sollts billig weiter gehn:
Italien. Und das ist abgetan, -
Da Heinrich, deutscher König seines Namens
Glorreich der Siebte, diesen wüsten Garten
Des Reiches sehn zu kommen zauderte. -
Das war es wol, wie mans zu Schulen meldet;
Und soll es hier nicht melden, sondern beichten,
Weil ich, Bocchin Belforti, in Messer
Erzbischofes von Imola Gefolge
Südwärts auf Napel reitend zu Venosa
Bettbrüchig worden von Quartanenfieber,
Und darum beichten, was in sechzehn Jahren
Ich Gott beleidiget, eh denn ich sterbe. -
Volterra -
                So, Ihr wißt nicht, was das ist?
Ich muß Euchs weisen. Kommt Ihr her von Pisa
So laßt Ihr die Verdürrung der Maremmen
Und die Vergiftung hinter Euch, wo Salz
Gesotten wird in Sutten, das ist leicht
Zu kennen. Seid Ihr da hindurch - es ist
Kein kleines Stück, wenn Ihr erst sechzehn seid
Und einsam reitet, da hindurchzukommen -
Beginnt bergan das Land des Fluchs. Desgleichen
Habt Ihr noch nie gesehn, wie da der Boden
Nur Basilisken keimt und keinen Halm,
Nur bunten Schutter, anläufig von Kupfer
Und spanig, oder gallig grün und alles
Von Regengleisen aufgerissen, Schrunde
An Schrunde, und dazwischen ists wie Mühlen
Im grell verschlackten Boden ausgemahlen,
Daß Nachts kein Reiten ist. Ihr reitet Tags
So stundenlang zur Höh und sehet droben
Den Rand der Höhe ausgesägt von Häusern,
Nicht eben vielen, Zinnen endelosen
Und Türmen, wie ein Mastenwald, als hätte
Ein Riesen Obrist Banner aufgeworfen
Und Stang an Stangen rückte zu ihm ein
Sein Volk. Und das ist nichts. Da reitet Ihr
Und seht die Mauer. Aus der Ferne schon
Schlagt ihr das Kreuz ob solchen Teufelwerks,
Das Christenheit zu fügen nie vermochte:
Felsblöcke unbehaun, gevierte, runde,
Klotz hin, Klotz her, schiefeckete, und so
Zusammgespielt von teufelischen Händen -:
Ihr sehet nirgend keinen Mörtel. Also
Seht Ihrs da wo Ihr haltet; und umrittet
Ihr weiter Stund um Stunde dort den Berg,
Noch immer lief Euch neben diese Türmung
Der Unholde, nicht Römer Werk, daß ich
Es wüßte, unhold wahrlich. Also seid Ihr
Dem Thore nah, das sich wie ein Geklüft
Im Felsgeklipp der Mauer, nicht als wärs
Euch einzuladen, aufthut, - zu verschlingen
Viel eher; und es ängstet Euch die Seele,
Seht Ihr nun, wie Euch drei verhaune Haupte
Aus dem Gemäuer in die Augen stieren -
Da müßt Ihr durch, und wißt nicht, kommt Ihr noch
Lebendig wieder, und Ihr seid erst sechzehn:
Denn hinter diesem, voller blutiger Plätze
Und windiger Türme, eisiger Wohneburgen,
Draus eben solche Haupte wie am Thore
Fast so verhaun, und stierer noch als stier
Vom Fensterloch aus Kappen auf Euch glotzen,
Und alles Feinde - starrt die Stadt Euch an! -
Kein kleines Stück, wenn Ihr erst sechzehn seid.

Wenns Gott genehm und wenn Ihr mirs vergönnet,
So wärs wol an der Zeit, nunmehr zu beichten.
Doch seht mir nach. Es will mir nicht in Sinn,
Daß ich Meinherrn Gott droben je mit Willen
Anders denn handgefalten angeblickt
Und je beleidiget durch eigne That,
Und da all meine That nicht mein gehört,
- Viel mehr sie ist in Aller Andern Thaten
Der kleine Finger einer Hand, - die ich
Nicht weigern könnte, wenn man mirs geboten,
Wie könnt ich beichten denn für mich allein!
Doch wenn ich für die anderen...
                                              Alle Andern
Bruder, sind ungebeichtet storben, Gott
Sei ihren Seelen gnädig; Alle hatten
Vor Gott und seinen Heiligen keine Zungen
Und hatten sie in Sterbestande schwarz
Und dick im Schlünde vor viel Blut, wer weiß
Sie hätten gerne sprechen. Vielen hab ich
Sie in die Zähne sanft zurückgedrängt,
Da war ich noch ein Knabe. Zwischen Wunden,
Pfeiltoten und erschlagenen Vettern, Öhmen
Und Sippen wachset, wer Belforti heißt,
Das Kind schon -. Was denn könnt ich von mir sagen,
Was jene nicht zuvörderst, und dann mich
Beträfe - und Volterra, den Comun,
Der ungebeichtet lebt und ewig ist,
Nie ward, nie stirbt, und den Du magst mit Stiften
Und Munstern und Kapellen Aller Heiligen
Durchschlagen wie ein Ehernes mit Gold,
Und mit Bittgängen und den Betefahrten
Ihm seine Gassen fegen, und mit Wedeln
Ihm seine Häuser weihn und streun, und mit
Den allerheiligsten Gottsakramenten
Ihm seiner Bürger Leib, - - Du weihst sie nie,
Und unten neu im giftigen Boden kraust
Meineid, Poch, Treulos, Tücke, Grob, Verschlagen
Raub, Lüge, Geiz und Mord, oh Mord Mord Mord!
Ich weiß nicht, Bruder, ob ich beichten kann
Für mich, doch für Volterra thät ichs, kaum
Daß ich den Mund Dir anzusagen aufthu
Von meinem Leben, wie ich dennoch müßte,
So ich Dir beichtete: Und siehe da,
Volterra hat so wie Belforti nicht
Die Stimme; gleichsam sitzt auch ihm die Zunge
Schwarz quellend in dem Schlünde seines Tods,
Und singen sie auf Straßen oder Plätzen
Den Messer Dante von Florenz, zu dem ich
Mich immer hielt mit anzuhören wenn er
Florenz Pistoje Pisa Siena Lucca
Aretze und allen Burgen der Romanje
Die Zunge leiht - ich wartete vergeblich:
Und so wie ich, wieviel Italien wartet,
Und so wie dies, wie viele, wie viel Welt!
Es ist den Dingen, wie den Menschen, und
Dem Dritten, das da zwischen Mensch und Ding,
Fast eingeboren, daß es sich bekenne,
Daß es bekennend sich zur Ruhe komme
Und Ruhe finde; daß es wiederum
In Menschen kehrend eine Sühne schaffe,
Wo Sühne mangelt; daß es endlich sich
Auf tausend Wegen, so durch Priesterohr
Und Priesterlich Gebet der Ledigsprechung
Und durch vollkommene Sühne in der Menschen
Gemüt und durch gestiftet und bewirktes
Geschaffenes vielfach Gott zubewege,
Je reicher und je besser; je mehr Zungen
Je mehr gestillt die Seel in Fegefeure,
Und wenn es sei, in Paradiese. Meint nicht,
Ich spräche Fieber. Denkt, ich spreche wahr,
Wie mir fürwahr ein Etwas wie Oblate
Auf meiner Zunge das Geheimnis löst
Das ewig mich versiegelte - So thats
Den jugendlichen vor mir, den Propheten:
Denkt nicht, das Alter sei dahin, da Gott,
Ein neues Wort von Menschenmund zu hören,
Mit neuem Feuer brach in Menschenherz -
Noch immer will Er hören, und noch immer
Brennt Er den alten Weg ins alte Ziel:
Noch immer geht Hierusalem zu Grunde,
Und noch am gleichen Schaden, und noch immer
Auf ihren Heiland wartet diese Witwe!
Und so verzeih mir Gott, und Du verzeihst,
Barfüßer Mönch, und den ich hinten da
So schluchzen höre, alter Mensch, Raimondo,
Und ihr im Gange nächst dem Spalt der Thür,
Die ich nicht kenne, Menschen, Brüder, Ärmste,
Und Die, in deren Namen hier ich spreche,
Teils die mich hören könnten, teils die starr,
Und Würmefraß, und schwertgespalten, Urständ
Erwarten, und verzeihe mir das Land,
Davon zu reden ich mich schicken muß, - -
Wenn ich, ein fiebernd Kind, im Sterben hier
Ezechielisch Arme von mir werfe,
Und an die Brust gesammelt mir ein Volk
Des stummen Unglücks Gott entgegenführe, -
Und wenn mir Gott verzieh, so dank ich Gott,
Daß er der Stunden letzte mir gewürdigt
Gewaltigem Anschauns als die Lebensstunden
Vormaligen, - und wenn mirs wol erging
So dank ich ihms, und wenn in meine karge
Bescheidene Spanne zarten Lebens Leid
Nicht auszutragen, Schicksal unerhörtes
Und ein entsetzliches, ein Säculum
Einbrach, vor dem Gomorrha schuldlos stünde, -
So dank ich ihms mit aller heißen Demut,
Daß er in blutigen Wettern mir erschien
So wie den Vätern, und mir hinterm Wetter
Erscheinung zusagt, die uns noch gebührt:
Denn daß Gott komme und sein Reich, das ists.

Und danke denn zuvörderst, daß als Eltern
Ich Euch, Messer Filippo, haben mochte
Und Monna Narda, und in Armut wuchs.
Und Euch verneig ich mich, und Eure Hände
Küß ich in Kindes Inbrunst; wie Raimondo
Meiner Frau Mutter schuldigst wird bezeugen,
Wenn er zurückgekehrt sein gramvoll Haupt
Ihr in den Schoß hinein vom Amte mindstens,
Dem gramvoll wordenen, zu entlasten geht,
Und sagt, - denn daß Dus sagen darfst, bezeug ich -:
»Laßt michs entgelten nicht, daß er nicht kehrt,
Des mich zu pflegen ihr mit ihm entsandtet:
Was Menschen Treue mochte, that ich ihm,
Was Menschen Kräfte frommerweise thun
Gedurft, um auszumarken, was Gott wolle,
An Wartung, Unterhalt, an Arzenei
Und Priesterlichem Segen, ward gethan,
Als wärs in Eurem Haus. Gott aber wollt es;
Und auf der Grenze zwischen Menschenwitz
Und Gottes Gnade, lebend nicht noch sterbend,
Stand Eurem Knaben eine Zunge auf.«
Da weine denn nicht so und gib mir Achtung
Daß Du berichten mögst, mich hätte nicht
Der Bettelburg gereut von Montegualdo,
Drin ich mit den Vertriebnen wuchs, vom Tag
Da mit der Axt die des Bocchinos Haupt
Vom Rumpfe hieb und noch den Bart zerschlug,
Daß alle armen Weiber die ihn liebten
Sich rissen um ein Goldenhaar, - - der Bann
Den ganzen Namen, fast ein Volk, Belforti
Aus der Gemarkung auf die Burgen trieb.
Des reut mich nicht, noch daß wir knapp zu essen
Uns helfen mußten, Bauernritter, schier
Mit unseren Hungerbäuerlein die Gleichen,
Die uns das schlechte Feld mit schlechtem Korne
Halb Waiz halb wilde Feldblumen, bestellten.
Das waren wenig Jahr. Es kam fast nie
Die Arge Zeit zu unserer Armut; selten
Ein Bot mit Botschaft von den anderen Sippen,
Zu Fehde den Herrn Vater aufzubieten
Gemeinschaftlich; zu reiten hatt er nicht
Als einen kleinen Klepper, den besorgt ich
Anfänglich, dann nicht mehr; wir hatten keins,
Und des Herrn Vaters kleiner Harnisch ging
Zu Roste. Ihn gereut es nicht. Er war
Von allen des Messer Bocchino Söhnen
Allein kein Kriegsmann, ein bescheidner Herr,
Ein schmaler Wirt, der Rechenkunst verständig,
Und hielt des Hauses Schriften, alles Zeugnis
Von Hausrat, der noch oben in Volterra,
Und der verteilt, so wie Monna Bandeccha
Urmütterlich des Hauses Ahngestalt
Ins Glück hinein und übers Unglück lebend
Unbeugsam, es den Tag verzeichnen hieß,
Da des Bocchinos Haupt und Leichnam ihr
Ins Thor gelegt ward, ihres hohen Sohnes,
Und gleichen Tags der Pöbel unsere Häuser
Zu brechen drohte, wenn wir blieben, - - des
Zu bündigem Beweise Teghinaldo,
Francescos Knaben, schön und siebzehnjährig,
Fesselten und entmannten, und Ranieri
Von Denen des Ugucrio hoch vom Turm
Der Rotti ab zur Piazza schleuderten. -
Und also gingen wir. Das ist Volterra:
Der Haß im gleichen Turme mit dem Hasse,
Neid Neides Nachbar, Väter Rachsucht un-
Gestillt der Rachsucht in die Fenster starrend.
Volterra ist, nicht aus sich fort vermögend
Noch vom Verhaßten fort, mit ihm am Strick
Des hin und her gerissnen Bürgerrechts,
Mit dem sich jeder würgt, der andere schnürt,
Forttreiben strudelig unter Brücken, drauf
Die Menschen gehn, in einem roten Strudel.
Volterra ist, zu hunderten beklommen,
Zu tausend, hocken in der Mauer, jenseits
Von der die Welt der Wilden Unbill anhebt,
Und diesseits heißt die Unbill Recht. Volterra
Heißt, keinen Herrn erkennen als den stummen,
Den keins je sah, und hat ihm doch gehuldigt,
Den Wahn der eigenen Brust; und einen lauten
Dennoch so scheinbaren, der in der Inful
Und Mitra bischöflich die Messe sagt, -
Und, seines Goldes und der Seiden bar,
Sich wieder auf die Hand des Ersten Besten,
Des Ersten Mächtigen zurückversetzt, -
Es wäre denn, der Nebenbuhler Hände
Spielten sich wie bei Ball die Puppe zu, -
Es wäre denn, es rissen sich zween Spatzen
Um einen Käfer. Denn die Zeit ist fern,
Da mit Bischof Belforti Regiment
Vom Hochaltare wirkte, und des Kaisers
Geweihter Graf zugleich die Mitra trug,
Und um die Weihung und des Aaren Tugend,
Des Leuen Kraft in Schildes Heerezeichen
Sich Geld und Gut die Fülle sammelte,
Der Schatz nicht mangelte und Schutz verbürgte.
Volterra heißt Nicht Schatz und heißt Nicht Schutz
Die Ringmaur ohne Mitten Punkt, die Stadt,
Die nicht ein Haupt gewinnen könnte, ohn es
Vom Rumpf zu schlagen, aber jedem Herrn
Zu Bote steht, er biete sie nur auf -
So der Franzose, der noch heut drin liegt
Und damals lag, und so der Söldner, gestern
Des Kaisers, heut der Liga, morgen Waibling,
Heut Weif, dazwischen nur ein Wolf, in Hürden
Der Schafe. Dies denn ist Volterra, tobend
Und meisterlos vor tausend wilden Meistern.

Daß einer käme! Siehst Du hoch vom Pol
Italien zu, und siehst, o Herr, die Läng
Und Breite keinen Wald, der nicht die Lauer
Von Schelmen ist und dessen Laub von Stahl
Nicht heimlich blinkt? Und nicht ein Haus, des Fenster
Nicht Scharten sind zu Auslug und zu Angriff
Aufs nächste Haus, und jede Stadt der Stadt,
Die sie von ihren Bergen nächste sieht,
Todfeind und allesamt in Doppelbünden ?
Wo ist ein Haus sich eins, und sind nicht Zehne
Dem Elften widerschworen, und der Elft
Ein Flüchtling, Herd von Feindes Milde bettelnd,
Und nicht sie alle einig, bald es gälte,
Der Zwietracht zu gebieten? Nicht sie alle
Gleich Teufeln aufgestört, mit Pech und Schwefel
Die Lüfte zu erfüllen, wenn getragen
Von abgestuften Engeln, die einander
Den Rand der Glorie in die Hände reichen,
Der weiße Kaiser in der Himmelsmandel
Sich niederneigt, wie der Erlösende?
Ist nicht dem Schuldelosen, ihm dem Milden,
Ihm dem Gerechten, dem Getreuen ihm,
Der herkommt auszuteilen, was ihm Gott
Vertraut, das Reich davon es heißt, es komme,
Der Fußbreit Boden schon versagt, den er
Aus seinen Bergen niedersteigend tritt,
Daß er Gewaffnete sich bringen muß
Ihn zu umringen, Er der lieber käme,
Barhaupt und barfuß, hemdig in dem Gold
Der reinen Krone und des lauteren Haars?
Es ist nicht wahr, daß Er des Säculs Arm,
Der Papst des Geistes sei. Aus diesem Falsch
Bricht alles Unheil. Beide sind sie gleich
Gewaffnet und entwaffnet, geistlich beide.
Was Einer ward, der Andre wird es auch:
Dem Weltenkaiser hält der Weltenpapst
Das Schwert ins Antlitz und mit dem geschliffnen
Erzenen Kreuze schlägt der andere zu.
Für diese Schuld der Welt, an der ich teil
Und Schuld getragen als ich für den Papst
Dienstwaffen trug, beug ich Bocchin Belforti
Das Haupt und beicht es, daß mirs Gott verzeihe.
Im Namen aller, die gestorben sind
In Fehden oder Kriegen und Gewaltthat
Und die Belforti hießen, beug ich mich
Bocchin und beichte, daß mirs Gott verzeihe.
Ich beichte für den Tag, da wir nach Guamo
Die armen Basen zu besuchen ritten
Und fanden Monna Chiara und Monna Agnese
Von Söldnern des Anjou die Hofstatt voll
Und Monna Agnese hauste mit dem Hauptmann
Und war nicht bei Verstände. Und Guarnieri
Belforti der mein Vetter war und ich
Laurten den Fremden bei Silano auf
Mit unsern Bauern, schlugen sie von hinten
Zu Tode, die sich uns kein Args versahn
Und hatten Kriegsrecht mit verlornen Frauen
Geübt, wie alle Tage. Gott verzeih mirs.
Ich beichte für Volterra, daß es sündigt
Und sich in Sünden noch verstockt und hälts
Für Recht und bricht sein Herz und findt kein Wort, -
Und für Italien, alles das kein Wort
Gefunden hat, und elend stirbt an Wegen
Der Heere und der Zwieträchten, für jeden
Ruchlosen Fuß auf Halmen und auf Frauen
Und jeden Meineid und verkauftes Herz
Beug ich mich tief, daß Gott, wie ers verzeihe
Den andern, so auch mir genädig sei
Und diesen Kaiser, den er mir entgegen
Aus Himmeln schickt, und dem ich aufgehoben
Das Lehensknie als erster beugen darf,
Durch Gift und Dolche sende in den Dom
Und rückwärts in die heiligen Berge, wieder
Nach Rom und also fort und alle Menschen
Einander selig blicken wie ihr mir -
Oh selig, wie ihr mir, so wie ihr mir!


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