- Alle Texte sind orthografisch unverändert übernommen.
Die Anordung der Texte entspricht der Anordnung im vorliegenden Buch -
DEM TAG VON VALLORBE
An eine Falte
Wie Gottes Athem seine Fluren fächelt,
so wird es leicht und licht
in diesem klaren Angesicht.
Es hat die Erde gern
und schwebt ihr fern
und liebt und lächelt.
Und Gottes Finger bildete den Bug
vom Ebenbilde.
Es zieht so milde
hin über alles Leid,
und es verzeiht
der edle Zug.
In dich, o unvergeßlich feine Falte,
betend versanken
meine Gedanken.
Daß diese letzte Spur
seiner Natur
mir Gott erhalte!
*
Sehnsucht
Es war einmal.
Ich leb' am Tage vom Gedanken,
nachts von der Qual;
oft träum' ich nur vom Traum.
Du gehst dahin und bist dir selbst es kaum.
In meinem Wahn jedoch, dem fieberkranken,
sind deine Wesen ohne Zahl.
*
Auferstehung
Mein Haupt war Flamme, dem beschwingten Schritt
entstiebten Funken, als ich von dir eilte.
Ich riß mir die Minute mit,
wo uns die Ewigkeit verweilte!
So ist das alte Wunder wieder wahr.
Es half ein Gott die Endlichkeit besiegen..
So ist ein müdes Menschenpaar
zu jungen Tagen aufgestiegen!
Mit beiden Händen trag' ich zitternd mir
dein Herz, das die Vergänglichkeit umfangen.
So werde ich' zu dir gelangen!
So bin ich auf dem Weg zu mir!
*
Sage von Steinen
Da nun die Menschheit sich gesteinigt,
so träumt' ich mir die Erde menschenleer,
befreit vom Zwingherrn aller Kreatur,
vom Wahn erlöst, vom Haß gereinigt,
zu Lande, Luft und auf dem Meer
von Zucht und Unzucht keine Spur.
Und in der Wonne dieser Wüste,
wir zwei allein im weiten Einerlei,
ergriff mich jenes ungemeine
deukalionische Gelüste,
und meine Pyrrha war dabei,
und rücklings warfen wir die Steine.
Da zeugten wir der Menschen viele,
doch friedlich schienen sie entschlossen
und alle unter sich geeinigt.
Versöhnt zu allgemeinem Ziele,
so haben sie kein Blut vergossen —
und nur uns zwei allein gesteinigt.
*
Die Büßerin
Wie viele Lieder blieben ungesungen,
wie viele Taten blieben unvollbracht,
wie viel' Genüsse blieben unerrungen,
wie viel' Gedanken blieben ungedacht,
wie viele Sterne blieben ungesichtet,
wie viele Erden blieben unbewohnt,
wie viele Nächte blieben ungelichtet,
wie viele Wünsche blieben unbelohnt,
und wie viel Schönheit blieb mir ungeboren,
und wie viel Heiligkeit verhüllt ihr Haupt,
und wie viel Ehre habe ich verloren,
seit ich getan, was mir die Welt erlaubt!
*
Die Schwangere
Erschaffen ward ich Einem oder Allen:
durch Ihn zur Menschheit oder ohne Ihn!
Und mußte ihrer einem nur gefallen
und ward der einen Notdurft Dienerin.
Die Mutter, deren Schoß mich einst getragen,
geheimnisvoll hat sie mich zugeführt
und ohne mich und ohne Gott zu fragen,
als etwas, das dem fremden Mann gebührt.
Der Ordnungssinn trieb aus der Sinne Tempel
die Andacht in des Bürgerbetts Geruch
und ließ mir zur Entschädigung den Stempel
der Trächtigkeit von meinem Gattungsfluch.
Wär' ich stets nur verkauft dem ersten besten,
die Stunde, die mich hingab, macht mich frei.
Mein Leben bloß mit einem zu verpesten,
war sichrer und die Sitte sagt: es sei!
Dem ich zu seiner Kurzweil angebunden,
er hat zum Spaß mir nun entstellt den Leib;
als Unterbrechung seiner Schäferstunden
macht mir mein Mann ein Kind zum Zeitvertreib.
Der Lebensernst hält draußen ihn in Banden,
darum läßt er im Hause mich nicht los,
und also macht er die Natur zuschanden
und brennt sein Sklavenmal in meinen Schoß.
So stirbt die Welt und glaubt sich zu erhalten
und ihre Liebe ward entehrt zur Pflicht.
Wo bleibst du, Retter? Eh' ich muß erkalten,
komm, küß mir von der Lippe dein Gedicht!
*
Einer Geberin
So hing dein Herz einst in des Schicksals Schlinge
Du standest da mit offnen, schönen Händen,
um allem Kindervolk davon zu spenden,
und als sie leer, verlorst du noch die Ringe.
Die reichre Gabe, welche Götter senden,
wenn Kinder brav, sie selber guter Dinge:
der Schnee begrub den Schmuck. Natur verbringe
in Schönheit sich und seligem Verschwenden!
So warten wir, bis auch die Zeit verginge.
Dann weist es sich, das Ganze war ein Spiel
und was Verlust schien, ist zuletzt ein Lohn.
Ich trug ja nur des Anblicks Glück davon.
Doch du gibst viel und so bekommst du viel.
Einst schmilzt der Schnee — da liegen deine Ringe!
*
Die Flamme der Epimeleia
(»Pandora«)
Meinen Dankruf,
Für mich selbst nur:
Ihr bedürft's nicht,
Aber hört ihn!
Eines Gottes
Wort- und Weltbrand,
Goethes Sprachflamm'
Hüllt mein Haupt ein!
Epimetheus'
Angstverbrannte Tochter
reißt mich
Mit dem Feuer,
Das sie ausruft,
Himmelaufwärts,
Rettet Ursprung
Aller Weibmacht,
Und im Weltsturz
Steht das Wort auf!
Nun als Wunder
Von dem letzten
Hin zum ersten
Tag der Schöpfung
Wieder aufragt's!
Wen erschlägt es?
Jene Schuld, wem
Droht und winkt sie,
Schreckhaft Auge,
Ins Gericht hin?
Diesen hier nicht,
Die zugrund gehn,
Doch zum Grund nicht.
Mit verpichten
Sinnen leben
Rauchgeborne,
Nie Entflammte,
Unverzückter Zeiten
Wegwurf.
Und vergebens
Strebt zum Himmel
Feuersäule
Meines Danks an
Gott und Goethe!
*
Suchen und Finden
Die Dinge sind schon an der Fläche tief,
du mußt sie nur mit Ehrfurcht sagen.
Willst du dich aber weiter wagen,
so weist sich's oft, daß dich kein Rätsel rief.
Beneide nicht, die allen Sinn benagen
und den Gedanken, der da schlief,
eh' er durch ihre Tageszeiten lief,
gefühllos weckten durch ihr lautes Fragen.
Sieh das Gewohnte stets zum ersten Mal.
Dann hat sich alles Suchen dir gelohnt,
das Vorgefundne fügt sich deiner Wahl.
Bleibt nur, was ruht, von deinem Drang verschont,
so wird dir das Entlegene banal,
und neu das Nahe und wie ungewohnt!
*
Halbschlaf
Bevor ich war und wenn ich nicht mehr bin,
wie war ich da, wie werde ich da sein?
Zuweilen dringen Duft und Rausch und Schein
vom Ende her und von dem Anbeginn.
Hab' ich geschlafen? Eben schlaf ich ein,
und nun verwaltet mich ein andrer Sinn,
noch bin ich außerhalb, schon bin ich drin,
noch weiß ich es, und füge mich schon drein.
Dies Ding dort ruft, als hätt' ich's oft geschaut,
und dies da blickt wie ein vertrauter Ton,
und an den Wänden wird es bunt und laut.
Dort wartet lang' mein ungeborner Sohn,
hier stellt sich vor die vorbestimmte Braut,
und was ich damals war, das bin ich schon.
*
Furcht
Vor Tönen, Formen, halb erwachten Träumen
wird mir im innern Herzen bang.
Ich lebe in dem Untergang
und wohne in bedrohten Räumen.
Nicht fürcht' ich mich vor irdischen Gewittern
und bin für jeden Donner taub.
Doch zittert wo ein Espenlaub,
so werde ich mit ihm erzittern.
Ich wahre vor Gefahren nicht mein Leben
und spotte ihrer Gegenwart.
Doch wenn es an den Wänden knarrt,
so kann ich wie ein Kind erbeben.
Ich fliehe nicht vor Räubern oder Recken
und spreche den Gewalten Hohn.
Doch kann vor einem Menschenton
ich wie am jüngsten Tag erschrecken.
Mich faßt so bald kein ängstevolles Zaudern
und hab' der Feinde nie zu viel.
Jedoch vor einem Mienenspiel
wird's mich wie vor der Hölle schaudern.
Und solche Furcht erregt in mir den Dichter
und ich erfülle die Figur
und brauche etwas Asche nur
für die lebendigsten Gesichter.
Und so erwachse ich im Widerstreiten,
und seit ich so den Mut verlor,
gewannen Auge mir und Ohr
die Herrschaft in zerfallnen Zeiten.
*
Ich habe einen Blick gesehn
Ich habe einen Blick gesehn und werde
an meinem letzten Tag ihm nicht entgehn.
Erbebt nicht diese schuldbeladne Erde,
seitdem ich diesen Blick gesehn?
An einer Lastenstraße, staubgeboren,
im Frühjahr allzu kümmerlich erblüht,
steht ein Gesträuch, in eine Welt verloren,
für die sich Gott vergebens müht.
Und vor dem Strauch ist eine Frau gestanden,
und ich stand auch und sah nur ihren Blick.
Wie wurde mir! Wie hielt mit heiligen Banden
allhier ein Wunder mich zurück.
Der Blick, so arm, aus blassem Angesichte,
verlebt, verdorrt von Marter, Mangel, Mühn —
da wird vor so viel irdischem Verzichte
die ganze Welt auf einmal grün!
Was immer ihr das Leben vorenthalten,
seit sie das Schicksal in das Dunkel wies:
nun ist es da und vor dem Blick der Alten
wird das Gestrüpp zum Paradies.
Kein Gärtner hütet zärtlicher die Reiser
als diese Abendsonne dieses Blicks.
Kein Himmelsstern grüßt gnädiger und weiser
die Fülle abgewandten Glücks.
Ich habe einen Blick gesehn und werde
an meinem letzten Tag ihm nicht entgehn.
Erbebt nicht diese schuldbeladne Erde,
seitdem ich diesen Blick gesehn?
*
Absage
Wo die Maschine mit dem Menschen rauft,
wo Blutverlust bedeutet Geld-Erraffen,
wo Hunger herrscht und Reichtum Nahrung kauft —
mit solcher Menschheit hab' ich nichts zu schaffen!
Wo Männer ächten, was sie selbst begehrt,
und wo die Sinne zu der Sünde finden,
wo Liebe Schmach bringt und Natur entehrt —
mit solcher Mannheit kann mich nichts verbinden!
Wo Freigeborne jedem Schall und Schein
gehorchen, ewiger Menschenfurcht verschworen,
um als Tyrannen Sklaven noch zu sein,
in solchen Reichen hab' ich nichts verloren.
Wo Druck in jeder Form die Geister lähmt
und wo die Phrase sich von selbst entzündet,
wo Technik sich dem Tode anbequemt,
in solcher Welt ist nicht mein Glück begründet.
Wo fauler Zauber allen Lebens Zweck
dem schnöden Mittel heimlich längst vermietet,
wie sehn' ich mich aus dieser Wohnung weg,
in der ein Besen mir die Stirne bietet!
Wo Willkür, Wucher, Krankheit, Haß und Schmutz
als die Verbündeten des Schlachtruhms schalten,
da will ich kühn dem Vaterland zum Trutz
mich für den allergrößten Feigling halten!
Wo Wissenschaft den Heldentod erfand,
in Gift und Gas die Glorie sich erneuert,
da hat sich mir das teure Vaterland,
denn Krieg ist Krieg, bedeutend noch verteuert.
Wo statt der Glocken die Kanonen nun
die frommen Christen zum Gebete rufen,
mit solchen hat der Teufel nichts zu tun,
da sie auf Erden schon die Hölle schufen.
Wo Ehre fällt und Schande aufwärts steigt
und heute gilt, wer gestern erst gestohlen —
gern hätt' ich Jenem doch den Weg gezeigt,
daß er mir könnte diese Ordnung holen!
Wo sie vor jedem Sonnenuntergang
durch Wort und Tat ihr Seelenheil verfluchen —
mein Leben und mein weiteres Leben lang
hab' ich bei dem Gelichter nichts zu suchen!
*
Der sterbende Soldat
Hauptmann, hol her das Standgericht!
Ich sterb' für keinen Kaiser nicht!
Hauptmann, du bist des Kaisers Wicht!
Bin tot ich, salutier' ich nicht!
Wenn ich bei meinem Herren wohn',
ist unter mir des Kaisers Thron,
und hab' für sein Geheiß nur Hohn!
Wo ist mein Dorf? Dort spielt mein Sohn.
Wenn ich in meinem Herrn entschlief,
kommt an mein letzter Feldpostbrief.
Es rief, es rief, es rief, es rief!
Oh, wie ist meine Liebe tief!
Hauptmann, du bist nicht bei Verstand,
daß du mich hast hieher gesandt.
Im Feuer ist mein Herz verbrannt.
Ich sterbe für kein Vaterland!
Ihr zwingt mich nicht, ihr zwingt mich nicht!
Seht, wie der Tod die Fessel bricht!
So stellt den Tod vors Standgericht!
Ich sterb', doch für den Kaiser nicht!
*
Inschriften
Silvester 1917
Dies alte Jahr versank so wehrlos
und aus der Mördergrube steht ein neues auf.
Sind denn die lieben Zeiten ehrlos?
Hemmt keine Scham der Jahre Lauf?
Ein frommes Ohr horcht in die Weiten:
nur manchmal bebt es in der Erde Raum.
Doch unerschüttert gehn die Zeiten
vorüber diesem Sündentraum.
Sie laufen fort mit den Kalendern,
im neuen Jahr das alte Werk zu fördern.
Und nehmen Abschied von der Menschheit Mördern
und sagen Prosit zu der Schöpfung Schändern.
*
Friedensbereitschaft
Herbeizuführen den Friedenstag,
schlug er mit dem Schwert
auf den Verhandlungstisch,
denn so 'n Vertrag
ist ja doch nur ein Wisch
und nicht der Rede wert,
und kriegt man ihn nicht wie man mag,
so haut man den Verhandlungstisch
um die Erd',
die einem doch ohne Frag'
gehört!
*
Czernins Verzicht
Wir woll'n vom Feinde keinen Fußbreit haben,
der Lohn des Friedens wird uns reichlich lohnen,
und selbstlos gehn wir in den Schützengraben
für bundesbrüderliche Annexionen.
*
Äffaire Friedjung
Lang' hat in Nibelungenstaaten
man durchgehalten und sich treu gefrettet.
Nun tut man gütlich sich am Braten
der Gans, die jüngst das Kapitol gerettet.
*
Am Scheideweg
Der Freund hat für zehn Tage Mehl euch verheißen
der Feind euch fürs Leben die Freiheit gewährt.
Ich rat' euch, nachdem ihr das Mehl verzehrt,
getrost in die andere Speise zu beißen.
*
Sprichwörter
Wer einstmals Fülle mochte mehren,
dem sagte man, es möcht' umsonst geschehn,
und weise diesem Drang zu wehren,
wollt' man ihn durch das Wort belehren:
er trüge Eulen nach Athen.
Die jetzt den Mangel noch vermindern
mit sieghaft mitleidloser Miene,
die soll man rasch entschlossen hindern.
Denn solch Beginnen bringt den Landeskindern
Getreide aus der Ukraine.
*
Vorsicht!
Die feindlichen Tröpfe
zerbrachen sich die Köpfe,
um Lügen auszuhecken.
Wir wissen, was wahr ist,
die größere Gefahr ist,
daß sie unsre Wahrheiten entdecken.
*
Wien im Krieg
Im allergemütlichsten Frieden
zur Not zusammen ging's.
Der Wachmann am Weg auf die Wieden
der mahnte und bat: Bitte links!
Zu unserem Seelenheile
brauchten wir keine Disziplin.
Wir waren im Gegenteile
die Bewohner der Hauptstadt Wien.
Im Schlendern und Spazieren
haben wir vom Weg uns entfernt.
Nun mußten wir marschieren,
noch ehe wir gehen gelernt.
*
Einem Grüßer
Du höflicher, du wohlerzogner Mann,
der mir den tiefsten aller Grüße gönnte.
Doch sagt er nicht, daß ich Gedichte schreiben kann,
nur, daß ich einen Angriff schreiben könnte.
So guter Wink erduldet kein Versäumnis,
ich tu's, schon tu' ich's, du kulanter Tropf.
Du lüftest mit dem Hute dein Geheimnis
und sichtbar wird die Butter auf dem Kopf.
*
Verschiedene Grüßer
Die einen grüßen mich, wenn sie allein sind,
doch schämen sie sich meiner vor den andern.
Die andern grüßen mich, wenn sie zu zwein sind,
um grußlos einzelweis vorbeizuwandern.
Die grüß' ich nicht zurück, wenn sie zu zwein sind,
weil ich mich dieses, jenes, meiner schäme,
und andre grüß' ich nicht, wenn sie allein sind,
weil ich von solchem Umgang Umgang nehme.
*
Reiseabenteuer
Auf einer Eisenbahn,
wo man sich nicht gut gegen Ansprach schützen kann,
hat's einer einst mir angetan.
Ich sagte: Herr, Sie sprechen mich nicht an,
obzwar Sie's tun. Und überhaupt —
Er sagte: Sind Sie nicht der Karl Kraus?
Ich sagte: Nein! und stieg gleich aus.
Ich glaub', der Esel hat es doch geglaubt.
*
Der Feuilletonist
Wie macht er das? Wie kommt er zu dem Glänze,
der schimmernd seine Sprache schmückt und ziert?
Aus Nichts entsteht zwar Nichts, jedoch das Ganze
ist gut geglättet und so schön geschmiert.
*
Naturalismus
Als anno neunzig war die Bühnenluft verstaubt,
da hat die Polizei es ausdrücklich erlaubt,
aufs Podium zu spucken.
Da fühlte die Natur sich ganz und gar erfrischt,
so hat man in Berlin mal tüchtig auf gemischt,
wer wollte da noch mucken.
Und daß am Ende nicht der alte Bühnenton
entarten möchte in der trägen Tradition
und in der Zucht verlottern,
so lernten alle, die zu sprechen nicht erlernt
und welche von Natur schon vom Beruf entfernt,
die rechte Kunst, zu stottern.
Das rülpste sich nun aus wie vor 'nem Schweinetrog,
allein verboten war allein der Monolog
in allen Dialekten.
Beiseite spucken statt beiseite sprechen schien
Errungenschaft zu sein, als damals in Berlin
sie die Natur entdeckten.
*
Kastans Panoptikum
Hereinspaziert, ihr Affen, sehet hier,
was die euch Fortgeschrittnen leisten!
Durch übermenschliches Erdreisten
ward dieser Mensch zum Untertier.
Ihr Ur- und Hinterlandsgelichter,
beneidet diesen um sein Wissen.
Er schreitet fort in Finsternissen,
fährt auf der Hochbahn, wohnt im Trichter.
Ihr allzu primitiven Ahnen,
ihr lebtet lange nicht so hastig.
Stumm staunet ihr vor der Gymnastik
auf dieses Untergrundes Bahnen.
Der Neid auf solche Tiefe, Höhe
soll euch nicht allzu selbstlos machen.
Hinausspaziert mit euern sieben Sachen,
der Enkel fängt euch schon die Flöhe!
*
Lied des Alldeutschen
Barbarische Melodie
Ob unter See, ob in der Luft,
wen Kampf nicht freut, der ist ein Schuft.
Doch weil das Schuften ich gewohnt,
so schuft' ich nicht bloß an der Front,
ich kämpf auch schneidig und gewandt
und halte durch im Hinterland,
ich schufte früh, ich schufte spat,
die Schufte das erbittert hat.
Nur feste druff! Ich bin ein Deutscher!
Im Frieden schon war ich ein Knecht,
drum bin ich es im Krieg erst recht.
Hab stets geschuftet, stets geschafft,
vom Krieg alleine krieg' ich Kraft.
Weil ich schon vor dem Krieg gefrohnt,
hat sich die Front mir auch gelohnt.
Leicht lebt es sich als Arbeitsvieh
im Dienst der schweren Industrie.
Heil Krupp und Krieg! Ich bin ein Deutscher!
Ich scheue keine Müh' und Plag',
zu wenig Stunden hat der Tag.
Daß fester steh am Rhein die Wacht,
hab' ich die Nacht zum Tag gemacht.
Weil vor dem Krieg ich nicht geruht,
drum gibt es Krieg und uns gehts gut.
Wir schlagen uns mit Vehemenz
und schlagen kühn die Konkurrenz.
In Not und Tod: ich bin ein Deutscher!
Ich geb' mein deutsches Ehrenwort:
wir Deutsche brauchen mehr Export.
Um an der Sonne 'nen Platz zu haben,
gehn wir auch in den Schützengraben.
Zu bessrer Zukunft Expansionen
hilft uns so unbequemes Wohnen.
Einst fragt' ich nicht nach Gut und Geld,
der neue Deutsche ist ein Held.
Der neue Deutsche ist ein Deutscher!
Krieg dient uns, damit Waffen sind,
wir drehn den Spieß, wer wagt gewinnt.
Das Lebensmittel ist uns Zweck,
drum nehmen wir vorlieb mit Dreck.
Wir mischen Handel mit Gebet,
die Kunst im Dienst des Kaufmanns steht.
Es war einmal, doch jetzt ist's aus,
Walhalla ist ein Warenhaus.
Für Ideale lebt der Deutsche!
In solchem Leipziger Allerlei
lebt es sich fromm, jedoch nicht frei.
Fehlt es dann aber auf dem Tisch,
lebt es sich fröhlich, doch nicht frisch.
Lebt von der Hand sichs nur zum Mund,
so ist das Leben ungesund.
Denn mehr noch von dem Mund zur Hand
hält durch des Deutschen Vaterland.
Von Idealen lebt der Deutsche!
Für dies Prinzip, und es ist gut,
schwimmt heute der Planet in Blut.
Für Fertigware und Valuten
muß heut' die ganze Menschheit bluten.
Nehmt Gift für Brot, gebt Gold für Eisen
und laßt den deutschen Gott uns preisen!
Gebt Blut — habt ihr das nicht gewußt? —
für Mark: das ist kein Kursverlust!
Darum erhofft Profit der Deutsche!
Steht unsre Sache mal so so,
gibt Wahrheit uns das Wolffbüro.
Doch geht die andre Wahrheit aus,
verköstigen wir uns doch im Haus.
Fehlt selbst das Fremdwort Surrogat,
wir Deutsche wissen dennoch Rat.
Wir setzen prompt an seinen Platz
das gute deutsche Wort Ersatz.
Auf deutsch gesagt: ich bin ein Deutscher!
Der Hungerplan wird ausgelacht,
den Willen haben wir zur Macht.
Im U-Boot sitzend lachen wir
und sagen einfach: Machen wir;
um Zeit zu sparen, auch: m. w.
Die Schiffahrt lernt man auf der Spree.
Was nützt den Feinden alle List,
die Mahlzeit machen wir aus Mist.
Nicht unterkriegt der Krieg den Deutschen!
Und wenn die Welt voll Teufel war',
die Fibel sagt: Viel Feind, viel Ehr.
Drum: Deutschland über alles setzt
sich kühn hinweg zuguterletzt.
Weil bei uns alles schneidig ist,
die ganze Welt uns neidig ist.
Gott weiß allein, wir sind so brav,
wir wünschen, daß er England straf.
Beim deutschen Gott, ich bin ein Deutscher
Wir preisen Gott auf unsre Weise
wie vor dem Krieg zum alten Preise.
Zur Ehre Gottes, des gerechten,
woll'n wir auch gern im Schatten fechten.
Gäb's alleweil nur Sonnenschein,
man könnt' des Lebens sich nicht freun.
Das wahre Glück bringt Schießen nur,
drum gaudeamus igitur.
Ein muntrer Bursche bleibt der Deutsche!
Das eine aber weiß ich nur,
wir Deutsche haben mehr Kultur.
Kultur, bei allen andern Gaben,
ist mit das Beste, was wir haben.
Wir schwärmen für die Schlachtenlenker,
doch sind wir auch das Volk der Denker.
Gern woll'n für Schillern und selbst Goethen
wir ein »Denn er war unser« beten.
Mit Bildung schmückt sein Heim der Deutsche!
Deutsch ist das Herz, deutsch der Verstand,
mit Gott für Krupp und Vaterland!
Die Grenzen sichert Hindenburch,
im Innern halt ich selber durch.
Wir Deutsche haben zu viel Glück;
gehn wir bescheiden drum zurück,
nimmt man, des Sieges sich zu freun,
die eigne Siegfriedstellung ein.
Hurra! sagt in dem Fall der Deutsche!
Wir sagen stolz: Viel Feind, viel Ehr'!
Belegte Brötchen gibts nicht mehr.
Und mangels derer unentwegt
die Welt mit Bomben wird belegt.
Uns hilft die deutsche Wissenschaft
nebst Gott, der eben England straft
und der den Menschen nur erschuf,
zu dreschen immer feste druff.
Denn Gottes Ebenbild ist nur der Deutsche!
Noch lieber laßt uns als den Feind
die Phrase dreschen, die uns eint.
Am Ende wird die Wahrheit stehn:
Der Kampf wird bis zum Ende gehn!
Wir sorgen, daß uns nicht entgeh'
das erzne Becken von Briey.
Der Friede uns nicht intressiert,
eh wir die Welt nicht annektiert.
Die wenigstens gehört dem Deutschen!
Es geht uns doch nur um die Ehr'.
Nein, Belgien geben wir nicht her!
Wir halten rein das Ehrenkleid;
in Ehre wissen wir Bescheid.
Der Endsieg unser Recht beweist:
die Welt wird von uns eingekreist!
So muß und wird es uns gelingen,
die Pofelware anzubringen.
Ja, made in Germany ist doch der Deutsche!
Nur weil man etwas Sonne braucht,
haben wir die Welt in Nacht getaucht.
Mit Gift und Gasen, Dunst und Dämpfen
woll'n bis zum jüngsten Tag wir kämpfen.
Denn bis wir Gottes Donner hören,
muß unsrer uns Ersatz gewähren.
Drum überall und auf jeden Fall
braust unser Ruf wie Donnerhall.
Ist das nicht praktisch von dem Deutschen?
Schon brennt die Erde lichterloh
dank unserm Fenriswolff-Büro.
Solang es andere Völker gibt,
ist leider unsres nicht beliebt.
Wo man nichts auf die Waffe setzt,
wird unsre Leistung unterschätzt.
Die Welt will weniger Krawall,
und unsrer braust wie Donnerhall.
So hört man überall den Deutschen!
Nach'm Krieg wird noch mehr Arbeet sein
und noch mehr Krieg und noch mehr Pein.
Wie freue ich mich heut' schon drauf,
die Liebe höret nimmer auf.
Ach, wenn nur schon der Friede war',
damit ich seiner müde war'!
Es gilt die Technik auszubaun.
Zum U-Boot haben wir Vertraun.
Den Fortschritt liebt nun 'mal der Deutsche!
Wir woll'n die Wehrpflicht dann verschärfen,
die Kleinen lehren, Flammen werfen.
Wir woll'n indes auch für die Alten
die Kriegsdienstleistung beibehalten.
Was wir gelernt, nicht zu verlernen,
laßt uns vermehren die Kasernen.
Die Welt vom Frieden zu befrein,
steht fest und treu die Wacht am Rhein.
Aus der Geschichte lernt der Deutsche!
Und wenn die Welt voll Teufel wär',
und wenn sie endlich menschenleer,
wenn's endlich mal verrichtet ist
und jeder Feind vernichtet ist,
und wenn die Zukunft ungetrübt,
weil es dann nur noch Preußen gibt —
nee, darauf fall'n wir nicht herein!
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
Und weiter kriegt und siegt der Deutsche!
*
Mir san ja eh die reinen Lamperln
Was Schiedsgericht und Völkerbund!
Sie Kellner, bringen S' ein paar Stamperln!
So etwas brauchen wir nicht und
mir san ja eh die reinen Lamperln!
Was Völkerbund und Schiedsgericht!
Wenn wir die Friedenspfeife rauchen,
so brauchen wir so etwas nicht,
denn mir wer'n doch kein Richter brauchen!
Kennt uns der Wülson von der Näh',
macht sich die Weltgeschicht' von selber.
Und Euer Gnaden wissen eh',
die Hölle ist noch weit schwarzgelber.
Im Ernstfall wär'n wir ja geschnapst,
die Welt soll Osterreich nicht verlieren!
Drum wird, so hoffen wir, der Papst
uns doch beim Wülson protegieren.
Der Wiener geht nicht unter und
dann geht die G'schichte wie am Schnürl.
Gehn wir schon in den Völkerbund,
so gehn wir durch ein Hintertürl!
Da kann man halt nix machen, doch
es macht sich alstern alles gütlich.
Wir pfeifen aus dem letzten Loch,
doch pfeifen wir noch sehr gemütlich.
Wir hab'n ja niemanden gekränkt,
ich bitt' Sie, weg'n dem bisserl Sengen!
Zwar hab'n wir viele aufgehängt,
doch lass'n wir unsre Köpf nicht hängen.
Dagegen hängt uns zum Genuß
seit je der Himmel voller Geigen.
Das werden wir beim Friedensschluß
den Feinden wie den Freunden zeigen.
Da von der Nibelungen Spur
wir uns ein Alzerl westwärts wandten,
verlor'n wir doch nicht den Hamur,
wir Burg- und Bettelmusikanten.
Nur zugeteilt, nicht aufgeteilt!
Als a Ganzer sein, wenn auch als Torso!
Rasch sind die Wunden dann verheilt
und nix mirkt man am Grabenkorso.
Mit der Ernährung hat es zwar
noch vorderhand so manchen Haken.
Doch heißen wir, das ist doch klar,
dereinst das Volk noch der Phäaken.
Wir nannten unsere Helden brav,
sie haben tapfer sich geschlagen —
und Jud und Christ, Portier und Graf
sie werden sich Hab' die Ehre sagen.
Wie schnell die große Zeit vergeht!
Wem S' sehn, Euer Gnaden, auf die Wochen,
wird allseits, wie's da geht und steht,
wieder von vorn in 'n Arsch gekrochen.
Auf demokratisch tut's es nicht,
die Richtung wird uns wenig frommen,
wir woll'n nicht wegen der Weltgeschicht'
um Eigenart und Trinkgeld kommen!
Was Völkerbund! Das is doch stier!
Sie Kellner, bringen S' noch paar Stamperln!
Was Selbsbestimmung! Mir san mir,
und mir san eh die reinen Lamperln!
*
Die Gerüchte
Laßt mich der Regierung ein Loblied singen,
damit sich die Feinde gehörig giften.
Denn nimmermehr wird es ihnen gelingen,
in unseren Reihen Verwirrung zu stiften!
Die weise Vorsicht warnte beizeiten,
Gerüchte zu glauben und zu verbreiten.
Sie mahnte, das Unkraut auszujäten
und den Gerüchten energisch entgegenzutreten.
Denn solche Gerüchte, wie sattsam bekannt,
sind doch eine Mache der Entente.
Hat man die Quelle nur, den Lauf
hält jeder gleich mit Empörung auf.
So riß denn jeder sich um die Ehre,
daß energisch er den Gerüchten wehre,
und jeder fragte jeden empört,
ob er schon so etwas gehört,
und jeder erwiderte beklommen,
daß auch er schon von den Gerüchten vernommen,
so daß keiner im Land mehr das Faktum bestreitet
Die Feinde haben Gerüchte verbreitet.
Sie im Keim zu ersticken, ist keiner faul
und jeder steht da mit offenem Maul,
zu spucken in alle Feindessuppen.
Es bilden sich schon die bekannten Gruppen.
Bald gab es Gerüchte ohne Zahl
und jedes schwoll an zur Ohrenqual,
doch niemand wußte, welches der Feind
Verwirrung zu stiften hatte gemeint.
Denn solcher Art sind seine Schliche:
ist man den Gerüchten auf der Spur,
und hat man sie schon, so vermißt man nur
noch von den Gerüchten das eigentliche.
Doch jeder schwört, kriegt er's zu fassen,
es sollte ihm ordentlich Haare lassen.
Drum ist auch jeder mit Recht beflissen,
was man nicht sagen darf, doch zu wissen.
Und weit und breit im Publikum
gab' jeder jedem viel darum,
wenn er ihn nicht mehr mit Gerüchten quälte,
sondern ihm die Gerüchte erzählte.
Und es erhob sich ein großes Geschrei,
was in den Gerüchten enthalten sei.
Jedoch sie zu glauben, war keiner verleitet,
denn sie waren ja doch von den Feinden verbreitet.
Drum eben gab es ein Fürchten und Flüchten
vor den verbreiteten Gerüchten,
es liefen die Männer, die Kinder, die Damen,
sobald nur die Gerüchte kamen,
und alle gelobten, darüber zu wachen,
um einander aufmerksam zu machen,
und den Gerüchten entgegen aus ihren Betten
sprangen sie, um sich davor zu retten,
und alles rief und riet und rannte,
bis Stadt und Land wie ein Lauffeuer brannte.
Nur durchgehalten, nur durchgefrettet —
schon ruft eine Stimme: Alles gerettet!
Drum sei der Regierung ein Loblied gesungen,
die Feinde aber sollen sich giften.
Denn ihnen ist es fürwahr nicht gelungen,
in unseren Reihen Verwirrung zu stiften!
*
Die Ballade vom Papagei
Couplet macabre
In Wien entkam ein Papagei.
Und als der arme Vogel frei,
rief deutlich er die Worte bald:
»Der wird noch hundert Jahre alt!»
Er rief es früh, er rief es spat,
er rief es durch die ganze Stadt,
er rief es durch den Wienerwald:
»Der wird noch hundert Jahre alt!«
Man fing den klugen Papagei,
doch setzte fort er sein Geschrei.
Er schrie, als wäre er bezahlt:
»Der wird noch hundert Jahre alt!«
Was fällt dem losen Vogel bei?
Und wem gehört der Papagei?
So riet man hin und riet man her,
von wo er denn entflogen war'.
Da brachte man den Papagei
aufs Fundbureau zur Polizei.
Dort schrie er erst mit aller G'walt:
»Der wird noch hundert Jahre alt!
Kaum daß er diesen Ruf getan,
sahn sich die Fundbeamten an,
sofort entschied der Kommissär:
»Der Vogel g'hört ins Belvedere!«
Gleich fragt dort an ein Polizist,
ob man nicht so etwas vermißt.
Erfreut sagt man, daß dem so sei,
und es kehrt heim der Papagei.
Mit Ungeduld erwartet ihn
schon längst die Frau Erzherzogin.
Und es versetzt Franz Ferdinand:
»Ich bin vom Warten abgespannt!
Wo warst du denn die ganze Zeit?
Erzähl die letzte Neuigkeit!«
Da ruft er, daß im Schloß es schallt:
»Der wird noch hundert Jahre alt!«
Erzürnt sagt drauf Erzherzog Franz:
»Ja, jetzt erkenne ich dich ganz!«
Und es ergänzte die Sophie:
»Das ist die alte Melodie!«
Der Erzherzog war recht erbost:
»Weißt du mir keinen andern Trost?
Geht das so fort, so werd' ich halt
noch selber hundert Jahre alt!«
Jedoch dem klugen Papagei
war dieser Standpunkt einerlei.
Er rief — die Wirkung ließ ihn kalt:
»Noch hundert Jahre wirst du alt!«
Er übertrieb. Denn um ein Jahr
war diese Ansicht nicht mehr wahr.
Der Papagei, stumm trauert er
in dem verwaisten Belvedere.
Er schwingt sich auf — was will er tun?
Er ist schon fort — schon in Schönbrunn.
Mit der ihm eignen Konsequenz
fliegt er direkt zur Audienz.
Klar ists, daß ihn sein Herz herzog;
denn er beweint den Erzherzog.
Er singt sein Lied, sein Gott erhalt':
»Der wird noch hundert Jahre alt!«
Und vor ihm steht ein Heldengreis,
der sich nicht mehr zu helfen weiß.
Der Vogel kreischt um die Gestalt:
»Der wird noch hundert Jahre alt!«
»So schrei nur, bis du heiser bist!«
»Ich schrei, solang du Kaiser bist!«
»Was ist denn das für eine Art?
Mir bleibt bekanntlich nichts erspart.
Trotzdem hat es mich sehr gefreut,
ich bin erst fünfundachtzig heut.
Das weitere werden wir noch sehn.
Bisher, das weiß ich, war's sehr schön.
Du prophezeist mir, hoff ich, gut.
Doch bis dahin brauch' ich noch Blut.
Denn jetzt bin ich, das ist doch klar,
bin jetzt erst fünfundachtzig Jahr'.
Noch fünfzehn Jahr, du kluges Tier,
leb' ich fürs blutige Pläsier.
Dann gratulier, hast du noch Lust,
mir erst zum 18. August.«
Da ward dem armen Vogel bang.
Der Weltkrieg dauert ihm zu lang.
Und er verließ den grausen Ort
und sprach nicht mehr das alte Wort.
Die Jahre gingen nach und nach.
Es starb das Tier, von Alter schwach.
Es starb die Welt. Es starb die Zeit.
Es starb das Lied. Es starb das Leid.
Nur einer blieb. Nur einer war.
Nur einer wurde hundert Jahr'.
Und in des Todes Einerlei
lebt fort ein Urgroßpapagei.
*
Heldengräber
Es reut uns fürs Leben. Und auf dieser Sünde
nie Freude, nie Glück, nie mehr Hoffnung sich gründe.
Es reut uns wohl alle, die wir's nicht verschuldet,
uns reut die Geduld, mit der wir's geduldet.
Es reut uns, daß nächtlich im Bette wir ruhten
bei diesem Verbluten der Edlen und Guten.
Es reut uns, die wir uns freuten und lachten
in der Zeit, die in Qual und in Schmutz sie verbrachten.
Es quält uns durchs Leben, beschmutzt uns das Leben,
daß es diesen Krieg, diesen Kaiser gegeben.
Wir alle, wir alle, wir wollen uns kränken
und mit Grämen und Fluchen der Schande gedenken.
Nun ist sie vorüber und nichts wird uns freuen,
vorüber die Sünde, nun wird es uns reuen.
Wir sehn nur Hyänen, wir hören nur Raben,
dort sind sie verscharrt, dort sind sie begraben.
Ich aber schaue in rosiger Wolke
die Zukunft von dem mir vertrautesten Volke.
Das wird sich über den Untergang gfretten.
Denn es gibt Operetten und es gibt noch Soubretten.
Keine Laus, die es hat, läuft ihm über die Leber.
Am Graben gibts halt keine Heldengräber.
Doch schade um jeden Zug'reisten wäre,
der sich nicht nacher anschaut die Felder der Ehre.
Für ein kleines Dussör wolln m'r gern ihn begleiten
zu die Friedhöf' und sonstige Sehnswürdigkeiten.
Ist alles auch hin, lebt die Wienerstadt, der es
gereicht zur Hebung des Fremdenverkehres.
*
Hausmannskost
Redensarten sind die Reste,
die wir in den Mund noch kriegen
als den Schmaus zum Siegesfeste,
wenn den Hunger wir besiegen.
Sie sind unsre letzte Labe
in den glorreich großen Tagen,
da wir all mit unsrer Habe
unsre Haut zu Markte tragen.
Unser Mangel schmeckt noch besser,
weil auch drüben manches Loch ist.
Seelentrost für starke Esser
heute mit der beste Koch ist.
Freilich, wenn von heut auf morgen
schwindelnd steigen alle Taxen,
ist den nächsten Nahrungssorgen
meistenteils kein Kraut gewachsen.
Auf des Feindes Mangel zählen,
schadenfroh ihm Rübchen schaben,
macht noch nicht, daß sie ihm fehlen,
doch auch nicht, daß wir sie haben.
Andernfalls, ich möchte wetten,
würde Fülle uns betrüben.
Wenn wir Kraut und Rüben hätten,
lägen sie wie Kraut und Rüben.
Im chaotischen Betriebe
nähren wir uns von Gerüchten,
da nichts andres übrig bliebe,
als den alten Kohl zu züchten.
Doch um ihn nicht fett zu machen
und den Friedensdrang zu stillen,
opfern wir dem Höllenrachen
mit vermehrtem Siegeswillen.
Jeden Tag ein neuer Treffer,
daß die Lebenslust sich hebe.
Ja, da lag' der Has' im Pfeffer,
wenn es Has' und Pfeffer gäbe.
Fehlt das Fleisch, so gibt es Blut noch,
weil die Weisheit so geruhte.
Der Gehorsam und der Mut noch
stecken uns im Fleisch und Blute.
Deutsch das Herz, deutsch der Verstand auch.
immer wird es so was geben.
Könnte nur von deutscher Hand auch
in den deutschen Mund man leben!
Uns die Siege zu versalzen,
scheut der Gastwirt keine Mühe.
Nur die Rechnung ist geschmalzen
und der Gast sitzt in der Brühe.
Kommt der Appetit beim Siegen,
soll man an kein Wunder glauben.
Meist sind's Flieger, selten fliegen
in das Maul gebratne Tauben.
Wie erklärt sich's dem Verstande,
daß wir stets das Schwert noch zücken?
Weil wir gern im Feindeslande
irgendwo ein Hühnchen pflücken.
Des gerechten Gottes Zorn noch,
ach, den müssen wir verschärfen.
Wo gedeiht denn heut ein Korn noch,
um die Flinte hinzuwerfen!
Wie die neue Ernte, raten
alle Bürger nur mit Bangen.
Wissen bloß, daß blutige Saaten
wieder glücklich aufgegangen.
Eine Schlachtbank läßt nie darben
die dort angestellten Kunden.
Raben haben, seit wir starben,
täglich Nahrung noch gefunden.
Doch den Untertan verlockt hat,
er besorgt es unterdessen,
was man so ihm eingebrockt hat,
bis zum Endsieg auszuessen.
Sitzt man mit Gemeinschaftsmägen
an dem ungedeckten Tische:
heute gibt es außer Schlägen
höchstens etwa faule Fische.
Manche diplomat'sche Note
für die Welt nur ein Geräusch ist,
die im Friedensangebote
schmeckt, daß es nicht Fisch, nicht Fleisch ist.
Riecht man dann selbst hier den Braten,
kriegt man ihn doch nicht zu schauen.
Ich mag diesen Surrogaten,
nein, beim deutschen Gott nicht trauen!
In Geheimrats Teufelsküche
möcht' in keinen Topf ich gucken;
müßte wegen der Gerüche
Hexen in die Suppe spucken.
Wovon man denn fett wird, war schon
schwierig ehedem ergründet;
während man seit manchem Jahr schon
nicht mehr weiß, wovon man schwindet.
Bleibt der Seele ein Gehäuse,
wird der Mensch noch nicht begraben.
Einstens hierzuland die Läuse
auch nichts mehr zu beißen haben.
Von den deutschen Chemikalien
scheint das Gas allein gediegen,
während durch die Viktualien
der, den's trifft, sofort bleibt liegen.
Um das Leben zu ersetzen,
sinnt die Wissenschaft noch heute.
Sonst ist alles da an Schätzen,
nicht so wie bei arme Leute.
's ist wie einmal, da der Prahlhans
war der deutsche Küchenmeister;
doch das Mahl nicht mal vom Schmalhans,
denn die Soß nicht mal ein Kleister.
Eine schöne Soße wär' das,
wenn das nicht ein Fremdwort wäre.
In der Tunke sein: auf Ehr' das
fordert nationale Ehre.
Alle diese welschen Speisen
sind ja doch zu gar nichts nütze.
Unschwer ließe sich's beweisen
mit ein wenig deutscher Grütze.
Üppigkeit von damals muß sich
heute durch Entbehrung rächen.
Ach, wie ließ' man mit Genuß sich
wieder mal vom Hafer stechen!
Während wir um schlechte Währung
mit noch minderm Vorrat geizen,
blüht auf unterster Ernährung
heute bloß des Wuchrers Weizen.
Statt des Fleisches äße Leder
schon der eingefleischte Sparer.
Aber Leder, das weiß jeder,
ist ja noch bei weitem rarer.
Daß dem Wirt schon alles Wurst ist,
führt in Irrtum nur die Toren.
Aber auch für ihren Durst ist
Malz und Hopfen längst verloren.
Nimmer mag das Volk der Denker
über seine Lage denken.
Gern vermeiden seine Lenker
reinen Wein ihm einzuschenken.
Aber Zuckerbrot und Peitsche
nicht mehr der Erziehung ziemen;
denn es fehlt ja doch der deutsche
Zucker und der deutsche Riemen.
Täglich sie die Milch der frommen
Denkart diesem Volk entzogen.
Kinder, die jetzt angekommen,
haben Drachengift gesogen.
Totentanz ist's, sei der Titel
Tango oder wieder Ländler.
Hast du keine Lebensmittel,
werde Lebensmittelhändler.
Hin ist hin, die Hetz ist hin und
G'spaß gibt's keinen gegenwärtig.
Krieg ist Krieg, sagt man in Wien und
da gibt's keine Würstel, fertig.
Wenn das Schicksal sich vollendet,
wird kein Kren mehr übrig bleiben,
daß den Wiener man verwendet,
um im Notfall Kren zu reiben.
Dafür ist man kaum entschädigt
durch ein kriegsgemäßes Leben,
wozu mit der Sittenpredigt
ihren Senf die Sieger geben.
Schnittlauch selbst auf allen Suppen,
Zutat fremdem Wert und Werke,
bilden sie um Gräber Gruppen,
hoffend, daß man sie bemerke.
Hungert man im Hinterlande,
bleibt der Mut doch ungebrochen
jener, die am Weltenbrande
ihre eigne Suppe kochen.
Nimmer würde sie's verdrießen
und sie würden unablässig
Öl noch in das Feuer gießen,
damit aber ist es Essig.
Vor den furchtbaren Kontrasten
lernt man diese Ordnung hassen,
in der die Gerechten fasten
und die Ungerechten prassen.
Diese Ersten, die sich mästen
und sich selbst die Kreme heißen,
wenn die namenlosen Besten
ungezählt ins Gras doch beißen —
keinen gibt es, der nicht nähme,
während andere verrecken.
Welch ein Abschaum diese Kreme!
Längst schon kann ich sie nicht schmecken
Durchzuhalten, wird von Tröpfen
manch ein Scherflein beigesteuert,
wenn die Butter auf den Köpfen
aller Schieber sich verteuert.
Dazu würden Siegesweisen
wie ein Ei dem andern gleichen,
könnte man zu höchsten Preisen
das Vergleichsobjekt erreichen.
Lange schon auf Mehl wir harren.
Finden wir's, wenn wir es suchen?
Da sagt man in Wien: Ja Schmarren
In Berlin sagt man: Ja Kuchen!
Was du noch bekommen solltest,
nicht bekömmlich ist's. Zum Hohne
heißt's dort, wenn du fragen wolltest:
»Gibt es Kaffee?« »Nicht die Bohne!«
Aber unser täglich Brot doch
wird man uns wohl nicht verstecken!
Das gibt's in der Zeit der Not doch
stets beim Bäcker? Ja beim Backen!
Neue Nahrung ward dem Neide,
nicht uns selbst: mit Duldermiene
hörten wir von dem Getreide,
lagernd in der Ukraine.
Billig wie die Brombeern waren
nicht einmal die Brombeern heuer.
Sie zu kriegen, war seit Jahren
guter Rat nicht mehr so teuer.
Vor den Obstgeschäften standen
viele Füchse auf der Lauer;
wären Trauben noch vorhanden,
keinem wären sie zu sauer.
Fruchtlos ferner uns zu fretten,
ward von oben uns geheißen.
Möchten gern, wenn wir ihn hätten,
in den sauern Apfel beißen.
Auch die Zuversicht, sie glaubt nur
täglich noch den schlimmem Wandel.
Fortan kriegt man überhaupt nur
eine harte Nuß im Handel.
Über weitere Annexionen
freuten wir uns ungeheuer,
trügen gern zu allen Thronen
die Kastanien aus dem Feuer.
Und mit diesen Staatsgewalten —
fast hätt' ich den Punkt vergessen —
wär' es gut, sich zu verhalten
und mit ihnen Kirschen essen.
Essen suchen selbst die Rüpel,
die sich jenes Krupp erinnern,
Herbergsvaters aller Krüppel,
Vorbilds allen Kriegsgewinnern.
Schön ist es, im Sommer ländlich
so im deutschen Wald zu wohnen.
Wie die Pilze schießen endlich
aus der Erde die Kanonen.
Aber diese herzlos harten
Winter soll der Teufel holen.
Wärmeres Wetter zu erwarten,
sitzt man fluchend wie auf Kohlen.
Mit Tabak ist's noch viel schlimmer.
Doch man wird ihn nicht mehr brauchen
wenn doch immerzu die Trümmer
nur in diesem Kriege rauchen.
Jedenfalls bei weitem schärfer
spürt den Mangel man an Zündern,
da vermehrte Flammenwerfer
solchen Notstand nicht vermindern.
Opfervoll ist diese Prüfung,
hält die Treu' durch Not und Tod man.
Ach, des Bündnisses Vertiefung
braucht wie einen Bissen Brot man.
Und den Ausbau, den verlangen
Nibelungenpflichten eben.
Auf den Speck sind wir gegangen,
als wir unsern hingegeben.
Und wir müssen es beklagen,
die wir Höchstes doch besessen:
daß wir auf den Lorbeern lagen
und sie nicht gleich aufgegessen.
Denn nach vielen Feindeslügen
eine ward erst jetzt vernommen:
daß die Deutschen dieses Siegen
endlich einmal satt bekommen!
*
Inschriften
Verzicht
Laßt uns nach der Ehre streben,
Sieg sei unser täglich Brot.
Unerschwinglich ist das Leben
und umsonst ist nur der Tod.
*
Mittel und Zweck
Wir dienten dem Lebensmittel
und setzten uns dreist hinweg
unter des Fortschritts Titel
über des Lebens Zweck.
Nun ist der Zweck entschwunden,
nun wird das Leben frei,
und nach wenigen schmerzvollen Stunden
ist's auch mit den Mitteln vorbei.
Die Sterbemittel ergeben
der technischen Eile Gewinn.
Wir kamen zwar um das Leben,
doch auch um des Todes Sinn.
*
Orakel
»Sag an,
wer wird in diesen Kriegen
unterliegen?«
»Der tapfere Mann.«
»Der kann nur siegen!«
»Wohlan!
Weil er nur siegen kann.«
*
Religionskrieg
Nun wird gar der Glaube hienieden
der feindlichen Völkerrotte
zum frechen Spott.
Denn keinen Verständigungsfrieden
schließt mit dem deutschen Gotte
der liebe Gott.
*
Hurra!
Kein größres Glück kann einem Sieger widerfahren,
als wenn er sich zurückzieht, zum Verdruß
des Feinds. Der fühlt sein ganzes Ungemach.
Er folgt enttäuscht und zögernd nach,
und während er den Sieger suchen muß,
kann der die Kräfte für den nächsten Rückzug sparen
*
Die veränderte Lage
Als der deutsche Herrgott in Frankreich gehaust,
da kam man ihm mit dem Verständigungsfrieden.
Er drohte mit der gepanzerten Faust:
»Der Krieg wird nur militärisch entschieden!«
Verständigungsfrieden hieß dem, der gesiegt,
daß er einen Toten vom Tode verständige.
Bis er selbst eines Tags auf der Erde liegt,
denn es war gar kein Toter, es war der Lebendige.
Einen Räuber freute der tägliche Sieg,
denn ihm wollte ein Platz an der Sonne behagen.
Nun ruft er: »Das ist ein Verteidigungskrieg,
wir können uns auch im Schatten vertragen!«
Es sagte ein Sieger am Siegestag:
»Na wart, du bekommst keinen weichen Frieden!«
Und als er nun selbst auf der Erde lag:
»Der Krieg wird nicht militärisch entschieden!«
*
Die militärische Lage ist günstig
Worauf wir gewartet und was wir erstrebt,
vorbei ist's, wir hätten's zu gerne vernommen.
Fast hätten wir freudig die Kunde erlebt:
die Deutschen sind nach Paris gekommen!
Doch hat eine Hoffnung der Schmerz uns genommen,
wir haben noch Aussicht und die ist gewiß:
Denn wären wir nach Paris gekommen,
wir kämen im Leben nicht nach Paris!
*
Die Parole
Immer feste druff: das bleibt nun mal die deutsche Reichsparole,
ob man sich dabei nun Lorbeern oder etwas andres hole.
Bis zum Endsieg durchzuhalten — nein, das war kein eitles Prahlen,
denn nun gilts beim Sieg der andern immer feste druffzuzahlen.
*
Der Nationalitätenstaat
Der weltgeschichtliche Wille verheißt,
so sagten alle Braven,
daß endlich der germanische Geist
wird fertig mit den Slaven.
Die Patrioten sagten es laut
und dachten sich die Böhmen
auch ihrerseits patriotisch erbaut
von diesem Unternehmen.
Ja, hatten die Czechen denn einen Grund,
den Erwartungen nicht zu entsprechen?
Man hielt sie für Österreicher und
sie waren im Grunde Czechen.
Die Deutschen aber wagten frisch
und sie verloren später.
Das ist ein buntes Völkergemisch:
Esel und Hochverräter.
*
Feindliche Propaganda
Gerüchte und Lügen sind abgeprallt
an unsrem Ehrenschilde.
Wer uns so schwarz in schwarz gemalt,
der traf sich selber im Bilde.
Nun haben sie erst unsre Ehre verletzt,
uns gereizt mit rotem Tuche.
Denn deutsche Wahrheit ward übersetzt
aus dem deutschen Fliegerbuche.
*
Straßenrufe
Hätt' man mich gefragt, ich hätte die Zeit
mir gewählt, in die ich geboren,
sie mir ausgesucht nach der Neuigkeit,
die der Tag mir ruft in die Ohren.
O könnt' ich noch einmal zurück aus der Qual !
Wie lärmen doch Handel und Händel!
Einst hatte die Zeit — ach hätt' ich die Wahl —
nur die Neuigkeit: »Kaufts an Lavendel!«
Jetzt kreischt mir am Sonntag die Vettel ins Ohr
als verkörperte Weltgeschichte,
die den Sieg gewann und den Athem verlor:
»Extraausgabee! Beide Berichte!«
*
Optimismus
Bei diesem gewaltigen Weltensturze,
bei dem kein Stein auf dem andern steht,
und alldieweil hinterm Schicksalsschurze
der Wind bald dahin, bald dorthin weht,
trau' ich einem weltgeschichtlichen Furze,
daß alstern der Wiener doch untergeht.
*
Die unzulängliche Macht
Was uns so radikal verheert,
was uns durch Macht geführt zum Dreck,
war neben Herzverhärtung Hirnerweichen.
Nicht Bosheit, Dummheit hat uns aufgezehrt.
Wir waren fähig zu dem schlimmsten Zweck,
unfähig aber, diesen zu erreichen.
*
Rekonvaleszenz
Die Welt soll am deutschen Wesen gesunden?
So zahlen wir erst die Erholungsspesen
und gehen selber dann in die Kur!
Nicht allzuweit: wir brauchen ja nur
zu sorgen, bis unser deutsches Wesen
von Potsdam nach Weimar zurückgefunden.
*
Der Zeuge
Fluch, Kaiser, dir! Ich spüre deine Hand,
an ihr ist Gift und Nacht und Vaterland!
Sie riecht nach Pest und allem Untergang.
Dein Blick ist Galgen und dein Bart der Strang!
Dein Lachen Lüge und dein Hochmut Haß,
dein Zorn ist deiner Kleinheit Übermaß,
der alle Grenze, alles Maß verrückt,
um groß zu sein, wenn er die Welt zerstückt.
Vom Rhein erschüttert ward sie bis zum Ganges
durch einen Heldenspieler zweiten Ranges!
Der alten Welt warst du doch kein Erhalter,
gabst du ihr Plunder aus dem Mittelalter.
Verödet wurde ihre Phantasie
von einem ritterlichen Weltkommis!
Nahmst ihr das Blut aus ihren besten Adern
mit deinen Meer- und Luft- und Wortgeschwadern.
Nie würde sie aus Dreck und Feuer geboren!
Mit deinem Gott hast du die Schlacht verloren!
Die offenbarte Welt, so aufgemacht,
von deinem Wahn um ihren Sinn gebracht,
so zugemacht, ist sie nur Fertigware,
mit der der Teufel zu der Hölle fahre!
Von Gottes Zorn und nicht von seinen Gnaden,
regierst du sie zu Rauch und Schwefelschwaden.
Rüstzeug des Herrn! Wir werden ihn erst preisen,
wirft er dich endlich zu dem alten Eisen!
Komm her und sieh, wie sich ein Stern gebiert,
wenn man die Zeit mit Munition regiert!
Laß deinen Kanzler, deine Diplomaten
durch dieses Meer von Blut und Thränen waten!
Fluch, Kaiser, dir und Fluch auch deiner Brut,
hinreichend Blut, ertränk sie in der Flut!
Ich sterbe, einer deutschen Mutter Sohn.
Doch zeug' ich gegen dich vor Gottes Thron!
*
Zum ewigen Frieden
»Bei dem traurigen Anblick nicht sowohl
der Übel, die das menschliche Geschlecht
aus Naturursachen drücken, als vielmehr
derjenigen, welche die Menschen sich
untereinander selbst anthun, erheitert sich
doch das Gemüth durch die Aussicht, es
könne künftig besser werden; und zwar
mit uneigennützigem Wohlwollen, wenn
wir längst im Grabe sein und die
Früchte, die wir zum Teil selbst
gesät haben, nicht einernten werden.«
Nie las ein Blick, von Thränen übermannt,
ein Wort wie dieses von Immanuel Kant.
Bei Gott, kein Trost des Himmels übertrifft
die heilige Hoffnung dieser Grabesschrift.
Dies Grab ist ein erhabener Verzicht:
»Mir wird es finster, und es werde Licht!«
Für alles Werden, das am Menschsein krankt,
stirbt der Unsterbliche. Er glaubt und dankt.
Ihm hellt den Abschied von dem dunklen Tag,
daß dir noch einst die Sonne scheinen mag.
Durchs Höllentor des Heute und Hienieden
vertrauend träumt er hin zum ewigen Frieden.
Er sagt es, und die Welt ist wieder wahr,
und Gottes Herz erschließt sich mit »und zwar«.
Urkundlich wird es; nimmt der Glaube Teil,
so widerfährt euch das verheißne Heil.
O rettet aus dem Unheil euch zum Geist,
der euch aus euch die guten Wege weist!
Welch eine Menschheit! Welch ein hehrer Hirt!
Weh dem, den der Entsager nicht beirrt!
Weh, wenn im deutschen Wahn die Welt verschlief
das letzte deutsche Wunder, das sie rief!
Bis an die Sterne reichte einst ein Zwerg.
Sein irdisch Reich war nur ein Königsberg.
Doch über jedes Königs Burg und Wahn
schritt eines Weltalls treuer Untertan.
Sein Wort gebietet über Schwert und Macht
und seine Bürgschaft löst aus Schuld und Nacht.
Und seines Herzens heiliger Morgenröte
Blutschande weicht: daß Mensch den Menschen töte.
Im Weltbrand bleibt das Wort ihr eingebrannt:
Zum ewigen Frieden von Immanuel Kant!
*
Flieder
Nun weiß ich doch, 's ist Frühling wieder.
Ich sah es nicht vor so viel Nacht
und lange hatt' ich's nicht gedacht.
Nun merk' ich erst, schon blüht der Flieder.
Wie fand ich das Geheimnis wieder?
Man hatte mich darum gebracht.
Was hat die Welt aus uns gemacht!
Ich dreh' mich um, da blüht der Flieder.
Und danke Gott, er schuf mich wieder,
indem er wiederschuf die Pracht.
Sie anzuschauen aufgewacht,
so bleib' ich stehn. Noch blüht der Flieder.
*
Rückkehr in die Zeit
Mein Zeiger ist zurückgewendet,
nie ist Gewesnes mir vollendet
und anders steh' ich in der Zeit.
In welche Zukunft ich auch schweife
und was ich immer erst ergreife,
es wird mir zur Vergangenheit.
Und allem, was an Schmach und Schöne
als Bilder ich bewahr' und Töne,
dem bin ich ewig Untertan.
Ich sitze bei der Schicksalsspinne
und was sie immer mir beginne,
ich seh' es mir von außen an.
Bin meines Werdegangs Behälter
und schaue alle Jüngern älter
und fühle in den Tod mich jung.
Und ich entwirre das Gewebe
und was ich immer noch erlebe,
erleb' ich als Erinnerung.
Ich bin mein treuester Begleiter
und lebe das Gelebte weiter,
und Neues kann mir nicht geschehn.
Von einem Urbild war gesegnet,
was mir zum erstenmal begegnet,
und ist mir wie ein Wiedersehn.
Bei einem nie gehörten Klange
wird mir nach meiner Vorzeit bange,
wird Niegesehnes nahe sein.
Und wenn ich einmal auf der Bahre
in unbekannte Länder fahre,
dann tret' ich in das Leben ein.
*
Vor dem Schlaf
So spät ist es, so späte,
was werden wird, ich weiß es nicht.
Es dauert nicht mehr lange,
mir wird so bange,
und seh' in der Tapete
ein klagendes Gesicht.
Allein bin ich, alleine,
was außerhalb, ich weiß es nicht.
Ach, daß mir's noch gelänge,
mir wird so enge,
und seh' in jedem Scheine
ein fragendes Gesicht.
Nun bin ich schon entrissen,
was da und dann, ich weiß es nicht,
ich kann sie nicht behalten
die Wahngestalten
und fühl' in Finsternissen
das sagende Gesicht.
*
Bange Stunde
Gebannt steh' ich auf diesem Fleck
und kann nicht zurück und kann nicht weg
und suche mit dreimal flehenden Händen,
ein sicheres Schicksal abzuwenden.
Alles um mich in den bangen Stunden
hat Macht über mich, der gebannt und gebunden.
Gelingt's mir, nur dies und nicht das zu denken,
so wird mich mein Wille zum Ausgang lenken,
und ich weiß mir, der Sklave dem Herren, Dank,
entrinn' ich nur diesmal noch meinem Zwang.
Dort wäre der Weg: wo der Zweifel steht,
ob rechts oder links es sich besser geht.
Ich könnte fliegen, ich möchte eilen,
und geschwind noch beschwör' ich die Zeit, zu verweilen.
Ich schlage mich durch, ich krieche und hinke,
wie fass' ich die Klinke? Wie faßt mich die Klinke!
Schnell könnten drei Wünsche mir noch verderben:
Herrgott, so laß meine Freunde nicht sterben —
was hältst du mich, scheinbare Vorhangfalte,
was will mir das Fiebergesicht, das alte —
Gott, rette mir jenen, behüte mir diesen,
bewahr ihm das Auge für Wunder und Wiesen —
wie kränkt' ich mich damals, ich wollte nicht warten,
denn ich war krank und die andern im Garten,
eine Spieldose hat die Gavotte gespielt,
ein Gesicht im Vorhang hat nach mir gezielt —
Gott, hilf ihnen, die die Zeit mir verwehte,
und die längst nicht glauben, daß ich für sie bete,
und jenen, die du zu dir schon entboten,
vergiß nicht die Toten, vergiß nicht die Toten!
der Einen aber hier auf dem Bilde,
es lächelt zu meinem Aufruhr so milde,
und dieser aber, o daß ich's nicht dächte,
wenn nicht das Denken Erfüllung mir brächte,
ihr mögest du Leben und Leben und Leben
in vielfach lebendiger Fülle geben
und wirken, daß ihr in unendlichen Lenzen
wie Sonne und Mond die Züge erglänzen,
und für mich selbst, o hör den unendlichen Jammer,
bitt' ich, daß ich in dieser Kammer,
geschmiedet an aller Erden Qual
mich zu Formen erlöse ohne Zahl,
und aus dem vorbestimmten Kreise
mir erbarmungslos und ausnahmsweise
gestattet wäre zu entrinnen,
um immer von neuem zu beginnen,
denn es lähmt mir das Herz, daß einst hinter mir
sich schließe die vorbereitete Tür,
und an dem Gedanken, mich nicht zu beerben,
würd' ich ganz sicher noch einmal sterben!
Laß es nicht zu und lasse mich bleiben,
und bin ich erst fertig, beginn' ich zu schreiben,
denn dem das Wort den Ursinn gelichtet,
sieh, der hat nie zu Ende gedichtet,
und war ich stets des Anfangs gewärtig,
war Leben im Wort: so werd' ich nicht fertig!
Hier ist mir ein heiliges Räthsel gewesen,
ich habe in Hieroglyphen gelesen.
Nie lass' ich das dreimal lebendige Wort,
verstummend in dein undenkliches Dort,
nie lass' ich den Streit und den Zweifel hiernieden
für jenen unwiderleglichen Frieden.
Nie mögst du von diesem Sessel mich heben.
Lieber den Tod als nicht mehr zu leben!
Nicht feige fleh' ich um meine Errettung;
doch hängen in blutig gespürter Verkettung
an meiner Gestalt die vielen Gestalten,
die du zu bewahren mir verbehalten,
und in dem schmerzbeseligten Bund
unzählige Stimmen an meinem Mund.
Sie nachzuschaffen hast du mich gelehrt,
die von dir sich zum eigenen Abbild verkehrt;
und gleich' ich nicht jenen, die du erschaffen,
so kannst du mich nicht zu dir entraffen.
Drum laß aus dem marschbereiten Haufen
zurück mich in deine Ewigkeit laufen,
und gib mich mir wieder Stück um Stück!
Mit Macht reiß' ich sonst mein Gedächtnis zurück,
um nimmer zu denken, was noch nicht geschah —
ich will ja nicht weg, ich bleibe doch da!
Was ist das nur heut, was ist das nur hier,
wie dreht sich und droht mir, wie knarrt mir die Tür,
wie rennt mir die Stunde in rasendem Lauf,
wie halten mich alle die Dinge hier auf,
und Falten und Kanten, sie starren mich an,
des Zufalls unseligsten Untertan!
Gebannt und gebunden steh' ich auf dem Fleck,
und kann nicht zurück, und will nicht weg —.
*
Magie
Wie alles zudrängt, daß es sich mir binde!
Wie sucht mich alles, daß ich eines finde!
Vorschwebend Form, sie hängt mir wie ein Netz:
nun strömt es ein nach bindendem Gesetz
und setzt sich an, und alles Vorgefundne
wird, was es immer war: das mir Verbundne.
Ist dies ein Stück noch von der Außenwelt?
Steht es vor mir, weil ich es vorgestellt?
Ich und die Welt, wir hängen an der Kette,
ich und die Zeit, wir laufen um die Wette.
Vorbei an Worten, die zu schlafen schienen;
ein totes Wort hat sonderbare Mienen.
Füllt sich der Raum mit Leichen und mit Larven,
schon reimen irgendwo im Traum die Harfen.
Nun schafft in den Kontur sich ein Gesicht
und in den fernen Tonfall ein Gedicht.
Da mischen sich die Stimmen mir zu Hauf
und jeder Blick reißt mir das Denken auf,
das wahllos sich ergibt und ohne Schranken
endloser Lust nie fertiger Gedanken,
und büß' in Zweifel ich und Ungeduld
die eigne Lust, so büß' ich fremde Schuld.
Unendlich Hasten, Tasten, Rühren, Spüren
und durch die Dinge in mich selber Führen!
Unendlich Langen, Hangen, Bangen, Fangen,
durch mich hindurch zum Urbild zu gelangen!
Und sollt' ich auf der Strecke auch erbleichen:
ich kann es nicht, doch muß ich es erreichen!
*
Traum vom Fliegen
Und wieder mir träumte, ich wäre geflogen,
und diesesmal war es doch sicherlich wahr,
denn ich hatte so leicht wie die Luft ja gewogen
und hatte die Knie an den Körper gezogen,
und es ging wie im Flug, im beherztesten Bogen
hoch über der schwergewichtigen Schar,
es war keine Täuschung, ich war nicht betrogen,
es flogen die Stunden, die Tage, das Jahr.
Mit fliegenden Hoffnungen vollgesogen,
so wach' ich mit müderen Gliedern auf.
Zu Lande ist Leben; und angelogen,
vom leichtesten Trug an der Nase gezogen,
aus allen Himmeln zur Erde geflogen,
da lieg' ich, da liegen die Lügen zuhauf.
Und trotzdem bleib' ich dem Traume gewogen,
so läuft er sich leichter, der Lebenslauf.
*
Das zweite Sonett der Louise Labé
O schöne Augen, Blicke abgewendet,
o Seufzer, Klagen, o vergossne Thränen,
o dunkle Nächte, die durchwacht mein Wähnen,
o lichter Tag, vergebens mir verendet!
O Trauer du, da Sehnsucht stets verweilt,
o alle Übel wider mich bereitet,
o tausend Tode rings um mich gebreitet,
o Ewigkeit der Qual, da Zeit enteilt!
O Geigenton des Leids, Musik im Schmerz,
o Lächeln, Stirn und Haar, o edle Hand —
zu viele Flammen für ein armes Herz!
Weh dir, der alle diese Feuer trägt,
daß du sie an mein Leben hast gelegt,
und bleibst von jedem Funken unverbrannt!
___________________
Nach dem Original und einer vorhandenen Übertragung.
*
Wollust
O Unterschied im Liebesspiele!
Wie kommt es aus ganz andern Quellen:
bei ihr zu sein,
und sie sich vorzustellen!
Denn sie ist nur ein Schein;
doch wenn sie fern, erwachsen die Gefühle.
Kurz ist die Gier,
und man ist bald am Ziel
und fühlt nur eben, was man fühle;
das ist nicht viel.
Gern war' man aus dem Spiele,
ist man bei ihr.
Wie bin ich anders aufgewühlt,
ist sie entrückt!
Wie wird sie vielfach neu und nah
und endlos bleibe ich verzückt,
denn sie, sie selbst ist da,
und ich, ich fühle, was sie fühlt!
*
Schäfers Abschied
Sind die Wiesenglocken mir
in den Herbst verklungen:
dauert nur der Sommer dir,
ist ein Lied gesungen.
Sehnsucht macht den Dichter stark,
glühendes Entsagen.
Darb' ich, so gedeiht mein Park
in den Thränentagen.
Zweifel drückt mir auf die Brust:
irrte so viel Liebe?
Deine Schafe, deine Lust —
irgendwo sind Diebe.
Steht wie ehmals Stern an Stern — I
nsel schwand und Schwäne.
Sterne sind noch.
Einer fern fiel herab als Thräne.
Sommernächte — wie erhellt
war die Lust vom Lichte,
unterthan die ganze Welt
glänzendem Gesichte!
Ach, das war die schönste Zeit,
ich vergess' sie nimmer.
Du trugst nachts ein grünes Kleid
in dem weißen Zimmer.
Wie verklärte sich der Pfad
unter deinem Scheine!
Steine, die dein Fuß betrat,
waren Edelsteine.
Springbrunn, himmelhoch und hell,
ist er mir verflossen
und dafür ein Thränenquell
in die Welt gegossen?
Tagwärts in die dunkle Zeit
ist dein Bild verronnen.
Aber nachts das süße Leid
weckt mir deine Wonnen.
Sonne schien in Alp Laret
loderndem Verlangen.
Daß mein Herz nicht untergeht,
war sie aufgegangen.
Sonnentrunkner, heißern Blicks,
irrt mit blauem Flügel
durch Vallorbe, das Thal des Glücks,
helle Lust zum Hügel.
Selig hat mich aufgethaut
ein lebendiger Wille.
Tönte mir dein Klagelaut,
war der meine stille.
Ach, geschah' es noch einmal,
in den bessern Zeiten!
Dahin sei der Trennung Qual
inneres Geleiten.
Segen deinem stolzen Schritt
in die fernste Richtung!
Du nahmst meine Seele mit.
Ich bewahr' die Dichtung.
*
Slowenischer Leierkasten
Das ist ein Sonntagabend,
wo ich in fernem Land
vor rotem Himmelstore
verlorner Liebe stand.
O Melodie, im Ohre
den Gram der Welt begrabend.
Das ist die wehe Wunde,
des guten Volkes Leid,
Erkennungsmal der Herzen
in angstgebundner Zeit.
O armer Schall der Schmerzen
um eine Heimatstunde!
Wie in verirrtem Klange
verhallt das alte Glück,
kehrt wieder mit Erbarmen
uns aller Harm zurück.
Wie wird den guten Armen
um Land und Liebe bange!
Was ich zum ersten Male
schon hundertmal gehört,
hat die entschlafnen Wonnen
zu Qualen aufgestört.
O Hingang aller Sonnen
in einem Thränentale.
*
Verwandlung
Du bist mir nur von weitem noch. Und kaum
an meinem Horizont ein Rand mehr, nur ein Saum
purpurnen Abschieds. Nur noch eine Spur.
Schien mir die Sonne ? Nein, sie schien mir nur!
Du bist es nicht! Den Brand noch im Gesicht,
ruf ich dir nach: Bist du nicht, warst du nicht!
Warum verglommst du mir? — Doch warst du, doch!
Du warst, du bist es: denn ich seh' dich noch.
Wohin entsinkst du mir? Zurück bleibt Nacht.
Wo lebst du, leuchtest jetzt? Wohin die Pracht?
Noch spielt mein Geist mit deinem Licht; im Wähnen
um das lebendige, stets nachgezogen,
schaff deinem Schimmer ich durch meine Thränen
den nie verlöschend letzten Regenbogen.
Ich weiß von Wüsten, wo ein Mittag war
und nichts als Lust, und alles wurde klar.
Aufriß das große Licht mein Menschenauge,
daß ihm die dunkle Welt nicht tauge;
und aller Ursprung wurde mir bewußt.
Und über mir war Mittag, stand die Zeit,
und eine Weile war Unendlichkeit,
ein Teil von dir. Mit Armen hielt ich sie,
da war kein Anfang und das Ende nie!
Dein Strahl traf durch mein Haupt und diese Welt
brach auf in Flammen, die mein Herz verbrannten.
Als alle Sinne dich erkannten,
war ihnen gleich der Geist gesellt.
Naturhaft jedes Ding um uns; der Mond
nannte dich Schwester, und ein weher Wind
war Stimme dir, die Stürme übertönt,
und Sterne flohen, schwebten wir vorbei.
Vorbei du mir! Dies ist der andre Herbst,
dem niemals mehr entwandelt die Natur;
sie ging ins Grab, woraus ich sie empfing.
Und überall ist nichts als Zeit, und nichts
als Erde. Und du ließest nichts zurück
als die Gewalten, die mich rückwärts rufen,
und alles Opfer, das umsonst sich bietet,
Herzuntergang in gnadenloser Weite,
irres Gebet zu niemand und um nichts,
gottlosen Altar, sternenlose Nächte,
furchtbare Mächte der Gewesenheit!
Ich renne rasend durch die Erdenzeit
zurück in dich und finde dich nicht mehr!
*
Unter dem Wasserfall
Wer vor mir ließ von diesem Wasserfall,
von dieser Sonne sich begnaden!
Wer vor mir stand, das Haupt im All,
stolz an der Ewigkeit Gestaden!
Von Gott bin ich hier eingeladen,
so hoch in Gunst wie jedes Tier,
und hier ist niemand außer mir,
hier will ich frei von mir mich baden!
Was ich mir selbst schuf, nahm mich selbst nicht auf,
und Wort und Weib, sie wiesen nach den Schatten
und alles Leben wurde ein Ermatten,
zurück in mich lief meiner Welten Lauf.
Nun bin ich zu den Wundern heimgegangen
und auf der Gotteswelt allein.
Hier dieser Sonnenstrahl ist mein.
Wie hat die Schöpfung festlich mich empfangen!
Lust ohne Leiden, Liebe ohne Last,
Naturdrang ohne Scham und Schranken —
ich bin an Gottes goldnem Tisch zu Gast
und hab' mir nichts mehr zu verdanken!
Weit hinter mir ist alles Weh und Wanken.
Wie hat der Wasserfall Bestand!
Wie segnet dieses Sonnenland
vor meiner Nacht mir die Gedanken!