Gedichte 1929

Gedichte

1929

Alle Zeitangaben zu den Gedichten geben das Datum an, dem der Text zugeordnet werden konnte.
Bezug hierzu sind die Angaben aus der Sammlung der 1987 von Klaus Völker herausgegebenen Gedichte.


Inhalt

Der Dichter

Kein Selbstmord

Wir altern

Intime Lebensbeichte

Mein Geheimnis

Unerbittliches Bekenntnis

Porträt einer Provinzlerin

Schicksal des Conferenciers

Ein Greis und seiner Kinderjahre Freundin

Pan oder Der große Beischlaf

Das schreckhafte Antlitz

Radikale Beichte

Dieser Duft der herbstlichen Vernichtung

Das Erlebnis der Vergänglichkeit

Ostern

Der Grausame und das Kind

Das Zwischenspiel Görlitz

Fremde Tröstung

Ich bin allein

Sonett der Enttäuschung

Der Unleidliche des Morgens

Schadenfroher Himmelfahrtstag

Wo bleibst du?

Tiergartenwunder

Geschick eines Kellners

Verzauberung in einem Gassenschank

Revolte

Kleine Ballade einer Nacht

Bilder des Bergsees

Das Phantom

Verregnete Sommerfrische

Ein Leben mit Leni

Die Ankunft

Der uns voranging

Erinnerung, Herbstgewinn und Wahn

Schmerzliche Orgie

An einen Kammerdiener

Die Nachtvögel

Der Bußtag

Einer Zehnjährigen

Der Zaungast

Einer alten bayrischen Kellnerin

Hoffnung auf Weihnachten

Silvesterspuk

zurück zu Max Herrmann-Neiße - Gedichte 1924 - 1941

zurück zu den Gedichten von Max Herrmann-Neiße


01. 1929

Der Dichter

Der Würger Tod, den wir uns stets verschweigen,
an den wir immer denken, den wir stets
vergessen möchten, peitscht mit Weidenzweigen
die Waisenkinder, die sich weinend neigen
am offnen Grab zum Opfer des Gebets.

Der Würger Tod, das wühlende Gewissen,
das mitten uns im Leben überfällt,
verheert auch dich mit geilen Liebesbissen
und drückt dich fast erdrosselnd in die Kissen
und hat mit jedem Glück dich mehr entstellt.

Der Würger Tod - wir spüren sein Verlangen,
Hochzeit mit dem zu halten, was da lebt.
Wir wollten lebend gern auch ihn empfangen,
doch seine Nähe bleicht uns bald die Wangen,
und kalter Angstschweiß an der Stirn uns klebt.

Der Würger Tod in kahler Kathedrale
verwandelt sich ins bunte Fensterbild,
gibt dir sein Gift im heiigen Abendmahle,
trifft dich vom Altarstern mit seinem Strahle
und macht dich mit dem Orgelbrausen wild.

Der Würger Tod - so lang wir vor ihm bangen,
ist unterm Eis, das unsre Lust beläuft,
in des Gedankenkäfigs Gitterstangen,
auch in den Rufen, die von draußen drangen,
im Schnee, der schweigsam um das Haus sich häuft.

Der Würger Tod - ob wir ihm Unrecht taten,
verleumdeten sein gutgewilltes Ziel?
Vielleicht hat er die Waisen nicht verraten,
gab er den Frauen, was sie sich erbaten,
ist ohne Arg sein Katz-und Mause-Spiel.

Der Würger Leben stellt uns feige Fallen
und gibt scheinheilig dann dem Tode schuld;
die meisten glauben ihm, Gebete lallen
sie zitternd, andre zeigen ihre Krallen
und fluchen kühnlich ihrer Lammsgeduld.

Der Würger Leben - ihn zu überwinden
ist nur dem Gegenspieler Tod gewährt?
Mich soll das Tor zu neuem Tröste finden,
das Blut des Sterbens, der Geburt nicht binden:
des Dichters Boot auf andren Fluten fährt!

Der Würger Tod,
                           der Würger Leben
                                                         schwinden
in einem Reich, an dem die Zeit nicht zehrt.


16. 01. 1929

Kein Selbstmord

Gift nehmen, um nicht mehr zu klagen.
Die Wange küssen, die man haßt.
Im Lift hast du nach ihr gefaßt
und wurdest ins Gesicht geschlagen.
Sie fühle, daß du sie nicht meintest,
du hast an dein Gedicht gedacht.
Ihr Mitleid, als du vor ihr weintest,
hat rasch zum Lachen dich gebracht.
Gift nehmen, um nicht zu verwunden
und nicht von Schmerz verheert zu knien -
so dachte sie nur für Sekunden
der Lebenslüge zu entfliehn.
So wähntest du auch eine Weile,
du fändest vor dem Irrsinn Schutz
und zögest dich am Todesseile
aus allen Tuns Gefahr und Schmutz.
»Gift nehmen« blieb ein Wort wie viele:
dem Wunsche war es niemals Ernst,
dir schwimmen immer weg die Ziele,
eh du sie zu bezeichnen lernst,
die Frau im Lift, das Lied, dein Lachen,
auf den verratnen Mund ein Kuß.
Man nimmt kein Gift, wenn man nicht muß,
und wird nach all den krausen Sachen
zur Last des neuen Tags erwachen
und zum Genuß!


23. 01. 1929

Wir altern

Wie wir altern! Ob wir uns auch sträuben,
dieses Bröckeln im Geblüt zu hören, -
jede Stunde muß uns mehr zerstören.
Dieses Wissen kann kein Werk betäuben.

Wenn wir uns im Spiegel noch belügen -
plötzlich läßt das Bild des Photographen
unsern Argwohn nicht mehr ruhig schlafen,
Todeszeichen drohn aus müden Zügen.

Ängstlich sehn wir unsren ungestalten
Wanst wie einen Aschenhang zerfallen.
Feindlich greifen mit den scharfen Krallen
die Gespenster aus den Vorhangfalten.

Doch wir haben niemals Mut und Waffen,
gegen ihre Mordlust uns zu wehren.
Kein Erwachen hilft: Vermehrt nur kehren
bald sie wieder, ganz uns hinzuraffen.

Morgen wird das nur gespielte Sterben,
das wir mit Genuß im Kino sahen,
sich dem eignen Herzen häßlich nahen,
schlägt ein Nachtmahr unsre Welt in Scherben.

Sommerwiese noch mit Duft und Faltern
zeigte dem, der wahr sieht, das Verwesen.
Nur zu spätrem Tod bist du genesen,
und wir atmen heißt: wir altern!


26. 01. 1929

Intime Lebensbeichte

Es bringen junge Dichter ihr Geschreibe,
es fallen Dilettanten mir zur Last.
Ich sehne mich nach einem heitren Weibe
und habe herbe Jünglinge zu Gast.

Mein Leben spielt als schlechte Operette
auf einer Bühne, die zu klein und arm
und finster ist. Und lieg ich nachts im Bette,
mahnt an den Abschied tragisch mich mein Darm.

Wenn ich erwache, ist der Tag zu Ende,
bleibt wieder nur der Gang zum Alkohol;
daß närrisch Leib und Seele ich verschwende
und selber mich zerstöre, weiß ich wohl.

Wie sinnlos immer wieder das Geschwätze,
mit Minderen das leere Du und Du!
Aus Lässigkeit vergeude ich die Schätze
und werfe meine Freundschaft Fremden zu.

Aus Lässigkeit versäum ich meine Taten,
vertröste eines auf das andre Jahr,
von guten Geistern laß ich mir nicht raten,
verhehle mir die Nähe der Gefahr.

Was in mir Sehnsucht ist und zartes Werben,
versinkt in Tändelei und schalem Witz.
Ein Schimmer Selbstbesinnung: Angst, zu sterben,
nur sie bleibt stets mein sicherster Besitz!

Doch sie auch kann mich nicht vor Schmach bewahren.
Mich zu betäuben kehre ich zurück
zu Trunk und komödiantischem Gebaren
und nehme Nichtiges für Abendglück,

begnüge mich mit zweifelhafter Bleibe,
bei nichts als Spöttern der bequeme Gast,
und wie die Trägheit ich zum letzten treibe,
fall eigener Verachtung ich zur Last.


27. 01. 1929

Mein Geheimnis

Was kann der Mensch vom andern Menschen wissen?
Der Wahn, der hinter meiner Stirne nistet,
wird immer dir verhüllt von Finsternissen,
hat stets auch deine Liebe überlistet.
Er war in meinen Augen nicht zu lesen,
ihr konntet ihn aus meinem Mund nicht hören.
Für alle bin ich ein ganz andres Wesen,
und niemand sieht den Dämon mich zerstören.
Du spürst nicht, was ich in mir niederringe,
wie ich beständig auf der Wacht sein muß,
wenn ich, zum Trost mir, diese Lieder singe,
wie tief und dunkel meine Nacht sein muß.
Was kann der Tag vom Tag des andern ahnen?
Der Schatten, den wir alle in uns tragen,
wird mich im zärtlichsten Erleben malmen:
du darfst ihr niemals dein Geheimnis sagen!
Ich muß es dulden, daß als Unerkannter,
mißachtet ich durch eure Welten gehe,
im kalten Schnee des Gartens als Verbannter
scheinbar fürbittend vor den Türen stehe,
den Stolz, den Neid, die Wünsche niederringe,
vor dir und allen kein Verdacht sein darf.
Was wißt ihr, wenn ich meine Lieder singe,
wie ich nicht ohne Wahn und Nacht sein darf!


28. 01. 1929

Unerbittliches Bekenntnis

Ich lebe immer an der Welt vorbei,
daß nichts von ihr in meinen Händen bleibt.
Ich hab ein Weib und bin doch unbeweibt,
und ohne Frondienst bin ich doch nicht frei!

(Stets treib ich mitten in des Herbstes Strom
und muß mit welkem Laub vorüberziehn
an Tanzsaal und Fabriken, Börse, Dom
und höre nur des Todes Melodien.)

Ich lächle einer seidnen Larve zu,
sie lächelt mir zurück - und nichts geschieht.
Und ob ein Mensch mich aufsucht oder flieht,
es bleibt zuletzt das gleiche falsche »Du«.

(Wir schritten über den vereisten See,
ich zaghaft wie auf Glas, das Fahles barg:
der Fische Traum, versunkner Wiesen Klee
und des Ertrunknen dunklen Algensarg.)

Ich bin berühmt und bin doch unbekannt:
ich lese, schreibe, und es ist nicht da.
Die nicht so heißt, hab ich Victoria,
mich selber mit verhaßtem Wort genannt!

(Und schließlich schneit die Ewigkeit uns stumm,
und die von uns nichts wissen, stapfen stumpf
hintrottend über unsre Gruft. Und krumm
bleibt auch im Jenseits mein verwunschner Rumpf.)

Ich lebe stets, wie ich nicht leben will,
ich tue, was mir schadet, bin mir feind
mehr als die andern. Und mein Tod verneint
den Ruhm noch, den man mir dann geben will.


Ende 01. 1929

Porträt einer Provinzlerin

Die alte Sau aus der Provinz
zahlt zögernd nur der Zeit den Zins,
färbt sich die Haare, tut wie jung
und gibt dem Busen neuen Schwung.
Seit sie vom Mann geschieden ist,
ist sie noch kühner ein Stück Mist
und bietet allerorts sich feil,
per Telefon und Saldo geil.
Der Kneifer auf der Nase klemmt,
und so ein Pfund Malheur geht fremd
und findet immer noch Verdräng
auch mit gedämpfter Trommel Klang.
Sie warf ein Kind, und das verkam,
sie hat nicht Charme und hat nicht Scham.
Schon früh um neun ist sie mobil,
sie lebt zulang, sie spricht zuviel,
sie flötet Flirt und Spiel und Putz
und schließlich ist zu nichts sie nutz,
so hat man ernst sie umgebracht
und Seife aus der Sau gemacht.

Moral:
          Auch die Provinz mit Herz und Hur
          ist auf der Höhe der Kultur.


Anfang 02. 1929

Schicksal des Conferenciers
(für Paul Nikolaus)

Abendliche Rast bei Mampe,
schnapsbesänftigtes Zuhaus.
Fiebernd dann im Licht der Rampe
einsam Ringen um Applaus.
Hinter dir, was alle hassen:
des Direktors böse Wacht,
unter dir den feindlich krassen
Wall der scheelen Hörermacht.
Und der Zufall will nur stören:
dieser hustet, jener niest;
mancher wünscht dich nicht zu hören,
weil er grade Zeitung liest.
Neue Gäste nahen dröhnend,
Kellner machen leise Lärm;
dann, den eignen Witz verhöhnend,
droht die Krankheit im Gedärm.
Endlich hinter den Kulissen
gibt die Diva dich nicht frei:
läßt dich ihr Intimstes wissen,
mit hysterischem Geschrei.
Kaum hast du dich losgelogen,
hält der Humorist dich fest:
hoch gehe der Entrüstung Wogen,
daß sein Speichel dich benäßt.
Und das Tanzgirl hat Beschwerden
wider ihren Kavalier,
der Statist will Solo werden -
Alle fordern Rat von dir?
Schließlich, wieder auf den Brettern
sein ist dennoch nur Genuß!
Doch von provinziellen Vettern
kommt dir abermals Verdruß:
plump mit dir sich anzubiedern
zum Beweis, man steht dir nah,
ödet man dich mit zuwidern
Zuruf scherzen » Oh!« und » Ah!«
Ja, sogar noch in der Pause
hat ein Gast sich eingehakt.
»Ich fühle hier mich wie zu Hause«,
hat er erst mal stolz gesagt.
»Aber« — fährt er, nicht zu stoppen,
vorwurfsvollen Tones fort,
»ich trink' gern 'nen guten Schoppen« -
(ach, dich zieht es zum Abort,
doch du kannst ihm nicht entrinnen,
denn er hat dich fest am Knopf,
und du hörst ihn wie von Sinnen:)
»viel zu teuer ist so'n Topf
Pilsner Bier, und welche Sorte!
Auch war mir der Witz bekannt. . .«
Plötzlich j agst du durch die Pforte,
bleibt dein Knopf in seiner Hand. -
Schließlich hat nach weitrem Toben:
Kasse keift und Inspizient
und das Volk an den Garderoben
dieser Abend auch sein End!
Abgekämpft zur Künstlerklause
du dem Leben feindlich fliehst:
Sektbesänftigtes. Zuhause.
Freund und Liebe, Paradies.


12. 02. 1929

Ein Greis und seiner Kinderjahre Freundin

Es bringt ein Brief der Freundin Stimme gequält
in deinen traurig stummen Stuben-Arrest.
Du hast der Turmuhr Schläge schluchzend gezählt
und hältst dich blaß am Schreibtischsessel fest.

Die Fessel war um deine Feste gelegt,
bei allen Bällen war sie feindlich Ballast:
hast du nur wenig von deinem Pfahl dich bewegt,
gleich hat das Band am Fuß auf der Flucht dich gefaßt.

Es klingt im Brief der Freundin Freude dir fremd,
sie geht als Blinde stolz durch die Schmeichelein.
Dein Leben wird von lauter Lügen gehemmt;
wenn alle dich feiern, bist du kläglich allein.

Nur wer allein ist, bleibt im Innersten frei!
- Und dennoch bluten die Wunden Tag und Nacht.
Unsichtbar gleitet des Glückes Fähre vorbei,
und sie zu fassen, hast du keine Macht.

Noch schlagen die Wellen ans Ufer, noch siehst du den Kahn,
vielleicht der Kindlichen weißes Kleid, und sie winkt. . .
Schon bist du der einsame Passagier in der Bahn,
der endlich landet und seinen Willkommenwein trinkt.

Du träumst: du reitest als Knabe das Schaukelpferd,
die Mädchengefährtin gleichen Alters dich küßt,
du bist zur Schoklade zurückgekehrt,
zum Steinbaukasten und Puppentheatergerüst.

Es war dir eine damals kindlich so nah,
vor ihrem Lachen hast du ein Drama gespielt;
sie ahnte nicht, was dir und ihr schon geschah,
sie fühlte nicht, daß ins Altern gemeinsam ihr fielt.

Metall. Ein Griff am Hebel. Stimmen wie einst:
Vergangnes lebt, Verstummtes kündet sich neu.
»Ob du mir wirklich zurückkehrst, als Spuk nur erscheinst? . .
Ich blieb in aller Untreue immer dir treu!«

Sprach sie es aus oder hast du es laut nur gedacht?
Über dem Eis der Teiche das weiße Vergehn.
Vielleicht stirbt sie dir fern jetzt, in dieser Nacht,
entführt ihr Geheimnis für immer des Sturmes Wehn.

(Ich habe mit Haß an diesen, an jenen gedacht,
die nun schon unendlich im Kreis der Gestirne stehn;
da hat mich die Freundin wieder zum Kinde gemacht,
daß wir entsühnt durch Heimatgassen heut gehn!)

Alles klingt an, wiederholt sich, erfreut oder quält,
lockert dich, lähmt dich und hält dich am Schreibtisch fest.
Hast du die letzten Schläge der Turmuhr gezählt,
wirst du erdrosselt ins Bett der Vernichtung gepreßt.


13. 02. 1929

Pan
oder Der große Beischlaf


Er sprach kein Wort. Er warf die Magd ins Stroh
und stach in ihren Wanst den starren Zapfen.
Bald wurde sie der geilen Flohjagd froh
und schob in seinen Mund des Busens Krapfen.

Die eine Hand in ihren Arsch gekrallt,
die andre trieb am Kitzler ihre Spiele,
hat er sie auf die Tenne hingeknallt,
als ob ein Sack voll Mehl zum Estrich fiele.

Sie sprachen beide nicht. Nur Seufzer flohn
wie Wind des Sterbens oder der Verdauung
aus festgesognen Goschen. Wie zum Hohn
erklang die Glocke christlicher Erbauung.

Und während dort im Dorfe unterm Kreuz
fragwürdge Jungfraun zur Kapelle schritten,
hat hier im Rhythmus heiligen Geläuts
ein maßlos Lachender sein Mensch beritten.


Mitte 02. 1929

Das schreckhafte Antlitz

Ein Antlitz, unbekannt, bedrohlich, nagend
wie eine Ratte an der warmen Wand,
taucht plötzlich auf vor dir, in Angst dich jagend:
schon spürst du kalt den Hauch auf deiner Hand.

Es rieselt Grauen über deinen Rücken.
Ihr seht euch an: du und der fremde Blick.
Ist er ein Traum, so birgt er tausend Tücken
und bricht dir, wenn du aufwachst, das Genick.

Ist es die Wahrheit, bist du unterlegen:
sie weiß von dir zuviel - zu wenig auch!
Sie wird sich bald auf deine Lunge legen
als ein allmählich tötend böser Rauch.

Vom Geist geschwächt, beschmutzt von jeder Stunde,
stehst du in einem Sturm, der Sehnsucht heißt
und dich in jede neue Rennfahrtrunde
wie in ein Spiel auf Tod und Leben reißt.

Ein Spiegel wäre Glück, dich selbst zu finden,
dem Antlitz, das dich ängstet, zu entgehn.
Vielleicht auch würdest du in ihm den blinden,
blicklosen Stumpfsinn der Vernichtung sehn.

Das Antlitz des von dir geliebten Toten
schaut vorwurfsvoll auf dich, der weiterlebt.
Du weißt, hast du das Hinsehen dir verboten,
daß er bedrohlich dort am Fenster klebt.

Dir ungeahnte Schrecklichkeiten sagend
zum Lebenden von der Verwesung Land,
die Maske, unbekannt, gespenstisch, nagend
wie eine Ratte an der sichren Wand.


18. 02. 1929

Radikale Beichte

Ich mache allen, die mir nahe sind,
das Leben schwer. Ich bin kein lieber Gast.
Von einem Greis das Böse und vom Kind
vereinen sich in mir zu arger Last.

Ich schlage, wenn ich etwas streicheln will.
Ich blicke feindlich, hab ich mich gefreut.
Gefühl ist laut, die Stimme störrisch still,
mein Mund sagt Gestern, doch das Herz meint Heut.

Vielleicht war mir zulieb ein Mädchen nackt;
vielleicht auch sah ich alles nur im Traum.
Die mich erwartet, hab ich nie gepackt,
und stets nur streift mich ihres Kleides Saum.

Auch ihn zu fassen, fürchtet meine Hand
und traut sich nicht, den ganzen Lügenflor
zu lüften, hüftenhöher das Gewand
zu heben kühnlich bis zum Hals empor.

Erglänzt das Glück, stell ich mich künstlich blind
und drohe mit dem Tanz am Selbstmordast.
Ich mache allen, die mir nahe sind,
das Leben schwer, ihm und mir selbst zur Last.


01. 03. 1929

Dieser Duft der herbstlichen Vernichtung

Dieser Duft der herbstlichen Vernichtung,
den mein Zimmer überwintern läßt,
wird zur Muse meiner Schwermutsdichtung:
letzte Freundin, die mich nicht verläßt!
Mag das Eis vor meinem Fenster liegen,
einsamer als jede Einsamkeit,
sich der Wind in kahlen Ästen wiegen,
die das Sterben hoffnungslos verschneit:
solche Stürme bergen Auferstehen
und sie gehen vor dem Lenz einher.
Doch der Herbst ist ewiges Vergehen,
unabwendbar, Liebste mir und mehr.
Denn durch alles, mag es hold auch locken,
schmecke ich die herbe Bitternis.
Kindisch spielen nur die weißen Flocken,
ist das Tauen allem Eis gewiß.
Und der Schatten irgendeiner Sache
scheint oft wahrer als ihr wahres Sein.
Das verlogne Kreuz am Kirchendache
wird der Winter wirksam überschnein;
kaum ragt andres als das Wirtshauszeichen
aus der eingesargten Welt hervor;
weithin Schweigen; letzte Säufer schleichen
wie Verschwörer aus dem Schenkentor . . .
Erst wenn alles schweigt, wird meine Dichtung
groß und vor dem Tod geborgen sein
und der Duft der herbstlichen Vernichtung
Muse einem neuen Morgen sein.


07. 03. 1929

Das Erlebnis der Vergänglichkeit

Plötzlich spürst du: alles ist gesagt.
(Sonntag Abend, zwischen sechs und acht.)
Umzuwenden wird nicht mehr gewagt -
Hat man leise über dich gelacht?
Neu ist an der Ecke das Café,
Kinos prahlen pomphaft: »Ausverkauft!«
Frierend stampfst du durch den Großstadtschnee,
hättest gern mit aller Welt gerauft.
Doch du weißt, dein Leben ist vorbei,
Winterschatten, man hat ausgespielt.
Keine Kämpfergeste, kein Geschrei
half euch, wenn ihr in den Abgrund fielt.
Immer kälter wird es um dein Gehn,
immer leiser. Alles ist gesagt.
Spiegelbilder schweigend uns umstehn,
und man weiß, das Wort wird nicht gewagt,
das dir weiterhilft. - Du fliehst. Wohin? -
Da: in Flaschen lockend spielt das Licht.
»Wenn ich glücklich dort gelandet bin,
findet mich des Alters Drohung nicht!«
Wie ein Wild, das sich geborgen weiß,
schlüpft man in die Nische dieser Bar.
Plötzlich gegenüber spielt ein Greis
und ein Kind gespenstisch Liebespaar.


06. 04. 1929

Ostern

Im Laden locken buntbemalt die Ostereier,
und man vergißt gemach die schlechte Schulzensur;
der Vater putzt auf dem Balkon den Rock
          zur Kirchenfeier,
erwägt für morgen Nachmittag die Rückkehr zur Natur.

In Wahrheit wünscht man allerseits sich heftigen Regen,
ist von der drohenden Familienkarawane nicht erbaut;
man malt sich aus, wie schön es wäre, sich nach Tisch
          ins Bett zu legen,
daß man das ganze Fest nichts andres tut, als faulenzt
          und verdaut.

Heut, Ostersamstag, läßt sich alles noch gemütlich regeln:
der Sohn fährt mit Mariechen Schmitt im Parke Rad,
Papa geht aufgekratzt in den Verein zum Kegeln,
und Mutter macht sich endlich mal ein Bad.

Der Gymnasiast kommt allzu spät zum Abendessen,
Mamachen ist trotzdem merkwürdig gutgestimmt.
Das gibt sich nachts: den edlen Wettstreit zweier
          giftger Fressen,
der trunken rülpsenden und der enttäuscht verzankten,
          schadenfroh das ganze Haus vernimmt.

Trotzdem muß ostermorgens Fritz, der Sohn, zur Kirche
          kriechen,
und Mutter, die ihn weckt, schaut sonderbar verquollen
          drein.
Dort sieht er neben ihren Eltern in der Bank scheinheilig
          glotzend Schmitts Mariechen
und darf dann auf dem Mittagsbummel um den Ring
          ihr Partner sein.

Dem Platzkonzert ist einigermaßen Sonne noch
         beschieden.
Doch kaum sitzt man beim Osterlamm, beginnt es wüst
          zu tropfen, hageln, schnein,
und damit wird der ganzen Sippe Glück und Frieden
und Ostern so, wie man es wollte, eine Ruhstatt sein.

Der Sohn trifft mit Mariechen sich im Filmtheater,
kein Ausflug hetzt in die fragwürdige Natur hinaus.
Und bis zum Nachtmahl sind die Mutter und
          der Vater,
im Schlafzimmer verschanzt, für keinen Gast zuhaus.

Am zweiten Feiertag bemäkelt man bereits den Regen,
weiß nichts mehr anzufangen mit der freien Zeit,
wagt sich nicht wieder am hellichten Tag ins Bett
          zu legen,
erst abends sitzt man als Familienbild im Stammlokale
         brav und breit.

Mariechen Schmitt, drei Tische weiter, schielt von
         ihrer Sippe
geschickt herüber und benimmt sich, denkt sie, in der
         Kinodiva Art.
Was Fritzen mächtig imponiert: auf seiner Lippe
glaubt er ein Lied zu spüren und den ersten Männerbart.

Am Dienstag dann ist alles aus, verflossen Rausch und Feier,
der Vater wankt ins Amt, die Mutter wie gewöhnlich keift.
Im Schaufenster verderben überlebte Ostereier
und es klingt kläglich und alltäglich, wenn die ganze Prima
         vor Mariechens Fenster pfeift.


04. 1929

Der Grausame und das Kind

Überm Strumpfband dieses Mädchenbeines
weiß das weich Geheime er beginnen,
und er wühlt sich träumend durch ein kleines,
schmerzhaft zuckend Schlüpfriges nach Innen.

Noch ist das Dornröschenreich vergittert;
doch dem Märchenprinzen kann nichts wehren,
und die Kindlichkeit, die vor ihm zittert,
wird er grausam, gnadenlos verheeren.

Schamhaft Schwaches mag er nicht verschonen,
denn ihn reizt die hilflos zarte Wunde.
Unerbittlich will er sich belohnen
für manch feig versäumte Liebesstunde.

Gern sieht er das tödliche Erschrecken,
Opfer wird das Kind durch seinen Kuß,
wird die Narbe an sich selbst entdecken,
welche aufgebrochen werden muß.

Fremde Kräfte fühlt sie jäh sich binden,
fühlt das Blut an ihren Beinen rinnen,
spürt sich bleicher werden und entschwinden . . .
Was wird er mit ihrem Tod beginnen?


Mitte 04. 1929

Das Zwischenspiel Görlitz
(Hundert Verse Irene)

In Görlitz weiß ich eine Barfrau warten,
daß wieder ich an ihre Theke trete;
und draußen dort in meines Freundes Garten
bekümmert man sich um die Frühlingsbeete.
Hier ist mir nichts zuliebe und zuleide,
ich schlafe in den Mittag ohne Pflichten,
und während ich mich langsam dann bekleide,
weiß ich, daß andre meine Dramen dichten,
und wenn die andern nach vollbrachter Mühe
an Seen wandern und die Sonne leuchtet,
hock' ich am Schanktisch, fülle mich und glühe
künstlichen Lichtes von Bierdunst angefeuchtet.
Dort aber keimt die ganze Stadt im Freien,
ist Park und Hügel, Straßen grünen leise,
Dornröschenschlösser sind Konditoreien,
den Kirchplatz singt in Schlaf Drehorgelweise.
Dort wird die Barfrau mich zum Tee erharren,
war ich beim Malerfreund mit ihr zusammen.
Hier mach' ich vollends mich durch Schnaps zum Narren,
ersticke alle meine Lebensflammen.
Doch bald ist dort die Stadt matt und erledigt,
es hallt der Schritt in schwach erhellten Gassen,
ein Trunkner fruchtlos in den Bergwind predigt,
ein Minusmime kann den Lärm nicht lassen.
Die Nächte, die hier spät noch taghell schwärmen,
beginnen zeitig dort in Friedhofsruhe,
Normalschlaf orgelt in den Bürgerdärmen,
und sittsam stehn Regal, Büfett und Truhe.
Doch du, die Barfrau, als verrucht empfunden,
bist jetzt erst recht an dein Geschäft gebunden,
der Dummheit preisgegeben deiner Kunden,
Belustigung für ihre leeren Stunden.
Und während du dort hinterm Ladentische
an mich denkst, der dir gute Gäste brachte,
und menschlich Freund war, eine träumerische
Gebärde hast, die schnell genug erwachte
zur Wirklichkeit, um sicher zu notieren,
was jener mindre Rechtsanwalt verzehrte,
und während du vor Talmikavalieren
bist die von jedem Portemonnaie Begehrte,
dieselben Stücke noch den Tag verzieren:
dein »Deideidei« und »Wenn der weiße Flieder . . .«,
führ ich in meinem Traum dich hier spazieren,
und früh am Bahnhof stehn wir immer wieder.
Und während wir uns aneinander schmiegen,
(die Wirtin lächelt schmierig, durch die Pforte
Mißliebge unsanft auf die Straße fliegen),
sitz ich am Schreibtisch hier beim Werk der Worte.
Von draußen bellt der Autos fades Jagen,
- wie sehr ich alle auch allein stets lasse! -
der Regen tackt aufs Dach, mich schmerzt mein Magen.
Und nun ist Schluß bei euch, und du machst Kasse.
Ein paar verstockt Berauschte wolln nicht weichen,
obwohl der Sipo »Feierabend« mahnte,
ein Ekel kann die Zeche nicht begleichen,
und mit der Wirtin gibt es, wie man ahnte,
beim Abrechnen Verdruß: sie sucht zu prellen.
Endlich darfst du (betrogen) dich entfernen,
ich werd am Bahnhof mich zu dir gesellen,
ich wartete auf dich so nah den Sternen!
Dann sitzen mit dem Nachtvolk wir am Tische,
Gespenster torkeln durch die Wartehallen,
und wieder hast du eine träumerische
Gebärde, bis wir um den Hals uns fallen.
wie sturmgetrieben und uns wieder lassen,
weil wir den letzten Untergang nicht wagen,
es bleibt ein schüchtern bei der Hand sich Fassen.
Vom vielen Wein schmerzt jetzt auch dich dein Magen.
Ich bring dich heim. Es wartet an der Ecke
der Bräutigam, auch er so nah den Sternen!
Und bald in eurem zärtlichen Verstecke
seid ihr mir fremd um abertausend Fernen.
Von allen Türmen hell die Uhren schlagen,
am Neißefluß der Nebelrabe flattert,
mich hat ein Traum von dir nach Haus getragen,
so wahr ein Auto mich jetzt heimwärts knattert.
Dann lieg ich wach, noch lang an dich zu denken,
im Stockwerk unter mir hör ich ein Stöhnen.
Nicht schöner konnte mich die Stadt beschenken,
nicht zärtlicher als jetzt mit dir verwöhnen!
Doch alles ist nur eine Ferienpause,
ein Bild, Fatamorgana, eine Welle.
Heut stehn die Sterne über meinem Hause
hier in Berlin, ich in der Arbeitszelle
bin jetzt wie du an meine Pflicht gebunden,
die Sehnsucht denkt an jene flüchtgen Stunden:
wie hat mein Herz zu deinem sich gefunden!
Ach, wie gefunden, ist die Lust entschwunden.
Hier in Berlin, von Büchern eingeschlossen,
verwelk' ich, neue Bücher zu ersinnen.
Die Leichtsinnszeit mit dir dort ist verflossen
und eine schweren Ernstes soll beginnen.
Allmählich hier im dürftig engen Parke
fängt man spät an den Frühling nun zu wittern;
ich seh voll Neid das Pärchen in der Barke
und weiß auch dich im Arm des Bräutgams zittern.
Ich grüß euch zwei. Um mich weht hier beim Schreiben
der Duft von eurem rührenden Vertrauen.
In Görlitz werd ich in Gedanken bleiben,
so oft ich glücklich bin mit Freund und Frauen.


19. 04. 1929

Fremde Tröstung

Eine Stimme strömt zu mir herein,
die mich sucht und Gutes sagen will:
Reist ein Mensch jetzt durch die Nacht allein?
Jäh im Dunkel hält der Wagen still.
Und der Mensch erschrak und sprach ein Wort,
das der Stern getrost zu mir jetzt trug.
Bruder, immer fuhr ein Freund mir fort,
hör' ich, wie die Tür der Schaffner schlug.
Ich sitz' hier, und alles kommt und geht,
meinen Schreibtisch zwischen Nord und Süd,
Ost und Westen der Expreß durchweht,
jeder Abschiedsstrauß im Glas mir blüht,
jeder Kuß von Liebenden getauscht,
wenn der letzte Pfiff zur Trennung mahnt.
Und um's Ozeanschiff die Woge rauscht,
das durch mein Gedicht den Weg sich bahnt.
Abenteuer sind ins Tuch gewebt,
bunt in meinen Händen lockt das Heft,
leuchtet, was ein andrer hat gelebt,
seine Freuden leb' ich, sein Geschäft,
seinen faden Alltag und sein Fest,
und die Frau, die an der Ecke stand -
immer war's die fremde, nie vergeßt
ihr das Haar, die Strümpfe, das Gewand.
Noch im letzten, wachen Augenblick
ist die flüchtig nur Erspähte nah,
näher als die Frau, die dein Geschick,
Paradiesisches und Golgatha
deines ganzen Lebens mit dir teilte:
Wieder hörst du den beschwingten Schritt,
als die Fremde um die Ecke eilte
und für immer deinem Blick entglitt. . .
Mit dir hör' ich dies in der Minute,
da jetzt deine Stimme zu mir fand.
Wollust bangt mit dir in meinem Blute
nach dem Haar, dem fremden, und Gewand.
Bruder, führt der Nachtzug nun dich wieder
weiter in dein Endgeschick hinein,
singt er weich uns beiden Schlummerlieder,
und wir werden nicht mehr einsam sein.


27./28. 04. 1929

Ich bin allein

Ich war allein, was immer mir geschah.
Ich habe meine Schwester nie gefunden,
und in den wundersamsten Freundschaftsstunden
war doch kein Mensch mir wie ein Bruder nah.
Doch gern sprach immer mich ein Irrer an,
als müßt' ich allen Wahnsinn zu mir locken.
Die Luft um mich war stets von der barocken
Unbändigkeit zum Himmel aufgetan,
in welchen keine Engelstreppe führt.
Es narren mich des Sturmes leere Schellen,
die sich zu Gottes Stimme frech verstellen.
Auch die Gebirge sind vom Fluch berührt
und plötzlich hingezaubert in den Trug
der falschen Pracht auf einem Großstadtdache
und ihre Seen zu einer trüben Lache
am Schlachthof, ohne Fisch und Vogelflug.
Nie hegt ein Wort zu andern meinen Kern,
das bleibt ein Ungefähr: »Es geht mit besser . . .«
Indessen harrt in meiner Faust das Messer,
ins Herz zu stoßen jenem heitren Irrn,
der lachen kann und den sein Tag nicht plagt:
ihm ist Genuß sein Essen, Trinken, Schlafen;
noch wenn wir uns im Tal der Schmerzen trafen,
hat er mir einen Scherz ins Ohr gesagt.
Ich bin allein, was immer mir geschieht,
allein mit meinen Freuden, meinen Wunden,
und weiß, daß auch in meinen Sterbestunden
ich Gott nicht sehe und Gott mich nicht sieht.


30. 04. 1929

Sonett der Enttäuschung

Wo ist der Schnee des langen Winters hin,
wo ist das Liebesspiel der Ferientage?
Es blieb kein Glanz des Glücks, kein Alp der Plage.
Des Winters Ende war kein Lenzbeginn.

Die Frau, der stumm ich Zärtlichkeiten sage,
wird eines fremden Schicksals Dulderin.
Der Freund, dem ich jetzt längst entfremdet bin,
glaubt noch an mich. Doch mir ist alles Frage.

Ich wandle, wie in Wolken eingehüllt,
erblicke keinen Stern und keine Bleibe
und, was ich fassen will, wird flüchtig Schatten.

Zu spät ist alles, wenn es sich erfüllt;
die Liebe wird zum billigen Zeitvertreibe,
mit dem wir feindlich uns zum Tod ermatten.


Anfang 05. 1929

Der Unleidliche des Morgens

Wer mich liebt, läßt morgens mich in Ruh:
erst der Mittag macht mich menschenähnlich.
Morgens bin ich unverdaulich, grämlich,
(reimt sich eben nichts!), stehn meine Schuh
vor der Tür wie bissig böse Hunde,
die sich miteinander nicht vertragen.
Denn statt Gold hat meine Morgenstunde
Dreck im Munde und Verdruß im Magen.
Morgens kratzt mich noch der Schenkendunst
und der Alkoholgeschmack im Rachen,
kann sich niemand mir erfreulich machen,
ist verhaßt mir Sinnlichkeit und Kunst
und im Hof das wüste Teppichklopfen,
das Propellersausen in den Lüften.
Mürrisch greif ich nach den Opiumtropfen
und verspüre Gicht in meinen Hüften.
Jeden Vogel, der im Garten singt,
möcht ich, der die Tiere liebt, erwürgen.
Auch dem Freunde kann ich nicht verbürgen,
daß sein Morgengruß mir Freude bringt.
Meines Telefons verbißnes Läuten
werd ich noch verbißner überhören.
Liebesbriefe von den schönsten Bräuten,
sogar Geldbriefträger jetzt nur stören.
Besser wärs, man hätte mich gemieden,
als so zeitig schon sich zu bemühen,
denn zum Teufel wünsch ich alle Frühen.
Wer mich liebt, läßt morgens mich in Frieden


09. 05. 1929

Schadenfroher Himmelfahrtstag

Der Morgen lockt mit unausstehlich grellem Licht
und protzt mit Frühlingsglück, dem Bett mich zu entreißen,
der Spatzen Lärm im Hof scheint Faulpelz mich zu heißen,
das gute Gartengrün verspricht mir ein Gedicht.

Ich falle auf den alten Schwindel nicht herein,
noch fester knalle ich die Jalousie herunter,
die Liebste hüpft zur Fahrt ins Freie gräßlich munter.
In meinem Grabesdunkel bin ich nun allein.

Es bringt der Traum mir manchen holden Frühlingsgast. . .
Zur Mittagszeit kann mir ein gutes Frühstück munden;
am Sofa dann genieß ich träge Festtagsstunden
und denke sanft an Straßenstaub und Autohast.

Das Grammophon spielt mir die schönsten Lenzgesänge.
Zur größren Freude dann verfinstert sich der Himmel,
ich mal mir schadenfroh das flüchtende Gewimmel
der Karawanen aus und das Gedränge.

Es blitzt: die Frauen schimpfen, Kinder gehn verloren -
ich nippe meinen Schnaps erheitert und geborgen,
ich habe diesmal nur Likör und keine Sorgen!
Und endlich strömt der Regen, Hymne meinen Ohren.

Die Kremser tragen Leichenfracht, der Landpartie,
zerbeult ist der Zylinder und am Bock die Kuppe,
zerweicht die kernig deutsche Männersangesgruppe,
versoffen Wochenlohn, Gemüt und Melodie.

Auch du kehrst leicht begossen und verbraucht nach Haus,
Enttäuschung schlecht verhalten in den müden Zügen -
es war wohl doch kein reines Feiertagsvergnügen? -
Ich bin diskret und frage dich nicht weiter aus.

Und während nun der Regen dauerhafter rinnt,
wird unser Zimmer
dir auch heimatliche Bleibe;
jetzt liegst
du auf dem Sofa ganz beglückt,
ich treibe närrisches Zeug, und
unsre Himmelfahrt beginnt.


14. 05. 1929

Wo bleibst du?

Wo bleibst du? Warum suchst du mich zu schrecken?
Verdiente meine Trägheit solche Strafe?
Ich hör' den Sturm - wo magst du dich verstecken?
Wer wacht statt meiner über deinem Schlafe?

Wer spricht, was ich versäume, Koseworte,
schält dir den Apfel, bettet dir die Kissen?
Oder stehst du stumm vor verschloßner Pforte
und wähnst betrübt, ich will von dir nichts wissen?

Wo bleibst du? Liegst du vom Zusammenstoße
des Autos blutend an der Straßenschwelle?
Ich warte angsterfüllt, und meine große
Verzweiflung blickt jetzt in die Morgenhelle.

Am Fenster gegenüber zärtlich weiden
sich aneinander die zwei Jungvermählten;
wie muß ich Einsamer sie jetzt beneiden,
denk ich des Wahns, mit dem wir zwei uns quälten!

Schon einmal wartete ich so vergebens
auf meine Mutter, die im Fluß längst trieb.
(Versinke, schwerste Stunde meines Lebens!)
Und du, mein Glück, hab mich noch einmal lieb!

Und plötzlich wird kein andrer Laut erschallen,
nur auf der Stiege hör' ich deinen Schritt,
und wie wir zwei uns in die Arme fallen,
ist nicht mehr wahr, was eins am andern litt.


06. 06. 1929

Tiergartenwunder

Als ich zum Nachtmahl einsam heimwärts ging,
saß auf der Bank ein Pärchen weltvergessen:
sie, wie ein Kätzchen ganz vom Traum besessen,
der sie in wollüstige Netze fing,
bedingungslos dem Jüngling angeschmiegt,
gleichgültig, ob die Menschen so sie sähen,
in wehen Fernen und in holden Nähen
von ihrem Liebesglück so gern besiegt,
hier mitten im Betriebe ihm vermählt,
und feierte beseligt Hochzeitsnächte,
als ob der Wind ihr frohe Botschaft brächte,
sie wäre zu des Sommers Braut erwählt.
Vorüberschritten sachlich vom Beruf
Erzählende und Gatten, die sich zankten,
Unwirsche, die aus Schnapsbudiken wankten,
und hin und wieder klang ein Pferdehuf
gespenstisch wesenlos auf dem Asphalt,
mißtönte das Gekreisch der alten Damen,
die Ärgernis voll strenger Mißgunst nahmen.
Und langsam ward es Abend, ward es kalt.
Der Jüngling hatte anfangs Ungeschick,
er schien sich aus Befangenheit zu zieren,
er wollte mit dem Publikum paktieren
und warb um Nachsicht mit zweideutigem Blick.
Er gab das Mädchen preis als männertoll,
als war' er der zum Donjuan Erhöhte,
der sich herabließ, ihre Liebesnöte
gnädig zu stillen. Doch der Abend schwoll
aus Wolkenpracht zu purpurnem Barock,
es tuschte Farbenflut den Bilderbogen
der Kinderzeit, und süße Lieder zogen
ihn zärtlich hin zu ihrem Blondgelock.
Da schämte er sich seines falschen Spiels
und übertrieb die innige Gebärde,
riß von der Bank herab sie auf die Erde
und zwang sie in den Taumel des Zuviels
an Seligkeit und Sturm und Urwaldglut.
Der Nachtfrost krallte sich in ihren Nacken.
Sie litt - und ließ sich gern gewaltsam packen,
endlich im gleichen Wildbach ging das Blut,
nichts andres hörten sie. Ein Schmetterling
flog über ihnen seine flüchtigen Zeichen,
und Mond und Sterne waren ihresgleichen,
als ich zum Nachtmahl einsam heimwärts ging.


09. 06. 1929

Geschick eines Kellners

Spät nachts kehrt er nach Haus vom Kabarett,
die Frau schläft totengleich und hört ihn nicht,
er geht, andächtig, um ihr Bett
und seufzt verstört und segnet ihr Gesicht.

Leis holt er aus dem Wandschrank den Likör,
es fällt ein Stern ins Glas, indes er trinkt.
Er hat das letzte Lied noch im Gehör,
sieht, wie das Tanzpaar sich zum Auftritt schminkt.

Was hockt er hier, als hielt er Totenwacht?
Die Uhr tickt ihn in seltsames Geschick,
zur Maske formt sein Antlitz jetzt die Nacht,
und aus dem Spiegel nickt ein Jenseitsblick.

Selbständig ward die Hand und irrt im Buch,
spielt mit dem Nichts, zerreibt ein Rosenblatt.
Atmend bewegt sich sanft das weiße Tuch:
noch lebt die Gnade seiner Lagerstatt,

noch blüht für ihn ein freundlich naher Schoß,
die Finsternis hält Glück für ihn versteckt
und macht behutsam jetzt ihr Herz ihm bloß
und hat die schönen Schenkel aufgedeckt.

- Er nimmt sein Glas
und sieht den Stern und seiner Frau Gesicht,
und wie ein Mann, der sich nur kurz vergaß,
rafft er sich auf zu der gewohnten Pflicht

und hat diskret, wie sonst im Kabarett,
die Flasche und den Becher abgeräumt,
schlüpft sorgsam leis dann neben sie ins Bett,
die zärtlich von dem fremden Gaste träumt.


14. 06. 1929

Verzauberung in einem Gassenschank

Die schöne Frau am Nebentisch reizt jeden:
verstohlen sehn wir alle nach ihr hin . . .
Indes Juristen einen Fall bereden
von Ehebruch und ich fast trunken bin.

Der nackte Arm wächst aus dem Abendkleide
als weißer Blütenzweig - in diesem Dunst
der Schenke! Und ich Unentschloßner leide:
denn kein Ersatz für Wollust ist die Kunst.

Ich kann nur schüchtern diese Verse schreiben
und mir erträumen, daß ich sie gewann,
die mir wird immer unerreichbar bleiben -
sie hat wohl längst Galan und Ehemann.

Der Wirtin Wanst wölbt sich in weißer Schürze,
sie zwinkert boshaft zu der Dame hin -
wenn ich mich nicht an ihre Kehle stürze,
so ist es, weil ich heillos zahm stets bin.

Nun fangen die Juristen an zu zoten,
daß um die Frau ein Netz sich klebrig webt. -
Ich träume mir mit ihr auf Havelbooten
ein Sommerglück, das überirdisch schwebt.

Ich träume mir - indes ich »Prosit« sage
und mich normal benehme - Märchenfahrt,
Najaden, die uns tragen; Sagentage,
da durch die Göttin ich zum Gotte ward.

Olympisch schwärmend schwelgt mein Blut im Traume,
bis Wirklichkeit in die Verzückung brach;
unnahbar schritt die Fremde aus dem Raume,
wir alle schaun ihr wie verzaubert nach.


15. 06. 1929

Revolte

Eine Flasche in der Hand, einen Zorn im Bauch,
am Himmel zunehmender Mond,
eine Wanze an der Wand, mit leisblauem Rauch
fängt ein Dachstuhlbrand an, wo Gott wohnt.

Wo Gott wohnt, weiß kein Aas, doch die Feuerwehr lärmt,
überfährt ein verkümmertes Kind,
das im Keller sonst saß, grau und abgehärmt;
und ich trinke und kratz' meinen Grind.

Und ich fluch in die Luft, doch die Luft ist voll Ton,
weil die Radiomusik sie durchrennt. -
Bei der Kirchhofsgruft hat die geile Person
mit meinem Rivalen gepennt.

So ein Grab verträgt viel, sei's Leben, sei's Tod,
und das Flugzeug zog hoch drüber hin.
Das Letzte beim Spiel war sie, was ich bot. -
Und nun hat mein Tag keinen Sinn.

Meine Nacht ist verrückt, mein Lied läuft verkehrt
auf dem Schnapsbahnhof aus und ein.
Wer von Brücken sich bückt, wird von Sehnsucht verzehrt,
sich zu stürzen hinab auf den Stein.

Aber liegt er zerschellt, blüht die Witwe wie jung
und tanzt zu der Radiomusik.
Triumph unsrer Welt ist der weiteste Sprung
in dieser Rekord-Republik!

Drum, lieb Vaterland, wenn ich dich brauch,
dann sei verdorrt meine Hand!
Durch die Wanze der Wand, durch den Zorn im Bauch
wird der Dachstuhl - zum Weltenbrand!


27. 06. 1929

Kleine Ballade einer Nacht

Es rann das Wasser an der Wand,
das Sintflutwasser immerdar,
mit Blut gefüllt bis an den Rand
auf dunklem Küchentischaltar
die schwarze Opferschale stand.

Im Mondlicht lag ein Messer blank,
im Mondlicht eine Katze schrie.
Die Magd war blaß und liebeskrank,
es ahnte bang im Stall das Vieh
den Morgen und die Schlachthofbank.

Es war, als senkte sich das Dach
und drückte alle Schläfer tot.
Unterm Asphalt des Blutes Bach
und überm Turm des Mondes Rot,
dahinter lag der Satan wach.

Die Wolke auf dein Bett sich warf,
du langtest nach dem Wasserglas,
darin war Gift und schmeckte scharf . . .
Nun welkt auf deinem Grab das Gras,
weil's nicht die Wahrheit sagen darf.

Es gibt der Mond der Wolke schuld.
Das Messer auf dem Küchentisch
hat wie die Stundenuhr Geduld.
Im Goldfischglas schwimmt Molch und Fisch
das Buch liegt ruhig auf dem Pult.

Als Ewigkeit vergangen war,
sah ich den Schatten einer Hand
als Strahlenkranz an deinem Haar.
Still über unserm Sternbild stand
das Sintflutwasser immerdar.


20. 07. 1929

Bilder des Bergsees

Das Weiße auf den Wellen. Duft von Nüssen.
Der warme Wind an Hüften und an Wangen.
Die Himmelskirche über Blumenküssen.
Die Quellen, die zur Nacht wie Mädchen sangen.

Ein rotes Boot. Ein Turm, umblüht von Blitzen.
Der Donner, der durch goldne Wolken rollt.
Die Wogen, die mit Schaum den Hund bespritzen
und wider die er töricht schnappend tollt.

Die Fraun, die sich im Bad umarmen lassen
und auf dem See als Wasserrosen treiben.
Hoch auf den Gipfeln der Hotelterrassen
Lichter, die lockend unerreichbar bleiben.

Ein Stern. Ein Baum. Vielleicht auch nur der Schimmer
auf einer Ahnung Alpenschnee. Die Blöße
purpurner Felsen. Gruß von Schatten. Immer:
das Spiel im Spiegel und der Mythen Größe.


Ende 07. 1929

Das Phantom

Ich sitze fern von dir. Du siehst mich nicht.
Ich streichle über meine eigne Hand
und meine dein verträumtes Angesicht
und deinen Blick, der keinen Spiegel fand.

Dein Mund sehnt sich nach einem Telefon,
vielleicht nach einem Kuß. Ich sitze fern
und bin für dich die fremdeste Person
und dennoch kenn' ich dich und hab dich gern.

Du warst die Schwester, warst beim Kinderspiel
die Freundin, die mir nie beschieden war;
denn wir sind Träumer und erfinden viel:
auch dich, mit der uns Krieg und Frieden war.

Du bist die Tröstliche, die dennoch stört.
Auch wenn du fort bist, bist du immer da.
Was du verschweigst, auch wird von mir gehört.
Ich seh dich völlig, wie dich keiner sah.

Ich weiß dein Leid, dein Glück, auch deinen Wahn,
und was dein Wunsch Umdunkeltes verbricht.
In deinem Zeichen wird mein Werk getan.
Ich sitze nah bei dir, du spürst mich nicht.


29. 07. 1929

Verregnete Sommerfrische

Nun regnet es, als wollt' es nimmer enden.
Unwirklich, sinnlos liegt der Badestrand.
Schon klingt es nach verlogenen Legenden,
daß wie in Flammen die Promnade stand.

Im weißen Dreß der fesche Herr von gestern
kriecht unter der Kapuze grau als Zwerg;
verhunzt ist heut das Paar der schönen Schwestern,
ein Jammerbild der bunte Sommerberg.

Zur Zeit, da uns der Wald sonst warm umarmte -
mit Farrn und Faltern trieb man leicht und frei
im Schatten, der nur spärlich sich erbarmte -
hockt heut man kalt in der Konditorei.

Beklopft den Barometer, lockt die Katze . . .
durch die Hotels die Langeweile zieht.
Der Lebejüngling fühlt sich fehl am Platze
und klimpert am Klavier ein altes Lied.

Das lustge Mädchen nagt am Federhalter
und martert sich mit einem Heimatbrief;
der Postbeamte sehnt sich nach dem Schalter
und nach der Frau, bei der er ungern schlief.

Die Sintflut dauert aberhundert Jahr.
Ein Optimist macht sich sehr unbeliebt:
die Luft, sagt er, sei trotzdem wunderbar! -
Wer glaubt noch, daß es Grün und Sonne gibt?

Nein, allen ist, als ob Neptun sie tunkte
ins Element, das, nie zu bannen, rinnt. . .
Das Fernrohr weist mokant vom Aussichtspunkte
auf Gipfel, die nicht mehr vorhanden sind.


18. 08. 1929

Ein Leben mit Leni

Ich denke an den Abend im Theater,
da mich dein Anblick dich zu lieben zwang -
noch lebte mir die Mutter und der Vater,
war Tag und Nacht verschwärmter Müßiggang,
der immer süßer dann mit dir erblühte:
am alten Bahnhof lagen wir im Gras,
der Kirschbaum über unserm Lager blühte,
der Kuckuck rief, wir wünschten uns etwas.
Wir gingen heimwärts Hand in Hand wie Kinder,
der freche Dackel bellte weit voraus;
da liefen wir, von ihm verlockt, geschwinder
und kamen glücklich atemlos nach Haus.
Und kühlten uns am Schank mit einem Schoppen
und saßen artig auf der Schalterbank,
geheim gewillt, den besten Gast zu foppen,
der würdig das gewohnte Quantum trank.

So war die Zeit: ein Fest, ein Glück, ein Schwärmen . . .
Bis uns ein Abend schreckte auf dem Wall:
ein Mann schrie »Krieg!«, die Stadt war voller Lärmen,
und wilde Fratzen tobten überall.
Aus Tollwut, Angst, Berauschtheit und Verbrechen
umwuchs uns plötzlich ein Gestrüpp voll Mord;
mit keinem Freund mehr könnt ich harmlos sprechen,
und alles Gute in der Welt war fort.

Nie hätt ich diese Blutzeit überstanden,
die jeden in Verrat und Irrsinn trieb -
der Glaube an die Menschheit kam abhanden,
doch nicht der Glaube, daß ein Mensch mir blieb!
Du warst der Trost, die Heimat und der Friede;
mochten die Stürme unsern Stern umwehn,
mit dir, den Eltern und mit meinem Liede
war diese Hölle doch zu überstehn.

Da griff das Schicksal schärfer nach dem Feigen,
der ihm behaglich zu entkommen schien,
und traf mich so, als wollte es mir zeigen:
nicht täuschten es die schönsten Melodien.
Den Vater riß es mitten aus dem Leben,
das war schon stets an Herzeleid gewohnt;
er hatte alles für mich hingegeben,
und nur mit Versen hatt' ichs ihm gelohnt.
Und als die Mutter ihm aus freiem Willen
nachfolgte - ohne Abschiedsblick und -wort
ging sie, wie sie gelebt, ganz schlicht, im Stillen
durch Schnee und stille Winterströme fort -,
da lag ich wach, wund von Gewissensbissen,
und wartete auf ihre Wiederkehr
und wollte sie bei ihren Freunden wissen
und glaubte meiner Hoffnung selbst nicht mehr
und wälzte mich in Ängsten auf den Betten:
Klopft's nicht am Tor? Ich träumte, sah sie fast -
und war vor Wahn und Selbstmord nur zu retten,
weil du mich mütterlich geborgen hast.

Nun war ich ganz allein. Mit Abgrundschatten
schreckte gespenstisch mich der Heimatraum.
Die Straßen, die mich einst gestreichelt hatten,
haßten mich jetzt. Am Fluß der Lindenbaum,
der einst so hold mit seinem Duft mich nährte,
gab jetzt, mich aufzuhängen, harten Rat.
Der unterdrückte Neid, der Jahre währte,
wurde jetzt nackt und boshaft Missetat.

Ich floh. Du flohst mit mir. Du hast den Schwachen
gestärkt, getröstet, hast mir Mut gemacht.
Und wenn wir heut einschlafen und erwachen,
ist es durch dich ein Morgen, eine Nacht,
die sicher sind. Und was ich jetzt erlebte:
Paris und Holland, Meer und Berg und Schweiz,
ward mir, der hilflos an der Kleinstadt klebte,
ein Märchenzauber und ein Schaffensreiz.

Alles durch dich: am Alpensee Gedichte
und in dem Gassenschank der Abendtrunk,
Erwachen früh mit fröhlichem Gesichte
und eine Bergtour macht mich wieder jung;
durch Gärten streifen, daß die reifen Birnen
dir als Geschenke fallen in den Schoß,
und perlt der Schweiß auch auf den Wanderstirnen:
wir sind im Herzen wie die Gletscher groß!

Alles durch dich! Auch wenn ich stolz es schmähte,
weil ich mich schämte, Schuldner dir zu sein.
Der Bauer, der am Hang den Heuduft mähte,
die Gipfelwiesen und der Firnenwein,
im Klee der jagdverliebte weiße Kater,
vom Kahn im Wasser ein zerküßter Sang -
du bist mir alles: Heimat, Mutter, Vater,
und schenkst mir fruchtbar neuen Müßiggang!


14. 10. 1929

Die Ankunft

Die Ankunft ist das Schönste überall,
von jeder Fahrt die letzten zehn Minuten;
die Bäder scheinen sich beschwingt zu sputen
wie Pferde witternd einen warmen Stall.

In Flammen naht die Stadt, und es zerstiebt
die dunkle Ängstigung der Abendweiten.
Schon fühlst du den Empfang sich vorbereiten
und weißt dich von den Wartenden geliebt.

Ein Vorort sagt sein überhörtes »Halt!«
Laternen rennen mit uns um die Wette.
Der Mond läßt sich herab an goldner Kette
und badet sich im dampfenden Asphalt.

Die Häuser drängen dichter an den Zug,
und ein Theater zeigt die hellen Gänge.
Der Neubau wuchs zu märchenhafter Länge,
als unser Blitz in seine Stuben schlug.

Dann donnert eine Brücke übern Fluß
und wirft uns in den Schoß der Bahnhofshalle.
Und eher als man will, versinken alle
Erregungen schon im Willkommenkuß.


22. 10. 1929

Der uns voranging

Was haben wir von seiner Hand erhalten?
Rat für die Wanderschaft zu unserm Grab.
Noch ist sein Tod in allen Mantelfalten,
die Sterbensangst an jedem Pilgerstab.

Die Hügel, die wir schweigend überschreiten,
gleichen der Wölbung über seinem Knie.
Die Wolken sich wie seine Hände breiten,
zu segnen unsre Betermelodie.

Und dort, wo sich die Täler herbstlich trennen,
steht er und winkt noch einmal lebensmüd.
Das Rot, in dem jetzt alle Wälder brennen,
grüßt mit dem Glanz, in dem sein Traum verglüht.

Der unerfüllte Traum auch von uns allen,
das Gold, die Freiheit und die nackten Fraun,
und daß die Sterne in den Schoß uns fallen,
und daß wir unsre Paradiese schaun.

Was wir erblickten, war Ersatz für Leben,
und was wir schmeckten, schmeckte falsch und schal.
Da wagten wir ihm unsre Hand zu geben,
der sich vor uns aus diesem Dasein stahl.

Was haben wir dafür von ihm erhalten?
Ein wenig Mitleid und ein wenig Macht,
den Tod nach unserm Wunsche zu gestalten,
den doch sein Jenseitsantlitz längst verlacht.


01./02. 11. 1929

Erinnerung, Herbstgewinn und Wahn

Schien nicht gestern noch uns allen
sommerlich der Tag und warm?
Herbstlich heut die Blätter fallen;
fröstelnd trab ich, freudlos, arm
durch des Parks verlaßne Gänge.
Wieder stirbt ein ganzes Jahr,
und des Windes Grabgesänge
sagen, daß es unnütz war.
Lag ich an des Flusses Weiden
gestern mit der Welt versöhnt,
muß ich heut die Stadt erleiden
und die Hast, die mich verhöhnt,
einsam meine Sorgen tragen
durch den Spuk der Unnatur.
Doch es bleibt den schlimmsten Tagen
jeder guten Stunde Spur.
      Über Kreuze, über Grüfte
      blüht der Traum vergangner Lust:
      eine nackte Frauenhüfte
      und ein Kuß auf eine Brust.

War es wirklich mir beschieden,
war es eines Wunsches Trug:
wieder Kleinstadtabendfrieden,
um den Turm der Schwalbenflug,
auf dem Marktplatz die verschwärmte
Liebelei der Jugendschar,
nächtlich sich nach Hause lärmte
noch das gleiche Trinkerpaar,
Kräuterduft kam von den Matten,
die Gebirge waren nah,
und man blieb in ihrem Schatten,
wenn man auch sie selbst nicht sah.
Doch des Autos Fluchten tragen
mich von dannen, weit, so weit!
Und die Heimatglocken schlagen
nur noch eines Traumes Zeit.
     Durch die herbstlich feuchten Lüfte
     blüht der Wahn ersehnter Lust:
     eines Mädchens schmale Hüfte
     und das Atmen holder Brust.

Stets in meinen Nachtgedanken
fand zum Märchen ich die Kraft;
meine stärksten Träume tranken
mit dem Wunder Bruderschaft.
Wird in einem späten Ruhme
die Legende mehr als Schein,
süße junge Lasterblume
mehr als Reiz von Träumerein?
Sah ich zu bei Liebesspielen,
wo die Schönste sich erschloß ?
Doch die welken Blätter fielen,
eh ich alles recht genoß.
Fröstelnd lehn in meinem Zimmer
einsam ich die Stirn ans Glas . . .
In den Gram noch grüßen immer
Gnaden, die ich fast besaß.
     Über Kreuze, über Grüfte
     blüht das Lied erdachter Lust:
     eine nackte Frauenhüfte
     und ein Kuß auf eine Brust.


10. 11. 1929

Schmerzliche Orgie

Erst sprachen sie zu laut und zu erregt,
und keiner wagte, tapfer anzufangen.
Da hat er Bilder auf den Tisch gelegt
und ist für einige Zeit hinausgegangen.
Und als er wieder in das Zimmer trat,
ganz nackt, war erst ein sehr verdutztes Schweigen.
Doch da er sicher, unbefangen tat,
begann die Frau zur Freundin sich zu neigen
und sie zu streicheln, und sie lösten sacht
einander das Gewand von ihren Brüsten,
und es war eine große Hochzeitsnacht,
in der sie sich zu schwülem Tode küßten.
Er aber, ohne sich zu rühren, saß:
das geile Spiel ward Sturm in seinem Blute.
Und als er merkte, daß man ihn vergaß,
stand er ganz leise auf und nahm die Rute.
Und plötzlich peitschte er die beiden hoch
und jagte sie verbissen durch die Zimmer,
und gab nicht nach und ließ sie leiden noch,
als demutsvoll schon bat ihr Schmerzgewimmer.
Bis ganz gebändigt, vor ihm hingekniet,
sie beide dienten mit geübten Zungen
dem übermächtig steilen Mannesglied.
Doch als er sah, er hatte sie bezwungen,
er wieder, ohne sich zu rühren, saß
und wünschte sich ein Kind, das unbefangen
freiwillig zärtlich ihm zu Willen schien,
und war so Wunsch, daß er die Fraun vergaß.
Und als ihm endlich einer abgegangen,
stand er brüsk auf und lief sich anzuziehn.


10. 11. 1929

An einen Kammerdiener

Einfach sind deine Leiden,
doch sie quälen dich sehr.
Abseits gehst du, bescheiden
neben dem Leben her.
Einst warst du kriegsgefangen;
atmest auch nun nicht frei:
stets hinter Gitterstangen,
armer, frecher Lakai!
Deinen Herrn zu verhöhnen
macht dich im Grunde nicht groß.
Nachts mußt du einsam stöhnen
nach einem liebenden Schoß.
Denkst du voll Sehnsucht der Feinen,
die du nachmittags bedienst,
kindlich beginnst du zu reimen,
der du so männlich ihr schienst.
Zu hoch blieb deinem Verstande
das Lied, das laut sie las,
während in dünnem Gewände
sie lockend vor dir saß.
Was du ihr könntest klagen,
verstünde sie wieder nicht.
Du möchtest den Dienst aufsagen,
tust weiter deine Pflicht.
Mußt dich ernähren und kleiden,
bist auch kein Jüngling mehr.
Einfach sind deine Leiden,
doch sie quälen dich sehr.


16. 11. 1929

Die Nachtvögel

Sie bilden Nacht für Nacht die gleichen Gruppen
beim Zeitungshändler und beim Wurstverkauf.
Sie halten dich auf deinem Heimweg
auf und lächeln jäh dich wächsern an wie Puppen.

Und sprechen stets die abgegriffnen Worte
der Werbung, die schon lange nicht mehr reizt;
wer ihr nicht folgt, gilt ihnen als vergeizt,
als krank, als einer von der andern Sorte.

Sie wollen Geld und Zigaretten schnorren
und flüstern dafür ein Geheimlokal,
wo du geneppt wirst. Und von Mal zu Mal
bemerkst du, wie sie schauriger verdorren.

Sie möchten über deinen Buckel streichen,
drum gehn sie Arm in Arm mit dir ein Stück
und sagen dir, das bringe ihnen Glück,
und geben Spitzeln insgeheim ein Zeichen.

Und tragen sie der strengen Kommandeuse
kniehohe Stiefel oder spielen sie
die Minderjährge und die Dorfmarie:
den Wüstlingswünschen sind sie ernstlich böse.

Sie werden immer deine Frau bedauern
und sehnen sich doch stets ins Ehebett.
Sie kleben Nacht für Nacht ihr Lustskelett
gleich Lügeninseraten an die Mauern.


20. 11. 1929

Der Bußtag

Jeden will der Staat heut gründlich strafen
mit dem Alpdruck grauer Langerweile.
Länger mag der faulste Mensch nicht schlafen,
auch die Freundin kam zu ihrem Teile.

Niemand weiß Vernünftges anzufangen
mit dem Festtag ohne Lustbarkeiten.
Durch die Stadt ist man genug gegangen.
Wer ein Weib hat, fängt jetzt an zu streiten.

Ins Theater kann »Peer Gynt« nicht locken,
Bibelfilm nicht in die Lichtspielhallen.
Grimmig wird man in den Kneipen hocken
und der stillen Idiotie verfallen.

Komiker, Soubretten, Akrobaten
gähnen unter der Familienlampe,
und sie sehnen sich beim Dauerskaten
nach dem grellen Licht der Bühnenrampe.

Endlich mit dem zwölften Stundenschlage
wagt man wieder frei sich zu bewegen,
und man schleppt sich dem normalen Tage
ausgepumpt und windelweich entgegen.


28. 11. 1929

Einer Zehnjährigen

Das Leben liegt vor dir mit allen Weiten,
die große Landschaft mit den vielen Wegen:
noch kannst du wählen, welchen du zu schreiten
gedenkst. Noch gehst du jedem Glück entgegen.

Dein Garten blüht, es duftet der Holunder.
Du bist so reich an Jugendüberflüssen,
denn dich erwarten alle Daseinswunder,
die sich dem Mädchenwunsch gewähren müssen.

Noch darfst du alles von der Welt verlangen;
dir klingen Töne, leuchten Farben frischer.
Was dir bevorsteht, ist für uns vergangen,
und unser Traumlenz ist ein trügerischer.

So bleibt uns nur die Andacht vor den Jahren,
die dich bekränzt ins Unbekannte tragen,
mit ihren Flammen, Masken und Gefahren,
mit dem, was sie dir schenken und versagen.

So bleibt uns nur, mit einem stillen Segen
dein Blühen in die Zukunft zu begleiten.
Das Leben führe dich auf allen Wegen
zu guten Kämpfen und Glückseligkeiten!


02. 12. 1929

Der Zaungast

So stand ich einst vor jedem Zirkuszelt,
wenn drinnen das Orchester blechern lärmte,
als armer Zaungast einer Zauberwelt,
für die ich doch verliebt wie keiner schwärmte,
und träumte in den plunderhaften Kram
und in die Muffigkeit der Wanderwagen
mir Abenteuer, wild und wundersam.
Ganz wie in jenen kargen Knabentagen
bin heut als Mann, den schon der Herbst umweht,
ich wiederum verfemt und ausgeschlossen,
ein Unerwünschter, der stets draußen steht,
als wäre nutzlos alle Zeit verflossen.
Sogar das bißchen Schein von einem Rang
zerrann und ließ mich vor der Welt nichts gelten.
Durch der Jahrzehnte Auf- und Niedergang
bleib ich der Ungebetne vor den Zelten.


04. 12. 1929

Einer alten bayrischen Kellnerin

Du hast Geburtstag dort in fremden Landen;
ich, meilenweit entfernt, trink jetzt dein Wohl.
Ob deine Nerven meinen Gruß empfanden,
umdampft von Sternenglanz und Alkohol?
Du zechst mit deinen Stamm- und Zufallskunden;
mir war der Trunk jetzt eigentlich zu schwer.
Doch dank ich dir für all die guten Stunden,
da ich bei dir geborgen war und mehr.
Oft träumte ich, du hättest mich geboren,
und ich gedieh im Duft des Frankenweins.
Oft warst du räudelhaft mit mir verschworen
wider die Welt. Und immer warn wir eins!
Die gleiche Menschlichkeit gab deinen Scherzen
und meinem Leid den dunklen Untergrund,
sie schmückte noch mit lauter Weihnachtskerzen
das Zotenwort in deinem klugen Mund.
Du wußtest jeder Art dich anzupassen
und bliebst doch stets ihr überlegen fern.
Du konntest lieben und du konntest hassen
und hattest Blumen und ein Hündchen gern.
Den etwas wunderlichen Schlag der Dichter
betreutest du mit Nachsicht und Geduld.
Das milde Lächeln roher Saufgesichter,
bleibst stets, du Zauberin, in deiner Schuld.
Und wie ich nun, dir fern, sehr einsam sitze
und denke an dein Reich aus Schnaps und Bier,
an deine ernsten Worte, deine Witze,
wird auch mein Abend seltsam festlich hier.


24. 12. 1929

Hoffnung auf Weihnachten

So wahr jetzt Großstadtstraßen mich ermatten,
das Christfest nah ist und im Blumenladen
zur Mitternacht noch Mädchen fleißig sind,
ersehne ich der Berge Abendschatten,
den Sommerbach, in dem die Buben baden,
und bin im alten Schulhof wieder Kind.

Ich möchte dich noch einmal kennenlernen,
die Hand dir schüchtern geben und erröten,
beginnen, wo der Liebespfad begann;
noch einmal unter heimatlichen Sternen
bereit sein, dich aus Eifersucht zu töten,
und fühlen, daß ich dich nicht missen kann.

Das erste Stelldichein mit dir erleben,
noch einmal auf der heimlich holden Reise
im zweifelhaften Gasthaus jene Nacht,
durchs kupplerische Haus der Engel schweben,
und daß ein gutmütiger Kobold leise
dann unser unbeholfnes Spiel belacht.

Noch einmal dir geliebte Bücher borgen,
begeistert eine Dichtung für dich lesen,
mit dir verfänglich heitre Bilder sehn;
durch einen Wald gehn im betauten Morgen,
ich spür', als war es gestern erst gewesen,
den Duft der Frühe mich umwehn.

Mit dir ein Grab betreun an Allerseelen
und an Silvester im Hotelsaal tanzen
und bei den jungen Hunden Pfleger sein;
die Bürgertanten stechen uns mit scheelen,
mißbilligenden Blicken - doch wir pflanzen
Stacheln um uns und spielen Negerlein.

Wir laufen Küsse tauschend über Brücken,
wir lassen uns von einem Hügel gleiten,
vom Fenster zielen wir auf einen Hut.
Wir haben Glück, ein Weltall zu beglücken,
und unsre noch ganz jungen Zärtlichkeiten
sind jedem Tier und Baum und Menschen gut.

Wo sind die Wunder solcher Lust geblieben,
wie konnte Fremdes unsren Frieden stören,
und was entzauberte die Schwärmerei?
Wir möchten uns doch heut wie damals lieben
und immer nur uns beiden angehören,
und leben aneinander stumm vorbei!

Wir müssen immer um Vergangnes trauern
und suchen nach dem Wort, das wir verloren,
und das uns wieder hochzeitlich vereint.
Wie lange soll die Trennungszeit noch dauern?
Wir sind doch eins fürs andre nur geboren
und ungern einsam, wenn's auch anders scheint.

Und wenn wir uns die Hand zum Abschied reichen,
erwarten wir nur stets die holde Stunde
der Wiederkehr, die alles neu beginnt.
Ich weiß, sie wird dem Glanz von damals gleichen:
noch einmal blüht aus dem geliebten Munde
der Schwur, durch den wir Brautpaar sind.

Dann werden wir es nicht mehr fassen können;
ist's möglich, daß wir Kummer uns bereiten,
wenn sich der Sterne Segen auf uns senkt?
Nun weiß ich, daß wir uns nicht lassen können;
es ist der Einklang unsrer künftgen Zeiten
das Schönste, was uns diese Weihnacht schenkt!


31. 12. 1929

Silvesterspuk

Was hat mir das vergangne Jahr gebracht?
Ein wenig Lust - viel Gram und Niedertracht,
der Freunde schlecht bemäntelten Verrat,
(ich weiß, wie sehr ich selber Arges tat,
wie sehr ich schuld an deinem Kummer war!)
der Feinde minderwertig wüste Schar,
der Lauen bös gelauntes So und So
und der begehrten Frauen Nirgendwo.
Begräbt die Glocke endlich jetzt dies Jahr,
so bringt sie neue Fehde und Gefahr,
so läutet sie die künftgen Lügen ein
und füllt in andre Krüge Tränenwein.
Ich denke an der Toten dunklen Zug:
der Sterbensangst tut nie ein Glück genug!
Ich denke an der Neugebornen Los,
die Wolke über ihnen riesengroß,
todbringend droht sie stets mit ihrem Blitz.
Braut ist und Ruhm fragwürdiger Besitz.
Stets welkt die Lust. Erfolg wird Furcht und Qual.
Verliebtheit schmerzt. Es naht: Das letzte Mal.
Silvesterspuk. Ich selbst: ein alter Mann,
dem nun kein Jahr mehr Gutes bringen kann.


zurück zu Max Herrmann-Neiße - Gedichte 1924 - 1941

zurück zu den Gedichten von Max Herrmann-Neiße