Gedichte
1915
Alle Zeitangaben zu den Gedichten geben das Datum an, dem der Text zugeordnet werden konnte.
Bezug hierzu sind die Angaben aus der Sammlung der 1987 von Klaus Völker herausgegebenen Gedichte.
Inhalt
Zum Maienkloster unsrer Lieben Frau
O leuchte mir, wie einst, von Herzen hell!
Ich werde sterben, eh ich mich gewann!
Das Wunder der verfehlten Schenkenstunden
Du liebes Lied aus fremdem Buche . . .
Die Seele der Geliebten ist ein weiter Wald
Es ist fürwahr ein enger Steg . . .
Meinem Vater zum 61. Geburtstage
Dem herzallerliebsten Lenilein zur Weihnacht
Bald sind mir alle Lichter ausgelöscht
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30. 01. 1915
Für Ludwig Meidner
Maler, wie neid' ich dir deine Ekstase! Du sein!
Immer mit einem Stern vor der Nase und ohne Ruh sein!
Immer hinter Hasen, die Farbe aus Schnauze und Schmerz
verschleudern!
Immer aus Blasen, aus jeder Narbe und Schanze Glut und
Glanz pleudern!
Oh, auf deiner Tenne sind Mägde, sind Knechte, wie junge
Füllen, in rischem Gerenne, ewig im Schwunge.
Bumms! sitzt ein Flegel auf einer Flappe, klafft eine Hose,
kriegt ein Sauigel seine Klappe, blüht eine Rose
um quicke Hoden, werden Backen aufgetrieben wie Ballone,
bollern Blitze aus einem Hämorrhoidenboden, entzaubern
sich Kloaken und Throne.
Oh! Und du selber stehst mitten in Blitzen, sausend
von Fieber, mit Funken geladen, wie eine Roulette,
wirst violetter, gelber als Quitten, von Witzen brausend,
und stürzt dich kopfüber trunken in die flammenden Fladen
deiner Palette!
15. 02. 1915
Einst bin ich obdachlos
Immer wieder durch die nassen Nächte
bellen, wie im Ahnen-Dorfe, Hunde.
Wenn ich mich in Wollust-Krämpfen schwächte,
waren trostlos Tränen dir am Munde.
Und du krümmtest dich in deine Kissen
wie ein banges Kind, das ohne Fehle
Schläge leiden muß; und mein Gewissen
würgt die Liebeslieder in der Kehle.
Eine Hostie, halt' ich meine Wunde
priesterlich mit segnenden Gebärden
über diese Siedlung, deren Hunde
einst mich Obdachlosen hetzen werden.
05. 03. 1915
Zum Maienkloster unsrer Lieben Frau
Ich bin so Demut, deiner Augen Abseits,
wie könnt' ich wagen, solchen Spruch zu tun:
daß ich an dir Freude vor allen habe
und friedvoll Ruhn
und wie an einem blühenden Wanderstabe
Heimkehr zu Gärten, Gaben meines Grabscheits,
und gute Gabe!
Du schenkst mir soviel Zuversicht zum Tage
und wölbst mein Werk wie einen Keller, wo die Kühle
des Milchkrugs wartet mit dem Morgentau,
und was ich trage
an Leid, reift so, daß ich mich selber schöner fühle
und jeder Zwang, von Feinden abgekartet,
sinkt auf der Waage
in deiner Hand.
Und schon bin ich ganz frei und leicht und trabe
an einer Wand von Sonnenschein und Flieder entlang
zum Maienkloster Unsrer Lieben Frau . . .!
07. / 08. 03. 1915
Wiegenlied
O leuchte mir, wie einst, von Herzen hell!
Vergrab dich in dein Bett!
Es setzt der Eltern Gähnen
die Sterbeglocke schon in Schwung.
Denn sie sind alt und du bist jung.
Werd' erst wie sie in Ehren fett
und wacklig in den Zähnen!
Noch sind die Säle hell
mit Frauen, Geigen, Negern,
und Liebe und Erlebnis blüht!
Ihr Docht ist lang schon ausgeglüht,
die Haare gehn aus ihrem Fell
wie bei den Bettvorlegern.
Wenn blöd die Uhre pinkt,
quarrt Schnarchen um die Wette.
Du schluchzst und zählst vor Sehnsucht krank
der Stunden öden Wächtergang;
dein Blut vom Abenteuer singt. . .
Verfaul' in deinem Bette!
20. 04. 1915
O leuchte mir, wie einst, von Herzen hell!
Du leidest - was soll mir ein Frühling frommen,
der dich in Schmerzen schmiedet? .. . Weiß wehn Straßen
in lauter Grün, das singt! - Brennender kommen
die Sonnenkränze von den Hügeln, wo wir saßen
in lauter singendem Grün, und erste Hummeln summten
um deinen Mund, der nun so schmerzhaft schmilzt,
und Veilchen neckten dich . . . und wir verstummten . . .
vor Seligkeit!. . .
Ach, alles, was du willst,
auch gegen meine Liebe willst, geh ich dir gern,
wenn du nur glücklich bist! Die Träne, die du schnell
vor mir zu leugnen trachtest, macht mich so verkommen,
so schuldig ohne Schuld! Du meines Morgens,
meines Abends Stern,
daß Frühling wahr wird, leuchte mir - wie einst -
von Herzen hell!
10. 05. 1915
Hymnen über Herz und Hirn
Hymnen blüht mein Herz mit dem jungen Weiß
klingend der geliebten Kirsch-Alleen,
wo ich dich verlocke, meilenweit zu gehen,
wenn das Weiß der Wände und der Dächer wie Raketen
platzendes, von lauter Sonne trunknes Rot
mit den wildgewordnen Kurven aller frühlingswind-
verwehten Furchen und dem störrisch
aufgebäumten Kleinbahngleis
tanzt!, vor einem dunkelseidnen Wall von Rüschen
abwehrstiller Berge tanzt!,
wie ein Klosterkind, das nur den einmal über alles
ausgekosteten, herbeigeahnten Tod
sich ertanzen will! - - -
Bis diese Hymnenhochzeit unsrer beiden
voreinander wie von allzu großer Liebe zaghaft
stummen Herzen
flammt mit dem ersten Flackern der Kastanienkerzen,
Lauben über meinem Haupt und über deinem, und
der Hauben weißes Flattern aus den Mägden
Engel zaubert, die zu guten
Wegen weisen, wo der wilden Vögel aus der Lichtung
wie verlorne Sterne Schwirrn
unsre Hände eint, daß sie von keinem Scheiden
wissen mögen! . . . Himmlisches Verbluten!
Hymnen wie Flieder über Herz und Hirn!
23. 05. 1915
Pfingsten 1915
Wie mein Weg sich mehr gen Abend neigt,
daß ich schon den winterlichen Wald,
dessen Wild ich werde, schauen mag:
Blühst du jünger als der Frühlingstag
über meinem Werk, das welk und alt
abwärts steigt.
Hoffnungslos aus schwerem Schlaf erwacht
mein von Schuld und Scham gehetztes Hirn
zu dem neuen Jahre meiner Qual -
was mein sehr verspieltes, allzumal
feiges Leben Frucht noch trägt, ist Irrn
durch die Nacht.
Einsam Staub in Dunkelheiten sein,
bis dein Stern durch Wolken schenkt Geleit,
daß mich nichts mehr Irdisches berührt,
deine Hand mich immer höher führt,
und ich weiß, ich bin in Ewigkeit
dein, nur dein!
31. 05. 1915
Ich werde sterben, eh ich mich gewann!
Ich werde sterben, eh ich mich gewann,
eh ich die Hütten meiner Heimat grüßte,
eh ich vollbrachte, was ich kaum begann,
eh ich mein Glück genoß, mein Böses büßte.
Denn nie ward das Verheißne mir erhört,
ich durfte nie den goldnen Pfirsich pflücken,
vergebens hab ich mich gebangt, empört,
und immer wieder lag mein Stolz in Stücken.
Ich bin kein Stern, ins Abendrot gestellt,
der ewig leuchtet, der nie fallen kann
und einer Welt das Himmelreich erhellt.
Mein Feld blüht unfruchtbarer als die Wüste:
Ich werde sterben, eh ich mich gewann,
eh ich die Hütten meiner Heimat grüßte.
25. 07. 1915
Reisegebet
Den die Wallfahrer rufen,
wenn ihr Weg sich verwirrt,
sei auch meiner Reise
guter Engel und Hirt!
Sing in Schlaf mich leise
mit fremdem Glockengruß,
führ über alle Stufen
sicher meinen Fuß!
Segne mir immer wieder
Herberge, Wein und Brot,
lege dich mit mir nieder,
ruf mich im Morgenrot!
Sei meiner Wanderlieder
rettender Rhythmus und Reim
und geleite mich wieder
glücklich heim!
11. 08. 1915
Das Wunder der verfehlten Schenkenstunden
Wenn ich mich wieder einmal verlor
in Lüsternheit und Langerweile
bei Menschen, denen nicht eine Zeile
zukommt, mit der ich euch beschwor,
ihr Schwestern und Brüder: was für Worte
mußte ich hören!
O die eurer Heiligkeit
Heimat zerstören
und Himmelspforte,
wie waren alle Wege verschneit
mit Schnödem und alle Türen,
die zu unsern geliebtesten Träumen führen,
und jeder Gedanke trug einen Dolch im Kleid,
der vorher ohne Arg und ohne
Feindseligkeit zum Tanze sprang —
O Unerträglichkeit, von ihrem Hohne
getroffen zu sein und ihrer Arroganz
das Opfer! —
Aber plötzlich, wenn schon allzu lang
das Läppische in gleichem Flusse rann
so seicht und glibbrig ohne Glanz,
begann
in dieser Qual meiner Selbstverleugnung oder
zerstückten Klarheit, matt, aus allem Moder
verfehlter Worte etwas sich zu heben
und Wahrheit,
Strahl,
Beweglichkeit zu werden, und geschah,
daß mir auch dies noch etwas Gutes geben
und Früchte tragen konnte
und sich, fern und nah,
(nach abgetanem Ekel, Buße,
Bitternis und Bad)
mir mit Erinnrung ganz übersonnte!
12. 08. 1915
Du liebes Lied aus fremdem Buche …
(dem geliebten Dichter Rene Schickele von Herzen
in Dankbarkeit und Verehrung)
Du letztes Lied vor dem Schlafengehn
aus einem fremden Buche,
deine Worte vor meine Wimpern wehn
wie Rosenblätter im Winde.
Bilder auf einem Tuche,
bunt einem Kinde vom Jahrmarkt mit heimgebracht,
die spiegeln sich in allen Scheiben,
und nun ihr Glanz bis in die Nacht
des dunkler werdenden Traumes getragen,
und am Morgen gleich
von Schlaf noch blind und von lauter Blühen bleich,
es wie ein schön' Geschenk sich aufzusagen,
und singend' Lerche in des neuen Tages Laub
über mir bleiben!
15. 08. 1915
Gebet um Bürgerlichkeit
Guter Gott, laß mich geborgen sein,
ohne Spott und ohne Sorgen sein,
guten Muts in schönen Stuben ruhn!
Gib mir Lampenschein und Bücherreihn
und Kamine und ein Gärtchen klein
und am Tage ein ersprießlich Tun!
Unrast, Abenteuer-Not und Neid,
Rache, Sehnsucht nach besterntem Kleid
laß wie Blendwerk, guter Gott, vergehn!
Vor den Augen der Geliebten sei
Zwist und Zweifel im Entstehn entzwei
und ihr Mund Im-Himmel-Wiedersehn!
Gib uns beiden, guter Gott, dies Glück:
daß bescheiden uns das letzte Stück
meines Weges sanft wird, kummerlos!
Und ihr Herz sei mir bis in den Tod
Heimat, Zärtlichkeit und Zebaoth!
Und mein Sterben leicht in ihrem Schoß!
18. 08. 1915
Zu Lenis 21. Geburtstag
Nun nimmst du so dein Leben dir zu eigen,
wie Haus, Hof, Garten, die dir ganz gehören,
wie stille Stuben, wo dich niemand stören
und nichts entstellen darf das reine Schweigen.
Drin deine Seele sinnt, sich selbst zu finden
und aller Zweifel, die dein Herz entzweien,
und noch der letzten Fesseln, die es binden,
auch wenn sie Kränze sind, sich zu befreien.
Ich aber warte, bis du dich gewannst:
bang lausche ich dem Spruche deines Blutes,
mit dem du richten oder retten kannst.
Und hab' ich dann noch deiner Liebe Segen
und bleibst du mir, geh' ich getrosten Mutes
wie tanzend meinem letzten Tag entgegen!
23. 08. 1915
Die Seele der Geliebten ist ein weiter Wald
Oft sagtest du behutsam so ein heimlich Wort,
das tausendfältige Farbigkeit alter Juwelen hatte,
ganz absichtslos klingend aus dir, und
schwiegst befangen . ..
Heute bin ich einsam über Land gegangen,
recht wie ein Flüchtling vor der eignen Wehmut
von Ort zu Ort,
da fand ich plötzlich irgendwie auf einem Blatte,
das in der Tasche lag, vergessen, jäh zusammengeballt,
die eine Zeile unter zwanzig wertlos andern:
»Die Seele der Geliebten ist ein weiter Wald,
dein ganzes Leben reicht nicht aus, ihn völlig
zu durchwandern.«
25. 08. 1915
Sehnsucht im Herbst
Wie euch der Herbst jetzt hilflos macht
und weicher hingegeben
dem sanften Tag, der sanften Nacht,
und euer Wandeln ward so sacht
wie hüllenloses Schweben!
Ich aber fühl' den Flügelschlag
der einsam schweren Blindheit
die harte Nacht, den harten Tag
und Sehnsucht, die nicht enden mag,
nach liebevoller Kindheit.
Heißt Sünde, daß ich dich nur sah
in jedem Ding auf Erden?
Doch was auch Schlimmes mir geschah:
Bei dir nur ist mir Jugend nah
und wert, gelebt zu werden!
30. 08. 1915
Schmiedeberg im Riesengebirge
Der Sonnentrauben Blut rinnt über die flimmernden
Flanken
der Berg-Zentauren. Aus allen Bauden wanken
die trunknen Wälder heim. Die Felsen hocken
mit weißen Wolkenhauben. Der Sturm schüttelt
die Locken.
Wie bin ich klein! Wie bet' ich zu euern Bauern,
zu eurer Kinder Ringelreihn, zum Trauern
eurer Großmütter, die einen fernen Enkel beweinen
und auf Wiesen von Stein zu Ahnengrabmälern
versteinen!
Wie sind wir klein! Warum fällt nicht zu Asche
unser schwächliches Schwert vor der ewigen Größe?
Warum bleib ich vor Riesen ein zweifelnder Zwerg?
Deine Nacht reckt den Leib in geheiligter Blöße
und wirft Masche um Masche
ihres silbernen Netzes erdrosselnd um meinen Willen
und um mein Werk.
05. 09. 1915
Der Sultan
Der Tag war allzu schwül. Er ließ die Braune
vor seine Sänfte sinken. Sie erbleichte.
Da tat er sie beiseite. Seltsam leichte,
erlöste Gesten gab ihm eine Laune.
Sie war befreit. Sie taumelte und grüßte
wie trunken. Und man brachte ihm die Weiße,
die lächelte verliebt. Er schrie: »Man reiße
ihr Haus in Staub und peitsche sie zur Wüste!«
Die Dritte blieb wie Nonnen im Gebete
und hatte weder Sonnenlicht, noch Wolke.
Die Vierte duckte sich ertappt und flehte;
die ließ er angeekelt seinem Volke.
Nackt kamen Knaben. Heiser hieß sein Heischen,
sie sollten sich vor ihm im Kampf zerfleischen.
19. 10. 1915
Es ist fürwahr ein enger Steg
Verding dich in Demut
dem wechselnden Wind.
Auch Wirrsal und Wehmut
Gibt Gott seinem Kind.
Und willst du verzagen
und reißt es dich fort,
und ist dir das Wagen
für ewig verdorrt,
und stürzen die Fluten
den steigenden Stern:
Im Bösen ... im Guten . . .
So bist du des Herrn!
Und Wirrsal wie Wehmut
ist Spiel seinem Kind. -
Verding dich in Demut
zu Gottes Gesind!
11. 12. 1915
Meinem Vater zum 61. Geburtstage
Nun hast du wieder ein Jahr deine Mühle gedreht
und machst Sabbath und übersiehst deine Tennen:
Mühsal und Bitternis um uns und Gebet.
Und durchwandelst den Park, wo die Tulpen brennen,
die ungestillten Wünsche, wo der Rosenstock
der Erfüllung in letzter Blüte steht.
Und die Tiere kommen, die dich am Schreiten erkennen,
schmiegt sich der Hund an dein Knie und in deinem Rock
nistet das Kätzchen ein, das ein Falter umweht.
Und du hältst seltsam inne, und deine Hand
über die Augen geschattet versinnst du dich lange:
»Wacht nicht die Sonne noch über mein ganzes Land?
Schaff' ich, so leb' ich! Wie wäre mir vor der Zeit bange?
Ruft mich dein Glöckchen, du Engel im Sternengelock,
hab' ich gelebt und folge getrost seinem Klange!«
Abendrot schmückt deine Schultern mit goldnem Gewand,
und du schreitest lächelnd zum Mahle der deinen,
und gemeinsames Glück küßt Wange um Wange . . .
Und deinen Sohn erschüttert aus Tiefstem ein Weinen.
11. 12. 1915
Die Reichskanzlerrede
Hier ist solcherlei Geschmetter nur eitel Wohlgefallen.
Man aalt sich nur so . . .
Militär- und Beamten-Spelunke!
Jeden dritten Tag zappeln allenthalben Fahnen,
die Glocken ratschen Leichenlisten straßauf, straßab,
auf dem Ringe wird ein »Hindenburg« genagelt,
die gut gepolsterten Pensionäre
rülpsen sich ein schönbesoldetes »Durchhalten« zu,
und die Stadträte strahlen ordentlich in dem Empfinden,
daß sie sich jetzt so ehrpusselig wichtig vorkommen.
Dabei nehmen auf den Promenaden zusehends die Bänke ab.
Und im Stadtpark ist am Morgen immer
von Zäunen und Geländer mehr und mehr gelichtet.
Aber dickbäuchig wölbt sich ein wohlbesternter Himmel
aus Lehrern, Bürgermeistern, Pferdejuden und
Medaillen-Nutten.
Weihnachten 1915
Dem herzallerliebsten Lenilein zur Weihnacht 1915
(Mit Heinrich Manns »Herzogin von Assy«.)
1
Du sagtest einst zu mir mit hartem Munde,
dir seien meine Lieder längst verhaßt,
und: daß der Stern von unserm Liebesbunde
in dem Gewölk der Worte nur verblaßt.
Und: daß es leichter sei, das Knie zu beugen
im Spiele selbstgefällger Melodien,
als mit dem Opfermut des Martyr-Zeugen
in Wahrheit unterm Henkerschwert zu knien.
Da fielen meine Verse wie verdorrte
Rosen im Eishauch deiner Mörderworte,
daß alles plötzlich in Erstarrung lag.
Bis leis aus deinem lächelnden Gewähren
Musik jetzt wieder steigt zu Sternensphären
an unsrer Liebe neuem Weihnachtstag.
2
Du wirst mein Herz noch in Äonen bleiben,
denn ohne dich ist meine Brust entblößt -
oft muß mein Irrsein dich in Trauer treiben,
dann bin ich immer wieder unerlöst.
Und ängstet dich mein ringendes In-Büchern-
Verbittert-Sein und-Sinnlos-Eingenagt -
ach, ohne dich bin ich ein irres Kichern,
das ruhlos durch verlorne Lauben jagt!
Und schweif ich seelenlos durch fremde Scheiben
um Betten, die ein Dämon mir entblößt -
du einzig wirst mein Herz für ewig bleiben,
durch dich nur wird mein Leid im Lied erlöst!
3
Wenn in unsern eingeschneiten Wald
der verirrten Pilger Stimmen wehen,
deren Wege noch am Saum uns gehen
eine kleine Weile . . ., aber bald
sich ins Ungewisse weit verlieren,
daß uns nicht ein Hall von ihnen bleibt,
(Wie ein Spötter lässig, beim Spazieren
in den Schnee zwei flüchtge Worte schreibt):
Bin ich wieder herzlicher geborgen
in der Obhut deiner Liebesbucht
und erlebe jenen Hochzeitsmorgen,
den der Wandrer stets vergeblich sucht.
27. 12. 1915
Bald sind mir alle Lichter ausgelöscht
Bald darf ich keines mehr von diesem allen haben:
vom dürftigen Lametta auf dem Weihnachtsbaume,
der allzu früh in kahler Wirrnis stört
und abgetakelt ist; vom Hüsteln, das ein Ruheloser hört
die ganze Nacht, wenn an des Bettuchs Saume
unsichtbar Hände grasen; vom erstickten Schlingenwurf,
mit dem die Raben
den Morgenweg durch tauenden Schnee mir
Taumelnden verfluchen -
und Glas und Flasche bleibt mir leer, und meine
angstzerfetzten Augen
suchen umsonst ein letztes Flimmern auf den raumlos
jäh entrückten Gaben
und schreien, weil sie dieser keine fürder
schmecken sollen - -
und schon ist Marter ... ist schon nicht mehr Marter . . .
und schon rollen
sinnlos zerschlagne Trümmer, niemals noch zur Form
zu fügen - -
und alle Lichter löschen aus und lügen
nicht mehr.
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