Karl Kraus - Worte in Versen VI



- Alle Texte sind orthografisch unverändert übernommen.
Die Anordung der Texte entspricht der Anordnung im vorliegenden Buch -


 

D E M   K N A B E N   L E N K E R 

Nun bist du los der allzulästigen Schwere,
Bist frei und frank, nun frisch zu deiner Sphäre
Hier ist sie nicht! Verworren, scheckig, wild
Umdrängt uns hier ein fratzenhaft Gebild.
Nur wo du klar ins holde Klare schaust,
Dir angehörst und dir allein vertraust,
Dorthin wo Schönes, Gutes nur gefällt,
Zur Einsamkeit! — Da schaffe deine Welt.

 

Eros und der Dichter


Eros

Stimm' ich nimmer den Verstimmten,
der mich immer suchend fand?
Wenn die Gluten dir verglimmten,
oh wie dunkel wird das Land!
Du, der mir auf allen Spuren
rannte nach in Brand und Hast,
aller Formen und Naturen
nie ersattend gier'ger Gast —

 

Dichter

— noch genießend im Gedenken,
lebt' ich nie die Fülle aus!
Willst du ferner sie mir schenken,
so verschließe ich das Haus.
Laß die Gluten mir verglimmen,
auf den Kopf die Asche streun!
Nimmer wirst du mich bestimmen,
nie mehr wird es sich erneun!

 

Eros

Fliehen mich die Halben, Leeren,
meinem Geiste unverwandt —
soll ich nun auch dich entbehren,
dem aus Nichts die Welt entstand?
Wie ein Schwacher sich ergänze,
wenn er eine Ganze schwächt,
bleib' ich fern von solcher Grenze
und es bleibe im Geschlecht.

 

Dichter

Ja, das war wohl unsre Richtung,
wir verstanden uns im Nichts.
Nun entbehre meine Dichtung
auch noch dieses Schwergewichts.

Ach wie waren wir verloren
doch an das geringste Ding!
Selbst gezeugt und selbst geboren
hatte man auf deinen Wink.

 

Eros

Brauchte nur was hinzuhalten
und gleich hatte es Gestalt
und im Wechsel der Gestalten
war der schönste Aufenthalt.
Himmelwärts erwuchs die Gasse
und der Nacht entflammt' ein Licht.
Wir erkannten der Grimasse
göttergleiches Angesicht.

 

Dichter

Aber immer doch vom Weibe
ging die ganze Wohltat aus.
Suche solchem Zeitvertreibe
endlich dir ein andres Haus!
Wie das Himmelreich aus Plunder
einem Augenblick ersteht,
ausgelernt ist dieses Wunder,
lehr ein anderes Gebet!

 

Eros

Wie du heute mir verwehrend
und verzichtend auch verzagst,
wie du in dich selber kehrend,
immer klagend mir entsagst —
durchgebrannt von deinen Gluten,
reißt es dich von mir nicht fort.
Willst du dich auch noch so sputen,
nehm' ich schneller dich beim Wort!

 

Dichter

Ach beim Wort, es eilt, verweile,
hab ich dich, schon ist es fort,
welche wonnevolle Eile,
wie erregt mich dieses Wort!
Hinter ihm mit einem Satze,
dichter schon auf seiner Spur —
welcher liederlichen Fratze
form' ich feurig die Figur!

 

Eros

Du erkennst sie, die du immer
nah bei solchem Ding erkannt.
Himmlisch wird ein Frauenzimmer
erst durch solchen Höllenbrand!
Nimmer hältst du mich vom Leibe,
du, der mich so stolz bekriegt.
Hier ist keine Spur vom Weibe
und ich hab' dich doch besiegt!

 

Dichter

An der andern Welt Gestade
staun' ich, wie du's mit mir meinst.
Ganz verwirrt von deiner Gnade,
fühl' ich reicher sie als einst.
Werde jenen holdern Bildern,
welchen meine Lust entfernt,
dankbar doch in Worten schildern,
was ich ihnen abgelernt!

*

Du seit langem einziges Erlebnis

Du seit langem einziges Erlebnis
außer dem was ich mir selbst ersonnen,
unerfaßlich nahes Neubegebnis,
das von altersher zu Schlaf geronnen —

Wie du bang erwartet an mich blitzest,
lieblich spielst du am Bewußtseinsrande,
bannst mich, ehe du mich ganz besitzest,
bald erkannt in jeglichem Gewände.

Eben noch von nie geschauter Schöne,
zwingst du mich als Monstrum dich zu lieben
und erlaubst, daß ich mich leicht gewöhne
an den Anblick einer bösen Sieben.

Nun erscheint mit eines Räubers Augen
ganz aus Unheil eine alte Eule.
Aber gleich wirst du mir anders taugen,
denn schon tanzt ein Bär um eine Säule.

Was bedeuten alle diese Leute,
die ich nie gesehn und die da staunen,
daß wir uns begegnen hier und heute,
jeder mit so ganz verschiednen Launen.

Nichts in mir besinnt sich, was verschulde
dies Getriebe zwischen Tag und Traume.
Wenn ich mich ein Weilchen noch gedulde,
nimmt es mich nach einem neuen Raume.

Schon verschieben sich die trüben Sinne
und ich spüre andre Dimensionen.
Und ich weiß nur noch, daß ich beginne
besser bald als irgendwo zu wohnen.

*

 

Das Rätsel

Wenn andern sich ein Rätsel leicht gelöst,
so wird mir erst die Lösung rätselhaft.
Was andern sich in Freiheit drängt und stößt,
hat Raum mir in dem innersten Verhaft.
Zu vielem fühle ich die Kraft.
Doch hält ein Bild, dann eine Tür,
ein Ding, ein Wort, ein Stück Papier
mich zauberhaft.
Ich kann dawider nichts, und nichts dafür.

*

 

Auf die wunderbare Rettung der Wunderbaren

Als dich die Flut uns entriß,
nie in der Welt noch war
so viel Wasser und doch
nicht so viel Wasser, als wir
Thränen um dich vergossen hätten.

Und wir hörten den Schrei,
weißem Munde entquoll
letzte Frage an Gott,
ob es in seinem Plan
oder nur zur Versuchung sei.

Schon Verwaiste, dahin
stürzten wir, hin zu dir,
hin durch die Todgewalt
riß uns das bebende Herz
zu deinem ringenden Herzen fort.

Er aber, den es rief,
rief den Tod und die Flut
ab von dem Wunderwerk,
das er doch nicht erschuf,
um es so blind zu zerstören und uns.

Wunderbegnadete du,
Glückliche, die den Tod
vor dem Leben erfuhr —
wir, die nur einmal sind,
sind entschädigt, wir wissen: du lebst!

*

 

Schöpfung

Bevor es eintrat in die Zeit,
war's da in aller Dagewesenheit:
von dort muß es der Dichter haben.
Wo dichtend sie am Dichter sich erlaben,
da dringt kein Leben in das Leben ein.
Sie bilden nicht, was vor und nach gewesen,
sie leben nicht, noch ehe sie begraben,
die, ehe sie gelesen werden, lesen.
Sie sind als ganze nicht und nie vorhanden,
gebildet aus Vorhandenem; zuschanden
am Leben wird der zeitgeborne Schein,
und was sie wirken, tritt nicht aus der Zeit:
es bleibt im Banne der Erlesenheit.
Und nur das Vorvorhandne ist erhaben.

*

 

Die Bürger, die Künstler und der Narr

Unter einem Künstler verstehen sie einen,
der sich nicht abgibt mit solchen Schweinen
und nichts zu tun hat mit allen den Dingen,
die ihnen im Handumdrehn gelingen,
um sich dafür mit Schaffen und Schreiben
und hauptsächlich ihnen die Zeit zu vertreiben;
und da er doch von Beruf ein Träumer
und deshalb auch Schuldterminversäumer,
der das tut, wozu er nicht ist verpflichtet,
und das andere lieber läßt unverrichtet,
so kann er zwar leichter als sie sich entflammen,
sonst aber geht es ihm gar nicht zusammen.
Und teilten die Bürger nicht besser sichs ein,
ja dann könnten sie auch solche Künstler sein!

Nun haben sie, sagen wir's ehrlich und offen,
den Nagel nicht weit von dem Kopfe getroffen,
und hätten sie just nichts andres zu tun,
so könnten sie auch auf Lorbeern ruhn.
Denn wem nur die Bürgertugenden fehlen,
der mag sich heut gleich zu den Künstlern zählen
und in diesem Belang und zu diesem Behufe
genügt schon die Scheu vor dem andern Berufe;
da wird man wahrlich in kürzester Frist
und am leichtesten das, was man nicht ist,
und wo nichts ist, erwartet zum Lohn
jeder Trottel die Inspiration.
Und fehlte sie, fiele den Künstlern nur ein,
ja dann würden sie auch solche Bürger sein!

Indessen sitzt einer, als wärs zur Strafe
und wie ein Bureau- oder Bagnosklave,
und wartet auf nichts, sondern zwingt es herbei
im täglichen, nächtlichen Einerlei,
und er ringt um das Wort und ringsum ist es still
und es folgt ihm aufs Wort, weil er will, weil er will,
und was seinem werbenden Willen gelang,
es bezwang ihn noch mehr als er selbst es bezwang,
und nicht frei wie der Künstler hat er es verrichtet,
doch er fühlt sich auch nicht wie der Bürger verpflichtet,
und er schuf es sich selbst und sich selbst zum Verdruß
und das ist sein Genuß, denn er muß, denn er muß.
Und Künstler und Bürger, sie sind überein:
nein, sie möchten nicht solche Narren sein!

*

 

Inschriften


Lyrik der Deutschen

Wer kann, ist ihr Mann und nicht einer, der muß,
sie irrten vom Wesen zum Scheine.
Ihr lyrischer Fall war nicht Claudius,
aber Heine.

*

Er

Er trug ein Haupt, das ragte himmelan,
daß es im Götterkreise wohne.
Und keinem Gotte Untertan,
neigt Goethe sich zu einer Fürstenkrone.

Der zu den Müttern sich hinabgewagt,
war auch um Ahnen noch beflissen;
und was in Weimar blieb der Welt versagt,
gab Gotha ihrem Genius zu wissen.

In seinem Geist könnt' Höchstes nur geschehn,
doch mocht's ihn nach dem Allerhöchsten dürsten.
Beethoven ließ er gnädig stehn
und drehte sich devot zu einem Fürsten.

Er war nach oben und nach oben
ein immer strebender Vollender.
Wie war die Welt von Goethes Faust erhoben!
Und er von Gothas Hofkalender.

*

Der Antichrist

Wie heiter und listig und insgeheim,
wie viel verheißend und frustra!
Und das Ergebnis ist dieser Reim,
denn also versprach Zarathustra.

Welch weise wissender Arzt der Zeit!
Es war ihrer Krankheit Wesen,
daß sie seit damals und bis heut
von ihm nicht konnte genesen.

Welch fröhliche Philosophenart!
Sie spielte mit einer Feder;
ging irre, noch ehe sie irre ward,
und tanzte auf dem Katheder.

Und lachte ohne jeden Humor
ein dionysisches Lachen.
Da konnte der Kant als ein unreiner Tor
sich stumm aus dem Staube machen.

Man lachte sich über den Herrgott schief,
metaphysische Sehnsucht zu stillen.
Ein kategorischer Diminutiv
verlieh uns zur Macht den Willen,

Die Heiligen wurden ausgelacht,
und was sie auch litten und lehrten.
Er hat es dem Unwert leicht gemacht,
die Werte umzuwerten.

An diesem halkyonischen Fest
wird die Welt noch lange kranken.
Die deutsche Literatenpest
hat sie dem Arzt zu verdanken.

Der christliche Gott ist gut genug,
daß er uns von dem Übel erlöse.
Es verhieß uns ein anderer Pfaffenbetrug
ein Jenseits von Gut und Böse.

*

Ein Satiriker

In einem Buch, wo ers ernst getrieben,
ein wahrhaft teuflischer Spott wohnt.
Da wurden Rezensionen geschmiert,
weil er die »Briefe an Gott« geschrieben.
Doch hat jene findige Post sich blamiert,
indem die Zustellung unterblieben.
Er wußte nicht, wo Gott wohnt.

*

Literatur

Weil er sich nicht geniert hat,
glaubt er, er sei ein Genie.
Weil er uns nicht amüsiert hat,
hält ers für Poesie.
Weil er einst onaniert hat,
wirds eine Autobiographie.

*

Expressionismus

Dem, der den Dunst
im Spiele ballt,
wird keine Gestalt,
nur ein Eindruck glücken.
Es ist die Kunst —
daß ihrs nur wißt —:
was drinnen nicht ist,
auch nicht auszudrücken.

*

Der Journalist

Warum er just diesen Beruf erwählt hat?
Weil er alle andern verfehlt hat.

*

Der Vielschreiber

Wie schrieb er so viel,
was mir nicht gefiel?
Er schrieb nicht, was ihm einfiel,
das war ja nicht viel,
doch er schrieb, was ihm einfiel,
das war viel und gefiel.
Ist im zwanglosen Stil
nur der Zufall im Spiel
und der Beifall das Ziel,
gibt es viel und nihil.

*

Heine und die Folgen

Seit dieser Prosa, diesem Buch der Lieder
hats jeder leicht, die Lust der Sprache zu verringern.
Er löste ihr das Mieder,
damit sie an ihren Brüsten fingern.

*

Erlebnis

Ich hab von dem fahrenden Zuge geträumt,
ich werde den letzten Zug noch versäumen
und werde den jüngsten Tag dann verträumen
und warte in ewigen Warteräumen
und du bist mir dahin und ich hab dich versäumt.

Und so fährst du dahin und du hast mich versäumt
und ich muß meinen Traum deinem Leben räumen
und er lockte zu leben, dich trieb es zu träumen
vorüber an Bäumen und Himmelssäumen,
als ich von dem fahrenden Zuge geträumt.

* * *

 

Fernes Licht mit nahem Schein

Fernes Licht mit nahem Schein
wie ich mich auch lenke,
lockt es dich nicht da zu sein,
wenn ich an dich denke?

Wo du bist, du sagst es nicht
und du kannst nicht lügen.
Nahen Schein von fernem Licht
läßt du mir genügen.

Wüßt' ich, wo das ferne Licht,
wo es aufgegangen,
naher Schein, er wehrte nicht,
leicht dich zu erlangen.

Fernes Licht mit nahem Schein
mir zu Lust und Harme,
lockt es dich nicht da zu sein,
wenn ich dich umarme?

*

 

Dein Fehler

Dein Fehler, Liebste, ach ich liebe ihn,
weil du ihn hast,
und er ist eine deiner liebsten Gaben.
Seh' ich an andern ihn, so seh' ich fast
dich selbst und sehe nach dem Fehler hin,
und alle will ich lieben, die ihn haben!

Fehlst du mir einst und fehlt dein Fehler mir,
weil du dahin,
wie wollt' ich, Liebste, lieber dich ergänzen
als durch den Fehler? Ach ich liebe ihn,
und seh' ich ihn schon längst nicht mehr an dir,
die Häßlichste wird mir durch ihn erglänzen!

Doch träte selbst die Schönste vor mich hin,
und fehlerlos,
ich wäre meines Drangs zu dir kein Hehler.
Ihr, die so vieles hat, fehlt eines bloß
und alles drum — ach wie vermiss' ich ihn —
ihr fehlt doch, Liebste, was mir fehlt: dein Fehler

*

 

Verlust

Welche Armut soll erwählt sein!
Welch ein trauriger Verzicht!
Meinem nächtlichen Gequältsein
abgewendet dein Gesicht!

Zum Verlust war ich erkoren,
weil du so dich mir verlorst.
Doch du selbst warst dir verloren,
als du dich dir selbst erkorst.

Was kann uns denn uns ersetzen?
Du auch darbst, weil ich entfernt.
Wie sich deine Augen netzen,
seit mein Himmel unbesternt!

Nie war tiefere Verwandtschaft
zweier Seelen in dem All.
Wie betrübt ist alle Landschaft,
wie versiegt der Wasserfall.

Nie mehr wird die Wiese grünen,
niemals mehr ein Himmel blaut.
Ach wie schmerzlich muß ich sühnen,
daß ich dich zu groß geschaut!

Aber ist's nicht größre Sünde,
was Natur an mir verbrach?
Denn es stürzen alle Gründe
und ich stürze ihnen nach.

*

 

Du bist sie, die ich nie gekannt

Du bist sie, die ich nie gekannt,
die ich nicht nahm, die ich nicht hatte.
Du keine Gattin, ich dein Gatte
in einem andern Eheband.

Du bist ein Wahn und bist ein Wille,
ein himmlisch Wesen, Erdenwurm.
Du rufst, und rings um dich ist Stille.
Du schweigst, und rings um dich ist Sturm.

Du bist der Baum in seiner Blüte.
Du bist das Tier in seiner Kraft.
Du bist die reine Gottesgüte.
Du bist die dunkle Leidenschaft.

Du bist mir da und bist mir dorten,
ein tiefer Ton, ein weiter Schall.
Du bist Musik zu meinen Worten,
ein Nirgend und ein Überall.

Des Tags bist du ein Traumgebilde;
in jedem Traum bist du mir nah.
Zuständig bist du dem Gefilde,
das ich mir vor der Zeit ersah.

Bei Tag und Nacht streift eine Wonne
vorüber meinem Horizont;
und sinkst mir unter du als Sonne,
so steigst du wieder auf als Mond.

Du lebst in Tiefen, webst in Höhen,
du schwebst und fällst in Lust und Qual.
Um dein heroisch Auferstehen
sieht man dich manchesmal banal.

Nie bleibst du an der Erde haften,
du stehst in einem höhern Plan;
vereinigst alle Eigenschaften
und bist doch keiner Untertan.

Lebst ohne Ruh und ohne Reue,
es schwindelt mir auf deiner Spur,
und immer nur hältst du die Treue
dir und der liebenden Natur.

Hab ich gewonnen die Verlorne,
bestreitet sie mir den Gewinn.
Entschwand sie mir, erstand dem Sinn
die nie gekannte Schaumgeborne.

*

 

Dialog

»Sag mir, wie lange währt die Ewigkeit?«
»Nicht länger, als den Augenblick
das Glück,
das ich empfange und gewähre.«
»Nicht die! Die andre, die auf Zeit;
die du versprachst,
eh du die Treue brachst.«
»Versprach ich sie auf Ehre?
Du Tor, da ich sie dir versprach,
da war ich doch so schwach, nicht weniger schwach,
als später, da sie nach und nach,
ich weiß nicht wie, 's ist eine Ewigkeit,
und heut
ist's mir unendlich leid, mir brach. Sei's wie es sei,
dies Glück ging mir vorbei zum Glück.
Und da es doch vorbei,
ist's einerlei
im Augenblick.
Auf den, bei meiner Ehre,
auf den nur kommt es an, von Zeit zu Zeit,
und ach, er währt, den ich empfange und gewähre,
glaub mir, so lange wie die Ewigkeit!«

*

 

Dank

Was weiß die Welt, wie Weiber sich erwärmen
Mit seinem Maß nur mag der Mann sie messen,
was drüber ist, verachten und vergessen,
und was darunter, minniglich umschwärmen.

Moral des Mangels will die Lust verhärmen
und bindet sie an Normen und Intressen;
läßt sie sich ins Prokrustesbett nicht pressen,
fängt jener ob der Größe an zu lärmen.

O Welt, die niemals zu der Quelle dringt,
durch die sie lebt — an jedem Tage neuer
empfängt der Geist sie und das Werk gelingt!

Dich Gnadenvolle fühl' ich ungeheuer,
der meine Seele in Äonen singt.
Ich stürze mich in deine Abenteuer!

*

 

Sturm und Stille

Weh mir, daß deine Stille mir versagte,
als ich in meinem Sturm zu dir mich wagte.
Allgegenwärtig war, was mich verzückte!
Und nie im Leben traf ich die Entrückte.

Weh mir, daß ich das Beste, was ich wußte,
dich selber, selbst vor dir verbergen mußte.
An dir empor: welch grenzenloses Wagen!
Erlangt, erlebt — und könnt' es dir nicht sagen.

*

 

Sonntag

Die Welt ist neu, wir wollen Anteil nehmen.
Aus Blut erblüht. Und immer wieder Rosen.
Wir haßten, um zu kosen.
Wir wollen uns zum Glück bequemen.

Und euch gelingts; und wie es immer sei,
ein jeder triffts und jeder führt's am Arm.
Daß Gott erbarm!
Der meinige ist frei.

Weiß, wie es kam, und daß der Tag vergeht
und daß er Platz macht andern Tagen.
Und eure Kinder werden einst erschlagen.
Wie viel ist's an der Zeit? Zu spät.

*

 

Kärntnerstraße
1918

Da kroch einer mit zerbrochenem Rücken
auf zwei Krücken.
Das war einer von den Helden, den Recken;
man mußt' ihm das Geld in die Tasche stecken.
Da trat Einer aufrechten Schritts aus dem Sacher,
jeder Zoll ein Macher.
Die Annalen werden an ihn erinnern; «.
es war einer von unsern Kriegsgewinnern.
Er kam gerade vom Mittagessen
und konnte es nicht vergessen,
denn er hatte zwischen den Zähnen eine Lücke,
da war Platz für eine Krücke.
Und im Maule das Holz
schritt er stolz
durch das Spalier von Helden und Hungerleidern
und sonstigem Volk mit zerrissenen Kleidern.
Und sie sahen ihm nach und sie sagten: Seht,
wie sieghaft er über uns Leichen geht.
Denn wir andern, wir sind ja doch heute
nichts als durch den Krieg ruinierte Leute.
Wer aber heute so ausschreiten kann,
der ist durch den Krieg ein gemachter Mann;
ders mit Recht noch verübelt, daß ihm die Leichen
nicht in der Lage sind auszuweichen
und daß man ihm nur im Wege steht,
wenn er vom Fressen wieder ans Geldmachen geht.
Und da schritt Einer, auch der schien nicht faul,
doch hatte er eine Importe im Maul.
Wir andern, die wir kein Essen brauchen,
wir haben auch lange schon nichts zu rauchen.
Er fühlt, es trifft ihn manch flehender Blick;
denn wer ersehnte sich heut keinen Tschick?
Und er blickt in die Runde — Bewerber genug! —
und macht noch im Suchen manch kräftigen Zug.
Doch wie er den zerbrochenen Rücken sieht,
regt sich das Gemüt.
Ja, das ist einer von unseren Braven,
der hat vor dem Feind gewiß nicht geschlafen,
der ging immer druff, der fiel immer feste —
dem spendier' ich den Rest vom Zigarrenreste!
Den armen Leuten gehts jetzt an den Kragen,
da gilt es sein Scherflein beizutragen.
Und so, mit der Nächstenliebe im Sinn,
wirft er den Stummel dem Stummel hin.
Der möchte sich gerne noch tiefer bücken,
doch hindert ihn der zerbrochene Rücken.
Gleich stürzt herzu ein wilder Haufen
von Toten, die um den Stummel raufen,
Helden und Bettler und Bettelkinder,
den Leuten gehts schlecht, das sieht doch ein Blinder.
Nur die Blinden, die gleich daneben stehn,
die haben es dennoch nicht gesehn.
Und vor denen braucht man sich auch nicht zu schämen,
denen könnte man statt zu geben noch nehmen.
Doch jener hat Herz und wirft auf den Teller,
ihm kommts nicht drauf an, gleich mehrere Heller;
und sieht sich, da es der Blinde nicht sieht,
nach Zeugen um für sein gutes Gemüt.
Die Zigarre geopfert und — ist's nicht genug? —
dazu nun noch dieser schöne Zug!
Da bleiben die Leute staunend stehn,
denn so etwas haben sie noch nicht gesehn.
Und jener sieht sich die Wirkung an
und denkt: So ist es wohlgetan.
Man möchte gern öfter die Leute beschenken,
doch muß man ja auch an sich selber denken.
Man lebt nicht allein zur Gemütserbauung,
und allzuviel Hunger ist ungesund;
man kann doch nicht allen helfen und
es stört einem schließlich die Verdauung.

*

Wien
 

In einer Straße des dritten Bezirkes
ist ein wutkranker Schakal aufgetaucht.

Nirgend auf der Hemisphäre
leben solche Mißgeburten
wie im Land der Habedjehre;
und jetzt tragen sie noch Gurten.

Aug vom Schwein, Hyänenpranke,
doch ein elegantes Tragen,
in den Köpfen kein Gedanke —
da muß man schon tulli sagen.

Drahn und obidrahn ihr Leben,
es ist eine eigene Sekte,
und mir wills den Magen heben
schon vor diesem Dialekte.

Taarlos —! ist ihnen alles,
stets wird Kaiserwetter lachen.
Hat jedoch der Dreck den Dalles,
no da kann man halt nix machen.

Doch es kann ja nix geschehen,
darum nur sich nicht genieren,
denn man wird ja doch da sehen
oder gar net ignorieren.

Diese jüdisch-arschen Töne
kommen wie von einem Grimmen
und gebannt von Schönpflugschöne
hör ich schaudernd Wiener Stimmen.

Bot der Himmel was er konnte:
D' Geigerbuam die bestbekannten,
so erstehn am Horizonte
sogenannte Resitanten.

Aber zu den Drahdiwaberln
zählt die mudlsaubere Nichte,
Mädchenbrüste sind Gspaßlaberln,
aber Mehlspeisen Gedichte.

Dort bei Sirk, gleich um die Ecke
gilt es, seine Zeit zu nützen.
Denn das Leben dient dem Zwecke,
teils zu würzen, teils zu blitzen.

Schieber schieben auf dem Striche,
Strizzi, Mizzi, Kipper, Wipper.
Aber jener fürchterliche
Oberleutnant hat den Tripper.

Gustomenscherln gibts hienieden —
manche, die es hergegeben,
mit dem Tausch war wohl zufrieden,
denn sie kriegte was fürs Leben.

Nichts besteht. Jedoch zu haben
alles ist bei den Lemuren.
Gehn die Weiber gern am Graben,
sind dafür die Männer Huren.

Wie sie wackeln mit den Ärschen,
eingedenk der Lorbeerreiser,
gerne ließen sie beherrschen
wieder sich von einem Kaiser.

Müssen mit dem Feind sich fretten —
Katzelmacher haben Lire.
Weiber bieten ihre Betten
und die Männer stehn Spaliere.

Diesen ist es eine Ehre,
jene heben ihre Hemden,
alles hebt sich im Verkehre
mit den langentbehrten Fremden.

Also fahr' ma, also drah' ma
um und auf vom Turf zum Thury —
Hetz und Gstanz und Ramatama,
Pallawatsch und Remasuri.

Unterhalten, überhalten
und ein Griff tief in das Tascherl.
Ehe alles bleibt beim Alten,
trinken wir halt noch ein Flascherl!

Nichts gelingt in diesem Lande,
dem gemütlich faulen, holden,
wo der Dialekt imstande,
den Verdruß dir zu vergolden.

Willst in hoffnungslosem Harren
telephonisch dich beklagen,
hält ein Kobold dich zum Narren
und wird gleich »Momenterl!« sagen.

Alles steht dir zu Gebote,
doch es steht. Und wie am Schnürl
geht es nur mit einer Note.
Oder auch durchs Hintertürl.

Alles steht herum im Raume,
alles hindert dich im Schreiten
und du lebst in einem Traume,
wo dich Lamien begleiten.

Auf Plakaten, grell und gräßlich,
stößt ein Eber seine Hauer
in das Leben — unvergeßlich
bleibe dir der Rockenbauer!

Tausendfacher Alpdruck täglich
soll dir ins Bewußtsein dringen.
Jenes Ungetüm, unsäglich,
kann die ganze Welt verschlingen,

Farbenbrüllend weist ein Satan,
wo die Quelle für den Durst ist,
doch das Maul vom Leviathan
zeigt, daß eh schon alles Wurst ist.

Magyar ember packt zuhause
Menschen an mit einem Messer.
Kurzerhand macht ers zur Jause
ab als der Salamifresser.

Pest der Straße, Fest der Presse,
diese prassen, jene fasten.
Tag und Nacht ist Teufelsmesse
zu den gräßlichen Kontrasten.

Unbewegt vom Untergange,
fühllos wo die Menschheit duldet,
wird dem Bürgersinn nur bange
nach den Mächten, die's verschuldet.

Kinder haben keine Windel.
Ganz und gar in Seidenwäsche,
trauert dieses Erzgesindel
um die Majestät, die fesche.

Frierend läßt um eine Semmel
eine für ihr Kind sich hunzen.
Vormittag schon frißt bei Demel
eine pelzgefüllte Funzen.

Wie der Feschak, unerschlagen,
dieser süße, dieser satte,
ihr gleich »Kißtiand!« wird sagen
und »Was macht der Göttergatte?« —

grausend fühl ich die Gebreste
und das Chaos rings um diesen
und vor dieser einen Geste
welken alle grünen Wiesen.

Welch ein Ratschluß, daß hienieden
nur der Schuft gesund spaziere!
Blinde gibts und Invaliden,
Göttergatten, Gürteltiere.

Welch ein Korso! Jene hungern,
jene mühn sich und ermatten.
Und um die Hoteltür lungern
Gürteltiere, Göttergatten.

Diese Mienen, diese Mähnen
sonderbar gekerbter Wesen!
Schwarzgelb fleckige Hyänen,
doch sie können Kurse lesen.

Seht, wie sie die Luft beglotzen,
eh sie sie den Menschen nehmen.
Und sie können Phrasen kotzen,
diese blutgenährten Schemen.

Daß von Müttern sie geboren,
nimmer möchte ich es glauben,
die, nachdem die Schlacht verloren,
unverzagt den Tod berauben.

Nein, dem Teufel, ich will wetten,
sind sie als ein Furz entsprungen
oder gar aus Operetten
in das Leben eingedrungen.

Und noch immer nicht genug war,
was für sie die Menschheit büßte,
deren Opfer ein Betrug war.
Und das Leben wächst zur Wüste.

Wölfe sind es, groß und greulich.
Wahrt das Blut, das euch geblieben
Schon hat sich ein Schakal neulich
wütend hier herumgetrieben.

Moderluft erfüllt die Gasse,
denn es leben nur Gespenster.
Um zu atmen, rat ich, lasse
schleunig schließen alle Fenster!

*

 

Die drei gelegentlichen Mitarbeiter

Der erste

Der Frühschein schon über der Finsternis liegt.
Der Walzer hat über den Tango gesiegt.

Der zweite

Wie sich endlich der Frohsinn der Trübsal gesellt!
Es sind die Vertreter der Handelswelt.

Der dritte

Das Leben erholt sich von mühvollen Taten,
's gibt Industriekapitäne und Bankmagnaten.

Der erste

Ich muß nicht mehr in der Einsamkeit wandern.
Ich habe sie schon bemerkt unter andern.

Der zweite

Mir scheint selbst, das Ziel ist gar nicht mehr weit.
Ich hatte bereits die Gelegenheit.

Der dritte

Man hat auch genug von dem Treiben der Truppen.
Es bilden sich wieder die anderen Gruppen.

Der erste

Das wird, mein' ich, jetzt ein ganz anderer Fall.
Ich wittere Morgenluft und Concordiaball!

Der zweite

Er übertrifft ganz gewiß seine Vorgänger weit.
Frau Fanto trägt ein Ecru-Creme-Crepe-Souplekleid.

Der dritte

Die Estrade wird kaum ihre Zugkraft verlieren.
Das Publikum seh' ich bereits sich massieren.

Der erste

Daß sie, gottbehüt, nicht zusammenbräche!
Jetzt ziehn sie sich alle schon in die Gespräche.

Der zweite

Jetzt kommen auch die, die sich immer begeben.
Was sich sonst noch begibt, soll man nicht erleben.

Der dritte

Der Salvator hat einen elastischen Schritt.
Drei kaiserliche Räte erscheinen zu dritt.

Der erste

Zwei Konsuln erscheinen, weil man sie vermißte
sonst in der sonst schon vollzähligen Liste.

Der zweite

Man verliert keine Zeit, die Verlustliste lesend.
Zum Glück ist, was Namen hat, heute anwesend.

Der dritte

Denn hier geschieht, was längst geschah;
schaun Sie her, der Angelo Eisner ist da!

Der erste

Es wimmelt von Sternen und auch Koryphän,
nein, was sich da tut, man wird doch da sehn!

Der zweite

Der Generalstab ist verhindert, aber der Höfer ist erschienen.
Noch liegt der Ernst auf den sämtlichen Mienen.

Der dritte

In der welthistorischen Faschingsnacht
weiß man doch, wofür man die Opfer gebracht.

Der erste

Gern möcht ich noch wissen, was der Feind sich da dächte.
Denn, ei, der Humor tritt schon in seine Rechte.

Der zweite

Sieh, alles ist da, die Niedern und Obern.
Die Jugend will sich das Tanzrecht erobern.

Der dritte

Ich fürchte, zu Ende geht dieses Fest.
Sie sehn doch, der Teufel tanzt mit der Pest!

                          Sie entfliehn.

*

 

Die Zeitung

Weißt du, der du die Zeitung liest,
wie viele Bäume mußten bluten,
damit geblendet von Valuten
du dein Gesicht in diesem Spiegel siehst,
um wieder dich an dein Geschäft zu sputen?

Weißt du, der du die Zeitung liest,
wie viele Menschen dafür sterben,
daß wenige sich Lust erwerben
und dafür, daß die Kreatur genießt
der Kreatur unsägliches Verderben?


Und kannst du, wissend, doch die Zeitung lesen?
Verhängt das Blatt des Tags dir nicht das Licht?
Wie wächst der Trug gewaltig zum Gewicht
und drohend dieser Schein zum Wesen!
Ich seh den Wald vor lauter Blättern nicht!

*

 

Definition

Was ist
der Journalist?
Beim Element:
Ein unser Denken störender,
mit unsern Ohren hörender,
mit unsern Augen guckender,
uns auf die Zunge spuckender,
uns die Kopfhaut juckender,
unsre Kultur verdruckender,
sich unser Blut verschreibender,
doch uns nichts schuldig bleibender
ja uns die Zeit vertreibender,
uns blendender und betäubender,
und unsre Felle beizender,
und unsre Hölle heizender,
unsre Nase schneuzender,
unsern Ekel reizender,
mit seinen Händen redender,
aber sonst uns ganz vertretender
Agent.

*

 

Couplet des Schwarz-Drucker

Im Anfang war die Presse
und dann erschien die Welt.
Im eigenen Interesse
hat sie sich uns gesellt.
Nach unserer Vorbereitung
sieht Gott, daß es gelingt,
und so die Welt zur Zeitung er bringt.

Die Welt war es zufrieden,
die auf die Presse kam,
weil schließlich doch hienieden
Notiz man von ihr nahm.
Auch was sich nicht ereignet,
zu unserer Kenntnis dringt;
wenns nur fürs Blatt geeignet —
man bringt.

Wenn auch das Blatt die Läus hat,
die Leser gehn nicht aus;
denn was man schwarz auf weiß hat,
trägt man getrost nachhaus.
Was wir der Welt auch rauben,
sie bringt uns unbedingt
dafür doch ihren Glauben;
sie bringt.

Sie lesen, was erschienen,
sie denken, was man meint.
Noch mehr läßt sich verdienen,
wenn etwas nicht erscheint.
Wir schweigen oder schreiben,
ob jener auch zerspringt —
wenn uns nur unser Treiben
was bringt.

Die Welt, soweit sie lebend,
singt unsere Melodie.
Wir bleiben tonangebend
von aller Gottesfrüh.
Nach unsern notigen Noten
die Menschheit tanzt und hinkt,
weil Dank sie für die Toten
uns bringt!

Die Zeit lernt von uns Mores,
der Geist ist uns zur Hand,
denn als Kulturfaktores
sind wir der Welt bekannt.
Kommt her, Gelehrte, Denker,
komm, was da sagt und singt,
daß hoch hinauf der Henker
euch bringt!

Wir bringen, dringen, schlingen
uns in das Leben ein.
Wo wir den Wert bezwingen,
erschaffen wir den Schein.
Schwarz ist's wie in der Hölle,
die auch von Schwefel stinkt,
wohin an Teufels Stelle
man bringt!

*

 

Nach Nestroy


»Ja, die Zeit ändert viel«
(Der Talisman)


Wer hat nicht den glorreichen Helden gekannt,
Wie sein Zigarrl steckt er eine Ortschaft in Brand.
Die Mannschaft war ihm gut genug zum krepieren,
Derweil sich die Herrn in der Mess' amüsieren.
Ja, damals war's bunt, aber nacher wird's bunter,
Beim Umsturz da reißen s' die Stern' ihm herunter.
Jetzt is er ein einfacher Schieber in Zivil.
Ja, die Zeit ändert viel.

Kam' einer aus'm Grab heut, der erlebt' allerhand!
Um den Preis einer Villa fahrt er jetzt auf das Land.
Den Zins in der Stadt zahlt er mit ein' Packl Zigarren,
Aber um a paar tausend Kronen kriegt er erst einen Schmarren.
Mit'n Aufhängen gehts nicht, dazu is er zu stier,
Und außerdem sein ja die Strick' aus Papier.
Nur die Regierung is ihr Geld wert. Sie druckt, wie viel s' will.
Ja, die Zeit ändert viel.

Jetzt sieht man Gestalten in unserem Wien,
Die sind g'wiß von der Hölle direkt ausgespien.
Bevor diese Erde in Brand aufgegangen,
Haben s' irgendwo unten ganz klein angefangen.
Jetzt sind sie obenauf, und vom Felde der Ehre,
Wo die andern begraben, beginnt ihre Karriere.
Jetzt sitzen s' in Logen, fahren im Automobil.
Ja, die Zeit ändert viel.

Es hat einer einst alles reiflich erwogen.
Drauf sind Millionen zur Schlachtbank gezogen.
Ja, das ghört sich, daß die Völker fürs Vaterland sterben,
Denn nur so kann es sich ein Prestige ja erwerben.
Jetzt, wo sie statt dessen ein bißl Fleisch dürfen suchen —
Ja, jetzt möcht man doch glauben, daß sie die Betrüger verfluchen?
Konträr, sie ersehnen sie tränenden Blicks.
Nein, die Zeit ändert nix!

*

»Da hab' i schon g'nur!«
(Der Talisman)

Die Minister jetzt gfall'n mir; man weiß, was sie wollen,
Ihr Programm ist, daß die andern mehr arbeiten sollen.
Und weil die Minister bisher zu verschwenderisch waren,
So sollen die andern dafür jetzt mehr sparen.
Ja und nacher möchten s' auch Ordnung und Ruh.
Na, da hab' i schon g'nur.

Um nicht immer wieder zu warten und lauern
Auf Milch für ihr Kind, fährt eine zum Bauern.
Sie bietet einen Tausender. Doch der Handel ist ihm fremd,
Er spekuliert nicht auf Gewinn, er will bloß ihr Hemd.
»Was? An Tausender?« — und haut gleich die Tür vor ihr zur —
»Da hab i schon g'nur!«

Uns fehlts ja an allem und vor allem an Geld,
Denn wir haben es in Fülle und so kommts, daß es fehlt.
Wir wollen's ja net g'schenkt hab'n, was glauben S' denn, ich bitt,
Euer Gnaden, so fahr' mr halt gegen Kredit!
Und Versprechungen strömen uns schaffelweis zur.
Na, da hab'n wir schon g'nur!

Es gibt einen Schnorrer — Sie wer'n ihn ja kennen —
Der will sich von seinen Gobelins halt nicht trennen.
Er bettelt mit aufgehobenen Händen
Um a Brot, doch er laßt keinen Teppich verpfänden.
Er kann ja nicht leben ohne Kultur!
Na, da hab' i schon g'nur.

Zur österreichischen Bank is einer gegangen,
Denn es steht auf der Note: sie zahlt sofort auf Verlangen
Das gesetzliche Metallgeld. Er besteht auf dem Schein.
Da sagt der Kassier: »Ja, was fallt Ihnen ein?
A Metallgeld! Gehn S' ham und geb'n S' a Ruh!
Da ham mer net g'nur!«

*

 

»Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang«
(Lumpazivagabundus)

Es is kein' Ordnung mehr jetzt in die Stern',
D' Kometen müßten sonst, verboten wer'n;
Ein Komet reist ohne Unterlaß
Um am Firmament und hat kein' Paß;
Und jetzt rieht' a so a Vagabund
Uns die Welt bei Butz und Stingel z'grund.
Aber lass'n ma das, wie's oben steht,
Auch unt' sieht man, daß's auf'n Ruin losgeht.


»Ja, a Kontroll' muß halt sein, sonst gibt's kein' Kredit!«
So hab'n s' g'sagt, doch sie wer'n mit uns anders noch quitt.
Was ein richtiges Schaf is, gibt auch so seine Woll':
Jetzt krieg'n ma an' Dreck und dazu a Kontroll'!


Da wird einem halt angst und bang,
Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang lang lang lang lang lang
Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang.




Am Himmel is die Sonn' jetzt voll Kapriz,
Mitten in die Hundstag' gibt's kein' Hitz;
Und der Mond geht auf so rot, auf Ehr',
Nicht anderster, als wann er b'soffen war';
Die Millistraßen oben, die verliert ihren Glanz,
Die Milliweiber ob'n verpantschen s' ganz.
Aber lass'n ma das — herunt' geht's bunt,
Herunt' schon sieht man's klar, die Welt geht z'grund.


Ich war jüngst im Theater, das vergesse ich nie,
Vom Stück weiß ich nix mehr, aber von der Regie!
Überm Orchester war a Steg und auf der Bühne a Treppen
Und g'spielt hab'n s' wie die Trotteln und applaudiert hab'n
die Teppen.

Da wird einem halt angst und bang,
Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang lang lang lang lang lang
Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang.




Der Mondschein, da mög'n s' einmal sag'n, was s' woll'n,
Ich find', er is auf einer Seiten g'schwoll'n;
Die Stern' wer'n sich verkühl'n, ich sag's voraus,
Sie setzen sich zu stark der Nachtluft aus;
Der Sonn', ihr' G'sundheit is jetzt auch schon weg,
Durch'n Tubus sieht man's klar, sie hat die Fleck'.
Aber lass'n ma das, was oben g'schiecht,
Herunt' schon sieht man, 's tut's in d' Länge nicht.


Nein, das wird sich nicht halten, wir brauchen an' Herrn,
Denn fürs Vaterland sterben die Leut' halt so gern.
Wann wir erst einen Kaiser hab'n, da is nacher ka Kunst,
Dann krieg'n ma das Fleisch und die Butter umsunst.
Nach'm Kaiser is uns halt schon bang,
Denn dann steht d' Welt g'wiß noch recht lang lang lang
                                                                    lang lang lang
Denn dann steht d' Welt g'wiß noch recht lang.




Die Fixstern', sag'n s', sind alleweil auf ei'm Fleck,
's is erlog'n, beim Tag sind s' alle weg;
's bringt jetzt der allerbeste Astronom
Kein' saubre Sonnenfinsternis mehr z'samm' ;
Die Venus kriegt auch ganz eine andre G'stalt,
Wer kann davor, sie wird halt a schon alt.
Aber wenn auch ob'n schon alles kracht,
Herunt' is was, was mir noch Hoffnung macht.

Die Bankschieber, die retten uns — doch ziagt es sich hin.
Zuerst legen s' uns hinein und so lieg'n ma halt drin.
Dann retten s' uns wieder — da is's wieder aus.
Da hab'n s' g'sagt, ja die Notenbank, die reißt uns heraus.
Bis zur Rettung, da brauch'n ma noch lang —
Sie schieben sie halt auf d' lange Bank Bank Bank
                                                      Bank Bank Bank
Sie schieben sie halt auf d' lange Bank.

 

Mit den Himmelszeichen, da is's auch a G'schicht',
Der Schütz trifft halt den Löwen noch immer nicht;
Der Wassermann in so viel tausend Jahr',
Hat die Fisch' halt noch nicht g'fangt, 's is wahr;
Mit der Jungfrau, da is's auch a Sach',
's rennen ihr so stark die Zwilling' nach.
Aber lass'n ma das, was oben passiert,
Herunt' geht's zu, daß ei'm fast übel wird.


Wie der Wiener neulich unterging, schön langsam halt
                                                                           ging's,
Und der Wachmann bei der Oper, der rief: Bitte links!
Ja so geht das nicht, das geht ja drüber und drunter,
Jetzt gehn S' noch amal zruck und erst nacher gehn S'
                                                                          unter!
Ja, da wird einem halt angst und bang
Bei so einem U — unter — gang gang gang gang gang gang
Bei so einem U — unter — gang.

Da hab'n s' oben im Tierkreis sich zusammeng'funden,
Dem Stier den großen Bären aufgebunden.
Ja was fallt denn denen ein, d e r fallt nicht 'rein:
Der Stier wird doch am End' kein Wolff nicht sein!
Doch ginget man der Sache auf den Grund,
So is g'wiß der große Hund ein Grubenhund.
Dahinter steckt, das is doch klar, der Schütz —
In uns er m Tierkreis macht er noch viel bessre Witz'.
Beim nächsten Erdbeben gibt's wieder a paar Stoß',
Da nimmt der Schuster die Bussole und schreibt's in die Press'.
Denn das ist nun einmal so der irdische Lauf:
Wenn die Welt untergeht, sitzt die Presse doch auf!
Da lachen die am Sirius sich krank,
Weil 's wieder einmal so gelang lang lang lang lang lang
Weil 's wieder einmal so gelang.

Die Herrn Kollegen, die von meinem Fach,
Die entdecken neue Stern' und denken nach,
Wie so ein Stern, den selbst am lichten Tag
Man doch nicht sehen kann, wohl heißen mag.
Ich bitt', wie können s' denn mit ihrem Geist
Herauskrieg'n, daß a Stern grad Zita heißt!
Ich glaub's ja selbst, daß sich das Firmament
Nach allem Allerhöchsten gern benennt.
Das haben die Sterne am Himmel so gern,
Im Herzen sind s' doch Monarchisten die Stern';
In der Republik gibt's kein' Orden, das hat keinen Reiz,
Und gibt es kein Sternkreuz, so is's für ein' Stern halt ein Kreuz.
Da wird ihnen halt angst und bang —
Die Republik steht auf kein' Fall mehr lang lang lang lang lang lang
Die Republik steht auf kein' Fall mehr lang.

's geht droben drunter und drüber, das is gewiß,
Es scheint, daß 's jedem Stern schon schnuppe is.
Herunt' hat man zu wenig Angst davor,
Wie wir mit Bomben, schmeißen s' mit die Meteor'.
So mancher Glücksstern hat schon lang kein Glück,
Der Merkur gibt 's G'schäft auf und der Krebs geht z'rück.
Doch kennt kein Fixstern und auch kein Planet
Nicht unsre Pleite und nicht unser Gfrett.
Was wir immer projektieren, so lautet 's Programm:
Da kann man nix machen und die G'schicht geht net z'samm.
Uje, da gäb's Strophen zu diesem Kuplet!
Doch denk ich mir lieber: Euer Gnaden wissen eh.
's is g'scheiter, ich hör auf mit dem G'sang —
Denn sonst dauert's am End noch zu lang lang lang
lang lang lang
Sonst dauert's am End noch zu lang.

 

»Dieses G'fühl — ja da glaubt man, man sinkt in die Erd'!«
(Papiere des Teufels)


Man liest was von Nestroy und es kommt einem vor
Wie eine höhere Welt und ein tieferer Humor.
Doch die unsrige Welt liebt ganz andere Stück',
Denn sie schreitet im Fortschritt gewaltig zurück.
So riskiert man, wenn ein Stück von Nestroy ist aus,
Daß sich keine Hand rührt, daß man hört kein' Applaus;
Und die Leut' finden fad, was man selber verehrt . . .
Dieses G'fühl — ja da glaubt man, man sinkt in die Erd'!

Es war einst ein König, der hatte kein Land
Und außerdem leider noch weniger Verstand.
Paar Trotteln — paar andre — die raten ihm: Flieg z'rück,
Das ist für die Völker das allerhöchste Glück!
Voll froher Erwartung fliegt er hin durch die Luft,
Steigt ab und schon hört er, wie niemand Eljen ruft.
Da möcht' er wieder hinaufflieg'n — doch das ist jetzt
erschwert . . .
Dieses G'fühl — ja da glaubt man, man sinkt in die Erd'.




»Sich so zu verstell'n, na da g'hört was dazu!«
(Der Zerrissene)


Auf der Welt, da gibts Räuber, Geld her oder Leben!
Ja Krieg ist halt Krieg, und Krieg wird's immer geben.
Und stets wird's den Staatsmann nach Kriegführ'n gelüsten
Und rüstet der eine, wird der andre auch rüsten.
Doch halt . . . nur diplomatisch! bei so nützlichen Werken
Darf der andre doch nicht unsre Absicht gleich merken.
Wir sind für den Frieden! Ohne Fürchten und Beben
Solln künftig die Lämmer mit den Löwen z'sammleben!
So sagt es der Löw' und frißt die Schafskopf im Nu . . .
Sich so zu verstell'n, na da g'hört was dazu!

*

»So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt!«
(Der Zerrissene)



Wenn S' mich nicht verraten, ich weiß eine Stadt,
Da is's bunt — daß der Herrgott seine Freud' daran hat!
Zwischen Verhungern und Erfrieren bleibt den einen die Wahl
Und sie sterben dahin ohne Lärm und Skandal.
Die andern, die leben mehr lärmend dahin
Und was die dort verlieren, is denen ihr G'winn.
Nichts stört sie und niemand, 's wird weitergepraßt;
Hier ist das Leben eine Lust und dort nur eine Last.
Die zahl'n nur mit dem Leben; aber die andern mit Geld . . .
So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt!

* * *

Alles, nur nicht die Gobelins!

Den Kunstschatz schützen sie, den wohlbewußten,
und jeder stöhnt und reißt sich auf die Brust.
Von eines Weltkriegs sämtlichen Verlusten
war' dieser doch der schmerzlichste Verlust.

Denn die Kultur, sie ist ja doch das Letzte,
was bleibt uns denn, trägt man auch sie davon,
all jenes Köstliche, das uns versetzte
in eine noch weit höhere Region!

So protestieren sie aus allen Ecken,
in Sorge um die höchsten Güter nur.
Sie gönnen ja dem Volke das Verrecken,
man nehme ihnen nur nicht die Kultur!

Zwar fehlt die Nahrung, fehlen auch die Kohlen,
allein nicht dieser Umstand schafft den Schmerz.
Selbst als die Mona Lisa war gestohlen,
wars keinem Kenner weher um das Herz.

Wer schätzt sie nicht, die kostbaren Gewebe,
sie sind sogar im Ausland sehr beliebt,
und wichtiger als daß die Menschheit lebe,
ist, daß es Sehenswürdigkeiten gibt.

Nicht nötig ist es, Nahrung zu erwerben,
der Wiener kann auch so nicht untergehn.
Und andernfalls wird er in Schönheit sterben,
sonst kann ihm nix als höchstens das geschehn.

Hohn bieten die Vandalen unserm Leide
und sind für das Kulturbedürfnis blind,
indem sie für vergängliches Getreide
den Kunstschatz hinzugeben willens sind.

Wir aber schützen ihn mit reinern Händen,
das Hungerthema haben wir schon satt.
Wir lassen nimmer die Gobelins verpfänden,
wie einen Bissen Brot braucht sie die Stadt.

Von Lebensmitteln, wenn sie aufgegessen,
hat man doch zweifelsohne einen Dreck.
Der Teppich in Schönbrunn ist unterdessen
mehr haltbar und entspricht dem Lebenszweck.

Und Tag für Tag ertönt es fort im Chore:
Der Mensch, er lebt vom Brote nicht allein!
Nein, größer war fürwahr nessun dolore
und wer nicht von Kultur lebt, ist ein Schwein.

Wir haben etwas noch, woran wir glauben:
die Kunst, die nach Geschäften man genießt.
Sie wollen uns die Ideale rauben,
von denen man im Leitartikel liest.

Und jeder stöhnt und jeden hört man flennen
und jedem wird persönlich es geschehn:
Ach, von den Teppichen soll ich mich trennen?
Und hab, ich Tepp ich, keinen noch gesehn!

*

Inschriften



Kriegswelt

Sie waren bei Laune, es ging ihnen gut,
nur unser Leben hatten sie über,
Tags waren sie schon betrunken von Blut
und gössen des Nachts noch Wein darüber.

Sie lebten und lachten in Saus und Braus
und konnten nicht über Langweile klagen.
Und gingen ihnen die Menschen aus,
so haben die Zeit sie totgeschlagen.

*

Die Räuber

Nicht alles muß man sonst dem Räuber geben,
noch bleibt die Wahl, man hat es in der Hand.
Es heißt ja: Geld her oder Leben,
jedoch nicht: Gut und Blut fürs Vaterland!

*

Mißvergnügte der Republik

Die niedergebrannte Stätte ist leer
und im Rauch ist alles vergiftet.
Die Brandstifter sagen, die Feuerwehr,
sie habe den Schaden gestiftet.

*

Fortschritt

Was haben wir nur in all der Zeit
getrieben?
Wir sind mit dem Fortschritt vorausgeeilt
und hinter uns zurückgeblieben.

*

Der Zeit ihre Kunst

Wohl angepaßt ist ihrer Zeit
ihr ganzes Kunstgestalten;
sie sind schon von Natur bereit
und können ihr nichts vorenthalten.

Ihr Zeitgefühl ist nicht gering,
sie wissen, wann sie leben;
was jeder von der Zeit empfing,
will er getreu zurück ihr geben.

Der ganze Dreck erscheint auch mir
in dieser Zeit enthalten;
drum lasse ich mich nicht von ihr,
doch sie läßt sich von mir gestalten.

*

An die Sucher von Widersprüchen

Mein Wort berührt die Welt der Erscheinungen,
die darunter oft leider zerfällt.
Immer doch meint ihr, es gehe um Meinungen,
aber der Widerspruch ist in der Welt,

*

Die österreichische Lage

Kein Grund zum Pessimismus und
er hat auch keinen Zweck.
Zwar ist es wahr, man geht zugrund,
doch kommt man nicht vom Fleck.

*

Österreich bei der Moliere-Feier

Tout comprendre c'est tout pardonner,
Euer Gnaden wissen eh.
Und uns kann nix g'schehn.
Was bleibt einem übrig bei den Zeiten, den teuern
als betteln zu gehn
und nach Paris, um Moliere zu feiern?

*

Genua

Viel Schwatzen und Schmausen und Lungern
und Laufen und Saufen durch Wochen
in diesem lachenden Lenz.
Und nur eine Wahrheit gesprochen:
»Die Völker Europas hungern
nach dieser Konferenz.«

*

 

Im Untergang

Es schaudert mir, in dieser dunklen Zeit
vor Mensch und Menschenähnliches zu treten.
Fiebriges Licht belügt das große Leid;
auf Gräbern tanzend, um im Tanz zu töten,
nützt ihre Gier nur die Gelegenheit —
um Beute könnten sie zum Herrgott beten!
Ach, als der Bluttat einziges Ergebnis
erleben wir des Menschentums Begräbnis.

Es dorrt das Mark, es stöhnt das Lebensholz.
Unselige Zeit, der Baum trägt Zeitungsblätter!
Sie nennens Fortschritt und zum Abgrund rollts,
und nirgend zeigt sich der Natur ein Retter.
Geschändet liegt der hohen Schöpfung Stolz.
Wie kam ich in das gottverfluchte Wetter?
Wie wird in diesem Weltenlauf mir bange!
Es ist die Stunde vor dem Untergange.

Alles dahin. Nichts blieb als der Genuß,
den sie mit ihrer Seele zahlen mußten.
Gefallen ist der Menschheit Genius,
seit sie das Blut in Geld zu wandeln wußten.
Musik betäubt ein furchtbar mahnend Muß,
das Nachwort allen inneren Verlusten.
Sie können täglich noch in Kursen lesen
und fallen tiefer selbst, als sie gewesen.

Und gierig greifen sie nach Schmach und Spiel;
und dafür mußten jene Bessern bluten.
Auf Ehre speiend, zu der Selbstsucht Ziel
sich hastig ziffernd durch die Zeit zu sputen,
zertreten sie was vor die Füße fiel,
der Blick erstarrt vom Abglanz der Valuten.
Sie haben sich das Weh der Welt erworben.
Und jene Guten sind uns abgestorben.

Gekerbte Puppenmänner schreiten aus,
daß man die Brut an ihren Gürteln fasse.
Doch blutiger Wucher wohnt im sichern Haus,
daß er vom Tagwerk sich erholend prasse,
und überlebt den Sturz des Weltenbaus.
Oh wie ich diese Geldvampire hasse!
Sie trotzen lachend allen Galgensträngen —
wir waren längst zu schwach, sie aufzuhängen!

Ganz ausgeblutet, waren wir zu matt,
um vorerst unsern Mördern heimzuzahlen.
Die dürfen weiter auf der Leichenstatt
von den verblichnen Herrlichkeiten prahlen.
Des Wuchers aber werden wir nicht satt,
geduldig hungernd bei den Bacchanalen.
Es finden sich nach heldisch tollem Wähnen
todsicher ein die praktischem Hyänen.

Sie schlugen uns die Pranken tief ins Herz,
die wir um nichts als um die Nahrung sorgen.
All unser Denken zielt nicht höherwärts
als an die niedere Not sich zu verborgen.
Es stand ein schuldbeladnes Haus aus Erz,
dem danken diese Nacht wir ohne Morgen!
Wie hat sie uns in Tod und Not betrogen
die Majestät, die reiflich es erwogen!

Sie riß uns alle mit in ihre Gruft.
Ich hatte Atem noch, ihr nachzurufen,
mit jenem Ruf, der durch die Zeiten ruft
und bis hinauf zu des Gerichtes Stufen.
Und dringe durch die grauenvolle Kluft,
die Wahn und Wucher aus der Welt erschufen.
So duldet stumm! Es wird in lichtem Stunden
mein Mund doch diese Dunkelheit bekunden!

*

 

Silvesterruf an die Welt

Welt, wie starrst du doch von Lanzen,
und willst noch auf Gräbern tanzen,
nein, da schnür' ich meinen Ranzen,
denn das halt' ich nicht mehr aus!

Welt, wie hast du dich verändert,
seit dich Völkerhaß bebändert.
Ach wie bist du schwarz umrändert
und ein großes Totenhaus.

Doch du spottest deiner Trauer,
Himmelstrauben sind dir sauer,
Welt, vor dir faßt mich ein Schauer
bei dem frohen Grabgesang.

Welch ein Toben, welch ein Töten,
Rasen, ohne zu erröten
vor den besseren Planeten —
Welt, du wohnst im Untergang!

Sag, wie lange willst du's treiben?
Welt, dir wird nichts übrig bleiben,
als dich Jenem zu verschreiben
mit dem ganzen Inventar.

Nein, du packst ihn selbst beim Kragen,
Welt, du wirst den Teufel plagen,
und du könntest ihn vertragen,
wie er ist, mit Haut und Haar!

Welch ein Balgen, welch ein Johlen,
Welt, du wirst den Teufel holen,
hast ihm schon den Dreck gestohlen
und der arme Teufel weint.

Wo die Hölle schon auf Erden,
wirst allein du fertig werden,
Welt, du lachst der Angstgebärden,
weil dir noch die Sonne scheint.

Kennst nur Feld- und Winkelzüge,
Macht ist deines Lebens Lüge,
Welt, du willst, was nie genüge,
und du gierst und stierst nach Geld.

Tief gesunken, hoch erhoben
gegen einen Vater droben,
Welt, wie lange wirst du toben
unter einem Sternenzelt!

Reißen Waffen dich in Stücke,
fällst du einst durch deine Tücke,
wird das Weltall ohne Lücke
sich des Glücks der Fülle freun.

Ehrlos bis zu diesem Datum,
Mörderwelt post Christum natum,
wie verfluche ich mein Fatum,
Welt, auf deiner Welt zu sein!

*

 

An eine Heilige

Mutig trägst du die Last, daß sie die andern nicht drücke.
Liebend leihst du dein Licht allem was finster um dich.

Immer gibst du, als ob dein Sein allein nicht genügte;
dich zu wissen, beglückt mich mit dem herrlichsten Lohn.

Nimmer gibst du dich aus und einst wird selbst nicht im Himmel
so viel Huld für dich sein, wie du hienieden vergabst.

*

 

Arbeit

Es engt mir allen Lebenstag,
es drängt mir zu bis in den Schlaf,
und ob ich auch entrinnen mag:
es denkt in mir ohn Aufenthalt
und alles was mir einfiel, traf
mich mit vernichtender Gewalt.

Noch ging ich, wenn die Sonne brennt,
noch lange ging ich nicht zur Ruh.
Und ob die Zeit zum Ende rennt,
und ob sie mir vorbeigerannt:
es hält mich ab, es schließt mich zu;
ich bin an meinen Punkt gebannt.

Und was da wird, ob schlecht, ob gut:
ich tat es nicht, ich litt daran,
und weiß nicht, wer es für mich tut.
Er wird es immer weiter tun
und läßt mich, der es nicht getan,
dafür bei Tag und Nacht nicht ruhn.

*

 

Der Tag

Wie der Tag sich durch das Fenster traut,
schau ich auf den Platz,
staunend, daß der Nacht
noch ein Morgen graut,
die ich so durchwacht
ohne Freudenlaut,
aber immer bauend Satz auf Satz.

Wie der Blick sich durch das Fenster traut,
geht ein Wagen, geht,
langsam geht er hin
ohne Klagelaut.
Liegt ein Toter drin,
eine arme Haut.
Und ich geh zurück an mein Gebet.

*

 

Todesfurcht

Hab verlangend alles schon empfangen,
allen Wechsel, den es gibt auf Erden:
aller Lust und allerlei Beschwerden
froh und unfroh immer wieder werden.
Und dazwischen ist die Zeit vergangen.

Neugier regt sich nach dem andern Kreise,
wie mags, frag ich, drüben nur bestellt sein
und ob schwierig die besondre Reise,
und ob ich auf wunderbare Weise
werde wiederum auf meiner Welt sein.

Immer das Erlebte zu erleben,
lüstet mich, ich will es frei bekennen;
immer dieses zwischen Feuern schweben,
dieses atemlose Lastenheben
und dies hoffnungslose Herzverbrennen,

Ist's dort grün wie meine Kinderstunden?
Ist der Tag dort grau wie meine Tage?
Warten alle Wunder, aller Wunden
Wonnefieber, schmerzliches Gesunden,
aller Wollust wechselvolle Plage?

Bleib ich aller Feuerflammen Beute
und erhitzt von allen Hindernissen?
Glüht mir dort der helle Haß des Heute,
und entflammen mich die kalten Bräute?
Ach ich brenne schon, es nur zu wissen!

Was sich so lebendig mir verdichtet,
was mit Aug und Ohr ich je erworben,
nimmer sei von mir darauf verzichtet!
Anders werde dieser Streit geschlichtet
und das Leben nur zum Teil gestorben!

Einverleibt der Welt, der es entbrannte,
will es nimmer sich vom Leben trennen.
Wenn ich sie nicht mehr mit Namen nannte,
die ich bis zum letzten Blick erkannte,
würde sie sich selbst nicht mehr erkennen.

Wortverbunden bleib ich den Gestalten,
gegen die ich mich des Geistes wehre.
Nimmer würde anderen Gewalten
wehrlos ich mich zur Verfügung halten
dort in einer wortverlassnen Leere.

Dreist entreiß ich mich dem faulen Frieden,
nichts zu haben als die Totenstille.
Sie zu meiden, will ich nicht ermüden;
da zu bleiben, wenn ich abgeschieden,
fortzuleben sei mein letzter Wille.

Todesfurcht ist, daß Natur mich bringe
einst um alles mir lebendige Grauen.
Jener ewigen Ruh ist nicht zu trauen.
Ich will leiden, lieben, hören, schauen:
ewig ruhlos, daß das Werk gelinge!