Paul Klee - Die Gedichte

 

 

Paul Klee

Gedichte
herausgegeben von Felix Klee

Arche Verlag AG
Zürich - Hamburg
1996
ISBN 3-7160-2293-4


 

1920

Diesseitig bin ich gar nicht faßbar.
Denn ich wohne grad so gut bei den Toten,
wie bei den Ungeborenen.
Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich.
Und noch lange nicht nahe genug.

Geht Wärme von mir aus? Kühle??
Das ist jenseits aller Glut gar nicht zu erörtern.
Am Fernsten bin ich am frömmsten.
Diesseits manchmal etwas schadenfroh.
Das sind Nuancen für die eine Sache.
Die Pfaffen sind nur nicht fromm genug, um es zu sehn.
Und sie nehmen ein klein wenig Ärgernis, die Schriftgelehrten.


 

Aus dem Gedichtband
«Letztes»

In Herzens Mitte
als einzige Bitte
verhallende Schritte

von der Katze ein Stück:
ihr Ohr löffelt Schall
ihr Fuss nimmt Lauf
ihr Blick
brennt dünn und dick
vor ihrem Antlitz kein Zurück
schön wie die Blume
doch voller Waffen
und hat im Grunde nichts mit uns zu schaffen


 

Esel

seine Stimme macht mir Grausen
während lange Ohren schmausen.

Als verstummte Nachtigall
war einst ein beträchtlich Nichts der Fall.

Was artet einsam und allein?
es ist die Pflanze Elfenbein.

Meinung und Meinung tauschten Wellen
da war denn nichts mehr festzustellen.

Es war mal was
und fragte das:
es gelte was?
von nein zu kein
liegt zwischen kein ein
von immer zu hin
gewann es Sinn
bis ging ein Schein
in wahrlich ein.


 

Antwort

bin Sclav oder Herr wie Du
leb nicht kleiner auf Schuh.


 

Zurufe

Krummfahrer! Bösharrer! Schmutzstarrer!
Pelzläuser! Wißbesser!
Schmerling!
Duckmäuserlehrling!!

Alle alle hatt ich gern
und jetzt bin ich kühler Stern.

Großwendig. Schwerhendig
anhaltig-glattfaltig
vieleinig.

ferne Seele bitt um Gnade
mach mich tief.

weil ich ging
ward Abend
Wolkenschleier
hüllten das Licht
dann schattete das nicht
über Allem

Hab Hut
was Glut
sengt dein Blut,
was Kohlen
weiß holen

durch Rinnsal leuchte
Siebenschleier gesiebt Gesicht!

Einst werd ich liegen im Nirgend
bei einem Engel irgend.


1915

 

Mein Stern ging auf
tief unter meinen Füßen

wo haust im Winter mein Fuchs?
wo schläft meine Schlange?


 

Ende Juni

die Nacht geht so schnell
so groß schaut der Tag.

nur eines allein
ist nah
im Ich ein Gewicht
ein kleiner Stein.

ein Auge welches sieht - sonderbarer Blick -
das andere welches fühlt

Du still allein,
Ihr Ungeheuer
mein Herz ist euer,
mein Herz ist dein!

nur verhallende Schritte die Bitte.


 

Der Mond vielseitig

im Bahnhof eine von den Lampen
im Wald ein Tropfen im Bart
am Berg: daß er nicht rollt!
Daß ihn der Kaktus nicht spießt!
Daß ihr nicht niest!! .

Zittre um Deinen Leib
sieh diese Räume
- Träume sind nicht so weit -
und - wo bist Du?

Wo sind Linnen
drinnen Schlaf sich fand?
Wo ist zartem Fuß ein Sand?
Wo Liebesband linder Hand?
Nirgend – irgend??

bin nicht hier!
- glühe bei Toten -


1926

 

    Der Wolf spricht, am Menschen kauend, und im
    Hinblick auf die Hunde:
Sag mir wo ist dann
    sag mir wo?
    ist dann ihr Gott?
wo ist ihr Gott? nach dem...

    du siehst ihn hier
    ganz dicht bei dir
    liegen im Staub vor dir
    den Gott der Hunde

Sehn und wissen ist eins
daß wer von mir zerrissen
    ein Gott nicht ist.

Wo ist dann ihr Gott?



- helft bauen -

Vogel der singest
Reh das springest
Blume am Fels
im See der Wels
im Boden der Wurm
zu Gott helft bauen
den Turm

echo: «zu Gott»


In einem Zimmer gefangen
große Gefahr
kein Ausgang

Da: ein offenes Fenster, hinauf, abstoßen:
ich fliege frei,
aber es regnet fein,
es regnet fein,
es regnet,
regnet,
regnet...
regnet...


1925

 

In der Nacht vom-30. Juni auf den 1. Juli 1925 träumte ich
merkwürdig deutliche Dinge.
Ich sah im Winkel zweier Hauswände unter dem
Dachvorsprunge ein großes Vogelnest. Dasselbe war aber mit
einer Katzenfamilie besetzt. Die jungen Katzen waren
schon ordentlich groß, etwa vier Wochen alt. Und besonders
eine davon, ein dunkles Tigerkätzchen, hing übermütig
mit dem Hinterteil weit über den Rand des Nestes hinaus.
Unterhalb des Nestes lief ein nur ganz schmaler
Mauervorsprung, der Weg der Katzenmutter vom Nest in ein
offenes Fenster. Der Gedanke, daß der erste Ausgang der
Kleinen auf so gefahrvollem Weg erfolgen würde,
beängstigte mich und ich sann auf Abhilfe, der drohenden
Gefahr zu begegnen.

Dann sah ich mich beim Graben in einem Garten. Mühevoll war
etwas hergerichtet, aus dem etwas Ersprießliches
hervorgehen sollte.
Nun kam plötzlich ein Hund nach dieser Stelle gerannt
und wälzte sich in zerstörender Weise drauf herum,
die wühlende Schnauze zu Hilfe nehmend.
Man wunderte sich, daß ich ihn gewähren ließ.
Ich aber entschuldigte mich damit, daß ich ihn einen
«Sachverständigen» nannte.


 

1. Strophe:
Rach und Degen
ein Dach dem Regen
Schurm und Stirm
im Sturm ein Schirm

2. Strophe:
Rach und Degen
Schurm und Stirm
im Sturm ein Schirm
ein Dach dem Regen

3. Strophe:
Schurm und Stirm
im Sturm ein Schirm
Rach und Degen
ein Dach dem Regen

Neue Möglichkeiten:
Degen und Rach
dem Regen ein Dach
Stirm und Schurm
ein Schirm im Sturm

Schurm und Stirm
Räch und Degen
ein Dach und Regen
im Sturm ein Schirm


 

1932

Der Herr weis was der wil.
der kan.

Aber hat ain Laster, nicht rauchen.
Aber grazt mit ain Harpeitsche auf den Gaige,
das tu den Bimbo so weh in or.

[Im Stile der Lieblingskatze Klees, genannt Bimbo]


 

1928

1/1000
Ein
Tausend Schwein
steht in Pein
ohne neun
hundert neun
und neunzig sein
es gleichen Schwein
allein

[Aus seinem Notizkalender]


 

1909

Motto

Sturm und Wurm
Sang und Drang
Wurm und Sang
Drang und Sturm

[Notiz zu Büchners ,Dantons Tod']


 

1898

Aus den Tagebüchern

Verachtung der Keuschheit:
Keusch sind diese vier Wände.
Daß ich's ja erwähne!
Rein sind diese zwei Hände,
Und wie ich ehrlich gähne!


 

1899

Ein Gleichnis

Die Sonne brütet Dünste aus,
die steigen auf
und kämpfen gegen sie.


 

1899

Eine kleine Probe, wie ich damals im Volkston reimte

1
Nun hat dich genommen der Tod,
der rosenrote Schein
ist falsch, nur hingeworfen.
Gardinen zauberfein
färbten mein Lieb, was tot,
gestorben nie zu erwachen.

2
Sagt an ihr Leut, was soll ich tun ihr Leut?
mein Herz, das brennt so sehr,
Nun hab ich kein Liebchen mehr,
und zum küssen und wieder zum küssen.
O daß ich ein Vöglein war,
als Vöglein wüßt ich Bescheid,
ans rauschende Meer flog ich weit,
mein Herz darin zu kühlen.


 

1899

Ich gleiche dem Hang,
wo das Harz in der Sonne kocht,
wo die Blumen brennen.

Mich kann nur kühlen die Walpurgisnacht,
dahin flieg ich als Johanniskäfer
und weiß dann gleich Bescheid,
wo ein Laternchen angezündet ist.


 

1899

Ich sank in die Arme dem schwersten Traum
und küßte dich unten am Weidenbaum.
Heiß war der Kuß,
und wie's in den Schläfen mir schlug.
Darüber ging
ein jagender Wolkenzug.
O Macht der Nacht
O heißen Glückes schwere Pracht!


 

1900

Einen wilden Brand hast Du in meine Seele geworfen,
daß tönende Flammen ihr entlodern.
- die Musik als ableitender Kanal -

Angst des Anfangsstadiums.
Die Ihr mir nahetretet
und dereinst einmal verstehen werdet,
Euch sage ich, daß Ihr,
wenn ich zu früh von hinnen müßte,
viel an mir verlöret.

Du Feuerblume
ersetzest mir nachts die Sonne
und leuchtest tief
ins verschwiegene Menschenherz.

Dein Haupt will ich in Händen halten,
in beiden Händen fest,
und nimmer darf es sich abwenden von mir.
Denn im Schmerz
wüchse meine Kraft ins Verderben.

Im Sturm werd' ich klarer,
und das Leben fesselt mich.


 

1900

An Eveline

Ich versprach Dir viel.
Ein sittlicher Mensch zu sein.
Ich möchte vor Dir bestehn.
Knien muß ich zuerst vor Gott.
Dann, Eveline, rette mich vollends!
Sonst hab' ich keinen Menschen!

Ich spielte mit Gift,
habe mich vergiftet,
warum wollt' ich außerhalb stehen?
Dazu hing ich im Grunde zu sehr am Guten.
Weh der Schuld,
vielleicht ist sie größer als ich dachte.
Bei Dir sie zu vergessen!
Aber Du müßtest sie mir vergeben zuerst.
Wenn Du das kannst.
Sei mir gegrüßt in der Ferne.


 

1900

I
Eveline nenne ich einen grünen Traum unter Blättern, den
    Traum des nackten Kindes auf der Flur.
Dann aber war mir versagt, so selig wieder zu werden, als ich
    unter Menschen kam und nicht mehr fort von ihnen.
Einmal entwand ich mich der Gewalt erfahrener Schmerzen
    und entfloh in die mittaglichen Felder und lag am
    glühenden Berghang. Da fand ich Evelinen wieder, gereift
    aber nicht gealtert. Nur müde von einem Sommer.
Jetzt weiß ich's. Aber seht, mir ahnte nur, als ich dies sang.
    Seid milde zu meiner Gabe. Schrecket nicht die Nacktheit,
    die den Schlummer sucht.

II
Der März droht uns Sommer, heiße Liebe drohst Du meiner
    Seele, Eveline! Noch grünt der Mai. Noch sind es
    Wiegenlieder.
Manches stählerne Wort hab' ich geschliffen. Ich wollte sein
    ein Fels in der Brandung.
Schartig ward die Schneide. Nun möcht ich knien, ganz Demut.
    Aber vor wem?
    Würmer wollten mich trösten. Bin ich so elend?
    Dann ekelt mich.

III
Ach zu viel Sonne ging mir auf! Endlose Tage ohne Nacht.
    Ewig singendes Licht. Aufsuchen wollte ich mein
    frühes Haus im grünen Schatten, meinen Traum unter
    Blättern. Wo ist er?
Kein Verkriechen lügt Abend dem Geblendeten. Flammen reibt
    er sich in die Augen.
Es schlief gar nicht der Erwachte. Er spricht ohne Ton:
    du müdes Lied.
Dies aber ist es, das müde Lied.

IV
Horch zirpen den Sommer im Feld
horch die heisere Lerche in den Lüften
Eveline. Königin in Tages Mitte.
Nur den Kleinsten ist Fleiß noch beschieden und Tat,
    Ameisen, Fliegen und Käfern.
Mich aber lähmt der Friede dieses Mittags. Ich brenne auf
    dürrem Lager, auf Thymians und Ericas rankem Teppich bin
    ich ganz Brand.

V
Von Mondesmilde weiß ich noch. Nun aber buhlen Fliegen
    auf mir, und ich muß es sehen. Es rinnt der Schnee ganz von
    den Bergen, ich werde auch dort nicht Kühle finden.
Und ich muß bleiben... Schweigen gebietet Dein Blick, Eveline.
    Wir sind Heilige, ich bin's geworden durch Dich.

VI
Fliehe nicht meine Nähe! Vertraue! Erkenne! Ausgetrocknet
    hast Du die Sümpfe meiner Seele, nun steckst Du im
    Gewölk. Dein Sieg wird ganz sein.

VII
Wo die Wirklichkeit nicht mehr zu tragen, scheint sie Traum
    mit wachen Augen. Daure, fürchterlicher Traum bei Eveline.
    O Gaukelbild, daß Du selber versengt bei mir Schutz
    suchest und Trost.

VIII
Das ist der große Tag, das glüht von lauter Liebe. Wird auch
    hier ein Ende sein, eine Dämmerung? Wird fallen
    eine Göttin?
Noch ist es Tag, noch glüht es von lauter Liebe.


 

1901

I
Was jagen die Menschen dahin,
wie die Wellen vor dem Sturm?
Wer bläst sie an, welcher Wind?
Der Wind ihrer Wünsche bläst sie an.
Aber ihre Wünsche sind eitel.

Ich bin ein Schiffer über ihnen.
Mein Schiff ist stark
und bringt mich ans Ziel.
Es rudert die leuchtende Hoffnung
der schönsten Insel zu.

Ach, wie gewaltig brandet es da,
fast sinkt mein Mut.
Sollte hier zerschellen mein Bestes,
sag an Du leuchtende Hoffnung?

Nein, ich bin jung
und mein Arm ist gut.
Ich muß die Insel gewinnen,
und wären dort die größten Berge,
und hieße ihr höchster Einsamkeit.

Wohlan du freier Hauch dort oben.
Wohlan du Gischt der Brandung.

II
Noch viel weiter weiß ich zu schauen.
Ich habe erreicht die Insel,
ich siegte über die Brandung,
ohne sie zu löschen.
Sie lebt und frißt.
Mein höchster Berg wird wanken.

Der Schlachtgesang der Wogen ist verstummt.
Die Welt ist ein nasses Grab,
eine weite Öde.

Das Licht erlischt,
dunkel muß sein das Ende.
Im Tag erneut sich das Leben.

Nacht uns allen!
Wir wollen männlich kämpfen
vor dieser Nacht.
Das Leben voran!


 

1901

Ich habe ein neues Leben begonnen.
Und diesmal gelingt's!
Tief lag ich zu Boden.
Alles sei mir erlaubt, glaubte ich,
auszukosten sei meine Stärke.

Zum Narrentanz ging ich,
ein schmutziger Lump.
Die Liebe der Jungfrau hat mich erlöst
von solcher Gestalt.

Ich sah mein Elend,
und da war es schon halb gebannt.
Der Schrecken raffte mich auf.

Ich will ernst werden und besser.
Durch den Kuß des liebsten Weibes
ist alle Not von mir genommen.
Ich werde arbeiten.
Ein guter Künstler will ich werden.
Die Bildhauerei erlernen.
Meine Begabung ist in erster Linie formal.'
Diese Erkenntnis mit auf den Weg.


 

1901

Mir ist,
Du wärst mein eigen Blut,
so lieb' ich Dich.
Diesmal fühle ich den starken Gott mit mir.

Ein Opfer will ich,
seinem Gesetz mich beugend,
ihm bringen.

Dich besitzen will ich,
und wär's Dein
und mein Verderben.

Mein Gott tut Großes an mir.
Er sieht mich auf der Bahn des Gesetzes.

Ich liebe Dich als das Weib,
das zu mir kam,
zu dem im Dunkeln Brütenden,
mit der freundlichen Lampe.


 

1901

Dämmer des Frührots bin ich Erwartung.
Werde ich sie ertragen, wenn sie heraufsteigt
über den Kamm der Berge?
O Bangen des Morgens, wie damals in meinem Leben.

Wie damals? Steh' ich im leuchtenden Tag?
Vom Lager auf! Viel Arbeit ist da aufzunehmen!


 

1901

Ich bin Gott.

So viel des Göttlichen
ist in mir gehäuft,
daß ich nicht sterben kann.

Mein Haupt glüht zum Springen.

Eine der Welten,
die es birgt,
will geboren sein.

Nun aber muß ich leiden
vor dem Vollbringen.


1901

Schälkchen auf meinen Lippen.
Deine Zeit ist um.
Wir waren Gefährten,
unsere Freundschaft ist jetzt Asche.

Ich erwarb ein Stück Himmel,
dort kann ich keinen brauchen
von dieser Welt.
Die Lacher -
sie nennen mich verliebt -
bleiben unten und altern.

Wir ziehen oben
die ersten Kreise
der Unsterblichkeit.


1901

Stütze Dich auf mich
und folge mir,
wenn unten die Gründe gähnen,
schließ die Augen.

Vertraue meinem Schritt
und dem eisig hohen Geiste.
Dann sind wir zu zwei
wie Gott.


1901

Jetzt klingt der Abschied ganz anders:

Ich bin allein gewachsen auf der Heide.
Wer hat je mir geholfen?
Stürme kamen und gingen,
hatten fortgefegt, was schwach war.
Ich bin geblieben auf der Heide.

Dann kamst Du und suchtest Schutz bei mir.
Aber Halt gebot uns das Schicksal.
Erstarken sollst Du in Einsamkeit, sprach das Schicksal.
Mein Schutz sei vorerst der Gedanke allein.


1901

Gehet dahin ihr großen Wünsche,
Fahr wohl Unsterblichkeit.
Zerfallet Berge des Geistes,
Wenn der Gipfel die Einsamkeit ist.


1901

Was ich bin - fraget nicht.
Nichts bin ich,
zu nichts stehe ich.
Nur von meinem Glücke weiß ich.
Ob ich es verdiene, fraget nicht.
Laßt Euch sagen,
daß es reich ist und tief.

Vor Sonnenuntergang wollt' ich am Ziel sein.
Bei ihr.
Ich war gut gegangen.
Doch schlecht hatte ich gerechnet.
Die unsagbare Sehnsucht nach dem Ziel
beschwerte die vielen Stunden.
Über einen wilden Paß will ich
ins milde Tal.


1901

Ich schenke Dir mein Ganzes
und gab Dir doch nichts,
bedenkend, daß ich das Leben
erst aus Deiner Hand empfing.

Daß Du mich neugeboren hast
in Schönheit.

- Die Geliebte als Mutter
des neuerstandenen,
des sittlichen Mannes. -


1901

Der Sturm setzt gewaltige Schenkel
ins Tal der Welle
und in den Nacken der Eiche.
Es sieht nach Kampf aus
zwischen Ast und Gischt
und ist doch Spiel.
Es wohnt die Gottheit bei
und wahrt die Grenzen.


1901

Über den Sternen
will ich meinen Gott suchen.
Als ich nach irdischer Liebe rang,
suchte ich keinen Gott.
Nun ich sie habe,
muß ich ihn finden,
der Gutes an mir tat,
als ich von ihm abgewandt war.
Wie kann ich ihn erkennen?
Lächeln muß er wohl des Toren,
daher die Kühlung
linder Winde in der Sommernacht.
Stumme Seligkeit ihr zum Dank
und einen Blick nach jenen Bergeshöhen


1901

Stehe früh auf, zu säen.
Dein Weib schläft tief,
laß es schlafen.

Erst mit den Früchten Deines Feldes
sollst Du Dich wenden an Dein Weib.


 

1901

Es war ein verführendes Wasser,
das meinen Sinn in seine krausen Strudel zog.
Wie reißend ist nun aber
die Gewalt des Stromes
Da riefen an mir vorbei die Orte
alter dunkelsüßer Heime,
wo ich des Nachts
dem Lied der Zikade lauschte,
einsam und heimlich
unter dem duftatmenden Holunder.
Manchen Traurigen seh' ich am Ufer stehn.
Ich aber bin über den Wellen,
stark und frisch an Leib und Seele.
ich will münden zusammen
mit dem großen Strom.
Münden will ich mit ihm.


1901

Eine Art Prometheus

Ich trete vor Dich, Zeus,
weil ich Kraft habe dazu.
Du hast mich bevorzugt,
das zwingt mich zu Dir. Weise genug,
Dich hinter allem zu vermuten,
suche ich nicht den mächtigen,
sondern den guten Gott.
Nun hör' ich Deine Stimme aus der Wolke:
Du quälst Dich, Prometheus.

Qualen waren stets mein Los,
da ich zur Liebe geboren bin.
Oft hob ich fragend - bittend
den Blick zu Dir: vergebens!

So poche denn an Deine Tür
die Größe meines Hohnes.
Wenn ich nicht genüge,
laß ich Dir diesen Stolz.
Groß bist Du,
groß ist Dein Werk.
Aber nur groß im Anfang,
nicht vollendet.
Ein Fragment.

Vollende!
Dann rufe ich heil!
Heil dem Raum, dem Gesetz,
das ihn durchmißt.

Aber ich rufe nicht heil.
Nur der Mensch, welcher ringt,
hat mein Ja.
Und der Größte unter ihnen bin ich,
der mit der Gottheit ringt.

Um meiner und vieler Schmerzen willen
richt' ich Dich,
daß Du nicht vollbrachtest.
Dein bestes Kind richtet Dich,
Dein kühnster Geist,
verwandt zu Dir
und abgewandt zugleich.


1901

Ich muß blaß sein.
Die Gedanken verwirren sich aufs neue.
Ich schlafe die Nächte nicht durch.
Die Seele sucht südwärts?
Fehlt es am Norden, oder woran?
Luft hab' ich und Nahrung.
Und Liebe hab' ich die Fülle erlangt.
Und kann doch nicht bleiben so.

Sonst wird's wie früher.
Gewaltsam in der Brust verschlossener Kummer.
Auf engem Ausweg heiseres Lachen.
Zum Bersten.

Und ich sage wieder,
dies Lachen erhebe allein über das Tier.


1901

Sprache ohne Vernunft

- Die Vernunft schwamm im Strom
des Weines davon. -

1
Ein guter Fischzug ist großer Trost.

2
Niedertracht sucht mich auch dieses Jahr
zu beschleichen.

3
Ich muß gerettet werden.
Durch Erfolg?

4
Hat die Inspiration Augen,
oder schlafwandelt sie?

5
Meine Hände falten sich zuweilen.
Doch gleich dicht darunter verdaut der Bauch,
filtert die Niere hell den Urin.

6
Die Musik über alles lieben,
heißt unglücklich sein.

7
Zwölf Fische,
zwölf Morde.


1901

Ein Gedicht mit den Reimen

Augen
Brust
Lust
Nacht
gelacht
Schlaf
traf
Gesellen
bestellen
Bäumen
träumen
Herzensnacht


1901

Epigramme mit den Reimen

Dahin
fürs Malen kein Sinn
verscherzt die geliebte Musik mein Sohn
Hohn.

«Die Liebe als Sonne, ich als Sumpf»:
Sonnenverpestung als Dank
weil es bei mir von Sümpfen stank.

bewahren !
an Jahren
verstanden
vorhanden.

Welt
dann kosteten andere mich mein Geld,
das selber ich meinem Vater gekostet.

gehoben
geschoben
Herde
Erde.

Angst des Weibes
Wunden und Schwären
am Berge gebären
der Schande Befreier
Dohlen und Geier
würde ich los das Gewächs meines Leibes.

Freier
Leiber
Geleier
Weiber.


1901

Eine Satire auf die Kraftmeierei

Das war so einer von den Riesen
dem alle Berge zu niedrig waren
Gefahren
bliesen
Kraft
Leidenschaft

Gedanken
entrannen
von irgendwannen
Schranken
klein
mein.


1901

In solchem Zustand gibt
es schöne Mittel.
Gebete um Glauben
und Kraft.
Auch Goethes Italienische
Reise gehört hierher.

Aber vor allem ein glücklicher
Stern. Ich sah ihn oft.
Ich werd Ihn wieder entdecken.


1901

Gefastet
Magen lastet

vertragen
gerastet
Wagen

verbieten
kaufen
mieten.


1901

Epigramme

An Gottes Stell
grell
eigene Schöne
- Töne -

Palette
errette
behagte mir nie
Greisenpoesie

scheidet
verleidet
blühn
grün

genommen
gekommen
bezahlt
zu dünn gemalt

schafft
Kraft
wählen
Seelen
bescheiden sein
klein
Spur
Natur.

Die Verse zu diesen Reimen waren zu sehr erdacht, zu sehr ge-
reimt und zu wenig geträumt und entstanden doch in einer hellen
Stunde der Nacht. Es regnet, wenn es nicht gerade gießt.


1901

Epigramme mit den Reimen

fluchen
suchen
holen
gestohlen

errungen
gesprungen
einen
erscheinen

bißchen Freude
brennende Augen zumeist
vom Neide
mein Sohn, du bist dreist


1901

Satirisches Opus

Der Glückliche, das ist ein halber Idiot,
dem alles gedeiht und Früchte trägt.
Steht auf seinem kleinen Besitz,
die eine Hand hält die Gießkanne,
die andere zeigt auf sich selber,
als den Nabel der Welt.

Es grünt und blüht.
Von Früchten schwere Zweige neigen sich auf ihn.


1901

Gedichte epigrammatischer Natur mit den Reimen

gereimt
geleimt
große Pein
überflüssig zu sein.

Ich glaubte, es müßte mir wenigstens gelingen, mich selber
lächerlich zu machen.

so ein leidend Haupt
gelber
glaubt
sich selber

tatbereit
Lächerlichkeit
erkoren
geboren

behaart
gepaart
betrogen
verlogen.


1901

Kurzes Leben
Saures Streben
Viel Verdruß
malen muß

verschämt
vergrämt
Riesennatur
Überpartitur
Klavierstuhl hocken
Schütteln die Locken


Nachtregen

Etwas lügt, ich habe dich verloren,
fast kann ich es glauben.
Es ist trüb und voll Demut.
Das Herz bäumt sich,
das Auge brennt.
Tränenlos.
Nur die Nacht draußen weint.
Einsamkeit.


1901

... ruhn
tun
seufzen nein
... heimlich, geschwinde
von Stein müßt einer sein
es zu verargen dem Kinde


1902

Drei Knaben

Erster:
Die Vögel treffe ich im Flug.
Den Bogen schnitt ich selber.
Stolz macht mich diese Kunst.

Zweiter:
Letzten Frühling schoß es mir in die Arme,
ich glaubte umarmen zu sollen.
Ein leises Sehnen ließ mich mit den Wolken ziehen.
Warum mir dabei Tränen entrollten?

Dritter:
Das war keines von den lieblichen Mädchen,
das war ein Weib, fast so stark wie ich.
Als ich sie ergriff,
fühlte ich den Strom ihres heißen Blutes,
sengte ihr Atem mein Antlitz.
Und mit ihm glühte mein ganzes Wesen um Erlösung,
die vom Weibe kommt.



1902

Paßt auf,
nun mach ich Euch was vor,
auf dem besten Weg nämlich,
mich zu erhängen.

Ich habe nachgedacht,
so oder so wäre ein Leben noch möglich.
Doch weder so noch so paßt es mir.

Also: ich will,
daß mir geholfen ist,
schnell geholfen.

Was schaffst Du da?

Geh, Du störst mich.

Und wenn ich Dein Freund wäre?

Freunde hatte ich.

Und wenn ich Rettung brächte?

Rettung als Überseil,
als Übergiftflasche?
Eine andre nicht!

Sieh ins Auge
dem alten Freund der Menschen,
mir ins altersgraue Auge.

Unheimlich!
Was hast Du vor?

Wollen sehen,
Rom wollen wir sehen.

Rom als Rettung?


1902

Der Epigon

In mir kreist das Blut einer bessern Zeit.
Durch die Gegenwart schlafwandelnd,
hänge ich an der alten Heimat,
am Grab meiner Heimat.
Denn alles verschlang der Boden.
Die südliche Sonne hilft nicht meinen Leiden.


1902

Sinnlichkeit
ist die Biegsamkeit des Fleisches
unter einem höheren Zwang.

Augen von Farben geblendet.
Ohren in Klang badend.
Nasen in Düften.
Ebenso die Liebesorgane.


1902

Mit Blumen, ich kindischer Mann,
will ich dich kränzen, du blasses Angesicht.
An den weißen Wänden kann man lesen,
daß wo Chrysanthemen nahe sind.

Deine kühlen Lippen brauchen ein leichtes Fieber,
vielleicht schützt ein Kuß sie vor Trockenheit.

Wie schön du nun bist in Farben,
die nur ein Schein sind von Farben.
Schemen ganz neu beisammen
wollten meine übersatthungrigen Augen.

Und sollte ich sterben, dann leuchten sanft
zwei Abendblumen in der Dämmerung.

Zu deinen Augen mit den zarten tiefen Rändern
werde ich credo sagen und glauben,
was da ist beim Abschied.


1902

Faule Redensarten:
bei wollen und nicht können sagen,
daß die Götter es einem nicht gönnen.
Frau Venus leugnen brav und verständig.
Von Christus glauben, er sei noch lebendig.
Faule Redensarten.


1902

Kennt Ihr über Euch mein Lachen?
Freuet Euch, es nicht zu kennen;
denn es würd' Euch schrecklich brennen.
Und so brennt es mich allein.

Und mir sei es eben recht,
wenn Ihr zeugt ein flach Geschlecht.
Meine Art muß sterben.



1902

Auf dürre Finger wird ein Tuch gespannt.
Dann wird eine krachende Salve abgebrannt.
Dann wird das krepierte Geschoß
kurz gebreitet dem Auge bloß.
Dann wird es, wobei die Finger knacken,
rasch eingewickelt in das Laken.
Nun noch titulieret den Zeitvertreib,
legendum: sich schneuzend ein altes Weib.


1902

Beim Anblick eines Baumes

Die Vöglein sind zu beneiden,
sie meiden,
an Stamm und Wurzeln zu denken,
und selbstzufrieden schaukeln den ganzen Tag die behenden
und singen auf letztverzweigten Enden.


1902

A un homme triste ins Stammbuch

Das fleischliche Fleisch hat dieser Mann
sich je gehütet zu fressen.
Er hat nur gerochen dran,
unterdessen
bleibt rein er
und viel zu feig zur Tat.


1903

Als ich noch ein loser Schelm war,
wußte ich freche Lieder.

Einen Vers weiß ich noch:
«Er kam herunter und sie kam nieder.»

Die übrigen hat der Wind verweht.
Jetzt geb' ich mir Mühen und bin bieder.


1903

Zwei Berge gibt es,
auf denen es hell ist und klar,

den Berg der Tiere und
den Berg der Götter.

Dazwischen aber liegt das
dämmerige Tal der Menschen.

Wenn einer einmal nach oben sieht,
erfaßt ihn ahnend
eine unstillbare Sehnsucht,
ihn, der weiß, daß er nicht weiß,
nach ihnen, die nicht wissen, daß sie nicht wissen,
und nach ihnen, die wissen, daß sie wissen.


1904

Der Alte vom Berner Bund stieg auf die Berner Bretter,
- der Schwiegervater des Herrn Vetter -.
Zwei Backfische hat der Faun gestaltet;
im übrigen ist es ziemlich veraltet.


1905

Was bildet der Künstler?
Formen und Räume!
Wie bildet er sie?
In gewählten Proportionen...

o Satire,
du Leid der Intellektuellen.


1905

A und B haben lange beim Wein gestritten
und stehen auf entgegengesetzten Punkten.
Im Trinkstadium der Gerührtheit
kommen sie sich versöhnlich entgegen.

Jeder hält seine Rede mit so viel Schwung,
daß B bei Standpunkt A landet,
und A beim Standpunkt B.
Mit staunendem Blick reichen sie sich die Hand.


1905

O laß den unendlichen Funken
nicht ganz ersticken im Maß des Gesetzes.
Sieh dich vor!
Doch entferne dich auch nicht ganz von dieser Welt.
Denke dir, du wärest gestorben:
nach langen Jahren des Fernseins
wird dir ein einziger Blick
erdenwärts ermöglicht.

Du siehst eine Laterne stehen
und einen alten Hund, der sein Bein hebt.
Schluchzen mußt du da vor Ergriffenheit..



1905

Die Individualität ist nichts Elementares,
sondern ein Organismus.
Elementare Dinge unterschiedlicher Art
wohnen da unteilbar zusammen.
Wenn man teilen wollte,
stürben die Teile ab.

Mein Ich ist beispielsweise
ein ganzes dramatisches Ensemble,
da tritt ein prophetischer Urvater auf,
da brüllt ein brutaler Held.
Da räsoniert ein alkoholischer Bonvivant mit einem gelehrten Professor.
Da himmelt eine chronisch verliebte Lyrica.
Da tritt der Papa pedantisch entgegen.
Da vermittelt der nachsichtige Onkel.
Da tratscht die Tante Schwätz.
Da kichert die Zofe Schlüpfrig.

Und ich schaue zu mit erstaunten Augen,
die gespitzte Feder in der Linken.

Eine schwangere Mutter will auftreten.
Bscht! rufe ich, du gehörst nicht hierher.
Du bist teilbar.
Und sie verblaßt.


1905

Ein armes gepreßtes Schülerherz
hat es mir gestanden.
An's Fenster trieb es ihn,
weg von seinen Heften,
weg von der eingetauchten Feder.

Hinausspazieren wollten seine Augen
und drängten durch die Scheiben,
wo die Stirn anstieß.

Glückliche Kinder, die da unten spielten.
Glücklich Irenens Lächeln, des reizenden Mädchens.
Glücklich seine Augen, die ihr folgten..
Glücklich sein armes Schülerherz, das gepreßte.

Aber die neidischen Bäume,
Hehler seiner einzigen Augen- und Erdenlust.
Wie lange noch wollen sie halten gefangen Irenen.

Es tickt und tickt die Zeit,
und die Feder ist schon eingetaucht.

Und er gestand mir,
daß er im Spiegel sein Gesicht sah
voll Liebe und ohne die häßlichen Blüten.
Er weiß, seiner harrt besseres als sein heutig Teil.
Er weiß es, dort in der Ferne draußen.
Und die Lokomotive pfeift.


Es gibt Seligkeiten
nicht nur über den Sternen,
auch hienieden.
Es gibt Frauen,
später irgendwo
in einem Land.

Zu diesen Frauen betet er.
Es stehen dort Tempel
errichtet ihrem Geschlecht.

Und eine wird kommen,
die nicht eine ist,
sondern ganz des Geschlechtes.

Ich ließ dich grüßen durch Irenen,
wird sie sprechen.

Und ihre Stimme ist Musik.


1905

Bin ich Gott?
Ich habe großer Dinge so viel gehäuft in mir!
Mein Haupt glüht zum Springen.
Ein Zuviel an Macht muß es bergen.
Wollt ihr - seid ihr's wert? - daß es euch geboren werde.
[Beiseite]: Sie waren seiner auch nicht wert,
den sie kreuzigten.

Reeller: Das Genie sitzt im Glashaus,
aber im unzerbrechlichen, ideengebärend.
Nach den Geburten verfällt es in Raserei.
Greift zum Fenster hinaus nach dem Nächsten,
der da vorübergeht.
Die Dämonskralle hackt,
die eiserne Faust packt.
Sonst warst du Modell,
höhnt es zwischen Sägezähnen,
mir bist du Materie zum Werk.
Ich schmeiß dich hin an die Wand von Glas,
daß du pappen bleibst,
projiziert pappen...

Dann kommen die Kunstfreunde
und betrachten von außen das blutige Werk.

Dann kommen die Fotografen.
NEUE KUNST steht am andern Tag in der Zeitung.

Die Fachzeitschriften geben ihr einen Namen
mit der Endung auf ISMUS.



1905

Du sollst beten:
Gib Vergessen meiner Seele,
daß sie irrt.

Wenn dich der Schmerz
wenigstens zum Tier -
Rotes Laken - machte,
das an die Kehle geht,
du blöder Lächler -
rosiges Lächeln -.


1905

Ich neige vielleicht zum Verderben,
aber ich neige auch dazu,
mich immer wieder schnell zu retten.

Ich will nicht,
daß mich irgend etwas überwächst,
wenn ich's auch erleben möchte.

Ich will einfach nicht.
Ich muß gerettet werden.


1905

Leb wohl gegenwärtiges Leben,
das ich führe.

Du kannst so nicht bleiben. V
ornehm warst du.
Reiner Geist.
Still und einsam.

Leb wohl Ehre
beim ersten öffentlichen Schritt.


1905

Wahre Anekdoten:

Einer
dem im größten Schmerz
ein Raubtiergebiß wächst.

Eine Art Schiffbruch muß das sein,
wenn einer alt ist
und sich noch über etwas aufregt.


1905

Der Mond
war heut nacht eine Perle,
die wirklich Tränen bedeutet hat.

Kein Wunder bei dieser Föhnlage.

Einmal war es,
als ob das Herz still stehe.

Das Gehirn ist verdunstet.
Kein Gedanke außer an das Herz,
welches still stand.

Falle nicht, Ich!
Mit dir fiele die Welt zusammen,
und Beethoven lebt durch dich!


1906

Mich braucht niemand zu ironisieren,
das besorg ich schon selber.

Mir träumte,
ich erschlug einen jungen Mann
und hieß den Sterbenden einen Affen.
Der Mann war darüber empört,
er liege doch in den letzten Zügen.

Desto schlimmer für ihn,
antwortete ich,
dann kann er sich nicht mehr hinaufentwickeln

Oh über das wohlgemästete Bürgertum!


1906

Traum

Ich flog nach Haus,
wo der Anfang ist.
Mit Brüten und mit Fingerkauen begann es.
Dann roch ich was oder schmeckte was.
Die Witterung löste mich.
Ganz gelöst war ich mit einem Mal
und ging über,
wie der Zucker ins Wasser.

Mein Herz war auch im Spiel,
viel zu groß war es schon lang,
nun quoll es übergroß.
Aber keine Spur von Beklemmung.
An Orte ward es getragen,
wo man die Wollust
nicht mehr sucht.

Käme jetzt eine Abordnung zu mir
und neigte sich feierlich vor dem Künstler,
dankbar auf seine Werke weisend,
mich wunderte das nur wenig.
Denn ich war ja dort,
wo der Anfang ist.
Bei meiner angebeteten
Madame Urzelle war ich,
das heißt so viel wie fruchtbar sein.



1906

Dein Kopf ist ein Turm
mit strahlentanzenden Linsen.

Die geübte Hand weiß es oft viel besser
als der Kopf.

O Dichter!
Willst Du den Moder einer Gruft schildern
und gebricht es Dir dabei
an der so nötigen Inspiration,
kauf Dir einen Camembert,
und ab und zu daran riechend,
wirst Du können.


1906

Traum.
Ich bin bei einem Zauberer
im Garten zu Besuch.
Da steht eine Bank
ganz aus Crimsonrosen.
Bitte!,
fordert er mich auf zum Sitzen.
Ich tue als ob.
Er setzt sich ohne Miene zu verziehen.
Meine Scheinstellung ist nachgerade peinlich.
Vis-ä-vis steht am Fenster
des Zauberers Tochter,
ich lächle verlegen zu ihr hinauf.
Entrüstet schlägt sie das Fenster zu,
beobachtet mich aber
desto ungenierter hinter Gardinen.

Im Traum kehren oft
Momente des Lebens wieder,
die uns überraschten
und auf Augenblicke
hilflos machten.
Meist sind es Kleinigkeiten.
Große Eindrücke,
bei denen man sich beherrscht hat,
bleiben fern.


1906

Wasser
darauf Wellen,
darauf ein Boot,
darauf ein Weib,
darauf ein Mann.


1906

Romantische Attacken?
Phantasterei?
Schwärmerei?
Dunstmassen schwer getürmt?
Blitzzüngelnd?
Dramatisch: Aus den Fugen
geht das Gesetz!
Oh!


1908

Der Rückblick beim Jahreswechsel
stimmte doch etwas ernster als bisher.


Es ist doch nichts so Harmloses,
Kinder in die Welt zu setzen!

Am ganzen Horizont bläulich
phosphoreszierendes Wetterleuchten.

Ich als Schauspieler armverschränkt
in der Mitte des Kreises:
«Möge es blitzen!»

Die Pose hielt indes nicht lang an,
man wird schon im Lauf
eines einzigen Alltages
bald etwas größer,
bald wieder etwas kleiner.

Etwas vom Geist
Josephs des Zimmermanns
gehört auch zu so einem
kleinen Hausvater.

Manches Erhabene,
manches Verstiegene,
manches Bizarre,
manches Geistige
liegt hinter Schloß und Riegel.


1908

Ich versuch's nun einmal
ohne Spekulation,
ohne geistvolles Eigenleben.
Klein versuch ich's,
herabgestimmt,
etwas bürgerlich.
Das Viertel Schweizer in mir versucht's.

Gehe lernbegierig zur Schule,
bei Lehrer Meier-Gräfe
oder bei Lehrer Karl Schettler
zu erfahren,
wie ich es machen muß,
um ein guter Künstler zu werden.

Hab' ich doch schon am Progymnasium
hingebungsvoll nach der Natur gezeichnet.
So frei von Persönlichkeit
braucht es ja nicht mehr abzugehn,
aber frei von allzu vieler Beschäftigung
mit der Persönlichkeit
- der Lehrer hebt den Zeigefinger -,
darauf kommt's stirtigerunzelt an!
Persönlichkeit hat man eh
in meinem Alter,
bin doch jetzt in arte
ein höherer Jüngling!

Wenn die Natur nun selber
keiner Persönlichkeit gehorcht,
keinem zentralen Willen,
sondern alles an ihr Gewöhnung,
Gelegenheit und Anpassung ist,
dann desto besser.

Wenn es aber einen Gott gibt? -Bscht ! !-

Der Herr Lehrer meint:
«Was kümmert dich das Wesen Gottes,
sieh dir eins seiner Blumenbeete an,
das genügt.»

«Ich will ja brav sein, Herr Lehrer!»

«Außerdem ist es dir gesund,
du lebst und webst im Freien,
da gibt's keines Gedankens Blässe!
Du bist unter Bienen und Schmetterlingen
eine kleine ameisige Emse.»

«Herr Lehrer, darf ich daneben
auch etwas Mu-Mu-Musik machen??»

«Vielseitige Künste?
Ja! sollste, darfste!
Vielseitige Künste sind gut,
wenn se nur nicht
zu's Jesamtkunstwerke führen.»


Paul Klee - Begrüssung


1908

Handlung sei außerordentlich
und nicht Regel.

Handlung ist aoristisch,
muß sich abheben
von Zuständlichem.

Will ich hell handeln,
so muß der Zustand
dunkel zu Grund liegen.

Will ich tief handeln,
setzt das helle Zustände voraus.

Die Wirkung der Handlung
erhöht sich bei starker Intensität
und kleiner Ausdehnung,
aber auf geringer zuständlicher Intensität
und großer zuständlicher Ausdehnung.

Niemals die hauptsächliche Ausdehnung
des Zuständlichen aufgeben!

Auf mitteltoniger Zuständlichkeit
aber ist doppelte Handlung möglich,
nach hell und nach tief hin gesichtete.


1908

Es gibt Tage
wie eine blutdampfende Schlacht.
Nun tiefe Nacht,
nur nicht für mich,
für die andern,
für die Stumpfen,
die die Schlacht nicht spüren.
Die machen Musik,
leichte, gemeine Lieder.
Dann legen sie sich hin.

Ich finde den Schlaf nicht.
In mir glüht es noch,
in mir brennt es noch da und dort.
Kühlung suchend am Fenster
seh' ich außen alles erloschen.
Nur ganz fern
brennt noch ein kleines Fenster.
Da sitzt wohl ein Zweiter?
Irgendwo muß ich doch
nicht ganz allein sein!
Da tönt noch ein altes Klavier herüber,
das Stöhnen
des anderen Verwundeten.


1908

Reduktion!
Man will mehr sagen
als die Natur
und macht
den unmöglichen Fehler,
es mit mehr Mitteln
sagen zu wollen als sie,
anstatt mit weniger Mitteln.

Das Licht
und die rationellen Formen
liegen im Kampf,
das Licht bringt sie in Bewegung,
biegt gerade,
ovalisiert parallele,
dreht Kreise in die Zwischenräume,
macht den Zwischenraum aktiv.

Daher die unerschöpfliche
Mannigfaltigkeit.


1908

Herr Waldemar,
als sich die Aasfliege
auf seine Hand setzte:

«Bitte noch zweimal
um etwas Geduld!»


1908

Zauber

Fernab vor dir
dicht davor ein Weg steigt
verzweigt,
kein Weg neigt,
ein Weg neigt jach erloschen,
sachte wach:
durch Nacht und Sonne.

O keiner Seele du Wonne,
o du Krakeele der Menge,
du Mißgeklänge
durch Fragengedränge.

Schau scheel
wer da zwänge sich durch?
«wer da kam durch das Tor»,
grad davor das Tor:
vor dem Gradaus.

Und links kein Steg
und rechts ein Geheg:
zarter Blumen.

Was tun?
Da kommt keiner,
der dicke Gott,
der gute Gärtner
- gutgartneu -
will daß da kommt:
Keiner durch.

Doch da kommt so einer,
doch so einer!

Man hört lachen:
laß dir raten,
Mann der Taten,
Mann von was für Sachen!

Nichts errät er,
durch geht er,
tritt drei Veilchen
und ist in zwei Weilchen:
drüben gemach.

Die Kaffern gaffern,
gaffern ihm nach:
Ihm nach: dem Wicht.

Was Licht jetzunder,
was Wunder!
Was für Fêten,
was Nuditäten,
Freunde mit Bechern,
Damen mit Fächern,
und dieser Fant
tut so bekannt.

Den Kaffern wird's hell,
zur Stell
wollen fahren auch sie:
ins gelobte Land.

Schockschwere Not
durch Gauklerhand:
nun hat das Tor eine Mauer,
die scheidet den Schimmer vom Schauer.
Flammenbehaart
steht Bart an Bart,
eine Tigerkette.

Dämmerung liegt auf der Lauer.

Die Klänge verhallen,
nur sacht
durch die Nacht
dringt Knurren der Biester.

Bis die Obskuren
sich sonder Murren,
sich aus dem Staube gemacht.


1908

O Graus
bis in sein hohes Alter
es war ein Mann
trotz Kitzels und wie
der nieste nie.

Bis es zum Schlusse
kam zum Nuß

doch kam zum Nuß -
Kanonenschuß

und mit dem Herrn Verwalter
war's aus.


1909

Ich kenne wohl
die Äolsharfen-artige Weise,
nach innen zu erklingen.

Ich kenne wohl das Ethos,
welches dieser Sphäre eignet.

Ich kenne ebenso gut
die pathetische Gegend der Musik
und denke mir leicht dazu
bildnerische Analoga aus.

Nun tun mir beide
zur gegenwärtigen Zeit
gar nicht not.
Im Gegenteil,
ich sollte so einfach sein,
wie ein kleines Volkslied.
Arglos-sinnlich sollte ich sein,
offenen Auges.

Das Ethos möge in der
Ferne warten.
Es eilt nicht.

Das Pathos möge
überwunden sein.
Wozu drangvoll weg
von einer freudigen Diesseitigkeit??

Das Schwere ist daran nur,
Entwicklungen, die schon vorbei,
nachzuholen,
aber «es muß!»


1909

Öffne Dich, Du Pforte in der Tiefe,
Verlies im Grunde, gib mich frei,
den Belichtung Witternden.
Und helle Hände kommen, die mich greifen,
und Freundes Worte sagen froh:
Her Ihr Bilder schöner wilder Tiere,
entsteiget Eurem Zwinger,
daß lieblich gleiten Finger
durch flammend Fell.
Und eins ist man wie ehedem
in Gottes Garten
Tag und Nacht
und Sonn' und Pracht der Sterne.

- Im Paradies der Dichtung - Zitternden -


1909

Ich soll jetzt
dreißig Jahre alt sein,
das hat mich etwas erschreckt.
«Seid's gewesen,
ihr Träume,
ihr Phantasien.
Jetzt heißt es,
so sein wie man kann.
Realpolitik itzo
und kein geschraubtes
Sich-Hinauflügen mehr!»
Aber der Vagabund
wird ja doch unverbesserlich
ganz sicher sein!


1913

Weh mir
unter dem Druck der wiederkehrenden Stunde,
in der Mitte allein,
in der Tiefe der schleichende Wurm.


Ein Blitz in der Nacht:
der Tag schreit gell im Schlaf auf.
Herr Eckzahn Schneller,
welcher bei Frau Gfeller
ist eingeladen zu einem vollen Teller.


1914

Wäre ich ein Gott, zu dem man betet,
ich käme in die größte Verlegenheit,
von einem Tonfall des Bittenden irgendwo gerührt zu werden.
Sobald das Bessere nur leise anklänge,
würde ich gleich Ja sagen,
«stärkend das Bessere mit einem Tropfen von meinem Tau».
Somit würde von mir ein Teilchen gewährt,
und immer wieder nur ein Teilchen,
denn ich weiß ja sehr wohl,
daß das Gute in erster Linie bestehen muß,
aber doch ohne das Böse nicht leben kann.
Ich würde also in jedem einzelnen
die Gewichtsverhältnisse der beiden Teile ordnen,
bis zu einem gewissen Grad der Erträglichkeit.
Revolution würde ich nicht dulden,
wohl aber zu ihrer Zeit selbst machen.
Daran sehe ich, daß ich noch kein Gott bin.

Ich wäre auch leicht, und mir dessen bewußt, zu überlisten.
Ich wäre rasch im Verleihen eines Ja, einem kurzen
Tone im Gebet gegönnt, welcher rührte.

Gleich darauf wär ich imstande,
sehr inkonsequent zu handeln,
und mich zu verwandeln
in das Ungeheuer Schauer,
welcher liegt auf solcher Lauer,
daß es dann gibt Trauer
in Familien, wo sein Gift
gerade trifft.

Viel historisches Theater wollte ich auch machen,
die Zeiten würden losgebunden von ihrem Alter,
das wäre ein Durcheinander zum Lachen.
Aber mancher wäre entzückt,
- hätt ich zum Beispiel je einen irrenden Ritter
draußen im Busch gefunden,
ich wär beglückt! -.

Ein bißchen narren würd ich die Leutchen auch zuweilen
und gäbe ihnen in der Labung Ätzung,
in der Nahrung Zersetzung -
und Schmerz in der Paarung.
Ich stiftete einen Orden,
im Banner die lustig hüpfende Träne.


Paul Klee - Vögel


1914

Was klammerst Dich so an die Nacht?
«Es dämmert!
Erst wenn es furchtbar hämmert,
erst wenn es reißt,
Du weißt:
Du hast ein Herz.
Dann stirbt dem Drang sein Verlangen nach fort,
es war zwar nicht Phrase,
doch platzte die Blase.»

- Der Antwortende stirbt. -


1914

Ich bin gewappnet,
ich bin nicht hier,
ich bin in der Tiefe,
bin fern ....
ich bin so fern ....
Ich glühe bei den Toten.


Die Schöpfung
lebt als Genesis
unter der sichtbaren Oberfläche
des Werkes.

Nach rückwärts
sehen das alle Geistigen,

nach vorwärts
- in die Zukunft -
nur die Schöpferischen.


Den Chorus mysticus erfinden,
der von einigen
hundert Kinderstimmen
vorgetragen werden müßte.

Wer das könnte,
der brauchte sich nicht strebend mühen.

Die vielen Werkchen führen letzten Endes dahin.


Elend.
Land ohne Band,
neues Land,
ohne Hauch
der Erinnerung,
mit dem Rauch
von fremdem Herd.
Zügellos!
wo mich trug
keiner Mutter Schoß.


1914

Die großen Tiere trauern am Tisch
und sind nicht satt.
Aber die kleinlistigen Fliegen
klettern auf Brotbergen
und wohnen in Butterstadt.


Nur eines allein ist wahr:
im Ich ein Gewicht, ein kleiner Stein.


Ein Auge, welches sieht,
das andere, welches fühlt.


Menschentier,
Uhr aus Blut.


Der Mond
im Bahnhof: eine von den vielen Lampen
im Wald: ein Tropfen im Bart
am Berg: daß er nicht rollt!
daß ihn der Kaktus nicht spießt!
daß Ihr die Blase nicht zerniest!


1914

Großpapa fährt Karussell auf der Pfeffermühle.
Ein Dieb? Schnell das Gebiß für den Hund!

Sie wünschen?
Eine Glaskugel!
Wie groß?
Vielleicht in Vollmondgröße!
- Gegenseitiges verstehendes Lächeln. -

Nicht jeder soll erraten dies hier,
denn wehe mir,
sonst wär ich ganz verraten.


1914

Die Genesis als formale Bewegung ist das Wesentliche am Werk.
Im Anfang das Motiv, Einschaltung der Energie, Sperma.
Werke als Formbildung im materiellen Sinne: urweiblich.
Werke als formbestimmendes Sperma: urmännlich.
Meine Zeichnung gehört ins männliche Gebiet.


1914

Formbildung
ist energisch abgeschwächt
gegenüber Formbestimmung.

Letzte Folge beider Arten von Formung
ist die Form.

Von den Wegen zum Ziel.

Von der Handlung zum Perfektum.

Vom eigentlich Lebendigen
zum Zuständlichen.

Im Anfang
die männliche Spezialität
des energischen Anstoßes.

Dann das fleischliche Wachsen des Eies.

Oder:
zuerst der leuchtende Blitz,
dann die regnende Wolke.

Wo ist der Geist am reinsten?
Im Anfang.

Hie Werk, das wird
- zweiteilig -.
Hie Werk, das ist.


1914

Meine kristallklare Seele
war je da und dort hauchgetrübt,
meine Türme manchmal bewölkt.

Pein setzt sich zur Liebe,
und ohne Sehnsüchte
kann ich nicht lang noch kurz leben.


1914

Traum

Ich finde mein Haus: leer,
ausgetrunken den Wein,
abgegraben den Strom,
entwendet mein Nacktes, -
gelöscht die Grabschrift.
Weiß in weiß.


1914

Töne aus der Ferne.
Ein Freund früh am Morgen
hinter dem Berg,
Hörnerklang,
Smaragden.

Es ruft mich Gedankengruß,
Kuß sich ahnender Seelen verheißend.

Es verband uns ein Stern,
sein Auge fand uns:
Zwei Ich als Gehalt,
mehr denn als Gefäß.

Heilige Steine gestern,
heute rätsellos,
heute Sinn!:

«Ein Freund früh am Morgen
hinter dem Berg.»


1914

Eine Art von Stille leuchtet zum Grund
Von Ungefähr
scheint da ein Etwas,
nicht von hier,
nicht von mir,
sondern Gottes.

Gottes!
Wenn auch nur Widerhall,
nur Gottes Spiegel,
so doch Gottes Nähe.

Tropfen von Tief,
Licht an sich.
Wer je schlief und der Atem stand:
der ...
Das Ende heim zum Anfang fand.


1917

Weil ich kam, erschlossen sich Blüten,
Die Fülle ist ringsum, weil ich bin.
Zum Herzen zaubert meinem Ohr
Nachtigallsang.
Vater bin ich allem,
Allen auf Sternen,
und in letzten Fernen.
Und
weil ich ging, ward es Abend
Und Wolkenkleider
hüllten ums Licht.
weil ich ging,
Schattete das Nicht
über allem.
O
Du Stachel
in silbern schwellender Frucht!


1938

Allerhand und bein
Allerhand und fuß

W__INTERESSE__N
Bettelarm und reich

Eine Amme eingeschoben zwischen
KA_und_EL
Wobei das eine M dann
ruhig wegbleiben kann.


Weitere Gedichte und Fragmente
in chronolgischer Folge

 

Paul Klee - Der Goldfisch

 

1895

In später Stunde sitze ich
hier in dem kahlen Zimmer
den ganzen Tag dacht' ich an Dich,
ich seh Dein Bild noch immer.

Ich seh' die Locken herunter wallen,
ich seh' das blasse Rot der Wangen,
Du bist das schönste Mädchen von allen.
Warum doch staun' ich so mit Bangen?

Beim Spiele hab' ich Dich heut' gesehn.
Wir haben gesprochen von vielen Dingen,
beinahe könnt' ich nicht widerstehn,
das Gespräch bis auf die Liebe zu bringen.

Wir sahen uns innig an als wir schieden,
und drückten uns warm die Hand,
doch mein stürmischer Geist war nicht zufrieden
und in mir tobte ein feuriger Brand.


1898

Ich bin der Hanswurscht ...
dursch ...
o weh ...
bis zur Zeh.


1898

Bello: du, woll'n mer die dort anbellen?
Ami: Laß gut sein,
____sind auch von Gott erschaffen!


1900

Liebestod im Lenz

Elisabeth: Suche nicht nach meinem Auge,
ich will es nicht haben.
Denn wie sollt' ich wissen,
was du denkst dabei?
Tadle mich nicht
und noch weniger finde mich schön.
Ich tu was sie gut nennen
und ich will lassen, wovor meine Seele erschrickt.
Mein Weg ist aber umschleiert.
Jag mein Schritt
und niemand kann mir helfen,
auch Du nicht.
Schon wieder seh ich Deine Augen fragen
und die meinen muß ich niederschlagen.
Wüßtest Du die Qual meiner Seele,
Dich triebe fern, was ich verhehle.
Flieh hin! Laß mich! Denk nicht an mich!
Vergiß, was ich zu Dir sprach! Weh.

Es ist keine Sonne im Lande meiner Seele.
Nur gen Abend liegt eine leichte Röte über den Bergen
und die Nacht ist im Anzug.
Ich hoffte einst auf wonnevolle Tage
und fühlte, mir wäre ein Anrecht darauf gegeben;
aber das war ein Traum des schlummernden Kindes
und erwachend geriet ich ins Dickicht und in die Dornen.

Ich glaubte recht zu tun und hörte sie tuscheln.
So handelte ich in Furcht,
und fand kein Entrinnen aus der Enge.
Mein Gott! Was sollen die langen Jungen
und was wollen die scheelen Blicke nebenaus?
Warum Worte über böse
Tage zu Fall bringen, warum?

Seither ist mein Mut dahin.
Ich fliehe das Neue
und will Vergangenes vergessen.
Ein Schemen bin ich
und könnte ohne Nahrung sein.
Und ach! Wie leise schlägt mein Herz.
Denn der Wellenschlag meiner Liebe
ist nur mehr murmelndes Brunnenrauschen
und mein Leben bald ein neues
und tiefer Schlaf.
Erst abends,
wenn die Nacht will anbrechen,
fahre ich hinaus im Kahn.
Und fernab von den lustigen Schauklern,
wo niemand mich sieht,
da weine ich lang und bitterlich.


1900

Drei Knaben

Einmal fand ich ein eigen blau Blümelein und dachte:
Wenn Du's dem Elselein schenktest?
Dann aber mußte ich lachen über die Torheit,
sah nach den Leimruten am Baum
und nach den Fischen im Bach.

Einen Kranz will ich legen auf ihr Haar.
Eine Krone war' mir wohl lieber.
Selig aber ein Kuß ihres Mundes.

Was wäre süßer, Deine Seele oder Dein Leib?
Was wäre herber als einsame Nächte?
Denn Du bist das Paradies auf Erden.


1912

Am Fenster

stürz ich hinaus?
wünsch ich verschwiegen
im Winkel?


1912

Weh mir unter dem Sturmwind
ewig fliehender Zeit

Weh mir in der Verlassenheit
ringsum in der Mitte allein

Weh mir tief unten
auf dem vereisten Grunde Wahn.


1923

Wir stehn aufrecht und in der Erde verwurzelt
Ströme bewegen leicht uns hin und her
frei ist nur die Sehnsucht dahin
zu den Monden und Sonnen.


1923

Was scherimi ummi
I bi so guet wini
Der Kerli der i bi
kani nolang werde.


1926

Gorilliath
Der Graf Gleichen als Begoniablüte

zeitgrämlich
Bluthörner

Feuertuben
Schleckschlucker


1926

Gengsöfel - Gen gsö-fel
Gemästete Stunden
flugs - abseits - stracks
zu guter letzt - längelang
länglings - rücklings


1926

der Hund Rauhhauch
ein Stollen stand ganz still im Stall
quillet Qual

O Schatz aus Oschatz,
noch ein Wort, wenn du schnaufst,
zischt's durch die Luft.

Geburt ist Sprengung der Grenzen -
unverbrüchlich.


1926

Productiv:__ich schieße den Pfeil ab -
__________seine Bahn
__________ich───► dich.

receptiv:___ich werde vom Pfeil
__________getroffen
__________durch dich───► ich.

Das productive Ich richtet sich accusativisch -
Das receptive Ich richtet sich ablativisch,
dazwischen steht die Sache: der Pfeil -
mit seiner eindeutigen Bewegung.


1926

Constructiv___________Restructiv

Aufbau von innen______Abbau von außen
Haus________________Ruine

körperlich activ________räumlich activ
räumlich passiv________körperlich passiv

Ich versuche andere
auf meine Entwicklungsbewegung
einzustellen,
bis sie selber einmal
die Stimme des Drachen
im fest verschlossenen Würfel
hören werden.


1926

Synthese:_ der Knoten
Analyse:__ seine Fäden

Der gordische Knoten
ist das Symbol
einer überkomplizierten Synthese -
Überkultur

Seine Faktoren
sind nicht mehr erkennbar.
Der homo novus
räumt damit destructiv auf
und beginnt von vorn.


1926

Kopf mit überbrückten Augen
Kopf mit berittener Nase
abgekehlt.

D i c h t e r i s c h
Götter sind auf die Erde gekommen.


1927

Jetzt fahret wohl ihr Sorgen,
was das Auge freut, lebe,
das andere ist dumm,
dideldumm, dideldumm, dideldumm,
wie die Auster.


1930

Ruhe in Großem
und im Kleinen

Ruhe in der großen Form
Beweglichkeit im Kleinen

Bewegliche große
und kleine Form

Bewegliche große
ruhige kleine Form,
das heißt «Anstrich»


1933

Die Kälte tat gestern noch groß und sicher,
heute hat sie einen leichten Schrecks,
bald wird sie wieder steigen oder fallen,
im letzten Falle gibt es Drecks ...
statt Eis.


1933

hinkt Europa?
oder hinke ich?

Du sollst minus ein Zoll -
Traum worte.

denn die Zeit frißt alls
bis auf ein wenig Herzeleid.


1933

Stationen:

Herstde___- weeßtde
hastde____- hastde Worte
meenstde.

Essen_____- Baden
Singen____- Schmeicheln


1933

Philologische Variation als Gleichnis
zum künstlerischen Gleichnis
der Beziehung Kunst_- Natur.
Die «Kette kürzen»__- Natur.

Elastische Variation___ Kurze Kette
___________________Kutte Kerze
___________________Kerze Kutte
___________________Kertte Kutze
___________________Kutze Kerte

Und zum Schluß
glaubt in Kürze Kette eine besonders
drollige Variante zur Natur gefunden zu haben,
ehe Frau – merkt,
daß man es ja mit dem Urbild zu tun hat.
Das heißt, die «Natur» ist nur ein Fall
unter den Fällen.


1933

Warum machst du das, Bimbo,
grad an der Tür?

«Das der wißt, was da ist!»

Ein Fogel feift ein lid auf sein
Schnabel, hohe Döne.


1933

Schneeflocken __________ - Flohschnecken
zur Nacht kann zünden ____- zündende Nacht
Bose Heiten _____________- artige Keiten

__________Gesichtig
Das brüllende Schweigen - kommt vor.


1933

Begegnung

Nonne:_____vor der Begegnung
___________mit Ninne für sich:
___________pfui Spinne - die Ninne

Ninne:_____ bei der Begegnung für sich:
__________ pfui Sponne - die Nonne


1933

Herr Abel und Verwandte

A -bel _____O -bel
Be - bel____Pe - bel
Ce - bel____Ku - bel
De - bel____Er - bel
E -bel_____ Es - bel
Ge - bel____Te - bel
Ha - bel____ U -bel
I -bel______ Vau-bel
Ka -bel____  We - bel
El -bel_____  Ix -bel
Em - bel____ Zet – bel
En -bel


1933

Elephantastisch
Mammutig
Marabuiistisch
Giganthologie
Kentauerochs
Herculinarisch


1933

Thematische Ableitungen

Becker______Jung
Bäcker______Jung
Junger______ Beck
Bunger______Jeck
Jecker_______Bung
Benger______Juck
Jenger______ Buck
Bucker______Jeng
Jucker______ Beng
Jenker______ Bug
Bencker_____Jug
Bunker_____ Jeg
Juncke______Beg
Juger_______Benck
Buger______ Jenck
Beger______ Junck
_______+
Zink_______Salbe
Zank______ Silbe
Salb_______Zinke
Silb_______ Zanke


1933

A K U A K E N
a Kuh Ketten

A B U A M A N Z I A G L
a Bubenanzügel

A N F O N
an Faden

A B A G L M E I D E
a Packel Maitee


1935

Albumblatt

Jatzt ist der Winter
drüber weggeschritten

Das war einmal
ein Gemüsegarten

dann ist es doch gesagt.


1935

Kennst du das Land,
wo die Cit-Rosen blühen?


1938

Anfang eines Gedichtes:
so fang es heimlich an


1938

«harpia harpiana»
für Tenor und Sopranbimbo (unisono) in Ges
Andantino
o harpia! o harpia, o harpia o harpiana.


1939

Schlußbild
des neuen Schäferspieles

P i p
und Papilla und Ähnliche.


1939

Ewigkeit für kleine Leute

die Ewigkeit kommt mit der Zeit,
laß sie tanzen,
sind kleine Leute,
nicht Leutchen.


1939

beim blauen Busch

stelzich ein
bleib talein