- Alle Texte sind orthografisch unverändert übernommen.
Die Anordung der Texte entspricht der Anordnung im vorliegenden Buch -
D E N V E R L A S S E N E N
Nach zwanzig Jahren
Im vorigen Jahrhundert war's, im letzten,
vor solchem Wechsel schon erstarrten Jahr
war's, daß ein gutgelaunter Gegendämon
sich diesen ernsthaften Aprilscherz machte
und mich ersah, ihn jenen zu bestellen,
den abwärts fortgeschrittenen Zeitgenossen,
im Lauf nur lesend, weil der schwarze Fluch
sie antrieb, auf dem Laufenden zu sein.
Und du, rief dieser Widerpart der Zeit,
bestehe sie, je flüchtiger sie lesen!
Ermüde nicht an ihrer atemlosen
naturentflohnen, zeitverrannten Hast;
dein Weg, vom Ursprung übers Ziel hinaus,
ist länger, darum sollst du nicht ermüden!
Sei Zucht und Strafe, Licht zugleich und Brand;
durch Liebe sind sie nimmermehr zu halten:
so opfere dein Herz den Haßgewalten —
dein Heft, es bleibt als Heft in deiner Hand!
Weh, welche Gnade war da nicht am Werk,
vom allgemeinen Fluch mich zu begnaden!
War's nicht des eignen Schicksals Wetterwende,
des eignen Lebens launischer April,
in den die Götter mich zu schicken drohten?
Mein Ohr erfüllend mit der Qual der Welt,
daß meine Zunge die Geräusche forme!
Aufreißend ach mein himmelsuchend Aug
den Mißgebilden dieser Erdenhölle!
Doch all der Ohrenschall und Augenschein
ohne die Zeugenschaft des Sehns und Hörens:
bloß aus der Ferne drängt es sich mir zu,
den Schall und Schein der Lüge wahrzunehmen.
Dies kann ich nur, weil ich nicht anders kann,
und weiß, dies ist ein Zwang und kein Talent.
Und nie war einer, der das Leben meistert,
so mitten drin ein ärgrer Dilettant
und hat's von außen so gemeistert; gleichsam
vom Hörensagen, aber freilich so,
daß er nicht einmal hörte, was sie sagen,
und dennoch hörte, wie sie's sagen, und
daraus verstand, wie jenes Leben sei.
Hätt' ich in zwanzig Jahren das getan,
was Leute tun, die unter Leute kommen,
ich hätte kaum erfahren, was ich wußte.
Ich hab' mir nur den Lohn der eignen Kunst
mein Leben lang vergönnt und diese war,
mir auch das fremde Leben zu ersparen.
Ich meide die Theater jeder Art,
weil ich schon ganz von selbst weiß, wie sie spielen;
und lockte hier und dort ein Vortragssaal,
so ging ich nur hinein, um selbst zu sprechen.
Zerstreuung aller Art hab' ich gefunden
in siebentausend und dreihundert Nächten,
die ich bis an den Tag hab' durchgewacht,
ihn zu belauschen und ihn zu betrachten,
völlig verschont von seiner Gegenwart.
So konzentriert auf euch und was euch nur
in zwanzig Jahren die Zerstreuung bot,
doch so verstrickt in solche Abenteuer,
von denen ihr am Spieltisch, auf der Jagd,
im Drange der Geschäfte nichts, ja selbst
nicht liebend oder betend etwas ahnt.
So spielt' ich, jagte, feilschte, betete
und hebte so auf einem Schreibtischstuhl,
und schlug mich durch ein Dickicht von Gesichten.
Nun fragt mich nicht, was ihr davon bekamt.
Ich weiß es nicht, und kann nur ehrlich staunen,
daß solcher Flucht und Inzucht irgend etwas,
das in das Leben wirkt, entsprossen sei.
Am gläubigsten begegnet noch mein Zweifel
dem eueren. Ich weiß kein bessres Lob,
als wenn mir einer sagt, ein Feuilleton
flöß' ihm am Sonntag lieblicher ins Herz
als die zehntausend Seiten, meiner Nächte
höchst ungesundes Paradoxon, Oder:
die Trauben, die ich in Verruf gebracht,
sie wären unerreichbar mir gewesen,
hinc illae lacrimae und so entschloß
ich mich, ein Narr auf eigne Faust zu sein.
So sprechen jene, deren Vorzug ist,
dort recht zu haben, wo sie recht haben.
Halb ein Phantast aus Mangel an der Welt,
halb ein Pedant aus Überfluß an mir,
kenn' ich im Ganzen mich mit mir nicht aus.
Bald drückt mein Größenwahn den eines Nietzsche
so an die Wand, daß ich das ganze Sprachgut
der deutschen Literatur nicht für ein Wort
von mir, nein auch sogar für keine Pause,
die zwischen zweien meiner Worte Platz hat,
ja nicht einmal für ein Jargonzitat,
das meinem Ohr ein ferner Korso zuwirft,
ja selbst nicht für den kleinsten Zeitungsausschnitt,
den ich nur eingestellt, doch nicht verfaßt hab',
eintauschen möchte. Bald ist's wieder so,
daß ich den letzten Schmierer, eben jenen,
der selbst verfaßt hat was ich nur zitierte,
beneide und wenn mich, den Bettelmann
die Scham nicht hemmte, ihn, den satten Krösus
von Herzen bäte um ein Adjektiv.
Doch der geht stolz vorbei und kennt mich nicht.
Still bleibt's um mich, und diese Stille macht,
daß sie den eignen Lärm nicht hören können.
Fragt mich nach zwanzig Jahren, wie es kam,
daß solcher Ruhm aus solchem Schweigen wuchs,
das rings mich einhüllt; daß er lauter tönt,
als wenn durch zwanzig Jahr' die Pressemeute
mich täglich hätt' im schmutzigen Maul geführt —
ich weiß es nicht. Ich muß wohl selbst dran schuld sein
doch weiß ich eben nicht, woran es liegt.
Welch eines Mangels Fülle, die mehr aufregt
als sie befriedigt und am hungrigsten
sich selbst zurückläßt, und ein Feuerkreis
von Hysterie mit Liebeshassesflammen
umspielt den winzigen Winkel meines Tags.
Wozu der Lärm? Von mir gibt's lange Sätze,
und längere Ohren, die sie nicht verstehn.
Das gibt ein Aufsehn; doch schafft's eher wohl
Verdruß dem Leser als dem Autor Ruhm.
Wer soll's denn fassen, daß den seitenlangen
Periodenbau ein Atemzug durchweht,
wenn er an Asthma leidet? Dieses kommt
vom vielen Laufen. Diese flüchtigen Leser
sie bleiben stehn, dann laufen sie zurück,
und kommen nicht zum Schluß des langen Satzes.
Dann gibt es wieder einen kurzen Vers,
der auf den ersten Blick erfaßbar ist —
doch plötzlich dehnt er sich zum Labyrinth.
Das ist ein Zauber, und der Leser hat es
beinah so schwer wie ich, und jedes Wort
ist uns ein Kreuz, mir und den Schriftgelehrten.
Auch mir sang Philomele, oh, sie rief
mich aus dem Stoff, der heillos mich bedrängt,
eh ich ihn meistre. Aber Schönheit war,
wo mir die Sprache zu Gefallen war,
und alles lyrische Geheimnis ist
mir auch im widrigsten Geräusch erschlossen.
Lyrik ist alles, was am tiefsten Grund,
mögt oben ihr die Widersprüche lesen,
identisch wird zu immer neuem Wesen,
aus Klang und Ding ein unlösbarer Bund.
Doch solches sind Allotria, und die Welt
will, daß die Feder sich ihr nützlich mache,
wenn schon nicht angenehm. Was bleibt ihr denn
in ihrer Hand? Vom blutigen Turnier
ein Silbenstechen und ein Haarespalten;
und wer's so bunt durch die Jahrzehnte trieb,
hat ausgespielt für alle Lebenszeit.
Dies, was die Form betrifft; der Inhalt war
noch dürftiger. Beim Licht der Tageszeitung
zerstiebt der Spuk. Versuch's und leg den Geist
auf deine flache Hand: nichts bleibt davon.
Das Element, es läßt sich nicht zitieren,
potz Element, es rinnt dir durch die Hand.
Gedanke war's in aller Konsequenz,
und Meinungen, einander widersprechend,
wies man mir nach, und als die Welt dahin,
ganz wie ich's längst aus kleinlichen Symptomen
erschaut, da riefen Überlebende,
ich hätte, da die Welt zum Teufel ging,
nur die lokalen Tatsachen bemerkt.
Indes war nicht das Augenmaß verfehlt,
doch ich vergriff mich in der Reihenfolge.
Ich sang der Zeit das Grablied, eh' sie starb.
Hier war ein Anlaß, in das alte Testament
mich rückzusenden und den Fluchenden
dem alten Fluche wieder zu verknüpfen.
Doch eher glaub' ich wohl: daß unsereins
mit der Geburt den Pflichten seines Stammes
genug getan und dann gings höherwärts,
und unerreichbar hoch der Menschenrasse,
die unter allem Recht geboren ist,
sich christlich noch von Juden abzusondern.
Denn welch ein Schrei nach Geld vereinigt sie!
Und welch, ein Gott der Nächstenliebe war
der rachevolle Gott vor dem gerechten,
in dessen Namen so viel Blut verrann!
Aus solchem Fegefeuer ungeläutert
hervorzugehn — da blieb' ich lieber drin;
ich bin nicht Jud genug, um Christ zu sein!
Doch wünsch' ich fromm, daß gelbe Heiden kommen,
die Ornamente unserer Heiligkeit
an unsren Eisenstirnen zu zerbrechen,
und diese dann an ihrer Menschlichkeit!
Denn über alle Maßen trostlos war's,
zu solcher Zeit an solchem Ort zu leben.
Zuweilen gibt es zwar Entschädigung,
die kleinen Ansprüchen genügen mag.
So wacht' ich neulich auf und las die Nachricht,
daß Österreich dahingegangen sei.
Seit zwanzig Jahren hatt' ich es erwartet,
und wären seine letzten Züge nicht
mit reichlicher Verspätung eingetroffen,
hätt' es der Menschheit all dies Weh erspart.
Ich atme auf, die lästige Begleitung,
das andere K. K., der nom de guerre,
der Schatten meines wahren Namens wich
mir von der Seite in das Schattenreich.
Dies Leid ist Tröstung, und das Menschentum,
das insgeheime, außer Dienst gesetzte,
das keines Scheins bedarf und keiner Macht,
und Würde nur, nicht Würden sich verleiht,
schöpft Hoffnung gar aus diesem schlichten Faktum:
Mein Wort hat Österreich-Ungarn überlebt.
Dies Wort mag einer Welt, der alles fehlt,
doch nichts so sehr wie Ehre, wenig gelten,
so wenig selbst wie mir, der es erlebt hat
und lieber seinen Zweifel ausgekostet
als den Erfolg. Und dennoch war dies Wort,
und wenn ich's gleich am Tag nicht mehr erkannte,
verwandt dem innern Wesen. Wort und Wesen —
die einzige Verbindung, die ich je
in dieser nutzbeflißnen Welt erstrebt.
Kein Opfer gab's, an allem, was euch freut,
Besitz und Geltung, Ruh und Nervenglück,
das ich nicht mit Begeisterung dargebracht,
um euch am Geist kein Opfer darzubringen,
im Erdensturz dem Umbruch einer Zeile
noch zugewandt, bis an den jüngsten Tag
erfüllend jene heilige Satzung, wo
es auf das Komma ankommt, mag ich stammelnd
dereinst nicht wissen, was das Thema war.
Geschlecht und Lüge, Dummheit, Übelstände,
Tonfall und Phrase, Tinte, Technik, Tod,
Krieg und Gesellschaft, Wucher, Politik,
der Übermut der Ämter und die Schmach,
die Unwert schweigendem Verdienst erweist,
Kunst und Natur, die Liebe und der Traum —
vielfacher Antrieb, sei's woher es sei,
der Schöpfung ihre Ehre zu erstatten!
Und hinter allem der entsühnte Mensch,
der magisch seine Sprache wiederfindet.
Ein Irrgang seiner bangen Zeitlichkeit,
der Leichenfelder streift und Paradiese,
ist diese Welt des Worts, so bunt an Stoff
wie voller Irrtum. Aber was im Ursprung
jeweils das Angesicht der Wahrheit trug,
es wird die Zeit am Ende Lügen strafen,
Was hilft es ihr, daß sie mir nun entflieht,
und mich die Jüngern spielend überwinden!
Ich treff sie noch in meinem Abschiedslied,
und Junge werden leichter zu mir finden.
In ihrem dunkeln Drang und Weltverwirren
zurück als Führer bleibt mein ganzes Irren!
*
Inschriften
Sprachschöpfung
Denn eben wo Begriffe fehlen,
da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Doch wollt' ich wahrlich nicht zu jenen zählen,
die wesenlos verpflichtet nur dem Schein,
Ich glaub' dem Wort, es weiß schon was es tut;
wenns mit mir gut es meint, so mein' ich's gut.
Ich kann aufs Wort in allen Lagen zählen,
es führt zum Wesen fort mich aus dem Schein,
und stellt es sich zur rechten Zeit mir ein,
so wird auch der Begriff nicht fehlen
und wird sogleich zur Stelle sein.
*
Zweifel
Am Scheideweg der Worte muß man schwanken,
ob dies da besser oder jenes dort.
Denn der Gedanke hält nicht immer Wort,
jedoch das Wort hält mancherlei Gedanken.
*
Versäumnis
Da ist mir neulich was widerfahren
und fast wär' es gut mir ausgegangen.
Mir träumte von einem späten Verlangen,
mir träumte, daß ich nach hundert Jahren
punkt drei die Schönste von allen Schönen
zu treffen versprochen und leider versäumt.
Doch als ich den Traum zu Ende geträumt,
da schien mich das Schicksal halb zu versöhnen,
und da ich erwachte, da war's erst zwei
und ich fand, es wird mit der Zeit noch langen!
Doch schon befiel mich ein neues Bangen:
denn ach sie selbst war leider vorbei.
*
Der Erotiker
Fiel ihm ein Liebesglück in seinen Schoß,
so war er im Erlebnis gar nicht tüchtig;
und nie genoß er es in vollen Zügen,
wenn es gelang, den Gatten zu betrügen.
Der Glückliche, er war ja ahnungslos —
dagegen jener für ihn eifersüchtig.
Oft hat er, wenn sonst alles hätt' geklappt,
die Frau beim Ehebruch mit sich ertappt,
und den Beweis hielt er in seinen Armen,
Hier half kein Leugnen. Da er's selbst gesehn,
so mußte sie, was sie getan, gestehn;
und seine Liebe kannte kein Erbarmen,
*
Mahnung
Willst vor dir selbst in Ehren du bestehn,
darfst du mit einem Weib zu Gott nicht gehn.
Denk dreist vor jedem heiligen Gesicht:
so scheint es; doch grad diese ist es nicht!
Erspar der Wahrheit allen harten Streit,
Gewahr des Spieles dieser Scheinbarkeit,
Denn dringst du tiefer, geht es abwärts; und
gehst auf den Grund du, schwindet dir der Grund.
Wie deine Seele auch betreut das Haus:
die andere fand anderwärts hinaus.
Und hast in einem Luftschloß du gewohnt,
so war sie längst bei einem Mann im Mond,
Dein Wort vermaß sich; und es blieb ein Schall,
Ein jeder Narr hat seinen Ausnahmsfall.
*
Der Misogyn
In Leidenschaft und in Wissenschaft,
in Hangen und in Bangen,
in Geistes zweifachem Verhaft
bleibt ihm das Leben gefangen.
Ich aber verdanke dem Weib die Kraft,
über sie emporzugelangen!
*
Die Verlassenen
Berückend gar, aus deinem Zauberkreise
gezogen sein!
Nun zieht nach unerhörter Weise
die Lust auf ihre letzte Reise
allein.
Und nie ersattend findet sie die Nahrung,
vertraut
dem Urbild einer Menschenpaarung
und einer Flamme Offenbarung,
die sie geschaut.
Wie mag es sein, aus meinem Feuerkreise
geflohen sein!
Nun zieht nach ungewohnter Weise
die Seele auf die lange Reise
allein.
*
Traum
Stunden gibt es, wo
mich der eigne Schritt
übereilt und nimmt
meine Seele mit.
Könnt' ich halten sie,
würd' ich selig sein.
Ach, zuweilen glänzt
in den Tag der Schein.
Weiß dann, wie es war,
seh' ein lichtes Land,
eh' ich in die Zeit
wurde umgewandt.
Staunend stand ich da
und ein Bergbach rinnt
und das ganze Tal
war mir wohl gesinnt.
Und der Wind befiehlt,
damit leichtbeschwingt
alles in der Luft
heute mir gelingt.
Habe jedes Glück
schon im Flug ereilt.
Alles ist Geschlecht,
wir sind ungeteilt.
Alles, er und sie
und ein jeglich Ding
mir in dieser Nacht
an die Sinne ging.
Wie sie vollends mich,
wie sie sich vergaß,
und mein Todfeind ach
ihr zur Seite saß —
unvergeßlich Bild
unverlorner Spur
von der Übermacht
schwacher Weibnatur!
Elfenbeine sinds:
sagt ins Ohr der Traum,
und die ganze Welt
ist ein Zwischenraum.
Sie verduftet mir
durch die Sphären hin,
immer ist es so,
wie wenn Pappeln blühn.
Wie dein Stern zerbrach,
weiß nicht, wie's geschah.
Deiner Erde doch
bleib' ich ewig nah.
Immer heißer wird's
mir auf dieser Bahn,
viele Pforten sind
schon mir aufgetan.
Eh mir noch verläuft
dieser Lebenslauf,
ruf ich was es gab
mir zum Zeugen auf,
Alles wird Gesicht,
jedes Ding ein Mund.
Welche bunte Welt!
Plötzlich spricht ein Hund.
Grundlos leben wir,
reichen bis zum Mond.
Einer zeigt mein Grab,
das noch unbewohnt.
Einer führt ein Buch
und trägt Sünden ein —
alle retten sich,
alle trinken Wein.
Eine Glocke schrillt,
daß die Decke birst.
Wenn du heute nur
nicht gerufen wirst!
Schon betäubt der Tag
das verlorne Ohr;
noch umfängt den Blick
jener grüne Flor.
War' mein Tag vorbei!
Wieder umgewandt
kehrt' ich aus der Zeit
in das lichte Land!
*
Legende
Oft träumt mir, wie war das, ich fasse es kaum,
mir träumt noch am Tage, mir träumt noch vom Traum.
Eines Tags, eines Morgens entschlief ich, doch bald
war's Frühling, da stand ich im frischesten Wald.
Wie schade zu schlafen, o war' ich doch wach
und träumte verlorenen Frühlingen nach!
Da lag ich und stand ich, ein reuiger Schläfer.
Ich schlief, und es lief und es rief mir ein Käfer.
Und er hob sein bekümmertes Haupt aus dem Grase
und hatte ein riesiges Horn auf der Nase.
Er klagte, was ihm da soeben geschehn,
und er fragte, ob ich seinen Sohn nicht gesehn.
Den Jungen, verliebt bis über die Ohren,
er hab' ihn im Frühjahrsgedränge verloren.
Der Alte erzählte von vieler Bemühung,
die er stets verwandte an die Erziehung,
und seufzte, daß er den Sohn vermisse,
und allerlei sonstige Ärgernisse.
Da rackern und sorgen wir uns, wir Alten,
doch das leichte Tuch war nicht länger zu halten.
Ich versprach, unter allen vorhandenen Tuchen
in Wald und Feld nach dem rechten zu suchen
und wandt' mich voll Mitleid zum Gehen endlich
und fand es traurig, doch selbstverständlich.
Und wie ich so meiner Wege ging,
kam flugs mir entgegen ein Schmetterling,
der schien es mir allzu bunt zu treiben,
und er verlockte mich, stehen zu bleiben.
Von allen Feuern und Farben brannt' er.
Kein Zweifel, es war ein alter Bekannter,
wir waren uns beide, ich und der Falter,
erst neulich begegnet im Kindheitsalter.
Doch schien auch er etwas zu vermissen,
und erzählte von allen den Hindernissen,
die man ihm daheim in den Weg gestellt,
drum nahm er Reißaus in die weitere Welt.
Nun wüßte er selbst nicht, wozu er tauge.
Ich sah ihm fest in das Pfauenauge.
Da fragte er schüchtern, mit zitterndem Ton
— und sah aus wie der verlorene Sohn
und ach, es entstürzte ihm Thräne auf Thrän' —:
Haben Sie nicht meinen Vater gesehn?
Ich fragte, wer denn sein Vater wäre,
ich hätte noch nicht ihn zu kennen die Ehre.
Da schalt er mich einen vergeßlichen Schläfer,
sein Vater sei doch ein Nashornkäfer!
Wie, sagte ich, jener dort auf der Matte,
den ich soeben getroffen hatte?
Derselbige, sagt er, da muß ich mich tummeln —
und überflog die behäbigsten Hummeln,
die dicken Tanten und auch die Cousinen,
die schon ein wenig behenderen Bienen.
Schon schien ich verwandt mit der ganzen Verwandtschaft
und bekannt mit jedem Grashalm der Landschaft.
Doch spürte den Schmerz ich der heutigen Welten,
in denen die Tagpfauenaugen so selten,
und wann hatt' ich denn, ach wie die Dinge vergehn,
den letzten Nashornkäfer gesehn?
Und was mir drum gar nicht zusammenging,
war, wie heutzutage ein Schmetterling
da konnte zu allen herrlichen Gaben
noch einen Käfer zum Vater haben,
und gar ein Käfer zu allem Daseinslohn
einen Schmetterling haben zum leiblichen Sohn!
Doch wenn sie sich nun in die Arme sanken,
so haben sie es nur mir zu verdanken,
dem jeder mit einer Ursprache Laut
das Geheimnis der Sehnsucht anvertraut.
Doch trieb es mich fort zwischen Hummeln und Bienen,
fern summten schon Rotationsmaschinen,
schon war es die Sprache von allerlei Leuten,
noch träumte ich, daß sie den Traum mir deuten,
und in Furcht um die verlorne Bedeutung
erwacht' ich und griff nach der Tageszeitung.
*
Dichterschule
Was sind denn das für ausgelassne Knaben,
die in der Form ein Nichtgenügend haben?
Sie machen heute sichs wie ehedem
in Fleiß und Sitten immerzu bequem,
die nur im Fortgang von der Schule glänzen.
Und froh, daß sie die Syntax nicht beherrschen,
so wetzen sie auf ungegerbten Ärschen
und lassen hier und dort das Komma aus.
Dann aber tragen sie ein Nichts nachhaus,
das sie zuhaus zu einem Dreck ergänzen.
Heißt man zur Strafe sie dada zu bleiben
und ihren Aufsatz zweimal abzuschreiben,
so wird er darum doch nicht besser sein,
und besten Falles fällt es ihnen ein,
daß sie ihn noch beklecksen und betrenzen.
Kein Substantiv steht mehr an seinem Platze,
der Hauptsatz wird zu einem Nebensatze,
der Nebensatz ist nur ein Adjektiv.
Die ganze Gottesschöpfung lacht sich schief,
wenn solch ein grüner Lümmel singt von Lenzen.
Hier wirkt Natur in andern Dimensionen,
in solchem Wirrsal wollt' kein Teufel wohnen,
nichts was sie greifen, wächst zur Wortgestalt.
Allein ihr Ethos freilich ist geballt
und sehr dynamisch sind die Impotenzen.
Ein Rattenschwanz im gegenseitigen Loben,
wenn sie in allzu freien Rhythmen toben;
mit uns geht alles bei dem Treiben rund!
Doch schließen sie zumeist den Vers mit Und.
Und dennoch geht es über alle Grenzen.
Seht mir die Rotte von den letzten Bänken,
sie wollen nur den Oberlehrer kränken,
der schwergeprüft in solcher Klasse sitzt.
Was sie nicht konnten, haben sie verschwitzt.
O laßt uns diese Dichterschule schwänzen!
*
Inschriften
Die Verehrer
Sie nannten ihn ihren Erzieher.
Er hatte mit ihnen Geduld.
Jedoch eine einzige Schuld
sich selbst nicht vergab und verzieh er.
Er war ihnen allen gewogen.
Sie wollten nicht, daß er schliefe.
Sie schrieben ihm ihre Briefe.
Er hatte so schlecht sie erzogen.
*
Sonderbare Polemik
So mancher, den ich von mir entfernt,
führt er für mich, führt er gegen mich Fehde?
Er hat von mir das Reden gelernt
und stellt mich dafür nun zu meiner Rede.
*
Die Lage der Deutschen in Österreich
Sie war, man denke an die Friedenszeiten,
halt immer eine rechte Menschheitsplage.
Nichts hörte man als täglich Zank und Klage,
Vereinskrakeel und Zeitungsstreitigkeiten.
Ob Schande! man, ob Hanba! dazu sage,
blieb ein Problem, und einmal zu entscheiden
wer recht wohl hätte von den beiden:
beiden erst recht war eine nationale Frage.
Und dies zumal erbitterte die Böhmen:
die Deutschen hatten wahrlich alle Tage
in Östreich ihre ganz besondre Lage,
und jene wollten sich nicht anbequemen.
Um endlich auf des Krieges Völkerwage
das Hochgelegene zu Fall zu bringen,
könnt' ihnen doch der große Wurf gelingen:
die Deutschen hatten nun die Niederlage.
Es war geglückt, den Sieger zu besiegen,
und ob er an dem deutschen Gott verzage,
er kam in jene fürchterliche Lage,
in Österreich einmal allein zu Hegen.
Doch daß dem andern der Triumph behage,
und daß die Katze munter weitermause,
behielt er einen Teil von ihm im Hause,
und daß geteiltes Leid sich leichter trage.
Sich selbst bestimmend, hat er's eingerichtet,
damit kein Zweifel am Gewissen nage
und er mit jenem dieses gleich erschlage;
und also ward der alte Streit geschlichtet:
Der Antwort folgt die nationale Frage.
Denn um sich ganz an Osterreich zu rächen,
bestimmten sie, die konsequenten Czechen,
den Deutschen selbst nun eine neue Lage.
Die liegt nun gut in Tschechien gebettet;
und daß die Qual in alle Neuzeit rage,
die alte Klage, Frage, Menschheitsplage,
sie werden österreichisch fortgefrettet.
Und klingts nicht anders doch mit einem Schlage?
Ists nicht die Umkehr aller bösen Geister?
Der Arrestant versperrt den Kerkermeister,
Tag ward aus Nacht und diese folgt dem Tage.
Nur offen bleibt die nationale Frage,
ob denn die Katze nicht bei ihrer Jause
sich und der Maus gönnt eine Atempause,
damit die Katze halt, in solcher Lage,
nicht mehr die Maus, doch sich mit ihr vertrage.
*
Der Redner
Es ist nicht so einfach, mit ihm zu sprechen,
denn er hat die Gewohnheit, zu unterbrechen,
und wirft, kaum daß sie begonnen, in jede
Rede sofort seine Gegenrede.
Doch mag es indessen nicht jedem gelingen,
ihm gleich das nötige Stichwort zu bringen.
Viel besser darum als den anderen allen
pflegt er sich selber ins Wort zu fallen.
Einmal, als er heftig mit sich im Disput war,
und über manches Moment schon in Wut war,
war ich bereit, in Geduld mich zu fassen.
Er aber rief: bitte ausreden lassen!
*
An denselben
Nie wird sich einer, der das Wort nicht fand,
als stiller Hörer über dich beklagen.
Wer so viel Herz läßt sprechen und Verstand,
hat viel zu sagen.
Du regst es an, was man verhalten muß,
man dankt dir, was man auf der Zunge hatte,
und fühlt sich hochbefriedigt im Verdruß
solcher Debatte.
Ein Schwätzer schafft mir weit geringre Pein;
wo aus dem hohlen Räume Worte schallen:
keinem Gedanken fällt es füglich ein,
mir einzufallen.
Nicht jeder, den man hört, hat ein Gesicht;
nur seiner Rede Maß ist ungewöhnlich.
Du bist dir selbst, und ich verkenn' es nicht,
zum Sprechen ähnlich.
*
Peter Altenberg
+ 8. Januar 1919
Wer lebte unter diesem Pseudonyme?
Ein Mensch, den ich vor einem Dichter rühme.
Man las ihn früh und man erkannt' ihn später,
den hohen Altenberg, den höhern Peter.
Ein größrer Mann stand hinter großem Werk,
und niemals hielt er hinterm Altenberg
mit seinem Herzen; trug es auf der Hand
und brachte es durch Leben, Liebe, Land.
Und wie er zu uns rief und zu uns schwieg,
vor uns versank und in Ekstase stieg,
mit seiner Wahrheit unsre Lüge trog,
und wie er uns voranlief, uns entflog,
wie er sich überschlug und wie er litt:
er nahm uns alle allerwegen mit!
Er gab sich weg und war sich selbst nur treu.
Die alte Welt, von ihm ersehn, war neu.
Wie er es sah, von fern und in der Nähe,
so schien, so war es, als ob Gott es sähe.
Und zwischen Einerseits und Anderseits
war aller Wunder wechselvoller Reiz,
und welchen Lebens Fülle, Geist und Art
so zwischen Kinderblick und Greisenbart!
Wie er es sah und wie er es drum glaubte,
und über sich zu lachen uns erlaubte:
sein Paradoxon war nur unsre Welt,
just zwischen ihrem Wert und ihrem Geld;
und was er uns zu seinem Tod vermachte,
sind Thränen, die er übers Leben lachte.
Er schaut uns an. Noch auf dem Katafalk
ist es der Blick von dem gerührten Schalk,
Dies Auge sah den Herzen auf den Grund
und fühlte Schmerz und Liebe mit dem Hund.
Es sah empor zum Tier, zur Magd, zum Kind.
Ihm waren alle Sterne wohlgesinnt.
Vergebens bot er euch das Leben an.
Er gab das Wort. Ihr glaubt nur den Roman.
Ihr seid Papier; er war ein Element,
dess Zorn und Güte keine Grenzen kennt.
Er konnte toben; ihr jedoch seid stumm.
Ein Narr verließ die Welt, und sie bleibt dumm.
Wie wurde mir in seiner Nähe warm.
Ein Bettler ging von uns. Wie sind wir arm!
*
Inschriften
Christen
Sagt, warum achtet ihr die armen Kinder,
die nicht entstammt dem anerkannten Bunde
und also der naturgeweihten Stunde,
die außerehelichen Kinder minder?
»Nur um in sündenfernen Tagen
der eignen Unmoral sie anzuklagen.
Weil wir nicht sorgsam vorgebeugt,
zeugt gegen uns, was wir gezeugt.
Längst fault die Zeugin unsrer Lust.
Auf Gottes Schweigen läßt sich bauen.
Was wir getan, ist einem noch bewußt,
und grade diesem möchten wir nicht trauen.
Was einstens eine Stunde könnt' versüßen,
zu viel, ein Leben lang dafür zu büßen,
und täglich größer wird das Sündenmal.
Die Mutter starb, der Sohn ist ein Skandal!«
Und was nicht aus der Welt zu schaffen ist
— denn wahrlich leichter konnte es gelingen
und lustiger, es in die Welt zu bringen —
verwünscht ein Vater und ein guter Christ.
*
Das siebente Gebot
Es stahl
ein ruhmbedeckter General.
Man weiß
gar viel von manchem Heldengreis.
Und scharf
besprachen sie, was man nicht darf.
Ihn fichts
nicht an, der Vorwurf gilt ihm nichts.
Zuletzt
hat er ihn gar noch übersetzt.
Man darf
— er wollt' es ihnen nicht verhehlen
und scharf
sprach er und ohne jedes Zieren —
nicht stehlen?
nein: nicht generalisieren!
*
Schlechter Tausch
Gut und Blut und vorher den Verstand
hat man uns fürs Vaterland genommen,
und es war ein trauriges Erleben.
Ach, wir haben nichts zurückbekommen,
und bloß so viel Grütze vorderhand:
daß wir, gab' es noch das Vaterland,
wünschten, es für Gut und Blut zu geben!
*
Prestige
Für das Prestige ging dieser Krieg verloren:
wer zweifelt noch, daß es die Wahrheit sei.
Prestige bedeutet Ansehn für die Toren,
doch ursprünglich bedeutet's: Gaukelei.
Müßt' ich es aber ferner noch beweisen,
so sind Beweise schnell genug zur Hand.
Schnell, wie sie Gold verwandelten in Eisen
und Gut und Blut im Handumdrehn verschwand.
Prestigiateure waren Diplomaten,
und wir vergessen diesen Zauber nie.
Für das Prestige — wer kann die Kunst erraten
verschwand geschwind die ganze Dynastie.
*
Felix Austria
Sie wollte sich durch Heirat nur vermehren
und hat das Siegen andern überlassen,
und dies behagte allen Landeskindern.
Um aber noch gemütlicher zu spassen,
geizte sie einmal doch nach blutigen Ehren.
Und glänzend glückt' es ihr, sich zu vermindern.
*
Nibelungentreue
Zwei Kaiser sind in den Krieg gezogen
und wußten nicht, wie zurückgelangen.
Denn der eine hatte es reiflich erwogen,
drum ists auch dem andern schief gegangen.
Doch hätte gewiß ihm davor gebangt,
wiewohl er alles reiflich bedacht hat,
und er ist nur darum ins Unglück gelangt,
weil der dort ihn nicht davon abgebracht hat.
Und Schulter an Schulter vom Feinde besiegt,
sie gaben für Eisen ihr letztes Gold,
und dieser fühlte sich drangekriegt
von jenem, welcher es nicht gewollt.
Doch jener tat nur, was dieser geplant,
jetzt weiß er, wer ihn hineingezogen.
Er hatte ja nicht im geringsten geahnt,
daß der da sich alles reiflich erwogen.
Wie haben wir drob dieses Leben verbracht
und wie viele Seufzer sind uns verschollen!
Ach, hätte doch dieser nicht nachgedacht,
und hätte doch jener etwas wollen!
*
Kaiserlied
Wie ich zur Welt bin kommen,
da war a Schlamperei.
Ich hab mir vorgenommen,
mir is alles einerlei.
An Pallawatsch hats 'geben
von einer eigenen Art.
Was? Ich soll in das Leben?
Mir bleibt doch nichts erspart.
Als Bub spiel ich Theater:
von Barrikaden schaun s' zu.
Ich spiel, hilf Himmelvater,
»Wirrwarr« von Kotzebue.
Das Volk, es schreit sich heiser,
noch fehlt des Kaisers Bart —
da bin ich schon der Kaiser.
Mir bleibt doch nichts erspart.
Nach Ruh nur allweil lechz' ich,
daß ich von nix nix weiß,
denn spiel ich Sechsundsechzig,
den Preis gewinnt der Preiß'.
Ja, das muß ich doch sagen,
das Glück war mit mir hart.
Mein Reich lag mir im Magen
und mir blieb nichts erspart.
Ich kann mich nicht erinnern,
daß ich erlebt nicht hätt'
im Äußern und im Innern
ein Kreuz und halt ein Gfrett.
Der Sohn, die Frau, der Otto —
bis in die Gegenwart
bleibt meines Lebens Motto:
Mir bleibt doch nichts erspart.
Nur Pech in der Verwandtschaft —
längst hätte ich es satt,
hätt' ich nicht die Bekanntschaft
mit ihr, der Kathi Schratt.
Mit ihr allein ich's aushalt,
obschon sie schon bejahrt
und kostspielig der Haushalt —
auch ihr bleibt nix erspart.
Doch find ich, sie und alles
in Österreich war sehr schön.
Das Reich hat zwar den Dalles,
doch hoff ich, 's wird schon gehn.
Die Ehre ist oft bitter,
von Gold die Schande starrt.
Ich mach den Jud zum Ritter —
er hat sich was erspart.
Nur Ärger, nix als Kummer,
oft krieg ich eine Wut.
In Ischl nur, im Summer,
da g'freut mich mancher Jud.
Der denkt, wie er nur Geld krieg' —
was der zusammenscharrt
in diesem säubern Weltkrieg!
Hätt' ich mir den erspart!
Nur einem Freudenfeste
hab ich einst beigewohnt:
das war der Fall des Este —
der hat sich doch gelohnt!
Wie man es hinterbracht hat
ganz schonend mir und zart,
mein linkes Aug' gelacht hat:
Schaut's, der bleibt uns erspart!
Es war sehr schön, so meint' ich
und grüßte alle Leut,
leutselig lacht' und weint' ich,
es hat mich sehr gefreut.
Recht g'schichts ihm, schmecks, nun büß' er,
weil auf mein' Tod er g'wart.
Der Geizhals war kein Grüßer
hat am Gemüt gespart.
Ein freudiges Erlebnis
für mich und für das Land
war das spanische Begräbnis
des Neffen Ferdinand.
Wir folgten unsrem Hasse
auf lustiger Leichenfahrt.
Begräbnis dritter Klasse —
da blieb mir was erspart.
Die G'schichte war erledigt,
erlöst hat uns der Tod.
Für den Verlust entschädigt
hab ich das Reich durch Not.
War' das Malheur nicht gschehen
durch Geistesgegenwart,
war' ein Malheur geschehen!
So blieb es uns erspart.
Laßt Gott uns dafür preisen!
Mein Kreuz ist endlich rot.
Gold geben sie für Eisen,
Gift nehmen sie für Brot.
Nachdem ich so viel Leid trug,
mein Reich liegt aufgebahrt.
Das Volk sein Scherflein beitrug,
auch ihm bleibt nichts erspart!
Doch spür ich keine Reue,
doch geb ich keine Ruh.
Durch Nibelungentreue
drückt mich nicht mehr der Schuh.
Der Wilhelm, hätt' Geduld er!
Der Treubund ist sehr hart.
Jetzt drückt mich nur die Schulter.
Da wird mir nix erspart!
Die Schulter statt zu stützen,
sie drückt mich noch zu Tod,
und zu den faulsten Witzen
gehört der Nibelungen Not.
Das Schicksal hat, man weiß es,
mich oft und oft genarrt —
sein Essen, ach der Preiß' es
von meinem Munde spart!
Was hab ich von dem Bund doch!
Es geht mir glorreich schlecht.
Beim deutschen Gott, kein Hund doch
so länger leben möcht'!
Ach ums Panier der Treue
haben wir uns schön geschart —
der Freund frißt meine Säue,
mir bleibt ein Dreck erspart.
Es ist ein Bund des Pferdes
mit einem Reiter toll
und für den Schutz des Herdes
verlangt er hohen Zoll.
Das Volk, es preist das Deutsche.
Es war sehr schön beim Start.
Mich aber peitscht die Peitsche —
das Ziel bleibt mir erspart!
In dem Kalkül ein Loch ist:
der Preiß', er macht mir heiß.
Hoch ruft das Volk, doch hoch ist
von allem nur der Preis.
Ein Roß nicht ahnen kunnte,
wohin es ging' der Fahrt.
Der Preiß', man wanen kunnte,
der bleibt mir nie erspart!
Wie immer ich mich wende,
ich sitz dem Reiter auf
und kehr mit blutiger Lende
von seinem Siegeslauf.
Der Preiß' sitzt mir im Nacken,
die Treu er mir bewahrt.
Mein Thron ist seine Tacken,
kein Tritt bleibt mir erspart.
Nicht endet meine Klage,
nicht endet mein Verdruß,
auf meine alten Tage
ich hohenzollern muß!
Wozu, das möcht' ich fragen,
hab so ich mich gepaart —
nur um wiederamal zu sagen:
mir bleibt doch nichts erspart?
Was sind denn das für Sachen?
Bin ich nicht Herr im Haus?
Da kann man halt nix machen.
Sonst schmeißt er mich hinaus.
War' ich im Sommer sieben
gefolgt dem Eduard,
so wäre mir geblieben
so mancherlei erspart.
Mit Hurra gehts herunter
bis auf den Kladderadatsch.
Jetzt geht der Wiener unter!
Wir heißen's Pallawatsch.
In diesem Weltenkriege
krieg ich den schoflen Part
und wie ich immer siege,
der Sieg bleibt mir erspart.
In der Geschichte steht es,
was immer mir geschah.
Seit siebzig Jahren geht es
in einem Pfui k. k.!
Mit Justament regier ich
auf eine eigene Art,
und meine Völker führ ich,
daß uns ka Hetz erspart.
Ihr dürft noch lang nicht hoffen
aufs End von mein' Couplet.
Es hat noch Katastrophen —
Euer Gnaden wissen eh.
Mir wern kan Richter brauchen
nach dieser Praterfahrt!
Wenn erst die Trümmer rauchen,
wird am Tabak gespart.
In der Geschichte steht es,
was immer mir geschicht
und wie man immer dreht es —
sie bleibt das Weltgericht,
Den Narren gab ich Titel
dem Volk des Kaisers Bart.
Die blutigsten Kapitel
hab ich mir aufgespart.
Mir war seit Kindesbeinen
schon alles einerlei.
Doch g'freut mich heut wie keinen
die blutige Schlamperei!
Heut bin ich ja noch rüstich,
noch rüst ich nicht zur Fahrt,
noch nicht für alles büßt ich,
noch viel bleibt euch erspart!
Noch bisserl Blut sehn will ich,
man nimmt an Weisheit zu,
und justament erst spiel ich
Wirrwarr von Kotzebue!
Noch bin ich ja der Alte,
Lorbeer den Kopf behaart.
Dem Volk mich Gott erhalte!
Ihm, dem ja nichts erspart,
Erhalt' er mich in Plagen!
Noch ists nicht an der Zeit,
»Es war sehr schön« zu sagen,
»es hat mich sehr gefreut«-
Die Welt muß erst verzweifeln,
worauf ich gnädig wart.
Dann fragen s' mich bei den Teufeln,
ob mir noch was erspart!
Und der nur Ruh wollt haben,
geht endlich selbst zur Ruh.
Doch eh' sie mich begraben
und eh' der Sarg fallt zu —
»So jung noch, soll ich«, frag ich,
»schon auf die letzte Fahrt?«
Und noch einmal g'schwind sag ich:
Mir bleibt doch nichts erspart!
*
Der fliehende General
Da kann man nicht weiter,
die Erde hat Risse,
da gibts spanische Reiter
und sonst Hindernisse.
Die Schlacht hat nunmehr
eine Wendung genommen,
wir sind bis hieher
nach vorne gekommen.
In unsere Jahr'
da is nicht zu spassen,
wir sind in Gefahr,
das Leben zu lassen.
Nicht wanken und weichen
die Mannschaften ziert,
Fahrn S' über die Leichen,
sonst sind wir petschiert!
Was hat denn der eine,
der hat keinen Kopf,
dem fehlen die Beine,
und am Rock fehlt a Knopf!
Das is ein Skandal,
da werd' ich leicht schiech,
Sie toter Korpral,
adjustieren Sie sich!
Das is doch zuwider,
da krieg' ich ein' Pick,
ah, da legst di nieder —
hörn S', jetzt is doch Krieg!
Der hört nicht. Herstellt!
Sie, was machen S' denn dort —
mir san doch im Feld!
Sie gehn zum Rapport!
Das is doch verboten,
die Wirtschaft hier vorn!
Fahrn S' über die Toten,
sonst sind wir verlorn!
*
Chor der Offiziere
Weil sie Cadorna heute wiederum verschonte,
weil die Granate wiederum gerade um ein
Viertelstündchen zu spät kam —
gabs Blumen, Kipfel, Kaviar,
so muß es sein, das ist doch klar.
Wir sind die bessern Herrn vom Stab,
in diesem Punkt geht uns nix ab.
Wir gehn nicht in den Schützengraben,
weil's dorten keinen Schampus haben.
Statt Kaviar auf Butterbrot
gibt's nix als einen Heldentod.
Wir fressen, die dort müssen zahl'n.
Fürs Vaterland is schön zu fall'n.
Und das weiß heut doch jedes Kind:
Wir fall'n nur, wenn wir b'soffen sind.
Cadorna, der hat uns schon wieder verschont.
[: Sehn S', solche Kontraste gibt's nur an der Front! :]
*
Die letzten Tage der Menschheit
(Schluß der letzten Szene der Tragödie)
Alle Lichter sind verloschen. Draußen Tumult. Man hört das Platzen von Flieger-
bomben. Dann tritt Stille ein. Die Anwesenden schlafen, liegen in Somnolenz
oder starren völlig entgeistert auf die Wand, an der das Tableau »Die große
Zeit« hängt und nun der Reihe nach die folgenden Erscheinungen aufsteigen.
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Nun kommt ein Zug von Gasmasken, die vor den im Saale Anwesenden
Front machen und sich der Tafel zu nähern scheinen.
Die Gasmasken
Gesegnete Mahlzeit, wir stecken den Rüssel
aus purer Neugier in fremde Speise,
Denn unsre leider war nicht geraten.
Wir hatten heute nur auf der Schüssel,
und zubereitet auf deutsche Weise,
Dörrgemüse mit Grünkreuzgranaten.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Bei der vordersten Linie in den Karpathen. Es ist alles ruhig. In den Schützen-
gräben stehende Leichname, Mann neben Mann, das Gewehr im Anschlag.
Die erfrorenen Soldaten
Kalt war die Nacht.
Wer hat diesen Tod erdacht!
Oh die ihr schlieft in Betten —
daß euch das Herz nicht bricht!
Die kalten Sterne retten uns nicht.
Und nichts wird euch erretten!
(Die Erscheinung verschwindet.)
Ein alter serbischer Bauer schaufelt sein Grab.
Der alte serbische Bauer
Wir standen rings um unsere Truh.
Soldaten schrieen auf uns zu.
Wir hatten nichts mehr- Sie wollten was haben.
Drum muß ich jetzt meine Grube graben.
Wir waren arm, wir waren nackt.
Uns selber haben sie angepackt.
Sie stellten die Kinder mir an die Wand,
sie haben sie mir vorausgesandt.
Verbrannt ist mein Feld, verbrannt mein Hab.
Nun grabe ich mir das eigene Grab.
Schon rufen die Kinder — ich komme gleich!
Herr, hilf mir in das Himmelreich!
(Die Erscheinung verschwindet.)
Der Kronprinz bei den Flammenwerfern der 5, Armee. Zur Begrüßung des
Kronprinzen wird durch Flammen ein »W« gebildet.
Die Flammen
Wir sind die Flammen! Es waren verloren
in unsrer Höllenqual
viele, die Mütter in Schmerzen geboren.
Wir sind ein Initial!
Oh W der Zeit! W diesem blutigen Tropf!
Er hatte nichts im Sinn,
er führte was im Schilde.
So mähte er die Menschheit hin!
Geschaffen nach Teufels Ebenbilde,
hat er vorm Kopfe einen Totenkopf.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Zwölfhundert Pferde tauchen aus dem Meer, kommen ans Land und setzen
sich in Trab. Wasser strömt aus ihren Augen.
Die zwölfhundert Pferde
Wir sind da, wir sind da, wir sind da, wir sind da —
wir sind da, die zwölf hundert Pferde!
Die Dohna'schen Pferde sind da, Dohna, da —
wir stiegen empor zu der Erde.
Oh Dohna, wir suchen dich auf im Traum.
Uns wollte der Platz nimmer taugen.
Wir hatten kein Licht, zu viel Wasser hat Raum
in zweimal zwölfhundert Augen.
Graf Dohna umgeben von zwölf Vertretern der Presse. Plötzlich stehen statt
ihrer zwölf Pferde da. Sie dringen auf ihn ein und töten ihn.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Eine altertümliche Erfinderwerkstatt.
Lionardo da Vinci
— — wie und warum ich nicht meine Art schreibe, unter
dem Wasser zu bleiben, solang' ich bleiben kann; und dies
veröffentliche ich nicht oder erkläre es wegen der bösen Natur
der Menschen, welche Art sie zu Ermordungen auf dem Grund
des Meeres anwenden würden, indem sie den Boden der
Schiffe brächen und selbige mitsamt den Menschen versenkten,
die drinnen sind — —
(Die Erscheinung verschwindet.)
Ein süßer Ton erklingt. Meeresstille nach dem Untergang der Lusitania.
Auf einem schwimmenden Brett zwei Kinderleichen.
Die Lusitania-Kinder
Wir schaukeln auf der Welle —
wir sind nun irgendwo —
wie ist das Leben helle —
wie sind die Kinder froh —
(Die Erscheinung verschwindet.)
Zwei Kriegshunde, vor ein Maschinengewehr gespannt.
Die Kriegshunde
Wir ziehen unrecht Gut. Und doch, wir ziehn.
Denn wir sind treu bis in die Todesstund.
Wie war es schön, als Gottes Sonne schien!
Der Teufel rief, da folgte ihm der Hund.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Ein toter Wald. Alles ist zerschossen, abgehauen und abgesägt. Hüllenloses
Erdreich, aus dem sich nur ab und zu ein paar kranke Bäume erheben.
Zu Hunderten liegen noch die gefällten, entästeten, zersägten Stämme mit
halb schon verwitterter Rinde am Boden herum. Eine zerfallene Feldbahn
führt quer hindurch.
Der tote Wald
Durch eure Macht, durch euer Mühn
bin ich ergraut. Einst war ich grün.
Seht meine jetzige Gestalt.
Ich war ein Wald! Ich war ein Wald!
Der Seele war in meinem Dom,
ihr Christen hört, ihr ewges Rom!
In meinem Schweigen war das Wort.
Und euer Tun bedeutet Mord!
Fluch euch, die das mir angetan!
Nie wieder steig' ich himmelan!
Wie war ich grün. Wie bin ich alt.
Ich war ein Wald! Ich war ein Wald!
(Die Erscheinung verschwindet.)
Ein Oberst läßt eine dalmatinische Frau mit ihrem zwölfjährigen blonden
Knaben festnehmen. Während die Frau weggezerrt wird, gibt er den Auftrag,
dem Knaben in den Kopf zu schießen. Er steht rauchend dabei, indes
Soldaten auf den Händen des Kindes knien und die Exekution vollzogen wird.
Die Mutter
Daß nie, durch alle Tage die ihr schändet,
sich euer Blick von diesem Bilde wendet!
Und seid am Ende ihr der Höllenfahrt,
bleib' euch erst dieser Anblick aufgespart!
Die Splitter dieser edlen Kinderstirn,
sie bohren sich in euer Herz und Hirn!
Lebt lang und ewiger Begleiter sei
durch eure Nächte dieser Mutterschrei!
(Die Erscheinung verschwindet.)
Ins Fiebrige verzerrte Heurigenmusik setzt ein. Die Hinrichtung Battistis.
Lachende Soldaten umstehen den Leichnam, Neugierige recken die Hälse.
Die Hände über dem Haupt des Toten der fidele Scharfrichter.
Das österreichische Antlitz
Aus Tod wird Tanz,
aus Haß wird Gspaß,
aus Not wird Pflanz,
was is denn das?
Is alles stier,
is' einerlei,
denn mir san mir
und a dabei.
Ein guter Christ
sagt: Kinder bet's,
und Henker ist
man nur aus Hetz.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Die Klänge erheben sich während des folgenden Phantoms zu furchtbarer Musik.
Auf dem Monte Gabriele. Zu einem hohen Haufen geschichtet unbegrabene,
halb verweste Leichen. Ein Schwärm von Raben umkreist krächzend die Beute.
Die Raben
Immer waren unsre Nahrung
die hier, die um Ehre starben.
Aber eure Herzenspaarung
macht, daß Raben nimmer darben.
Wir, die wir uns nie bewarben,
Nahrung haben wir erworben.
Ihr nicht, wir nicht dürfen darben,
euch und uns sind sie verdorben.
Ihr und wir vom Siege schnarren,
wenn die Opfer sich vermehren,
weil im Reiche rings die Narren
eurem, unsrem Ruf nicht wehren.
Waren Generale Raben,
schnarrts von Phrasen dort im Saale.
Draußen sind sie unbegraben,
da sind Raben Generale!
Dürft getrost die Schlacht verlieren,
wir und ihr in keinem Falle
müssen uns vor uns genieren:
Kriegsgewinner sind wir alle!
Ja wir sind noch sehr lebendig,
wir sind beide noch die Alten,
und wir freuen uns unbändig,
diese Kriegszeit durchzuhalten.
Während ihr zum Fraß vereinigt,
brauchen wir nicht zu entbehren.
Hunger hat uns nie gepeinigt,
seit wir folgen euren Heeren.
Hunger würd' uns nimmer munden,
und wir stürben an der Schande,
und wir sind euch sehr verbunden,
daß wir nicht im Hinterlande.
Dort ist wahre Not, die Greise
und die Kinder dort verderben,
weil hier auf die andre Weise
uns zum Trost die Männer sterben.
Eure Schlachtbank läßt nie darben
ihre angestellten Kunden.
Raben haben, seit sie starben,
immer Nahrung noch gefunden.
(Die Erscheinung verschwindet.)
Die Musik, völlig abgedämpft, begleitet das nun einsetzende Schauspiel, um
allmählich zu verstummen. Ein unübersehbarer Aufzug von bleichen Frauen
marschiert vorüber, flankiert von Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett.
Die weiblichen Hilfskräfte
Wir, die Wehrmacht zu entzücken,
eingerückte Heereshuren,
kehren nunmehr euch den Rücken
als Brigade der Lemuren.
Opfernd heldischem Verlangen,
angesteckt von eurem Mute,
Rosen blühn uns auf den Wangen
und die Syphilis im Blute.
Blut und Thränen, Wein und Samen
flössen euch zum Bacchanale,
und was wir von euch bekamen
tragen heim wir zum Spitale.
So verabscheut sind wir heute,
denn uns schlottern die Gewänder,
und wir schleppen unsre Beute
in die fernen Hinterländer.
Doch wir wachsen durch die Zeiten!
Einstens rast ein Landsturm, brausend,
alle Menschheit zu bestreiten,
durch ein schauderndes Jahrtausend!
(Die Erscheinung verschwindet.)
Nun erfüllt ein phosphoreszierender Schein den Saal.
Der ungeborne Sohn
Wir, der Untat spätre Zeugen,
bitten euch, uns vorzubeugen.
Lasset nimmer uns entstehn!
Wären eurer Schmach Verräter.
Woll'n nicht solche Heldenväter.
Ruhmlos möchten wir vergehn!
Wehlust irdischen Getues!
Liebend hinterläßt die Lues
mir mein Vater, dieser Schuft.
Ruft uns nicht in diese Reiche!
Wir entstammen einer Leiche.
Ungesund ist hier die Luft.
(Der Schein erlischt.)
Völlige Finsternis. Dann steigt am Horizont die Flammenwand empor.
Draußen Todesschreie.
* * *
Der Totenkopfhusar
Schnedderereng, schnedderedeng!
Die Luft hier ist mein Leibparfeng.
Wir sind die Totenkopfhusaren,
in unsrem Handwerk wohlerfahren.
Wir haben eine schlanke Tallie,
ich lasse stürmen die Kanallie.
Hält man von außen uns für Puppen,
vom Auge fall'n dem Feind die Schuppen.
Denn nimmermehr läßt an die Wimpern
ein Totenkopfhusar sich klimpern!
Jetzt sollen mal die Jungens ran
und jeder zeigen, was er kann,
sie sollen, denn wer wagt gewinnt,
jetzt zeigen, was sie imstande sind.
Seit damals, seit dem Tag der Marne,
ich täglich vor Erschlaffung warne.
Wir müssen warten vor Werdeng.
Schnedderedeng, schnedderereng!
Schnedderedeng, schnedderereng!
Mein Mieder wurde mir zu eng.
Mein Vater ist ein zahmer Panther;
in dem Punkt bin ich viel gewandter.
Ich bin ein junger Jaguar,
das Vaterland ist in Gefahr.
Mein Bart ist britisch zugestutzt;
zu wenig Mörser sind verputzt.
In Frankreich lebt es sich nicht leicht;
es ist bei weitem nicht erreicht!
Solang man jung, solang man jung,
braucht man noch mehr Betätigung.
Doch eh ich opfere die Garde,
soll ins Quartier mein Lieblingsbarde.
Schlag zwölf ist Sturm, glock fünf ist Vesper,
den einzigen Reim drauf weiß mein Presber.
Denn Kunst ist heiter, Dienst ist streng.
Schnedderereng, schnedderedeng!
*
Nowotny von Eichensieg
Ja aus Flak und Dag
und aus Rag und aus Kag
bezieh jeden Tag ich das Menschenpack.
Auch das Hinterland
an die Front wird gesandt.
Wer sich nicht ermannt, der gspürt meine Hand.
Dem gemeinen Mann
tu ich an, was ich kann.
Gott weiß es allein, was liegt daran.
Wer hier tachiniert,
wird zurückinstradiert
und wird aufgehängt oder eingespirrt.
Wer verdächtig war
oder gar Deserteur,
den schick ich zurück auf das Feld der Ehr.
Wer an Bauchschuß hat
und er steht mir nicht grad,
der stirbt mir zur Straf als a Frontsoldat.
Denn hier ist mein Reich
und mir ist alles gleich
und bevor einer stirbt, is er schon eine Leich.
Und hier ist man gesund,
sagt der Stabsarzt und
der Mensch is im Grund nur a A-Befund.
Ja da gibts keine Wahl,
hier entscheidet die Zahl,
überall is a Menschenmaterial.
*
Volkshymne
Gott erhalte, Gott beschütze
vor dem Kaiser unser Land!
Mächtig ohne seine Stütze,
sicher ohne seine Hand!
Ungeschirmt von seiner Krone,
stehn wir gegen diesen Feind:
Nimmer sei mit Habsburgs Throne
Österreichs Geschick vereint!
Fromm und bieder? Wahr und offen
laßt für Recht und Pflicht uns stehn!
Nimmermehr, so laßt uns hoffen,
werden in den Kampf wir gehn!
Eingeheizt die Lorbeerreiser,
die das Heer so oft sich wand!
Gut und Blut für keinen Kaiser!
Friede für das Vaterland!
Was des Bürgers Fleiß geschaffen,
schützet keines Kriegers Kraft!
Nicht dem Geist verfluchter Waffen
diene Kunst und Wissenschaft!
Segen sei dem Land beschieden;
Ruhm und Wahn, sie gelten gleich:
Gottes Sonne strahl' in Frieden
auf ein glücklich Österreich!
Laßt uns fest zusammenhalten,
in der Eintracht liegt die Macht!
Mit vereinter Kräfte Walten
wird das Schwerste leicht vollbracht.
Laßt uns, eins durch Brüderbande,
gleichem Ziel entgegengehn:
Ohne Kaiser glückts dem Lande —
dann wird Österreich ewig stehn!
Uns gehört, was Gott verwaltet,
uns im allerhöchsten Sinn,
reich an Reiz, der nie veraltet —
Reich der Huld, arm an Gewinn!
Was an Glück zuhöchst gepriesen,
gab Natur mit holder Hand.
Heil den Wäldern, Heil den Wiesen,
Segen diesem schönen Land!
*
Inschriften
Franz Joseph
Wie war er? War er dumm? War er gescheit?
Wie fühlt' er? Hat es wirklich ihn gefreut?
War er ein Körper? War er nur ein Kleid?
War eine Seele in dem Staatsgewand?
Formte das Land ihn? Formte er das Land?
Wer, der ihn kannte, hat ihn auch gekannt?
Trug ein Gesicht er oder einen Bart?
Von wannen kam er und von welcher Art?
Blieb nichts ihm, nur das Wesen selbst erspart?
War die Figur er oder nur das Bild?
War er so grausam, wie er altersmild?
Zählt' er Gefallne wie erlegtes Wild?
Hat er's erwogen oder frisch gewagt?
Hat er auch sich, nicht nur die Welt geplagt?
Wollt' er die Handlung oder bloß den Akt?
Wollt' er den Krieg? Wollt' eigentlich er nur
Soldaten und von diesen die Montur,
von der den Knopf nur? Hatt' er eine Spur
von Tod und Liebe und vom Menschenleid?
Nie prägte mächtiger in ihre Zeit
jemals ihr Bild die Unpersönlichkeit.
*
Der Letzte
In manchem waren sie doch nicht zu tadeln,
was immer sonst Habsburgs Häupter vollbrachten:
sie verstanden den richtigen Unwert zu adeln
und waren perfekt in verlorenen Schlachten.
Einstens, wenn Kaiserwetter uns lachte,
so war's doch sehr schön, wenngleich miserabel,
wie alles gemütlich und würdig verkrachte,
Gemischtsprachenhandlung und Sündenbabel.
Der uns mit weiser Hand so geführt hat
in das Verderben, ließ nie uns vergessen,
da er uns die Blutsuppe eingerührt hat,
daß sichs gehört, sie korrekt auch zu essen.
Aber bei weitem schon nicht so pedantisch
war, der als letzter zu herrschen erkoren.
Seit Menschengedenken ging so dilettantisch
keine Schlacht, keine Macht, keine Ehre verloren.
*
Zusammenhänge
Im Pferch und Stank, im stundenlangen Zwange
riß einer Wartenden die Schafsgeduld.
Verzweifelt rief sie hieramts auf dem Gange:
Die Habsburger, die sind an allem schuld!
Ungläubig lacht dazu ein Bildungsbengel
und spottet in der Zeitung jenem Schrei.
Sie aber war ein ahnungsvoller Engel
und kennt den Urgrund aller Schweinerei.
Kein bessres Wissen treibt sie in die Enge,
ihr guter Spürsinn führt sie blitzesschnell.
Nicht spanisch sind ihr die Zusammenhänge
von Wiener Dreck und Zeremoniell.
*
Gespräch mit dem Monarchisten
Die den Krieg gemacht und was weiter entstanden,
sie werden nimmer daran zu Schanden;
und sich zu behaupten auch ohne Degen,
sind sie vor Not und Tod nicht verlegen,
indem sie mit Recht sich darüber beklagen,
daß die heutigen Zustände nicht zu ertragen.
»Wir wären, wenn wir einen Kaiser noch hätten,
zwar auch keine Prasser,
doch längst heraus aus den Fatalitäten,
wenn schon nicht aus dem Blut, so doch aus dem Wasser.
Als er noch regierte, war alles viel billiger,
und die Arbeiter waren auch arbeitswilliger.
Ja, Krieg ist Krieg, da war nicht zu spaßen,
und im übrigen: leben und leben lassen!
Selbst im Krieg war's noch besser zu leben für jeden;
von der schönen Vorkriegszeit gar nicht zu reden.
Als Franz Joseph sein Ultimatum geschrieben,
nachdem er alles reiflich erwogen,
ist jedem noch was erspart geblieben.
Heut werden wir vorn und hinten betrogen.
Es war doch sehr schön und hat uns gefreut,
jetzt woll'n s' nicht mehr arbeiten, die Leut!
Das kann mich von allem am meisten erbosen:
man züchtet ja förmlich die Arbeitslosen.
An dem Hunger und sonst allem Mißgeschick
ist schuld nur, ich sag's ja, die Republik!«
Um mit dem Trottel ans Ziel zu gelangen
und ihm zu zeigen, wie richtig er's meint:
»Wer hat denn«, sag' ich, »den Krieg angefangen?«
Sagt drauf der Trottel: »Natürlich der Feind!«
»Falsch!« sag' ich und straf ihn mit einem Blick.
»Wer denn?« sagt er. »Wer? No die Republik!
Und wissen S', warum so viel Monarchisten
sich laut über die Republik entrüsten?
Weil nicht mehr der Kaiser das Staatsoberhaupt ist,
sondern im Gegenteil: weil's jetzt erlaubt ist!«
*
Restauration
Schon kehren wieder alle Diebe
in das durch sie verarmte Heim
und ihnen geht die alte Liebe
halt immer wieder auf den Leim.
Wie findet sich, wie freut sich alles
und wie vollendet sich das Glück:
erst hinterließ man uns den Dalles,
nun kehrt man gar noch selbst zurück!
Seitdem sie von einander schieden,
der Dieb und jener, dem's geschah,
da waren beide unzufrieden
mit einem, der zum Rechten sah.
Mit Undank jene ihm vergalten,
die packten ihre Frechheit aus,
der Dieb und der Bestohlene schalten
auf den, der nun betreut das Haus.
Des neuen Elends gleiche Hasser,
das von einander sie getrennt,
sind die hier endlich aus dem Wasser,
die dort in ihrem Element.
Doch ahnen nicht die gern Beraubten,
wie häufig sich die Hoffnung irrt.
Was immer sie im Herzen glaubten,
der Dieb ist doch der bessre Wirt.
Denn jene, die da Speichel lecken,
sie finden ihre Nahrung schon.
Doch diese wollen weiße Wecken
von ihrer Restauration.
Was sie getan, es ist vergessen
von jenen, welchen es geschah.
Sie haben alles aufgefressen
und finden, nun sei nichts mehr da!
*
Vermögenssteuer
Die ihr so heftig widerstreben,
man tadelt sie für ein gerechtes Walten.
Wenn die andern schon ihr Blut hergegeben,
so wollen sie doch ihr Geld behalten.
*
Das Kirchenvermögen
Sag an, wer ist im ganzen Land
der schlecht'ste Zahler?
Es fällt ihr Lebtag aus der Toten Hand
kein blanker Taler.
*
Der Funktionär
Entgegenkommend zu sein und verbindlich
des k. k. Beamten äußerstes Lob war,
das in der Amtssprache tunlichst erfindlich,
wenn er nicht diesbezüglich auch grob war.
Um die Bestandteile gut zu verbinden,
mußte der Funktionär konnivent sein,
nach oben, nach unten, nach hinten sich winden,
rücksichtlich weil mr eh schon am End sein.
Nun, da sie doch auseinandergegangen,
was soll ihm noch seine Verbindlichkeit frommen?
Tunlichst, um hinsichtlich anzufangen,
unserem Ende entgegenzukommen.
*
Freiheit in Wien
Wann ist es Matthäi am Letzten?
— Der Österreicher hat keinen Vorgesetzten.
*
Sprachenpflege
Als Kaiser Karl sich aus Österreich entfernte,
für jeden Fall er schnell Ungarisch lernte,
damit er, war' er bald genötigt heimzukehren,
hätt' er das Land, die Sprach' nicht müßt' entbehren.
Die Jahre gingen hin und siehe, unterdessen
hat Kaiser Karl längst sein Deutsch vergessen.
Doch von Natur begabt und prächtig aufgeweckt,
sprach er indessen Ungarisch perfekt.
In hohem Alter noch saß Kaiser Karl auf Kohlen,
daß man ihn möcht' zurück nach Österreich holen.
Da endlich fragt' er sich, vom Ziele weit entfernt:
Wozu hab' eigentlich ich Ungarisch gelernt?
*
Erzherzog Friedrich
Heroischer Vers
Als er, im Kino geschah's, sie da fallen sah, rief er: Bumsti!
*
Wozu der Lärm?
Wozu der Lärm? Brächt' er mich auch zum Schweigen,
der Ausgang könnte nimmer uns versöhnen.
Den Lärm, zu dem sie sich entschlossen zeigen,
ihn würde laut mein Schweigen übertönen.
Und wenn die unberufnen Stimmen rufen,
und wenn sie noch so laut den Saal durchschallten,
in dem Skandal, den sie sich selbst erschufen,
werd' ich den letzten Pfuiruf doch behalten!
* * *
Nachruf
an alle, die mich an einem Grabe geschmäht haben
Und wurde einer unter Sünden alt,
sobald er starb, war's eine Lichtgestalt.
Als könnte ihm, der starb, sein heillos Handeln,
weil es vorbei, der Tod in Tugend wandeln.
Die weite Welt versank in Tod und Nacht —
sie priesen des Vollbringers Geistesmacht.
Und daß vom Vaterlande nichts geblieben,
auf seiner Fahne steht es aufgeschrieben.
Wir haben alle dieses Dasein satt.
Er wirkte unermüdlich für das Blatt.
Gram beugt die Welt, es kam der Fluch von oben
Das Blatt wird täglich seinen Meister loben.
Ein Sphärenklang ist aus dem Leben fort.
Der Leitartikel sprach das letzte Wort.
Kein Mißton trübt uns dieses reine Ende.
Bankdirektoren falten ihre Hände.
Der uns sein Lebtag um die Wahrheit trog,
die Lüge hält ihm nun den Nekrolog.
Die Wahrheit folgt lebendigem Gebot
und totgeschwiegen, sprach sie v o r dem Tod.
Und schweigt nicht: daß die hochgeweihte Ehre
der Ewigkeit dies Tagwerk nicht verkläre.
Und nimmt vor jener Zunft den Hut nicht ab,
die mich verschimpft bei ihres Meisters Grab.
Wer feige schwieg und erst den Toten rächt
im großen Schutz des Todes, betet schlecht!
Gott mag der armen Seele gnädig sein.
Doch kein Journal macht dieses Leben rein.
Dem Mitarbeiter bot ein Leben Zeit;
nun hat er leichtere Gelegenheit.
Ein Gottesdienst war dieses Tagewerk.
Wer zweifelt, ist ein giftgeschwollner Zwerg.
Schmach dem, der Geistesgröße so verkannt;
ich bin ein Zwerg und er war ein Gigant!
Zum Himmel ruft die Sippe den Verlust.
Wie haben wir um edlern Gram gewußt!
Nie lassen wir für bessere Annalen
das Bild der Zeit mit Tintenfingern malen!
Mit unserm Untergang und seinem Höhnen
soll uns sein Tod, sein Schweigen jetzt versöhnen.
Doch als die Kreatur im Krieg verreckt,
hat er Hyänen noch zum Schmaus gedeckt.
Und als ein Feindesschiff zur Tiefe glitt,
wünscht' er den Haien guten Appetit.
Des schweigt die Lüge, daß Millionen starben,
die lautlos unsre Ehrfurcht sich erwarben.
Sie übt die allerschlimmste Pietät,
da sie die Wahrheit erst am Grabe schmäht.
Denn Wahrheit lebt und gibt der Welt sich kund.
Der eigne Tod allein schließt ihr den Mund!
*
Inschriften
Trost des Generalstabs
Faßt euch und zählt die Häupter unsrer Lieben,
ein süßer Trost ist wahrlich euch erlaubt:
es fehlt — wir alle sind zurückgeblieben —
kein Haupt.
Wie immer wir's in diesem Krieg getrieben
— teils in den Tod und teils nur in Misere —
so ist das letzte doch, was uns geblieben:
die Ehre.
*
Immer feste druff!
Sie sahen nur das, was nicht geschehn,
und hörten nur das, was ihnen frommt.
Ich hab' schon am Anfang das Ende gesehn
und wußte, was nach dem Ende kommt.
Dies Volk, genährt mit Weltenhasse,
des Wahnes entbunden, der Lüge bloß,
sie stürzen mit Messern hinaus auf die Gasse
und gehn dort aufeinander los.
Und sollt' ich nun in die Zukunft schauen,
so würde der Horizont mir zu eng.
Denn wieder seh' ich das alte Grauen
und höre das alte Schnedderedeng.
Sie werden die Welt gegebenen Falles
verwandeln ins unentbehrliche Feld.
Denn dieses geht Deutschland doch über alles,
über alles doch in der Welt!
*
Die Republik ist schuld
Es war ein Mann, dem sein Begleiter
die Börse stahl, und der Gewitzte
ging dann mit einem andern weiter,
der ihn vor solchem Unfall schützte.
So traurig es auch war, so heiter
war's, wie er die Erfahrung nützte:
Er schalt den schützenden Begleiter,
weil jener ihm das Geld stibitzte.
Denn damals, als er mit dem andern
spazierte, war er noch vermögend.
So arm jedoch dahin zu wandern,
verleidet ihm die ganze Gegend.
Er seufzt, die Zeit kehrt nicht mehr wieder
wie muß die Gegenwart er hassen!
Wer wollt's auch leugnen: er kam nieder,
als jener andre ihn verlassen.
Schon klängen ihm die alten Lieder.
Bald hat a Ruh die arme Seele.
Und rasch ruft er den Räuber wieder,
damit er ihm das Hemd noch stehle.
Ja, war er denn nicht der Gewitzte?
Die Wahrheit lautet, unverhohlen:
es hat auch, daß ihn nichts mehr schützte,
ihm jener den Verstand gestohlen.
Verflucht, durch Schaden dumm zu werden,
büßt er nun erst die alten Sünden.
Das dümmste aber ist auf Erden:
Mit Trotteln Republiken gründen.
*
Reaktion
Die mit ihm allzulange lustgewandelt
und die er dafür hat mißhandelt,
rief einmal doch die Polizei
zu ihrem Schutz und ihrer Sicherheit herbei.
Nun, seit es keine Schläge mehr gegeben
und seit sie nicht mehr bei dem Leben,
fand sie, daß es kein Leben sei
und überhaupt, und rief den Rohling rasch herbei.
Da endlich waren sie erst eins im Hasse
wie auch im Glück der Seitengasse.
Und, was auch zwischen ihnen sei,
nicht schützt vor ihm, doch er sie vor der Polizei.
*
Umsturz
Heil dir in dem Siegerkranze!
tönt es weiter zum Entzücken,
und sie gehen noch aufs Ganze
in zerschlagnen Republiken,
Und sie fühlen noch das gleiche
Gott erhalte, Gott beschütze.
Und es haben Kaiserreiche
Präsidenten an der Spitze.
*
Bessere Methode
Sie wußten es, sie sagen fest und steif:
das Volk hier ist zur Freiheit noch nicht reif.
Damit das Volk zur Freiheit endlich reife,
zäumt man das losgelassne Pferd beim Schweife.
Es kann das Volk, wer sollt' es nur begreifen,
nur in der Sklaverei zur Freiheit reifen.
*
Wohnungswechsel
März und November sind die Ausziehzeiten
für jenen Hausherrn, dem der Mieter kündigt
beim Weltgericht.
Und leider gehts nicht ohne Streitigkeiten
und ohne daß man blutig sich versündigt
gehts leider nicht.
Ihm heimzuzahlen, das ist die Entlohnung,
mit welcher jener jetzt vorlieb muß nehmen
statt des Gewinns.
Und die Parteien wechseln nun die Wohnung,
der Hausherr muß sich fürder anbequemen
und zahlt den Zins.
Nicht werden die Parteien ihrem Hasse
— politisch-garstgen Liedes letzter Strophe —
je ganz entfliehn.
Ein Kabinett mit Aussicht auf die Gasse
ist jenem mit der Aussicht nach dem Hofe
d o c h vorzuziehn!
* * *
Miserere
Meine von mir verheerten Hörer,
hin und her, sind sie alle Verehrer
und hören nicht mehr, daß ich mir selbst nicht gehöre
und daß ich selbst mich nie in der Arbeit störe,
und begehren so sehr mit mir zu verkehren,
denn was ich gebäre, soll ich auch ernähren,
ich darf nur gewähren, ich kann mich nicht wehren,
ich muß ihn erhören, sie will mich verehren,
das erhört nicht die Bitte, mich nicht zu verheeren!
Doch bin ich nicht willig und will es entbehren,
mich sperrend ums leere Geplärre nicht scheren —
so werden sich Wetter und Wirrnis schon klären,
vorüber die Wolken, vorbei die Chimären:
die Verehrer werden sich selber verkehren,
mich Mores und Psychologie dazu lehren!
Denn ihre Verehrung ist tief und sinnig.
Drum wenn ich nur höre von einem Verehrer,
hör' ich auf und hör' nur den Ruhestörer
und erwehre mich derer, die stets ich vermehre
und deren jeder entschlossen doch wäre,
bei mir zu schlafen, zu meinen Ehren,
statt meiner auf meinen Lorebeeren.
Und mag ich nicht was ich gebäre begehren —
sie, die sich in sehrender Sehnsucht verzehren
und das Hehre daher in Haß gleich verkehren,
sie werden wie weiter eiternde Schwären
fortwährend noch mehr hysterisch gären
und, während sie zehrend am Namen sich nähren,
sich über und gegen und durch mich empören
und den Krieg wie vorher mir die Liebe erklären
und sagen, ich soll mich zum Teufel scheren!
Denn ihre Bekehrung ist echt und innig.
War ich der Betörte? Bin ich der Lehrer?
Sind sie die Verehrten? War ich der Verehrer?
Was immer ich füllte, es bleibt eine Leere.
Und nährt sich das Nichts auch an kosmischer Sphäre,
wird dennoch sein Anspruch an mich nicht verjähren,
Sie zerren mich fort durch ihre Miseren,
um aufbegehrend mein Werk zu erschweren —
Gefährten? Nein, miserable Hetären,
unbrauchbar noch wenn sie den Rücken mir kehren.
Erinnyen sind es, die mich beehren,
mißratene Huren, gelungene Keren!
Sie stechen mit den mir gestohlenen Speeren
und versperren den Weg mir, mich zu durchqueren.
Und wenn sie nur meinen Namen röhren,
dann werde ich, eh sie selber es wären:
mir abtrünnig!
*
Schnellzug
Auf dieser Lebensbahn
rattert es drauf und dran
in schnellem Zug.
Und meine Melodie
macht es, ich weiß nicht wie,
zu einem Trug.
Draußen das liebe Land,
das noch nicht stille stand,
wie es sich dreht!
Alles bleibt mir versäumt,
alles bleibt ungeträumt,
alles vergeht.
Man wird vom Schauen stumpf,
hier drin die Luft ist dumpf,
draußen ist's schön.
Dann wird die Zeit mir lang,
dann wird mir wieder bang
vor dem Vergehn.
Welch eine Menschennot
schlägt sich die Zeit hier tot
auf ihre Art.
Hier drin ist nichts wie Schmutz,
und ich bin voller Trutz.
Welch eine Fahrt!
Doch was auch quält und narrt,
ich bleibe eingesperrt
bis an das End',
Wollte mich gern befrein,
wollte die Landschaft sein,
die rückwärts rennt!
*
Als ein Stern fiel
Was ich je empor gesprochen,
mündet es in mich zurück?
Heute ist ein Stern zerbrochen
und es bleibt ein Erdenstück.
Was da einem Himmelskreise
sich in meiner Nacht entwand
und sich jäh entschloß zur Reise
in ein allzu irdisch Land —
ach, es strahlt in eine Richtung,
die mir tief das Herz verstört.
Und es hat die eigne Dichtung
mir nicht, mich nicht angehört!
Weh, wie über alle Grenzen
riß ich die Natur ins All!
Welch ein trügerisches Glänzen
ach, begleitet diesen Fall!
Welch ein Aufruhr unter Sternen,
der die Ewigkeit zerreißt!
Alle Höhen, alle Fernen,
alle Herzen sind verwaist.
Und sie stöhnen ob der Stunde,
wo mit unumwundner Hast
nun aus der verklärten Runde
eilt ein gottgeliebter Gast.
Eingedenk des großen Gestern,
lichtbefangen, wertbewußt,
klagen wir verlorner Schwestern
unerforschlichen Verlust.
Und wir blicken ihrer Bahnen
noch die letzte lichte Spur.
Welch ein Abschied! Welch ein Mahnen
an die sterbliche Natur!
Welch ein Absturz in das Wilde,
der ihr so die Heimkehr weist!
Einst erschuf ein Luftgebilde
seiner Schöpferlust der Geist.
Dunkel wirds. Dem Aug verloren
ist das glühnde Meteor.
Zu den unverrückten Horen
schau' ich in die Nacht empor.
*
Hypnagogische Gestalten
Ei das ist was Schönes,
dieses hier und jenes
zwinkert, lacht und wendet sich zurück.
Lustige Gemeinde,
lauter gute Feinde,
doch durchbohrend dünkt mir jener Blick.
Der hat eine Nase
wie 'ne Walfischblase,
der hat einen mir bekannten Kropf.
Aber jener Schwarze
ist nur eine Warze,
jenem wachsen Würmer aus dem Kopf.
Und nach meinem Reste
greifen diese Gäste,
und ich habe alle schon durchschaut,
Männer sind und Weiber
Häute ohne Leiber,
aber lauter Löcher hat die Haut.
Das sind mir die Rechten,
wie sie spiegelfechten,
keinem möcht' ich über meine Gasse traun.
Und zu meinem Spasse
ist's die Seitengasse
mit den mitten durchgerissnen Fraun.
Diese Ausgehurten
führen Mißgeburten,
immer dichter wird das Wortgespinst.
»Innen spinnt der Dichter«:
spricht der nichtigen Wichter
einer, der dort durch das Dickicht grinst.
Schon erscheinen Schatten,
um sich zu begatten
gegen alle vorgeschriebne Scham,
die den meisten Christen,
diesen nachher tristen,
leider Gottes längst abhanden kam.
Nur heran, ihr Bäuche,
gut sind solche Gäuche,
seid ihr einmal da, so ist bald Ruh,
Kennen uns persönlich,
aber ungewöhnlich
geht es nachts in diesem Zimmer zu.
Was sind das für Sachen,
kann man halt nix machen,
ihr seid viele und ich bin allein.
Und bei euch Gorgonen
läßt sichs wahrlich wohnen,
wenn ihr Wache haltet, schlaf ich ein.
Gierig zum Verhöre,
gute Voyeure,
alles wissen sie, was schon geschah.
Nie zu solchem Nahsein
ward mir je das Dasein,
nie war ich mir nah wie diese da.
Dort mit strenger Stirne
schaltet eine Dirne
und sie bietet auf Verlangen Qual.
Das ist eine Roheit,
nackt von aller Hoheit
hängt am Fensterkreuz ein General.
Ach und jene Freche
reizt die Männerschwäche,
wiegt sich in den Hüften her und hin.
Deutlich hör' ich sagen
aus versunknen Tagen:
Sehn S' so heiter ist das Leb'n in Wien.
Nun marschiert ein Dutzend
sich die Nase putzend
mit vollendetstem Gesellschaftstakt.
Alle Kunst ist Kleister,
sie nur sind die Meister
und ich bin im Innersten gepackt.
Dort ein Mandarine
schneidet eine Miene,
ruft mir das verlorne Wort ins Ohr.
Eines Satzes Wendung
wächst mir zur Vollendung,
wenn ich sie bis morgen nicht verlor.
Wie im Kindheitszittern
riechts wie nach Gewittern,
angefühlt von jenem Element,
wie die kleinen Knaben
leicht ein Fieber haben,
glückts mir, daß es in den Adern brennt.
Wie die Finger tasten,
fühl' vielleicht ich Lasten
und sie sind zugleich so weich und leicht.
Schwebend in der Bindung,
hab' ich die Empfindung
eines Vorlebendigen erreicht.
Hier ists nicht geheuer,
voller Abenteuer
ist im Raum hier das geringste Ding.
Drüben an der Mauer
lauert ein Zentaur,
wenn zur Urzeit ich vorüberging.
Wie sie mich verwalten
diese Wahngestalten,
wie sie mich umgeben links und rechts.
Ach in welcher Landschaft
schloß ich die Bekanntschaft
dieses nie versagenden Geschlechts!
*
Inschriften
Nationalismus
Daß du nicht meiner Mutter Sohn,
das wird mich dauernd empören.
Es ist und bleibt der Stolz der Nation,
zur andern nicht zu gehören.
*
Völkerrechtschreibung
Wie konnte er Europa so verletzen,
ihm solche Neuerung zu reichen!
Durch vierzehn Punkte läßt sich nicht ersetzen
das nationale Fragezeichen.
*
Die Zeitungssetzer
Sie stehen mit neutralen Mienen
und selbstlos wenden sie den Blick
als unparteiliche Maschinen
von ihrem eigenen Geschick.
Denn Krieg ist Krieg, und da gilt es zu dienen
in der feindlichen Munitionsfabrik.
*
Die große Zeit
Wer von uns allen hätt' es gedacht,
durch sie hindurchzugelangen ?
Teils hat man sie mit Bangen verbracht,
teils aber auch mit Hangen.
*
Ungarische Monarchie
Durch dieses technoromantische Balgen
verkehrte sich jedem Ding die Natur.
Ein Thron ist der praktikabelste Galgen,
der Strick eine goldne Husarenschnur.
*
Mord in Ungarn
Es wird die Welt für Karl und Zita
noch lang nicht ihres Daseins froh.
Extra Hungariam non est vita
et in Hungaria ebenso.
*
Dilemma
»So kann's nicht weiter gehn!« Das ist schon möglich
und wäre immerhin erträglich.
Seid ihr gefaßt, das Schlimmere zu sehn?
Es kann ja auch nicht anders weiter gehn!
*
Entente bestiale
Der Besiegte vergießt das eigene Blut
und schlägt um sich in seinen Niederlagen,
Der Sieger findet das Ende gut,
er ist vom Sieg aufs Haupt geschlagen.
Schon packt den Teufel eine Wut
und er sie allesamt beim Kragen,
*
Militarismus
Wie sind nur die hiesigen Menschen benommen!
Wie sind doch die heutigen Leute verrannt!
Habt acht! riefs, als zur Welt sie gekommen,
und Ruht!, wenn sie in die Grube gesandt.
Und ganz umnebelt von solcher Neigung,
verweigern sie Gott die Ehrenbezeigung,
*
In perpetuam rei memoriam
Nach tausend Jahren,
wenn keine Ahnung dieser Fieberträume
weht an das Denken neugeweihter Räume,
sie sollen es erfahren!
Die auferstanden von dem Sündenfalle
nach tausend Jahren,
sie sollen es erfahren:
Die Beter waren, waren Töter alle!
Herr ihrer Schaaren!
Sie führten dies und das im Schilde
und schufen dich nach ihrem Ebenbilde
mit Haut und Haaren,
Laß jene, die da werden sein
nach tausend Jahren,
laß sie es doch erfahren:
Du littest einmal große Pein
um solche, die nicht waren!
* * *
Stimme vom Mars
Zu eurem unendlichen Schädelspalten
haben wir bis zum Endsieg durchgehalten.
Nun aber wißt, in der vorigen Wochen
hat der Mars die Beziehungen abgebrochen.
W i r h a b e n a l l e s r e i f l i c h e r w o g e n
und sind in die Defensive gezogen.
Wir sind denn entschlossen, euern Planeten
mit sämtlichen Fronten auszujäten
und mit allen vermessenen Erdengewürmen,
die sich erfrechten, die Sphären zu stürmen,
und wie immer sie sich gewendet haben,
das Bild der Schöpfung geschändet haben,
die Tiere gequält und die Menschen versklavt,
die Schande geehrt und die Würde bestraft,
die Schlechten gemästet, die Guten geschlachtet,
die eigene Ehre am tiefsten verachtet,
sich als Hülle irdischer Güter benutzt,
ihre Sprache durch ihr Sprechen beschmutzt,
und Seele und Sinne, Gedanke und Wort
und ihr Jenseits nur aufgemacht für den Export,
und Tod und Teufel und Gott und die Welt
und die Kunst in den Dienst des Kaufmanns gestellt,
den Lebenszweck hinter dem Mittel versteckt,
mit dem Leib ihre Fertigware gedeckt
als Knechte ihrer Notwendigkeiten,
die ihr Dasein mit ihrem Dasein bestreiten,
sich selber für das Produkt verkauft
und mit dem andern um den Rohstoff gerauft,
und ihren Handel mit Haß nicht geendet,
mit Geld und Gift sich die Augen geblendet,
in ihrem ruchlos verblendeten Nichts
sich unwert erwiesen des ewigen Lichts
und unter den Strahlen der Sterne und Sonnen
sich Schlachten geliefert und Schanden gewonnen,
im Frevel geeint, von Süden bis Norden
den Geist nur verwendet, um Leiber zu morden
und einverständlich von Osten bis Westen
die Luft mit Rache und Rauch zu verpesten,
die beten konnten, um besser zu töten
und nicht vor Scham, nur von Blut zu erröten,
ihren Gott gelästert und ihrer Natur
zertreten die letzte lebendige Spur,
das Blaue vom Himmel heruntergelogen,
mit Landesfarben die Landschaft betrogen,
Eisen gefressen, jedoch zumeist
mit siegreichen Lügen sich abgespeist,
auf die Not des Nebenmenschen gepocht,
am Brand des Nachbarn die Suppe gekocht,
von fremdem Hunger die Nahrung genommen,
und sich dabei selber nicht satt bekommen,
das Haupt des andern mit glühenden Kohlen
beladen, um sich etwas Wärme zu holen
und diese Empfindung frech zu besteuern
und die Butter am eigenen Kopf zu verteuern,
erpreßt und geplündert, gelogen wie gedruckt
und als Kost nur den eigenen Wahn verschluckt,
Invaliden auf allen Siegeswerkeln,
Agenten mit Lues und frischen Tuberkeln,
Händler und Helden und Menschenjäger,
Bombenwerfer, Bazillenträger,
Raubbauer am Schatze der Phantasie,
Bankrotteure der eigenen Ökonomie,
Buschräuber hinter dem Ideale,
Glücksritter in einem Jammertale,
gepanzert mit Bildung, gewandt und gelehrt,
überbewaffnet und unterernährt,
von Gnaden ihrer Maschine mächtig,
hochmütig und dennoch niederträchtig,
von sich überzeugte Untertanen,
erbaute Erbauer von Bagdadbahnen,
Hochstapler der Höhen und Schwindler der Tiefen,
Hyänen, die Leben und Tod beschliefen,
Flieger, die an dem Irdischen haften,
Sklaven der neusten Errungenschaften,
in Tort und Technik bestens erfahren,
elektrisch beleuchtete Barbaren,
die vor dem Tod noch den Einfall hatten,
ihn mit allem Komfort fix auszustatten,
so daß er bei jenen behaglich gelebt,
die auf der Flucht vom Ursprung das Kriegsziel erstrebt! —
Nicht abgeneigt einem Verständigungsfrieden,
hat das Weltall sich folgendermaßen entschieden:
Wir vom Mars sind gar nicht eroberungssüchtig.
Doch greift man was an, so greift man es tüchtig.
Zum Heil des Alls und all seiner Frommen
haben wir eure Methoden angenommen.
Sowohl um zu forschen wie um zu töten
war uns eure Wissenschaft vonnöten.
Durchs Fernrohr betrachtet war euer Stern uns nur Schnuppe:
wir besahn den martialischen Zwerg durch die Lupe!
Wir woll'n nur ein wenig das Wetter erheitern,
doch nimmer an euch unsre Grenzen erweitern.
Die Prüfung war schwer. Vernehmt das Ergebnis:
Wir planen mit euch ein besondres Erlebnis.
Fern sei es von uns, euch zu annektieren,
wir würden dadurch an Prestige verlieren.
Zu friedlicher Arbeit dem Kosmos zu nützen,
wollen wir nur die eigenen Grenzen schützen.
Entschlossen, auf euern Besitz zu verzichten,
wollen wir das Geschäft ganz anders verrichten.
Die Kriegskosten werdet ihr freilich bezahlen,
da der Schuldner getilgt wird aus den Annalen,
damit auf Ewigkeitsdauer die Sphären
sich über Störung der Harmonie nicht beschweren,
nicht greife in den verschlossenen Äther
die Hand der Denker und Attentäter
und kein Schiachtendonner, kein Handelstauschen
je dringe zu unserm verschwiegenen Rauschen!
Habt lange genug im Weltall gesprochen.
Die Ewigkeit ist bereits angebrochen.
Lang' wartetet ihr und warteten wir,
wir harrten geduldig, ihr hofftet mit Gier.
Und damit doch auf eurer noch hoffenden Erde
nun endlich der endliche Endsieg mal werde,
und damit sich dagegen kein Widerspruch regt —
haben wir sie erfolgreich mit Bomben belegt!
*
Apokalypse
Und wieder fiel ein Stern, der Wermuth hieß,
und brannte einer Fackel gleich die Erde
und Wermuth ward der Ströme drittes Teil.
Wild um mich tobt die Zeit im Untergang,
sie töten sich, zum Ausgang zu gelangen:
der aber ist versperrt, so räumen sie
einander weg und immer weniger
verbleiben hier, einander Raum zu machen.
Doch jene andern, von den Strömen her,
die bitter nicht und ohne Trübnis sind,
befruchtend ihre Welt: die Menschen, die
nicht von den Wassern sterben, drängen zu
und werden immer mehr; ihr Antlitz ist
der Menschen Antlitz, doch sie haben Haare
wie Weiberhaare und die Zähne sind
wie die der Löwen und sie haben Schwänze
den Schlangen gleich und Köpfe haben sie,
zu schaden. Und wie Skorpionen haben
sie Macht, zu schaden. Doch es ward geboten,
nicht zu beleidigen das Gras auf Erden,
noch etwas Grünes, keinen Baum, jedoch
die Menschen, welche nicht das Siegel Gottes
an ihren Stirnen haben, die allein.
Die Zahl des Heerzugs ihrer Reiterei
war zweihundert Millionen und ich hörte
die Zahl. Und ihre Panzer feuerrot,
schwarzblau und schwefelfarbig und den Mäulern
brach Feuer, Rauch und Schwefel wild hervor,
und Rasseln wie von ungezählten Wagen
der Rosse, welche in das Schlachtfeld rasen,
zerriß die Luft. Schwarz wie ein Haarsack ward
die Sonne und der ganze Mond wie Blut.
Die Erde bebte, Sterne aber fielen
wie Feigen ab, wenn sie ein Feigenbaum,
vom großen Wind geschüttelt, wirft zur Erde.
Und Hagel ward mit Feuer und Blut gemengt;
und brennend stürzt ein großer Berg ins Meer.
Ein fahles Pferd. Und der drauf saß, hieß: Tod;
die Hölle folgte nach. Getötet ward
das dritte Teil der Menschheit. Vormals sprach sie:
Wer ist dem Tiere gleich? Und wer vermag
mit ihm zu streiten? Denn dem Tiere war
ein Maul gegeben, Lästerung zu reden
und große Dinge, und ihm war die Macht
gegeben, daß es zweiundvierzig Monat
sein Wesen trieb und öffnete das Maul
zu Lästerungen gegen Gottes Namen,
so daß der ganze Erdkreis sich des Tiers
verwunderte. Doch über alle Stämme
und Sprachen und Nationen hat es Macht,
von allen angebetet, deren Namen
im Buch des Lammes nicht geschrieben steht,
das vom Beginn der Welt dem Tod bestimmt ist.
Und war ein andres Tier, das redete
dem Drachen gleich und zwang damit die Menschen,
daß sie das andere Tier anbeten mußten.
Denn große Zeichen tat es und verführte
mit diesen Wunderzeichen und belebte
das Bild des andern Tiers und machte, daß sie
getötet wurden, welche anzubeten
des Tieres Bild sich weigerten, und daß sie
ein Zeichen trugen und daß niemand konnte
verkaufen oder kaufen, ohne daß er
des Tieres Zeichen oder dessen Namen
und dessen Zahl an seiner Stirne trug.
Und hinter ihnen thront die große Hure
und sitzt auf vielen Wassern, allberauschend,
und mit ihr buhlten alle Könige
und alle Untertanen wurden trunken
vom Wein der Wollust. Und die Haut des Tiers,
auf dem sie sitzt, ist ganz rosinfarben,
sie selbst in Purpur angetan und Scharlach,
und ist mit Perlen und mit Edelsteinen
behangen und von Gold ganz übergoldet
und einen goldnen Becher in der Hand
hält sie, voll Greuel und übervoll von Unzucht.
Und trunken von dem Blute aller Heiligen
ist sie; und ihrer mich verwundernd
sah ich sie. Doch sie fährt in die Verdammnis
mit jenem Tier. Und auch das andre Tier,
verführender Prophet der Lüge, wird
bald nachgeworfen in den Feuersee.
Und jeglicher nach seinem Werk gerichtet!
Mein Herz schlägt an das Tor der Ewigkeit,
daß ich Vollendung schaue und der Tod
vorbei sei und kein Leid, kein Schrei und Schmerz
vorhanden mehr und alle Augen schon
von Gott getrocknet und die Nacht vorbei!
Groß in der Sonne steht ein Engel da,
mit großer Stimme ruft er zu den Vögeln,
die durch die Weiten aller Himmel fliegen:
»Kommt, sammelt euch zu Gottes großem Mahl!
Fresset das Fleisch der Könige, der Feldherrn,
das Fleisch der Mächtigen, der Totschläger,
und aller, die das Fleisch der Kreatur
zum Fraß der Raben ausgeworfen haben,
und aller, welche auf den Rossen sitzen,
der Greulichen, der Lügner, freßt ihr Fleisch!« —
Und wieder strömt des Lebens lautrer Strom,
und an den Ufern grünt des Lebens Holz.