Gedichte
1937
Alle Zeitangaben zu den Gedichten geben das Datum an, dem der Text zugeordnet werden konnte.
Bezug hierzu sind die Angaben aus der Sammlung der 1987 von Klaus Völker herausgegebenen Gedichte.
Inhalt
zurück zu Max Herrmann-Neisse - Gedichte 1924 - 1941
zurück zu den Gedichten von Max Herrmann-Neiße
12. 01. 1937
Der falsche Magier
Er schenkte aus einer leeren Flasche
gedachten Trank in ein leeres Glas
und nahm das Nichts aus leerer Tasche
und nannte es Brot und schluckte und aß.
Er nippte an nicht vorhandener Tasse
und las ein nicht vorhandenes Blatt
und überzeugte die gläubige Masse,
er würde von Unsichtbarem satt.
Noch kühner durch ihre Langmut geworden,
schrieb er sich höhere Kräfte bei
und sagte, daß er für Süden und Norden
der gottgesendete Magier sei.
Er forderte plötzlich zuchtlos vermessen,
sie sollten leben, was er nur log,
nur Vorgestelltes trinken und essen,
Erträumtes suppen aus leerem Trog.
Da war die Lust am Schauspiel vergangen,
da trat er dem Magen der Menge zu nah,
die hinter den goldenen Ketten und Spangen
die windige Miene des Schwindlers jetzt sah:
man hatte die traurigste der Gestalten
ganz ernst genommen, vor ihr sich geduckt,
das Nichts für einen Wert gehalten
und leere Drohungen geschluckt.
Jetzt war der ganze faule Zauber
mitsamt dem Zaubrer zu Luft verlacht.
Man fügte sich wieder, beschämt doch sauber,
der Wirklichkeit, der sinnvollen Macht.
14. 05. 1937
Rückblick und Ausblick
Aus dem Vergangnen steigt der Maientag,
der uns vermählte: seine Sommerwärme.
Die Fahrt ins Märkische. Die Menschenschwärme.
Der Hügel mit dem wüsten Weingelag.
Das kärglich kriegsgemäße Abendmahl,
gerettet durch des Freundes Zufallspende.
Hernach das seltsam freudelose Ende,
das unsrer Hochzeitsnacht die Sterne stahl:
in dem noch leeren Heime bliebst du allein,
ich lief zurück zum Junggesellenzimmer,
die Dirnen lockten, Blitze zuckten schlimmer
und schlugen, unsern Bund zu härten, ein.
Und er bestand. Er überstand den Krieg,
bestand verwirrter Jahre Auf und Nieder,
er schenkte mir die Schwinge meiner Lieder,
mit der mein Flug hoch in den Himmel stieg.
Und jeden Jahres frisch erblühter Mai
ließ unser Liebesglück sich hold erneuen,
wir konnten eins am anderen sich freuen,
verschont von der Verwirrung Narretei.
Und als der Wahnwitz so bedrohlich schien,
daß wir uns schmerzlich von der Heimat schieden,
blieb uns des Liebesbundes sichrer Frieden,
in dessen Schutz wir maienhaft gediehn.
Aus all den Jahren der Gemeinsamkeit,
dem Abenteuerlichen einer Ehe
mit dem geschwisterlichen Wohl und Wehe,
Versöhnungsglück nach ungewolltem Streit,
stieg zwanzig Stufen hoch der Gnadenpfad
hierher, wo wir auf das Vergangne schauen
und auf zum Künftigen, das weit im Blauen
die Pforten auf ins Unbekannte tat.
Wir werden es bestehen Hand in Hand,
gewärtig, Trost und Strafe zu empfangen,
um endlich in das Drüben zu gelangen,
wo ewig unser Glück in Blüten stand!
25. 12. 1937
Für Alfred Kerr
(zum 25. Dezember 1937)
1
Ich denke dreißig Jahre mich zurück:
da war dein Werk zum ersten Mal mir Glück;
seitdem hat es mir das Geleit gegeben,
und immer war es voll Musik und Leben.
Es hat das meine gestählt und gebeizt,
mich vorwärts getrieben, mich gezügelt,
zu fruchtbarem Widerspruch manchmal gereizt,
und immer als Dichtung den Dichter beflügelt.
2
Ich denke dreißig Jahre mich zurück:
Enttäuscht vom ledernen Kollegbetriebe,
der Dichtungen zerpflückte, Stück für Stück,
enttäuscht in ehrlicher Theaterliebe
durch das Klischee liebloser Langerweile,
das in den Zeitungen den Bakel schwang,
las ich dein Godwi-Buch, wo jede Zeile
von dem Erlebnis der Romantik sang,
las ich »Das neue Drama«, wo die scharfe,
in Liebe und in Haß entschiedne Kraft,
der Kunst der Schleuder kundig und der Harfe,
schuf Dichtung kämpferischer Leidenschaft.
3
In meinem schlesisch heimatlichen Neiße
sah ich durch dich die Bühnen von Berlin:
ich las mit Lust und sammelte mit Fleiße,
was Kritisches von dir im »Tag« erschien.
Wenn ich von einer Uraufführung wußte,
kauft' ich am Bahnhofkiosk mir das Blatt
und fluchte sehr, wenn ich feststellen mußte:
es werkte Papa Hart an deiner Statt.
Doch wenn ich römisch I bis X erblickte,
trug ich den Schatz nachhaus wie neubelebt;
das war der Geist, der Klang, der mich erquickte,
ihm nachzutun war dankbar ich bestrebt.
Als ich dann selbst im Neißer Käseblättel
zwei Winter lang Theaterkritik schrieb,
entsetzte ich das ganze biedre Städtel,
weil ich so keck in deine Kerbe hieb,
und brach dem Neuen hier auch eine Lanze,
bekämpfte Kitsch und trat für Echtes ein,
ging forsch in deinem Sinn und Stil aufs Ganze,
dir unbekannt und dennoch nah zu sein.
4
So gab im ganzen Land es junge Leute,
geformt, gefügt nach deines Geistes Plan,
die dein Elan befeuerte, erfreute;
nun sammelte sie deine Zeitschrift »Pan«.
Da warst du allem Kühnen Wegbereiter
und Obdachgeber manchem Zukunftsgut,
stets gegen die Zensur ein muntrer Streiter,
und machtest den Talenten herzhaft Mut,
der Lyrik auch, die Heutiges erkannte,
die, kritisch und beschwingt, von dir mit Fug
auftrumpfend »fortgeschrittene« genannte,
für die dein Werben glorreich Schlachten schlug.
Da drucktest du auch bald von mir Gedichte
und wiesest die Verleger auf mein Werk
und halfst mir in die Literaturgeschichte
mit deinem unvergeßlichen Vermerk.
5
Dann durfte ich dich endlich kennenlernen
und stand in deinem Grunewald-Gehaus.
Wir sprachen mehr von Breslauer Tavernen
und von der Güte Kißlingschen Gebräus
als von den »literarischen Belangen«,
ich spielte mit dem Kater Miezislano,
und kam ich erst sehr schüchtern und befangen,
so fühlt' ich bald bei dir mich wie zuhaus.
Dein Zuspruch machte mich verwegner, frischer,
von dir betreut, gedieh ich wunderbar
und wurde schließlich Autor bei S. Fischer,
was damals eine hohe Würde war.
6
Die Kriegszeit will ich lieber überschlagen;
da hat so mancher sich, zu dem ich hielt,
anders, als ich erwartete, betragen
und in dem wüsten Machwerk mitgespielt.
Du ließest dich durch deine Art verleiten,
die jedem Reiz sich allzu willig gibt,
und hast es in gefährlicheren Zeiten
gebüßt. Und wirst von uns wie einst geliebt!
Denn gleich nachher warst du ein scharfer Wächter
für das Gedeihn der deutschen Republik,
bekämpftest ihre knotigen Verächter
mit aller Grazie deiner Wortmusik.
Wo immer die verdächtigen Gestalten
sich zeigten, auch als »Junge Kunst« getarnt,
hast du sie unbeirrt in Schach gehalten.
Du hast rechtzeitig vor dem Wahn gewarnt!
Und als das Böse nah und näher rückte
und immer drohender sein Wesen trieb,
daß mancher schon verstummte und sich drückte,
warst du der Mann, der weiter sprach und schrieb:
den Feind auf Tod und Leben zu befehden,
hieltst du eindeutig bis zum Letzten stand.
Dankbar gedenk' ich deiner Rundfunkreden,
der letzten Sonntagslust im Heimatland!
7
Ich sorgte ehrlich mich um dein Verbleiben,
als das Barbarische daheim geschah,
bis ich dich wohlbehalten vor den Scheiben
des Züricher Schaufensters wiedersah.
Wir atmeten, dem Widrigen entronnen,
beglückt die freie Luft noch freier Welt.
Ein neues Leben wurde stracks begonnen,
und wieder hast du deinen Mann gestellt.
»Die Diktatur des Hausknechts« hast du weiter
auch im Exil mit ungebrochner Kraft,
nicht traurig klagend, sondern herzhaft heiter
gepritscht in jugendlicher Leidenschaft
in meisterlichen Prosen oder Reimen,
und wo auch immer ich dich wiederfand,
im Glück Paris, in Londons Nebelheimen,
war ich durch dich zuhaus im Heimatland.
8
Ich danke dir. Mein ganzer Jahrgang dankt.
Du bist in einer Welt, wo vieles wankt,
der Kerr, den unsre Jugendzeit verehrte,
der uns die Harfe und die Schleuder lehrte
und sollst uns immer mit Klugheit und Schwung
behilflich sein, das Leben zu meistern,
uns fürdere Siebzig, im Herzen jung,
als Dichter dafür und dagegen begeistern!
31. 12. 1937
Silvesterliche Ermunterung
Dieses Jahr verklinge
in verschwärmter Nacht!
Viele guten Dinge
hat es uns gebracht:
denk' der Alpenmatten,
an das junge Grün,
als wir Pfingsten hatten
hold im Maienblühn,
als wir abwärts schritten
aus dem Weiß von Schnee,
landeten inmitten
weißer Lust am See -
o die wunderbare,
weite Blütenpracht!
Danken wir dem Jahre
in der letzten Nacht!
Dankbar laß uns denken
an das andre Mal,
als mit Herbstgeschenken
wieder Berg und Tal
vielfach uns beglückte
und des Ufers Rund
südlicher sich schmückte
überschwenglich bunt!
Krankheit blieb ein Drohen,
das nicht wehetat.
Weihnachtslichter lohen
an dem Schattenpfad,
der vom Jahr, das schwindet,
wenn das Glas sich füllt,
in das nahe findet,
das noch Nebel hüllt.
Aus dem Nebelgrauen,
das noch wahllos wallt,
(habe nur Vertrauen!)
formt sich die Gestalt
künftiger Geschicke.
Langsam weicht die Wand;
wenn ich schärfer blicke,
blüht schon Heimatland,
lassen uns die Matten
wieder selig sein.
Was wir Gutes hatten,
stellt sich wieder ein.
In das traumhaft Tolle
wage nur den Sprung!
Das Geheimnisvolle
macht uns wieder jung.
Dieses Jahr beginne
in beglückter Nacht,
hoffnungsvollem Sinne
sei ein Glas gebracht!
Doch indes wir tranken,
schweiften abgewandt
stets noch die Gedanken
nach dem toten Land.
Laß uns Abschied nehmen,
der für immer gilt;
zum verblaßten Schemen
werde uns das Bild!
Fort die schwarzen Schleier
und was traurig macht!
Freun wir uns der Feier
in verschwärmter Nacht!
zurück zu Max Herrmann-Neisse - Gedichte 1924 - 1941
zurück zu den Gedichten von Max Herrmann-Neiße