Gedichte 1934

Gedichte

1934

Alle Zeitangaben zu den Gedichten geben das Datum an, dem der Text zugeordnet werden konnte.
Bezug hierzu sind die Angaben aus der Sammlung der 1987 von Klaus Völker herausgegebenen Gedichte.


Inhalt

Liebeslied London - Paris

Empörer am Samstagnachmittag

Diese Gassen

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03.-06. 01. 1934

Liebeslied London-Paris

Niemals wird mein Herz dich ganz entbehren,
wenn du auch in fremdem Lande weilst,
weil du im Verzichten und Begehren,
wo du seist, das Letzte mit mir teilst.
Weil du alles siehst mit meinen Blicken,
alles richten wirst in meinem Sinn.
Sind wir doch gebunden wie mit Stricken
als ein Paar von allem Anbeginn.
Laufe ich jetzt nachts hier durch die Straßen,
wie die Huren unbegrenzt allein,
spür' ich doch, daß niemals mich vergaßen
deine Träume, und kann glücklich sein.
Tags ahn' ich dich dort die Straßen laufen
und begehrlich vor Geschäften stehn.
Ach, du solltest dir das Schönste kaufen
und aus keinem Laden leer ausgehn!
Solltest drüben frohe Stunden haben,
wieder Leichtsinn und ein wenig Mut!
Fühl' ich, daß dich diese Tage laben,
sind auch meine hier getrost und gut,
wird mein Herz dich niemals ganz entbehren,
wenn du auch in weiter Ferne weilst.
Aber wisse, wirst du wiederkehren,
daß du einen Sehnsuchtkranken heilst!


 

19. 05. 1934

Empörer am Samstagnachmittag

Samstagnachmittag irr ich durch der Straßen Sterben;
die zugesperrten Läden machen mich betrübt.
Schon fangen fleißige Huren an zu werben.
Man wundert sich, daß niemand jetzt ein Attentat verübt,
den säuerlichen Kellnerinnen in den Teeverschleißen
Maikäfer in den Busenausschnitt steckt.
Noch besser: eine Bombe schmeißen,
die diesen selbstgefälligen Stumpfsinn bös erschreckt!
Hochnäsig patrouillieren häßliche Gebetbuchschrauben
und lauern amtlich auf ein Ärgernis
in vorsintflutlich abgeschmackten Hüten oder Hauben,
mit Hängebäuchen, Gardeschritt und Roßgebiß.
Die schlechtgenährten Männer füttern sich mit Sportberichten,
an jeder Ecke jault ein Sektenschwarm.
Ich möchte gern ein gutgelauntes Maienloblied dichten,
doch streikt die Muse, puritanisch mißvergnügt und
          farbenarm.


 

30. 06. 1934

Diese Gassen

In diesen zeitverlornen, engen Gassen,
die unterm Schutz des alten Domes stehn,
würden so gut geheime Stätten passen,
zu denen wir verstohlen abends gehn.
Wir träten ein. Schon rührte sich die Schelle.
Auf steilen Stiegen klömmen wir hinan;
uns schlüge des vertrauten Duftes Welle
absonderlich in ihren schwülen Bann.

Dann hörten wir die Wirtin eifrig rufen
die »Damen« namentlich, uns zum Empfang.
Es klapperten Pantoffel auf den Stufen,
indes die Katze von dem Sofa sprang.
Das Kartenspiel wird willig unterbrochen,
das Grammophon beginnt ein neues Stück,
und hatte man das Nötige besprochen,
verschwand man zu dem kurzen Talmiglück.

Doch ich war nur der stille Zuschaukunde,
der bei den müßgen Mädchen sitzen blieb.
Meist hielt ich aus bis in die Morgenstunde
und hatte alles nur platonisch lieb,
war wohlgelitten, galt als ihresgleichen,
kam oft, wie der Friseur, zur Mittagszeit,
erfuhr von ihren Sorgen, ihren Streichen
als Dichter ihrer krausen Häuslichkeit.

So war es einst. Auch hier in diesen Gassen,
die eng und dunkel hinterm Dome stehn,
würden so gut die stillen Stätten passen,
und wieder möcht' ich gern zu ihnen gehn.
Nun aber spielen Kinder harmlos Haschen,
die Mütter halten ernst den Abendschwatz,
und ehrbar nimmt beim Glockenschlage raschen
Abschied der junge Mann vom braven Schatz.


 

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