Gedichte
1939 bis 1941
Alle Zeitangaben zu den Gedichten geben das Datum an, dem der Text zugeordnet werden konnte.
Bezug hierzu sind die Angaben aus der Sammlung der 1987 von Klaus Völker herausgegebenen Gedichte.
Inhalt
»We are all in the same boat.. .«
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05. - 07. 01. 1939
Drei Tage ohne dich
Drei Tage ohne dich, in diesem kurzen Leben,
und werden mir niemals zurückgegeben,
drei Tage ohne daß ich deine Stimme höre,
in deine Augen sehe, dich beim Lesen störe,
dir wohlgefalle, oder dich verdrieße,
mit dir die Welt erleide und genieße.
Drei Tage ohne dich, drei kurze Tage,
und werden mir zu einer langen Plage,
so lang hab' ich nie andere empfunden
als diese dreimal vierundzwanzig Stunden,
die immer nur mit schmerzhaft harten Mienen
auf deine Wiederkehr zu warten schienen.
Drei Tage könnten unser kleines Glück verderben:
ich könnte ohne dich hier plötzlich einsam sterben,
du könntest keinen Weg zu mir zurück mehr finden
und mir ins Abenteuerliche ganz entschwinden,
und würdest du dann doch zu mir zurückgetragen,
wärst du verwandelt, nicht mehr zu erkennen -
nach drei Tagen!
25. 07. 1939
»Ich möchte heim ...«
Mich dünkt, nun war' es fällig, heimzukehren:
zu lang schon war ich in der Fremde Gast;
sich gegen das ihm Widrige zu wehren,
verlernte der stets Ungebetne fast.
Verließ ich einst, die Freiheit mir zu wahren,
die Heimat, die zu Sklaverei verkam,
so drohten hier mir andere Gefahren,
und wieder schmerzt die Reue und die Scham.
Zum Abenteuer war ich nicht geboren,
das Ungewohnte hat mir Furcht gemacht;
hab' ich einmal ein Lebensgut verloren,
wird seiner noch bis in den Tod gedacht.
Mir ist es nicht vergönnt, mich abzufinden,
die Gabe des Vergessens nicht gewährt:
was nicht nach Wunsch geht, kann ich nicht verwinden,
mir im Gedächtnis keine Schuld verjährt.
Das Gastland kann die Heimat nie ersetzen,
hat mich sein Frieden freundlich auch bedacht.
Gefangen fühl' ich mich in fremden Netzen
und um das Lebenselement gebracht.
Der Alptraum durfte schon zu lang mich plagen;
nun, dünkt mir, täte das Erwachen not.
Laß endlich, Schicksal, doch uns wieder tagen
der Heimkehr wohl vertrautes Morgenrot!
18. 08. 1939
Meiner Frau zum Geburtstage
Damals wartete ich auf des Wunders Begebnis,
denn ich wußte, es mußte mir einmal geschehn;
und es geschah, und war unsrer Liebe Erlebnis
und vermochte die Stürme zu überstehn.
Warten wir jetzt auf das drohende Ungewisse,
schreckhaft gebannt von befremdlicher Flammenschrift,
weiß ich doch: wenn es uns in die Vernichtung risse,
war es erträglich, ein Blitz, der Umarmte trifft.
Mag es plötzlich enden
oder sich noch wenden
und versöhnlich sein -
laß in diesen Stunden
unbesorgt dir munden
Braten, Brot und Wein!
Säßen wir jetzt auch zum letzten Mal so geborgen
friedlich beisammen zu häuslicher Feier vereint -
laß uns nicht über das Künftige grübeln und sorgen,
unnütze Tränen werden genug schon geweint!
Laß uns nicht länger noch nach dem Vergangnen begehren,
das uns doch nicht mehr zu halten und hegen vermag,
sondern frohgemut dankbar in Zuversicht ehren
diesen durch deine Feier bedeutsamen Tag!
Festlichere Weisen
sollen dich umkreisen
schwalbenhaft beschwingt,
daß ihr heitres Schweben
bald dein weitres Leben
in den Leichtsinn singt.
Heut vielleicht will das Geschick dir drei Wünsche erlauben
und sie erfüllen, kaum hast du sie heimlich gedacht;
wieder dürfen wir hoffen und lieben und glauben,
segnen glückverheißende Sterne der Nacht.
Fürder sollst du mit jungen, empfänglichen Sinnen
alles genießen, was dir die Zukunft bringt,
neugeboren ein schöneres Leben beginnen,
dem auch das Schwierige leicht wie im Spiele gelingt.
Still wird auf dich warten
der ersehnte Garten
um das Hügelhaus,
und die sonderbare
Irrfahrt fremder Jahre
geht sehr glücklich aus.
03. 07. 1940
»We are all in the same boat. . .«
Wie wir in dieses Boot gerieten,
in dem uns doch kein Platz gebührt,
das nach verdächtigen Gebieten
den blinden Passagier entführt!
Nie wollt' ich mich aufs Meer begeben,
dem Unbekannten anvertraun,
auf festem Lande wollt' ich leben
und meines Gärtchens Grund bebaun.
Nun unter flüchtgen Wolkenfetzen
auf sturmgepeitschtem Ozean
vergeht mein tödliches Entsetzen
in dem verlornen, lecken Kahn.
Da ist kein tröstlicher Gefährte,
kein Schlaf, kein Strand, nur Nacht und Meer;
als ob der Schrecken ewig währte,
erträgt mein Herz ihn hoffnungsleer.
Geschäftig sind der Schiffer Schatten
mit Schreien, die wir nicht verstehn.
Muß ich wie die verhaßten Ratten
nun wirklich spurlos untergehn,
so fern den heimischen Penaten,
daß ich vergeblich sie beschwor?
Wie bin ich in dies Boot geraten,
das seinen eignen Weg verlor?
vor Ostern 1941
(13. & 14. 04. 1941)
Ostern 1941
Auch wir werden auferstehen
aus dem Grab der Schmerzensjahre,
jeden Pfad leibhaftig gehen,
den ich nun im Traum befahre,
duftend streifen Blütenzweige
wieder unsern Liebeswagen,
daß ich überwältigt schweige,
wie von Engeln heimgetragen.
Fällt es dir auch schwer zu glauben,
daß nach all dem Graus auf Erden
Äpfel abermals und Trauben
wie vorher dir munden werden,
die Bedrückungen verschwinden,
sich die offnen Grüfte schließen,
und wir dort uns wiederfinden,
wo wir österlich genießen.
Diese Glocken, wenn sie läuten,
werden keinen Feind uns künden,
sondern Himmlisches bedeuten.
Max Herrmann-Neiße verstarb
am 08. April 1941
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