Karl Kraus

Karl Kraus (* 28. April 1874 in Jičín, Böhmen; † 12. Juni 1936 in Wien) war einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller des beginnenden 20. Jahrhunderts. Er war Publizist, Satiriker, Lyriker, Aphoristiker, Dramatiker, Förderer junger Autoren, Sprach- und Kulturkritiker sowie vor allem ein scharfer Kritiker der Presse und des Hetzjournalismus oder, wie er selbst es ausdrückte, der Journaille.

 

 

Karl Kraus Funde

 

Karl Kraus - Gedichte

 

Leben

Karl Kraus wurde am 28. April 1874 als Sohn des jüdischen Papierfabrikanten und wohlhabenden Kaufmanns Jakob Kraus und seiner Frau Ernestine (geborene Kantor) geboren. Im Jahr 1877 zog die Familie nach Wien. Seine Mutter starb im Jahr 1891.

1892 begann Kraus ein Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Wien. Seit November 1891 sandte er Artikel an die Monatsblätter der Breslauer Dichterschule unter der Redaktion von Paul Barsch. Im April 1892 erschien eine Rezension von Gerhart Hauptmanns Drama Die Weber als sein erster journalistischer Beitrag in der Wiener Literaturzeitung. Seinen Versuchen in dieser Zeit, in einem Vorstadttheater aufzutreten, war kein Erfolg beschieden. Auch eine mit Anton Lindner geplante Satirezeitschrift ist nie erschienen, obwohl bereits Beiträge vorlagen, beispielsweise von Frank Wedekind. Bald darauf wechselte er das Fach und studierte bis 1896 Philosophie und Germanistik, ohne jedoch das Studium abzuschließen. Aus dieser Zeit rührte seine Freundschaft mit Peter Altenberg her.

Im Jahr 1897 gelang Kraus mit der Veröffentlichung der Satire Die demolirte Litteratur der erste große Publikumserfolg; symptomatisch war bereits zu diesem Zeitpunkt, dass Kraus sich die bittere Feindschaft der durch ihn bloßgestellten Literaten zuzog. Kraus wurde im selben Jahr Wiener Korrespondent der Breslauer Zeitung.

Im Jahr 1898 begann Kraus, der bereits an der Gründung der Zeitschrift Die Waage mitgewirkt hatte, die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift zu erwägen. Diese Zeitschrift – Die Fackel – erschien erstmals im April 1899. 1901 fand der erste von vielen Prozessen statt, die von Personen eingeleitet wurden, die sich durch Korruptionsvorwürfe der Fackel angegriffen fühlten: hier der Theaterkritiker und Bühnenautor Hermann Bahr und der Intendant Emmerich Bukovics. Im selben Jahr musste Kraus nach einer monatelangen Reise feststellen, dass sein Verlag Moriz Frisch sich der Fackel bemächtigt hatte, indem er das Titelblatt der Zeitschrift unter dem eigenen Namen als Marke hatte eintragen lassen und eine Zeitschrift namens Neue Fackel herausgab. Ein Prozess konnte dieses Treiben unterbinden. Die Fackel erschien allerdings von da an ohne Titelbild, und Kraus wechselte zur Druckerei Jahoda & Siegel.

1899 trat Kraus aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft aus. 1911 ließ er sich am 8. April in der Wiener Karlskirche römisch-katholisch taufen. Sein Taufpate war Adolf Loos. 1923 trat Kraus aus der katholischen Kirche wieder aus.

Im Jahr 1902 verfasste Kraus mit dem Aufsatz Sittlichkeit und Kriminalität seinen ersten Beitrag darüber, was eines der großen Themen seines Wirkens werden sollte: die zum Schutz der Sittlichkeit vermeintlich gebotene Verteidigung der Sexualmoral mit justiziellen Mitteln („Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende macht.“). Von 1906 an veröffentlichte Kraus in der Fackel Aphorismen, die später in den Büchern Sprüche und Widersprüche (erste Ausgabe 1909, weitere Ausgaben bis 1924), Pro domo et mundo (1919) und Nachts (1924) zusammengefasst wurden. 1910 hielt Kraus die erste seiner bis 1936 siebenhundert öffentlichen Lesungen ab. Im selben Jahr erschien die Schrift Heine und die Folgen.

Die erste aufsehenerregende „Erledigung“ durch Kraus erfolgte im Jahr 1907, als er seinen früheren Gönner Maximilian Harden aus Anlass von dessen Rolle im Eulenburg-Prozess angriff.

1913 lernte Kraus die böhmische Baronin Sidonie Nádherny von Borutin kennen, mit der ihn bis zu seinem Tod eine konfliktreiche, aber lange und intensive Beziehung verband. Auf Schloss Janowitz, dem Familienbesitz der Nádhernys, entstanden zahlreiche Werke. Sidonie Nádherny wurde zur wichtigen Korrespondenzpartnerin, „kreativen Zuhörerin“ und Adressatin von Büchern und Gedichten.

Nach einem Nachruf auf Franz Ferdinand, den beim Attentat von Sarajevo ermordeten Thronfolger, im Sommer 1914 erschien die Fackel viele Monate lang nicht, und meldete sich erst im Dezember 1914 mit dem Aufsatz In dieser großen Zeit erneut zu Wort: „In dieser großen Zeit, die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wieder klein werden wird, wenn ihr dazu noch Zeit bleibt; […] in dieser lauten Zeit, die da dröhnt von der schauerlichen Symphonie der Taten, die Berichte hervorbringen, und der Berichte, welche Taten verschulden: in dieser da mögen Sie von mir kein eigenes Wort erwarten.“ In der Folgezeit schrieb Kraus gegen den Krieg, mehrere Ausgaben der Fackel wurden beschlagnahmt, andere Ausgaben von der Zensur behindert.

Im Jahr 1915 begann er mit der Arbeit an dem Theaterstück Die letzten Tage der Menschheit, von dem Teile vorab in der Fackel abgedruckt wurden und das 1919 in Form von Sonderheften der Fackel erschien. Bereits 1918 war der Epilog dazu unter dem Titel Die letzte Nacht als Sonderheft veröffentlicht worden. Ebenfalls im Jahr 1919 gab Kraus seine gesammelten Kriegsaufsätze unter dem Titel Weltgericht heraus.

1921 veröffentlichte Kraus als Replik zu einem von Franz Werfel unter dem Titel Spiegelmensch veröffentlichten Angriff auf ihn das satirische Drama Literatur oder Man wird doch da sehn.

Im Januar 1924 begann die Auseinandersetzung mit dem erpresserischen Verleger des Boulevardblatts Die Stunde, Imre Békessy. Békessy antwortete mit Rufmordkampagnen gegen Kraus, der im Jahr darauf unter dem Schlachtruf „Hinaus aus Wien mit dem Schuft!“ zu einer „Erledigung“ ausholte und 1926 erreichte, dass Békessy sich seiner Verhaftung durch Flucht aus Wien entziehen musste. 1927 forderte Kraus Johann Schober, den für die blutige Niederschlagung der „Julirevolte“ mitverantwortlichen Wiener Polizeipräsidenten, auf Plakaten erfolglos zum Rücktritt auf. Im Stück Die Unüberwindlichen, das 1928 erschien, verarbeitete Kraus diese beiden Auseinandersetzungen. Im selben Jahr veröffentlichte er die Akten des Prozesses, den Alfred Kerr gegen Kraus angestrengt hatte, da Kraus ihm in der Fackel dessen frühere chauvinistische Kriegsgedichte vorgehalten hatte.

Ab 1930 las Kraus im Rundfunk, zuerst in Berlin, dann in Wien und machte Aufnahmen für die Schallplatte. 1931 führte die Staatsoper Unter den Linden seine Bearbeitung von Offenbachs Operette La Périchole auf.

In das Jahr 1932 fiel Kraus' Neuübersetzung der Shakespeareschen Sonette. 1933 erschien nach der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers monatelang keine Ausgabe der Fackel. Kraus arbeitete an einem monumentalen Text, der die Machtübernahme und die ersten Monate der nationalsozialistischen Herrschaft bewältigen sollte, verzichtete jedoch schließlich auf dessen Veröffentlichung. Das Werk erschien erst 1952 posthum unter dem Titel Dritte Walpurgisnacht. In der Oktoberausgabe 1933 (der einzigen Ausgabe der Fackel in diesem Jahr) veröffentlichte Kraus statt dessen das Gedicht Man frage nicht, das mit der Zeile endet: Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte.

1934 rechtfertigte er in einem Aufsatz Warum die Fackel nicht erscheint den erwähnten Verzicht auf eine Veröffentlichung der dritten Walpurgisnacht, aus der er jedoch lange Passagen zitierte. Mit seiner Unterstützung für den diktatorisch regierenden Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, von dem sich Kraus erhoffte, er würde das Übergreifen des Nationalsozialismus auf Österreich verhindern, entfremdete sich Kraus von Teilen seiner Anhängerschaft.

Im Februar 1936 wurde Kraus nach Erscheinen der Fackel-Ausgabe Nr. 922 in der Dunkelheit von einem Radfahrer niedergestoßen. Die Folgen waren immer stärkere Kopfschmerzen und Gedächtnisschwund. Am 2. April 1936 hielt er seine letzte Vorlesung. Nach einem schweren Herzinfarkt im Café Imperial am 10. Juni starb Kraus am 12. Juni 1936 in seiner Wohnung in der Lothringerstraße 6 an Herz- und Gehirnschlag.

Person
 

Karl Kraus hat zeitlebens polarisiert. Dem entsprach seine Erscheinung: sein Bewusstsein der eigenen Bedeutung war immens und dieser Polarisierung zweifellos förderlich. Dieses Selbstbild entbehrte nicht jeder Grundlage: die Hörer seiner Lesungen waren von der Persönlichkeit des Vortragenden fasziniert. Seine Anhänger sahen ihn als unfehlbare Autorität an, die allen, die er förderte, jede Unterstützung zukommen ließ, um sie ins rechte Licht zu rücken. Elias Canetti hörte von Kraus erstmals über Bekannte, die ihn wie folgt schilderten:

„Das sei der strengste und größte Mann, der heute in Wien lebe. Vor seinen Augen finde niemand Gnade. In seinen Vorlesungen greife er alles an, was schlecht und verdorben sei. […] Jedes Wort, jede Silbe in der Fackel sei von ihm selbst. Darin gehe es zu wie vor Gericht. Er selber klage an und er selber richte. Verteidiger gäbe es keinen, das sei überflüssig, er sei so gerecht, dass niemand angeklagt werde, der es nicht verdiene. Er irre sich nie, könne sich gar nicht irren. […] Wenn er daraus [aus den Letzten Tagen der Menschheit] vorlese, sei man wie erschlagen. Da rühre sich nichts im Saal, man getraue sich kaum zu atmen. […] Wer ihn gehört habe, der wolle nie mehr ins Theater gehen, das Theater sei langweilig verglichen mit ihm, er allein sei ein ganzes Theater, aber besser, und dieses Weltwunder, dieses Ungeheuer, dieses Genie trug den höchst gewöhnlichen Namen Karl Kraus.“

Elias Canetti: Die Fackel im Ohr, Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1982, S. 66 f.

Für seine zahlreichen Gegner, die er sich durch die Unbedingtheit und Leidenschaft seiner Parteinahme schuf, war er hingegen ein verbitterter Misanthrop und ein „armer Möchtegern“ (Alfred Kerr), der sich in hasserfüllten Verurteilungen und Erledigungen erging.

„Hinter Karl Kraus steht keine Religion, kein System, keine Partei, hinter Karl Kraus steht immer wieder immer nur Karl Kraus. Er ist ein in sich geschlossenes System, er ist eine Ein-Mann-Kirche, ist selbst Gott und Papst und Evangelist und Gemeinde dieses Bekenntnisses. Er spricht in eigenem Namen, in eigenem Auftrag und ohne Rücksicht auf Resonanz. Er haßt das Publikum seiner Leseabende und haßt die Leser seiner Zeitschrift, er verbittet sich jede Zustimmung… und hier setzt schon der erste unauflösliche Widerspruch ein; denn zugleich hängt er am Beifall des Auditoriums, für den er danken kommt und den er voll Stolz registriert, zugleich druckt er ausführlich zustimmende Referate der Zeitungen ab… Will man nach seiner seelischen Disposition fragen, wird man mit den naheliegenden Oberflächenkategorien ‚Eitelkeit‘ oder ‚Größenwahn‘ nicht viel anfangen können… Ich glaube, daß zwei Erkenntnisse am ehesten den Weg zum Verständnis der Einzigartigkeit des Phänomens Karl Kraus eröffnen und daß sie, aufeinander bezogen, seine Entwicklung und seine Besonderheit erklären… Karl Kraus… hat als junger Mann von fünfundzwanzig Jahren verwirklicht, wovon jeder kluge, selbständige Unzufriedene jeder Zeit träumt: er hat sich ein Forum geschaffen, um ohne Rücksichten und Hemmungen, jenseits aller Cliquen und Bindungen in absoluter Freiheit seine Meinung zu äußern, zu kritisieren, anzuklagen, zu kämpfen… Er hat von seinem fünfundzwanzigsten Jahr bis zu seinem Tod nur getan, was er wollte. Und er hat, zweitens, ein einziges, das er wollte, und das, wie ich glaube, seine restlose und letzte Erfüllung gewesen wäre, nicht zu tun vermocht und war darum verurteilt, es sein Leben lang auf Umwegen zu umkreisen und nur indirekt, behelfsmäßig zu verwirklichen. Er war im Grund seines Herzens Schauspieler, besser Theatermensch; und er konnte nicht zum Theater. So… mußte ihm, was vielleicht nur Nebenbei gewesen wäre, zur Hauptsache, und, wo immer denkbar, dem Theater angenähert werden: ‚Wenn ich vortrage, so ist es nicht gespielte Literatur. Aber was ich schreibe, ist gedruckte Schauspielkunst.‘ Und: ‚Ich bin vielleicht der erste Fall eines Schreibers, der sein Schreiben zugleich schauspielerisch erlebt.‘“

Hans Weigel: Karl Kraus oder die Macht der Ohnmacht, S. 9

Quelle: Wikipedia

ein erhellender Beitrag des Bayrischen Fernsehens zu Karl Kraus

 

Karl Kraus spricht seine Texte (Film von 1934)