Robespierre - Gertrud Kolmar

 

R O B E S P I E R R E 

geschrieben 1934 (Annahme)
nur Posthum veröffentlicht


 

Inhalt

 

Beschwörung

Antwort

Robespierre

Arras

Paris

Ludwig XVI. 1775

Rousseau und der Jüngling

Nationalversammlung

Der König

Danton und Robespierre

Marat

Die Kerze

Ein Gleiches

Marats Antlitz

Die Messe von Soissons

Der Anbeginn Saint-Justs

Gott

Die großen Puritaner

Marat Triumphator

Charlotte Corday

Simonne Evrard

Der Girondist

Danton in Arcis

Die Hebertisten

Die Fahrt nach Lille

Begegnung

Der Unbestechliche

Camille

Dantons Ende

Saint-Just in Blerancourt

Maximilian

. . . et pereat mundus

Das Fest des Höchsten Wesens

Am achten Thermidor.
(Aus der Rede Robespierres.)

Jener Abend

Eleonore Duplay

Saint-Just auf der Tribüne

Nacht

Der Tisch

Der Sessel

Saint-Just

Rue Saint-Honore

Grabschrift

Alte Jakobiner

Nachruf

 

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Denn die Völker werden zu Kalk verbrannt werden,
wie man abgehauene Dornen mit Feuer ansteckt.
Die Sünder zu Zion sind erschrocken, Zittern ist den
Heuchlern angekommen, und sprechen: Wer ist unter
uns, der bei einem verzehrenden Feuer wohnen möge ?
Wer ist unter uns, der bei der ewigen Glut wohne ?
                                                                  (Jesaja 33/12,14.)

Er wird nicht richten, nach dem seine Augen sehen, noch strafen,
nach dem seine Ohren hören, sondern wird mit Gerechtigkeit
richten die Armen, und mit Gericht strafen die Elenden im Lande,
und wird mit dem Stabe seines Mundes die Erde schlagen, und
mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtigkeit
wird der Gurt seiner Lenden sein, und Glaube der Gurt seiner Nieren.
                                                                   (Jesaja 11/3,4,5.)

Er hatte keine Gestalt noch Schöne; wir sahen ihn, aber da war
keine Gestalt, die uns gefallen hätte.
Und er ist begraben wie die Gottlosen.
                                                                   (Jesaja 53/2,9.)

Als Greuelding vor den Augen dessen stehn, was man ehrt und
liebt, ist für einen fühlenden und rechtschaffenen Menschen die
schrecklichste der Qualen; sie ihn erdulden lassen, ist die größte
der Missetaten.
Nehmt mir mein Gewissen, und ich bin der unglücklichste aller
Menschen . . .
                                                                  Robespierre.


Beschwörung


Ihr. Eure Erde ruft. Kommt her.
Die Städte summen, erzne Bienen.
Der Himmel ebbt, ein Segelmeer,
Mit trag erschlafften Baldachinen,
Und Throne bröckeln leer.

Ihr. Rafft das Letzte, dies Gebein,
In Kalk verscharrt bei Fackelschein,
Der Gosse Spülicht zugeschmissen
Als Rattenfraß, als Hundebissen.
Brecht auf vom Rabenstein,

Reißt ab vom Galgen, der euch trug,
Seit eitle Schreiber euch verdammen;
Sie richten leicht und heißen klug.
Irrt, Sterndämonen, blaue Flammen,
Und lodert: Nie genug!

Marat! Mit deinem zorn'gen Haar,
Mit deinem frommen Händepaar,
Gefaltet um des Armen Krume.
Saint-Just! Du Kranz am Heiligtume !
Saint-Just! Mit einer Purpurblume.
Saint-Just! Mit deinem Flügelruhme,
Den Menschenrechten und dem Aar!

Und du. Du littest Hohn und Mär,
Die dich mit blut'gem Aas bewarfen,
Trugst schweigend alle Teufelslarven
Auf deinem Antlitz, Robespierre,
Und hingest, vor dir selbst entsetzt,
Ein Spuk, in schauriger Legende,
Zerspellt den Hals, das Kinn zerfetzt,
Von Schmach durchstochen beide Hände
Sind deine Ostern jetzt?

Ja. Nimm die Waage. Nimm das Schwert.
Zerbrich die Federn, die besoldet. -
Du Licht, das brennend sich verzehrt,
Wie viele, die der Tag umgoldet,
Sind deine Nacht nicht wert!

Ihr mit dem Recht. Ihr mit dem Brot.
Seid Heilige, die nicht vergeben,
Erfüllt die Tempel, unser Beben,
Steht steil und haltet als Gebot
Uns strenge vor ein glühndes Leben
Und diesen ehrnen Tod.


 

Antwort


Was ist dies ? Spinngewebe,
Das ein Wind zerknüllt.
Schwebe,
Solang die Maschen noch das reine Glitzern füllt.

Was ist das Glitzern ? Träne,
Die ein Dunkel frißt.
Wähne,
Daß sie dem Rebstock einzig Kraft und Labe ist.

Was will der Rebstock ? Traube,
Die ein Frost verdirbt.
Glaube:
Doch wuchs um ihretwillen eine Lippe, der sie stirbt.


 

Robespierre


Ich will dich rühren mit den Händen,
Ich will dich scharren aus der Gruft.
Steig' auf! Du darfst, du darfst nicht enden,
Und wärst du schwebend nur wie Luft,
Unsichtbar hauchend wie ein Wind,
Nur sprachlos glänzend wie die Sterne,
Die starken, die uns ewig ferne
Uns ewig nahe sind.

Ich will dich reißen, her dich krallen
Aus Wirrnis, aus Vergangenheit;
Soll unbeweint in Schutt verfallen
Dein Hoffen, du Gerechtigkeit,
Von Haß umstellt, von Hohn umschrien,
Ein Horst für Rab und Toteneule,
Soll flehend an bekrönter Säule
Der Beter nicht mehr knien ?

Die rost'ge Kette laß mich lösen,
Die deines Kerkers Pforte sperrt;
Sie stieß dein Bildnis zu den bösen
Und schuf es fleckig und verzerrt,
Sie pflanzte dir das Heuchelwort,
Das scheele Giftkraut, auf die Lippen,
Das wuchernd rankt an Grabgerippen
Und grauenvoll verdorrt.

Sie lehrte dich das Mörderlauern,
Die feige, sprunggeduckte Wut,
Die Wollust, die in Opfers Schauern
Umarmend wie in Liebe ruht,
Und trieb dir Beute, eklen Raub,
In schlau gezwirnte Spinnenräder;
Sie gab dir schlangengrün Geäder,
Ein Hirn voll Bücherstaub . . .

O daß ich jeden Makel wasche,
Der so dein Angesicht verdarb! . . .
Ich finde gar nichts. Du bist Asche,
Du Glaube, der nur einmal starb,
Bestattet ohne Auferstehn,
Verbrannt am Scheit der neuen Tage,
Du keuscher Traum und reine Sage
Als Narren betteln gehn.

Du glühtest aus. So mag ich sammeln
Verkohlten Rest, den Aschenflug,
Mag töricht fromm aus irdnem Stammeln
Noch formen einen stillen Krug,
Der fassen und bewahren darf,
Den Segen, den einst Völker hatten:
Du mehr als Mensch. Du nichts als Schatten
Den eine Gottheit warf!


 

Arras


In verdumpfter Schule hockt ein Kind,
Lernt gehorsam Zahlen, Schrift und Reim,
Geht mit Augen, die Gedanken sind,
Schon durch hutzlig alte Gassen heim,

Still vorüber gothischem Gezack,
Schwer geschnitzter Pforte, krausem Stein,
Der Gefährten buntem Schabernack
Unbefreundet, wunderlich allein

In ein Haus, da ferner Priesterspruch
Noch um lang versenkte Bahre summt,
Seit die Mutter schwand, ein Wohlgeruch,
Eine leise Harfe, sanft verstummt,

Da am Abendtisch bei Brot und Rahm
Fremd der Vater auf die Kleinen schaut,
Höher stets aus Einsamkeit und Gram
Ein Gemäuer düsternd um sich baut:

Und der Knabe blickt dies Schweigen an,
Das sein blasses Spielzeug sacht zerschlägt,
Wird, der älteste, in Stunden Mann,
Hebt ein graues Schicksal auf und trägt

Unter Türmen, die sich starr geglaubt
Und zuinnerst zittern seinem Schritt,
Unterm Löwen, der an Belfrieds Haupt
Groß mit Pranken eine Krone tritt.


 

Paris


Düstre Kathedrale
Flackert gothisch auf im Doppelturm,
Schleudert steil Fiale,
Greises Haar, in Herbstgewölk und Sturm;
Schauervolle Fratzen
Hegt sie mild in knitterndem Gefalt,
Drachenbrut, die Tatzen
Hart um ihre spitzen Brüste krallt.

Unterm Heiligtume
Klappert höhnisch alter Totentanz.
Um vergrämte Muhme
Schmeichelt blühend jung ein Kinderkranz;
Straßen füttern, reisen
Leicht und lebend in das nahe Ziel,
Ihre Märkte kreisen
Rund und lustig wie ein Ringelspiel.

Häuser stehn und schmücken
Jedes Fest mit steinerner Musik,
Über starke Brücken
Schiebt die Menge buntes Mosaik,
Uferzweige lachen,
Schnell in Frühlingsarme eingeschmiegt,
Über stillen Nachen,
Den ein sanftes graues Flüstern wiegt.

Puderweiße Locke,
Die von zarter Schläfe rinnend fällt.
Grünem Seidenrocke
Ist ein rosenrotes Band gesellt,
Kleine Lächeln knüpfen
Silbrig sich an ungesprochnes Du,
Dunkle Wimpern hüpfen
Zum Geläut der hellen Stöckelschuh.

Wüste Tore lungern.
Fenster stieren ausgeweint und blind.
Dürre Leiber hungern
Nach dem Mahle, dem sie Sklaven sind.
Himmlisches Geflatter -
In verruchter Hölle schwillt und graust
Wie das Haupt der Natter,
Schwarz von Adern, eine Faust. . .


 

Ludwig XVI.
1775


Der neue Herrscher wird in Reims gekrönt.
Die Glocken läuten. Ein Gefangner stöhnt.

Und Kutschen rollen nach Paris zurück.
Die Hohe Schule wünscht in Ehrfurcht Glück.

Die Knaben singen; ein Erkorner spricht
Begrüßend sein lateinisches Gedicht,

Ein Stipendiat, der, dürftig und verwaist,
An Königs Freitisch Brot und Bildung speist,

Mit fahlem, starrem Auge, blasser Stirn.
Der Große duldet's; seine Blicke irrn

Und ruhen träge aus beim letzten Satz.
Er greift ein huldreich Wort aus seinem Schatz,

Sieht an, wirft hin und schiebt mit läss'gem Schuh
Dem schüchtern Wartenden den Brocken zu.

Die Lehrer dienern vor und ziehn gewandt
Das Lob, die Gabe, aus des Jünglings Hand,

Des scheuer Name weder tönt noch blinkt
Und morgen flügellos in Alltag sinkt.

»... ein Schüler aus Arras.« Der Herrscher führt
Die Rechte unbewußt zum Nacken, spürt -

Nichts. Das ist Märchen. Nein. Er hört und nickt
Gleichgültig-gnädig, lächelt ungeschickt:

Ein Mensch mit friedlich dumpfendem Gesicht.
Man nennt ihn König. Seher ward er nicht.


 

Rousseau und der Jüngling


Opfern will er scheu dem Großen,
Schleicht sich traurig fort;
Von des Schlosses Tür verstoßen
Durch Bedientenwort,
Irrt der Jüngling Gartengänge,
Die er sehnend kam,
Noch in Ohren Spottgesänge,
Auf der Wange Scham.

Blicklos sieht er Fink und Falter,
Klare Sommerwelt,
Da am Hügel sich ein Alter
Schweigend ihm gesellt,
Der sein stumpf verdroßnes Schauen
Jäh in Jubel kehrt:
Dies der Scheitel, dies die Brauen,
Die er glühend ehrt.

Und er nennt die Pilgerreise,
Flicht den Lorbeer ein.
Stirnerunzelnd horcht der Weise,
Mürrisch zu verzeihn;
Müde Lobgeschwätz und Schmeicheln,
Leid und Leben satt,
Mag er nur wie Sonne streicheln
Sinnend Zweig und Blatt,

Weist, beschwichtigt, schöne Blüten,
Blanke Kelche nur,
Goldne Becher, rote Tüten,
Zärtliche Natur,
Die, sich unerschöpflich schenkend,
Reiche Wonnen gibt,
Nie sich weigernd, karg bedenkend,
Wenn der Werber liebt.

»Doch ich bin ein trüber Ritter,
Und mein Tag wird spät,
Ihr, die Jüngern, werdet Schnitter,
Wo der Greis gesät,
Wissend, daß aus seinem Staube,
Seiner Asche Glut,
Eine Flamme sproßt, ein Glaube,
Der sein Denken tut.«

»Glücklich, wenn ich den noch träfe,
Der einst leuchtend steht...«
Und der Jüngling neigt die Schläfe,
Stammelt Dank und geht
Eilend über Erdenkrume
Wie auf Götterspur,
In den Händen eine Blume,
In der Brust den Schwur.


 

Nationalversammlung


Sie, des dritten Standes Abgesandte,
Und der Adel und die Kirchenherrn
Schauten plötzlich diesen neuen Stern,
Wunder, das am lichten Mittag brannte.

Ihre Stirnen zuckten himmelan,
Und sie wollten ihm entgegenleben,
Helle schaffen, gütig sein und geben,
Und ein Wettstreit, heiß und schön, begann.

Alle kamen knabenfroh gelaufen,
Schleppten dürre Rechte auf den Weg,
Grauen Mißbrauch, altes Privileg,
Türmten spielend hoch den Scheiterhaufen,

Warfen, fachten unbesorgt den Brand.
Schleichend züngelte ein warmes Lecken,
Naschte Weidegras, bekroch die Hecken,
Gierte über Kieselstein und Sand,

Daß sie schraken, zeterten und flohen.
Manche schwenkten leichte Eimer her,
Doch die Zunge zähmte nur ein Meer,
Und sie sprach mit fürchterlichem Drohen

Zu der blinden, jammerwirren Schar,
Die im Winkel sinnlos sich gerottet.
Einer, den sie ausgelacht, verspottet,
Weil er arm und trüb und linkisch war,

Löste sich aus knisterndem Gefüge,
Klein, nur wie der Rindenspan vom Stamm,
Stand nicht größer unterm Feuerkamm,
Schritt auf Scherben ihrer Wasserkrüge,

Tragend das unendliche Geflamm
So, als ob er roten Mantel trüge.


 

Der König


Sie hingen in geweihter Haft,
Die Könige aus Gottes Gnaden,
Sie rissen nie den schwachen Faden
Der ewigen, der höchsten Kraft,

Die sie gebunden und gelenkt,
Belehnt mit Wunderwerk und Zeichen;
Sie waren so den alten Reichen
Wie Sonne, Berg und Strom geschenkt.

Und wer sie schaute, bog das Knie
Vor ihrem ungeheuren Glasten,
Kein Spötter konnte sie betasten,
Kein Zweifelnder befragte sie;

Ihr Pfad lief vorbeschrieben schon
Im sichern Wandel der Planeten,
Und nur der Donner des Propheten
Entsetzte ihren goldnen Thron.

Sie fühlten endlich Last und Druck
Und wünschten müd, sich zu vermindern,
Dahinzugehn gleich Menschenkindern,
Und trugen ihren harten Schmuck

Nur selten, festliches Symbol,
Und gaben heilig strenge Taten
An Freunde, Diener, an Agnaten.
Und Säulen wurden mählich hohl,

Die mit ertragender Gewalt
Noch marmorne Paläste hielten.
Und dunkle Ameisvölker spielten
In weißer Fliesen Schorf und Spalt.

Des Zepters südlich grelles Licht
Verblich zu schalem, kühlem Norden;
Die Könige sind trüb geworden -
Und dieser auch hat kein Gesicht,

Kein Antlitz, das den Krieg erklärt,
Das Kronen widerscheint und blendet:
Ein Mensch, der morsche Sippen endet,
Verdämmernd seine Stunde währt,

Um jäh geschreckt, vor heißer Schar
In Scham und Ohnmacht zu versinken,
Aus derber Flasche mitzutrinken,
Die Sträflingsmütze rot im Haar,

Und, letzte unverlorne Pflicht,
Den Blick des Richters auszuharren,
Der niedergreift mit kurzem Starren
Und wägt und modelt, ihn zerbricht

Und Trümmer hinwirft auf den Karren.


 

Danton und Robespierre


Er war der Starke! War, den Lippen rühmen,
Den edle Bücher loben,
Der Wilden einer, jener Ungetümen,
Die groß, gigantisch toben,

Der Zwingenden, um deren heiße Lenden
Die schwarzen Mäntel fahren,
Die schenkend raffen, gieriger verschwenden,
Sich schamlos offenbaren

Und immer breiter, felsiger sich türmen,
Gramme Schultern heben,
Im Schlamm den Fuß, das Angesicht in Stürmen,
Und ein gelebtes Leben

Zerdrückt, verglüht wie müde Rosen streuen,
Wie leeren Krug zerscherben,
Von Lust und Lärmen brodeln, nie bereuen
Und lachen, wenn sie sterben. -

Du gingest schweigend unter ohne Lachen,
Der blutige Verhaßte;
Du, schwach und dürftig, Freund der Armen, Schwachen,
Der seinen Mangel faßte,

Der sein Gebrechen vor den Richter schleifte,
Geringes Sein und Handeln
Zum Wert in dieser Opferflamme reifte,
Der Glut: »Du mußt dich wandeln!«,

Der schwere Last mit kantig harten Stücken
Auf schmaler Achsel regte
Und stumm sich fester in die ehrnen Krücken,
Den Glauben Gottes, legte,

So ganz in Ohnmacht, unsichtbar gehalten,
Die Sendung anzutreten:
Des Schnitters Sense, Schlüssel der Gewalten
Und Zunge des Propheten.


 

Marat


Du Tier. Du Dreck. Du zottelndes Geschlampe.
Lurch. Schlüpfender, der feucht in Kellern haust,
In Schimmeldunst, im Ölgestank der Lampe,
Wisch überm Knie und Feder in der Faust,
Nur zuckend, schreibend. Nachtvertraute Eule,
Die graulich gelben Augen mitleidslos . . .
Und endend: Fleisch voll Aussatz, Fraß und Beule.
Du Brand, du Schwäre an der Menschheit Schoß!

Das bist du. Bist, verfolgt, zerpeitscht von Sbirren,
Ein Köter, der um Türen bettelnd kriecht,
Der schnappend, keuchend in gehetztem Irren
Das Notversteck, die warme Höhle, riecht,
Ein Flüchtling, der den karg gereichten Bissen,
Die dürre Kruste lauernd hastig schlingt,
Der jäh von eines armen Weibes Kissen
Erschreckt, bedroht in finstre Gasse springt

Und aufgepirscht, den Häschern zugewendet,
Sein Qualenantlitz vor die Himmel stellt,
Dies Krötenhaupt, vom Karneol verblendet,
Daraus ein Regen roter Sterne fällt,
Der seine nackten magern Arme zitternd
Um Götzenhauses starke Pfeiler preßt,
Sich sterbend neigt und krachend und zersplitternd
Auf allen Tand die Wölbung stürzen läßt . . .

Das könnt ihr auch ? O nein, ihr könnt es nicht.
Euch so verzehren, so euch selbst ermorden.
Habt Geld und tragt die Prägung im Gesicht!
Und wart ihr arm und seid nun reich geworden
Und streift den Ring verächtlich von der Hand,
Zerplundert, krank ins Elend heimzurennen
Und dazustehn, wie Neros Fackel stand,
Noch Menschenschrei, noch lebend im Verbrennen?

Er aber wies den zärtlichen Besitz,
Das fade Gut hinweg mit hartem Munde,
Entrang der "Wolke Jungfernschaft und Blitz
Und schloß sein Hirn, die grauenhafte Wunde,
In dies gezackte, wirre Diadem.
Er riß sein Herz aus dem verseuchten Leibe
Und backte unform wie den Klumpen Lehm
Es klatschend auf die große Töpferscheibe

Und hob die breite Stirn und schaute rot,
Zerspaltne Nacken, Köpfe, Blut in Bütten
Und blickte Acker um verfallne Hütten
Und sah in alle Hungerhände Brot
Und lag und litt in schmaler Dürftigkeit,
Verwüstet, stöhnend, griff im Fieberwahne
Den eingerollten Morgen neuer Zeit
Und warf ihn auf wie eine Fahne.


 

Die Kerze


Sie nannten Mirabeau »die Fackel der Provence«
und hießen Robespierre spöttisch »die Kerze von Arras«.
                                               Die erste Nationalversammlung.


Nimm kein Ende! Sei, und nimm kein Ende!
Sieh, du bist viel mehr als ein Phantom.
Sieh, ich falte klammernd meine Hände
Um dich Wachs, dich Leuchte, dich Arom
Wie in Haß, in gläubigem Erbittern,
Wie die Liebe stark und fromm umdrängt;
Mag dies Fleisch, die Faser schmerzlich zittern,
Wenn die glühnde Träne sie versengt
Und zerschneidet.

Sieh, ich bin allein, bin schwach und erden,
Doch ich lebe, gehe redend um,
Schweife, deine Dienerin zu werden,
Sanft in dein verschollnes Heiligtum,
Finde dich um deine Erzesstrahlen,
Um dein kupfernes Gerät verkürzt
Und zersprungen und geleert die Schalen
Und das marmorne Gesetz zerstürzt,
Moosumflochten.

Einsamsein. Aus rissig grauen Kalken
Nieselt Staub, den ein Jahrhundert spann;
Fledermäuse klumpen schwer vom Balken,
Meine Zehe rührt Vergangnes an,
Da ich weit geborstne Stufen schreite,
Die smaragdgeäugte Natter schlich,
Zagend über deinen Tisch mich breite,
Sehr gering und scheu und lächerlich,
Ohne Helfer . . .

Kann ich Stein behauen, modeln, schweißen
Tun, was keiner Frauenhand geriet ?
Nur aus Scharten will ich Gräser reißen,
Eh' ein Tag in seine Dämmer flieht,
Will, du Kerze, dich inmitten setzen
Als ein neues schauendes Gesicht,
Meinen Mund mit deiner Flamme netzen,
Daß sein Lied von ihrem reinen Licht
Weilend töne.


 

Ein Gleiches


Die Nacht ist schwer und schwarz. Gespenster hat die Nacht.
Ich will dich in mich stellen: scheine!
Dein Becher will ich sein, aus rotem Lehm gemacht,
In Öfen klar gebrannt. Nun weine,

Nun tropfe, stetes Licht, erlösend in mich ein,
Und Feuerwunden werden singen,
Aus stummen Höhlen mir, aus dunklen Augen schrein.
Nicht biegen kann ich. Nur zerspringen.

Erinnerung und Qual der Herdglut, die mich sott,
Daß ich zu sprödem Stein geworden,
Verfolgung: Schleuderwurf und Holzstoß und Schaffott;
Ich habe nichts als dies. Dies Morden,

Das meinen Ahnen so die schwachen Glieder riß,
Daß ich ein Wunder bin und lebe,
Ob Galgen einst gewürgt, verschlungen Finsternis.
Wenn ich die Arme betend hebe,

Dann rasseln Ketten nach, die über tausend Jahr
Um abgeschundne Knöchel hart sich schlössen;
Sinkt meine Stirn zurück, fällt Erde aus dem Haar
Und Aschenstaub und Ruß und Schlick der Gossen.

Mag sein, daß wieder Erz und Feldstein schon bereit,
Mich zu umschmieden, mich zu schlagen.
Das feste Dach zerbirst im Ausbruch jäher Zeit,
Von Karyatiden bröckeln Klagen,

Doch ich soll klein und falb und tief getröstet stehn
Und dich, du Kerze, wahrhaft halten
Und, kommt der herbe Ruf, in düstren Mooren gehn
Durch Irrwischtod, durch Graungestalten. -

Noch sieh den Spiegel an, der deine Tage frißt,
Mein Antlitz. Laß dir Mund und Wange färben,
Laß deine Runzeln ziehn zu Werkeln, Lärm und Zwist
Ich aber werde schweigend sterben.


 

Marats Antlitz


Zwiegesicht, das nie einander gleicht,
Hälften, die sich hassen: ungefüge,
Platt und rissig, einer Unke Züge,
Die durch träge Sümpfe häßlich schleicht.

Augen, die voll gelber Qualen sind,
Nüstern, die gebläht das Opfer wittern,
Harte Falten, die den Mund verbittern;
Mißgeschaffner . . . einer Mutter Kind,

Die ihn mit in ihren Glauben nahm,
Christusglauben, ihn, den Erstgebornen
Eines Welschen, eines Landverlornen,
Der sein Erbe barg in Furcht und Scham.

Der sein Erbe würgte: dünne Glut,
Krankes Licht erstorbner Feuersbrünste,
Gegen stickig schale Ghettodünste
Hilflos flackernd. Doch es schreit im Blut

Dieses Sohnes auf und reißt sich nackt
Jäh aus Schmerzen, Siechtum, Schmach und Modern,
Alles schlagend, fürchterliches Lodern,
Das die Hörner des Altars gepackt.

Letzter Ausbruch toter Zeit und Macht,
Da der Mordgekrönte Ahab büßte,
Sterne zuckten über bleicher Wüste,
Und den Syrerfürsten schlang die Nacht.

Lippen, breit geschwellt von Fluch und Hohn,
Blicke: Widerglanz der Scheiterhaufen,
Wenn die Spanier welke Juden taufen
Und den starren rote Foltern dröhn.

Antlitz, tief verwüstet und entstellt
Von dem Durst, dem Hunger Unbeglückter,
In den Martern ewig Unterdrückter,
Hingewendet einer armen Welt,

Die ihr frostig Elend lautlos weint.
Aus der Mähne strudeln schwarze Ottern;
Tapfre knicken ein, Beredte stottern,
Und der König, der es schaut, versteint.


 

Die Messe von Soissons


Sie leuchten. Ihre Herzen brennen klar.
Rekruten. Knaben, die der Lese reifen,
Dem Schlachtfeld, Säbelstreich und Kugelpfeifen -
Noch lügt der Tod, spricht nur das Leben wahr.

Noch tönt der Redner, dessen junges Haar
Die Kirchenkerzen, Flackerfinger, streifen,
Wirft Worte, die wie ehrne Fänge greifen.
Noch schwebt und scheint der Bischof am Altar,

Der einst als Bettler, flüchtig, stabberaubt,
Entwürdigt, in sein altes Kloster schleicht,
Der Ketzer, tief bereuend heimzufahren,

Da der Erwählte schon dies blonde Haupt,
Die edle Frucht, dem Pflücker dargereicht:
Saint-Just. Er stirbt mit sechsundzwanzig Jahren.


 

Der Anbeginn Saint-Justs


Glostend schlief das Gold in seinen Nächten,
Seinen jungen Nächten,
Wie versperrt in düsterstumpfen Kieseln;
Grünlich Wasser quoll aus Höllenschächten,
Und in Sprudelschäumen, zähem Rieseln
Schwamm der Grottenlurche blindes Tasten,
Fahler Olm mit nelkenroten Quasten.

Dunkles Brausen spülte seine Seele,
Die in Höhlen Lust und Frevel tauchte,
Wo der Dirnen lichterndes Geschwele,
Wo der Wein aus Pfützen schillernd hauchte,
Gelbe Münzen rasch und schrill entklirrten,
Füße taumelten und Hände irrten.

Und er saß mit Gaunervolk und Dieben,
Früher Kerkervogel, im Gemäuer,
Zornig flatternd vor empörten Trieben,
Brütend, nährend ein geducktes Feuer,
Und die Gnade, die den Riegel zerrte,
Fand den Schweigenden voll dumpfer Härte.

Doch ein Beben kam: da Felsen brachen,
Und die Helle, die ihn blendend schreckte,
Da die goldnen Fibern glitzernd sprachen,
Tages Hämmern Erz und Echo weckte,
Trüber Born, der strudelte und gärte,
Sich zu eisig reinem Spiegel klärte.

Finster nahm er pfirsichsamtnes Scherzen,
Taubenblaue Sünden, Zärtlichkeiten,
Warf sie wild und stumm von seinem Herzen,
Ging hinweg mit strengem sichern Schreiten,
Würgte seine Lust in schwerstem Ringen,
Tat sie reulos zu den toten Dingen.

Unberaten stand er auf aus Nächten,
Seinen jungen Nächten,
Trug sich atmend selbst in beiden Händen
Vor den Herd des ewigen Gerechten,
Gab sich still entfachten Opferbränden,
Strahlend hinzuwehn aus grellem: Töte!
Auf den Flügeln einer Morgenröte.


 

Gott


        Die Völker sterben, auf daß Gott lebe.
             Saint-Just. (nach Romain Rolland.)


Ihr pochtet an. Er blieb euch zugeschlossen?
Ihr hieltet ihn, doch ist er nicht
In eurer grellen Täglichkeit zerflossen
Wie Schnee am mitleidslosen Licht ?

Ihr liebtet ihn, bis eurer er vergessen
Und ließet dann ihn grollend sein ?
Könnt ihr verlieren, was ihr nie besessen?
Ist Gott ein Stück, ein Stein,

Den Knaben lose in der Tasche tragen,
Nur weil er katzensilbern blitzt?
Er ward das Werkzeug euch zum Feuerschlagen,
Wenn ihr am Herde sitzt,

Und ward euch Kamm, die Sorgen auszuhecheln,
Das Seil und zieht euch aus dem Teich,
Der Fliegenwedel, Sünden wegzufächeln,
Die Sparbank euch sein Himmelreich,

Sein Wort der Lappen, Seelen blank zu putzen,
Die eingestaubt und blind.
Gott ist nicht brauchbar. Gott bringt keinen Nutzen,
Schafft nicht mit eurem Hausgesind.

Ihr aber formtet ihn nach eurem Bilde,
Habt eure Liebe ihm gegönnt,
Den reinen Quell der Wahrheit und die Milde
Und was ihr sonst noch missen könnt,

Und ginget hin, durchtorkelnd eure Feste,
Und ludet ihn bisweilen ein
Und schenktet ihm am Sabbath Alltagsreste:
Er mag zufrieden sein.

O, und euch wundert, wenn er, statt zu dienen,
Den Lohn euch vor die Füße schmeißt,
Nicht willig wie die Dampfkraft auf den Schienen
Auch euer Wäglein mit sich reißt?

Ihr zinstet ihm; er sollte euch bewahren
Vor Krankheit, Mißgeschick, Bankrott.
Er säumte wohl, ihr nahmt ihn bei den Haaren -
Wie klein ist euer Gott!

Und ist doch Fels, den nicht Titanen stemmen,
Der Baum, dem Axt vergeblich droht,
Der Meere stärkstes, niemals einzudämmen,
Ist nicht nur Leben. Gott ist Tod.

Er flattert nicht wie leichte, schmucke Taube,
Das treugezähmte Tier,
Und kommt und scheidet, je nachdem ich glaube.
Er weilt. Er lastet schwer in mir

Und soll erfordern, daß ich ihn noch finde ?
Ich sinke, sieche hin,
Doch ob ich, Wurm, mich unter Sohlen winde:
Gott ist. Trotzdem ich bin.


 

Die großen Puritaner


Das ist die Wahrheit! Und ich halte sie in der Hand.
Sie ist harsch und ist ungefüge, sie brennt und beschwert,
Ist Felsstück, gebrochen aus einem dürren, saatlosen Land -
Und was weiß sie von Goldeswert ?

Und auch das ist Wahrheit, ist scharfer, schmerzender Stein;
Ich trag' ihn: Ihr lebt ja, ihr Toten, ihr lebt; denn heut lebe ich.
Einmal wohl mögt ihr gestorben, mögt anders gewesen sein;
Nun seid ihr und seid so: für mich.

Ihr seid: Der am Berge die lastenden Tafeln geholt,
Stirn, von Blitzen umkrallt, Bart, vom Brausen durchfegt.
Ihr seid: Florentiner Mönch, in prasselndem Reisig verkohlt;
Ihr habt quer über die Bibel das englische Schwert gelegt

Und warfet aus Klüften den Flug und die eherne Stimme
     empor:
Milton! Seliger Vogel, singender Schwan überm Meer!
Ihr seid die Besiegten, Zerschmetterten, die Stummen des
     Thermidor -
Gewissen: euch ruf ich und liebe euch, ja, ich liebe euch sehr!

Doch sie schelten euch alle! Mag sein, sie schelten mit Recht,
Heißen euch Raben der Ode, nennen euch schwarz und hart,
Peitscher, eifernde Vögte duckigem Frongeschlecht,
Das Quadern zum Zwingturm karrt.

Denn immer habt ihr die Lauen, die Halben erbittert bedroht,
Gezürnt, ob die Hände klatschten, die Lippen euch
    Beifall schrien:
»Wandelt euch,« habt ihr gesprochen, »seid Reine oder seid tot.
Nicht: »Sündigt, so wird euch verziehn.«

Und habt euren Himmel nie verwölkter Begeistrung gebaut,
Die unklar schwärmt, da der Leib in seidenen Lastern ruht,
So friedvoll dem frommen Wort, dem reichlichen Mahl
     vertraut
Und gerecht sich dunkelt und gut.

Ihr aber habt den Weg mit spitzen Dornen besät;
Ihr ginget ihn selbst, und die blutige Stapfe rann.
Ihr straucheltet, rafftet euch, weintet: verleumdet, geschmäht.
Drüben lag Kanaan.

So seht meine Schwäche; wollet sie nicht verzeihn,
Nein, bürdet die Plage mir auf, die bleierne Tropfen sprengt,
Und mög' euer Untergang noch die ewige Flamme sein,
Die tanzend mein Herz versengt!


 

Marat Triumphator


Die Menge glomm. Da stand er vor den Schranken
Und sprach sich selber frei. Entzückte schrien.
Und Hände spritzten schäumend, griffen ihn,
Und Hände warfen Blumen; Fahnen sanken.

Korsarenschiff, bestückt mit Glutgedanken,
Auf Meereshäuptern schwebend, gischtumspien,
So fuhr er nieder an die Tuilerien:
Ein Sieg. - Und keiner sah den armen Kranken,

Der, fiebernd im verschabten grünen Rock,
Gehöhlter Beere glich, zernagtem Stock.
Er aber sah: Zwei dünne Beingespinste

Umgrätschten riesenzangig den Konvent;
Ein dürft'ger Schädel hing am Firmament
Ganz bleich, ganz zart wie Tagesmond und grinste.


 

Charlotte Corday


Keine gemeine, schändliche Hand schnitt seinen Lebens-
faden ab, die Mörderin war ein junges Mädchen voll weibli-
cher Tugend ... Um sieben Uhr kam Marie-Anne Charlotte
Corday zu dem Bürger Marat . . .
Restif de la Bretonne.


Die in Schleiern schwebend und geweiht,
Eine aschenblonde Kerze, glomm:
Ihre Augen blühten klar und fromm,
Ihre Hände griffen Dunkelheit;

Dunkelheit umschmiegte, was sie barg,
Ihres Mordes streng erwählte Pflicht,
Da sie ohne Flackern ihr Gesicht
Leuchtend hinhob an den nahen Sarg.

In den düstern Käfig stieg sie hell.
Ach, die Treppe war so schwer zu gehn!
Jede Stufe ward ihr zehnmal zehn,
Alle Stufen schwanden viel zu schnell.

Als ihr Mut die Glocke droben zog,
Schrie das Herz, schrie Wehe ob der Hand,
Rief so tönend, daß sie nicht verstand,
Wie ihr Mund die Öffnende belog,

Jenes ernste, ungeschmückte Weib,
Das den Dämon heilig liebte, ihn,
Der von Flammenkronen widerschien . . .
Und sie sah das Bad, den Männerleib,

Sah die Schulter nackt, die breite Brust,
Um sein Haupt ein wunderliches Tuch,
Spürte dünnen Arzeneigeruch,
Fand in falbem armutskranken Dust

Linnen, Wanne, Brett und Tintenfaß,
Federkiel, der winkte. Und sie kam,
Warf vom Lid die Röte ihrer Scham,
Riß ums Antlitz blendend ihren Haß,

Saß so stark und zitternd zu Gericht,
Bot den Zettel, den er fiebrig griff,
Wiederholte schweigend dieses: »Triff!«,
Fest sich fassend schon. Sie wußte nicht,

Daß er groß war. Aber sie war rein,
Stahl, der seine Feuerpranke brach.
Sie erglänzte, zuckte auf und stach
Als ein Messer blitzend in ihn ein.

Werkzeug, gleich umklammert und zerschellt;
Heldin, die dem Glauben starb. Er ruht.
Aus der Wunde fließt sein Herz, sein Blut
Über Frankreich strömend in die Welt.


 

Simonne Évrard


Die Öffentlichkeit wollte ihr Dank erweisen, Hilfe
gewähren; am 8. August 1793 stand sie vor dem
Konvent.


Ich bitte nicht. Ich brauche nichts. Kein Geld.
Ich habe noch ein Brot und einen Krug.
Wohl bin ich arm und bin nicht arm genug
Zu solcher Hand, die schon gekrümmt sich hält,

Das blanke Mitleid aufzufangen. Nein,
Ich bitte nicht. Ich fordre. Dies: mein Recht,
Das seine. Tod dem schändenden Geschlecht,
Das Hohngelächter spritzt auf seinen Stein

Und sein Gedächtnis durch die Gosse zerrt,
Aus Gänsekielen Schimpf und Zoten schmiert,
Die Mörderin zum Wunder ausstaffiert,
Ihr Floskeln windet, Lobgebete plärrt

Und neue Dolche ruft und rafft und wetzt.
Das nächste Opfer wird die Freiheit sein.
Ich komme nicht, zu winseln, zu verzeihn;
Ich zeig' euch einen Leichnam, nackt, verletzt . . .

Und seid ihr träge, habt ihr Lämmermut:
Dort steht das Volk, dort findet meinen Schmerz.
Das Volk ist Erbe, und es erbt sein Herz,
Sein brennend Wort und seiner Feinde Blut.
Ich habe teil an diesem reichen Gut.

Marat lebt immer. Hier, sein ehrner Stab:
Ich bring' ihn unverrostet, nehmt ihn, schlagt.
Marat ist tot. Die Witwe, die ihr fragt,
Braucht nichts als einst ein Grab.


 

Der Girondist


Da begann das Beil mit feinem Klirrn.
Doch er floh und wühlte sich in Wälder,
Hockte, rannte in gejagtem Irrn,
Fraß wie Tier das Mahl der Rübenfelder,
Fing die Beere, die durch Struppwerk schlich,
Rollte igelgleich ins Blätterlager,
Kroch in Gräben, zottig, unheimlich,
Grau und mager.

Sein Gedanke wurde klein und starr,
Seine Seele zitternd Atemholen;
Er erschrak vor leisem Astgeknarr,
Lief im Dunkel vor den eignen Sohlen,
Jeder Häher, der vom Wipfel fiel,
Jedes Mausgeraschel ließ ihn beben,
Seine Augen hetzten in ein Ziel:
Leben . . . leben . . . !

Bauern trat er bettelnd an, ein Lump,
Ausgehungert, wüst und ungewaschen,
Trollte heim zu Busch und Eichenstump,
Brot und Messer in zerschlißnen Taschen,
Trieb sich spähend um am Ackerrain,
Schoß die groben Pfeile nach den Tauben,
Brach in Rebengärten durstig ein,
Pflückte Trauben,
Raffte diebisch Süßes, reif und prall,
Schlang und schmatzte, seine Angst im Nacken,
Ohrenspitzend wie der Wolf am Stall,
Fuhr gesträubt empor: ein dünnes Knacken -
Und ein Mann, der schmächtig stand und zart,
Still betrachtend den, der gierig schluckte.
Und der Wildrer im verfilzten Bart
Sah und zuckte

Vor dem Blick, der, bläßlich, kalt und bloß,
Ihn ergriff und schon verwundert kannte,
Vor dem Arm, der, schwach und waffenlos,
Seine Glieder schlug, ihn lähmend bannte,
Daß er stier verharrte, sinnberaubt,
Da der Feind in seine Hand gegeben . . .
Robespierre bewegte leicht das Haupt
Und schritt langsam aus den Reben.


 

Danton in Arcis


Da lag der Hügel, grüner Riesenhut
Mit bunt zerzaustem Federstutz der Bäume,
Die Aube trieb murmelnd, schmeichelnd in der Flut
Um seinen Kahn zerlösend sanfte Träume.

Des frühen Herbstes wundervolles Blau
Umklang den Tag wie eine große Glocke,
Und spielend warf die kindlich junge Frau
Auf weiße Falten ihre blonde Locke.

Sie war die zweite, zartre Melodie.
Er lauschte glücklich. Tatgedanken schliefen.
Die Ruder harrten lässig überm Knie,
Und wie der Tropfen glänzend schweres Triefen

In Wassern kaum die dünne Furche zog,
Ein Schweben kaum die Uferhalme krauste,
Das Mücklein winzig sirrte und verflog,
So ward, was fern in Städten gor und brauste,

Ein flüchtiges, ein schwaches Ungefähr,
Verwehtes Wölkchen, blaß in Sonnenhelle.
Er sann. Und dachte murrend: . . . Robespierre . . .
Hieb klatschend in die aufgeschreckte Welle

Und riß sich vorwärts, hart, mit jähem Ruck,
Tat fegend starke, zorngepackte Schläge. -
Am blonden Scheitel sprühte Glitzerschmuck.
Sie lächelte. Die Ruder sanken träge . . .


 

Die Hebertisten


Die frech in Schwermut düstrer Röten
Wie lärmende Bacchanten sprangen
Mit erznen Becken, scharfen Flöten,
Vom bunten Pantherfell umhangen,
Die Stirn bekränzt mit Blatt und Traube
Um scharlachgrelle Phrygiermütze,
Die Fäuste heiß vom Schlamm der Pfütze,
Von Blutgeruch und goldnem Raube,

Sie brachen lästernd aus, in Tempeln
Gerät und Andacht zu zerschlagen,
Die Bangen, Frommen anzurempeln,
Sich, hingewälzt in Saufgelagen,
Am sanften Kelchwein zu berauschen,
Den edlen Becher einzustecken,
Mit Chorgewand und Altardecken
Zerfranste Hosen zu vertauschen.

Sie schwollen auf, wie Eiterschwäre
Das Heile, Reine zu verzehren:
Die nackte, lächelnde Hetäre
Als Göttin der Vernunft zu ehren,
Das ernste Zeichen festzubinden,
Das Gottesbuch, an Eselsschweifen,
Durch Staub und Kot es hinzuschleifen
Und immer neue Schmach zu finden . . .

Er hörte fern die Wilden treiben
Und schwieg. Und schrieb auf lose Blätter,
Sah durch des armen Stübchens Scheiben
Den engen Hof, den Stapel Bretter,
Am Hobel seinen Wirt, den Schreiner.
Ein Mädchen. Wäschetrog und Linnen.
Er ließ den Sand im Glas verrinnen,
Sehr still. Und es entging ihm keiner . . .


 

Die Fahrt nach Lille


Die Räder fahren, Meißel,
In dünnen, körnig spröden Schnee,
Nordost schwingt straffe Geißel
Und tut den nackten Stämmen weh.
Die braunen Gäule schnauben;
Auch ihre Mähnen zerrt der Sturm
Und schüttelt Flockenhauben
Auf Mauerkopf und Turm.

Die Hand ist reine Härte,
Die blinde Kutschenfenster reibt,
Der Blick ist blanke Gerte,
Der dumpfes Fluten faßt und treibt,
Der Torheit, Trug und Ängste
Erkennt und züchtigt und entblößt,
Der fehlgeführte Hengste
Vor ratlose Kanonen stößt,

Den Zug mit Brot und Kleidern,
Den stockenden, vom Irrweg reißt,
Aus Frost- und Hungerleidern
Ein Heer und einen Willen schweißt,
Verratbekralltes Kauern
Zerstäupt und fegt mit Brut und Nest,
In wanke Festungsmauern
Die eigne starke Seele preßt

Und grell in blöde Zeugen,
In alte Königssippe blitzt,
Die kahl mit rotem Äugen
Am Fraß auf goldnen Horsten sitzt,
Zerhackt in scharfem Säbeln
Und mürrisch kröpft und heiser kreischt
Und gern mit Geierschnäbeln
Die junge Republik zerfleischt. . .

An glasgefrornen Teichen
Erklirrt des Mondes weißes Geld,
Zerlumpte Büsche schleichen
Gespenstisch fern in totes Feld,
Verlaßne Hunde klagen,
Die Hexeneule greint und lacht,
Und lauschend starrt im Wagen
Saint-Just und atmet Nacht . . .


 

Begegnung


Einmal haben sie sich angeschaut,
Nicht erkannt. In jener Klageschrift,
Der des Kriegers Fehle anvertraut,
Die des Richters bleiches Auge trifft,

Die Saint-Just mit kalter Stirn bedenkt,
Stirn, von silbrig blondem Licht umspielt,
Klar wie Beil, das scheinend und gesenkt
Nach den Häuptern säum'ger Heere zielt,

Mit dem Antlitz, das vorausgesehn:
Schafft die Freiheit um in Erz, in Stein;
Denn aus Schlachten wird der Ehrgeiz gehn,
Wenn sie sterblich ist, ihr Mörder sein!

Mit dem blanken Urteilsspruch: »Phantast,
Der nur Falsch und Rechtes unklug mischt,
Wahr' die Taten, wenn du Träume hast,
Buonaparte! ...« Name, der erlischt. -

Gipfel wachsen, erdenweit getrennt,
Um deren Schultern fremde Himmel ruhn:
Krater, der verhalten sinnt und brennt,
Der Flammenbrut mit unsichtbarem Tun

In Höhlen nährt und glühe Speise kocht
Dem giergeschwellten düsterroten Geist,
Der einst an Kerkerwand mit Flügeln pocht,
Die starre Kruste fürchterlich zerreißt,

Hervorstürzt, feuerbrünst'gen Atem haucht,
In Lavafluten, strömend, siedend heiß,
Die Länder, Städte, Gärten, Wüsten taucht,
Versengt, erstickt. - Des Andern Blick ist Eis,

Durch Meere treibend, Felsen, schroff gezackt,
Der steil in fahl erstorbne Bläue klimmt,
Des Fuß, ein Unhold, schweigend, hart und nackt,
Noch riesenhafter durch die Tiefen schwimmt,

Auf dessen Spur in ewig öder See
Nur Wale taumeln, groß und ungeschickt,
Der Küsten rührt mit wesenlosem Schnee
Und irre Schiffe ohne Laut zerknickt . . .

Er sah den wunderbaren Alken nach,
Um deren Bug die Welle gläsern fror,
Und glitt aus Schollen, die er klirrend brach,
Gen Süden. In den neunten Thermidor.


 

Der Unbestechliche


Der »Unbestechliche« - denn das war Robespierre …
                                                        Johs. Scherr.


So ward auch dir der Tisch gedeckt,
Auch dir der Sessel aufgehoben,
Was lockend duftet, köstlich schmeckt,
Auch deinem Teller zugeschoben,
Des Bechers Blinken, weiß und rot,
Der Frauen sanfte Mirabelle,
Das runde gelbe Honigbrot,
Und ehrenfeste Schüssel bot
Die zartgespickte Würdenstelle.

Du hast den Rauschpokal verschmäht,
Bei prallem Braten nicht gesessen,
Hast ernst dein hartes Korn gesät,
Mit hungrig Armen arm zu essen,
Und wo die Hand um Süße strich,
Den goldnen Apfel gierig schälte,
Da darbtest du. Sie scheuten dich,
Der stumm von ihrer Tafel wich
Und ihre Bissen schweigend zählte.

Sie haßten dich. Der wägend blieb,
Der warnend ihre Freuden schreckte,
An Mauern jene Stimme schrieb,
Die einst den trunknen König weckte.
Sie zuckten: wutgesträubtes Haar
Und fürchtiges Gebeteplärren;
Sie bauten eifernd den Altar
Und brachten grause Beute dar,
Dich zu bemakeln, zu verzerren.

Sie netzten dir nach falschem Gruß
Die Stirn mit unerhörtem Weinen,
Sie wuschen purpurn dir den Fuß
Und nannten lächelnd dich den Reinen,
Und wie der Wahn den Negergott
Mit Knochenbein behängt und Zähnen,
So schmückte dich verhohlner Spott
Mit schönen Seufzern vom Schafott,
Mit Witwenfluch und Waisentränen.

Und als dir Zorn den Arm gestrafft,
Den Spuk, die Opfrer zu verdammen,
Da zog ein Huschen, koboldhaft,
Ihr fein gezwirntes Netz zusammen;
Sie bannten dich in Heilgenschrein
Aus schaurig mulmenden Verbrechen,
Umglänzten dich mit Schwefelschein
Und sargten dich in Lüge ein:
Du durftest nie mehr Wahrheit sprechen . . .

Die Frommen, die der Steinwurf traf,
Die Glut und Folterbank zerschlissen,
Sie nahmen mit in kurzen Schlaf
Doch dieses Um-den-Morgen-wissen,
Dies Auferstehn, in klarer Ruh,
Im Lob der Enkel fortzuleben;
Sie griffen ihrer Nachwelt zu,
Dem Lohn der Martertode: Du,
Du hattest alles, alles hingegeben . . .


 

Camille


Das Düster war. Aus gähnend tiefen Spalten
Kroch Gräberhauch, quoll nebelhaft Gebräu.
Die Lampe glänzte tapfer, klein und treu,
Geborgnes Amulett in dunklen Falten.
So arglos ging die Stimme ihres Lichts
Zu dieser Nacht verrätrischer Gespenster
Und sagte sanft den lauernden am Fenster:
Ich weiß doch nichts.

Sie wußte nichts. Er saß und hielt den Scherben,
Der in die Haut ihm bohrte, hielt den Brand,
Die Kohle, glostend in der nackten Hand,
Das schmerzende: »Auch Desmoulins muß sterben.«
Und unerfaßt vor seinem fahlen Lid
Lag eine Kette farbig feiner Schilder,
Auf Elfenbein gemalter leiser Bilder;
Er schaute Glied um Glied:

Die Knabenfreundschaft: süßes, schweres Fließen
Aus goldner Wabe, Träume ohne Ziel,
Ein schönes, kindlich ernstes Römerspiel,
Darin sie Brutus oder Cato hießen.
Dann wies der Schimmer, scheu und schon verblaßt,
Noch Jünglingsstunden übervoller Herzen
Und leerer Hände, flackernd roter Kerzen
Und trug die Last

Der Trennung, trug ein dumpfes Wolkenhäufen,
Bis das Gewitter tönend niedersprang.
Sie ließen selig seinen wilden Sang,
Den blanken Quell, um Brust und Arme träufen,
Doch einer lief in Julistaub und -glut
Zum brodelnd heißen Volk, zu Straßensiegen;
Dort rief Camille, auf einen Tisch gestiegen,
Ein grünes Laub am Hut . . .

Er blickte still vom Größern zum Geringem.
Doch was da hing und glomm im Lampenschein,
Schlug auf sein Antlitz plötzlich wie auf Stein
Und brach entzwei. Aus seinen dünnen Fingern
Sank, was geglüht, ein müder Aschenhauf.
»Auch Desmoulins.« Im Winkel losch die Gnade.
Er nahm das Aktenstück aus seiner Lade,
Stand langsam auf

Und streifte von sich alle Menschlichkeit,
Wie man die Handschuh abstreift von den Händen,
Griff in das Zifferblatt der Weltenzeit,
Griff wie mit Krallen beide Zeigerenden
Und hielt sie mühevoll und zitternd an;
Er ließ sein Herz statt ihres Uhrwerks klopfen
Und fühlte hart, daß Blut in heißen Tropfen
Von seinen Nägeln rann . . .


 

Dantons Ende


Was klirrt, was wirbelt, dampft und braust,
Dies Schrein, dies Keuchen, dieses Lallen,
Das riß er würgend in die Faust,
Das zwang er klumpig um zum Ballen,
Den seine Rechte wütend hob;
Sein wildes Stierhaupt schwoll: Gelichter!
Er warf den Felsen, ein Zyklop,
Ins Antlitz seiner Richter.

Und alles, Säumnis, Schuld, Verrat,
Was ihn in kluger Schrift verdammte,
Das stieß er mitten in die Tat,
Die heiß von seinen Lippen flammte.
Er schlang sein Leben noch, den Rest,
Die spritzende, zerdrückte Traube,
Er hielt die Stunde drängend fest,
Hielt ihre rote Phrygierhaube,

Ihr schwarzes Mähnenhaar gepackt,
Griff ihr den Lappen von der Flanke,
Er fand sie glühend, stark und nackt
Und schmiß sie zuckend vor die Schranke,
Und seine Stimme schnob, ein Meer,
Entstürzte donnernd aus den Dämmen,
Geschworne, Kläger, Volk und Heer
Wie Treibholz wegzuschwemmen . . .

Robespierre

Stand klein und fern in seinen Düsternissen
Mit aufmerksamen Augen, unbewegt.
Er sah die Menge wolkig und zerrissen,
Von Stürmen blind geschüttelt und gefegt,

Sah Worte, die gleich Wogen brüllend schäumten,
Ein blutend aus der Brust gerungnes Herz,
Die Fäuste, die sich wuchtig, kantig bäumten,
Doch an den Fäusten: war das Erz ?

Ein seltsam, seltsam gelblich heller Schein,
Ein Duft der Prägung, glitzernd und metallen . . .
Sie sprangen schlagend, klatschend in das Wallen
Und tauchten auf und waren doch nicht rein,

Von jenem faden Abglanz nicht gewaschen.

Und in des Mundes Dröhnen irrte zahm

Ein dünnes, blankes Klingeln aus den Taschen,

Unüberhörbar fein: »Ich gab ... ich nahm ... ich nahm . . .«

Und dieser mit dem Blick wie blasser Stahl
Warf eines Dreiecks Schatten zu den Wänden.
Dann blieb er richtend vor den eignen Händen;
Sie waren unberührt und bleich und schmal.

Und achtlos, ob geschwungne Blöcke drohten,
Mit Wettern und Gebirg der Riese stritt,
Dem Blitze splitternd von der Wimper lohten,
Trat er heran, ein leiser, sanfter Schritt,

Und warf ihn zu den Toten.


 

Saint-Just in Blérancourt


Nur kurze Rast, die flücht'ge Pause
Nur zwischen Machtgewürg und Krieg;
Ein stilles Mahnen riet: Nach Hause . . .
Die Pferde stampften fest; er stieg
Gelassen aus dem Reisewagen,
Er fühlte Heimat unterm Schuh
Und trieb den scheu verwichnen Tagen
Auf Straßen seiner Kindheit zu.

Die Pappeln griffen, hagre Riesen,
In bläulich zarten Flor hinauf,
Verschlafen hob von Frühlingswiesen
Das braune Rind sich äugend auf,
Und fern in Schleiern sah der Eine,
Erhellt und sinnend, da er schritt,
Der Dächer freundliche Gemeine,
Die zaghaft ihm entgegenglitt.

Wie oft er spielend hier gegangen . . .
Weit drüben flockte Taubenschar -
Hing dort sein Spiegelbild gefangen,
Des Knaben Antlitz, der er war,
Der wider matte Zucht sich bäumte,
Ein läss'ges Dasein wirr zerschlug,
Doch schon den goldnen Flügel träumte
Und schwarzen Sturmrausch, der ihn trug

Dann ward er jäh emporgerissen.
Geduckt und zitternd lag das Land
Vor diesem funkelnden Gewissen,
Dem Jüngling, der in Blitzen stand,
Der aufging an des Schwächlings Throne,
Sein Richtschwert in den Purpur stach,
Der eine tausendjähr'ge Krone
Wie müdes Zunderholz zerbrach

Und zürnend mit gesträubter Schwinge
Ins Schlachtgeklirr der Grenzen stieß - -
Zwei flimmernd weiße Schmetterlinge,
Ein trüber Weidenbaum am Fließ,
Die dichte grüne Ackerdecke,
Ein Grastupf, der von Veilchen sproß,
Und bald die dunkle Buchenhecke,
Die Haus und Rasen in sich schloß!

So bog er rasch um Wegeswende,
Nicht kennend, was ihn hergeführt:
Zwei schmale graue Schattenhände,
Die knöchern seinen Arm berührt;
Er sank, schon blaß in Dämmerungen,
In letzter Felder Sonnenruh,
Dem Herzen, das ihn eingesungen,
Dem Garten seiner Mutter zu.


 

Maximilian


Du Kind.
Du Kind. Ich träumte dich;
Du hast in mir geklungen.
Du Kind. Mein Kind. Du lebtest mich:
Du warst der sanfte Geigenstrich,
Aus meiner Saite aufgesprungen.

Ich hielt an deine Stirn mein Herz,
Mein Aug' von dir geschieden.
Da ward das Lieblichste der Schmerz,
Da schmolzen felshin Geld und Erz,
Und auf der ganzen Welt war Frieden.

Im Himmel stand die Nacht und sang
Das Schweigen reiner Fernen.
Ihr Schleier fiel den Wald entlang;
Der Zipfel, der dich weich umschlang,
War Hyazinth mit goldnen Sternen.

Vergib. Ich nannte dich und sprach
Still über dir den Glauben,
Den Ungerechtigkeit zerbrach,
Den Namen, den in Schimpf und Schmach
Noch Füße treten und bestauben.

Du Kind.
Du Kind. Ich siegte nicht.
Ich lag voll Schorf und Rinde.
Doch jener Name schwebte licht
Und ewig über dein Gesicht,
Sank auf dein Lid als eine schmale weiße Binde.


 

. . . et pereat mundus.


Falte auf, du Rätsel, dein Gesicht,
Falt' es auf, daß wir es sehen!
Denn wir raten nur und lösen nicht,
Schelten, was wir nicht verstehen.

Wirf es aus, du Wachsender, dein Blatt,
Wirf es aus, daß wir es lesen!
Gib den Seelen, kranker Räusche satt,
Gib das Gift, dran sie genesen.

Stell' es her, du Sagender, dein Wort,
Stell' es her, daß wir es fassen,
Die wir zwischen Stumpfheit, Angst und Mord
Taumeln durch verruchte Gassen.

Bau', du Türmer, wieder Ewigkeit,
Starke Himmel, die uns weisen,
Da die Machtgestirne unsrer Zeit
Wild in Untergänge kreisen.

Hebe dies, dein heilig: Unbedingt!,
Den Kristall aus schwankem Wirren,
Der erbebend läutet, nicht zerspringt,
Wenn die Zweifel ihn umklirren.

Trag' ihn starr, wo gähnend Abgrund haucht,
Daß wir ihn mit Augen greifen,
Mag der Fuß, in deine Spur getaucht,
Durch Gestrüpp und Kiesel schleifen,

Mag die Hand, die nicht mehr uns gehört,
Felsenzacke wund umklammern,
Unser Antlitz welkend und verstört
Den zerschundnen Leib bejammern,

Mag verlohn, was schmierig klebt und sumpft,
Im Geflamm der Ungeheuer,
Und der Salamander stirbt und schrumpft,
Doch der Reine lebt im Feuer.

Fach' es an, dies schmerzende: Du mußt!
Glüh mit unserm eignen Wollen,
Drin Behagen, Dünken, kleine Lust
Wie versengte Hadern tollen.

Gib dein Maß uns Halben, die wir noch
Gießen aus zersprungnen Töpfen;
Unsre Schultern kleide in dein Joch,
Laß uns volle Eimer schöpfen,

Knick' den morschenden, verkrümmten Stock,
Der uns Richtstab heißt und Segen,
Schnitz' ihn streng und bleibend aus dem Block,
Da dein Haupt besiegt gelegen,

Bis du schweigend mit dem Henkerschlag
Dich erhöhtest, Recht zu sprechen
In dem tausend Jahre großen Tag,
Und uns ansiehst: wir zerbrechen.


 

Das Fest des Höchsten Wesens


Alles war und war wie Traum verschwunden:
Dieser Menge Spiel, ein Ährenwogen,
Und der Wagen, purpurfarb umwunden,
Den die goldgehörnten Ochsen zogen,
Dieser Feuerzungen glastend Schweigen,
Blitz und Weiheschwur gezückter Degen
Und die Männer mit den Eichenzweigen
Und die Frauen und ein Blumenregen,

Seine Rede über allem Volke,
Seine Sohle auf des Berges Gipfel,
Um sein Antlitz eine Weihrauchwolke
Und der Freiheit grüner junger Wipfel;
Nur der Hymnenflug beschwingter Stimmen
In Erglänzen blauer Juniwärme
Schien mit Abendröten noch zu schwimmen
Fern als dumpfhin brausendes Gelärme.

Als der Priester schreitend vom Altare
Unter Menschen wieder sich gewöhnte,
Stand am Weg das Unenträtselbare,
Das ihn ohne Mund und Auge höhnte,
Dies Erschauern, weil mit einem Male
Seine Erde vor ihm fortgesunken,
Ein Erkennen, daß aus voller Schale
Er die Macht, den Rausch, den Tod getrunken,

Daß die Wand, die lebend ihn umfriedet,
Händler, Schreiber, Krieger, Tagewerker,
Seinem grausen Ruhm ihn angeschmiedet,
Ihn umschloß, den Geisel, als ein Kerker;
Häscher folgten tückisch seinem Gange,
Die er einst Gefährten nennen wollte,
Und sein Stab zerbrach und ward zur Schlange,
Die um seinen Arm sich wütend rollte.

Spitzes Zanken kläffte feig und krallte,
Hassend Lästern sprang an seine Ohren,
Und er wußte, daß die Faust sich ballte,
Und er fühlte, daß er sich verloren,
Daß die andern nicht mehr seine Gleichen -
Dies war Höhe, Schwindel, war Verbrechen,
Und sie fletschten auf, ihn zu erreichen,
Ihr Geduck mit seinem Sturz zu rächen.

Sinkend trat er in des Hauses Kühle,
Wo die schlichten, stillen Dinge harrten,
Braunes Bett, die strohgeflochtnen Stühle.
Müde tat er alle Gegenwarten,
Alle kurze Freude, Schmuck und Farbe,
Bunte Schärpe ab und Silberschnallen,
Und der Ackerstrauß mit Mohn und Garbe
War verwelkt schon seiner Hand entfallen.


 

Am achten Thermidor
(Aus der Rede Robespierres.)


Was ist euch Tugend ? Könnt ihr um sie wissen,
Die geile Hände ihr in Gold gebadet?
Ihr Käuflichen, die ekler Wurm zerbissen,

Sterbt, wenn ein Modefürst zur Tafel ladet,
Vor Wollust, seinen Abhub noch zu kauen,
Von seinem ausgespuckten Blick begnadet!

Was ist euch Liebe ? O, ein Ding mit Frauen . . .
Nicht jener heil'ge Wahn, im Vaterlande
Der Menschheit schönres Angesicht zu schauen

Und zu verehren. Höhnt die reinen Bande
Des Mitleids mit dem Armen, dem Heloten,
Und was ihr wirkt, ist Frevel und wird Schande.

Verleumder, ihr begeifert Patrioten ?
Ich sage euch: Es ist, das steile Brennen
Mit großen Flammen, goldenen und roten.

Ich fühle sie. Doch ihr, sollt ihr sie kennen ?
Kann auch im Licht der Flügellose schweben,
Ein Blindgeborner Gottes Glanz benennen ?

Ich weiß: ihr leugnet ein unsterblich Leben.
Der Schöpfer wollte, daß es einst euch fehle
Und hat euch Bein und Fleisch und Nichts gegeben

Betrogne. Ich . . . Mir gab er eine Seele . . .


 

Jener Abend . . .


Und jener Abend wallte, wie ein Lied
In zärtlich weiche Klänge schwebend fließt,
Ein großer Schwan erschauernd aus dem Ried
In dunkle Wasser Schnee und Schäume gießt,

Und war mit Amethysten und Rubin
Ein Ring, der matt und kupfrig-gülden glomm;
Er glitt verträumt in schwacher Wolken Ziehn,
Ein flüsterleises Seufzen: ». . . Komm . . . o komm ...«

Sie kamen her. Und gingen so zu zweit:
Der Mann, das Mädchen. Und sie waren still.
Und irgendwo in Winkeln schlief die Zeit,
Die sonst entschlossen lärmte, stark und schrill.

Auf Pfaden tanzte rosenfarbner Staub,
Der Rasen hauchte leichten grünen Duft,
Und der Kastanie sanftes, schweres Laub
Lag wie ein Streicheln in der heißen Luft.

Und Mütter nickten schon auf Bänken ein,
Und Liebende und Bettler saßen hier,
Und fremde Knaben zeigten, braun und klein,
Ihr flinkes Äffchen, plumpes Murmeltier.

Und breiter sanken Purpurschatten hin,
Als löste Gott erglühnden Nelkenstrauß
Und stützte schweigsam in die Hand das Kinn
Und ruhte dämmernd in der Schöpfung aus.

Und freundlich wandte sich die junge Braut
Und rief und koste seinen ernsten Hund.
Er aber schritt, von Menschen angeschaut,
Berührt von Dingen, mit verschloßnem Mund

Und sah dies Sterben, das die Bläue sog,
Das licht verebbte, eine Lache Blut,
Und sah die Blume, die sich schlummernd bog,
Warf eine Münze in des Fiedlers Hut

Und wußte von dem Morgen und der Schlacht
Und daß sein müdes Herz sie längst verlor
Und daß Verrat aus dieser nahen Nacht
Wie graue Ratten huschelnd kroch. Ihn fror:

Und wieder wird ein lauer Abend wehn
Mit Geigensüße und dem Ruch von Wein,
Und Freunde werden unter Bäumen gehn
Wie heut. Und ich . . . Ich werde nicht mehr sein . . .


 

Éléonore Duplay


Ich will das Haupt in Hände nehmen,
Ins Dunkel denken . . . Sie ist weit.
Ein schmaler, sanfter, reiner Schemen,
Erinnrung einer Freundlichkeit,
Die flackert durch Gepräng der Schlacht,
Durch Aufruhr, Volksgeschrei und Morden
Im schwarzen, stillen Kleid der Nacht;
Die Braut in einer Witwe Tracht
Ist niemals Weib geworden.

Nun wächst an ihren stummen Wänden
Wie Spinngefädel Jahr um Jahr;
Sie fegt es ab mit müden Händen:
Die Kerkerzeit, die um sie war,
Den Kaiserprunk, den Pulverruch,
Die Könige, die wiederkamen -
Und wischt Verleumdung, Hohn und Fluch
Mit weichem blauen Seidentuch
Von einem Bildnisrahmen.

Sie mag durch Märkte, mag zu Sippen
Und an ihr schales Tagwerk gehn,
Es wird auf ihren schlaffen Lippen,
In ihren welken Augen stehn
Dies Unverlierbare, dies Weh,
Das kaum die Silben Liebe wußte,
Dahingeflockt, verschwebt wie Schnee,
Das Heim, die Straße Honoré
Und er, der sterben mußte . . .

Ein Hoffen, gläsern und zersplittert.
Geborstner Muschel Meeresbraus.
Ein altes Mädchen, fahl, zerknittert,
Das immer noch verdorrten Strauß
Nach eingesunknem Hügel streckt,
Dem Friedhof großer toter Gluten,
Den Leben frech umspült, beleckt,
Den steinern schon die Stadt bedeckt
Mit ihren Häuserfluten.

Sie ist zu starken Namens Schmettern
Ein dünnes, schwaches Echo nur,
An Buches klar gedruckten Lettern
Die flüchtig leise Randfigur,
Levkoje, Schwermut, duftgeschmückt,
Die sinnend, halb im Weiterschreiten
Der Mann betrachtet und gepflückt
Und die nun bläßlich, matt, zerdrückt
Ruht zwischen den vergilbten Seiten.


 

Saint-Just auf der Tribüne


Nun seine Stimme. Sie bewegte
Ein blau und schneeiges Gefieder;
Die Worte tönten blinkend nieder,
Sehr langsam, hart wie Eis. Er legte

Noch fester um papierne Rolle
Die weiße Hand. Er war nur Richter,
Trat ernst in schuldige Gesichter
Und schaute das Entsetzenstolle,

Dies Haßgesträubte, Wutverstellte,
Den unerklärten Feind. Ein Rufen -
Tallien stand keuchend auf den Stufen
Und schnitt ins Wort und scholl und bellte.

Er schwieg verwundert. Der Empörer
Warf schäumend über ihn die Welle.
Der Präsident ergriff die Schelle.
Schon sprang der nächste der Verschwörer,

Billaud sprang vor und wurde Kläger
Und loderte mit roten Haaren.
Doch Robespierre war aufgefahren
Und stürzte unter seine Jäger,

Und schnappend hing an ihm die Meute.
Er stieß verröchelnd ins Gewimmel.
Der Glocke rasendes Gebimmel
Erschlug den Wundenschrei der Beute . . .

Ein Aufruhr kreischte nach Gendarmen,
Versinkend im Geheul der Fehde. -
Saint-Just umpreßte seine Rede,
Verharrte mit gekreuzten Armen

Vorm Beifall wild geschwenkter Hüte,
Dem Freudetosen der Emporen
Sehr schön, sehr fern und wie gefroren,
Am Rock korallenfarbne Blüte

Und goldne Ringe in den Ohren.


 

Nacht


Er hatte zu den Freunden so gesprochen:
»Wir werden willig in die Kerker gehn,
Wir werden morgen vor den Richtern stehn,
Die uns befrein.« Nun lag der Plan zerbrochen,
Zerfetzt von Fluch und Faust und Sturmeswehn,
Da seine Scharen klagend sich empört.
Und als sie ihn zum zweiten Male riefen,
Gab er sich auf und glitt in ihre Tiefen,
Ganz hilflos, ganz verzweifelt, ungehört
Und wissend, daß er selber sich entrechtet.

Der Balken seiner Waage hing zerstört.
Er hielt des Schwertes Scherbe in der Hand.
Von seinen kahlen Augen fiel das Band
Und zeigte schrecklich dies: Du bist geächtet.
Und wie der Sinkende das arme Boot,
So trieb er seine rettungslose Not,
So strauchelnd durch Getöse, Schaum und Wogen,
Von schlagender Begeistrung hergezogen
Und in der Seele den gewissen Tod.

Das Düster hockte stumpf und schwül, die Hexe,
In geilen Dünsten brütend ob der Stadt;
Die Wolke kröchelte, die graue Echse,
Und an den Bäumen flirrte nicht ein Blatt.
Und dieser Schwärm mit Flattern und Geschrei
Zog nur als lächerlicher Zwergenreigen
Vorüber einer finstern Masoney,
Den Häusern, die mit unverhohlnem Schweigen
Gepanzert starrten: eine Feindeswacht.
Und hinter Wänden kauerten Gedanken
An Frauen, die das Gitter kirr gemacht,
An Männer, die in breite Gruben sanken;
In Winkeln atmete geduckte Rache
Und blinzelte und dehnte scheu die Pranken. -
Laternenglosten schwamm in träger Lache.

Und plötzlich wurden Glocken schütternd wach,
Die Rathausglocken, sprangen von den Seilen
Und kreisten ringend in erregtem Eilen
Und schwangen, klangen über schwarzem Dach
Hell: »Zu den Waffen! Waffen! Zu den Waffen!«
Und griffen wie mit Armen in die Runde,
Die Piken, Knüttel, Büchsen herzuraffen.
Sie warben, suchten. Spärlich Echo kam.
In Höfen kläfften aufgescheuchte Hunde.
Die Piken lehnten dürr in Kellerecken
Mit hartem Höhnen: »Mag er doch verrecken,
Der! Der uns Grimm und Kraft und Tollheit nahm!
Er hat uns brav gewollt; nun sind wir zahm!«
Sie blinkten böse, lachten scharf und erzen.
Doch hoch in Stuben saßen feigre Herzen,
Die klugen Wartenden, die guten Schmieger,
Die Aufruhr meiden, Wüten, Kampfgebrüll;
Sie leben gern und feiern mit dem Sieger
Und schleudern die Besiegten auf den Müll.

Er schaute alles. Nein. Er sah nichts mehr.
Er wankte irr, erblindend durch die Gassen,
Vom Stabe, der ihn je geführt, verlassen;
Die Himmel schliefen sternenlos und leer.
An seinen Armen hingen schwere Massen,
Die so ihn trugen, lärmend, freudewild,
Wie eines Tempels gottgeschlagnen Funken,
Wie ein geraubtes teures Götzenbild.
Das Rathaus taumelte, von Lichtern trunken.
Und Lüster spritzten flimmernd durch den Saal,
Und rote Fackeln strahlten ihr Fanal
Und winkten knisternd, rauchend in die Gänge.
Ein starker Jubel warf ihn zu den Toren;
Er sank hinein, umfangen und verloren,
Und als das dunklere Gewölb ihn barg,
Da brach ein Haufe wirrlings von der Menge
Und stürzte nach in polterndem Gedränge
Wie Schollen über einen Sarg.


 

Der Tisch


Und sie legten ihn auf einen Tisch im Vorzimmer
des Wohlfahrtsausschusses.


Nennt's Lästrung! Nennt es, wie ihr wollt,
Nennt's Unsinn, Wahnwitz, Narretei!
Ihr habt die Weisheit, ihr das Gold,
Und mein ist dieser eine Schrei,
Der Schrei, er zittert ewig nach,
Der aus zerschmettertem Gebiß
Dem wundgeschleiften Tiger brach,
Den Henkers Klau in Fetzen riß!

Du Glaube. Zürnender. Du Qual.
Er atmet schimpf- und staubbedeckt,
Auf jenen Tisch im Wohlfahrtssaal
Wie auf die Schlachtbank hingestreckt;
Die feigen Ängste fassen Mut -
Sie waren ekelhaft und klein -
Von seiner Wange sickert Blut,
Da tauchen sie den Finger ein.

O Jubel, der in Wunden praßt,
O Milde, die ein Sterben höhnt:
»Wie schön die Linnenkrone paßt,
Die Priesterbinde, die dich krönt,
Du Gottessohn, du Herrscherstolz,
Nun bist du Menschen wieder gleich;
Vier Beine und ein Brett von Holz,
Sieh an, die sind dein Königreich!«

Wo knirscht der Arm, der, hart und nackt,
Die blauen Blitze wandeln heißt,
Der Schädel schlägt, der Haare packt,
Das Lid vom blöden Auge reißt,
Der dieses Sinken drohend ehrt,
Die Flucht, von größrer Macht gezeugt,
Der wieder Lippen stammeln lehrt
Und Herzen krampfend wieder beugt ?

Ihr Räuber! Werdet sanft und lieb.
Ihr Schurken! Heuchelt frommen Sinn,
Und werft den Namen, der ihm blieb,
Geschändet vor die Nachwelt hin,
Beschmeißt mit Kot die Büßerstatt,
Und pinselt in gelenkem Fleiß
Dies Greuelding auf euer Blatt,
Das nichts von seiner Seele weiß!

Er liegt auf jenem Tisch im Saal
Jahrhundertlang im Morgengrau;
Kein Recht, kein Schirm: das Bacchanal;
Kein Krug und keine Hand der Frau.
Am Fenster weint der Ahornbaum
Im Nebelglast. - Mein Schatten fällt
Verrinnend, schmaler Mantelsaum,
Der bebend seine Schläfe hält.


 

Der Sessel


Nun komm, du Sterben, komm! und reiß' der Welt
Den Alb vom Herzen, der sie zwingt und quält,
Ihr süßes Dämmerdruseln weiß erhellt,
Die trägen Atemzüge treibt und zählt,

Lösch' aus den Richter, der ihr Taumeln stört,
Dem kein Erbarmen in die Waage schreit,
Daß Menschen Haß und Liebe zugehört
Und einzig Gottes die Gerechtigkeit! -

»Trink', wackrer Mörder, sauf dein eignes Blut!«
Ein derbes Lachen. Männer schleppen hin
Den Sessel, da er schwach und fliehend ruht.
Die Tücher kleben am zerschoßnen Kinn,

Und endend fährt er so straßaus, straßein.
Der Tag ist himmelblau und stickig heiß;
Das Trägerpaar setzt ab am Gossenstein
Und schnauft und trocknet fluchend sich den Schweiß

Und stellt ihn feil den Gierigen zum Schmaus,
Die solch ein Tod wie schwarze Fliegen lockt,
Der Horde, die in lüstern wildem Graus
Um das gestürzte Schreckbild wachsend flockt.

Und Hohngejubel flattert, Dreck und Gift
Spritzt auf aus Mäulern, klatscht in sein Gesicht,
Geschmeiß, das nackte, kalte Augen trifft,
Zerfressend, sudelnd. Er erblindet nicht;

Er hält den Blick, der, unbewegter Schein,
Noch spiegelt, was sein mattes Hirn vergißt,
Dies, daß er in Jahrhunderten allein
Und zwischen Sand und Wolke einsam ist,

Ob großgesprochne Schatten einst gebüßt,
Gelebt, gekämpft - ein voller Nachen schwimmt:
Und kein Erkennen, das ihn Bruder grüßt,
Ihn hin von schmalem öden Eiland nimmt . . .

Er zuckt die Achseln. Haftet starr und fremd
Am jungen Kerl, der belfernd vor ihm steht
In schmutzigroter Jacke, offnem Hemd.
Der wischt den Mund, stampft brummelnd kehrt und geht.


 

Saint-Just


Reißt mir das Herz aus dem Leibe und freßt es,
so werdet ihr, was ihr nicht seid: groß …
Saint-Just.


Einer stand mit blondem, wehndem Haar,
Freiem Nacken auf dem Blutgerüste;
Wüt'ge Gier sprang geifernd aus der Schar
Und zerschlug an seiner Felsenküste.
Aller Unflat, den er hart ertränkt,
Jenes Morsche, das zerschellt er dachte,
Hüpfte keck empor und spie und lachte:
Heut wirst du gehenkt!

Und er sah, was um ihn quoll und schmolz,
Feiges Höhnen, Auswurf, Grind und Fäule,
Trat in seinen kalten, klaren Stolz
Und wuchs ein wie in kristallne Säule,
Reckte sich ein wenig, daß sein Sieg,
Seine Stirn den müden Himmel rührte,
Daß die Menge, die den Anstoß spürte,
Jäh erschauernd schwieg.

Und er wußte: Heute bin ich tot,
Heute nur, doch morgen soll ich leben.
Er empfand noch Blau, ein Weiß, ein Rot,
Sah der Wipfel grünen Atem schweben
Und zu Füßen, bös geduckt und dumm,
Seichte Brunst, das kaum bezähmte Hecheln,
Blieb in starrem Hochmut ohne Lächeln,
Wandte ohne Hast sich um

Und starb ruhig einen Augenblick. -
Als die Knechte ihn aufs Brett geschoben,
Fuhr das Beil, durchfletschte sein Genick.
Und der Henker zeigte aufgehoben
Dieses Haupt mit bleichem offnen Lid,
Fahlen Sternen, mit dem jungen Munde,
Der den Frühschein erster Herrscherstunde,
Sein Geheimnis, ernst verriet.

Und sie tobten, jauchzten schamlos, nackt,
Und sie tanzten wie entzückte Affen,
Und die Tatze, die das Haupt gepackt,
Warf es, rasch ihr Tagwerk fortzuschaffen,
Einem Korbe hin. Da fiel es weit
In Gewässer, die es murmelnd flößten,
Sanft ihm blutverklebte Locken lösten:
In die Allgerechtigkeit.


 

Rue Saint-Honoré


Als die Karren durch die Straßen fuhren
In die Rue Saint-Honoré,
Sprangen von den Pflastern tausend Huren,
Schön geputzt und gräßlich wie Lemuren;
Ihre Lächeln taten weh,

Spitze Pfeile aus bemalten Köchern.
Das geschwellte junge Weib
Und die Welke, abgenagt und knöchern,
Bleckten bunt und frech aus Fensterlöchern,
Männerarme um den Leib:

Nackt und glitzernd ritt die Goldne Jugend
Schon ihr geiles, rosig fettes Schwein,
Stand in Gassen, an den Türen lugend,
Zu entehren die erschlagne Tugend,
Auf die sterbende zu spein.

Schaum und Schmähung brach aus vollem Munde
Auf den blutigen Verband,
Auf den Blick, der über seine Wunde
Hart und elend starrte in die Runde,
Doch in Nebeln nur empfand,

Daß Gendarmensäbel auf ihn zeigte,
Daß der Gäule träges Ziehn
Und den Tod Megärenschar umreigte,
Daß ein Haus erbarmend still sich neigte;
Ach, sie fiel nicht über ihn,

Diese Mauer, die sein Turm gewesen . . .
Und ein Schlächterkübel stand,
Und ein Kind, Gott weiß wo aufgelesen,
Spritzte froh mit eingetauchtem Besen
Einen langen Blutstrahl auf die Wand. -

Seine Lider sanken, weiß von Schimmel.
Und er war sehr weit
Aller Erde, aller Hölle, allem Himmel,
Dieser Würmer fressendem Gewimmel,
Und sein Grab lag halb verschneit.

Bretter ... Pfähle ... eine Scharlachjacke.
Fäuste griffen aus dem Knäul,
Fetzten ihm das Linnen von der Backe;
Sein Gesicht zerstürzte, rote Schlacke,
Troff in grausigem Geheul:

Und ein unermeßner Jubel hallte. -
Drüben ward das Grab verweht. -
Nur in dämmerdüstrer Gassenspalte
Raunte zittrig eine arme Alte
Für dies Sterben ein verrufenes Gebet.


 

Grabschrift


Buntgefleckte Laster ducken Knechte,
Reißen Beute hin mit Zahn und Krallen;
Aber er, der Reine, der Gerechte,
Ward gezeugt, als Opferlamm zu fallen.

Daß er wuchs und siegte, schien ein Greuel,
Untat, die der Welten Gang verkehrte,
Schauderanblick, Basiliskenknäuel,
Das sie schreckte, bannte und verzehrte,

Und sie rasten, angstbeseßne Herde,
Und erschlugen ihn mit Totenbeinen,
Stampften ihn in Kehricht, Kalk und Erde.
Immer sie, die Vielen. Ihn, den Einen.


 

Alte Jakobiner


Der Korse blitzt und wirft die goldnen Adler,
Befiehlt dem Schwert, der Feder, ruft sich Diener
Und schreckt bisweilen, aufgebracht, die Tadler,
Die eingeduckten alten Jakobiner,

Die, statt verwarnt, bestochen und gekitzelt
Nach vorgehaltnen Bissen mitzuschnappen,
In sternenloser Nacht, verfolgt, bespitzelt,
Den Hut im Auge, eng an Mauern tappen,

Sich hin zu heimlichem Gemunkel tasten,
Zu Spielen mit verbotnen dummen Klinkern
Und in das kaiserliche Sonnenglasten
Am Morgen wieder müd und fröstelnd zwinkern.

Wie lahme graue Wölfe in der Grube
Mit räudig kahlem Fell, gestumpften Zähnen,
So sitzen sie in trüber Hinterstube.
Sie nörgeln, schelten, räuspern sich und gähnen,

Und manche schrumpfen klapprig ein, betreuen
Schon liebevoll ein mannigfach Gebresten
Und schmeicheln sich dem Ofen an und freuen
Sich ihrer Pulvertütchen, Pillenkästen.

Sie sind nicht mehr in ihrer Zeit; sie hocken
Verirrt in Winkeln als gelebte Sagen,
Verschmähn das Neue, brechen kleine Brocken
Von jenen zäh gewordnen guten Tagen,

Da, wenn sie stampften, eine Welt erzittert.
Nun birgt die Stadt sie lässig, fast verachtend.
Sie schütteln Köpfe, böse und verbittert.
Sie stehn, den Leichnam einer Frau betrachtend,

Die rote Mütze trug in tollen Haaren,
Und wollen nie die Sterbestunde wissen
Am neunten Thermidor vor sechzehn Jahren
Und daß sie selbst das Herz ihr ausgerissen,

Durchwühlen karge nachgelaßne Habe,
Verzanken sich am Armenbett der Toten,
Berühren sie mit zauberlosem Stabe.
Sind selbst Gewesne, Schemen, Donquichoten.

O Robespierre. Du bist: du ruhst im Grabe . . .


 

Nachruf


Ich werde sterben, wie die Vielen sterben;
Durch dieses Leben wird die Harke gehn
Und meinen Namen in die Scholle kerben.
Ich werde leicht und still und ohne Erben
Mit müden Augen kahle Wolken sehn,

Den Kopf so neigen, so die Arme strecken
Und tot sein, ganz vergangen sein, ein Nichts.
Und Bettler klammern noch die Wanderstecken
Wie Zauberruten, stehn an Straßenecken,
In leerem Hut das Gold des Abendlichts,

Das ihre magren Finger doch nicht halten,
Dafür der Händler nie Kartoffeln tauscht.
Ich aber liege satt und warm im Kalten,
Und Zorn und Gram und Lust und Händefalten
Sind Meer, davon die große Muschel rauscht . . .

Ich war. Und werde Staub, den Füße trampeln.
Ich weiß es. Ihr. Ihr starbet lang und seid.
Die Krämer rechnen und die Narren hampeln;
Ihr wartet schweigend unter roten Ampeln
So sanft und unerbittlich wie das Leid,

Den Arm noch festgeschnallt am Henkerkarren,
Und einem strahlt das Messer in der Brust.
Da raffen Diebe, und da peitschen Narren,
Und ich bin Staub, den tausend Füße scharren,
Ich bin - - und habe doch von euch gewußt

Und hab auf diesem Antlitz euch getragen;
Der schwache Spiegel ward es, der euch fing,
Der hingestürzt, erblindet und zerschlagen.
Ach ich. Was bin ich euren ew'gen Tagen
Als Blick, als Sandkorn, rinnend und gering?

Die weiche Krume Lehm, die ihr geknetet
Und noch zur Form mit harten Händen zwingt.
Ihr. Die ihr ernst aus euren Nischen tretet,
Was wißt ihr von dem Herzen, das euch betet
Was von dem Mund, der eure Glorie singt ?


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