Rudolf Borchardt
Das Buch Joram
Insel Verlag - Leipzig
1907
Nah ist und schwer zu fassen der Gott:
wo aber Gefahr ist,
Wächst das Rettende auch... Hölderlin
Erstes Kapitel
RABBI Mordechai ben Gabirol, der Syrer, erzählt in dem Buche,
das genannt ist »Die Kränze der Sonderbaren Lebens Beschreibungen«,
2. Dass ein Mann war in Israel von den Kindern Gad, der wohnte zu Omm Hapheresch bei den Eingefassten Teichen,
3. Und war sein Name genannt Pinchas, ein Sohn Aminadab des Sohnes Peor von den Kindern Gad, und seines Weibes Jael;
4. Ein Mann unter Männern, schlecht und recht, und harten Wandels als ein Israeliter; der selbige wohnte in seiner Väter Hause und trieb Handel mit Herden hin und wider, von Mittag gegen Mitternacht und wieder gegen Aufgang,
5. Dass also sein Gut sich mehrte und sein Name wohl berufen war von Midian gegen Arabien und in Chaldaea;
6. Und hatte einen Sohn von seinem Weibe, mit Namen Joram; aber mehr denn den einen hatte er nicht;
7. Des wurden froh, die seiner ansahen, und seines Vaters Herz voll vieler Freude, und der Aeltesten voll Trostes,
8. Denn er war beides, fromm und wohlgeschaffen, rötlich und weiss, dazu ein Läufer unter den Wett Läufern, und all sein Wandel unsträflich vor dem Herrn von Kindes Tagen;
9. Da er aber mannbar ward, so gab ihm Pinchas den Ring und das Männerkleid und sah aus nach einem Weibe für ihn um seines Samens willen,
10. Und fand allda Jezebel, eine Tochter Zachri des Sohnes Elieser von den Kindern Gad; die selbige gab er seinem Sohne.
11. Und es geschah, da Joram das Weib zu sich genommen hatte nach Weise der Väter,
12. Siehe, so ward sie nicht schwanger und gebar nicht.
13. Und Pinchas lag seinem Sohne an mit Worten und viel mit Bitten, darum dass er sie von sich liesse nach Weise der Väter und ihr einen Scheide Brief gäbe nach dem Gesetze, das geschrieben stehet von den Unfruchtbaren,
14. Joram aber wollte es nicht thun und verhärtete sein Herz wider seinen Vater um solcher Rede willen,
15. Denn das Weib war süss und lauter, gross und sehr sänftlich, und unvermischter Seele als ein Kind; und Joram war ihr hold,
16. Und hiess sie wohnen an seinem Herzen.
17. Und nahm Kebsen zu ihm neben seinem Weibe, dass er ihm Samen erwecke:
18. Und es geschah, so viel ihrer er zu sich nahm, die gebaren nicht, alle ausser einer; die selbige gebar einen Sohn.
19. Joram aber achtete ihrer nicht, noch des Kindes, das sie geboren hatte.
20. Das Weib aber war eine Chaldaeerin aus Machrepta im Lande Chaldaea.
21. Und ein geringes darauf ward sie ergriffen mit einem Buhler, und hinaus gestossen vor die Stadt, und gesteinigt unter dem Angesichte des Herrn, darum dass sie die Ehe gebrochen hatte,
22. Und das Kind, das sie geboren hatte, that Joram von sich.
Zweites Kapitel
UND Pinchas war bei hohen Jahren, und bekümmerte sein Herz um seines Sohnes willen, darum dass Joram sich wider ihn verstockt hatte
2. Und ging hin
3. Und hatte ein Gesicht, da er schlief,
4. Und sah allda einen Feigenbaum von den Bäumen seines Frucht Gartens, ohne Blätter noch Frucht und schütterer Wurzel; darauf stand geschrieben >Unfruchtbar<,
5. Und hatte ein Gesicht zum andern; und sähe den selbigen Baum in einem Donner und Gewalt des Regens, und alle seine Wurzeln wüst und nackt, und hielt sich nicht an seiner Stätte, da er stand.
6. Und Pinchas sähe den selbigen Baum zum dritten; und es fiel vom Himmel schiefes Feuer und frass den Baum wie ein wildes Tier ein zahmes, dass also keine Spur blieb des Lebendigen, sondern ward verzehret bis in den Grund.
7. Und Pinchas hörte eine Stimme im Wetter, die schrie und sprach: »Ich bin der Herr, beides, zu geben und zu nehmen; es jammert mich aber des Menschen, dass ich ihn gemacht habe.«
8. Es war aber dies das erste Gesicht, das Pinchas sähe; und hatte nie vordem ein gleiches erfahren
9. Und erschrak in seinem Herzen, und sprach bei ihm selber:
10. »Bin ich darum ein alter Mann geworden, da ich den Herrn doch nicht kannte und seiner Stimme mich nicht versah,
11. Dass er mich nun suche in der Nacht, da ich nicht schlafen mag, mit Angst von Bildern und der Furcht von vielen Gesichten,
12. Auf dass er mit mir rechne, Böses um Gutes, und meine Herden wider meinen Samen, und mirs heimzahle?«
13. Da es aber Morgen ward nach der Nacht, so hiess Pinchas zu ihm rufen Weise und Schriftgelehrte, ihm den Traum auszulegen.
14. Und so viele er ihrer befragte, die vermochten es ihm nicht zu bedeuten; und ergrimmte also, dass er sie von seinem Angesichte austrieb
15. Und hiess danach herausführen ein Opfer für sich, dazu ein Sühn Opfer, und machte eine Reinheit in seinem Hofe, den Herrn zu versühnen.
16. Und da Joram des Weges kam, so sah er die Stiere und die Heiligung, und trat seinen Vater an und sprach: »Was soll der Aufwand?«
17. Und Pinchas verwirrte sich vor seinem Sohne zwischen Scham und Zorn; und war solcher Ohnmacht, dass er stammelte und spie; denn er war sehr alt.
18. Joram aber bedachte sich und sprach bei ihm selber: »Siehe er ist kindisch worden.« Und sprach ihm zu, liebreich, als einem Kinde; und hiess einen Knecht die Stiere wegführen, da sie standen.
19. Und Pinchas Jahre waren neunzig und zwei; und war Lebens satt und starb und ward begraben mit seinen Vätern zu Omm Ha-pheresch bei den Eingefassten Teichen,
20. Und sein Gut kam an seinen Sohn, mit Zahl aller Herden und Gewicht allen Silbers,
21. Gold und feines Gold, und Gärten samt den Wein Gärten und alle Felder bei den Häusern und heraussen in der Mark und in der Gemeine.
22. Und trieb den Handel gleich wie sein Vater gethan hatte.
Drittes Kapitel
ES begab sich aber da Joram war bei dreissig Jahren
2. Dass er ausziehn musste seines Handels zu pflegen, und sprach zu seinem Weibe:
3. »Siehe, ich muss von hinnen; und will mich wieder zu Dir kehren um den sechsten Tag nach diesem.
4. An meiner Habe lass nichts zu Schanden werden, noch umkommen an meinem Gute,
5. Gäste nimm nicht in mein Haus um des Gerüchtes willen, und spricht nicht: >Hier ist Deine Kammer.<
6. Sondern heisse ihnen die Knechte das Mahl rüsten bei den Zelten und vertröste sie auf meine Kunft.
7. So aber wer Dich antritt und weist Dir meine Schrift und Siegel um Verkauf und Wucher,
8. Dem gieb seine Gerechtigkeit und brich ihm nichts ab von seinem Zins, denn es steht geschrieben:
9. >So wer sein Haus verlasset um mehr denn drei Tage, der soll einen Statthalter bestellen, welcher sei an seiner Statt, auf dass sein Name nicht fahre unter den Leuten.<«
10. Und Jezebel sprach, »Mein Herr, also geschehe nach Deinem Willen.«
11. Und Joram herzte sein Weib lange mit Armen und Lippen, denn er war ein fröhlicher Mann, und hielt sie bei ihm eine Weile,
12. Und zog allda aus und nahm mit ihm fünfzig gewaffnete Knechte über die Treiber bei den Tieren und war guter Dinge.
13. Da er aber ritt mit seinen Knechten um den andern Tag beim Bache Pisjon in der Oede,
14. Da ehmals war Baresa, eine Stadt der Heiden, aber der Herr hat sie ausgetilget um ihrer Wollüste willen,
15. Siehe da fielen Räuber über sie von den Kindern Chasch, die wurden seiner Knechte mächtig und frassen sie mit der Schärfe des Schwertes, dass also alle umkamen, ausser einem, der entrann.
16. Joram aber, da er sich ihrer erwehrete, ward wunden Hauptes von mehren Wunden; und banden ihn als einen Gefangenen, ihn fortzuführen samt den Herden, dass sie Geld aus ihm löseten.
17. Denn er war ohne Sinne und sein nicht mächtig; und führeten ihn mit sich, gebunden,
18. Bis sie kamen gen Macharja, eine Stadt in Chaldaea; daselbst wurden sie eines mit einem chaldaeischen Manne, dass er ihnen gäbe Silbers drei Sekel und zween Hammel; und liessen ihn allda.
19. Der Knecht aber, so entronnen war aus Händen der Räuber, ging hin und verbarg sich unter Steinen des Baches,
20. Und gedachte sich wiederum zu kehren gen Omm Hapheresch, als ein Botschafter, dass ers denen dort ansagete.
21. Der selbige Knecht lief zwölf Meilen und nicht weiter, drei Stunden Weges und nicht mehr, sondern allda erschlug ihn der Herr und starb des Todes in der Wüste.
Viertes Kapitel
JORAM aber war ein Knecht im Lande Chaldaea; und sprach also zu dem Herrn der ihn gekauft hatte:
2. »Siehe, ich bin Dir nichts nütze: so Du aber aussendetest in mein Land und Kundschaft hättest von meinem Weibe, so möchte sein, dass sie nähme von meiner Habe, so viel Dir anstehet und Dirs gäbe und mich lösete.«
3. Und Gott lenkte des Chaldaeers Sinn, dass ers wohl zufrieden war; und hiess ausziehen seines Bruders Sohn gen Israel, Joram zu lösen; der selbige that Sohlen an seine Füsse und Reisekleider an seinen Leib,
4. Und hiess ihm herausziehen seiner Tiere köstlichstes, auszuziehen, und reiste Tags und Nächtens,
5. Tags und Nächtens, bis zur Stätte, die genannt ist Ba Dagon, an der Strasse der Kaufleute gegen Midian; da selbst kam über ihn der Herr als ein Mörder und erschlug ihn und kam nicht hin noch wieder.
6. Da aber die Zeit erfüllet war, dass des Chaldaeers Bruders Sohn sich wiederum kehren sollte gen Macharja mit der Lösung: so kam niemand.
7. Und der Chaldaeer verwunderte sich über die Maassen: und hiess Joram bringen vor sein Angesicht dass er ihn versuchete; und redete hart mit ihm, denn er war voll Zornes, und sprach »Du hast mein gespottet.«
8. Joram aber war weisser denn ein Totes; und fiel auf sein Gesicht und sprach: »Herr, Herr!«
9. Und stand auf darnach, und verantwortete sich, und sprach: »Nein; sondern ein Löwe hat ihn zerrissen, oder ein Räuber ihn gefangen, es sei denn, dass er verziehe.
10. Sende abermals aus in mein Land, und schliesse Dein Herz nicht zu, auf dass der Herr Dein Blut errette aus Ketten und dem Elend!«
11. Und der Chaldaeer erweichte sein Herz, und war es zum andern Male zufrieden; denn der Herr gab ihm ein beides, Thun und Lassen; und hiess einen Knecht sich rüsten;
12. Derselbe Knecht gürtete seine Lenden und zog aus,
13. Und der Herr, da er ansähe des Chaldaeers Knecht an seiner Fahrt, so jammerte ihn seiner und des vielen Blutes, also dass er sich über ihn erbarmte,
14. Und hiess ausfahren seiner Engel einen, ab von den sieben ehernen Thoren der hinaufgehäuften Himmel, des Knechtes zu warten;
15. Und da der Knecht zog die selbige Strasse, so stand allda ein Engel des Herrn über dem mitten Weg in der Wüste
16. Und war gestellet in einer Flamme, angethan als ein finsterer Bote, und das Weiss seiner Augen wie das Weisse der Morgen-Sterne,
17. Und schrie aus der Flamme vorwärts gegen den Knecht und sprach: »Kehre, von wannen Du kommst!«
18. Und der Knecht fiel in seine Kniee, da er stand, und hub seine Hände auf gegen die Herrlichkeit und sähe seinen Tod,
19. Und sprach: »Herr, ich kenne Dich nicht; siehe aber, ich muss fürbass, bis ich komme gen Kanaan, ein Land in Mittag, da ich hin gesandt bin zu lösen einen jüdischen Mann von Gefangenschaft in Chaldaea.«
20. Und der Engel des Herrn ward fürchterlich, da er stand, und ergrimmte, und zog die Flamme um sich wie ein Tuch, dass nichts an ihm war als Schüttern seiner Lohe.
21. Und schrie aus der Lohe stärker denn zuvor und sprach: »Willst Du Gottes Fuss aufhalten auf Gottes Wege? Kehre, von wannen Du kommst!«
22. Und der Knecht zitterte und stand auf; und wandte sich, seine Stapfen wieder zu suchen, und that seinen Weg zurück.
23. Da er aber war in Chaldaea und kam gegen Macharja in seines Herrn Haus, so verwunderten sich sein, die ihn gekannt hatten vor diesem,
24. Darum, dass ihm der Mund verschlagen war und seine Ohren betäubt, und ging keine Rede in ihn noch aus ihm,
25. Und es begab sich, da sie ihn brachten vor des Chaldaeers Angesicht, dass er Rechenschaft gäbe seines Weges und über sein Amt, so lachte er wie ein Blödes lacht und wusste nichts zu sagen.
26. Da erkannte Joram, wes Hand wider ihn war, und ward stille in dem Herrn; und hub an, dem Herrn, der ihn gekauft hatte, zu dienen, redlich, als ein redlicher Knecht soll,
27. Dass also der ihn setzte über die Knechte, seine Gesellen, in den Frucht Gärten und darnach in den Wein Gärten und zum Meister aller Schaffner in seinen Häusern,
28. Und sein Haar ergreisete ihm in minder denn drei Monden.
29. Es waren aber die Jahre seiner Knechtschaft fünf; nämlich, im sechsten Jahre nach diesem starb der Chaldaeer sein Herr, und machte seine Güter über seinem Sohne,
30. Den hiess er frei geben seiner Knechte etliche, so ihm redlich gedient hatten; von denen war auch Joram,
31. Und machte sich auf gegen sein Land und ging hin,
32. Und lud auf einer Eselin seine Habe in zween Körben, rechter und linker Hand über den Stege Reifen,
33. Links das Festkleid und ein geringes Schwert und Salbe um einen halben Sekel; rechts aber drei hohle Kürbisse voll Wassers und einige Wegzehrung; und zog die gleiche Strasse nach sechs Jahren
34. Der gezogen war mit fünfzig gewaffneten Knechten, über die Treiber bei den Tieren, singend, hinter fünf Herden,
35. Und der Herr sah ihn ziehen seines Weges Tag und Nacht, und wartete sein im Schweigen Mondes und der Sonne.
Fünftes Kapitel
ES geschah aber, da Joram kam gegen sein Land, und war von seiner Väter Hause nicht weiter, denn man einen Stein wirft, so sank ihm der Mut; es war aber Abend,
2. Und hatte das Herz nicht, einzugehen unter sein Thor, sondern sass auf der steinenen Einfassung der Teiche, und bebte vor Schwachheit,
3. Und darum, dass Nacht Wind sich aufmachte von den Meeren.
4. Es kamen aber, als vor Nacht, die Weiber aus den Häusern zu den Teichen, Wasser zu schöpfen, die er kannte, mit Kindern, die er nicht kannte,
5. Und etliche, da sie ihn sahen, so sprachen sie unter einander, »er ist ausländisch, wie die Tracht weiset« und boten ihm zu trinken aus ihren Schöpfen und tränkten sein Tier.
6. Etliche aber achteten sein nicht; und etliche schwatzten und trieben ihr Wesen, wie Weiber pflegen an den Brunnen; und war keine, die ihn gekannt hätte.
7. Joram aber war wirrer Sinne; und redete gegen sie auf chaldae-isch, dass er sie um sein Weib befragete; und sie verstanden seine Rede nicht.
8. Es kam aber herzu ein Weib aus einem Hause, Wasser zu schöpfen, und trat Joram an und sprach: »Lieber, kehre ein unter mein Dach und wasche Deine Füsse, dass Du Dich bereitest um den andern Tag für Deine Fahrt, denn Du bist müde.«
9. Und Joram sähe aus gegen seiner Väter Stätte, da ihm bei Herberge geboten ward von Fremden und schlug die Augen nieder gegen das Wasser, daran er sass; und sähe sein Kleid und das Bild seines Gesichtes im Wasser,
10. Dass er also dem Weibe nicht antwortete, so ihn geladen hatte.
11. Aber die andern Weiber redeten sie an und sprachen: »Wie magst Du mit ihm reden? Siehest Du nicht an seinem Kleide, dass er ausländisch ist, und Deine Rede nicht verstehet als ein ebräischer Mann?« und gingen in ihre Häuser mit den Schöpfen.
12. Joram aber blickte noch immer gegen sein Haus, so es doch dunkeln begann; und erschrak, dass er sein Haus nicht kannte wie ehedem,
13. Sondern wo ein Feigengarten gestanden war, da war eine Tenne; und wo ein Weingarten gewesen war, stand Brache,
14. Und stand auf, und trat herzu, allda fand er das Thor nicht, das er gebaut hatte, sondern der Zuweg war verstellt von einem Dornen Strauche und Geruch starker Blumen; und war voller Angst und Wahnwitz und ging um das Haus
15. Als ein Dieb, nach dem rückwärtigen Hofe, die Thür zu suchen; die selbige fand er nicht,
16. Sondern einen Gang unter Lauben im Mond Aufgang, davon er nichts wusste, und trat ein;
17. Da er aber sich leitete durch das Finstre mit Straucheln längs der Gebüsche, so sah er allda ein Weib im Monde, schimmernd von köstlichem Purpur und tönend von Steinen und Golde als von Schellen in der Ferne.
18. Die selbige, da sie ihn sähe und sein ausländisches Kleid, so erschrak sie dennoch nicht, sondern ging gegen das Haus zu, langsam, mit Winken.
19. Und Joram erkannte an ihren Salben und Geruch den Atem ihrer Hurerei; und wurde ihm sein Herz froh zur selbigen Stunde
20. Und gedachte bei sich, die Aeltesten zu befragen des andern Tages um seines Weibes Statt,
21. Denn er sähe wohl ein, dass Jezebel seine Habe verkauft hatte; und lobte ihr Thun, so er auch wusste, dass seines Bleibens nicht sein könne in seiner Väter Hause und im Lande nach diesem.
22. Und Joram sprach bei ihm selber: »Lasset uns ein Fest machen und fröhlich sein nach dem Harme, und unser Haupt salben und bei diesem Weibe liegen«, und trat herzu.
23. Das Weib aber bog sich gegen ihn rückwärts mit starken Augen und Winken wie zuvor, und lachte; und rief in das Haus die Lampen zu bringen, und stand allda im finstern Thorweg seiner harrend und der Lampen,
24. Und Joram trat zu ihr ins Thor und umschlang sie an Hüften und Brüsten, und sie goss das Schwelgen ihres Mundes in ihn aus wie heisse Narden;
25. Bis herzu kamen zween Mägde mit Lampen ihnen zu leiten; allda erkannte Joram sein Weib, Jezebel, die Tochter Zachri, eine Hure,
26. Und hielt sie an Armen in seiner Väter Hause um das sechste Jahr nach seiner Ausfahrt.
Sechstes Kapitel
DAS Weib aber, da sie erkannte ihren Gemahl, dass es Joram war, so trat sie rückwärts von ihm gegen die Wand,
2. Und Joram winkte den Mägden, so die Lampen gebracht hatten, von hinnen zu gehen, dass er allein bliebe mit seinem Weibe; sie aber blickten gegen einander und gegen das Weib
3. Und hinwieder auf Joram, dass er ihnen befahl,
4. Wie das Kalb blickt an einem Kreuz Wege gegen den, der es leitet es zu merzen; und weiss seinen Weg nicht von den zween Wegen, sondern es ängstigt aus beiden Augen, da es blickt.
5. Joram aber, da er sah ihre Angst, so zwang er sich selber, und hiess sie abermals wegtreten und des Geheisses harren, dass man sie riefe.
6. Die Mägde aber waren stotzig, da er ihrer geschonet hatte, und höhnten sein; und sprachen: »Wer bist Du, uns zu gebieten vor der Frau? Du bist wohl ein Gross König von Mitternacht
7. Oder Pharao, wie Dein Kleid anzeigt, oder der Herr von Babel?«
8. Und Joram, da er solcherlei Rede hörte, so ward der Jammer sein mächtig und ward übermannt, dass er brüllte,
9. Und griff die Lampe, so der Mägde eine trug, in den Ketten wie eine Schleuder
10. Und brach ihr Scheitel und Nacken mit der Lampe zehn Male, dass sie rücklings stürzte in ihr Blut und schief in ihrem Blute lag, zermalmt und ausgerenkt wie eine zerbrochene Schlange.
11. Darnach ward er stille; und sprach zu der andern Magd: »Siehe, es ist eine Eselin draussen bei den Eingefassten Teichen;
12. Gehe Du aber hinaus und ziehe sie in den Stall, und heisse einen ihre Fesseln waschen nach der Reise und ihrer pflegen mit Atzung.«
13. Und die Magd sah, dass sie dem Tode entronnen war; und zitterte und ging hinaus von ihnen; Joram aber sass auf seiner Schwelle, im Dunklen, dass er seines Weibes nicht gewahre; und ging durch Wildnis seiner Seele, da er nichts sähe, denn Wildnisse.
14. Und sprach zu seinem Weibe: »Ich bin ausgezogen von meinem Hause, unsträflich vor dem Herrn, und als ein Schuldloser vor den Menschen,
15. Und habe Dich zu einem Statthalter gemacht, dass Du seiest an meiner Statt, nach dem Gesetz; denn ich bin haussen blieben über drei Tage.
16. Siehe ich bin wieder gekommen, und bin gerecht an meinem Teile, auch ist kein Tadel an mir vor Gott.
17. Und will Rechenschaft von Dir als einem Statthalter, dass Du vor mir bestehest und gerechtfertiget seiest vor dem Angesichte des Herrn.«
18. Und das Weib verantwortete sich und sprach: »Wer bist Du?«
19. Und Joram gedachte bei ihm selber »Die Angst hat ihr das Hirn zerrüttet« und sprach: »Ich bin Joram, der Sohn Pinchas, dein ehelicher Mann.«
20. Und das Weib antwortete abermals aus dem Dunkel und sprach: »Du lügst; sondern ich weiss von keinem Gemahl, dass ich ihn hätte; so Du aber die Wahrheit sprichst, so rufe ins Haus nach Deinem Sohne, ob Du einen habest, dass er Deinem Eide helfe und strafe mich Lügen.«
21. Und Joram ward stumm, und ward eine Nacht in ihm; und stand auf, schweren Leibes. Das Weib aber sprach abermals und schrie: »Siehe ich bin in Deiner Gewalt, wie meine Magd gewesen ist, vor mir; als eines Mörders und nicht als meines Mannes, als eines Fremden und nicht als meines Herrn, und bin Dir nicht anders verhaftet denn meine Magd war,
22. Denn ich habe kein Kind von Dir!«
23. Und da Joram solche Rede hörte, so verlangte ihn fast, ihr Gesicht zu sehen, bei solchen Worten, und war kein Licht da; und wandte sich
24. Und lief hinter der Magd in den Lauben, und hiess sie kehren mit der Lampe; die aber antwortete und sprach: »Herr, schone mein; siehe aber, Dein Tier hungert und schreit von ferne.«
25. Joram aber antwortete: »Besser es verhungere ein Vieh, als dass meine Seele Todes sterbe«; und nahm die Lampe aus ihren Händen
26. Und trug sie rückwärts bis ans Thor, da er sie aufhing an einer Angel, und sah sein Weib stehen an der Wand, und dass sie nicht weinte,
27. Sondern sie war hoch wie ein blühender Baum und gebaut wie Türme, voll Pracht und Fürchtens, und blickte vorwärts wie ein Schiff in der Schlacht, und ihre Brüste an ihr wie köstliche Segel voller Wind
28. Und erzitterte nicht, noch war ein Flehen in ihr, sondern Zorn und Herrlichkeit, da sie stand und gegen ihn blickte.
29. Joram aber hub an und sprach: »Du warst sehr reinlich, und ganz säuberlich, eine Junge Frau, die man ehrt in den Gassen und die man grüsst in der Gemeinde.
30. Falsch war nicht in Dir, noch Unrat in Deinem Herzen, um mei-nethalb, da Du bei mir wärest, sondern Du bandest Deine Haare mit Adligkeit um meinethalb und sassest auf keinem Schemel, den ich nicht Thronen gleich sein hiess um Deinethalb.
31. Die Wolke stand still, wenn Du die Hand ausrecktest; ein Toter wäre aufgestanden, wenn Du die Augen gegen ihn aufhübest; wahrlich ich sage Dir, Du hast mehr Wunder gethan, als die Verlobten Gottes.
32. Der Herr hatte Dich bestellt, demütig zu machen die Uebermü-tigen, Schwache zu stärken, zu trösten, die Trostes darben, dass ein Adliges sei ausser ihm, sein Gleichnis und seine Wiederkunft in den Gassen der Welt und keiner es anrühre,
33. Denn ich habe Dich gehalten, wie die Lade des grossen Bundes vor den Leuten, und wie das Aller Heiligste in der Kammer; siehe ich habe Dich nie erkannt, ich hätte Dir denn zuvor die Füsse geküsst und die Kniee vor unserm Bette, wie Königinnen vor ihren Stühlen.
34. Dies alles aber um unserer Seelen willen, dass wir uns nicht schänden vor Gott und dem Geiste Gottes, wie das Vieh. Mein Weib,
35. Du hast kein Kind von mir. Hast Du aber ein Kind von der Lust der Heiden und Wollust Deiner Haupt Leute, die gegürtet sind um ihre Lenden und gesalbt in ihren Barten, und von dem Aussatze Deiner Reiter auf ihren Pferden ? Fürchte Dich nicht. Warum hast Du das gethan?«
36. Das Weib aber blickte gegen ihn aus, redete und sprach: »Wahrlich, ich sage Dir, es ist wie Du sagst, ich habe kein Kind von Dir.«
37. Und Joram verliess sie allda; und nahm sein Kleid zusammen über seinen Lenden und ging in das obere Geschoss des Hauses, niederzuliegen, und auf dass er rechne mit Gott.
Siebentes Kapitel
DA er aber die Stiegen ging, und kam in das obere Geschoss, so versah er es
2. Und stieg höher, denn er wollte, bis zum Söller; allda fand er kein Bette, sondern es waren reihweis gestellt Darren, Trauben zu dörren, wie sie pflegen,
3. Und lag nieder auf einer Darre, so ihn doch die Sparren schmerzten; auf dass erfüllet werde das Wort, so geschrieben stehet,
4. »Es wird Gottes Wein nicht kommen von der Kelter, noch vom Schaume frischer Trauben in den Bütten, da sie ihn heraustreten mit Füssen, spricht der Herr,
5. Sondern er wird seinen feinen Wein läutern aus dürren Trauben, die keine Gestalt haben, und sind Thoren eine Verachtung, spricht der Herr,
6. Die von Bränden verdorren an den Rebstöcken Sommer lange, und auf die Darren gelegt werden als Verstorbene liegen, ein Gespenst ihres Lebendigen: daraus will ich das Süsse meiner Berauschung läutern, spricht der Herr, Dein Gott.«
7. Joram aber machte eine Scheidung zwischen sich und dem Herrn, da er lag, um Gerechtigkeit, und sprach:
8. »Welches ist meine Uebertretung und was mein Vergehen, dass Du mich heimgesuchet hast und ausgetilget?
9. So ich aber untadelig bin vor Dir und hast doch den Bund gemacht mit Mose,
10. Wahrlich ich sage Dir, so magst Du mir nicht entlaufen, so Du Flügel der Morgenröte an Dich nähmest, Du reinigtest Dich denn.
11. Ein Tod ist wie der andere; und Austilgung ist beschaffen wie Austilgung,
12. Flut zu machen und Lebendiges zu ertränken, hast Du an Dir verdammt, und Dein Gethanes zu verthun verschworen vor Noah;
13. So Du aber der Hund bist, der sein Geschlungenes von ihm speit, so will ich Dich zum Hunde machen, der wieder einschlingt sein Ausgespienes.
14. Denn Du bist mir verhaftet durch Dich selber, dass die Welt nicht untergehe zum zweiten Male an Joram,
15. Den Du Dir verhaftet hast mit Gesetz und einem Bunde des Regenbogens; den Du auf und nieder gehst vor mir und meinem Volke auf sieben Farben mit sieben Heeren Deiner Engel, und bist gereinigt.
16. So Du aber nicht gereinigt bist und zerreissest Dein Gesetz und hast mir gelogen,
17. So will ich Deinen Regenbogen zerbrechen mit meinen Augen und ihn auslöschen mit meinen Gedanken und sieben Heere Engel fortblasen wie sieben Flaum Federn mit meinem Munde, dass Du aufgehen müssest und untergehen wie ein Götze auf Sieben Lügen durch ein wenig Wasser.«
18. Es war aber so gewaltig, was Joram sprach, dass Gott es vernahm; und erschrak um seinen Ratschluss, den er ihm vorgesetzet hatte, und sprach zu seiner Engel einem: »Gehe zu diesem Fürchterlichen, ob Du ihn vertröstest.« Der fuhr aus,
19. Und stand der selbige Engel in der Thür des Söllers, in Flügel gekleidet, mit dem Munde des Erbarmens, und blickte mit Augen, die nicht schlugen, wie Bildern von Augen
20. Und segnete Joram mit den Augen und sprach: »Weine nicht, Geliebter des Herrn!« und ging wie er gekommen war.
21. Joram aber sprach stärker denn zuvor, und redete Gott abermal an und sprach: »Nein, sondern weise mir meine Uebertretung und lege Deinen Finger auf meine Sünde;
22. Was verloren ist, alles das ist verloren; auch schaffst Du nicht wieder, dass es verloren war, so Du es ja wieder gäbest. Was gestorben ist, das ist gestorben; und so Du es auch auferwecktest, so möchtest Du den Tod nicht auslöschen; auch klage ich nicht
23. Wie ich klagte in der Gefangenschaft um ein Verlorenes, noch weine ich, wie ich geweinet habe bei den Teichen und gebrüllt im Thore meines Hauses; sondern ich bin auf der Darre, da ich nicht mehr klage,
24. Und ich will von Dir nichts als dass ich mit Recht müsse verloren haben mein Gut und mein Weib und meine Knechte und alle Heimat, und bin elend worden,
25. Und dass mit Recht gestorben seien, die Du ermordet hast auf allen Wegen meines Lebens, und meine Seele getröstet sterbe.«
26. Und Joram blickte gegen die Thür des Söllers, ob der Engel sich stellte als Fürsprech Gottes, Gott zu erretten vor Joram; da kam niemand.
27. Und frohlockte in seinem Herzen.
Achtes Kapitel
UND redete zum dritten Male und sprach: »Warum hast Du mich zum Maulesel gemacht von Kindes Beinen an, dass mein Same nicht schwängert, und ich mich nicht halte an der Erde, noch rückwärts an meinen Vätern, noch an meinem Weibe; denn sie spricht recht, und hat recht gethan, wenn Du sie recht hiessest.
2. Sondern bin nichts nütze, als ein dürrer Feigenbaum, der des Wetters harrt,
3. Ein Ziel aller Blitze, ein Zeichen alles Todes, ein Hilfloses in Gewalten, ein Unglück und ein Auswurf in der Welt, die Du gemacht hast aus Wüste und Leere und Auswurf nach Deinem Bilde?
4. Denn meine Väter sind fromm gestorben und Lebens satt, uralt, und vielen Segens.
5. Dass also es nicht ihre Schuld ist, die Du heimsuchtest an mir. Antworte mir aber und sprich Du,
6. Denn es ist Deiner Engel keiner so stark, dass er mich geschwei-gete und auf sich nähme Dein Gebrechen vor mir, ausser Du selber kämest Dich zu offenbaren, ehe ich sterbe.«
7. Und Joram blickte abermals in die Thüre des Söllers, ob er etwas sähe,
8. Und vermeinte, er sähe Gott selber wie ein weinendes Gesicht in einer ungeheuren Helle, nicht länger als eine Wimper schlägt, und war geblendet, dass er nichts sähe
9. Noch erkannte, was in der Thüre stand und gegen ihn ausging ihm zu antworten.
10. Es war aber sein Weib, die ihn suchte; und trug zwei Teppiche und Licht; und legte ihn auf die Teppiche und lag bei ihm, und sprach nicht; und er fühlte ihr Gesicht zittern durch das Dichte der Nacht.
11. Es hatte aber das Bett keine Stangen, auch Pfosten hatte es nicht, den Baldachin zu tragen, ausser dass der Herr seiner Boten vier abfahren liess von den ehernen Thoren des Himmels
12. Und standen in den vier Ecken des Bettes über Luft die Nacht durch, in Flügel gekleidet und ihre Füsse geschlossen, vor sich blickend aus Augen die nicht sterben,
13. Und hielten die Luft wie ein gewirktes Tuch unrührbar über den beiden, zu schützen Joram und sein Weib in dieser Nacht, da sie lagen; Brust zu Brüsten;
14. Und wurden einer des andern satt mit Thränen.
Neuntes Kapitel
UND es geschähe, da es Morgen ward nach dieser Nacht, so verkaufte Joram seine Habe und all sein Land mit den Häusern an Joel den Sohn Amnon, seines Vater Schwäher zu Omm Hapheresch.
2. Und zog aus mit seinem Weibe und den Herden gen Mitternacht, sich wieder zu kehren gen Chaldaea, als ein Kundiger, daselbst zu wohnen.
3. Und Jezebel war schwanger von ihm; und zogen durch die Wüste zween Mal vier Monde.
4. Und da die Zeit erfüllet war, so gebar sie einen Sohn und tränkte
ihn aus ihrem Leibe; und das Kind war weisser Haare von der Stunde seiner Geburt an, um der Nacht willen, aus der es empfangen war, zu einem Zeichen.
5. Aber das Weib war zärtlichen Leibes nach der Geburt und hatte nicht Milch genug in den Brüsten das Kind zu stillen.
6. Und da sie kamen gegen Macharja zu des Chaldaeers Hause, da Joram ein Knecht gewesen war, so befragten sie des Chaldaeers Sohn um ein säugendes Weib in seinen Häusern;
7. Und fanden allda ein jüdisches Weib, die hatte geboren, und legten das Kind zu ihr, es zu tränken, und kehrten sich wiederum zu den Zelten.
8. Und es geschah, da die Amme das Kind tränkte in des Chaldaeers Hause Nächtens, so fiel ein Feuer Gottes vom Himmel in den Pfahl von Jorams Zelte, dass er auf dem selbigen Feuer zu Gott ging, sich zu stillen, er und sein Weib; aber die Knechte blieben verschont.
9. Und sie zogen das Kind auf im Lande Chaldaea und fürchteten Gott.
10. Es ist aber dies Kind der Meister gewesen, dessen Namen man nicht kennt, sondern es ist genannt >ein Heiland<,
11. Und sind viele unter uns, die wissen, dass Gott seiner ansähe, und zu ihm sprach wie ein Bruder spricht zu einem Bruder
12. Und zu ihm kam, mit Sehnsucht, bei ihm zu sein, davon die Schriften sagen,
13. Manchmal in der Stimme des Sturmes, ihn zu erschüttern, und manchmal in der Stimme des Wetters, ihm gleich zu sein,
14. Und in der Stimme der Abgründe, ihn zu belehren, und in einer Nacht Stimme der Flöten und Lauten, ihm vorzusingen,
15. Oder in der Stimme der Schwermut, vor Abend,
16. Mit ihm zu weinen über die Welt.