Gedichte
1925
Alle Zeitangaben zu den Gedichten geben das Datum an, dem der Text zugeordnet werden konnte.
Bezug hierzu sind die Angaben aus der Sammlung der 1987 von Klaus Völker herausgegebenen Gedichte.
Inhalt
Scherzo, in der getobakten Ringelnatzweise,
Für das verflossne Wassermädel des Münchner Hofgartencafes
Ich habe einen Freund verloren
Die eine Flamme, das eine Lied
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Anfang 1925
Das Gebet einer Jungfrau
Heut war der liebe Gott mal nett zu mir:
ich kam zur Schule früh zu spät, und niemand hat's gesehn,
am Heimweg lächelte der Schauspieler kokett zu mir,
nachmittags hörte das Gewitter auf, ließ mich
zum Stelldichein gehn.
Wir saßen in der Promenadenlaube, und mein Vater
ging, in ein Buch vertieft, wie blind vorbei.
Und abends kam ich unbemerkt in das Theater:
die Zeitung schrieb, das Stück sei eine Schweinerei.
Ich war enttäuscht. Doch darf ich morgen
vor der Freundin prahlen,
die ihr Herr Vormund allzugut bewacht.
Dann will ich ihr den Vetter Referendar heimzahlen,
mit dem sie mich heimtückisch eifersüchtig macht.
Als ich zurückkam, war Papa noch nicht zu Hause,
ich plauderte mit Mutter, trank Likör und rauchte eine
Zigarette . . .
Jetzt fahr ich aus dem Schlaf: da kommt er aus der
»Pilsner Klause«
betrunken angepoltert. . . Ich lieg gottseidank allein in
meinem Bette!
Durchs offne Fenster streichelt mich der Frühlingswind . . .
Liegt Fritzchen Schmitt noch wach? Die Uhr schlägt vier.
Mir ist so selig: es gibt wieder mal kein Kind!
Heut war der liebe Gott tatsächlich nett zu mir.
01. 02. 1925
Episode
Ihn sah ich lange ohne Wunsch und Leidenschaft
und zeichnete sein Bild zu Spott gewillt,
daß er mich mied, ging über meine Kraft:
ein Blick von ihm hätte mein Leid gestillt.
Nun aber wird er längst mich Narrn verhöhnen,
Boshaftes wider mich bringt ihm Applaus.
Was nützt mir mein Verzweifelttun und Stöhnen
er ging mit meinem Feinde stolz nach Haus!
Das alles ist ein Traum, von mir erfunden,
um seltsam quälerisch mir weh zu tun,
und dennoch blutet er aus echten Wunden
und läßt mich nicht an deiner Wange ruhn.
Dir mußte er ein schweres Schicksal sein,
weil du ihn nicht aus meiner Scham vertriebst.
Ich sah ihn ohne Lust und blieb allein,
denn wirklich leb ich nur, wenn du mich liebst!
19. 02. 1925
Selbstzerstörung
Da ich nirgends einen Halt mehr fand,
faßte ich nach einem blinden Haß;
sei sie noch so kalt, nur eine Wand,
dran ich stand vor Scham verzerrt und blaß,
mit gefurchter Stirn, geballter Hand,
Worte aus dem Irrsinn krächzend kraß,
mich verströmend in den Wüstensand
einer Fieberglut ohn' Unterlaß.
Rote Wolken kreisen um den Pfad,
und der Flammenwagen stürzt zu Tal,
greif ich zitternd in sein Feuerrad,
sterb' ich an der eignen Jammerqual.
Büsche rühren sich im Regenbad,
ach, das wischt von meiner Stirn das Mal
des Verbrechers nicht, der Unrecht tat,
als er sich den Schein der Güte stahl!
Der aus Reue über solchen Trug,
und verzweifelnd an der ganzen Welt,
dich statt seiner eignen Schande schlug,
seine Liebe listig hielt verstellt,
selbstzerstörend tödlicheren Flug
über seine Kräfte wagt, zerschellt,
bleibt vergessen. - Und des Leids genug
läßt zurück, von keinem Glück erhellt.
Doch der Mensch am Menschen Halt nur fand,
ließ er ab von seinem blinden Haß,
riß er nieder jede kalte Wand,
die vor deines Nachbaren Gelaß
fremd und trennend all die Jahre stand.
Ist der fremden Schwester Wange blaß,
tast' ich lieb nach ihrer schmalen Hand,
die gleich meiner noch von Tränen naß.
03. 03. 1925
Das Märchen des Frühlings
Wer den Flieder findet, gewinnt das Märchen:
vor dem Glücklichen werden die Tannen sich neigen.
Es erwacht das obdachlose Pärchen
in dem Blütenregen aus tanzenden Zweigen.
Nur der trunkne Heimkehrer stolpert vorüber,
ihm singt der Haß im Herzen seltsame Chöre,
wird das Leben leerer und immer trüber,
legt um den eignen Tag sich Trauerflore.
Der schwarze Schwan im Teich fliegt auf und entschwindet -
stirbt er? Trug es ihn neuem Glücke entgegen?
Wer den verlorenen Fliederzweig morgen findet,
den überschüttet des Frühlings Blütenregen.
Aber es schlafen in abgesperrten Kammern
Karge, die nichts vom Frühling wissen wollen,
die ihr ganzes Jahr an den Winter klammern
und sich wie blindes Getier in die Kissen rollen.
Verbitterte, die sich keiner Sonne zeigen
und haben weder Werk-, noch Sonntagslieder,
sie träumen nie vom Blühen in den Zweigen
und glauben nicht an Liebe und an Flieder.
03. 03. 1925
Das Märchen des Winters
Der Winter ging ganz still in sein Versteck,
ein müder Alter, der sich selbst verbannt,
hat er als überzählig sich erkannt
und weiß sich künftig keinen Lebenszweck.
Dort hockt er nun, ein lang vergeßner Greis,
stiert blicklos in des Frühlings Sieg hinaus:
Schneeblumenkranz blüht nicht mehr um sein Haus,
doch dies verhaßte Anemonen-Weiß.
Er träumt von der vergangnen Herrscherpracht,
ihm ist der Spiegel seines Sees nah,
in dem er sich als Gott der Erde sah,
strahlend im Glanz ewiger Siegernacht.
Nun, seines Mantels Silberzier beraubt,
ein häßlich welker Mann, mißgünstig, krank,
ein Irrer, dem sein Königreich versank,
die Dornenkrone auf dem kahlen Haupt,
harrt er in seiner Höhle, bis das Glück
ihm wieder würde, was es früher war.
Doch andern Winter wählt das nächste Jahr,
und diesen Toten hält nichts mehr zurück.
04. 03. 1925
Des Menschen Sohn
Durchs winzge Fenster sieht im Stall das Tier
den Mond wie wir und klappert mit den Ketten,
ihn zu verscheuchen, der auch unsre Betten
ängstet mit seiner bleichen Todesgier.
Es heulen Hunde in den Kohlenhöfen,
und lauter ächzt ein Zug nun, da sie schwiegen.
In Angst vor Mördern reglos wach wir liegen,
lauschend den Windgespenstern in den Öfen.
Daß man einst sterben muß, wie wird es nah!
Wie einsam ist da jedes preisgegeben
und fühlt mit jedem Atemzug sein Leben
entschweben und, daß er nichts wirklich sah.
Daß auch im Tageslicht sein Blick nichts faßte,
und daß er nichts besaß, was er erraffte,
in einen Tanz von Schatten sich vergaffte
und gleich verloren liebte oder haßte.
Wie sehnt er sich, das Tier im Stall zu sein,
das morgen nichts mehr fühlt vom Schreck der Nächte
und freundlich trottend mit dem Fleischerknechte
wankt arglos in des Schlachthofs Tor hinein!
06. 03. 1925
Der Mord an mir
Er kehrt wieder: der Feind aus dem Kindertraum,
der Mann mit, dem blanken Messer, der Fleischergeselle,
der mich jagte in einen schwarzraunenden Raum,
dem mich zuletzt noch entriß des Tages Helle.
Schon war ich in dieser Sackgasse gefangen. Schon hob
sich sein grauenhaft haariger Arm, mir den Tod zu geben,
als des Morgens Geste sich rosig zwischen uns schob,
und ich durfte noch einmal leben!
Aber damals wiederholte in jeder Nacht
sich diese gräßliche Jagd auf Sein oder Fallen.
Und er hätte mich sicher noch umgebracht
in des Labyrinths hinterhältigen Hallen.
Hätte nicht plötzlich der Liebesstern mich entrückt
in ein Glück, wo keine Schatten mehr gelten,
wo mit stets grünenden Hochzeitskränzen geschmückt
sich Rosenhecken vor die Verfolger stellten.
Üppiger blühten die Rosen . . . Und ich vergaß,
daß einst jede Nacht die entsetzlichen Henker mich
schreckten,
bis ich gestern allein in unserm Gemache saß
und sie grinsend den Hilflosen entdeckten.
Hundertfach kehrt sie nun wieder, die Feindeswut:
der Mann mit dem blanken Messer, der Fleischergeselle;
arglos kommst du heim, und mein Blut,
von Traumgespenstern vergossen, färbt unsre Schwelle.
08. 03. 1925
Das Leben durch dich
Du kehrst zu mir zurück nach allen Schlachten,
mit allen Wunden, die die Welt dir schlug,
an meiner Brust wieder zu übernachten,
geborgen vor dem wilden Heldenspuk.
Und kämpftest doch nur immer für mein Leben
und littest, mich zu schützen, Herzenspein!
Hast, heimgekehrt, mir dennoch bald vergeben
und schlummerst zärtlich mir am Herzen ein.
Mehr als vergeben hast du mir: du klagtest
dich selber an, damit ich nicht in Scham
vor dir verging, errötest du und sagtest:
»Verzeih!« wie eine, die verspätet kam.
Und hattest dann die Augen schon geschlossen,
deutend, daß alles nun vergessen sei,
daß eine ganze Ewigkeit verflossen,
Unschuld aus Schuld erblüht indessen sei.
Nun fuhren wir umarmt im Zauberstrome
hinab zum unerforschten Ozean,
blind für die Pracht der Schlösser und der Dome,
nur eins: einander innigst zugetan!
16. 03. 1925
Angst vor der letzten Fahrt
Mich ängstete der Abschied schon von morgen -
da ward er mir für diesmal noch erspart:
noch einmal bleibe ich bei dir geborgen
und abgesagt ist meine Schmerzensfahrt.
Doch einmal wird sie sein, wie alles Schlimme,
das nur in dunkle Zukunft sich vertagt.
Und alle Träume ängstet nun die Stimme,
die unabwendlich einst ade mir sagt.
Die kleine Furcht vor allem Ungewissen
wird heimlich groß, bis sie ganz offen droht:
dann, aus dem Morgenschlummer roh gerissen
steh ich gelähmt vor dem Entführer Tod.
Noch einen Blick zu dir muß er mir gönnen -
jedoch ein Schlummer ist dornröschentief,
daß meine Worte dich nicht wecken können,
mein Lied hilflos wider die Hecken lief.
Ich muß allein hinab. So wie ich lebte,
wie unerwidert jede Liebe blieb,
die zaghaft dir ihr Bild zu zeigen strebte
und die ein unbedachter Wink vertrieb.
So nah ist mir der Tod, als käm' er morgen:
des Lebens Kerker mich für ihn verwahrt.
Heut bleib ich noch einmal bei dir geborgen,
bald aber zwingt es mich zur letzten Fahrt.
17. 03. 1925
Die beiden Buckligen
Da ich dein Hüglein als besternt erkannte,
war deine Häßlichkeit so abgetan
wie meine, als dein Mund mich Bruder nannte,
band aneinander uns der Freundschaftswahn.
Das schmale seidne Mädchen dort drüben,
noch eben schien es mir des Lebens Sinn,
ist nicht mehr wichtig, und verdächtig trüben
die Blicke sich der jungen Tänzerin.
Es tanzt mit deinem innigst mein Gedanke,
der Zigarettenrauch umspinnt uns blau
mit einer Zaubergrotte, und die schlanke
Gestalt verweht der blassen Liebesfrau.
Sie alle sind mit Namen nicht zu nennen,
nicht mehr zu kennen, die ich einst begehrt,
und müssen so versinken und verbrennen,
daß auch ihr Schatten nicht mehr wiederkehrt.
Nichts wiederkehrt, was Paradies ich nannte,
du weißt nichts mehr vom Kranz im Mädchenhaar.
Als eine Qual des andern Qual erkannte,
wurden zwei Häßliche ein Liebespaar.
24./25. 03. 1925
Kosmische Erotik
Er träumt an Frauenstrümpfen sich wie blind
empor bis übers Knie und in die Wiese
des rosaroten Fleisches . . . Ach, es sind
auch sehr verschieden diese Paradiese!
Denn Hemd und Hose schmutzen allzu schnell,
und irgendwas ist immer unterkötig
und leider eine Binde aus Flanell
zu mancher Zeit auch Aphroditen nötig.
Da stockt der Traum, geschweige denn die Hand.
Vielleicht kann es ihm weiter oben glücken.
Doch Busenhalter auch und Miederband
besitzen ihre sehr fatalen Tücken.
Wer dann verzweifelt an den Hintern greift,
mag dort noch manche dunklen Punkte finden
und, wenn er auf dem letzten Loche pfeift,
muß ihm der Idealismus restlos schwinden.
Die Hand sucht überirdischen Genuß
und tätschelt aller Welten holde Globen.
Er feiert Orgien mit Uranus
und liegt bei Venus kosmisch schwelgend oben.
18. 05. 1925
Die verlorene Stadt
Wie hat die schwüle Sommernacht
die Stadt dem Dorfe gleichgemacht!
Auf Hinterhöfen Hitze schweißt,
die dort das Vieh im Stall erstickt,
das irr an seinen Ketten reißt
und brüllend wider Wände rennt.
Hier aber still der Mensch erschrickt
und schreit nicht mehr, wenn er verbrennt,
weil zuviel Hölle schon geschah
und er schon soviel Unheil sah,
daß er sich stumm und klein ergibt,
wie eine Mücke dorthin fliegt,
wo es am schlimmsten trifft.
Denn nie hat ihn die Stadt geliebt,
ihr Winter, wenn er sich anschmiegt,
gibt ihm statt Weihnacht Gift.
Ihr Frühling ist ein Gaukelspiel
und nichts als Sehnsuchtsqual,
wie Aussatz Blühen überfiel
die kranken Gärten auf einmal
und über Nacht, da's niemand sah,
und morgens ist schon Sommer da,
ist schon das nachts noch junge Laub
der Raupen Raub und liegt im Staub,
ein Kirchhof jedes Beet,
das ehrfurchtslos ein Kind zertrat,
das ja nicht wußte, was es tat,
nur achtlos wie die Alten ging,
zerstörte Ros' und Schmetterling
und sieht nicht, was in Blüten steht,
das heillos gottverlorne Kind,
das nur nach seiner Stube strebt,
zu lernen, wie man Geld gewinnt
und ohne Leben lebt!
Und schon ist Herbst und hat nicht Frucht,
nur fremde Früchte ohne Zahl,
und ohne Erntemüh erlangt.
Die bunten Farben niemand sucht,
der Abendschwermut süße Qual,
den See, dem vor dem Dämmern bangt.
Sucht jeder nur die eigne Lust
und welkt unselig, unbewußt,
farblos zu leerem End',
daß eitel noch ein Prunkgeleit
den Leichnam täuscht um Einsamkeit,
er Grabesruh nicht kennt,
nichts wissen will vom selben Stern,
der auf die Kreuze um den Turm
der Dorfkapelle blickt,
die Damen und die feinen Herrn
vor Gott und vor dem Totenwurm
zu lauter Spreu zerknickt.
Und hat in ewger Mitternacht
die Stadt dem Dorfe gleichgemacht!
08. 06. 1925
Die Verlorenen
Ein herrenloser Hund irrt durch die Wiesen,
die abendlich abweisend sich verschließen.
Auch ich bin welteneinsam unter diesen
freundlichen Leuten, die den Lenz genießen.
Ich weiß zu gut, daß alle Träume trügen
und daß die besten Freunde mißverstehen.
Das Klügste ist, dich mit dir selbst begnügen
und schweigend deine eignen Wege gehen!
Du sollst dein Herz nicht an die Menschen hängen,
die nichts erhoffen und auf nichts vertrauen.
Im Gartensaale zu banalen Klängen
dreht sich der Reigen deiner Liebesfrauen.
Wie dumm sind ihre hingegebnen Mienen,
wie arm ist ihrer Feste Jahrmarktswunder!
Und dennoch tauschte ich so gern mit ihnen,
vergäße meines Dasein ärmern Plunder.
Denn lieber war' ich tot glücklich mit Toten,
als lebend unter Lebenden vergessen!
Der Schminkstift hilft zu immer neuen roten
Lippen den abgeküßten Fraun indessen,
denn keine Lüge kann sie je bedrücken,
sie spiegeln sich gewissenlos im Leeren
und sind bereit, mit Fremdem sich zu schmücken.
Wie lachen sie des unerlösbar Schweren,
der selbst sich alles schwermacht unter diesen
Leichtsinnigen, die mit dem Weltstrom fließen. -
Den herrenlosen Hund wird in den Wiesen
ein Heitrer, der Einsames haßt, erschießen.
26. 06. 1925
Die Träume
Mich plagt ein Traum: in abendlichen Gassen,
die eng und seltsam unentrinnbar drohn,
wird eines Grabes Arm den Mantel fassen,
ruft mich die tote Mutter: »Komm, mein Sohn!«
Es plagt ein Traum: vermummte Mörder jagen
ihn durch den nächtlich weltverlaßnen Wald,
und plötzlich fühlt er seine Kraft versagen
und weiß, es fällt ihr Opfer hilflos bald.
Mich plagt ein Traum: der gräßlichen Megäre
erzwungener Zärtlichkeiten Gruftgeruch;
als ob ich glücklich nie gewesen wäre,
wird nun die Liebe mir für immer Fluch.
Es plagt ein Traum: ihn Spitzeln auszuliefern,
ist eines unheilvollen Fremdlings Macht,
und jene, gleich verhaßten Ungeziefern,
halten sein Leben ewiglich bewacht.
Mich plagt ein Traum: du stehst am andern Ufer,
ich renne auf und nieder wie ein Tier,
doch du bleibst taub, hörst nicht den fernen Rufer
und siehst ihn nicht, und ich vergehe hier.
So plagen Träume, Fledermäuse fliegen
gespenstisch durch den Schlaf der ganzen Welt;
es ächzt die Nacht von Tausenden, die liegen
in Stuben, Gärten und im Wüstenzelt.
Und alle Träume werden einstens tauschen
mit dem, was heut uns Blinden Leben scheint:
an unserm Leben wird sich dann berauschen
und ängstigen im schweren Traum der Feind.
27. 06. 1925
Liebeslied
Ich bin dir gut und kann es dir nicht zeigen,
ich schäme mich vor fremder Schatten Spott.
Mir fehlt der letzte Mut; so muß ich schweigen.
Ich gräme mich, da stirbt mein Liebesgott.
Ist voreinander nichts mehr zu verschweigen?
Dein Stern und meiner suchen fremdes Land
und sehn sich furchtsam an. Die Wälder neigen
sich unter unserm starren Widerstand.
Und können ihren Frieden nimmer finden;
durch ihre Gräser raunt Vergänglichkeit,
und für der Sommerwege blühnde Linden
bin ich zu alt und habe keine Zeit.
Ich bin dir gut und kann dich doch nicht binden
und bin dir Heimat über Nacht entflohn,
und dennoch werde ich mich wiederfinden
in deiner Hut als der verlorne Sohn.
Du bist zu stolz, mich herzlicher zu halten,
die Liebesinsel will gefunden sein.
Suchte ich Lust in vielerlei Gestalten,
wollte ich nur an dich gebunden sein,
können sich diese Flügel nur entfalten,
wenn du am Erdbeerhügel selig kniest,
versagen alle feindlichen Gewalten,
wenn du aus meinen Blicken Liebe liest.
Dann wächst mein Mut, dann werd' ich nicht mehr
schweigen,
dann fürcht' ich weder Traurigkeit, noch Spott:
Ich liebe dich, und kann dir's glücklich zeigen,
und sommerlich singt unser Liebesgott.
28. 06. 1925
Welteinsamkeit
Ein jeder murmelt seine eignen Sprüche,
und soviel Sprachen sind, wie Menschen sind.
Das Abendlied der Dienstmagd in der Küche
schwingt sich durchs offne Fenster in den Wind
mit eines Grammophons modernen Weisen,
die etwas Gutes einem Dulder tun,
und mit den heißen, hingegeben leisen
Worten der zwei, die in den Büschen ruhn,
mit dem Gezänk in einer Ehestube
und eines Kindes schreckhaft schrillem Schrei,
dem Scharren eines Tiers in seiner Grube
und eines Autos fauchendem Vorbei.
Und jedes bleibt für sich mit seinen Schwingen
und trachtet, rascher durch das All zu ziehn,
Brüder zu finden, die es froh empfingen,
und allen Einsamkeiten zu entfliehn.
Und flieht doch nur in ewge Einsamkeiten,
aus denen auch kein Traum Entrinnen gibt;
dies endet nie: in armen, wüsten Weiten
bleibst du, wo keiner einen andern liebt.
Ein jeder kämpft ums Leben mit der Woge,
die ihn hinabzieht, und dem bösen Wind
und murmelt furchtsam seine Monologe,
und soviel Feinde sind, wie Menschen sind.
01. 07. 1925
Die jungen Menschen
Die beiden jungen Menschen in dem Blühen
der ersten Liebe, die sie ganz erfaßt,
sind wie zwei Rosenbüsche vor den Mühen
der Großstadthast, wo eins das andre haßt;
wo jeder über seines Nächsten Nöte
sich weiterstürzt zu vorteilhaftem Tausch,
verharren sie von Früh- zur Abendröte
im gleichen kindlich reinen Liebesrausch.
Wie Kinder auch von Engeln heil geleitet
durch die Gefahren, die sie rings umdrohn,
wie der Nachtwandler seltsam sicher schreitet
in Höllen Gottes Tochter, Gottes Sohn.
Die Armen, die verbittert betteln gehen,
werden mit einer Hoffnung hold beglückt,
wenn sie die beiden jungen Menschen sehen;
ein Stolzer selbst hat sich besiegt gebückt
vor diesem hellen Glanz in ihren Mienen
und sich geschämt, daß er den Glanz verlor,
in dem einst seine Kinderaugen schienen,
Geschwisterpaar dem Stern am Himmelstor.
Die ganze Stadt mit ihrem falschen Prangen
ist plötzlich alt, hat Bunzeln, graues Haar;
du siehst: wie ist sie ekelhaft vergangen
vor diesem frühlingshaften Liebespaar,
dessen Umarmungen heller erglühen
als Feuerwerk am Fluß und Funkturmmast,
vor diesen jungen Menschen in dem Blühen
der ersten Liebe, die sie ganz erfaßt.
08. oder 09. 07. 1925
Scherzo, in der getobakten Ringelnatzweise,
Windstärke 4
Das ist der dritte Kirsch,
aber du darfst ihn nicht schelten,
solche Stunden sind selten,
werde nur nicht unwirsch!
Solche Stunden, ich meine,
wo sich das Wunder vollzieht,
daß man plötzlich das eine
oder andere kleine
Gedicht auf dem Blatte sieht.
Eine Flasche Kirsch kostet
immerhin soundsoviel.
Lohnt sich das neckische Spiel?
Zahlt eine Zeitung die Spesen?
Alte Liebe, sie rostet
nicht, aber sie bringt auch nichts ein,
und für das, was gewesen,
gibt der Jude ja kein
noch so geringes Entree,
und der Christ kommt sowieso nicht!
Tut dir die Schramme noch weh?
Aber schmerzt der Popo nicht,
dann laß es wüst uns treiben!
Dies ist der sechste Kirsch,
und soll der letzte bleiben,
ach, und nun schieß ich den Hirsch
im wildesten Forst, denn mich harten
Mann traf die Liebe auch.
Mußtest du lang genug warten,
lege dich jetzt auf den Bauch,
daß dich die Wunde am Podex
nicht unnötig verdrießt,
so, nach dem irdischen Kodex
man auch ganz heiter genießt.
Kannst du dabei noch was denken,
wenn an der Himmelspforte
uns Amoretten beschenken,
sein's Englisch tausend Worte,
weil wir ja immer noch, leider,
Französisch nicht erwarben,
sagst du: das war ein Outsider,
schwelg' ich in allen Farben:
red, blue, die in Heft zwei
ich jetzt grade durchmachte.
Kommst du nicht endlich herbei,
wird dieser Kirsch der achte.
20. 08. 1925
Für Karl Valentin
Ich wollte sagen, was mein Herz bedrückt,
da wurden meine Worte dürftiges Streiten
und seltsam lächerliche Kleinigkeiten.
Der andre johlt und hält mich für verrückt.
Ich weiß, daß stets Gefühl im Wort verlor,
könnt ihr vor einer Geste ernsthaft bleiben?
Blind trifft der gutgeschwungne Arm die Scheiben.
Der andre brüllt: »Mich tötet dein Humor!«
Ich will erklären, was mir Unrecht tut,
und muß zu diesem Zweck von vorn beginnen,
treuherzig - doch er wälzt sich wie von Sinnen,
da weiß ich nichts, als ehrlich meine Wut,
zu einem wilden Schlage hol' ich aus
und dreh mich um mich selbst und treffe knallend
die eigne Wange, und ein Echo schallend
trifft mich nochmal: des Publikums Applaus,
der hundert andern, die der erste rief,
daß plötzlich ich zur Wirklichkeit erwachte;
Erinnrung blüht: daß schon mein Spielfreund lachte,
wenn träumend ich in einen Graben lief,
zum Himmel sah und über Steine fiel,
diensteifrig Vaters Mantel tragen wollte
und mich darin verfing, am Boden rollte,
als triebe ich mit ihm ein grobes Spiel,
daß mißverstehend mich die Mutter schlug -
ich fühle heut noch diese Tränen fließen,
als den Boshaften möcht' ich mich genießen,
der euch nun kennt, argwöhnisch, listig, klug -
und nie verleugnet seines Herzens Ton:
er sagt Perfides, blinzelt doch verstohlen:
»ich mein's nicht so, es sind nur Kapriolen
des Kasperles; wer Kind ist, kennt mich schon!
Was hilflos an mir ist, wird euch zur Lust
gespielt, den feindlich Alten nur zum Schrecken.
Und alle Masken, die mich gut verstecken,
verhülln euch nicht das Herz in meiner Brust,
das euch gehört, die hilflos sind gleich mir,
bereit mit dem, der harmlos lacht, zu lachen,
über mich selbst auch lustig mich zu machen,
bist du ein Mensch, so bin ich Bruder dir!«
Die Stunde droht, ich kämpfe stumm, verbissen
mit einem Kragen, bis das Knöpfchen springt,
die Läden schlössen längst, ein Schrei entringt
sich meinem Mund, das Hemd auch ist zerrissen,
nun bleibt schon alles gleich; warum auch nicht, nackt
ich steh im Saal mitten im Lichterschein,
die Hausfrau führt den großen Dichter ein,
und alle sehn auf dich, und ich bin nackt!
Ich fingre nach dem Halse, als Replik
fällt dir nichts Bessres ein: »Das Knöpfchen sprang . . .
erklär ich zur Entschuldigung - da klang
wie Rettung an mein Ohr die Ballmusik,
ich stürze in den Reigen todesmatt,
geschloßnen Auges schweb ich durch den Saal;
da naht ihr Herr Gemahl - welch ein Skandal! -
»Mein Herr, Sie tanzen ohne Feigenblatt!«
Ich öffne meinen Mund und - klapp ihn zu -
man fordert mich auf Bomben und Granaten -
und ich bin tot, nur einer hat erraten:
Du leidest so wie er - er schweigt wie du!
Uns beiden ist das Leben nie geglückt,
wir wollten singen und wir mußten streiten
um seltsam lächerliche Kleinigkeiten.
Wir wollten sagen, was das Volk bedrückt!
Anfang 09. 1925
Für das verflossne Wassermädel des Münchner
Hofgartencafés »Zur Pyramide«
Sie diente, lächelte und schwieg.
Geheimnis war um ihren Gang,
um ihres Lächelns Uberschwang
Mozartmusik.
Hofgartens Mittag dämmernd schlief,
ein hold verzaubertes Geschick.
Der Brunnen sang. Ihr junger Blick
schien märchentief.
Ich ging. - Ich kam für sie zurück,
doch niemand wußte, wo sie blieb.
Ich hatte wieder einmal lieb
ein Schattenglück.
Hofgartenmittag: wie schon oft
belauscht mein Traum des Brunnens Sang,
spielt mit dem Hund im Laubengang
und schweigt. . . und hofft. . .
30. 09. 1925
Liebeslied in Todesängsten
Wie soll ich vor dem Schwersten einst bestehen,
läßt schon mich kleines Leid vor Furcht vergehen?
Was andre als geringen Schmerz ertragen,
muß mich im grausen Traum schon vorher plagen,
und plagt mich nachher in Erinnerungen
und ist noch mit dem Morgen nicht bezwungen.
Nur deine Not läßt meine mich vergessen,
dann kann ich wahres Elend erst ermessen;
droht dir das Schicksal mit den schlimmsten Zeichen,
ist echt und ehrlich endlich mein Erbleichen,
und hinter dir im Spiegelbild der Würger
läßt mich aufschrein: »Ich bin der feige Bürger,
der immer nur sein Schattenweh bejammert;
jetzt aber, da dich Wüsteres umklammert,
gab' ich mein Leben hin, deins zu erhalten.
Denn ohne dich, wie sollt' ich meins gestalten?«
Wohin kehr' ich zurück von Unrastfahrten,
wenn deine Träume mir nicht Treue wahrten?
Wer wacht mit mir in schlaflos fahlen Nächten,
wenn einst an mir sich deine Qualen rächten?
Wenn du voreilig aus der Welt dich schlichest,
und, ohne mich zu wecken, von mir wichest,
war' ich so einsam, daß ich's nicht ertrüge,
stürzte in Trümmer meine Lebenslüge.
O bleib' bei mir, wenn sich die Tage neigen,
wenn unsre Wege nur noch abwärts steigen,
wenn meine Augen rettungslos erblinden
und keinen Pfad aus Grabesnacht mehr finden.
Fühlst du, wie sehr ich deine Liebe brauche?
O bleibe bei mir bis zum letzten Hauche
und laß uns Arm in Arm dereinst vergehen,
denn ohne dich kann ich mich nicht bestehen!
07. 10. 1925
Ich habe einen Freund verloren
Ich habe einen Freund verloren
und ohne, daß ich anderen gewann.
Der Winter steht schon vor den Toren,
eh noch der Herbst so recht begann.
Die Freude täuscht. Die Menschen frieren.
Die Rummelplätze räumen ein.
Des Ringelspiels vergilbten Tieren
wird langer Schlaf jetzt gnädig sein.
Ich habe einen Freund verloren.
Die Regenstraßen sehen leer
mit Blicken, die sich tief umfloren,
ins graue, öde Wolkenmeer.
Es hält in all den Häuserhöhlen
der Mensch vor Menschen sich versteckt.
Und eines Trunknen böses Grölen
die Stille tiefer noch erschreckt.
Es hat ein Spiel mit Mißerfolg geendet,
und der Besiegte flüchtet unbehaust.
Kein Engel wird zu diesem Kind gesendet,
dem vor dem Mond in seiner Kammer graust.
Ein Mädchen fühlt entsetzt sich Mutter werden
und kann bei keinem beichten ihre Scham.
Und dieser Mann dort weiß nur eins auf Erden:
daß nun sein Weib nicht mehr nach Hause kam.
In welche Einsamkeit wird man geboren!
Was man noch eben hielt, verfliegt, zerrinnt. . .
Der Freund hat dich, du hast den Freund verloren.
Es endet Liebe dann, wenn sie beginnt.
08. 10. 1925
Literatencafe
Rivalitäten werden von den Pragern
mit leichten Frozzeleien überbrückt.
Erfolgreich dort mit seinen Brettlschlagern
macht jener Komponist vor Neid verrückt.
Die Mädchen schwanken zwischen Film und Fohse.
Getreidehändler tätigen in Kunst.
Ergebnislos mit Abenteurerpose
wirbt ein Idiot um des Verlegers Gunst.
Ein Redakteur macht sich redselig wichtig:
man lauscht verzückt — und blinzelt insgeheim.
Ein Nebbich nickt, er informierte richtig.
Der kranken Lu kriecht einer auf den Leim.
Der Rechtsanwalt bekitschelt seine Kunden.
Der Pseudomaler pumpt im Publikum:
er hat schon wieder mal etwas erfunden,
dreht euch nicht um, der Plumpsack geht herum!
Verflossne Bohemösen schaun verdrossen:
die Zeit ist schlimm und das Geschäft geht schlecht.
Ach, gestern saß man noch auf stolzen Rossen,
heut weiß man nicht, ob wer den Mokka blecht.
Hochstapler selbst, die früher Fürsten waren,
tun vor dem Schmonzeskaff er heut geduckt,
damit er gnädigst ihre Memoiren
im Acht-Uhr-Abendblatt rentabel druckt.
Kabarettblender hocken stolz Reklame,
Maler entflohn dem kalten Atelier.
Es teilt am Drehportal die Halbweltdame
ihre Prozente mit dem Herrn Portier.
Die Kellner kennen ihre kargen Kunden,
umbauen sie mit der Journale Wall
und sind für viele Stunden dann verschwunden:
mehr als ein Eis nimmt man auf keinen Fall!
Der Doktor für Sexuelles sucht Patienten,
gibt sich als Kunstmäzen, gewährt Rabatt.
Es einigen sich die Kinorezensenten,
welcher Konzern diesmal den Vorzug hat.
Kunst sind und Hurentum von gleichem Drecke:
nur auf Profit bedacht, voll arger List.
Für bare Münze nimmt in dunkler Ecke
nur der Provinzpoet den ganzen Mist.
23. 10. 1925
Unser Schicksalslied
Schon zuckt die Hand, eine Fliege zu töten,
schon hängt das Schwert über unserm Haupt.
Wenn wir vor der eignen Mordlust erröten,
ist dem Geschick unser Tod nicht erlaubt.
Es trommelt der Haß umsonst zur Parade,
sein Feld bleibt leer, von Steinen bedeckt.
Des Feindes und die eigne Gnade
hat uns im Laub der Liebe versteckt.
Wir haben einander viel zu verzeihen,
jeder jedem, kein Schwärmen schützt.
Die stärkste Gottheit, der wir uns weihen,
hat uns gegeneinander benützt.
Wir haben guten Grund, ohne Dulden
uns zu umarmen, das Tor zu versperrn,
und, was wir eins dem anderen schulden,
zu vergessen, nicht Knechte, nicht Herrn.
Es schlagen an die Molen die Wogen
auch in dem gottverlorenen Ort.
Die Boote, die nach dem Ozean zogen,
hatten meine Sorgen an Bord.
(Die Segel werden allmählich zu Fetzen -
ich hoffe nichts mehr, ich ergebe mich gern.
Ich grüße in Sterbender Entsetzen
über den Meeren den Weihnachtsstern.)
Wir landen in göttlichen Morgenröten
an Ufern, mit Purpur und Weinglut belaubt.
Wir werden nie mehr hassen und töten,
das Friedensgestirn überstrahlt unser Haupt.
25. 11. 1925
Abkehr
Liebe du den Lärm der Metropolen,
fühle dich im Rausch der Feste wohl!
Meine Hoffnung sehnt sich nach den Molen,
nach der Wogen panischem Gejohl.
Einsam in der Nacht der Landungsbrücke
stünde ich, den Stürmen eingefügt,
spottete dem anspruchslosen Glücke,
dem ein schaler Schattentanz genügt.
Meergeruch und Duft der nahen Dünen
blühte schmerzhaft in mein Herz hinein.
Wenn im Leuchtturmschein die Tiefen grünen,
ist es Seligkeit, allein zu sein.
Was im Großstadthasten mich zerstörte,
ist dann kaum noch eines Wunders wert,
Lüge: daß ich einst der Welt gehörte.
Über meinem Haupt des Mondes Schwert
hängt nicht mehr als Drohung, mich zu töten;
Mond und Wind und Meer sind mit mir eins!
Und es werden bald die Morgenröten
spenden Lethe des Versöhnungsweins.
Welt und Erde hab' ich dann vergessen,
auch was du mir wohl- und wehgetan.
Bist du noch auf diesen Tag versessen?
Meine Sage singt der Ozean.
08. 12. 1925
Mein Leben
Du bist mir nah. Doch manchmal bin ich blind
und seh dich nicht. Ich höre deine Stimme
wie Worte, die aus andern Welten sind,
auf Inseln, denen ich vorüberschwimme.
Ganz vage auf den Wassern weht dein Duft -
ich lehn am Mast und bin nicht zu betören.
Weil hundert Rufe hat die Abendluft,
die alle mich verführerisch beschwören.
Ich träume von dem Glück der Einsamkeit. . .
silbern umkreisen Möwen meinen Scheitel.
Ich hatte Weib und Freund - wie ist das weit!
Wie ward der Neid auf Lust und Jugend eitel!
Ich woge ziellos in den Ozean -
o Seligkeit, kein Hoffen mehr zu haben!
Hast du mir wohl, hab' ich dir weh getan, -
was tot ist, liegt in fremdem Land begraben.
An keiner Insel landet meine Fahrt:
sie gleitet in den Schlaf und sinkt zur Tiefe.
Hat sie den Sctiatten eines Strands gewahrt,
trieb sie ins Weite, daß sie ihm entliefe.
Und der Sirenen Singen war wie Wind:
man hebt die Hand, er streift der Finger Zither.
Dies Schiff hat Schwingen, und wir Sieger sind
in größrer Ströme tödlichem Gewitter.
Und weit und breit ist keine Welt zu sehn,
nur zwischen Tag und Nacht dies ewige Wallen.
So kann ich endlich einsam untergehn
und in die göttliche Umarmung fallen.
Daß mein Erwachen in Korallen sah:
dich wieder deinen dunklen Mund mir geben.
Dies erst ist Wahrheit, nun bist du mir nah,
nicht Weib, nicht Freund, doch mehr als dies: mein Leben!
12. 12. 1925
Die eine Flamme, das eine Lied
Die eine Flamme leuchtet immerdar,
das eine Lied singt sich durch jede Stunde.
Du weißt, daß es bei dir seit ewig war,
doch oft verschließt dein Herz sich solcher Kunde.
Es meiden deine Augen diesen Schein,
denn Lied und Flamme prüfen dich und mahnen.
Wirst du, zu Später, jemals würdig sein
dem großen stummen Dulden deiner Ahnen?
Vielleicht bist ihrem Liede noch du nah.
Die Flamme aber muß den Trug verbrennen:
du siehst dich plötzlich, wie der Feind dich sah,
und mußt ihn als Gerechten anerkennen.
Und singst du nicht das Lied der Ahnen nur
wie den gewohnten Sang, dich einzulullen?
Erkennst doch kaum im Schnee noch ihre Spur,
die Schatten ihrer Welt sind deine Schrullen!
Die Abendglocke scheucht sie vor dir auf
wie Fledermäuse, die den Tag verschliefen;
nun wehn sie hilflos um des Turmes Knauf
und blicken ängstlich in des Lebens Tiefen.
Dort liest die Mutter Ähren auf dem Feld,
dort führt der Ahn die Pflugschar durch die Schollen
ich aber, in der Welt aus Spiel und Geld,
bin hilflos im Vollbringen und im Wollen.
Die Raben schrein. Das Ackerland liegt brach.
Die Wiese trägt nicht mehr. Ich kann nicht ernten.
Ich bin allein. Der Rosenstock zerbrach.
Es schneite, als die letzten Bettler sich entfernten.
Ich bleib einsam zurück im weißen Graun
auf meines Elterngutes Schädelstätte.
Kein Mensch, kein Tier. Mir selbst ins Herz zu schaun
wäre der einzige Trost, den ich jetzt hätte.
Zu grüßen, was von Anfang an ich war,
und abzuschwören jedem Menschenbunde.
Die eine Flamme leuchtet immerdar,
mein eignes Lied singt sich durch jede Stunde!
Weihnachten 1925
Weihnachtsverse für Leni
Mir ist so wenig weihnachtlich zumute:
Angst, Sorge, Scham verdunkeln mir das Blut.
Doch alles Abendsanfte, Christbaumgute
sorgt sich verstört, was es dir Liebes tut.
Da fahren Menschen in den Stadtbahnzügen
und halten in den Fländen ihr Geschenk,
mit dem sie protzend Zärtlichkeiten lügen.
Auch ich bin meiner Schwäche eingedenk.
Ich hab' dich stets zuviel allein gelassen,
verbarg in meiner Brust verliebten Trieb.
Nun irr' ich durch die trostlos nassen Gassen,
den Elendschristmarkt, ein hilfloser Dieb.
Ich möchte dir die schönsten Dinge stehlen,
den Weihnachtsstern über der Wolkenflut.
Doch meinen Wünschen stets die Flügel fehlen.
Mir ist so wenig weihnachtlich zumut.