- Alle Texte sind orthografisch unverändert übernommen.
Die Anordung der Texte entspricht der Anordnung im vorliegenden Buch -
MEINER SCHWESTER MARIE
Die Nachtigall
Ihr Menschenkinder, seid ihr nicht Laub,
verweht im Wald,
ihr Gebilde aus Staub,
und vergeht so bald!
Und wir sind immer.
Wir verkünden euch den Wechsel im Jahr,
ihr fragt uns um Rat
und wir sagen euch wahr
und wir führen die Tat.
Wir weben und wissen.
Ihr habt das Gesetz, wir haben die Welt
und uns ist erlaubt,
was uns gefällt.
O kommt und glaubt!
Wir lieben Verliebte.
Zuerst war Eros im goldenen Licht
und wir wurden im Hag
als sein Hochgedicht
am strahlenden Tag
von ihm erschaffen.
Wir Vögel, vor den Göttern erwacht,
der Tiefe entstammt,
wir Enkel der Nacht,
vom Tag überflammt,
wir sind die Liebe!
*
Imago
Bevor wir beide waren,
da haben wir uns gekannt,
es war in jenem Land,
dann schwand ich mit dem Wind.
Dann flog ich mit der Zeit
und keinem ließ ich Ruh
und blickte stets dir zu
und immer war ich fort.
Und immer war ich da,
ich schenkte, was du schenkst,
du denkst, weil du mich denkst,
ich gab mich überall.
Du nimmst mich überall,
ich bin im Lebensqualme,
ich sprieße aus dem Halme,
die Welt hat meinen Blick.
In einen Hund verliebt,
in jede Form vergafft,
mit jeder Leidenschaft
ist mir dein Herz verbunden.
Vor jeder Melodie,
die dir ein Bettler spielt,
stehst du tief eingewühlt
und nennest meinen Namen.
Ich schwand und schwand dahin
im süßen Michverschwenden,
um nimmermehr zu enden
in deinem Dank dafür.
Und reiner taucht mein Bild
aus jeglicher Verschlingung,
wie du aus der Durchdringung
der Erde steigst empor.
*
Nächtliche Stunde
Nächtliche Stunde, die mir vergeht,
da ich's ersinne, bedenke und wende,
und diese Nacht geht schon zu Ende.
Draußen ein Vogel sagt: es ist Tag.
Nächtliche Stunde, die mir vergeht,
da ich's ersinne, bedenke und wende,
und dieser Winter geht schon zu Ende.
Draußen ein Vogel sagt: es ist Frühling.
Nächtliche Stunde, die mir vergeht,
da ich's ersinne, bedenke und wende,
und dieses Leben geht schon zu Ende.
Draußen ein Vogel sagt: es ist Tod.
*
Der Grund
Warum mich das Leben nicht freut,
wenngleich ich es nie genossen?
Würgende Stimmen der Zeit
wohnen in mir verschlossen.
Warum ich vom Leben nicht lasse,
wenngleich es mich nie gefreut?
Wurzelnd dort wo ich hasse
wachse ich über die Zeit.
*
In diesem Land
In diesem Land wird niemand lächerlich,
als der die Wahrheit sagte. Völlig wehrlos
zieht er den grinsend flachen Hohn auf sich.
Nichts macht in diesem Lande ehrlos.
In diesem Land münzt jede Schlechtigkeit,
die anderswo der Haft verfallen wäre,
das purste Gold und wirkt ein Würdenkleid
und scheffelt immer neue Ehre.
In diesem Land gehst du durch ein Spalier
von Beutelschneidern, die dich tief verachten
und mindestens nach deinem Beutel dir,
wenn nicht nach deinem Gruße trachten.
In diesem Land schließt du dich doch nicht aus,
fliehst du gleich ängstlich die verseuchten Räume.
Es kommt die Pest dir auch per Post ins Haus
und sie erwürgt dir deine Träume.
In diesem Land triffst du in leere Luft,
willst treffen du die ausgefeimte Bande,
und es begrinst gemütlich jeder Schuft
als Landsmann dich in diesem Lande.
*
An den Bürger
Daß im Dunkel die dort leben,
so du selbst nur Sonne hast;
daß für dich sie Lasten heben,
neben ihrer eignen Last;
daß du frei durch ihre Ketten,
Tag erlangst durch ihre Nacht:
was wird von der Schuld dich retten,
daß du daran nie gedacht!
*
Inschriften
Naturgewalt
Ihr klammert euch an den Besitz.
Das hat was, sagt ihr, von Naturgewalten.
Versteht sich, nur der Trieb, ihn zu erhalten;
und dementsprechend würdig zu verwalten.
Das ist der beste Menschheitswitz.
Denn das Verlangen, sich in den Besitz erst zu setzen,
wozu sie jene, die ihn nicht haben, verhetzen,
ist entgegen den göttlichen Gesetzen!
*
Habgier und Habgier
Ja freilich Habgier: Die es nicht haben,
die möchten's darum den anderen nehmen;
die noch nicht gespeist haben, sind noch nicht satt,
noch lebend, lechzen sie, sich zu erlaben.
Doch hätte die Habgier dessen, der hat,
nicht eher sich vor der andern zu schämen?
*
Den Monarchisten
Wollt ihr die altgewohnten Symbole,
mit denen das Volk der Teufel hole?
Sinnliche Zeichen für Begriffe,
womit auf dem letzten Loch es pfiffe?
Hier wäre nichts Neues dazu erworben,
denn auf die Art sind sie schon einmal gestorben.
*
Standpunkt gegenüber der Revolution
Nur nicht vom Kaiser abgewandt!
Seht, Wallensteins Diener wehrt dem Ungestüm.
Der arme Mensch! Er hat im Kärntnerland
ein kleines Gut und sorgt, sie nehmen's ihm.
*
Österreichs Pietät
Die Republik Pensionen bezahlt
Vampiren, Lemuren, Chimären.
Haben wir schon kein Blut mehr, so müssen wir halt
die Blutsauger anders ernähren.
*
Die Kriegsgurgel
Daß nicht drossle die Kehle
der goldene Kragen!
Damit er weiter befehle,
daß Herzen aufhören zu schlagen.
*
Derselbe
Daß die Jugend er in den Tod gesandt,
an ihm niemand räche!
Er sterbe für das Vaterland
an Altersschwäche.
*
Wilhelm
Man tat ihm unrecht, hat zu spät erfahren,
daß er den Krieg gewann.
Er steht in seinen Memoiren
als Mann.
Und der Beweise, daß er nicht geprahlt,
gibts doch genung:
last not least, Amerika hat ihm bezahlt
eine Kriegsentschädigung.
*
Schluß!
Die Schreiber haben den Krieg begonnen
und den Generalen ist er mißlungen.
Aber wenn er auch nicht gewonnen,
so haben sie doch Erinnerungen.
Jetzt scheint denn diesen nichts übrig zu bleiben,
als wie jene zu tun und gleichfalls zu schreiben.
Und erst dann ist vorbei aller Kriegesschrecken,
wenn diese und jene die Feder strecken.
*
Frommer Brauch
Warum macht die Reichspost bereits
zu jeder Reklame ein Kreuz,
tät' mich einer da fragen.
Das war sicher kein Christ,
weil er wahrscheinlich sonst wüßt',
daß sie Vergelt's Gott! will sagen.
*
Im Zeichen des Kreuzes
Dies Gebet soll uns stärken:
Was wir so merken,
es dient frommen Werken,
in diesen Rubriken
läßt man sich entrücken
und uns soll es glücken,
hier ist es nicht weltlich,
sondern entgeltlich
und per Zeile erhältlich,
wir feiern die Messe,
Gott helfe der Presse
im eignen Interesse,
er möge vor Stürmen
die geehrten Firmen
schützen und schirmen
und zu fernem Aufträgen
soll er sie bewegen,
wir machen den Segen
in seinem Zeichen und Namen
auf Textreklamen.
Amen.
*
Christentum
Seelsorger nennen sich die Pfaffen,
denn sie preisen die Presse und segnen die Waffen.
Jubilate!
Und schon dies mag auf Erden zum Trost euch gereichen:
Giftgase tragen das Kreuzeszeichen,
und Textinserate.
* *
*
Das Schandmal
Was bezahlt ist, erkennbar zu machen,
verlangt das Gesetz, das war ja zum Lachen
und ein Richter sagte, sie hätten recht,
weil solches Verlangen übertrieben sei:
denn daß für jede Reklame geblecht
und keine Zeile gratis geschrieben sei,
das, sagte Herr Wessely, wisse in Wien
der gebildete Leser ohnehin.
Die Presse, von diesem Wahrspruch entzückt,
hat weiter genommen und eingerückt.
Irgendwo war irgendein Hinweis versteckt,
welchen Handel das Zeichen des Kreuzes da deckt:
die Butter am Kopf roch bereits etwas ranzig,
von P. G. stand was da und von 26.
Wenn der gebildete Leser im Zweifel wäre,
so gab ihm das Landesgericht noch die Lehre,
sich bei solcher Lektüre nicht zu bequemen,
nein, auch das Gesetzbuch zur Hand zu nehmen.
Denn die Zeitungen seien die höhern Gewalten,
doch die Leser verpflichtet, sich an die Vorschrift zu halten.
Daß die Presse vom Preßgesetz sich losmacht,
kein Wunder: vis major und sechste Großmacht.
So ungefähr reimte sichs Wessely,
der sein Intresse jenem der Presse lieh.
Doch gibts nicht nur Kellner, bitte sehr bitte gleich,
sondern auch Richter in Österreich.
Und von der Justiz nahm die höchste Instanz
die Schande und gab sie der Presse ganz.
Vorbei die Hoffnung, sichs doch noch zu richten,
um nicht auf den Schandlohn ganz zu verzichten.
Gezwungen, von dem Lohn sich zu trennen
oder die Schande ganz zu bekennen,
zieht, wer heutzutage kein Tor,
ohne Federlesen das letztere vor.
Will eine lieber prostituiert sein,
so muß es halt deutlich angeführt sein;
und nicht der Leser muß sich bequemen,
sondern die Zeitung, das Büchl zu nehmen.
Hatte sie ohnedies durch das Kreuz
beim Käufer schon etwas verloren an Reiz,
so trägt sie wie keine andere Dirne
nunmehr das Berufszeichen auf der Stirne.
Die totale Enthüllung verringert den Lohn,
denn man zahlte ja doch für die Illusion,
und den Leser kann sie nun nicht mehr betrügen.
Doch hofft sie noch Kundschaften dranzukriegen,
die da meinen, daß es ein Publikum gibt,
vor dem sie sie um ihrer selbst willen liebt.
Denn gibt es so manches bei dem Leben,
so muß es auch solche Käuze geben.
Diese letzte Hoffnung, es werde ihr glücken,
bewegt sie, das Schandmal sich aufzudrücken
und lieber in Ehren am Striche zu gehn
als ganz ohne Schandlohn dazustehn.
Denn besser ein magerer Gewinn bei dem Handel
als nichts durch soliden Lebenswandel!
Keine Aussicht mehr, die Welt anzuschmieren
mit dem öffentlich Meinen und sich geheim Prostituieren.
Vollzieht sich selbst dieses nun öffentlich,
so macht man die Rechnung kurz durch den Strich.
Ist die Schande auch größer als der Gewinn,
so bleibt doch zuweilen im Strumpf was drin.
»I bin a Hur!«: mit Müllers tragischer Miene
entschloß sich die Presse als Heroine;
und schrieb's an die Spitze der ersten Seite
und bot gleich zum Kauf den Passanten die zweite
und sie, die seit jeher schon immer erhältlich,
bekannte nun deutlich, wo sie entgeltlich.
Das brauchte nicht langes Überlegen,
nicht gerne tut man's, man tut's aber doch,
Und wahrlich, das caudinische Joch
war eine Siegespforte dagegen!
*
Definitionen
Leben ist, wenn es längst schon kein Leben.
Freiheit ist, wenn Gewalt gleich daneben.
Behörde ist, wenn man sichs richtet.
Zeitung ist, wenn es meistens erdichtet.
Gerücht ist, wenn man nicht weiß, wer's erlogen.
Geschäft ist, wenn man gleichfalls betrogen.
Ordnung ist, wenn man die Unordnung duldet.
Ruin ist, wenn er meist selber verschuldet.
Friede ist, wenn man ihn nicht kann erlangen.
Krieg ist, wenn man nicht angefangen.
Mut ist, wenn oberster Kriegsherr befiehlt.
Gut und Blut ist, wenn Vaterland mordet und stiehlt.
Republik ist, wenn halt nicht Monarchie ist.
Monarchist ist, wenn man ein Vieh ist.
Majestät ist, wenn sie geruht hat.
Kritik ist, wenn man auf wen eine Wut hat.
Theater ist, wenn Direktion in Krisen.
Frühling ist, wenn Herbst auf den Wiesen.
Adel ist, wenn es zu nichts verpflichtet.
Andacht ist, wenn man's vor Leuten verrichtet.
Moral ist, wenn grad niemand dabei ist.
Zweifel ist, wenn es ganz einerlei ist.
Glaube ist, wenn man jenseits den Lohn hat.
Ruhm ist, wenn man sonst nichts davon hat.
Flucht ist, wenn Siegfriedstellung bezogen.
Zusammenbruch ist, wenn alles reiflich erwogen,
Abgrund ist, wenn man davor immer stehn tut.
Wunder ist, wenn es trotzdem gehn tut.
Sanierung ist, wenn die Toten gesunden.
Justiz ist, wenn die Augen verbunden.
Inserat ist, wenn es unten ein Kreuz hat.
Gesetz ist, wenn Umgehn seinen Reiz hat.
Abgeordneter ist, wenn man gegen alles immun ist.
Volkszählung ist, wenn nichts Gscheitres zu tun ist.
Tugend ist, wenn es vorbei mit dem Durst ist.
Staat ist, wenn schon eh alles wurst ist.
*
Goetheaffen
Und kann ich die Talente nicht verleihen,
Verborg' ich wenigstens das Kleid.
Nun tragen sie's und werden täglich dreister.
Der legt den abgelegten Schlafrock an,
der hat sich eingespielt in Wilhelm Meister
und spricht mit sich als seinem Eckermann.
Allwärts umblickend, weit und breit gesinnt,
notiert geruhig er, was man so find't,
scheint briefzuwechseln gar mit einem Kind.
Und siehe, im Olympischen nicht faul,
verachtet er wie jener den Jean Paul
und tut sich um und um in Weimars Landschaft,
mit dem Bewußtsein tiefster Wahlverwandtschaft.
Traf ihn so allverklärt und heidnisch-fromm
Poincare, er sprach': voilà un homme!
Stirbt er dereinst, so fehlt das Letzte nicht,
der Zweifel, ob es lautete: Mehr Licht!
Den drängt es faustisch ohne viele Faxen,
denn er ist bei den Müttern aufgewachsen.
Was er nicht fühlt, er wird es sich erjagen
und magisch-kophtisch-orphisch sich ergehn,
im Nachgefühl zum Augenblicke sagen:
Verweile doch, man wird ja doch da sehn!
Der, angefrischt, eratmet im Ergetzen,
der mögte sich in einen Hofkreis setzen,
der fühlt sich wühlend mit dem Tonfall treiben,
der wird im July an Ulriken schreiben
und wenn auch mühsam, wird's ihm doch gelingen,
hiebei kein grades Wort hervorzubringen.
Und er begibt sich schon, des zum Beweise,
aus dem ihm angenehmen Hoheitskreise,
stracks auf die dritte italiänische Reise.
Von dort jedoch, fällt grade ihm nichts ein,
schreibt er es angelegentlich der Stein.
Der eine macht es mit der Frohnatur,
der andere hat vom Vater die Statur.
Der reimt sich was vom Lieben und vom Leben,
das wird ein artig Angebinde geben,
denn er hat es vom Leben wie vom Lieben
des alten Goethe einfach abgeschrieben.
Doch daß die Ähnlichkeit tritt ganz hervor,
fehlt ihm fürs Lustspiel jeglicher Humor.
Drum zeigt man besser gleich das ernste Führen;
da müßt' man sich im Karlsbad nicht genieren.
Und dort gefiel' ihm sicherlich, ich wette,
nebst allerlei das Chor der Operette,
und besser hat's, so fände er am End',
kein Neutrum als das alte Kontinent.
Nur daß vergebens man, kein Glück ist ganz,
zur Kur und Cour erwartet seinen Franz.
Mit Goethes höherer Muse sich begatten
erweist sogleich: die Frau ist ohne Schatten.
Zieht uns hinan dies Ewig-Weibliche,
dort war's getan, das Unabschreibliche.
Reckt zur Bedeutung sich das Vergängliche,
wird Ereignis der Zeitung das Unzulängliche.
Mit klassizistisch gemessner Gebärde
erlebt sich gar noch dieses Stirb und Werde;
Urväter Hausrat ein Divan ziere,
daß man west-östlich sich orientiere;
und sowieso befaßt mit Altertümern,
braucht man sich fürder nicht zu bekümmern,
denn wer schon vom jungen Goethe geborgt,
der hat auch fürs Alter ausgesorgt,
und muß von Natur man mit Wasser kochen,
man nimmt, und wenn die Welt voll Teufel wäre,
dazu osteologisch ein paar Knochen
und wirft sich einfach auf die Farbenlehre.
Über derlei hat sich noch niemand beschwert,
denn das Delikt ist im Begehen verjährt,
und keiner hat, wenn's so vollkommen klappt,
den Täter je auf frischer Tat ertappt;
und dem wird im unwiderstehlichen Zwange
bei seiner Goethe-Ähnlichkeit nicht bange.
Doch was immer von diesem sich einer auch leiht,
den Tonfall, die Haltung, das Alterskleid,
eins haben sie bis heut nicht nach Hause getragen
was doch jeder Deutsche von Goethe hat,
das täglich von allen Zungen genannte,
freilich von keiner noch angewandte
— und gerade ihnen ließ er es sagen —:
das am besten bekannte Goethe-Zitat.
*
Inschriften
Thyrsigeri multi, paucos afflavit Iacchus
In einem Wörterbuch find' ich das gottvolle Wort.
Wer wohl der Schöpfer war, der solches Anschaun gewährt hat
und den Kontrast gestellt, stärker als in dem Wort
christlich ordnender Güte, das zur Erklärung daneben
und, die nicht auserwählt, die Berufenen nennt.
Viele Stabträger sind, doch wenig von Bacchus
Erfüllte
und die Letzten der Kunst werden die Ersten nicht sein.
Lärmend erraffen sie zu Efeu und Weinlaub den Lorbeer
und sie tragen den Stab, ohne des Gottes zu sein.
Thyrsigeri multi: es sondert die Spreu von dem Weizen,
und es bricht über sie, Unberufne, den Stab.
*
Wiedergeburt
Lange Jahre war das Theater verraten
an Kastraten und Literaten.
Wann bringt die Zeit wieder Spieler hervor,
die Bühnenfüllenden, die Lebendigen,
oder wann raffen empor sich die Toten
und heften die Warnung ans Bühnentor:
Den hier Unzuständigen
ist der Eintritt verboten!
*
Theaterkritik
Will man den verkehrten Weltlauf besehen,
so blicke man auf die Theaterwelt.
Die weniger als die andern verstehen,
die sind zum Urteilen angestellt.
Nach Laune zu loben und dumm zu verdammen,
mit fertiger Ansicht gehn sie ins Haus;
sie stecken bisweilen die Köpfe zusammen,
und doch kommt am Ende kein Kopf heraus.
Sie haben vor vielen, die auch nichts meinen,
das Amt voraus, es ihnen zu sagen,
und lassen es schwarz auf weiß erscheinen,
was sie getrost nicht nach Hause tragen.
*
Eros der Szene
Die einen finden es heiter,
wenn Hans die Grete bekäm'.
Die andern gehen schon weiter
und machen daraus ein Problem.
Dort ist noch die Sache verboten
und darum sagen sie's laut.
Hier schürzt sich ein gordischer Knoten
aus einer Jungfernhaut.
* *
*
Nach Nestroy
»Da hab' i schon g'nur« *
(Der Talisman)
Tänze des Grauens, des Lasters und der Ekstase —
Damit tanzte man uns durch Wochen auf der Nase,
Und was uns nebstbei noch ganz schauerlich packte,
Das waren die täglichen Schulden und die gebrochnen Kontrakte.
Eine hat nix an als a Monokel und tanzt Beethoven dazur . . .
Da hab' i schon g'nur.
Ich les' gern die Zeitung, da erfährt man was Neu's,
Und alles was erlogen is, kriegt man schwarz auf weiß,
Und alles was bezahlt is, steht so prächtig vereint
Mit allem, was die Presse nicht glaubt, aber meint.
Und im Notfall machen s halt noch ein Kreuzel dazur . . .
No is das net g'nur?
Nach ei'm Krieg gibts kein' Frieden, doch ein Krieg folgt darauf,
Der Strom der Entwicklung nimmt den um'kehrten Lauf.
Und kein Strom, wo nicht Blut strömt, sie sind es gewohnt so;
Nach Marne und Weichsel und Somme und Isonzo
Gehts zur Abwechslung jetzt wieder los an der Ruhr.
Die hab'n noch nicht g'nur!
Der Nestroy'sche Geist durch die Zeiten erglänzt:
Das zeigt sich noch, wenn sein Couplet man ergänzt.
Was immer heut g'schieht, ihm kann nix geschehn —
Er bietet die Spitze mit seinem Refrain.
Doch am End' muß ein End' sein; geb ich weiter was zur,
So hab'n S' am End' g'nur.
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* Siehe Band VI
»So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt« *
(Der Zerrissene)
Im Krieg haben die Leut' sich verschieden bewährt:
Der eine, der hat vier Jahr' unter der Erd'
Gelebt und ist nachher gleich unten geblieben;
Der andere hat anders die Zeit sich vertrieben,
Der fand es im Feld viel zu fad und zu stier
Und auch sicherer schien's ihm im Pressequartier.
Der dort kriegt Narben und der da. kriegt Orden;
Der eine muß sterben, der andere kann morden,
Denn sein Feld ist, mit der Feder zu führen ins Feld.
So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt!
Vom Numerus clausus ist viel jetzt die Red',
Das heißt auf deutsch: weniger Juden für die Fakultät.
Und ich hab' 'glaubt, sie woll'n einführ'n, daß weniger Idioten
Sich Doktor soll'n nennen und dies schon sind, wern verboten.
Noch heut sich der Mars seinen Buckel voll lacht,
Wie s' im Weltkrieg den Friedrich zum Ehrendoktor g'macht,
Also so einen, der von der Philosophie
Bloß die allerletzte Silbe und selbst die nur mit Müh
Kapiert hat — aber er war halt ein glorreicher Held . . .
So gibt es halt allerhand Doktoren auf der Welt.
Der Breitbart und ich, wir haben vieles gemeinsam.
Der Unterschied is: er schafft weniger einsam;
Auch kann er weit besser noch Ketten zerbeißen,
Aber schließlich, auch er kann nix als niederreißen.
Mit'n Aufbaun, da stehts eben bei uns beiden schief
Und jeder von uns is halt nur negativ.
Zwar könnt' ich mich nicht produzier'n beim Ben Tiber,
Auch glaub' ich, es hat ihn die Presse doch lieber.
Wenigstens hat sie von ihm schon weit mehr erzählt . . .
So gibt es halt allerhand Künstler auf der Welt.
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* Siehe Band VI
»Ja, Spaziergang' zu machen, das ist eine Pracht, Wenn man so den stillen Beobachter macht«
(Eine Wohnung zu vermieten in der Stadt, Eine Wohnung zu vermieten in der Vorstadt,
Eine Wohnung mit Garten zu haben in Hietzing)
Ich hab' heut nimmer 'glaubt, daß ich z' Haus kommen wir',
Denn so gut unterhalten hab' ich mich noch nie,
Z'erst bin ich a wen'g auf der Seilerstatt g'west
Und hab' Spargeln ein'kauft zum heutigen Fest;
Das war auf der Seilerstatt wirklich a G'spaß,
Verliert a Frau vor mir g'rad drei Vierting Kas,
Eine kauft einen Butter, der fallt ihr auf d' Erd',
Wie der Butter hat ausg'schaut, das war der Müh' wert.
Ja, Spaziergang' zu machen, das ist eine Pracht,
Wenn man so den stillen Beobachter macht.
Dann bin ich über'n Graben 'gangen, schau' mir all's an,
Da hab'n d' Fiaker in ei'mfort g'schrieen: Fahrn wir, Euer Gnad'n?
Beim Schottentor hab'n s' a neue B'schreibung verkauft,
Und ein Milliweib hat mit ei'm Bettelweib g'rauft;
Einer Fleischselcherin war 's halbe G'sicht ganz verschwoll'n,
Und ein Pudel hat sieb'n Saverlatiwürst g'stohl'n,
A Frau bei die Fleischbank' unt' am Lichtensteg,
Geht g'rad, wo's am schmutzigsten war, über'n Weg,
Ja, Spaziergang' zu machen, das ist eine Pracht,
Wenn man so den stillen Beobachter macht.
Denk' ich mir, durch die Kärntnerstraße gehst halt zurück —
Aber da war's gefehlt und da hatt' ich kein Glück.
Hunderttausend Beobachter wie ich waren schon da,
Aber die waren nicht still, sondern machten a G'schra.
So was von einer Menschheit hab' ich noch nicht gesehn,
Denk' ich mir, ja was gibts denn, was is denn geschehn?
Man weiß nichts Gewisses — man munkelt — es heißt —:
In ei'm G'schäft drin is einer, der Ketten zerbeißt.
Ja, Spaziergang' zu machen, das ist eine Pracht,
Wenn man so den stillen Beobachter macht.
»Nein, ich reis' nur nach Fischamend«
(Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab)
Viele fahren über Hütteldorf bis nach Paris,
Dort verspiel'n s' ihr Geld, uj', da machen s' a G'fries.
Viele fahren nach London, bloß so zum Vergnüg'n,
Dort boxen s' dann, bis s' a paar Rippenstoß' krieg'n;
Von dort über Petersburg g'schwind hin nach Mainz,
Dann machen s' ein' Abstecher übri in die Schweinz,
Da steig'n s' auf die Gletscher, tun Wegweiser zahl'n
Und kraxeln so lang, bis s' auf d' Nasen herfall'n.
So was ging' mir ab vor mei'm End',
Nein, ich reis' nur nach Fischamend.
Eine Reise nach Asien, so was ist brav,
Da nehmen s' ein' g'fangen, dann ist man ein Sklav'.
In Amerika d' Wilden, na, da ist's erst schön,
Die braten ein' lebendig, hernach kann man gehn.
Vor Afrika warnt ein jeder, der's kennt,
Fallet ich so einem Negerhändler in d' Händ',
Der malt mich mit Kienruß, wer schützt mich davor,
Mischt mich unter d' andern, verkauft mich als Mohr;
So was ging' mir ab vor mei'm End',
Nein, ich reis' nur nach Fischamend.
No ja, nach'm Nordpol, da ginget's zur Not,
Aber wissen S', in Lundenburg, da schlagen s' einen tot.
Wann bei mir ein Finanzer ein Schnupftüchel find't,
Wie komm' ich über Grußbach hinaus oder Gmünd?
Mit die Grenzen is's z'wider und das is kein Spaß,
Passiert's ei'm in Passau und man hat keinen Paß.
Da machen s' ein' Wirbel, da gibt's eine Soß,
Ja, beim Reisen is nix als die Wut grenzenlos.
Herrgott, wer kann's wissen, am End'
Brauch' ich noch ein Visum für Fischamend!
»Dieses G'fühl — ja da glaubt man, man sinkt in die Erd'« *
(Die Papiere des Teufels)
Verlockt von der Aussicht auf Schlachtruhm und Kohlen,
Kamen sie an die Ruhr, um sich beides zu holen.
Doch das geht nicht so leicht, wie sie anfangs geglaubt,
Und man sammelt bloß feurige Kohlen auf ihr Haupt.
Und die glühenden Kohlen, auf denen sie sitzen,
Die können zu keinem Transport sie benützen.
Nur ein Schlachtruhm war' zu holen, doch der Schacht ist
versperrt . .
Dieses G'fühl — ja da glaubt man, man sinkt in die Erd'!
_____________
* Siehe Band VI
»Unsere Leut sind gar g'scheit, hab'n zum Kriegführn ka Freud'«
(Judith und Holofernes)
Krieg von allen Seiten, drum geht auch per se
Auf Urlaub die ganze hebräische Armee;
Der eine hat a Weib und fünf Kinder in der Wiegen,
Der andre wohl nicht, aber er kann s' ja noch kriegen.
Kurz, jeder geht ham. Die Völker, dies nicht verstehn,
Spotten freilich, wenn s' uns sehn mit Waffen herumgehn,
Wir tragen die Waffen nicht als Luxus bloß, wie mancher meint,
Wir müssen doch was haben, was wir strecken vorm Feind.
Unsere Leut' sind gar g'scheit,
Hab'n zum Kriegführn ka Freud'.
Wie Gott freie Wahl unter allen Völkern hat g'habt,
Hat er ohne viel Besinnen auf die Hebräer gleich 'tappt.
Wir sind seine Passion, drum werd'n wir auch reüssieren,
Ohne daß wir mit Schlachten uns abstrapazieren.
Tut der Himmel aber auf unsern Fall spekulieren,
Nutzt's uns nix, wenn wir den Feind und uns selbst malträtieren;
Wir Hebräer haben Wunder genug in unsrer G'schicht',
Auf die Wunder der Tapferkeit leisten wir Verzicht.
Unsere Leut' sind gar g'scheit,
Hab'n zum Kriegführn ka Freud'.
Krieg von allen Seiten, das ist ein Vergnügen, ich weiß.
Erst lernte die Welt preußisch, jetzt is der Franzose ein Preuß,
Sie haben halt Waffen und die gehen halt los,
Und kommt der Preuß' nicht nach Paris, möcht' nach Berlin
der Franzos.
Nur ihr Gott ist gemeinsam und eh sie im Feld sich begegnen,
Muß er, ob er will oder nicht, ihre Waffen gschwind segnen.
Denn sie sind,nicht bloß Mörder, Gott verhüte den Spott,
Sie sind doch auch Christen und glauben an Gott!
Unsere Leut sind gar g'scheit,
Hab'n zum Kriegführn ka Freud'.
* * *
Flamingo von Fahnenfeld
Kruzitürken, das ist ja doch gar kein Malheur,
wir stehn Schulter an Schulter in schimmernder Wehr,
uns kann nichts geschehn, wir sind sturmerprobt
und Majestät haben die Truppen belobt!
Das Lamentier'n hat wirklich doch gar keinen Sinn,
so ein feindlicher Sieg ist nur ein Anfangsgewinn.
Da bin ich beruhigt, 's wird weiter nichts sein,
da setzt man halt neue Reserven gschwind ein,
und wenn wir halt keine Reserven mehr haben —
na so lass'n wir uns deswegen halt auch nicht begraben!
Kruzitürken, das ist ja doch gar keine Schand,
unsere artilleristische Überlegenheit ist bekanntlich bekannt.
Nicht durch Feindesgewalt, nur durch Hunger besiegt
ist der Spatz an der Front; aber wir hab'n was kriegt!
Das Lamentier'n hat wirklich doch gar keinen Sinn,
man muß sich nur trösten, denn hin ist doch hin.
Da bin ich beruhigt, 's wird weiter nichts sein,
da setzt man halt neue Konserven gschwind ein,
und wenn wir halt keine Konserven mehr haben —
na so lass'n wir uns deswegen halt auch nicht begraben!
*
Brunnenvergiftung
Die diesem Versstück unterlegte Geschichte soll keinesfalls als die
Anekdote unterschätzt werden, wie ich sie an den Titel eines antisemitischen
Zeitungsartikels angesponnen habe, Die Kriegserklärung Deutschlands an
Frankreich im August 1914 ist zwar mit der Lüge realer Bomben auf Nürnberg
begründet worden, aber zur Aufpeitschung der Kriegsleidenschaft hat auch
das damals verbreitete und geduldete Gerücht beigetragen, feindliche Ärzte
hätten in Süddeutschland die Brunnen vergiftet, was ganz gewiß auf die
mißverstandene Metapher zurückzuführen war, auf irgendwelche Anklage
wegen »Brunnenvergiftung«, die aus dem politischen Phrasenschatz in das
bereite Gemütsleben jener Tage Eingang fand, genau so wie sie es heute
— hüben und drüben — wieder vermöchte. Die Möglichkeit, daß das
mißdeutete Zeitungsklischee Mord und Vernichtung bewirkt, hält sicherlich
der planvollen Kriegsmache des Zeitungsgeistes die Wage.
In Wien, noch heut erzählt man's mit Beben,
hat einst sich das folgende begeben,
doch weiß ich nicht mehr, ob es bloß geschehn
oder ob gar ich's im Traum hab' gesehn.
Denn eben, wie es dort geht, wo nichts geht
und sogar alles was gehn tut steht,
wie sie eilenden Fußes stehen bleiben
und sich inzwischen die Zeit vertreiben,
wie sie stehenden Fußes jappen und jagen:
das weiß ich zumeist vom Hörensagen
und selbst dieses hör' ich erst, wenn ich allein bin
und mit mir selber darin überein bin,
daß wir zwei nicht unter die Leute müssen,
um alles Wissenswerte zu wissen.
Geläng's denn, so viel ihnen abzunehmen,
wenn wir wirklich unter die Leute kämen?
So aber, von der anderen Erde,
folg' ich der Stimme, dem Gang, der Gebärde,
folgt mir Mißton und Wirrsal und Überdruß,
und die Entfernung schafft den Genuß,
Verwebt und verbunden, gewähr' ich mich allen,
die mir zu Gefallen mir nicht gefallen.
Von welchen laß ich aus heutigem Leben
jedoch zumeist und zunächst mich umgeben?
Die mir immer Gegen- und Widerwärtigen,
die hinterbliebenen Weilandswichter,
wie sie vergebens entgegenhafren,
die unzerreißbaren Kaiserbärtigen,
die kaisersemmligen Gesichter,
dem aufzuwärmenden Kaiserschmarren!
Diese Art, mir im Innersten äußerst zuwider,
scheint gleich verteilt mir auf Hoch und Nieder,
vertreten in allen sozialen Rängen,
in die ich nicht liebe mich einzumengen.
Das Hirn aus Pappe, das Antlitz von Kleister,
so hält es im Haus wie der Herr so der Meister:
tief eingebettet in jede Falte
der fromme Wunsch, daß Gott erhalte,
woran ja das Herz des Menschen hing
und was definitiv zum Teufel ging.
Seh' ich auf der Straßenbahn so ein Tier
mit der aufgezwirbelten Manneszier,
bei dessen Anblick mir nichts bleibt erspart,
denn innen steckt doch der Kaiserbart;
muß ich, Gott beschütze, hieramts verkehren,
mit den konniventen Funktionären,
so lob' ich die Rasse um das Bestreben,
sich von der meinigen abzuheben.
Denn die häßlichsten traun in diesem Lande,
dem angegossen der Reim der Schande,
sind von allen die völlig Ausgeschämten,
jene nach oben und unten Klüglichen,
die unverbindlichen Diesbezüglichen,
von der k. k. Hölle ausgespiebenen
und im hintersten Hintern hinterbliebenen,
doch entgegenkommenden Biamten,
die ausgehungerten Ordensjäger
und würdelosesten Würdenträger,
die lang' vor dem Krieg verloren das Schämen,
tunlichst bereit, keinen Anstand zu nehmen.
Republik heißt auf deutsch die kaiserlose
und noch vom Umsturz volle ärarische Hose.
Seht die wutverzerrten Gotterhaltegesichter:
es kuscht im geschichtlichen Zwang das Gelichter,
doch kein Feind war' imstand, um das Glück sie zu
bringen,
von Lorbeerreisern sich etwas zu singen.
Sie planen bereits, doch einstweilen ganz stad,
eine Brucken zu schlagen nach Beigerad,
und wenn ihre Blütenträume reifen
und für sie wieder andre den Sabul ziehn,
so reißt es sie unwiderstehlich hin,
auch der Adria an den Busam zu greifen.
Derweil g'hört sie freilich dem Wallisch, dem Gauch,
und nicht er, sondern man liegt vor ihm auf dem Bauch,
denn man ist ja doch leider in den und in diesen
Belangen auf jene angewiesen,
die sich derweil noch ins Fäustchen lachen
und bekanntlich außerdem katzelmachen.
Hier ist alles ein Kreuz, aber keiner bereut's,
hier kriecht die Justiz vor der Presse zu Kreuz,
hier wo Euer Gnaden schon wissen ja eh,
hier steckt die Hermandad in des Bösen Livree;
wo die Autorität für die Zeitungen schmiert
und auch sonst sich tunlichst gar nicht geniert,
wo die kleinen man hängt, jedoch Menschenhaufen
Spalier bilden, wenn man die großen läßt laufen,
wo Hoch und Nieder, jeder von allen
für den Fall, es schiene was abzufallen,
dabei ist — trinken wir noch ein Flascherl,
während jener den Staat steckt in das Tascherl —
kein Wort, das nicht Geld ist, kein Geld ohne Diebe;
die leben vom Spiel, die verkaufen die Liebe:
ja bei dem Leben, da lebt sichs wie toll,
tu felix Austria stehst unter Kontroll'!
Dies Volk, das seine Kriegsschuld vergessen,
hält seine christliche Pflicht für erledigt
und sich für den Hunger sattsam entschädigt,
wenn es nicht aufhört, die Juden zu fressen.
Sie wollen ja nix als ihre Ruh;
ist hier denn jemals gemordet worden?
Wenns drauf ankommt, sie möchten schon morden,
nur sind sie halt doch zu kommod dazu.
Wie malerisch man dieses Treiben finde,
mir graut vor der ganzen Käserinde.
Unmöglich, das bunte Treiben zu bändigen,
der Parasiten sowohl wie der Bodenständigen,
die sich in der Symbiose bequemen,
jenen den Saft wieder abzunehmen.
Jüngst hat die Behörde, die dazu gehört,
dies Volk durch die Zählung aufgestört.
Denn einzig nur der Versuch, sie zu zählen,
erfüllt die Erwartung, daß keine fehlen,
und man war überrascht von der Fülle der Seelen.
Eine Rasse von einer ganz eigenen Rasse,
die die ganze Welt liebt und ich allein hasse,
und die, als sie plötzlich »Momenterl!« sagte,
mich aus aller menschlichen Vorstellung jagte,
weshalb mich der Zweifel an Gott überkam —
traf ich einen am Ganges, korschamadiener,
ich wüßte von weitem: das ist ein Wiener,
und wenn ich von ihm keinen Laut noch vernahm.
Auf der Kultur allerunterster Stufe,
unterworfen der Trägheit Gewalten,
lassen sie von der Welt sich nicht schulen,
trotzen der Zeit als die deutschen Huzulen
und sie werden zu diesem Behufe
tunlichst von oben noch angehalten.
Den geborenen Sklaven gereicht es zur Ehr',
daß auf sie aufpaßt ein Generalkommissär,
bei dem sie so frei sind sich zu beehren
über zu viel Freiheit sich zu beschweren;
Obrigkeit nennt die Behörde Herr Schober,
der Untertan nennt schon den Zahlkellner Ober.
Der Korso voll Feschaks und Küßdiehänder,
und Göttergatten gehn auf die Länder,
Mit der Sprechart, die längst den Naturlaut verloren,
im Sprachengemisch zum Abschaum gegoren,
mit diesem kollernden Kauderdeutsch-Sprechen
und taarlos perfektesten Radebrechen:
ganz entartet dem echteren Wesen
und den bescheiden harmonischen Formen,
aber verwirrt von den technischen Normen,
doch schon imstande, Zeitung zu lesen,
stehn sie beständig im Weltraum herum;
jeder Schritt weiter gehorcht nur dem Drah'ma,
nennen dies Chaos dann stolz Ramatama
und es geht höchstens rundumadum.
Aber einen Standpunkt doch auf Erden
haben, die patrizisch sich gebärden,
die kulturbekannten Schubert-Erben,
die bereit sind, fürs Dreimäderlhaus zu sterben,
während Mozarts Erben wieder wetten
auf die Zugkraft anderer Operetten,
Eint das Weltall Geist und Wiener Bürger?
Nach Beethoven hungern Rindfleischwürger.
Über Goethe geht halt doch der Sacher,
aber Nestroy war ein Lustigmacher.
Kunst und Seele und Natur und Weib
nur ein Ornament der Bürgerwelt ist;
alles Wesen ist nur Zeitvertreib,
Zubehör ist alles, was nicht Geld ist.
Was Kauf und Lauf ist, hier ist's noch verbogen;
hier ist das sichere Ende abzusehn,
und schneller wird das Leben ausgesogen:
denn zum Ruin trat völkisch Auferstehn.
Längst verfault ist der Kern, doch die Schale,
daß sich das trunkne Auge gewöhne,
leuchtet in christlich-germanischer Schöne
gleich einem milden Kraliksgrale.
Heiliger Geist, des Wunders Verüber:
hier wo schon alles drüber und drunter —
seht wie es wechselt, wie regt es sich munter,
und es geht alles schon drunter und drüber.
Ja, das Saniertwerden wird niemanden reuen,
nichts ist da not als jenen vertrauen,
die, imstande die Kriegskrüppel abzubauen,
die Tuberkulose von den Kindern befreien.
So lasse sich die Heilung nicht erwerben?
Mit diesem Mittel wehrt man nicht dem Hungern?
So tadeln solche, die den Staatsmann neiden.
Die Tat beweist's: wenn hunderttausend sterben,
so brauchen sie nicht arbeitslos zu lungern
und müssen keineswegs mehr Hunger leiden.
Beim Untergang aber hofft jeder mit Bangen,
durchs Hintertürl hinaufzugelangen
und vom Schicksal, das jene verschlingt, inzwischen
ein Protektionsportionderl zu erwischen.
Die Wiener Wirklichkeit ist Übertreibung.
Was immer in diesem Sonntagsstaat
so steht wie geht, es ist windverdraht
und das Klima selbst spottet jeder Beschreibung.
(Jedoch im Versuch, im Wiedererleben,
vergaß ich zu sagen, was hier sich begeben.)
In dieser verzauberten Gegenwart,
wo der Stundenzeiger der Ringstraßenuhren
vorbei an immer den nämlichen Huren
zum Zeichen der Zeit, zum warnenden Zeichen,
vorbei dem Spalier animierter Leichen
zum warnenden Zeichen der Zeit erstarrt,
da kamen die Leute einmal geloffen,
als wären sie vom Zeichner Schönpflug getroffen,
oder auch von der Tarantel gebissen,
kurz von einem Dilettantel falsch umrissen,
mit unbeweglich stürmenden Haxen
und Übertreibung der Maße und Taxen,
so verkrampft in diesem Flüchten und Fliehn,
als hätte die Reichspost sie ausgespien:
so erwachte der dumme Kerl von Wien.
Jahrüber, ihr kennt ihn nicht anders, ich wette,
liegt er an der Gemütlichkeit Kette,
in der Welt gelitten und löblich bekannt,
denn er küßt den verkehrenden Fremden die Hand
und dudelt ihnen was vor zur Jause
von dem ihm seinerzeit entrissenen,
um das Wohl der Völker bemühten, beflissenen,
kurz dem angestammt glorreichen Herrscherhause.
(Ich irre wieder ab, aus Widerstreben,
von einer Begebenheit Kunde zu geben,
die sich dazu noch in dieser Stadt
vielleicht nicht einmal begeben hat.)
Kasmader saß mit den Anverwandten,
Geschwisterkindern und Resitanten
und Onkeln und Nichten und Basen und Vettern
und sie lasen die balkendicken Lettern
und sahen sich an ganz empört und verstört:
Da habts es — ja habts ös scho so was gehört —
was sagts ös — ah so was — dös war no net da —
ah da legst di nieda — da schaurija —
ah dös war net schlecht — ah, wos da all's steht —
ja wanns net da stengert, i glauberts ja net!
Und unverkennbar stand es geschrieben
und schwarz auf weiß, wie sie es getrieben:
sie hätten sich widersetzt der Sanierung
und ließen nicht ab von der täglichen Schürung
des Brandes, den sie mit Eifer gestiftet,
und nun hätten sie auch noch die Brunnen vergiftet.
Und über dieses Geheimnisses Lüftung
stand in riesigen Lettern: B r u n n e n v e r g i f t u n g.
Kasmader, der's in der Reichspost las,
im Nu seine gute Erziehung vergaß,
und schwor, das sollten sie bitter bezahlen,
die Judensozi, die Kohnnationalen.
Fürs erste, wiewohl er auch sonst kein Prasser,
verbot er sich und den Seinen das Wasser:
daß keiner, solang auf der Welt noch ein Jud,
von euch einen Tropfen mir anrühren tut!
Bald war's in der Nachbarschaft bekannt
und überall, wo sie nicht hinkam die Zeitung,
da sorgte dennoch für die Verbreitung
das Gerücht und extra die Resitant.
Und kreuz und quer durch die Gassen rannte
der Ruf, der wie ein Lauffeuer brannte,
des Ursprung bald niemand mehr ergründet:
Die Juden haben es angezündet!
Da gab es nur Rächer und keinen Retter —
das Leben war längst entlaufen der Letter.
Eins hatte das Feuer vor dem Wasser voraus:
man sah nicht brennen ein einziges Haus.
Sonst wehrten sie sicher mit müßigen Händen,
zum Löschen das Wasser zu verwenden,
denn es war ja, sie hörten's mit eigenen Ohren,
zu jedem Gebrauch der Menschheit verloren.
Dies Wissen war keinem mehr zu rauben;
es stand gedruckt, und da war nur zu glauben.
Jeder ward zum Verbreiten angestiftet:
Die Juden haben die Brunnen vergiftet!
Denn »Brunnenvergiftung« stand deutlich geschrieben
und drunter, was sie auch sonst noch getrieben
und was sie sich hierzulande erlauben.
Und so mußten auch die Juden dran glauben.
War's nur ein Traum, so erweist doch der Tag,
was jener an Wahrheit zu bergen vermag.
Wo kein Band zwischen Menschengeschick und Gestirnen,
da waltet das Wort doch über den Hirnen,
und auf jeder Stufe der Menschheit meistert
das Leben die Macht, die die Hirne verkleistert.
Sie allein vermag es, Brände zu stiften
und die Brunnen des Landes zu vergiften.
Doch diese Methode ist ungesund;
zeig dem Tropf, wieviel Uhr: er nimmt sie in den Mund.
Drum sei auf der Hut und sprich vor den Leuten
nicht Worte, die etwas andres bedeuten,
damit nicht, wenn sie zum Wetter sich ballen,
die Tröpfe dann aus den Wolken fallen.
Und die deren Tun durch die Letter lenken,
die dem Vogel die Feder ziehn durch die Nase,
sie sollen ermessen den Vorsprung der Phrase
und mindestens denken, was jene nicht denken!
Das Leben wird Zierat verfallender Zeiten,
und von der Phrase kommt ihnen der Tod;
um Todesmittel ist's heute nicht not —
man leite den Blick vor die Wirklichkeiten!
Doch will man zu Dank sich verpflichten die Gaffer
und daß sie ihren Augen nicht trauen,
so lasse man sie einen Hofwagen schauen —
aber keine Metapher!
Und nun, da ich jedem das Seine gab,
nachdem ich den Schleier endlich gelüftet —
rufts aus dem Brunnen, welcher vergiftet:
Sö, wer gibt Ihner einen Affen ab!
*
Die Vogelstadt
Aus Libyen kamen plötzlich brausend
von Kranichen etliche dreißigtausend,
sie trugen die Steine in den Kröpfen,
die siebentausend Ibisse behauten,
als ob sie an Pyramiden bauten,
dazu fünftausend Taucher mit Töpfen
die konnten jenen das Wasser reichen;
und zehntausend Störche zum Ziegelstreichen,
sie machten ihre Arbeit nicht übel,
dann dreitausend Reiher mit Lehm im Kübel,
den manipulierten mit ihrem Bein
zweitausend Gänse als Schaufler hinein;
tausend Enten im Schurzfell trugen die Ziegel,
die Schwalben rührten gleichfalls die Flügel
und führten die Kelle, und unsre Sperber
waren diesmal auch keine Spielverderber;
achthundert Spechte behauten die Tore,
der Schall ihrer Hiebe dröhnt mir im Ohre.
*
Nach Nestroy
»Man findt's ganz natürlich und kein Hahn kräht danach«
(Judith und Holofernes)
In Babylon hab'n s' wollen einen Stephansturm baun,
Der hat soll'n unserm Herrgott in die Fenster eini schaun,
Kaum war'n s' ober der Uhr, war'n s' schon alle verwirrt,
Eins hat spanisch und das andere chinesisch diskriert.
Das hab'n d' Leut' unerhört
Für ein Wunder erklärt.
Jetzt auch wollen viele baun bis in d' Wolken hinauf,
Aber 's tuts nicht, die G'schicht' löst in sich selber sich auf,
Denn beim Grundsteinleg'n hab'n s' ang'stimmt ein'n Diskurs,
Gegen den alles Babylonische verstecken sich muß.
So was nennt man kein Wunder jetzt mehr heutzutag,
Man findt's ganz natürlich und kein Hahn kräht danach.
Als bei den Juden in der Wüste der Hunger und die Not
Aufs höchste war gestiegen, regnets himmlisches Brot
Und Wachteln mit Manna—da waren s' vor Freud' ganz verwirrt,
Wie der Moses die Lage des Landes saniert.
Das hab'n d' Leut' unerhört
Für ein Wunder erklärt.
No ich bitt Sie, also is denn das auch schon a Tat,
Der Moses war ein Nebbich und noch lang kein Prälat.
Unser Retter geht nach Genf, und wir nicht zugrund
Und uns fliegen die gebratenen Tauben in'n Mund.
So was nennt man kein Wunder jetzt mehr heutzutag,
Man findt's ganz natürlich und kein Hahn kräht danach.
Der Glaube an Wunder lebt vom blauen Dunst.
Den babylonischen Turm zu baun — no war das eine Kunst?
Die Sprachenverwirrung war grad unser Panier
Und wir trotzten der Welt, denn mir waren doch mir.
Das hat die Welt unerhört
Für ein Wunder erklärt.
Da hat Er's reiflich erwogen und wir riskierten den Sturm,
Die Sprachen verstummten, aber zurückblieb der Turm.
Jetzt heißt's halt auf Gott und den Prälaten vertraun,
Und schön langsam den babylonischen Turm abzubaun.
Wenns gelingt, wär's ein Wunder am hellichten Tag —
Doch ich glaub', nur der Seipel, aber kein Hahn kräht danach!
»Da ließ' sich viel sagen«
(Eine Wohnung zu vermieten in der Stadt, Eine Wohnung zu vermieten in
der Vorstadt, Eine Wohnung mit Garten zu haben in Hietzing)
Ein Mann hat ein Einkommen, wirklich nicht z'groß,
Und doch hat er ein'n Wagen und ein schönes Paar Roß,
Im Sommer kriegt d' Frau ein Quartier aufm Land,
Sie hat all's aufs nobelste, 's war' sonst a Schand:
Er ißt und trinkt viel, denn er kann was vertragen —
Und von was all's? Von Schulden! Da ließ' sich viel sagen.
Ein Mensch ist im Elend, schreit Ach und schreit Wehl
Jetzt bringt ihn ein glücklicher Zufall in d' Höh',
In Pracht und in Herrlichkeit tut er jetzt leb'n,
Früher hat er nix g'habt, als was die Freund' ihm hab'n geb'n.
Wie tut nun der Mensch gegen die Freund' sich betragen?
Was das anbelangt, ließ' sich viel drüber sagen.
Von unserer Sanierung — no ich sag ja nix und
Ich denk' mir nur, davon wird man halt auch nicht gesund.
Und was das Abbaun betrifft, na da bleib' ich schön stad,
Und wenn s' ein'n Invaliden abbaun, steht er erst noch nicht
grad.
Aber wenn die Leut' hungern und sie hab'n die Regierung
im Magen —
Na da sollten sie's doch satt kriegen, das möcht' ich schon
sagen!
»Da bleibt man zeitlebens gern eine Partei«
(Eine Wohnung zu vermieten in der Stadt, Eine Wohnung zu vermieten in
der Vorstadt, Eine Wohnung mit Garten zu haben in Hietzing)
Ich bin vom Quartiersuchen völlig schon matt
Und bleib' doch wieder im alten Quartier in der Stadt.
Ich war' gern a Hausherr, da bauet ich mir
So ganz nach mei'm Gusto ein kommodes Quartier.
Doch g'fallt Ihnen diese Quartiersucherei,
So bleib' ich zeitlebens gern eine Partei.
(Da bleibt man zeitlebens gern eine Partei.)
Oft wundert sich einer, der a Stuck hat geschrieben,
Über das, daß der Beifall geteilt ist geblieben,
's muß so sein, denn 's Theater is a Haus allemal,
Drum müssen Parteien drin sein, auf jeden Fall.
Denn ohne Parteien stund ja 's Haus allweil leer.
No der Hausherr bedanket sich schön für die Ehr'.
(Ja der Hausherr bedanket sich schön für die Ehr'.)
Mir sind alle Partei'n, was sie immer auch sein,
Noch lieber als jede von die g'wissen Partei'n.
Denn die streiten sich alleweil in ihrem Haus
Und geben erst keine Ruh, wenn die Sitzung is aus.
's Haus zusperr'n, das nutzt nix — doch wüßt ich an'
Rat:
Eine Ruh wird erst sein, wann s' zusperr'n den Staat.
(Ja eine Ruh wird erst sein, wann s' zusperr'n den Staat.)
»Sich so zu verstell'n, na da g'hört was dazur«*
(Der Zerrissene)
Die Zeitung erscheint täglich als die klarste Erscheinung:
Hinten ist sie bezahlt und vorn hat sie eine Meinung.
So meint es der Leser, doch irrt er sich halt:
Denn auch vorne die Meinung ist meistens bezahlt.
Doch halt . . . nach dem Gesetz sei's erkennbar gemacht,
Es schlägt auf das Fäustchen, in das die Presse sich lacht.
Wie kommt man aus dem Gedränge, daß der Leser nix weiß
Und das für ein Lob hält, was sie schreiben zu an' Preis?
Da machen die Juden ein Kreuz halt in einer Tour . .
Sich so zu verstell'n, na da g'hört was dazur.
Die Nation, der die Menschheit das Menschsein verdankt,
Die ist jetzt unheilbar am Kriegführ'n erkrankt.
Die fraternite, ja die war früher einmal,
Und die egalite ist ihnen auch schon egal.
Doch halt... was die liberte betrifft, sind sie doch noch so frei,
Wenn der Nachbar nichts hat, ihn zu führ'n in Sklaverei.
Die Nation der Ideale ist jetzt der reine Barbar
Und statt der Kultur hat man halt die gloire.
La France marche ä la tete — das heißt auf deutsch: an die Ruhr...
Sich so zu verstell'n, na da g'hört was dazur!
Ich kenn' einen Staat, der lebt von der Hand in den Mund
Und sein Fortschritt besteht darin: er geht b'ständig zugrund.
Provisorisch sein Leben, sein Tod, sein Budget,
Mir wern kein Weltgericht brauchen, euer Gnaden wissen eh.
Doch halt . . . darum braucht man, eh die Geschichte ist aus,
Milliarden für Saus, Braus und für ein Festspielhaus.
Was man nicht hat, ist so viel und drum reicht's noch für'n Pflanz,
Und wo eh ein Vulkan is, da mach mr an Tanz.
A Leich' muß doch schön sein, man stirbt für die Kultur . . .
Sich so zu verstell'n, na da g'hört was dazur!
_____________
* Siehe Band VI
»Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang« *
(Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt)
Die Sterne oben, wie S' bei Nacht sie sehn,
Die sind ja lang schon keine Koryphän.
Die haben ja doch gar kein' Glanz und Rang —
Was ist das gegen unsere Ministerbank!
Der große Wagen, das muß ich schon sagen,
War' hier herunt, das fünfte Rad am Wagen,
Und selbst der Stier, das können S' glauben mir,
Der ist bei weitem nicht so stier wie wir.
Uns strahlet manch glücklicher Stern in der Nacht,
Der Seipel hat uns die Sanierung gebracht.
Der Mars, der kann zuspirrn mit allen seinen Gaben,
Seit wir für das Fach den Vaugoin haben.
No und der Kienböck, der Schmitz und der Frank —!
Und die ganze Ministerbank bank bank bank bank bank
Die ganze Ministerbank.
Was sind die Sterne, wenn man sie entgegenstellt
Den Stars der irdischen Kulissenwelt!
Neben der Berber, die ein Stern doch erster Größe,
Gibt sich die Venus nebbich manche Blöße.
Die Kassiopeia, ah da schaurija,
Ist längst erbleicht vor'm Ruhm der Jeritza.
Der große Hund, der ist ein Prominenter und
Der Pallenberg is schließlich auch ka Hund.
Die Stern' haben das Pech, daß sie über uns stehn,
Und sie haben auch die Niese als Knieriem gesehn.
Und sie halten sich für Künstler, weil sie nun einmal
Gleichfalls engagiert sind in ei'm Nachtlokal.
Und wegen dem bisserl Sphärengesang!
Was is das gegen unser Amüsemang mang mang mang mang mang
Was is das gegen unser Amüsemang!
_____________
* Siehe Band VI
*
Inschriften
Legende
L. ward beleidigt, ward ein L. genannt
und die Verleumder wollten, daß er klage.
L. aber ließ sie schlau in solcher Lage,
und selbst entlief er ihr gewandt.
Weil sie so in der eignen Schlinge sich fingen,
könnt' ihnen nicht der leiseste Nachweis gelingen,
daß L. das sei, was sie ihn laut genannt.
Die Verleumder blamierten sich fürchterlich:
der Kläger ließ sie völlig im Stich.
Eh es ihnen gelang, zu Gericht zu gelangen,
ist er leicht als Sieger hervorgegangen;
ihre Niederlage erschien einfach kläglich,
denn sich selbst zu belangen, war gleichfalls unmöglich.
Die Folge war leider Eklat und Skandal.
Es tuschelten alsbald alle Zungen,
der Beweis gegen L. sei gänzlich mißlungen,
und als Lohn blieb höchstens die Moral:
Das kommt von lauter solchen Sachen,
am besten wird, wer zuletzt lacht, lachen.
Und also las man's sogar im Journal.
*
Der Harden'sche Text
»Er hat seine Meinung zum Bessern gewandt.«
»So? Hat er vielleicht Ihnen selbst es gekündet?
Wie haben Sie's erfahren? Wie haben Sie's ergründet?
Wie kann man es wissen? Wie ward es bekannt?
Wie läßt sich's erweisen? Wie mag man's erheben?
Wie kann man's erkennen? Wie läßt es sich merken?«
»Ich versteh' nicht das Fragen. An seinen Werken!
Die sind doch erschienen!« »Drum frag' ich eben!
Ich habe sie jetzt und vorher schon gelesen.«
»Nun also und angesichts dieser Erscheinung —
was meinen Sie zu seiner jetzigen Meinung?«
»Es kann sein, daß es immer dieselbe gewesen.«
»Sie reden in Rätseln, der Sinn scheint verhext.
Läßt sich denn nicht Ihre Meinung ergründen?
Sie müssen doch einen Unterschied finden —
Sie sagen, Sie lasen —«
»Den Harden'schen Text!«
*
Der Wechselbalg
Dieser jüdische Schmock, er schaut ja gleich
der Lage der Deutschen in Österreich!
Dieser deutsche Mann hat direkt einen Ton
von einer jüdischen Redaktion!
Wenn er bei einem Pogrom sich taubstumm stellt,
geht zweifellos er hervor als Held.
Doch tat' er ein einziges Wörtel nur sagen,
so würd' er todsicher totgeschlagen.
Am besten, er bleibt bei dieser Lage
In der Redaktion an solchem Tage.
*
Bahr am Sonntag
Unter Larven die einzig fühlende Brust,
steht er mitten in irdischer Hätz
und fällt, dieses Treibens unbewußt,
direkt aus dem Rahmen des Blatts.
Intimes, Klatsch und Theaterspott
und Sport und Welt und Skandal,
Gespräche mit Slezak und mit Gott
für das Neue Wiener Journal.
* *
*
Bunte Begebenheiten
Seit jener göttliche Regisseur
dort erschaffen sein Welttheater,
geht in die eigene Kirche nicht mehr
der gute Himmelvater.
Wo er hinblickt, steht ein Dramaturg
und gibt den sakralen Stempel.
Doch was tut Gott? Nicht um die Burg
betritt er mehr diesen Tempel.
Die Plätze gleich vorn beim Hochaltar
sind reserviert für die Fremden,
dort kann man am besten auch sehn, wie der Bahr
wechselt die Büßerhemden.
Und täglich betet ihm nach jeder Schmock,
wenn von Kultur sie schmocken:
Herr, gib uns unser täglich Barock!
Und da läuten die Kirchenglocken.
Mit dem Zirkus ist das Geschäft vorbei,
jedoch mit der Kirche gelungen,
drum gloria in excelsis sei
von der Presse dem Reinhardt gesungen.
Zu dieser Hofmannsthal-Premier'
wallen Büßer von allen Enden,
die Kirche leiht die Kulissen her,
die Presse tut Weihrauch spenden.
Es empfangen die heilige Sensation
aus Wien die Premierenbekannten,
die Pfarrer tun es um Gottes Lohn
und lehren die Komödianten,
Nein, was sich im Sommer in Salzburg tut,
da erblick' ich eine Soutane,
die Sonne brennt und bei dieser Glut
steckt drin, par Dieu, der Kahane.
Mit Zungen reden die Frommen heut
über Gottes und Reinhardts Walten.
Am stärksten wird dieser gebenedeit
von dem ganz inspirierten Saiten,
Die Wohlgemuth ward auferweckt,
ein Wunder ohnegleichen;
andere beteten wieder direkt zur Moissi
der Schmerzensreichen.
Die Seele lechzt nach dem Gnadentrunk,
Miserere wird das Geseres,
die Valuta aus tiefster Erniedrigung
ringt nach Hebung des Fremdenverkehres.
Von Calderon ein mystischer Hauch:
man verspricht sich von diesem Genre,
speziell jedoch von Hofmannsthal auch
eine Zugkraft für Amerikaner.
Sich läutern lassen ist ihnen noch neu,
aber gut für die spätere Reise.
Man steht ihnen bei, damit Ehre sei
Gott in der Höhe der Preise,
Und unter heiligem Schutze gedeiht
der Hotel- und Theaterhandel,
man bemerkte u- a. die Persönlichkeit
der Berta Zuckerkandl.
Sie fühlt sich entrückt und von Olbrich erbaut
und da kann man wieder nur sagen,
die Kirche, die selbst das verdaut,
hat einen guten Magen.
Ganz eingeweiht die Monstranz übernahm
Hochwürden die Preßkanaille.
Die Muttergottes dafür bekam
die Tapferkeitsmedaille.
Doch da noch verzückt an der Kirchentür
sie zu Prominenten beten,
entschloß sich der liebe Gott, eben hier
auf der Stelle auszutreten.
*
Die Psychoanalen
Man färbt jetzt die Bäume,
wir töten die Träume,
wir treten durchs Tor.
Es welken die Wiesen,
es gibt Analysen,
uns macht man nichts vor.
Was immer Sie schaffen,
wir werden es erraffen,
wir kennen den Leck.
Wie Sie immer sich wenden,
in unseren Händen
ist alles ein Dreck.
Dort unter der Schwelle,
dort machen wir helle
und leuchten euch heim.
Was immer sonst schön is,
von uns anders gesehn is
und gibt einen Reim.
Geht wo eine Minna
vorüber, bitt Ihna,
wir kennen sie gut.
In Kenntnis des Falles
läßt reimen sich alles,
was sich da tut.
Der dort und die do
haben eine Libido,
wir wissen es wohl.
Er reicht ihr ein Messer,
wir wissen es besser,
es war ein Symbol.
Muß eine stets niesen,
da ist bald bewiesen,
wie sie dazu kam.
Sie war als Säugling im Zimmer,
als der Großvater immer
die Großmutter nahm.
Und gar zu verdammen
sind vollends die Ammen
mit ihrer Brust.
Herzblättchen vertreibt sich
die Zeit und beweibt sich,
doch unbewußt.
Wie die Kinderchen spielen,
die lieben Nekrophilen,
das ist uns ein Fest.
Doch wenn die Mutter am Leben,
so kann es ergeben
einen schönen Inzest.
Da kann jeder drin wühlen
und im Infantilen
wird er Fachmann und Fex.
Weil ihm viel dazu einfällt,
wenn er uns nur hereinfällt
auf den Vaterkomplex.
Selbst vom Neffen zum Ohme
sind häufig Symptome,
die uns nicht entgehn.
Der Komplex ist ganz mächtig,
wers nicht sieht, ist verdächtig,
man wird doch da sehn.
Zwar nicht kurieren,
doch aus dem Punkte studieren
läßt sich dieses Weh.
Wir sind die Gescheiten:
was soll es bedeuten,
wir wissen es eh.
Zwar gibts keine Wandlung,
aber eine Behandlung
oder wie man es nennt.
Wir können nicht hexen,
doch es hat an Komplexen
sein' Freud der Patient.
Er hat seine Beklemmungen
und hauptsächlich Hemmungen,
das gehört doch dazu.
Hat er eh einen Ekel,
so drückt ihn der Stekel
und nicht mehr der Schuh.
Ihn krank zu bewahren
bis in hundert Jahren,
es ist uns ein Spiel.
Sind Satyrn und Sylphen
Zwangshandlungsgehilfen,
bleibt er schön infantil.
Man glaubt, daß Gedichte
der Genius verrichte,
das ist blauer Dunst.
Privat onanieren
und für die Welt sublimieren,
no ist das eine Kunst?
Die dichterischen Nöte,
ich bitt Sie der Goethe,
Sie ahnen es nicht!
Was da schlecht verdrängt ist,
aber gut eingezwängt ist —
und das nennt man Gedicht!
Rief der Lehrling die Geister,
ward er naß, das beweist er,
bis auf die Haut.
Wer sich so aufgeführt hat
und hernach sublimiert hat,
wird als Meister durchschaut.
Wer schwach auf der Brust
ist und überhaupt unbewußt ist,
dem wird nichts geschenkt.
Wir sind da mit Neurosen,
denn mit alten Hosen
wurden schlecht wir verdrängt.
Haben Sie Unterbewußtes,
so gereicht uns zur Lust es,
was Ihnen zur Qual.
Aber Gott soll Sie hüten
vor Märchen und Mythen.
Es war einmal.
Wer nicht abreagiert hat
oder sonst sich geniert hat,
zahlt fürchterlich drauf.
Mit Traumen und Träumen
gilts aufzuräumen.
So wachen Sie auf!
Wenn wir ordinieren,
das Abreagieren
auf uns sich erstreckt.
Bei der Beichte wir büßen,
genießen und süßen
den eignen Defekt.
Durch Lupen und Linsen
läßt Kraft sich begrinsen
und was euch beseelt.
Und beim Analysieren
wird man weniger spüren,
woran es uns fehlt.
Wird von euch nichts bleiben
als etwas zum Speiben,
dann seid ihr wie wir.
Was unsereins verschreibe,
es ist doch beileibe
uns selbst ein Klystier.
Es bleibt unser Kodex:
der Mond ist ein Podex,
der Komet ist ein Glied.
Vom Plus ist zu zahlen
den Psychoanalen,
vom Bauch kommt das Lied.
*
Der neue Rezitator
Und es tanzen Jakobs Töchter
Um das goldne Kalb herum —
Brumm — brumm — brumm —
Paukenschläge und Gelächter!
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _
Aron selbst wird fortgezogen
Von des Tanzes Wahnsinnwogen,
Und er selbst, der Glaubenswächter,
Tanzt im Hohenpriesterrock,
Wie ein Bock —
Paukenschläge und Gelächter!
Was zuckt vor den Augen? Welch pochender Ton
will Einlaß in unsere Ohren?
Die Zeitung sagt, die Revolution
spritzt jenem aus allen Poren.
Er springt mit zappelnden Beinchen vor
und gebärdet sich überaus rührig
und reckt den Zeigefinger empor
und droht der Goetheschen Lyrik.
Widerstrebt auch der Vers der Persönlichkeit,
so pariert er sofort dem Rütteln
und ein Tausendsasa wird in kürzester Zeit
aus Gedächtnis und Ärmel ihn schütteln.
Man schüttle die Verse vor dem Gebrauch,
daß der Kainz sich geselle den Neidern,
und zu diesem Behufe empfiehlt es sich auch,
sie am Schlüsse wie Honig zu schleudern.
Dem Männeken fließts, halli und hallo,
von der Waterkant und weiter südlich;
mit bitteren Einschlägen vorwiegend froh
läuft das deutsche Wort unerjüdlich.
Doch wie sie räuspert und wie sie sich schneuzt
die katarrhalische Menge,
da wird ihr gehörig eingeheizt
mit kabaretthafter Strenge.
Sie findet jeden Tadel am Platz,
auch an jenen, die unbesetzt bleiben.
Wer zu spät oder gar nicht kommt, der hats
sich selber zuzuschreiben.
Leibhaftig tanzt und hämmert brumm brumm
der Aron und dreht sich bacchantisch
und wie ein Bock vor dem Publikum
und durch und durch dilettantisch.
Und wie ein Bock — jetzt hab' ich es dick —
tanzt der Aron für Jakobs Töchter;
die Paukenschläge besorgt die Kritik,
ich liefere das Gelächter.
Wie es wallet und siedet und niemand zischt,
sondern dankt für die köstlichen Gaben:
wenn das Frohe sich mit dem Bitteren mischt,
man kann nicht genug davon haben.
Es ist über alle Maßen beliebt
und immer von neuem labend,
was der rarste Gast ihnen täglich gibt
an dem unbedingt letzten Abend.
Alles auswendig können, das ist eine Kunst;
wenn was fehlt, wird keinem was fehlen.
Denn inwendig ist es gleichfalls verhunzt
in den heutigen Vortragssälen.
Die Jugend entbrennt an dem brennenden Geist,
der aus freiestem Kopfe und Leibe
sich an Goethe und Callenberg beweist
nebst anderem Zeitvertreibe.
Es ist die verkörperte Revolution,
und er ihr markantester Barde,
und ich übergebe mich vor dem Ton,
denn ich bin von der weißen Garde.
*
Inschriften
Goethe und Hofmannsthal
Will Hofmannsthal Goethes Entwicklung begleiten,
so wirkt es noch in die fernsten Zeiten.
Was immer auch dieser jenem leiht,
es reicht für beider Unsterblichkeit.
Müssen die, die späterhin beide lesen,
denn wissen, welcher der Ältre gewesen?
Die hundert Jahre, welche dazwischen,
werden weitere hundert wieder verwischen.
Nach tausend aber ist's schon egal,
ob Goethe oder Hofmannsthal.
*
Weimar in Wien
Was les' ich da? Er will mich »so belehren als ergetzen«?
Das ist er wohl hundert Jahr' schon gewöhnt.
So weit muß ich mich zurückversetzen —
was hör' ich da? Ein Posthorn ertönt.
Und mich gleich die Erinnerung überkam,
wie der Großherzog die Großherzogin nahm.
(Eine entfernte Verwandtschaft mag sich immerhin zeigen:
Iste schrieb das Tagebuch, ille den Reigen.)
*
Ein Verehrer
Wie? Bartsch ist für mich? Ein lustiges Stückel,
möchte ich meinen.
Er unterschreibt alle meine Artikel?
Bis auf einen!
*
Der Kampfhahn
Als er recht kämpfen wollte, jener Journaliste,
da sagte er, ich sei ein Journalist.
Nichts Ärgres weiß der Hahn auf seinem Mist,
als abzugeben von dem Miste.
Er hielt mich wohl für einen Hahn.
Ich aber stand bloß nebenan.
*
Psychoanalyse
Was ist's mit den Analysen?
Kann da ein Zweifel bleiben?
Die Methode ist bewiesen
an jenen, die sie treiben.
Daß man mit euch nur scherzte —
welch törichter Gedanke!
Im Gegenteil: die Ärzte
sind Kranke.
*
Großmann
— schon allein der Titel
ist doch ein Romankapitel.
Sag nicht, daß es zu viel Ehre
für den Namensträger wäre.
In naturgedrungnen Sätzen
ist nicht Raum fürs Überschätzen.
Leser, die am Stoff verweilen,
schreckt zuweilen der Geruch.
Stefan Großmann — nicht zehn Zeilen!
Großmann — mindestens ein Buch!
*
Satirisches Betrachten
Und wie ich passe und wie es mir paßt,
und wie es sich wendet, es fesselt mich nur,
ich folge der Spur und mich reizt der Kontur
und wie mein Blick das mich Fassende faßt,
und wie es lockt und ladet zu Gast,
sie läßt mich nimmermehr los die Figur
und es drängt die Natur zu der Halbnatur,
und ich fühle, ich bin in sie verhaßt.
*
Im fünfundzwanzigsten Jahr
Sollt' ich nicht endlich meinen Angriff dämpfen?
Feige ist gegen Wehrlose kämpfen.
Mir zu Leibe zu gehn, hemmt sie fremde Gewalt.
Und zu Geiste: die eigene Mißgestalt.
*
Religion der Liebe
Was werden sie drüben beginnen,
die vorzeitig Abgestorbnen
mit ihren verdorbnen,
mit ihren verrauchten
Gluten und Sinnen,
den unverbrauchten?
Man ist nur einmal tot.
Seht, wie Natur zerschellt
an jenem Lustverbot:
Erlaubt ist, was mißfällt.
* *
*
Das tuberkulöse Kind
Der Kaiser hat meinem Vater befohlen,
früher zu sterben, als er hat müssen.
Das hat der Mutter das Herz zerrissen.
Drum hat auch sie früher, als sie hat müssen,
ins Gras gebissen.
Sie wußte nicht, wo Brot zu holen.
Der Bruder brachte ein Andenken mit,
er sagte, es war aus Ekrasit,
das hat den andern Bruder zerrissen,
weil er hat damit spielen müssen.
Die Schwester war als Hilfskraft im Feld
und schickte manchmal auch Geld.
Doch wurde sie von den Offizieren geneckt
und von einem außerdem angesteckt.
Weiß nicht, wie es ihr jetzt geht,
und weil ich klein bin, soll ichs nicht wissen.
Noch mangelt es dazu des Verstands,
so sagte neulich der Herr Katechet,
da er erwähnte dieses Falles,
doch es geschah ja alles,
sagt er, zu Ehren des Vaterlands.
Sie haben es, sagt er, bunt getrieben,
doch war es eine große Zeit.
Da bin ich im Wachstum zurückgeblieben.
Und habe kein Winterkleid.
Auch fehlt es an Kohlen,
den Feind, sagt der Katechet, soll der Teufel holen,
denn er, sagt er, hat es auf dem Gewissen.
Doch wenn wir auch sitzen bei einer Kerzen,
so haben wir doch alle den Kaiser im Herzen.
Bald komm ich fort aus diesen Finsternissen.
*
Der Gürtelpelz
Ihr fielt und wir stehn auf demselben Boden,
wir schreiten vorbei an den mahnenden Malen,
wir wirken den Wechsel von Toden und Moden,
wir fachen das Fieber von Zahlen und Qualen.
Es waren Momente und Episoden.
Denn dies ist Entwicklung und Vorwärtsschreiten,
der Plumpsack geht um, aber schlank in der Mitten.
Wir sind das Modell dieser blutigen Zeiten,
die Welt ist in die Taille geschnitten.
Ihr strittet, wir teilen ohne Streiten,
andere Zeiten, andere Sitten.
Was liegt, kann uns keine Sorge bereiten,
wir haben es getan, ihr habt es gelitten.
So rasend wie wir vier Reiter reiten,
keine Post, keine Pest kam rascher geritten.
Es starben die Zahlen, wir leben die Zahlen.
Wir treten zu Tänzen, wir tanzen zu Toden,
dank Generalen und Kardinalen,
es welken die Herzen und Hirne und Hoden
im Heldenkampf und in Hurenlokalen.
*
Tango
Nichts trägt das Erinnern
den Kriegsgewinnern.
Alles fiel zu Gefallen
Hyänen, Schakalen.
Die Krone, die Leiche
dem Totentanz weiche.
Parfüm für die Nase
aus giftigem Gase.
Nach Leben sich sehnen
Schakale, Hyänen.
Hinweg, was gewesen.
Es tanzen Prothesen.
*
Das arme Leben
Tust du nicht unrecht diesen Freuden?
Verbergen sie nicht Gram und Qual?
Verzittert nicht das tiefste Leiden
in einem Tränenbacchanal?
Hat doch der Glaube sie zum Narren,
daß jeder Schritt ins Freie drängt,
wenn sie in diese Enge starren,
die sich nur immer mehr verengt.
Bange macht jedem jede Stunde,
die von ihm abnimmt Stück für Stück,
und jeder zieht mit einer Wunde
in sein Verhängnis sich zurück.
Wer fühlt das Leben nicht vertropfen
und wie es in den Tod verfällt!
Sie hören ihre Herzen klopfen,
und eben darum lärmt die Welt.
Jeglicher Blick verkürzt das Dauern
von der bemessnen Wartezeit,
und jeder Atemzug ist Schauern,
und jeder Gang ein Grabgeleit,
Wenn sie verrucht den andern nahmen
den zugeteilten Henkerschmaus,
es hat zum vorbestimmten Amen
der vollste Magen nichts voraus.
Heben vergebens ihre Hände,
eh sie vereint das letzte Band,
Sie reichen alle doch am Ende
einander eine Totenhand.
*
Offenbach
O Offenbach, von dessen Zaubergeige
das Wunder blaut wie jenes Ritters Bart,
du aller Welten holde Gegenwart,
von Lust und Schmerz unsagbar zarte Neige!
Auf deiner Erde war mir zu erschauen
das Farbenglück von allen Jahreszeiten
und Würdefall in alle Menschlichkeiten
und süßes Weh der gruftbefreiten Frauen.
O Offenbach, vor deinem Narrenchor
wie lahmt die Welt, die deinem Ton verschlossen
Hab' einst ich ihren Mißton ausgenossen,
ich öffne Blaubarts Grabgesang mein Ohr.
*
Die Lerche
Im Schlaf wir alle? Und der Traum gemeinsam?
Wir träumten so? Wir wurden so geträumt?
Wer träumte so uns, daß die Traumgestalten,
wir selbst, den Druck, die bunte Wirrnis lebten
und traten aus dem Traum, ihn zu vollbringen?
Doch mit dem Träumer sind wir nun erwacht,
und wollen diesen Tag uns anders träumen,
und wollen, zwischen Mensch und Gottheit lebend,
nie wieder gegen Götter uns erheben
und dennoch lufthoch über Menschen sein!
Wofern sie diesen Traum mit uns geträumt,
so haben sie, wenn allzu irdisch Denken
aus andrer Luft ein Gleichnis noch empfängt,
in uns ihr Tun erkannt und daß Gewalt
den Raum der Welt erobernd nicht erfüllt,
nur leert. Nicht wollen wir, daß sie als Götter
uns ehren, aber sich als Menschen! Dies der Sinn
des Traums. Ein Spiel der Ängste jenes Traums,
den sie vergaßen. Möchten sie ihn so
behalten! Wenn ihr Tun Natur nicht stört,
so Heben wir sie. Schwester Nachtigall
sagt gute Nacht zu ihrer Liebe; ich,
die Lerche, bringe ihrem Tagwerk
den guten Tag. Sind anders sie — uns bleibt
die Schreckgestalt, die wir im Traum gesehn,
und etwas von dem Haß, den wir geträumt:
denn wir vergessen nicht im Flug, wie sie.
Bis wir es wissen, wollen wir sie fliehn
und bleiben, die wir sind, und unter uns!
Doch sei, was wir uns wünschen, ihnen selbst
gewährt, das Glück, vom Bösen frei zu sein.
So teilen wir uns in den Sinn des Spiels:
träumten wir euch, wir wollen es behalten;
träumtet ihr uns, behaltet es mit uns!
Wir sind erwacht. Behüten wir das Glück.
Wir träumten Macht. Wir leben Republik!
Frei lebt der Vogel, dankbar der Natur,
wir ziehn die neue, ziehn die alte Spur,
So heimzukehren, ist der größte Sieg;
so stehn wir auf zum Schwur: Nie wieder Krieg!
Laßt uns erneut an alte Lust gewöhnen.
Die Lerche steigt, die Gottheit zu versöhnen.
Beseligt weih' ich diesen Morgen ein.
Der Mensch ist fort. Die Luft ist rein!