Gedichte 1912

Gedichte

1912

Alle Zeitangaben zu den Gedichten geben das Datum an, dem der Text zugeordnet werden konnte.
Bezug hierzu sind die Angaben aus der Sammlung der 1987 von Klaus Völker herausgegebenen Gedichte.


Inhalt

Das Requisit

Der Souffleurkasten

Albine und Aujust

Die Geschehnisse des Neißer Sonntagmittags

Blausäure

Maibowlen-Festgesang

Mittag im Krankenhaus

Nächtliche Heimkehr (1)

Das elektrische Klavier

Nächtliche Heimkehr (2)

Das Gebet des Novizen

Spaziergang in den Wällen

Das eine Dorf

Das andere Dorf

Der ewige Student

Am Fluß

Zirkus

Konzertgarten

Abend am Jahrmarkt

Der Herr der Villa »Amalia«

Phasen eines Regentages

Szene im Winterabend

Du bist mein See Genezareth . . .

Mitternächtig

Wallfahrt zur Weihnacht

 

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Herbst 1911

Das Requisit

Es war mal eine Bank von Holz,
die durfte auch als Steinbank dienen,
und darauf war sie furchtbar stolz
und griente mit vergnügten Mienen,
wenn Tell von ihr erzählte
und sie zur Ruhstatt wählte.

Da kam ein neuer Regisseur,
der immer Echtes wollte,
O Bank, nun trifft dich ein Malheur!
Er fand sie, spie und grollte:
die Bank mag ich nicht halten,
ihr sollt draus Brennholz spalten!

Und ob die Bank auch schnob und schrie,
als wollt sie Helden spielen,
das half ihr nichts, man packte sie,
Axthiebe schmerzlich fielen.
Die Charge heizt den Ofen mit.
O armes Requisit!


1912

Der Souffleurkasten

Ein alter Souffleurkasten, runzlig und grau,
träumt im leeren Theaterbau.
Er träumt von einer Drehbühne jung,
er sieht sie kreisen mit Grazie und Schwung,
er möcht ihr gern im Vorübergehn
seine innigste Herzensneigung gestehn,
doch er kommt nimmer dazu, dieweil
vor ihm schon wieder ein andrer Teil
seiner Geliebten! Wie stöhnt er laut!
Doch hinter seinem gebückten Rücken
gähnt der Saal vor dem Weiternicken.
Und die Bühne zirpt: »Bin ich nicht schön gebaut?«
Und lächelt aus allen Versenkungen hold.
Der Vorhang starrt stier wie ein Tugendbold.
Der alte graue Souffleurkasten hockt
ganz verstockt.


12. 03. 1912

Albine und Aujust

Eine magre Zirkusprinzessin im roten
Schmierentrikot reizlächelt verboten.

Ein gelblicher Gauner im Hintergrund grinst,
weil solcher Fratz sich zehnfach verzinst.

Und klatscht mit der Peitsche seelenroh
eine zage Wölbung im Schmierentrikot.

Hinter dem Vorhang winselt zerknittert
ein schiefer Poet, der den Schwindel wittert.

Die magere Zirkusprinzessin flötet:
»Du hast meine junge Liebe getötet!«

Der gelbliche Gauner wie dienstbeflissen:
»Dir hamm se woll mit de Muffe jeschmissen?«

Der schiefe Poet schwitzt fürchterlich:
»Ich liebe dich! Ich liebe dich!«


26. 04. 1912

Die Geschehnisse des Neißer Sonntagmittags:
An dir träumt meiner Hände Lust sich groß!


Und Sonntagmittag immer auf und ab
den Bummelsteig hinter den Jahrmarktsbuden,
vor ihren Läden spreizen sich die Juden —
und geile Böcke setzen sich in Trab.

In meinem Hirn lockt manche Phantasie,
blüht Wedekind und Hauptmann, und der Reigen
der Brüder alle und das große Schweigen
und Ewigkeit und immer wieder: sie!

Ganz rabenfremd um mich der Kleinstadt-Wust:
Kommis, verschnackte Allerweltskusinen,
Spießer mit feisten Mädchenhändlermienen,
und dann und wann ein Orden an der Brust.

Blödsinnige Bauern, die im Wege stehn,
und Offiziere, die sich schrecklich öden,
und aus der Probe schmalzige Tragöden,
mit abgeschminkten Chor- und Chargenfeen.

Aus einer Stube Phonograph-Geplärr,
und dann ein vager Duft von Schweinebraten,
Stadträte, mit dem Blick von Potentaten,
und ich ganz fremd, mit Leni und dem Kerr!

Berlin und München und ein Stückchen wie
von fremdem Leben blühend mir im Blute:
Franziskus, Willi, Dagmar — liebe, gute
in Ewigkeit — und immer wieder: sie!

An ihr träumt meiner Hände Lust sich groß:
sie gleiten zag empor an schmalen Beinen,
bis sich die taumelnden im Kampf vereinen,
und falten betend sich in deinem Schoß!

Dich fühl ich wie ein Bild von Fely Rops -
aber ein Lümmel tritt mir auf die Hacken,
ein Halsabschneider reizt durch dicke Backen,
und eine Type ärgert einen Mops.


11. 05. 1912

Blausäure

»Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch
Lied! Ein leidig Lied!«

Der Präsident von Erffa
ist sehr ein Strafverschärfa.

Er gleicht im Farbenzorne
dem stolzen Tier vom Horne.

Den jottverfluchten Roten
wird janz det Maul vaboten.

Wacht eener noch zu mucksen,
jleich jiebst wat uff de Buxen.

(Wer sprach von Dieb und Hehler?
det war nur een Sprachfehler!

Bei Herren von der Rechten
ist das Komment im Fechten!)

Und will wer protestieren,
so setzt es uff de Nieren!

Redt eener schlecht vom Krüge,
Schwapp! Eene fette Rüge!

So ficht der Herr Verwaltar
erbost für Thron und Altar.

Kämpft dreist für Reich und Kaiser,
und brüllt sich völlig heiser.

Auch dann gen Sozis, Welfen
weiß er sich fein zu helfen.

Wozu hat's, liebe Christen,
bei uns sovüll Polizisten?

Herr Erffa läßt se holen,
die Räudels zu versohlen.

Ein Leutnant, rosenrot und braun,
rückt ein mit einer Schar von Blaun.

Die zerrn voll Mut und Hitze,
die Sünder von dem Sitze.

Et werden die Jenossen
jlatt vors Lokal jestossen.

Det janze hohe Haus, det sieht
jetzt jänzlich aus wie Moabit.

Der Spruch paßt auf die noblen Herrn:
Jleich und jleich jesellt sich jern!

Die Blauen hier und dorte,
s'is janz dieselbe Sorte!

Nu sind se richtich unter sich:
Blaue und Schwarze briederlich!

Polypen, Junker, Heilige Väter:
die jottjewollten Vulksvatreter!

Der blaue Montag ist nun da!
Schwarzer Adler, hurrah, hurrah!

Wat nutzt een Parlament,
wo welche renitent?

Die Liberallen und Sozi,
die sind jetzt, wissens, tot, Sie!

Still ruht der See. Es schwimmt darauf
eine Glocke und ein Säbelknauf.

Und auf dem tiefsten Grund im See
liegt's Strafjesetzbuch. R.i.p.!


20. 05. 1912

Maibowlen-Festgesang

Die vielen Gärten rings um die Stadt und den Fluß entlang,
überall Wolken von Blüten über Plätzen und
               Promenaden,
überall zwei liebende Menschen auf einer Bank,
immer wieder wir zwei in hundert Maskeraden!

Zwischen rosa und lila Schleifen schimmert ein schlankes
               Bein . . .
alle Mädchen haben Flieder an ihren Blusen,
die weiß blühn wie duftende Sträuße im Sonnenschein,
und selbst die albernsten Gänse werden zu mailichen Musen.

Aus einer Schule strömt von Kinderstimmen ein
               pfingstlicher Chor,
ein greller Zigeunerwagen jauchzt grasgrün mit blumigen
               Läden.
Unsre lachende Liebe, die sich durch die ganze Welt verlor,
umspinnt jedes Ding, jedes Tier, jeden Menschen mit
               ihren flimmernden Fäden.

Jeder spürt, wie sehr das Glück zu verzaubern vermag,
die kleinsten Mädchen haben plötzlich einen Busen
               und lächeln verheißend,
die fremdesten Leute wünschen einander »Guten Tag!«,
sogar der Kellner Liebenswürdigkeit ist geradezu
               hinreißend.

Konzert und Singen und Ständchen. Musik macht alle jung.
Aus jedem Hause jubeln aufgetaute Phonographen,
die Gassenkinder drehn sich im neuesten Tanze voll
               Schwung
bis in den Morgen hinein, und gehn überhaupt nicht
              mehr schlafen.

Ein Ferienzug wirft seine Rauchmütze hoch, jagt in
               blühendes Land,
wie buhlende Schlangen dehnen sich wohlig die Schienen,
an allen Coupefenstern lehnen zwei liebende Menschen
               Hand in Hand,
und ich und du sind mit ihnen und in ihnen!


09. 07. 1912

Mittag im Krankenhaus

Schmerzen brüten unter Mittagsdächern,
wo sich Fiebernde in Wunden greifen,
und Gelähmte mit dem steilen, steifen
Rücken schlürfen durch den Kreis von Schächern.

Aus Fabriken fern schrillt grelles Pfeifen,
aber ihnen klingt's wie Ruf von Rächern,
die mit Zweigen nah'n und kühlen Fächern
und die Binden von den Wunden streifen.

In der Gummizelle tobt ein Säufer,
einer schreit wie ein gequältes Tier,
andre löffeln grinsend ihre Suppen.

Unten schellt verstockt ein Eisverkäufer,
irgendwo spielt jemand schlecht Klavier,
irgendwo erschrecken Autohuppen . . .


10. 07. 1912

Nächtliche Heimkehr (1)

Oh, diese Nächte in den kleinen Nestern,
wenn man aus Kneipen kommt von feigen, faden
Bierbankgesprächen, heut so öd wie gestern,
und langsam heimwärts hinkt mit wehen Waden.

Und trunkne Wächter rülpsen: »Euer Gnaden! -«
Man denkt gerührt noch der zwei blassen Schwestern,
es mahnt ein Unterton: »Du mußt doch baden -«
und Scham ob seinen reichlichen Semestern.

Und eine Katze pendelt durch die Gasse,
und fernes Schießen eines Nachtmanövers
und Kinderschrei und irgendein Getöse -

Und dumpf schließt man das Tor und denkt: »Ich hasse
euch alle sehr -« - und freut sich seines Oeuvres
und saust ins Bett und lächelt blöd und böse.


10. 07. 1912

Das elektrische Klavier

Dies ist Oase für die Halbbetrunknen,
der Clou im schlechtgelüfteten Lokale,
wo Schnapsgeruch und der verdorbne, schale
Parfümduft lastet auf den Hingesunknen.

Und Zigarettenrauch umhüllt die Ampel,
die rot verlockt, und von den Speiseresten
blieb dick ein Dunst und Ahnung von Gebresten
zuckt auf und manchmal ängstet ein Getrampel.

Und plötzlich glühen blau und gelb die Birnen,
die sich geschmacklos recken aus den Stirnen
blödsinnig ausgezogner Weibsfiguren.

Dann klappert schwer der neuste Gassenhauer,
da grinst beglückt ein sehr betrogner Bauer
und selig räkeln sich die Kellnerhuren . . .


Juli 1912

Nächtliche Heimkehr (2)

Dies Tappen durch die Gassen, die mit hohen
verhangnen Häusern dreist und drängend drohen,
in nassen Nächten, wo der Regen rinnt
und Dunst und Dämmerung um Spitäler spinnt.

Und irgendein Betrunkner rülpst in rohen,
verwirrten Worten und die Lichter lohen
aus fernen Fenstern und man starrt und sinnt
und fühlt im Blut, wie alles rinnt und rinnt. . .

Und irgendwer hält plötzlich eine Rede,
und neidisch grinst man einem Pärchen nach
und blickt empor zum Fenster der Scharmanten,

und wünscht sich in sein Bett jede und jede
und schmückt mit geilen Träumen sein Gemach
und mit geheimen Festen, sehr galanten . . .


14. 07. 1912

Das Gebet des Novizen

Laß mich die Schwelle deines Tempels küssen!
Ich weiß, ein andrer wird der Priester werden
in deinen Hallen und an deinen Herden---
So laß mich deines Tempels Schwelle küssen!

Und laß mich schaun dein Allerheiligstes!
Das immer blüht in meinen Lustgedanken,
um das sich meine reichsten Träume ranken - - -
O, laß mich schaun dein Allerheiligstes!

Und meinen Händen gib ersehnte Feste!
Sie sind so bleich von Selbstkastein und Fasten
O, laß sie zärtlich den Altar betasten!
O, gib den Duldenden ersehnte Feste!


18. 07. 1912

Spaziergang in den Wällen

Man geht verborgen durch die alten Wälle
und schlägt gelangweilt mit dem Stock nach Zweigen
und ärgert sich an seinem eignen Schweigen
und plötzlich denkt man alle Todesfälle.

Die uns bedrückten in der Jahre Reigen,
und bebt, daß dies den ganzen Tag vergälle;
wie aus Fontänen wunderliche Bälle
die Schmerzensdaten aus dem Geiste steigen.

Man denkt des Freundes, der vor Jahren schied
und den man fast verriet und recht vergaß,
der unser Hirt in Höllen und in Himmeln. -

Soldaten ziehn und schrein ein wüstes Lied,
ein brauner Hund wälzt sich auf einem Aas,
das widerliche Würmer überwimmeln.


17. 07. 1912

Das eine Dorf

Hier ist ein Herrengut mit düstrem Park
und eine Kirche und zwei scheele Schänken,
und eine Schule mit ganz alten Bänken,
und eine wüste Mauer, steil und stark.

Und eine Pfütze, wo sie Tiere tränken.
Und alles tot als wie in einem Sarg,
und alle Menschen ohne Mut und Mark
und ganz verzerrt von Rache, Neid und Ränken.

Der Greise Mienen zetern: »Alle taugen
die Jungen nichts!« — Oft kommt auch ein Gendarm,
sehr roh und stolz auf alten Henkersruhm.

Und alle Mädchen machen kalte Augen,
und jeder Mann hat seine Frau am Arm,
wie ein erworbnes, sichres Eigentum.


17. 07. 1912

Das andere Dorf

Alle Mädchen und Frauen tummeln sich frei
mit bloßen Brüsten und offenem Haar,
nirgends ein Kreuz und ein weher Altar,
und die Wagen wehen bekränzt vorbei.

Die Männer lieben Gelag und Gefahr,
Spiel und Ringkampf und Jubelgeschrei,
Betthasen hat jeder mindestens zwei,
und Bruder und Schwester sind wie ein Paar.

Keiner mit einem dröhnenden Amt,
das auf den andern wie Alpdruck lastet.
Keine, die grämlich als Jungfrau verbleicht.

Keine, die frech vergällt und verdammt.
Jedem Wanderer, der hier rastet,
wird Mahl und Lager und Liebe gereicht.


21. 07. 1912

Der ewige Student

Er hat ein Bierherz und ist Patriot,
nach jedem Schoppen muß er Schnäpse trinken,
er nimmt zu Fleisch und Wurst niemalen Brot,
und er verachtet alle, die sich schminken.

Auch wer ein Armband trägt, ist ihm verhaßt,
er haßt Semiten, Sozis und Ästheten.
Er wünscht, daß »man sie möglichst scharf anfaßt«,
und nennt sie »Lumpenpack und Sauproleten«.

Die Hände haben Tatterich, und schwer
wölbt sich sein Bauch, und Haare hat er wenig,
er liebt so Worte: »Unser tapfres Heer«
und »Vaterland« und »Der erhabne König«.

Er liebt Friseure, die sehr dienstbereit,
und Kutscher, Kellner, Wirtinnen und Dirnen,
der Sang an Ägir ist ihm Seligkeit,
die Marseillaise kann ihn sehr erzürnen.

Seit fünfzehn Jahren ist er ein Student,
die Füchse läßt er unermeßlich saufen,
er redet große Töne im Konvent
und schwärmt für Ramscherei und forsches Raufen.

Dagegen ist er über jeden Streik
haushoch empört, auch haßt er dicke Bücher,
viel Schmisse zeugen, daß er gar nicht feig,
und das Delirium ist ihm ganz sicher.

Er wünschte sehr, Herr Staatsanwalt zu sein,
zumindest Bürgermeister von Filehne,
er wird gerührt, fällt ihm die Jugend ein
und seine schöne Fuchsenzeit in Jene.

Kaisergeburtstag ist sein liebstes Fest,
da grölt er stramm mit schneidigem Geschmetter,
er hat auch Rüder gern aus Budapest,
das Wirtshaus an der Lahn und Kiesewetter.

Bis mittags schläft er, dann verweilt er gern
in seinen Kneipen bis zum nächsten Morgen,
er ist das Schmerzenskind des alten Herrn,
der alten Jungfer Schwester Stolz und Sorgen.

Pump und Versetzen sind ihm Hauptmetier,
er weiß die Farben jedes bess'ren Bundes,
den Tag beschließt er stets im Nachtcafe,
dort sucht er sich was Feistes und recht Rundes.

Er ist der Wichtigste im Stammlokal,
des Wirtes Freund, die Freude aller Ober,
sein Blick ist stier, sein Sinn ist national,
und seine Nase leuchtet wie Zinnober.


Mitte 07. 1912

Am Fluß

O Sonnenlichter auf den nackten Gliedern!
Und Knaben, die sehr zag ins Wasser gleiten,
und braunere, die auf dem Sande schreiten,
und dann Soldaten mit verwegnen Liedern.

Und andre, die ein Pferd ins Wasser reiten,
und Mädchen gehn vorbei mit festen Miedern,
die einen kecken Gruß ganz dreist erwidern
und schwüle Blicke auf die Nackten breiten.

Die dehnen sich und zeigen vor den Frauen
der Muskeln Macht und manche ringen scherzend,
und manche spritzen nach den weißen Röcken.

O Braun und Weiß unter dem Himmelsblauen,
o grelle Sonne, schwer und beinah schmerzend,
o Rauch herüber von den Häuserblöcken!


23. 07. 1912

Zirkus

Es ärgert Schweiß und Schwüle unterm Zelt
und Tiergeruch und Staub und sehr viel Grau,
ein Blechorchester macht gequält Radau,
und dann erscheint »Der größte Clou der Welt«.

Hoch am Trapez ein Kerl in grellem Blau,
der Gesten macht wie ein gezierter Held,
dann ein dressierter Pudel, der sehr bellt,
und dann auf einem Drahtseil eine Frau.

Dann Tiere, welche oft geschlagen werden,
und Clowns mit abgeschmackten Gassenwitzen
und Damen im Trikot auf magren Pferden.

Und Akrobaten mit uraltem Trick.
Und rings viel Bauern, die ganz reglos sitzen,
in stillem Staunen, andächtig und dick.


 

25. 07. 1912

Konzertgarten

Die alten Bäume starren wie Kulissen
um das Orchesterhaus. Der Dirigent
und hier und da ein Kopf im Instrument
entwachsen puppenfahl den Finsternissen.

Dann tost ein Marsch mit wildem Temprament,
ein ungarischer Tanz wird abgerissen,
und eine Winselei, ganz gramzerbissen,
verstäubt mit leicht exotischem Akzent.

Ringsum hockt Spießerpack bei schalem Biere
mit trüben Töchtern, die sich trostlos spreizen,
und Flegelsöhnen, unbeholfen geckig,

und alle schielen auf die Offiziere,
die durch sehr lautes Wichtigtuen reizen,
und tuscheln unter sich und grinsen speckig.


28./29. 07. 1912

Abend am Jahrmarkt

Aus den zerschlissenen Buden lauern schwelende
               Lampen
über Tüchern und Tand und Bildern und Pfefferkuchen,
speckige Weiber wackeln, mit glänzenden Wangen,
und magre Hausierer, die über schlechte Geschäfte fluchen.

Einer mit einem verruchten Gesicht hat Kruzifixe,
einer hält Blumen feil aus Papier und Gipsfiguren,
Schürzen und Hemden preist schmatzend an eine
               schlampige Schickse,
ein krummbeiniger Zwerg läßt kleine Pappäffchen
               hüpfen an Gummischnuren.

Braune Kerle sind da, die irgendwas Seimiges braten.
Aufgestapelt sind nebeneinander Hosenträger,
               Uhrketten und Ansichtskarten,
sehr bewundert von Eisenbahnerfrauen, Dienstbolzen,
              Soldaten
und von Kindern, die sich ein Gaudium erwarten.

Und ich schreite dahin, und mein liebewerbendes
              Winken
gleitet trostlos von mürrischen Mädchen ab,
             wie für immer vergessen.
Wißt ihr denn, Mädchen, nicht, die ihr jetzt mein
             Träumen laßt grausam ertrinken,
daß ich euch alle ja doch schon einmal in meinen Träumen
              hab ganz, ganz besessen!

Du allein hast dich huldreich geneigt meinen welken
              Wünschen,
hast mein Erkalten gewärmt und mich in Frieden gebettet!
Widrige waten vorbei mit hämischen Flünschen,
trächtige Zauchteln mit wackligem Kopf,
               verfilzt und verfettet.

Wie nur bring ich dich rein durch all diese grinsenden
               Greuel,
armer Christophorus ich, mit dem Kreuz auf dem Rücken,
keuchend durch knirschende Knäuel
dumpfer Dinge, die drängend drohen und drücken!

Sieh, ich bin wieder ein Kind: und ich will dir ein
               Äffchen schenken,
das grotesk am federnden Bändchen baumelt,
wenn du dann mit ihm spielst, mußt du lächelnd
               meiner gedenken,
der wie ein Falter um deiner heiligen Blüten
               Düfte taumelt.

Einer fängt mürrisch an, seinen Schwindel einzupacken,
hier und dort schachert noch ein kläglicher Kunde.
Ich wanke, denn ich fühle deinen weichen Nacken
und deine warme Brust immer an meinem Munde . . .

Ein Polizist schnauzt protzig zu einem verlotterten Luder,
seine Hunde sehen hungrig aus und wie Hyänen.
Ich tappe umhüllt vom Markt wie ein betender Bruder,
in meiner Träume Reliquienschrein trag ich alle
               deine Tränen.

Schon schnürt jeder seinen Bettel zusammen,
löscht die Laterne und schließt die Baracke,
beim Kuchenbäcker verzucken langsam die letzten Flammen,
und der Hausierer verkriecht mit seinem Raritätensacke.

Jeder wärmt in der Schenke die heiser gebrüllte Kehle
               mit streichelnden Pünschen,
rechnet und zankt und zetert auf Kauf und Kollegen -
du allein hast dich huldreich geneigt meinen
               welken Wünschen,
du führst mich glücklich heim und bettest mich ganz
               in Friede und Segen!


August 1912

Der Herr der Villa »Amalia«

Zu Mittag gab es weiche junge Ente,
mit vielen Klößen und gedämpftem Kohl.
Nachdem er eine Stunde prächtig pennte,
fühlt er sich wie ein junger König wohl.

Er trinkt dann Kaffee und raucht Zigarette
und liest dazu sein Leib- und Magenblatt,
dann macht er sehr ausführlich Toilette
und fährt im Auto protzig nach der Stadt.

Dort gibt's im Club ein Spielchen mit Finessen,
ganz ruhig, ohne Kibitz und Skandal -
hierauf begibt er sich zum Abendessen
in ein sehr altes, gutes Weinlokal.

Dann folgt ein Intermezzo in der Loge
des Varietes, wo sein Verhältnis singt,
worauf er sie, voll Würde wie ein Doge,
ins Kabarett »Zum roten Ferkel« bringt.

Dort stört er die Soubrette, reizt den Dichter
und lädt zuletzt sie alle ein zum Sekt,
dann zecht er mit dem lausigen Gelichter,
das ihn umwirbt und ihm die Hände leckt.

Drauf ist die Bar der Schauplatz seiner Feste,
er schlürft beschwipst Absinth und Prince of Wales,
sein Zoten ödet alle andern Gäste,
er fliegt hinaus als Führer des Krakeels.

Er wankt zuletzt ganz einsam durch den Morgen
nach dem Cafe, der Huren Stelldichein -
hier muß er beim bekannten Ober borgen,
er lallt zu jeder Schneppe: »Süßes Schwein . . .«

Er läßt die Geiger »seinen« Walzer spielen,
wirft in der Dirnen Blusen manche Mark,
bis er beginnt zu stieren und zu schielen,
und nur noch vor sich hin grunzt: »Blöder Quark!«

Im Auto wird er dann zurückgefahren,
durch die Alleen, die Sonnenschein umblüht,
er spürt ein dumpfes Zerren in den Haaren
und seine Seele ist wie Dynamit.

Er liegt bis zum Diner wie tot im Bette,
bis er gerührt auf Entenbraten sieht,
da taut er wieder auf, frißt um die Wette,
worauf wie oben sich sein Tag vollzieht.


14. 08. 1912

Phasen eines Regentages

Die Geliebte geht im Regenmantel.
Ich bin auf dem Boden mit meiner Hantel:
Kraft, die sich umsonst verpufft.
Nässe fällt durch die Sommerluft.

Mein Hund frißt Gras. Er wird sich erbrechen.
Ich fühl in der Nähe des Blinddarms ein Stechen,
ich fürchte mich so vor Operation.
Meine Miene erstarrt in Hohn.

Kleine Kinder manschen im Drecke,
martern andachtsvoll eine Schnecke.
Ein weibliches Balg macht die Beinchen breit,
zeigt ein fatales Stück Fleisch und schreit.

Meine Erotik ging längst flöten,
es ist Zeit, sich abzutöten.
Alle Bänke sind heut naß.
Haß!

In einem Wirtshaus dann mit Leuten,
die mir nicht einen Heller bedeuten.
Langweil, Zote, Zank verdrießt.
Ohne Schirm nach Haus, es gießt.

Stieres wie im Käfig Schreiten.
Aus dem Maupassant zehn Seiten.
Ein paar Zeilen Poesie.
Dunkel, Denken, Onanie.

Meine Liebste hat schmale Beine.
Morgen kommt der Hund an die Leine.
Meine Freunde lesen Karl May,
ich bin mehr für Schweinerei!

Ich hätte gern den Marquis de Sade.
Ob ich morgen vormittag bade?
Die schönen Mädchen sind meistens dumm
Schließlich würgt ein Traum mich stumm.


28. 08. 1912

Szene im Winterabend

Rote Rosen in der Hand
promeniert ein Leutenant.

Eine Bühnennutte Wanda
glubscht auf der Cafe-Veranda.

Sieben kleine Mädchen beben:
der Behelmte grüßt ergeben.

Schminke zahlt und schielt gerissen
und verfliegt im Ungewissen.

Auch der Leutnant fließt gelind
in die Gegend und verrinnt.

Sieben kleine Mädchen schwitzen
stier nach ihren Fingerspitzen.

Fremd glimmt mancher Stube Licht
was Gewisses weiß man nicht.


02. 09. 1912

Du bist mein See Genezareth . . .

Du bist Gott meinem greisen Gebet.
Du bist mein See Genezareth.
Legst du deine schmale, braune Hand
auf meinen Arm,
blüht heimatwarm
um mein Herz das Morgenland.

Du bist ein Wald, in dem sich mein wehes Verlangen
wie ein Echo fängt.
Du bist Asphalt, darüber mein Liebesbangen
als Bogenlicht hängt.

Meine Finger krümmen sich vor Lust
wie Schlangen,
träumen sie von deiner braunen Brust
und deinen seidenen Wangen.

Die Haarnadeln, die du auf meinem Spiegel vergißt,
sind mir ein seliges Segenssiegel aus Amethyst.

Die Briefe und Karten
und das Stück von deinem allerheiligsten Strumpfenband,
o Sancta Christ!,
sind mir ewiges Glück und ein Duften von Morgenland
und ein grüßender Garten,
darin ich alles leuchten fand,
kehrt ich zurück, von irrenden Fahrten,
zerzaust, im Pilgergewand - -
O deiner Augen Blaublumen Brand!

O berückendes Rund
deiner Knie!
So zart blüht dein Mund, wie
von Mozart eine Melodie . . .

Deine duftenden Röcke sind wie eine lockende Laub

O, die Sehnsucht nach dir umweht
immer und immer meinen verirrten Geist,
wie der Wind um das Gebet
segelnder Luftpiloten kreist.

Sonne meinen weißen Boten!
Du mein See Genezareth!
Meine Inbrunst schwebt über dir als silberne Taube . . .
An deinen Ufern kniet im Staube
schluchzend dein Prophet.


22. 11. 1912

Mitternächtig

Der Mond täuscht Tageshelle vor,
ein Liebespaar verfließt im Tor,
durch Ritze eines Ladens bricht
verräterisch noch Schenken-Licht.

Ein Mann spürt eine Krankheit nahn.
Rangiergeräusch der Eisenbahn
verschmilzt mit trunkner Leute Lärm.
Ein Weib hat Schmerzen im Gedärm.

Und ein verliebter Dichter fühlt,
wie Sehnsucht seine Scham zerwühlt,
und gräbt sich tiefer in sein Bett.
Verstohlen orgelt das Klosett.


um Neujahr 1913

Wallfahrt zur Weihnacht

O Wege vor Weihnacht durch winkende Waren,
O Wandeln durch Wolken von wunderbaren Farben
und Früchten und Spangen und Spielen
und Wogen der Vielen und Abervielen!

O duftende Dame im schwülen »Fedora«,
parfümierte Samtkatze aus Angora,
O Weihnachtsengel mit lieben Paketen,
Selig beladene Fee der Poeten!

Und Abendgänge in Vorstadtbezirken,
wo Lampenmaste wie blühende Birken
ins Dunkel wachsen mit flammenden Kronen,
und Christbäume kauern auf Neubaubalkonen.

Und eines Autos hinstäubend Benzin
schenkt schnell einen Traum vom Erlebnis Berlin,
von späten Pilgern am Kurfürstendamm
und heimlichen Fahrten wundersam .. .

Doch immer im Blute die eine, die fern
in fremden, feindlichen Feldern und Stern
über nie erreichbaren Nächten und Nöten -
daß man geht mit einem Blick, wie zu töten!

Mit einem Mörderblick durch alle
Blüten und Blitze und Krist-Kristalle,
marternd versengenden Fluch im Hirne:
die den Heiland gebar, ist eine Dirne!

Und mußte tragen sein zeitlich Leid . . .
Er trägt ihr Kreuz in Ewigkeit!
Aus Weihnachtsstiegen und Sternen noch steigen
Golgathagram und ewiges Schweigen.

Durch das Kurfürstendamm-Cafe
fließt, wie ein Blutstreif über Schnee,
der tödliche Schauer erstarrend zu Stein:
die Welt ist Weh und Einsamsein,
. . . ist Einsamsein!


 

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