Franz Werfel - Der Gerichtstag

Franz Werfel - Der Gerichtstag



Kurt Wolff Verlag
Leipzig - München
1919


Inhalt

Erstes Buch
Die Geburt der Schatten
Balladen
Ballade von Wahn und Tod
Ballade von einer Schuld
Ballade vom Nachtwandel
Ballade von zwei Türen
Kleine Ballade an die Schwester
 
Gesänge
Gesang der Memnonssäule
Novembergesang 
Dezembergesang 
Fragment der Eurydike
Der Ruf
Verlust
Vergessen
An eine Lerche
Trinklied
 
Erscheinungen
Der Gerichtsherr
Der Tempel
Das Gebet Mosis
Absalom
 
Aus dem Traum einer Hölle
Eintritt
Das Cafe der Leeren
 
Zweites Buch 
Stimme Gegenstimme
Die Leidenschaftlichen
Engel
Antlitz vorüberwehend
Die Schwestern von Bozen
Frauen
Verwundeter Storch
Gesang des heiligen Berges
Gesang von Gefangenen
Gärtner und Tor
Gewaltige Mutter
Gedächtnis der Sünde
Gesang eines Verdammten an die seligen Geprüften der Erde
Gesang einer Frau 
Anblick der Wahrheit
Lied
Nun ist in mir ein Tod
Gesang
Lied nach einem Tage
Benennung
Auch ich einfach
Das letzte Wort
 
Drittes Buch 
Phänomen
Ehrgeiz
Eitelkeit
Tod
Faulheit
Zweifel 
Schein
Trägheit des Herzens
Erstarrung
Schuld
Spur
Spiegel
Morpheus Senex
Morpheus Puer
Tiefes Erwachen
Schauder
Vision
Müdigkeit
Vergängnis I
Vergängnis II
Notwendigkeit
Verheißung
Völker
Geistige Freude
Schönheit
Phänomen
 
Viertes Buch
Laurentin der Landstreicher 
Sprüche
Proömium
Der Vorwurf
Warnung und Lehre
Der Mächtige
Der Nichtige
Der Fluch
Das Unrechte
All-Wirkung
Weiß und Schwarz
Unmut
Unwandelbar
Schicksal
Der Hexenmeister
Die Feuerpaten
Die Meister
An die Sibylle Mara
Dämonen
Die Lerche
Die Vollkommenen
Lobpreisung
Die Widersacher
An die Dichter
Geheimnis
Unwichtig
Was ein Jeder sogleich nachsprechen soll
Mein eigener Henker bin ich
Sein und Treiben
Gestörtes Gleichgewicht ist die Welt
Der weinende Zerstörer
Liebe
Der reine Mensch
Stufenleiter
 
Fünftes Buch 
Der Gerichtstag
Haus der Verfluchung
Vorspruch
Erwachen
Zerfall
Aus meiner Tiefe
An den Richter
Gebet um Reinheit
Gebet gegen Worte
Pfingstelegie
Einem Denker
Gebet
Der Feind
Hölle
Verwüstung
Trübsinn
Schwere Stunde
Gesetz des Bogens
Schrei
Bekenntnis I, II, III, IV, V, VI, VII, VIII, IX, X, XI, XII, XIII 
Die Vermaledeiung der Erde
Verfluchung
Der Dichter
Der Ritt
 
Geburt des Lichts
Wir nicht
Geburt
Gesang der Begrabenen 
Das Licht und das Schweigen
 
Nachtrag
Der Verwundete
Lüge I
Der Revolutionär
Der Dirigent
Schlafschauder
Frage
Der rechte Weg
Gnade
Auferstehung
Das Maß der Dinge
 

zurück zu allen Gedichten


Dieses Buch wurde zum größten Teil in den
Jahren 1916 und 1917 geschrieben

 

Erstes Buch
Die Geburt der Schatten

 

Ballade von Wahn und Tod

Im großen Raum des Tags, -
Die Stadt ging hohl, Novembermeer, und schallte schwer
Wie Sinai schallt. Vom Turm geballt
Die Wolke fiel. - Erstickten Schlags
Mein Ohr die Stunde traf,
Als ich gebeugt saß über mich zu sehr.
Und ich entfiel mir, rollte hin, und schwankte da auf einem Schlaf.

Wie deut' ich diesen Schlaf, -
Wie noch kein Schlaf mich je trat an, da ich verrann
In Dunkelheit, als mich eine Zeit
In mein Herz traf!
Und als ich kam empor,
In Traum auftauchend Atemgang begann,
Trat ich in mein vergangnes Haus, in schwarzen Flur durchs
   winterliche Tor.

Nun höret, Freunde, es!
Als ich im schwarzen Tage stand, schlug mich eine leichte Hand.
Ich stand gebannt an kalter Wand.
O schwarzes, schreckliches
Gedenken, da ich ihn nicht fand,
Den Leichten, der mich so ging an,
Und mich im schwarzen Tag des Tors geschlagen leicht mit seiner
   leichten Hand!

Es fügte sich kein Schein,
Und selbst das kleine schnelle Licht, das sich in falsche Rosen flicht,
Und unterm Bild verschwimmt und schwillt,
Das kleine Licht ging ein.
Es trat kein schwarzer Engel vor,
Kein Schatten trat, kein Atem trat aus dem kalten Stein!
Doch hinter mir in meinem Traum, aufschluchzend kaum versank
   das Tor.

Und auch kein Wort erscholl.
Doch ganz mit meiner Stimme rief ein Wort in meinem Orkus tief.
Und wie am Eichen-Ort ein Blatt war ich verdorrt.
Weh! Trocken, leicht und toll
Fiel ich an mir herab und fuhr in Herbst und großem Stoß.
Mich nahm ein Wort und Wind mit fort,
Das Wort, das durch mich stieß, das Wort mit dreien Silben hieß,
   das Wort hieß: rettungslos!

O letzte Angst und Schmerz!
O Traum vom Flur, o Traum vom Haus, aus dem die Frau mich
führte aus!
O Bett, im Dunkel aufgestellt, auf dem sie mich entließ zur Welt!
Ich stand in schwarzem Erz,
Und hielt mein Herz und konnte nicht Schrein,
Und sang ein - Rette mich - in mich ein.
Der Raum von Stein baute mich ein. Ich hörte schallen den Fluß
   und fallen, den Fluß: Allein.

Und da es war also,
Tat sich mir kund mein letztes Los, und ich stieg auf aus allem
   Schoß.
Im schwarzen Traum vom Flur zerriß und klang die Schnur.
Und ich erkannte so,
Warum da leicht und fein die Hand mich schlug,
Die schwach an meine Stirne fuhr,
Und meinen Gang geheim bezwang, daß ich nicht wankte mehr
   und kaum mich selber trug.

Und als ich ihn erkannt,
Den Augenblick, der mich trat an, da war ich selbst der andre
   Mann,
Und der mir hart gebot, ich selber war mein Tod.
Und nahm mir alles unverwandt,
Und wand es fort aus meiner Hand und hielt's gepackt: -
Genuß und Liebe, Macht und Ruhm und jammernd die Dichtkunst
   zuletzt.
Und stand entsetzt und ausgefetzt und ohne Wahn und aufgetan
und völlig nackt.

O Tod, o Tod, ich sah
Zum erstenmal mich wahrhaft sein, mich ohne Willen, Wunsch
   und Schein,
Wie Trinker nächtlich spät sich gegenüber steht.
- - Er lacht und bleibt sich fern und nah - -
Ich stand erstarrt in erster Gegen-Wart, allein, zu zwein.
(Ach, was wir sagen, lügt schon, weil es spricht.)
Ich fand mich, ohne Wahn mich sein, und starb in mein Erwachen
   ein.

Im großen Raum des Tags
Hob ich mein Haupt auf aus dem Traum und sah auf meinen
   Fensterbaum.
Die Stadt ging hohl, Novembermeer, und schallte schwer,
Der Himmel glühte noch kaum.
Ich aber ging hinab mit großem Haupt und Hut,
Und ging durch Straßen, rötliches Gebirg und Paß . . .
Mein Haupt vom Traum umlaubt noch. Ging mit dumpfem Blut.

Ich ging, wie Tote gehn,
Ein abgeschiedner Geist, verwaist und ungesehn.
Ich schwebte fern und kühl durch Heimkehr und Gewühl,
Sah Kinder rennen und sah Bettler stehn.
Ein Buckliger hielt sich den Bauch, und eine Greisin schwang den
   Stock und schrie.
Leicht eine Dame lächelte. Ein Mädchen küßte sich die Hand . . .
Und ich verstand, was sie verband, und schritt durch ihre Alchimie.


Ballade von einer Schuld

Am Rande Oktoberwalds, -
Der Morgen, alternder Schlaf,
Verfallen seufzte herbei.
Nachttiere wischten, eins, zwei.
Specht war noch nicht da.
Weiß schwang sich die Straße vorbei,
Ich fuhr mit der Straße vorbei.
Baum rührte mich an wie ein Ahn,
Verwelkender Abraham
Aus Blättern sang greise: Es sei!
Im Kreuz hing mir ein schwer Blei.
Mich führte ein Bann ohne Schritt.
Da fuhr aus dem Waldort ein Schrei,
Und zweimal und dreimal ein Schrei,
Ich weiß nicht, wer da Tod litt.
Es war eines Kindes Schrei,
Der mich entzweiriß, zerschnitt.
Es war von viel Männern Schrei,
Schrei war wie von Weibern mit.
Wie der Haufe, den Hufschlag zertritt,
Schreit, war da ein Schrei,
Wie flehenden Volkes Schrei,
Und doch nur wie Kindes Schrei,
Das den Tod von Würgern erlitt.
Daß Gott mir verzeih',
Mich führte die Straße mit.
Ich lief nicht, ich half nicht herbei!
Schnell machten die Winde es quitt.
Ich sagte: Du träumst nur vorbei,
Auf dieser Straße vorbei.
Es war nur ein Schreck und kein Schrei,
Und der Tag ist da, eins, zwei -
Die Schleier schleifen schon mit.
Die Felder voll leichten Geschneis . . .
Das Zwielicht schneit leicht ohne Schrei,
Die Felder weiß schweifen herbei.
Ich sagte: Du wachst dich schon frei.
In Tag dich und Frische schon frei.
Erzväter drohten mir fein
Mit schüttelndem Laub, und ich glitt
Aus dem Meiler in Tag und in Schritt,
Aus Weiler und Einsiedelei,
Aus dem Waldbann in Tag und in Schritt.


Ballade vom Nachtwandel

Nachtwandelnder Gesang, Gesang von Wandel und Nacht!
Gesang aus Blindheit! Sang nicht mein und dein! Gesang im
   Rollen,
Gesang im Altertum der Nacht! Wir gleiten über freie Schollen
Mit Flügelfüßen, Schritten ungefühlt, bewußtlos überwacht.
Wie unser Wandel sich hebt, wie unser Schritt sich lebt, ist von
   Gewicht
Das Obere behängt, die Brust bedrängt, der Atem überfrachtet
Von Last, die wie schlafendes Kind um uns sich flicht.
Von Last, die wir einst als für nichts erachtet.

Was ist, daß wir wandeln mit allzu großem Haupt,
Doch leichten Fußes vor uns das Unbekannte tragen?
Von fern, den wir nicht sehn, ein Baum naht halbentlaubt
Uns groß mit Hundeblick, nur daß er sei, zu sagen.
Was ist, das nun von oben eingeflößt -
-Nacht, die hinsingt, und ein Gesang, der nachtet -
Ertönt, und schwerer sich von unseren Lippen löst
Gesang, den wir einst als für nichts erachtet.

Warum, ist dieser Nacht Erde wie Traum und Rauch,
Daß wir wie Geister was uns unten hält nicht fühlen?
Wir sind so leicht und schwer, wenn große Blum' und Strauch
Vorbei geschlossenen Augs in unser Wehen kühlen.
Leicht hinter uns fällt Rohr und Lattich zu
Wie Totes, das sich zu verbergen trachtet,
Die Nachtwelt leer erweht von leerem Du,
Vom Du, das wir so sehr für nichts erachtet.

Und doch, warum die Last auf uns, Last wie von Mord,
Als hätten altes Urteil wir längst vergessen.
Wir wollen uns erinnern, doch der Ort,
Ort aller Nacht versagt, was wir besessen.
Verließ ich eine Frau, die starr nach mir ergraut,
Verriet den Freund, der in Katorgen schmachtet?
Durch Leere und Raum uns kein Gedenken taut
Nach dem, was wir zu sehr für nichts erachtet.

Nachtwandle Ballade den Gesang, Sang deine Bahn!
Ich weiß nicht, wer du bist und ob ich dich hinsagte.
Bist du, bin ich wie Totenreich ein Wahn,
Der in der Nacht durch Kraut und Strauche klagte?
Und waren wir's, die wachten durch den Wind,
Oder wart ihr's, die ihr durch Windnacht wachtet?
Nimm Urlaub, Sang, versagend wer wir sind,
Die wir nachtwandelnd uns für nichts erachtet!


Ballade von zwei Türen

Ich ruhe in einer Pagode von Traum.
Meine Feinde schleichen am Waldsaum.
Sie sind wie von Nebel, gespitzt und schief.
Ich schlief mich in Weihrauch tief.
Meine Hand rührt sich ein Jahrtausend nicht,
Ich fühl' keinen Leib, nur ein dunkles Licht.
Mein Gesicht ist von blinder Schau versteint,
Fern stößt in sein Horn ein reitender Feind.
Ich hebe mein Bein nicht aus dem Moor,
Eine Glockenblume kitzelt und streift
Wie der Kuß eines Kindes mein rauschendes Ohr.
Ein Glockenwind in meine Krone greift.
Es atmet in mir ein Schallen lang,
Und Gesang ist mein Starren, mein Starren Gesang.

Ich ruhe in einer Pagode von Traum.
Tiefsinnige Flecken durchflicken den Raum.
Zwei Türen sehe ich offen stehn . . .
Den rechten Himmel zerschwärzen Krähn,
Den linken goldrote Störche verwehn.
Die eine Türe heißt Lügnerin,
Die andere Türe heißt Wahnsinn.
Ich ruhe inmitten und rühre mich nicht.
Der Tierkreis umfitticht mein Moosgesicht.
Die Feinde lachen mit Waffengetös . . .
Von Atem zu Atem dicht
Trifft mich ein rhythmischer Tropfen bös.


Kleine Ballade an die Schwester

Liebe Schwester, liefen wir durch große Wiesen?
Ist es wahr, daß wir den Löwenzahn
Selbst versonnen in die Sonne bliesen?
Lachten wir uns unter Reisig an?
Knirscht im Park noch immerdar der Kies?
War einmal ein Leierkastenmann, der Pan Radecky hieß?
Wuchsen einst vor unsern ganz zerschlafenen Blicken
Leise Gletscherberge auf wie weiße, weite Blechmusiken?

Saßen wir an sonnentollen Tischen
Mit dem Lachen großer Gliederfraun?
Kruzifixe schreckten uns in Lampennischen,
Tief aus unserm Traum trat der Fluß Traun.
Standen wir, zwei Seelchen, an den Seen?
Sahen Liebe ahnend wir den Rauch der kleinen Dampfer wehn?
Lebten wir ins Klingeln einer Heimfahrt urverloren?
Aßen wir am Abend unter Hirschgeweih bei den Drei Mohren?

Ach, warum, wenn Bäume mich mit Schmerzenslaub berühren,
Eine Fichte mich durchraucht mit lang verwirktem Dunst,
Müssen böse Hände meine Kehle schnüren,
Geister häufen falschen Schrei und Worte zwischen uns?
Und ich weiß nicht, wer ich war und wer ich bin!
Meine Seele spannt sich wie Geschwür und fiebert hin.
Und die Schläfe, wie jetzt meine Hände drüberstrichen,
Ach, sie brannte, Schwester, so von unsern toten Sommerbienen-
   stichen.


Gesänge

 

Gesang der Memnons-Säule

O Zeitlichkeit.
Die wiederkehrt zu zeitlicher Stunde!
O sagenhafte Höhlung, von alter,
Erfüllt von Urverwirrung noch!
Noch ist der Atem
Im unbestechlichen Horn,
Noch steht der Tonstrahl, Sehne des Bogens,
Unabgelöst, unverrückbar dahin.
Nun aber,
Ah! Nun aber
Rollt schon der Donner den Himmel aus.
Die Dämmerung, leise Lawine, dahin im Kreis . .
O Zeitigkeit,
Die den Bogen erweckt!
Ernst ist der Rand und streng.
Die Höhe grünt wie Knabentum,
Doch in der Kuppel
Schon stehn die Adler golden.
Die jammernde Wüste wirft sich,
Das Böse seufzt.
Denn was sich wachend selbst liebt,
Haßt sich im Morgenschlaf.
Nun aber,
Ah, nun aber
Nun aber ist es da mit einemmal.
Und wie es mich anhaucht
Mit rötlichem Wind,
Und ansteckt mit mildem Phosphor,
Mich verläßt,
Und anschüttet wieder mehr!
Wie es fährt über meinen Knauf
Mit hauchendem Gefieder,
Und wie es taucht um meinen Fuß
Mit kühlen, vielen Mädchen . . .
Jetzt aber,
Jetzt stampft es auf,
Unhörbar, stolz und neu,
Mit unverbrauchten Feuern!

O Hoffnung,
Daß wir nicht umsonst sind,
O Reinheit,
O Vergebung,
Morgendlich entzündend dich und mich!
O Morgen, Morgen, Brüder,
O täglich neu tauendes Haupt!
O täglich neu erschaffener Mensch!

Ich aber verfalle vor Gesang.
Denn mich tötet die Stimme in mir.
Leicht hat ein Singen der nichtige Stoff.
Wer aber Stein ist und dauernd,
Den erwürgt der Sang,
Den zertrümmert das Lied.
Doch wenig ist und klein die Stimme innen,
Und alles ist die Erweckung,
Die Göttin
Geschüttet über mich hin.

Säule bin ich Im Mittag,
Schattenwerfend, stumm.
Mich rührt kein Kampf der Stämme
Und nicht die Mühe
Des Mühlkamels,
Die Frauen auch nicht
Am Brunnengewind'.
Denn wer berufen ist und gefordert
Von einer Stunde,
Nicht ist ihm gegeben der Tag,
Nicht Reichtum und Vielfältigkeit.
Und wer gefordert ist vom Gesang,
Ist Säule und wirft
Den unbeweglichen Schatten
Und schweigt.
Unmenschlich ist
Der Menschliche, der Dichter.


Novembergesang

Das ist November.
Jahrzeit der Mühlen,
Wind der schwarzen Frühmessen,
Friedhof,
Und Tausendnächtlichkeit
Der kindischen Lichtlein
Und ihre Angst.
Nun sind die Stapfen schwer
Im Straßensumpf.
Oh, wie wir atmen,
Wir armen Tiere!
Aber es errötet schon
Unser Ofenrost,
Wenn draußen das zweifelnd freie,
Verhöhnende Rabenvolk
Fährt über den Tod der Gottsbäume,
Über Schollen und schlotterndes Moor.

Nun sagt November:
Das ist eure Welt! -
Und schnaubt in den Rauch
Des schnaufenden Gauls,
Und schnaubt in den Qualm
Der qualvollen Erd'.
Nun tragen wir
Geheimnisvollen Strohkranz
Und Distelschmuck.
Nun vergessen wir euch,
Ihr Freunde, lieben Freunde,
Da unser Atem pilgert
Durch keuchenden Acheron.
Nebel zwischen Bergen und Wäldern,
Nebel
Zwischen unseren Häuptern, Freunde!
Vergessen unser Blick,
Und daß wir uns anrührten,
Und lachten bei den Wahrsagern,
Und tanzten unterm Kronenlicht,
Und abwärts stürzten
Im Abendprunk die Triumphfahrt!
Verloren die Lüge unserer Lust.
Da wir doch lügen mußten!

Es schärft sich der Tag.
Und streng wird die Nacht.
Arm sind wir und ohne Brot.
Niemand holt uns Wasser vom Brunnen.
In unserer innerlichen Stadt
Schon wächst das Spital.
Und die Irren
Keifen im kreischenden Garten.
Der Gott des alten Stroms
Benagt die Selbstmörder,
Wenn alle Dome brummen,
Doch die Dämonen,
Unsere unausweichlichen
Schutzengel, Schutzteufel,
Würfeln über den Häusern,
Raufen im Rauch,
Schlagen die Wolken-Schlacht.
Leis aber von unserem Fenster
Sinkt das trostlose Horn ab,
Des guten Hüters Horntreue,
Nächtlich ein schwacher Flug.

Dies sei uns aber gesagt,
Euch, die ihr mich vergaßet,
Mir, die ich euch vergaß!
Vergolten werden die Sünden.
Pünktlich, gerecht!!
Dies, Freunde, sehr großer Trost.
Denn hier ist ein Sinn.


Dezembergesang

Dezember ist braun.
Frost rostet die Felder.
Umstarrt sind die Stangen,
Die Bäume umbaut.
Die Menschen gehen
Hinter trübem Kristall.
In sich verstorben
Besteigen sie flirrend die Hügel,
Jeder nach innen gerichteter Tod.

Tod aber ist Leben der Seele.
Wir klirren an unsere Grenze. -
Dies ist ein
Geheimnis der Gemeinschaft.

Sturm,
Nordöstlicher Khan
Reißt den Kranz vom Wegkreuz,
Kreischt: Stirb, stirb!
Aber ein weißes Wiesel
Zückt über den Hang,
Letzte Freundlichkeit,
Das Lächeln eines vereisten Fakirs
Zu Häupten des schlafenden Kindes.

Weg, Baum, Haus, Kreuz,
Geschlossener Füße
Einwärts schaukelnd
Chinesenschritt
Rennen, rennen
Immer schneller
In Nacht, in Nacht.
Wie ein keuchender, dampfender Strom
Will alles zur Nacht.
Denn dort ist noch Heimat.
Und dort sind noch Feuer.

Dezember macht Fremdlinge
Mit weißen Bartspitzen.

Ich aber, Fremdling,
Ich aber weiß ein Feuer
In Urheimat,
In von allen Seiten schief
Anwachsendem Tempel.
Über offener Kuppel steht
Niemals nachtendes,
Niemals tagendes Blau.
Aus scheinenden Brunnen
Gleichmäßig wachsen die weißen Zacken,
Biegen und bäumen sich leicht.
Die Priesterin aber,
Jetzt hebt sie langsam
Die langsam tönenden Arme,
Und ihre Hände - nicht in Harfen - ruhn
Im gelassenen Zwischenreich.
Die Meere aber sind voll
- Die kleinwelligen Schalen -
Von Segeln, vielfarbigem Tausend.
Seereiher streifen
Nie winternden Schaum,
An Küsten
Aufwärts bevölkerte Felsen
Schallt ein Korsarensang.


Fragment der Eurydike

Wie gut, daß ich von deinen Fersen ließ,
Und wieder durch den Schlaf der Tale fließ'.
Nun bin ich an den alten Bach gebannt,
Ich kleine Flamme, wandelnd im Gewand.
Und weil ich von den hellen Kernen aß,
Neigt mich der leichte Wind auf Schilf und Gras.
O weise Müdigkeit, o Müdigkeit, die weiß -
Wie weise weh ich durch den Schlafenskreis.
Nicht kann ich, Freund, dich halten an der Hand,
Da wachend du verkennst, was schlafend ich erkannt.
Und die mit fernem Lächeln dir entglitt,
Merk auf, sie weiß von Tor und Weg und Schritt.
Und die in tiefster Wolkenfremde geht,
Das Heimische ihr ziemt, daß sie's versteht:
Sie weiß den Himmel, dem ein Sonntag glückt,
Unzählige Frauenhand, die eine Tochter schmückt.
Was sich im Licht begegnet fremd und groß,
Hier ist es nah und wie aus meinem Schoß.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -


Der Ruf

So stand sie schon vor dem großen Nachmittagstor
Und hielt mit ihrer Hand den Durchblick zu.
Ihr Kleid sang westlich im tiefen Wind.
Dort aber war der Tag,
Wo Munde abwärts ernster werden,
Und Hände hart, die nicht mehr streichelnden.
Des Auges Willen geht dort nicht mehr aus vor Herz.
Nicht rast das Antlitz mehr dort,
Die süße Fläche ebbet, weh, flieht in sich.
Der Schritt verwaltet keinen Tanz mehr dort.
Schritt schreitet Arbeit, Arbeit dort und Verlust.

     Ihr Fuß stand auf dem Schwellenstein.
     Doch ihre Hand vor ausblickendem Aug'.
          Das Haar im Westwind leicht. . .
          Ich rief sie an.

Doch wie sie sich wandte,
Wie sie horchte nach dem Rufenden hin,
Hob in den Lüften um sie ein Kampf an.
Die ernsten Dämonen des Ausgangs taten sich in Wind,
Rafften mahnend vorwärts Kleid ihr und Haar.

Aber die jauchzenden Götter des Aufgangs
Warfen sich in die Saiten der Sonne,
Töneten, sangen die Leichte zurück.
Da aber wankte ihr Antlitz unter den Schatten,
Und sie sah mich stehn im rollenden Tag,
Sah mich unter den brüllenden Festen:
Ruhm, Mittag, Lüge, Gesang und Blauheit!
Sie selbst war Wachsen schon der Brüst', Aufbruch des
Munds . . .

Ich rief noch einmal -
Wie im leichten Schmerze,
Zögernd,
Wehte sie ihre edle Mädchenheit mir her.


Verlust

Dich noch verlieren,
Der ich dich schon verlor in mancher Mitternacht!
Dich noch verlieren,
Der ich dich scheiden sah so oft im frühen Fünf-Uhr-Licht!
Ich liebte dich,
Also starbst du mir stündlich.
Ich bin vertraut mit dem Schreck meines Erschreckens,
Vertraut mit meinem Wanken im Traum.
Noch glänzest du über den Weg dahin,
Ich aber sah dich sinken schon zur Seite.
Noch dämmst du wandelnd den Sommer mit deinem Sommer,
Ich aber saß schon an deiner Stätte.
Noch lachst du über die Treppe,
Ich aber füllte schon die öde Lampe auf.
Noch bist du da, noch schiedest du nicht ab, noch atmest du das
   liebe Zugeteilte,
Ich aber verlor dich oft in strengen Frühen, ich kenne mein
    Witwertum.
So überaus ertönst du mir noch,
Ich aber schüttete schon die Schale über dein Gras.


Vergessen

An dieses Flusses Walten wachend,
Hinüberruhend
Nach des Eilands, nach des Schilfes nördlichem Drang,
Habe ich dein vergessen.
Vergaß dein Antlitz,
Deiner Züge Niederwehn
In die offenen harten armen Hände.
Vergessen hab' ich deinen Schmerz in diesem Abend
Niedrige Möwen schnellen über Wirbel hin.
Das Gras braust in die Nacht.
Weh, mein Gesicht ist Sünde.


An eine Lerche

Heil Dir, zarter Lied-Geist,
Vogel warst Du nie!
                             Shelley

Du heiliges Zittern unter dem toten Oben!
Du geistiges Schwirren über dem tödlichen Unten!
Du immer fruchtbare, fruchtbare Seele!
O Hoffnung, nicht unser,
Inmitten dieses tränenlosen Abgrunds!
Wir heben die harten Füße
Zu Trommel und Sträflingsmarsch.
Trompete, Peitsche im offenen Fleisch,
Ätzt uns und reißt uns voran.

Doch dich fühlen wir
Überm Galeerennacken,
Dich Wärme klein,
Dich Gottesflämmlein Lieds.

O du Leben, einfältiger Punkt,
Du bist nicht unser!
Denn wir lügen,
Wir brüllen und stieren,
Stößt uns der Wächter zur Suppe.

Viel fürchten wir
Unsern Herrscher, den Hieb. -
Und so nicht sind wir, was wir sind.
Du aber, Lerche,
Du unversehrte zarte Wahrheit,
Du tust dein Leben,
Du schwebst deinen Sang, und
Du bist, was du bist.


Trinklied

Wir sind wie Trinker,
Gelassen über unsern Mord gebeugt.
In schattiger Ausflucht
Wanken wir dämmernd.
Welch ein Geheimnis da?
Was klopft von unten da?
Nichts, kein Geheimnis da,
Nichts da klopft an.

Laß du uns leben!
Daß wir uns stärken an letzter Eitelkeit,
Die gut trunken macht und dumpf!
Laß uns die gute Lüge,
Die wohlernährende Heimat!
Woher wir leben?
Wir wissen's nicht. . .
Doch reden wir hinüber, herüber
Zufälliges Zungenwort.

Wir wollen nicht die Arme sehn,
Die nachts aus schwarzem Flusse stehn.

Ist tiefer Wald in uns,
Glockenturm über Wipfeln?
Hinweg, hinweg!
Wir leben hin und her.
Reich du voll schwarzen Schlafes uns den Krug
Laß du uns leben nur,
Und trinken laß uns, trinken!

Doch wenn ihr wachtet!
Wenn ich wachte über meinem Mord!
Wie flöhen die Füße mir!
Unter den Ulmen hier war' ich nicht.
An keiner Stätte wäre ich.
Die Bäume bräunten sich,
Wie Henker stünden die Felsen!
In jedes Feuer würf ich mich,
Schmerzlicher zu zerglühn!

Trinker sind wir über unserem Mord.
Wort deckt uns warm zu.
Dämmerung und in die Lampe Sehn!
Ist kein Geheimnis da?
Nein, nichts da!
Kommt denn und singt ihr!
Und ihr mit Kastagnetten, Tänzerinnen!
Herbei! Wir wissen nichts.
Kämpfen wollen wir und spielen.
Nur trinken, trinken laß du uns!


Erscheinungen

 

Der Gerichtsherr

Es schritten aus die Schöffen
Und hielten vor dem Sitz.
Es verbeugten sich die Alten
vor dem nickenden Kaiser.
Das aber war der Herr von Huai-Nan,
Der vielweinende Kaiser,
Liu-Han der Fürst.

So brachten sie nun,
Es brachten die Alten
Die großen Insignien:
Das Buch und die Tafel,
Den Pinsel und Griffel,
Das Beil und die Peitsche,
Die Pfanne der wartenden Flamme.

Fallen aber ließ Liu-Han
Das Buch und die Tafel,
Den Pinsel und Griffel,
Das Beil und die Peitsche,
Die Pfanne aus langsamer Hand.
Nicht trennte der Kaiser
Die weilende Lippe
Vom vorwärts erstarrten Auge,
Nicht den schon singenden Mund
Vom vorwärts gefrorenen Blick:
Ich kenne das Schicksal des Schlafes,
Nachtatem, Nachtodem,
Atem der Menschen
In den Asylen,
In den Kasernen,
Gesänge des Atems
In den Spitälern,
Schicksal der Schlafe
Unter dem wimmernden Licht.
Atemgesänge
Hochtönend, tieftönend,
Die Welle der Knaben,
Den Absturz der Alten,
Schlafantlitz, Nachtantlitz,
Den kindischen Mund
Des träumenden Mörders,
Des Steuerpächters
Verdorbene Lippen . . .
Ich kenne den Atem
Der wehenden Hallen,
In den Asylen,
In den Kasernen
Das Schicksal des Schlafs.

Ich kenne das Welken der Sünd'rin,
Das Welken vor meinen Schranken.
Immer stürzen die Wangen, die jungen, guten.
Nacht sammelt sich unter dem Aug',
Die Haare beginnen zu dämmern.
Ich kenne die Stunde der Sünd'rin, der jungen, guten.
Nicht wird sie mehr verwüstet von ihrem Liebsten.

Ich kenne den Triumph des Gehenkten.
Wie höflich wankt er im Winde!
Er verbeugt sich, er verhöhnt mich,
Er hat mir die Sünde vererbt.
Nun winkt er mit seinen Fransen.
Ich atme sein Schicksal des Schlafes.
Nachtatem, Nachtantlitz . . .
Aber die Sünderin streichelt mich,
So fern schon die gute, schmachtende,
Mit der nachtenden Wange.
Grau flattern der Jungen die Haare,
Ich kenne ihr Schicksal des Atems . . .
Ich verfluche das Buch,
Ich hebe an das Gesetz aufzuheben.

So sang der Herr von Huai-Nan,
So sang Liu-Han der Kaiser,
Vorwärts erstarrt auf seinem Sitz,
Sang vor seinen gerechten Schöffen
Die aber ruhten in sich.
So saß er zum Abend
Und schielte vor Denken.
Dann stieg er hinab
Und wankte aus seinem Gerichtstag.


Der Tempel

O Tempel, in die
Zarteste Stunde gebaut,
Wenn schon die unermüdlichen
Schmetterlinge
Kreisend verwelken an
Der alten Lampe des Weisen und
Die Träumer plötzlich das Haupt
Tauchen aus tausend Fenstern.

Tempel,
In solcher Stunde erschallend,
Läßt du uns gehen
Über die Treppe.
Nur wenig leuchtet
Die Laterne voran des Priesters,
Wenn tief der Tierkreis
Brüllet und leis' im Schlaf.

Wie bald doch steh' ich
Und schon im Kuppelsaal.
Dort aber wölbt sich
Der offene Himmel.
Ein Morgen
Macht ihn schon fast
Zum verschwommenen Knaben.
Doch in dem hellen Boden
Findet er sich bemessen
Zu unseren Füßen wieder
Genau
Im bildenden Wasserteich.

Wie da ruhen
Über unseren Schultern
Die einhaltenden Vögel,
Die Planeten sich aus!
Sitzen sanft eine Weil' nur,
Geschlossene Flügel
Auf atemlosen Säulen.
Trällert einer im Schlaf.
Aber als letzter
Luzifer schwirrend
Hebt sich hinweg
Morgender Stern,
Mit fernem Gelächter
Spiegelnd Gefieder
Im schon helleren Bassin.

Nun aber seh' ich
Wolken grünen im Wasser.
Sehe dreifach
Das Strandgut treiben
Im kleinen Umkreis
Des Brunnenteichs.

Wohl weiß ich,
Und nimmer täuschet mich wer,
Mattes und Morsches.
Drei Dinge schwimmen:
Kleines Brett Noahs,
Binsenkorb Mosis,
Holzspan der Krippe.
Drei Schatten schwimmen
Auf wachsendem Himmel.

Nun aber schreiten -
(Da es doch bald mehr Frühe ist)
Die Männer hinaus,
Die herrlichen,
Nach der Abfertigung.
Über den Brauen
Schimmern die Glatzen vor Osten.
Sie neigen und schreiten,
Die Heiligen schreiten
Hinter Planeten,
Frühe Arbeiter
Und kühl
Von diesem Himmel und Frische.
So schreiten sie,
Ohne zu wecken,
Gesenkte Stirnen,
Aus allen Türen zugleich
Hinaus aus diesem
Kuppelkreis,
Die Verschmäher der Speise.


Das Gebet Mosis

Nicht vierzig Tage, vierzig Nächte,
Nicht vierzig Jahre und aber vierzig!
Nein vierzig Leben, vierzigmal vierzig Leben!
Dies noch zu wenig. Ich will mich rühren nicht
O Söhne, Knechte, stützt mir die Arme auf,
Die Arme mir empor, hört ihr, Knechte, Söhne!
Die Arme stemmt mir empor, stürmt mich hinauf!
Hörst du, ich bin kein Bittender, ich bin der
Alte Furchtbare, dein alter Kampfhahn bin ich,
Dein Türeinschläger, dein Gläubiger-Ungetüm!
Ich lasse nicht ab, ich rüttle an dir, ich renne dich ein!
Ich bin der alte Festungsstürmer, du zitterst, du kennst mich!
Verrammle dich, versammle nur um dein Haupt die Diener der
   oberen Feste und der unteren Feste,
Die Engel der Lehre, die Engel der Vollstreckung, sie taugen dir
   nicht!
Ich lasse nicht ab, ich zerschmeiße deine Wälle, ich saufe deine
   Gräben aus, ich schleife dich.
Ich fahre in deine Ordnung, ich werfe mich kopfüber in dein
   Walten, du widerstehst mir nicht.
Ich beiße mich in deine Brust, ich flechte mich in dein Feuer, ich
   hämmere mit Fäusten an deinen Mund!
Ihr Söhne, Knechte, werft mich empor! Fühlt ihr den brüderlichen
   Orkan!?
Auf, auf! Du wirst mich nicht los, wie du dich auch windest.
Ich halte dich, du mein Feind, du mein Vater, an deinem Saum
   unwiderstehlich!
Ich befehde die Rotte um deinetwillen, du mein Feind!
Ich befehde dich um der Rotte willen, du mein Vater!
Ich habe keinen, nicht dich und nicht die Rotte!
Ich kämpfe nach oben und nach unten,
Ich tobe auf einem Berg zwischen dir und ihnen.
Ich bin nicht wohlgeneigt. Lache nie. Ich bin Trompetenschrei,
   Unversöhnlichkeit, Feind allen Ausgleichs!
Ich führe keinen Frieden herbei, denn mein Schwert schlägt Himmel
   und Erde!
Ich lasse dich nicht, du wendetest denn an allen Enden!
Ich bin die Wahrheit, die nicht vertrieben wird, die Gerechtigkeit,
   die man nicht zur Seite nimmt.
Ich will mich an deine Majestät hängen mit meinem Außentum!
Auf,auf,ihr Knechte,Söhne, stützt meine kriegerischen Fäuste gut!
Du entgehst mir nicht in deiner Unendlichkeit!
Du mußt mir Rede stehn mit zitternden Lippen!
Ich fordere dich vor dein Gericht, Richter!
Da ist keine Flucht mehr, ist kein Ausweg.
Du erscheinst - ich kniee deine Welt ins Nichts -
Ich schlage dich mit deinem Namen,
Du erscheinst, du rechtfertigst dich, du wendest es denn!


Absalom

Die große Verfolgung hat begonnen, Absalom!
Bald wird greifen dein schönes, schönes Haar
Die Hand der neigenden Trauerweide.
Aber eh' dein Verfolger dich faßt,
Dein König, Absalom, der du selbst bist,
Ist deinem Mund gegönnt ein Gesang,
Deinem Mund eine liebliche Herzfreude.

Innehältst du in deinem Lauf.
Verschwunden die Nebengedanken Hunde . . .
Die Meute zupft deinen Mantel nicht mehr,
Du stehst in deinem Lächeln! Woher,
Wohin lebt dein Lied im Morgen?:
»Unter den Menschen ist Freude.«


Aus dem Traum einer Hölle

 

Eintritt

Als, den wir alle kennen, sich der Wald
Der Mitternacht vor meinen Schritten teilte,
Und leicht der Weg aufatmend wurde kalt,

Der hallend und doch lautlos weiterweilte,
Und zwischen Traum und Träumen dichtgebaut,
Umsäumt von Wildnis in den Morgen eilte,

Da hab' ich meinen Stern zuerst geschaut,
Als ich des Weges ging in eine Weite,
Wo Wald und Traum sich seitwärts schon geblaut.

Es war die Welt des Tals zu meiner Seite
Noch nicht geboren, und sie wallte hin,
Endloser Herde wolliges Geleite.

Da war es, daß der neue Stern erschien,
Der in mich eingriff, daß ich mich nicht kannte,
Nur eines wissend, wie erwacht ich bin!

Und eine kühle Frühe glutlos brannte,
Wie nie noch eine Frühe brennend war,
Die je ein Wind auf Nachtruinen spannte.

Die Frühe brannte. Doch kein Ding war klar,
Denn sie war alles. Ich nur in ihr wachte.
Nichts als mein Wachsein war mir offenbar,

Als mich der unbekannte Stern entfachte
Und fremd und kühl mein Fühlen in mich riß,
Daß ich erwachend nur mein Wachen dachte.

Vor diesem Traum erschien wie Finsternis
Der Tag, in dem ich lachte, grüßte, sprach,
Und las und trank, und in die Speise biß.

Doch wird in Worten nicht mein Wachen wach,
Und wie der Stern in jeder Ader rollte,
Dies neu zu fühlen ist die Seele schwach.

Ich weiß, daß meinen Schritt ein andrer wollte
Auf dieser Straße, die sich heller hob
An einem Fluß, der über Blöcken tollte.

Ein kleiner Wind in meinem Rücken schnob,
Wie hinterm Herrn ein Hündlein keucht und klingelt,
Dann springt's zur Seite, bellt und streitet grob.

Ich aber ging von einem Tal umzingelt,
Das tieflebendig ohne Leben war,
Dem Lauf entlang, der wirr sich abwärts ringelt.

Und immer war ich meines Sterns gewahr,
Der ins Geäste meines Wesens zückte,
Und endlos blaß mir flatterte im Haar.

Die Straße klang, die nach den Bergen rückte.
Dort, fast erstickend, schien das Tal gepackt,
Das zitternd sich an grimmige Schenkel drückte.

Ich ging mit mir in einem fremden Takt
An schnellen Wassern jener Klamm entgegen,
Den Bergen windig und mit Wald beflaggt.

So schritt ich neben meines Herzens Schlägen,
Die wurden plötzlich schmerzhaft wirr und schnell,
Ich konnte kaum die Hand zur Brust bewegen,

Als aus des Morgens wachsendem Geröll
Entgegenwandernd Menschen mir erschienen,
Sie lachten sanft bestrahlt und gingen hell.

Und ich erkannte sie, begegnend ihnen,
Die Eltern waren es - und noch so jung -
Und ein Spaziergang war in ihren Mienen.

Und hinter ihnen - o Erinnerung -
Die Schwestern liefen, und die eine schlug
Den Ball aus seinem Netz mit kleinem Schwung.

Zuletzt der Knabe traumzerfahren trug
Auf seiner Schulter einen grünen Fänger.
Ich selbst erkannte mich in jedem Zug

Und wollte rufen; doch wie einem Sänger
Der höchste Ton zerbricht, so blieb ich stumm. . .
Sie, leichten Hauptes, zögerten nicht länger.

Nur noch von ferne sahen sie sich um,
Aus Augen sehend, welche mich nicht sahen,
Durch mich, an mir vorbei, ins Morgentum.

Ich wartete, bis sie dahin geschahen.
Und konnte nicht zurück, wie's mich auch zog,
Und mußte den erzürnten Bergen nahen,

Wohin der Stern, die schwache Wolke flog.
Und in die Engnis tretend, die erdröhnte,
Folgt' ich dem Fluß, der roh sich niederbog.

Die Felsen, die mich überlaubten, krönte
An jedem Vorsprung Kruzifix und Bild,
Sie schwankten in dem Wasserwind, der stöhnte.

Der Himmel über mir war überfüllt
- So klein und hoch - von Durcheinanderscharen
Wahnsinniger Vogelwirrnis schrill und wild.

Nun hob die Straße sich, um einzufahren
In eine Brück', die übers Wasser sprang,
- Mit Balken, die zerkratzt von Worten waren.

Es war die Brücke ein gedeckter Gang.
O Gang und Brücke! Doch am Brettgerüste
Verschmachtet eine Lampe ohne Trank.

Und ich trat ein, wo wüst das Licht mich grüßte.
Der Gang erklang und wurde lang und lang,
Als fände er nicht mehr die andre Küste.

Und auch mein Gehen wurde lang und bang,
Denn unter mir erweiterten sich Fugen,
Daß oft der tiefe Schaum dazwischensprang.

O Traum, den viele Kindernächte trugen,
O Traum der Brücke, die inmitten brach,
Daß sanfte Wasser unsere Knöchel schlugen!

Ich schwankte unter altem Brückendach,
Das Licht hub an, im Rücken sich zu enden,
Und meinem Schwanken schwankten Schatten nach.

Und schwanker ward es in den schwanken Wänden,
Und alle Planken schwankten überm Schacht.
Ich stand vor Bann unfähig, mich zu wenden,

Und sank in eine mütterliche Nacht.
Da aber brach ein Wind in mich, und Leben,
Und Tosen ein, und süße Übermacht.

Mein Blut begann wie leichter Stoff zu schweben,
Ein Wille riß mein Antlitz morgenhin,
Und als ich aufsah, stand ein Mann daneben.

O Antlitz, das seit erstem Anbeginn
Gebaut aus Traum und Seinesündewissen!
O Blick, um Sieg nicht eitelnd und Gewinn!

O Mund, du Grotte stürzender Gewissen!
O Fläche, nicht von Willen überirrt,
Von Ernst umlaubt und leichten Finsternissen!

Vor diesem Antlitz bin ich abgeklirrt
Und konnte meine Scherben nicht mehr halten,
Von Schatten überschüttet und verwirrt.

Und mir entgegen innige Gewalten,
Ein Wald von Ruhe beugte sich und schwoll,
Ein schwarzes Rauschen füllte meine Falten.

Ich aber hob ein Haupt von Spinnen voll
Hinein ins Reine, das ich nun erkannte,
In Wind und Spiegel, der vor mir erscholl.

Und hörte staunend, daß ich Worte nannte,
Und hörte fern mich rufen: »Dichter, sprich,
Gebild im Mantel, Antlitz, du bist. . .?«

Er aber, der mein Wort zur Seite strich:
»Nenn meinen Namen nicht, den ich nicht trage,
Doch gib mir deine Hand, ich führe dich.«

Er faßte mild mich an. Mit süßem Schlage
Bis in das Herz mir die Verwandlung fuhr,
Und ich verlor die Schwere meiner Tage.

Doch kurze Zeit hielt meine Hand er nur,
Bis wir auf wohlgepflegter Wiese standen,
Vor uns war Haus und Turm. Es schlug acht Uhr.

Das Haus, das wir vor unsern Augen fanden,
Aus meinen Jahren stieg es alt mir auf.
Ich sah die Buben, einzeln und in Banden.

Die einen langsam, andere im Lauf,
Die Bücher schleppend, unterm Arm, in Taschen,
Und jeder sah verstört zur Uhr hinauf.

Und meine Freunde sah ich auch.
Mit raschen Schlenkernden Winken riefen sie mich an
Und machten in die Taschentücher Maschen.

»Heut ist Virgil«, hört' ich noch einen, dann
Zertrat er ängstlich seine Zigarette.
Die Türe schloß sich hinterm letzten Mann.

Der Stern erbleichte über dieser Stätte.
Mein Führer aber rührte an das Tor,
Das tat sich auf mit durchgerißner Kette.

Und ich erkannte alten Korridor,
Die Bilder an den Wänden waren wieder.
Ich sah zur Alexanderschlacht empor.

Die kalte Treppe stieg ein Alter nieder
Und fuhr in seinen Bart und lachte knapp.
»Quousque tandem?« fragte er mich bieder

Und schüttelte den Kopf und sah herab.
Ich hörte ungeheure Schritte fallen,
Er aber schwand vor meinem Blick bergab.

Von ferne höhnte ein Türe knallend.
Mein Führer aber hob die Hand und ging
Voran durch Gänge schattenhaft und schallend.

Und an der Wand Insekt und Schmetterling,
Die in den Kästen aufgespießt sich spannten,
Entflatterten in einem wirren Ring,

Als sie den Meister meines Wegs erkannten,
Und schwärmten um sein Haupt als Fetzenkranz,
Verrückt durchsichtig kreisende Trabanten.

Am Ende aber sank der Gang, der ganz
Von reinlichen Figuren überhängt war,
Und tauchte ab in einen schwarzen Glanz.

Wo das Gewölbe endlich eingeengt war,
Blieb, der mich führt', vor einer Türe stehn,
Die rings von Dickicht tausendfach bedrängt war.

»Hier ist der tiefe Ort, um einzugehn«,
Der Dichter sprach. »Willst du die Inschrift lesen,
Die Worte, die auf uns herniedersehn?«

Ich sah der Türe mir vertrautes Wesen,
Die Klinke, Holz, von schwacher Farbe braun:
»Direktorat« war da, sonst nichts zu lesen.

Doch er befahl mir deutlicher zu schaun!
Ich aber sah die Inschrift, wie ich nahte,
In fürchterlichen Lettern sich aufbaun.

Die alte Schrift vor dem verruchten Staate,
Neun Verse! Alt im Ohr der letzte schloß:
»Lasciate ogni speranza voi ch'entrate!«

Jetzt nahm aus einer Nische mein Genoß
Zwei Krüge, Wein und Honig, und sie schwenkend,
Mit dunklem Seim die Schwelle er begoß,

Mit wenig Tropfen eine Stelle tränkend,
Da schrie die Türe leicht, wir fuhren ein,
In grenzenloses Abwärts uns versenkend . . .

Nur zart und kühl auf meiner Schulter - klein -
Fühlt' ich die Amsel meines Sternes sein.


Das Café der Leeren

Wie um uns noch die riesige Babel rollte,
Auf Schienen tollte, in Kaminen schrie,
Hob mich mein Lehrer, wo's schon ferner grollte,

Kurzatmender die Straße stieß und spie.
Ins Schattenatmen schwindend einer Treppe
Hört' fern den Feind ich, meinen Schritt, wie nie!

Auf einer Höhlung höhnte sein Geschleppe,
In einer Ödnis donnerte sein Beil,
Es war ein Saal, und dennoch Rauch der Steppe.

Der andere schrittlos sprach zu mir: Verweil!
Ich sah den Wolkendrang zu Häupten kochen,
Aus dem ein Licht schlug abwärts grauen Keil.

So war verwesender Himmel unterbrochen
In diesem Saal von einer Lampe Unmut.
Mit Sklavenstrahlen kam sie angekrochen,

Die schlichen ab, wie ein Gepeitschter tut.
Ein Summen, Surren, ungeheures Sieden
Erfüllte mich und Traum wie Kesselsud.

Eh noch der Sinn sich selber unterschieden,
Stand ich in einem scheußlich strengen Chor.
In Kreisen donnernd, die einander mieden,

Nach allen Seiten vor und hoch empor,
Unendlich durcheinander, kreisten, höhnten
Schwarz Fliegenvölker ans verlorne Ohr.

Mit jedem Nu die Kreise schwärzer dröhnten,
Und stiegen auf und ab im lauten Rauch,
Den sie wie mit Metallen überstöhnten.

So war durchräumt des Saals verwester Bauch
Von einem Raum, den selbst das Grab nicht bildet,
Kein Atem der Natur glich seinem Hauch.

O Traum, in dem sich dieses Feld gefildet,
O Traum, da dennoch Saal im Nebel lag,
Sich Wüste wüstete und Wildnis wildet . . .

Mein Atem, der ins Herz davor erschrak,
Begann zu wanken, daß ich fast erstickte,
Und meine Kreatur dem Schwall erlag.

Doch der Erhabene seinen Blick mir blickte,
Hob an die Gnade seiner Haltung mich,
Daß ich mich wusch und endlos neu erquickte.

»Ist dir so fremde dieser Ort hier, sprich,
Daß sich das Leben quält durch deine Kehle?«
So sprach er und befahl: »Sieh nur um dich!«

Alt im Gewölbe wiederfand sich Seele,
Und der Gestank war plötzlich mir vertraut,
Als ob ich selbst - ein Irrwisch - ihm entschwäle.

An Tischen sitzend hab' ich sie erschaut,
Mir fremd im Traum und Traums mir Tiefbekannte,
Sie saßen da von lauem Dunst umbraut.

Den Starrenden das schlaffe Antlitz spannte
Ein schiefes Grinsen mit verruchtem Riß,
Das sich nicht von gestülpten Munden wandte.

Das Haar im Weichselzopf, braun das Gebiß,
Von ihren Lippen hing in großen Trauben
Langsamer Fliegen eine Finsternis.

Nicht konnte Wachen sie des Schlafs berauben,
Kein Schlaf noch raffte je ihr Wachen hin,
Die Zeit um sie war sichtbar, war ein Stauben.

Ich aber fühlte selbst mich mittendrin
In ihrem Qualm und trug den Kranz von Fliegen
Verfallenen Hauptes schon seit Anbeginn.

Ja, eine Wüste war ich. Und kein Liegen,
Kein Stehn und Wandeln füllte mein Gebein.
Kein Wort der Erde nennt mir das Versiegen,

Das sich in meine Quelle brannte ein.
Ich schwand und blieb. Ich war der Leib der Leere,
Nichts, nichtiger als Nichts, noch dessen Schein.

Im Schoß trug meinen Leib ich, fremde Schwere,
Wie harter Kot hing er an mir hinab,
Und in mir starrte scheußlich träge Sphäre.

Unendliche Verwesung, Stank und Grab -
Dies jubiliert noch - hatte ich vergessen
Jegliche Regung Lebens, die es gab,

Als wäre ich von je schon hier gesessen,
Unsterblich wie die Härte, die mich rief,
Nichts, dennoch seiend! Spuk von Götterspäßen!

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -


Zweites Buch

Stimme Gegenstimme

 

Die Leidenschaftlichen

Mein Gott, es werden sein zu deiner Rechten
Nicht die Wahrhaftigen allein und die Gerechten!
Nein alle, die in dreizehn Dezembernächten
Vor einem Fenster standen. Und Frauen, die sich rächten
Mit Vitriol und dann im Gerichtssaal ergrauten,
Die Eifersüchtigen all, die ihr Blut stauten,
In Droschken weinten, in Sälen sich erfrechten!
Die durchgefallen tiefen Atmer, Sänger, die mit bezechten
Gliedern dem Tod sich in die Grube schmissen,
Sie werden sein zu dir emporgerissen,
Und werden sitzen, Gott, zu deiner Rechten!

Es werden wandeln in deinen Gärten
Nicht nur die Demütigen und Beschwerten,
Nein alle, die leuchteten und verehrten!
Mädchen, die in Konzerten erkrankten,
Weil ihre Wangen zu bleich sich verklärten,
Blicke aus Augen, die dankten -
Wahre Augen-Blicke zu nimmer verzehrten
Dauern aus Zeit in deine Zeiten gehoben,
Werden sie lodern weiter und loben,
Leichte Feuer wandelnd in deinen Gärten!

Es werden ruhen, Gott, in deinen Tiefen
Nicht die allein, die deinen Namen riefen,
Nein alle, die in den Nächten nicht schliefen!
Die am Morgen ihr Herz mit beiden Händen häuften
Wie Flamme, und liefen
Tiefatmend, blind, in unbekannten Lauften.
Ein Küsten-Wind zuckt in Selbstmörderbriefen.
Die Knaben haben Meere nicht verstanden,
So brannten sie sich ab in Hieroglyphen.
Nun knarrt ein Rost-Schild an den schiefen
Eisernen Kreuzen der Konfirmanden.
Wie sehr wir hier sind, sind wir dort vorhanden -
Die hier unruheten aus deinen Tiefen,
Sie werden ruhen dort in deinen Tiefen.


Engel

O Engel, wie aus alter Kindheit kühn
Schwebt heilig noch dein Knie, doch deine Füße mühn
Mit kleinen wunden Härten sich durch unsere Pflaster-Welt.
Dein hoher Schritt erstickt in Schuhn,
Doch deine Schultern, freie Geister ruhn
Mit höheren Scheinen unserm Gang gesellt.
Wie hast du den Vater einst geliebt
- Der nicht mehr am Fenster steht und Antwort gibt, -
Als du durch Reifen sprangst in tiefer Garten-Zier . . .
Wir aber tun dir weh und beugen uns vor dir.

O Engel, du weißt nichts von deiner Hand,
Darein die Botschaft ist getan und ausgesandt!
Wo deine Hand hinlangt ist Tat.
Sie ist unsre hohe Schaffnerin und edle Magd.
Sie hebt den Eimer, häuft das Holz und legt
Des Kranken Leib zurecht. Der Armut Stube trägt
Ein tiefes Glimmen, wenn die Hand den Boden kehrt.
Sie rührt ihn an, es brodelt Wohlgeruch auf totem Herd.
Schwindsüchtige lächeln um den Tisch. - Doch wir,
Wir tun dir weh und beugen uns vor dir.

O Engel sprich, von welcher alten Sünde wund,
Von welchem Abfall blüht dein breiter Frauenmund,
Daß ganz vergeßnes Sehnen deine Lippen füllt,
Wenn deine Hand in Asche taucht und Müll?
O welchem Kuß beugt er sich zu, der dich verstieß
In Jodgeruch und Chloroform-Verlies?
Wenn deiner Augen Dreiklangs-Licht uns tränkt,
Die Hand nicht unsre Tierheit scheut und Schlaftrunk mengt,
Dein Mund in hoher Fremdheit schmachtet, - Engel, wir,
Wir tun dir weh und beugen uns vor dir.


Antlitz vorüberwehend

O Antlitz, das aus vielen Sonntagen schon kam, die auf
   die Erde sinken,
Und da sind für kleine Musik und für lahme Mädchen, die vor-
   überhinken.
O Antlitz, das vorüberweht,
Noch unverwandelt und doch schon spät!
Mit Blicken nicken deine Freunde nur und sagen:
O Antlitz noch das alte und doch alt vom Vielertragen!
Sie sagen Worte: Eifersucht, Enttäuschung, Einsamkeit. -
Doch Wort ist Wort. Man sagt auch: Jahreszeit!
Und Jahreszeit ist mehr als Blätterfallen, Wind und totes
   Sonnenrollen.
Wer kennt die Wolken, die uns übelwollen,
Wer die Gestalten, Antlitz, wandelnden geheimnisvollen,
Und wer das unsichtbare Ding, das kalt und scharf
Um Auge dir und Mund so fremde Schatten werfen darf?
Mit welchem Fluch, der dich verflucht, bin ich verflucht,
   daß ich es sehe,
Und sage: - »Abends werden Schatten lang« - und das verstehe?
O Antlitz, Kranz von Frühen, Nachtgeflecht, geheimes Ringelspiel!
Jetzt, wenn du lächelst, werden schon die Tage kühl.


Die Schwestern von Bozen

Zwei Schwestern sah ich heut auf morgendlicher Au.
Sie schwebten lerchenfrüh und schwärmten in das Blau,
Und waren angetan kühl in Gewände weiß.
Doch auf ihren Schürzen war
Von trockenem Blut ein Rost und dumpfer Kreis.
Sie aber tief umschlungen schritten wunderbar.
Ich trat sie an, die Schwebenden, und fragte leis:

Schwestern, von welchem Schein sind eurer Augen Scheine froh?
Kommt ihr nicht aus den Sälen, wo
Die eingetränkte Maske auf das arme Antlitz sinkt,
Und in die weißen Stoffe Blut und Eiter dringt?
Geht ihr nicht durch die Fäulnis schwerer Zimmer ein und aus?
Tragt ihr nicht Schüsseln Unrats mild mit euch hinaus?
Und habt in eurem Opfer keinen Tag und keine Stunde Lust,
Dürft nicht in das Theater gehn und nicht im Grünen sitzen
   unbewußt!

Die beiden Schwestern aber sahn mich an mit einem Schau'n,
Mit einem Blick voll tiefstem Jenseits sahn mich an die
   beiden Frau'n.
Mit einem Blick, den ich, ein niedrer Laie, noch nicht
   ganz verstand,
Und doch geschah es, daß mich Weinen überwand.
Ich sah ein Licht steigen, das sich dem Wiesen-Kuß entreißt.
Es ahnte eine tiefste Wollust mein entzückter Geist.
Mir war von unbetretner Freude offenbar ein letztes Ziel. . .
Von ferne fühlt' ich lachen leicht
Das Schwesternpaar, wie's nun entweicht,
Und schwindet tiefumschlungen in ein zärtlich frühes
   Glocken-Spiel


Frauen
(Nach einem Fieber zu sagen)

Waren es Frauen nicht,
Die uns an ihr großes Antlitz hoben …
Die uns in weißen Wagen schoben
Durch die unschuldigen Auen nicht?
In das Abendübermaß der Städte,
Kirchenbrand und Kuppelgoldenwerden
Führten sie uns immer an der Hand,
Wenn wir am Nachmittag im Sand
Gespielt oder auf grüner Erden
Vor des kleinen Friedhofs eingestürztem Rand.

O Frau'n, o Doppelspiel,
O fernste, fernste Herzen,
So nah, wie nur das Fernste nahe ist!
Nun tragt ihr eure unbekannten Schmerzen
An uns vorbei durch diese Zimmerfrist.
Wir kennen nicht
Euer Gesicht,
Das wir doch kennen aus den hallenden Tagen,
Da wir in seiner tiefen Nähe Augen aufgeschlagen.


Verwundeter Storch

War jemals eine Trauer so wie die?
Schwieg Trauer-Totenstarre jemals so? Nie, nie
Hockt Hiob Aussatz bergend unterm Schurz
Mit solchem Schweigen neben Schutt und Sturz.
Nur dieser Storch ist Trauer. Wie er steht
Auf dem gefärbten Fadenbein! Er dreht
Den Hals hinab. Und waagrecht leidend spürt
Des Schnabels Adel Erde, die er nicht berührt.
So starrt der Storch da schief und weggewandt
Von Frosch und Wurm, die hinhält eine Hand.
Und nur die lahme Flügel-Schulter zuckt,
Wie am Schafott sich armer Sünder duckt.
Doch dies ist kaum ein Blinzeln, das sich regt,
Reglos steht er ins Ewige bewegt.

Kann so ein Auge trauern? Ungetrost
Ein glimmend schwarzer Stein und tränenlos?
Dem nie ein Lid mehr den Verlust verschließt,
Den es nicht oben und nicht unten liest,
Ins Fremde schauend, wo kein Aug' mehr sieht,
Doch schauender erkennt: »Kein Flug geschieht
Mit langem Schlagen mehr. Kein Flug, kein Flug,
Da ausgespannte Kraft gebogene Grazie trug
Der Beine unterm Schwung. Und auch das Reich
Durchstelzt durchnickt mein Bild nicht mehr am Teich . . .«
War jemals dieser eine Trauer gleich?
Und starrte je ein Wesen so wie dieser Sohn
Ägyptens, Fürst am Pharaonen-Thron?
Wie dieser Storch, der abwärtshalsend starrt
Unregsam in die fremde Gegenwart,
In rosa Fiebernebel, wo er sah
Der Isis Feuer und den Rauch des Ptah!


Gesang des heiligen Berges
(Aus einer Testkantate)

Ihr kennt mich alle wohl,
Ihr wißt mich alle schon . . .
Durch meinen Atem seid ihr gelaufen,
In meinem Blick habt ihr gespielt.
Ihr pflücktet meine wilden Stiefmütterchen und den runden Klee.
Ihr blieset meinen Löwenzahn in den Tag.
Unter meinen Wolken wart ihr da,
Gespielen meiner feurigen Schlafwiesen.
In Mitternächten eh und je
Empfing ich euren ruhenden Schritt.
Ihr hörtet schon das Lauten meiner Gewässer,
Ihr fühltet schon das treue Beugen meiner Bäume,
Aus späten Nächten tragt ihr,
Ihr tragt aus früher Frühe
Das Läuten meines Gipfels,
Das Geheimnis meines Hauptes mit euch.


Gesang von Gefangenen
(Aus einer Festkantate)

     Strophe der Männer

So ist es wahr, und wir sind aufgestiegen.
Noch hängt sich der schwere Hof an unseren Fuß.
Wir fliegen . . .
Unsere Finger sind noch knöchern vom Klopfen,
Wenn wir uns grüßten in höhnischer Mitternacht.
Unter unseren Nägeln lauern die scharfen Tropfen.
Das Werg war zäh,
Der Hanf war fest,
Noch sind unsere Augen rot und verwacht.
Wir waren stumpf nach unserer Hofstunde,
Und schlugen Karten auf die zerschnittene Bank -
Der alte blöde Jakob sang,
Jim fluchte, dann kam die Runde.
Sie stießen uns in unseren Schacht,
Das Licht verröchelte und ging zugrunde.
Nun sind wir aufgewacht
Und möchten schöne Kleider haben,
Gestreifte Hosen, um zu diesen wunderbaren Wegen zu passen.
Zu diesem tiefen Beugen, Stehn und Wehn,
Das uns verraten hat und verlassen.
Nicht so, wie mit nach Fieber müden Beinen gehn,
Nicht wegsehn müssen, sondern sehn . . .
In dieses Wallen, diese Tausendsonne, die trunkene Luft!
Dies Donnern, dies Schwirren hören . . .
Auf steigenden, fallenden Chören
Hören das alte Dröhnen der Welt, das uns ruft.

     Gegenstrophe der Frauen

So ist es wahr, und wir sind aufgestiegen,
Noch hängt sich der schwere Hof an unseren Fuß.
Wir fliegen . . .
Wißt ihr noch, Schwestern, wir haben alle geweint,
Verschlungen gemeinsam und rasend uns in die Stunde gebissen.
Dann wieder haben wir uns an den Haaren gerissen,
Gerauft und geschlagen, frech und versteint!
Bis die Riesin, die rohe, dazwischenfuhr,
Die Frau der Peitsche, die Frau der Uhr.
Wir haben mit unserem Starren den Raum versengt.
Dann wieder lachten wir, küßten wir, tanzten wir.
Haben gestreichelt und süß uns bedrängt.
Aber am Sonntag, wenn die Kirche feurig wird,
Da stießen wir den kleinen Gott in unser Herz.
Da preßten wir uns an das Holz, verloren und verirrt.
Da sprangen wir trübe Brunnen über den Stein,
Da wölkten wir uns ein
In die Wolken der Mönche aufwärts.


Gärtner und Tor

Der Gärtner

Der durch meinen Morgen-Garten gehst,
Vor meinem Ahorn, meinen Linden stehst,
Unter der frühen kühlen Nachtigall,
Was soll dein Wandel überall?
Gilt er meinen Kindern, meinem Haus,
Oder bist du ein Blinder ein und aus?
Ein Narr des Seitenblicks?
Ein Gespenst, ein Nichts,
Das leer nach Schein und Gelten stellt?
Ein glattes Glas, an dem kein Tropfen hält?
Ein Zungen-Schlag, ein Lügner im Licht?
Du Sohn des Gewichts,
Sag, wie tief bist du in der Welt?!

Der Tor

O wäre ich dort tief tief, wo's nicht mehr icht,
Im Blütengrund und Urlicht!
So aber bin ich Wort und halbes Sehn,
Ein Schnellvergessen, ein Unbestehn.
Deine Kinder: Stamm, Vogel und Frucht
Sind rasche Bilder in einer hellen Schlucht,
Eine feuchte Flucht. . .
Nur ICH bin mir wie ein großer Strom im Ohr.
Ich Tor,
Aus meinem Sinn reißt mich die eitle Sucht.
Ich bin unrein.
Doch weil ich bin, so muß ich sein.

Der Gärtner

Heb dich hinweg, geh mir davon!
Zehn Jahre diene unter Haß und Hieb!
Und bist du keine Fratze, bist du Gottes Sohn,
Dann lerntest du, dann lieb!
Dann hör und sieh und sing
Den Spruch von allem Ding!
Du leer unreiner Tor,
Dann tritt in mein Tor!
Doch sage ich, kehr mir nur ein,
Wenn du Vogelsprachen-kundig bist,
Der Vogelsprache kundig durch Leid!
Zu dieser Frist
Zieh hin mit deinem Schatten! Es ist Zeit!


Gewaltige Mutter

Gewaltige Mutter des Mittag Tods,
Die du wonnig die Menschen mähst!
Süß sterben sie dir entgegen
Auf den Bänken des Parks.
In schön heliotropen Kleidern
Die Mädchen in blonder Umwölkung
Sterben schief lehnend, feucht freudig.
Hinter ihnen aber aus dem Rasen
Reißest du Rhododendren-Gewalt,
Riesige Büschel-Fruchtbarkeit
Und des Baumschattens Heimat.
Töte auch mich, o Sonne!
Du Schwall über grünem Gezwitscher,
Die du Mädchen mähst
Auf den kinderumspielten Bänken!
Töte mich,
Daß ich unsteter Lüge vergesse
Und des Fäulnis-Lauschens,
Daß ich des Feindes
In mir und vor mir vergesse!


Gedächtnis der Sünde

Stimme

Ich saß bezecht und prahlerisch,
Ihr armen Freunde, mit euch zu Tisch.
Ich sang, verschlang und trank.
Du aber warst traurig und krank,
Stille Fremde. Vom Weinen gereizt
Schien deine Wange. Ich sprach gespreizt.
Verführt vom Sieg heizte ich meinen Schein,
Sah dich nicht hungern und elend sein.
Kann Gott verzeihn?!
Und soll mir das vergessen sein?

Gegenstimme

Meine Langmut heißt Zeit!
Immer ist dir ein neuer Tag bereit,
Bis du mich verstehst.
Es ist nicht zu spät!
Sieh in den Eichen mein Herzens-Licht!
Tu ab den Drang, besiege dein Gewicht!
Sei mein Held Michael, mein Sieg, mein Sinn!
Heute ist hinter Schlaf unendlicher Beginn.
Komm, komm, Sohn, brenne dich rein!
Singt nicht Eiche, Wind, der Vögel silbernes Schrein?
Es soll, es wird vergessen sein!


Gesang eines Verdammten
an die seligen Geprüften der Erde

Auf Erden, die ihr über das hartherzige Pflaster wallt,
Du Fräulein, das dem Richter trotzt und kleine Hände ballt,
Du trauriges Mädchen am Klavier, das flüchtige Kinder lehrt,
Du Magd, die zu schwebender Stunde noch schaurigen Vorsaal
kehrt,
Du Freund, der lächelnd fremde Sünde sühnt,
Du Strahlender, der das Gesetz zerschmettert und sich hoch
erkühnt,
Du Engel, der da eintritt und die Welt mit hohem Tun durchruht,
Du Meister, der sich rückwärts wirft und groß in die Verwesung
tut!
Wie schön, wie schön, wie wohlgetan!
Ich klatsche in meine Gespensterhand.
Ich Hadeshahn, ich Fledermaus,
Ich Flughund aus Hekates Haus.
Ich, keine Wut und kein Unmut!
Sehr, sehr schlecht geboren, Knecht in Dunst und Sud!
Nein, ich will euch, ihr Seligen, anheben ein groß' Lobsingen.
Ich falte über meine Mäusebrust die gelbdurchsichtigen Schwingen.
Ich bin ein Geist, so wird mir Lieb' gelingen!
Ah, oh, yu, ei - ich taumle freudenvoll verdammt und
   hoffnungslos bedreckt
Im Riesenkessel, ich, ein ungeheueres Insekt. -


Gesang einer Frau

Warum, warum diese neue Angst?: Die Welt ist schon so oft!
Und Oft ein Wort, das fort und fort ins Ohr tropft unverhofft.
Ein rundes Wort, ein runder Laut, der endet und beschließt.
Mir graut vor meinem Haar,
Es war so oft, meine Hand war oft, mein Mund war oft, war, war!
Meine Zunge war oft, meine Brust und was er genießt.
Mir graut, es graut auch meinem Haar.
Oft - ist unfaßliche Gefahr.

Ich kann die Blumen nicht sehn auf dem Tisch, sie machen mich krank,
Mein Geliebter hat einen verräterischen Gang.
Oft und Gewohnt sein aufgeknöpftes Freundespaar
Wischt sich die Stiefel nicht ab. Sie spucken gar
Und blasen Zigarrenrauch in mein Haar.
Oft ist mein Feind und schon lang.

O diese schrecklichen Frühen. Sie tragen Altes auf ihren Glocken her.
Wie bin ich von weitem und lang schon her.
Nun kann ich mich gar nicht erinnern mehr.
Wie man sich lachend auf die Fußspitzen stellt,
Das entfiel dem Gedächtnis meiner Füße, dem viel entfällt.

Trübsinn heißt vierfach meine Jahreszeit,
Im Winter furcht' ich den Frühling, im Frühling die scharfe Zeit,
Und doch möcht' ich alles halten, was mich vermaledeit.

Nein, nein! Ach! Wie ist mir das doch hassenswert!
Wie alles an mir vergeht, möchte auch ich vergehn.
Verzehrt sein, vergehn, eingehn in einen hohen Wert.
Lieben, lieben zum erstenmal,
Wo Liebe nicht verlischt mit dem Wangenmal,
Nicht jeder Kuß, verhauchend, wird Betrug,
Und Ekel durch die Morgenlumpen lugt!
Eingehn in ein reines weißes Weiß!
Weiße Schürzen tragen, weißes Kleid und eine Farbe nur sehr:
   Weiß!
Mein Gesicht vergessen, keine Zeit haben, immer ein Werk haben,
   immer tun,
Nur am Abend ins Gebet hinüberruhn!
O Leidenschaft!

Nun schimpft zum Fenster ein Regen herein.
Auch der Regen ist oft. Ich zähle die Feinde nicht.
Ich fühle nur meine Augen. Wohin ist mein Gesicht?
Früher lebte ich seine Farben und flog unendlich in alles ein,
Von unten, von der Seite, streichelte alles mit meinem Schein.
Jetzt ist in mir solch eine Beschwerlichkeit.
Ich bin leicht, ich bin leicht, aber mein Antlitz neigt,
Neigt sich zu allem nieder, als wär/ ich sehr groß und sehr weit,
Und alles ist nur bedacht, daß es sich höflich zeigt.

Wo bin ich denn? O Himmelsrose, die mich in die Mitte klemmt!
Ich sitze auf meinem Bettrand im Hemd,
Und schaue auf meinen edel ermatteten Fuß,
Der mich entzückt, daß ich fast weinen muß.
Und doch ist in meinen süßen Beinen schon etwas,
   das man verhängt. . .


Anblick der Wahrheit

O leise! Kein Ausbruch jetzt! Bebt! Schweigt!
O Schwestern, du Volk, es ist wahr, ja es ist wahr!
Weint nicht kurz hin, ihr Lieben!
Haltet fest in euerer Kehle den Gott!
O leise! Labt euch an euerem Ersticken!
Ihr Bäuerinnen, flüstert euren Gott, flüstert ihn aus,
Der mit dem Wehe steigt und euch an den Gaumen klopft!
Seht ihr in unserm gleichen Antlitz den gleichen Abend
wachsen?
Leise! Jammervoller Abend uns verschüttet gelb.
In Menschheit neigt unsagbar das Haupt,
Das nun gebeugt ist für je, ihr Mädchen!
Das Tuch, die Hand tut vor die Munde, schweigt!
Schwestern, du Volk, es ist wahr!
Nicht Rede mehr, nicht Jammer mehr!
O tönt nur weiter diesen erbarmungsvollen Blick,
Die Hand einander, ihr Gedrängten, gebt euch die Hand!
Seht hin, dahin, wo jetzt meine Hand hinzeigt!
Beugt euch tiefer in euch, Schlafwandelnde, Schmerzgeborene,
O elendes, o du jammervolles Geschlecht!


Lied

Ach, es ist nicht gut zu sagen,
Denn wer sagt, versagt.
Könnten wir den Schwall ertragen,
War' er Baum, der ragt.

Alle Wesen - Augenabend -
Kommen wie die Hirschkuh trabend,
Lehnen zart das Innig-Scheue
Ihres Haupts an unsre Atemtreue.

Aber wir, ein schwarzer Samen,
Lügner, die zu Worte kamen,
Tatlos Tauscher, Tuer, Täter,
Weltzernenner, Waldverräter,
Morden Gott und uns mit Namen Namen.


Nun ist in mir der Tod

Einmal hab' ich das Feuerchen verstanden,
Als ich ein Schmied war, halbtraumverraucht.
Auch das Wässerlein hab' ich verstanden,
Als ich ein Flußgott war
In Mittagsmuschel Sonnenschlamm getaucht.

Ich habe die fremde Sängerin verstanden,
Zur Laubzeit das verrückte Bettlerpaar,
Die häßlich schönen englischen Gouvernanten,
Die wie Winter-Gestrüpp in den Winkeln standen,
Ich habe sie verstanden,
Als ich ein Mensch war.

Nun ist in mir
So eine Säule Schmerz,
Ein Starren vorbei, ein Tod!
Ich weiß nichts mehr von dir.
Die Welt ist Salz, Eis, Erz,
Die Welt ist Weib des Lot.
Sie ist Säule, weil sie rückwärts sah
In mein Sodom und Gomorrha.


Gesang

Einmal einmal -
Wir waren rein.
Saßen klein auf einem Feldstein
Mit vielen lieben alten Fraun.
Wir waren ein Indenhimmelschaun,
Ein kleiner Wind im Wind
Vor einem Friedhof, wo die Toten leicht sind.
Sahen auf ein halbzerstürztes Tor,
Hummel tönte durch Hagedorn,
Ein Grillen-Abend trat groß ins Ohr.
Ein Mädchen flocht einen weißen Kranz,
Da fühlten wir Tod und einen süßen Schmerz,
Unsere Augen wurden ganz blau -
Wir waren auf der Erde und in Gottes Herz.
Unsre Stimme sang da ohne Geschlecht,
Unser Leib war rein und recht.
Schlaf trug uns durch grünen Gang -
Wir ruhten auf Liebe, heiligem Geflecht,
Die Zeit war wie Jenseits wandelnd und lang.


Lied nach einem Tage

Herr, sehr wenig ist, was ich dir gab,
Deine Flamm' ist klein in mir gelungen,
Herr, der du mich aus den Zeugungen
Fallen ließest irr in meinen Trab.

Dennoch Fremdling ich war so verwandt,
Und ich sah sich Augen übermilden,
Und erkannte in deinen Gebilden
Weise Anmut, die ich nicht verstand.

Ach so schwankte ich durch Traum und Kreis,
Durch Spitäler wankend und durch Säle . . .
Nur das schwarze Würgen in der Kehle
Manchmal Träne war dein Preis -


Benennung

Noch einmal seh' und nenn' ich
Erhabenes Antlitz der Bäuerinnen,
Heiligen Kinderknix in Kirchen,
Riesigen Blick des Priesters- - -
(Ah, ein Vogel hüpft — hüpft über die Straße.)
O Menschenschritt! Noch einmal- - -
(Wie unbenannt die Welt noch
Unbenannt, ihr Brüder)- - -
Noch einmal seh' und nenn' ich,
Eh' ich dahin in Wind bin,
Ich Wolkenzug,
Ich ohne Bindung, Heimat, ich Halbtraum,
Ich Flüchtling aufgebrauchter Städte,
Geborgen aus uralter Feuersbrunst,
Schlaf, Wollust und den Namen Gottes rettend ! -
Noch einmal weiß ich mich,
Freundin, in deinem Dahingehn.
Das Schicksal weiß ich, Nächte weiß ich,
Die mich in die Schleuder tun!
Daß ich mit euch bin, der ich bin,
Ich erlöschender Fluß,
Hinstickend schon durch die Höhlen,
Daß ich mit euch noch bin, ich Ödnis,
Daß ich mit euch noch bin, umrollt von Lauf,
Befohlen von Gestirnen,
Kreis und heiliger Zahl!
Daß du Geliebte welkst an mir hinab . . .
So faß ich mich nochmals,
Nenne mich:
Ich Heimat-, Höllen-, Himmelloser,
Mein Haus aufbauend auf
Zufälligen und flüchtigen Gesängen.


Auch ich einfach

Wenn ich nicht einfach wäre,
Was wäre ich dann?
Urnebel noch,
Ein totes, vieldurchblitztes Wallen,
Hohn deiner strengen Engel.

Wenn ich auch leide,
So bin ich dennoch innig einiglich dein Kind.

Ich weiß,
Einst rissest du mich aus,
Hart, aus uralter Scherbe meines Lebens.
Doch griff ich ein
Mit meiner Wurzeln Ärmlichkeit
In diese letzte kleinste Krume,
Die noch auf deinem Atem treibt.

Und gönntest du mir nicht
Emporzublühn . . .
So blüh' ich doch hinab.


Das letzte Wort

Jetzt treiben wir noch Worte,
Einst haben wir nur Wort.
Noch schießt aus eitlem Orte
Schallkraut, das wuchernd dorrt.

Viele Worte sind uns gegeben.
Es schielt unser Leben
Mit Worten, die wir befehden.
Doch wenn uns Gott nicht verstößt,
Werden wir einst aus Ratschen, Reimen und Reden
Zum Wort erlöst.

Das Wort, das Wort wird unser Mund tragen,
Das die Sterbenden verschweigen.
— Sie können die Schatten der Menschen noch sehn,
— Die sich im Zimmer zeigen,
— Doch das Wort, das Wort nicht mehr sagen
— Das Wort, mit dem sie hingehn.
Wir aber werden es wagen.


Drittes Buch

Phänomen

Ehrgeiz

Ein Weib von scharf und schreitender Gestalt
Mit keuschem Antlitz, Händen feucht und kalt.
Das Auge dunkelt aus geschwärzter Schlucht,
Die weiße Lippe spannt verruchte Zucht.

Sie nimmt zerkrampft in den verworrenen Schlaf
Ein Lächeln mit, das sie im Spiegel traf,
Und kehrt sie in das Krähn der Frühe heim,
Schmeckt sie auf ihrer Zunge bösen Schleim.

Niemals errötet sie, doch sie erbleicht.
Ihr Mund wird oft, ihr Schoß wird nie erreicht.
Beladen schwankt vor ihr die Mutter schwach.
Sie streift sie von der Brücke in den Bach,

Und geht mit Gliedern, die sie nicht entläßt,
Die Sehnen spannend durch das Adelsfest.
Die Masken winken, bis, auf dem sie steht,
Das Scheusal sie - ihr Entenfuß - verrät.


Eitelkeit

Weh, das böse Tänzeln in uns wächst,
Nicht mehr ist gespitzter Tritt zu drillen.
Wie du dich auch rückst und drückst und streckst,
Fiebrisch zwirbelt dich ein Kitzel-Willen.

Scheel und schleunig Herz und Wimper rückt,
Fremder Narr spreizt sich in dir gescheitelt,
Und die uns aus tausend Scheiden zückt,
Alle Tat vereitert ist vereitelt.

Große Seuche ätzt dich an mit Angst.
Nacht! Du brichst ins Knie, du fühlst die Pratzen,
Fühlst die Peitsche deines Tags und wankst
Hinter Wahn und totgeträumten Fratzen.

Uhrenschlag! Die Schwester tritt dich ab
Der Verwesung. Du zerfällst im Bette.
Wenn du süßelst in die Spiegel-Glätte,
Bröckelt schon aus deinem Auge Grab.


Tod

Es ist ein Tod, der uns ereilt vor der Zeit.
Das ist der Tod, mit dem wir spielen um Unsterblichkeit.
Er schlägt uns, aber wir lachen weiter, trinken, gelten, gehn.
Unsre Augen werden Tümpel, kreidig unsre Kehlen krähn.

Unter uns Tag und Nacht gehn Gräber um,
Blicklos, Schattenschritt, atemfaules Soundso-Gesumm.
Unselig, freudlos, schmerzlos pfeift ein kleiner Zorn,
    keift ein kleiner Neid,
Daß draußen Reif klirrt, Winter blaut, Kind spielt
    und Zeit sich reiht.

Traf dich sein Schlag, traf mich sein Schlag jetzt?
Sind wir das grindige Grinsen schon, daran sich Eiter setzt?
Und wanken wir verklebt und klein, wie unter Aschen-Schutt
    und Sturz,
Verfall mit Mühe bergend, Rülpsen, Schleim und Furz?

Dies aller Tode feindlichster, ausgesandter Fluch,
Läßt unsre Schande bloß, schlägt über uns kein Bahr-Tuch.
In jeder Mitternacht irrsinnig meckern wir, eckige Böcke, laut.
In uns der abgewürgte Fötus Gottes fault.


Faulheit

Fern von der Karawanenstraße dehnt
Sich eine Ebene, eines Alten Rücken
Unfruchtbar fett. Sie ist, die träge gähnt,
Besät mit Büchsen und zerbrochenen Stücken.

Hier fuhr nie ein der Beduinen Blitz.
Nur Würmer fett in fortgeworfenen Schuhen
Suchen nach Fraß, hier haben ihren Sitz
Verfaulte Affen, die auf Scherben ruhen.

In eines abgestorbenen Baums Geäst
Schreit kleine graue Vogelwelt beständig.
Die Menschen schleifen unten, halten fest
Den Wanst, der niederhängt und pulst inwendig.

Sie hocken wulstig. Breit ihr Rücken harrt,
Dem Samum, der nie anhebt, hingehalten.
Doch Raum nur aus verruchten Räumen starrt
Mit Talg durchlastend ihre feisten Falten.


Zweifel

Der tote Fluß stockt unter totem Dunst.
Ein Trupp von Menschen stolpert greisen Trott.
Verfaulter Rachen Röcheln kutzt und grunzt -
Der Himmel staut sich ohne Stern und Gott.

Dem Bergmann-Führer an der Stange schwankt
Laternen-Angst, die wie mit Aussatz fleckt
Den Fäulnisschein der Nacht, den sie durchkrankt,
Und Stirn und Wangen-Einsturz überschreckt.

Kein Schrei - wenn plötzlich Glas aufklirrt und knarrt,
Und zahnlos zynisch unten Wasser platscht.
Kein Licht mehr. - Nur das alte Chaos starrt,
Indes ein Fisch die fette Fläche klatscht.

Nacht! Und auf den verwirrten Händen schwiert
Ein Phosphor, der in Eiter grün gerinnt.
Ein kleines Lachen durch die Stille friert,
Das nie sich seiner Kindheit mehr besinnt.


Schein

Retten uns immer in Rauch,
In Witz und Gewinst und in Wiegen,
Daß nur die Stunden versiegen,
Brauchen wir Gaumen und Bauch.

Morgen und wieder aufs neu,
Und immer verwandelte Flüchte.
Daß sie gleicht ihrem Schein und Gerüchte,
Schminkt List und Lüge sich scheu.

Für wen wird der Mantel gerafft
Mit den stürmisch und falschen Falten,
Umbläht er doch nur einen kalten
Kapaunischen Leib ohne Kraft?!

Warum nur der Schritt und das Fest,
Tanz, Schwall, Angst, Adel und Ehren,
Die wir röchelnd in Nächten nähren
Das Nichts, eine brenzelnde Pest?!


Trägheit des Herzens

Und immer wieder flieht ein Antlitz fort
Und schwanket über fremdem Wasserort.
Unwiederbringlich Aug' und Liebeszeichen
Wird keine Reue, keine Qual erreichen.

Mein Gott, wie viele Liebe ließ ich aus,
Nicht kalt, nicht heiß durchmessend Weg und Haus!
Schläfriger Schacher konnte ich nicht halten
Gewognes Aug', darbietende Gestalten.

Unaufgefundner Blick sank irr hinab,
Arme Umarmung rasselte ins Grab.
Und ich, ein Mörder ungeheurer Güten,
Geh meinen Kreis, den lauen Ort zu hüten.

Und immer wieder bleiben Arme leer,
Und abgewendet wall ich durch mich her.
So Tag für Tag das feige Herz zersprengend
Und elend mit Almosen Gott bestechend.


Erstarrung

Tag ist Eislaufplatz und Perlmutterfläche.
Leierkastenpfeifen schleifen unser Schweifen hin und her.
Tag! Es träumt der Glieder übermüde Schwäche,
Und das farbenausgelaugte Auge schaut sich leer.

Nacht! Wie bin ich doch erwacht in ungeheures Dröhnen,
Und kein Atem trägt mich unter Eis und Schall!
Ach, es wird mich keine Flucht, kein Mund mit mir versöhnen,
Leere nur und Nordlicht donnern überall.

Tag, du wiegtest ein die Wahrheit, feiste Amme,
Und wir füllten unsern Mund mit Aas und Kraut und Rauch!
Nacht, o letztes Ich und Du! Nun teilt sich meine tote Flamme,
Und mich selber stink ich an mit meinem schlechten Hauch.

Die Gelispel-Liebe sinkt, es sinkt Erlösung hin und Buße,
Gottes Wunder, das allein die Zwiefalt eint!
Über meinem Haupte schaukelt wachsend die Meduse,
Bis ich morgenlos bin und versteint.


Schuld

Meine kleine Schwester sagte zu mir: Wir wollen spazieren
   gehn.
Sie freute sich so ihrer hübschen neuen Haube. Ich ließ
   sie stehn,
Lief mit dem frechen Haufen, lärmte und vergaß,
Daß mich erstaunt ein großer Blick und schmerzlich maß.

Mein kleiner verhungerter Freund sprach: Nimm mich mit!
Ich aber führte ihn zu weiß und goldenem Tisch.
Er bebte unterm Schwärm von Stimmen, aß nicht Speise,
   trank nicht Wein,
Sank - am Ufer schwätzten Reiche - elend in sein Salzmeer ein.

Alle Gründe, alle Sümpfe hinter mir sind meiner Opfer voll.
Aufging in Flur und Straß' kein Schritt, der mir nicht Vorwurf
   scholl.
Voll böser Lust schlug ich einen Hund. Nun hängt sein Aug unter
   meinem Lid.
In meiner Lade modern Briefe, die kein Rächer sieht.

O Wintersterne über mir, Gestirne meiner Schuld!
O über dem Gewehe Augen ohne Gnade. Haß und Huld!
O meiner Schwester Schmerzensblick, den Gott nicht aus den
   Räumen rafft.
Denn Nichtswirdwiedergut heißt der Polarstern mit dem Namen
   tiefer Wissenschaft!


Spur

O Hieroglyphe und verschlungene Schnur,
Tiefsinnige Kurve, die mein Wandel schwenkt,
O Netz, darin mein Bild wie Spinne hängt,
Geheimnis abgeschrittener Figur!

Du Sklavin hinter mir, Hündin, du Spur,
Die dumpf-gleichgültig kleine Stöße bellt,
Die ihre eigenen Stapfen überfällt,
Und trollt und trottet die okkulte Tour!

Morde vergaß ich über Schlaf und Schwall,
Und warf hinab von mir gebrochenen Blick -
Ich truble trunken, aber überall
Knirscht Sand durch Traum und vielverknüpfter Strick.

Und unerbittlich sticht mit spitzem Stift
Sich Chiffer hinter mir, und pfiffig flicht
Sich eine Bahn zu nie verziehner Schrift:
Und also schreib' ich schreitend mein Gericht.


Spiegel

O Spiegel arm, unselig und verflucht,
In der Narziß ertrank, gefrorene Fläche!
Ausbund von Nichts und Hort für jede Schwäche,
In der die Welt sich zu gefallen sucht!

Sinnbild des Silber-Käfigs, ohne Recht, -
Dein eitles Herz darf keine Freiheit wagen,
Du mußt es töten und das Tänzeln tragen
Der süßen Herrin. Hahnrei, Narr und Knecht!

Und wird ein anderer vor dich gestellt,
Ein Spiegel, dann erkennst du Fluch und Hölle,
Dein Ich und Alles, diese ganze Völle
Von Nichts, die er dir flach entgegenhält.

Da aber wird dir Rache und Entgelt.
Höhnisch vertausendfachst du das Dazwischen,
Und machst unendlich einen Wahn von Welt,
In den wir fliehen, ohne zu entwischen.


Morpheus Senex

Ich bin der Berg der Schlafe. Durch meine Ritzen wächst Moos,
Ich bin an meinem Schenktisch ein langsamer Wirt.
Meine tiefen Augenlider hängen klumpig und groß
Über Backenfraß zum Lausebart nieder, der klirrt.

Die Baskenwölbung meiner Schenke ist nächtlich befleckt
Von Pestilenz der Lampenhur, die alten Atem haucht.
Die Tische sind, Fliesen, dicke Gläser bedreckt
Von Asche, Speichel und Unflat, den die gute Freundschaft raucht.

Meine Diener sind taube Hexen, sie fahren mit krähendem Furz
Um die Tische, zerbrechen Geschirr und vergießen Trank.
Meine treuen Gäste Saufaus und Rotzaug lüften ihnen den Schurz,
Wiegen weise das Haupt und prüfen den guten Gestank.

Ich rühre immer mit dem Besen im Suppentopf,
Oder schleife durch meinen Sumpf, oder mache mich naß.
Zwei Greise noch wachen und wackeln, ein Kropf und ein
   Wasserkopf,
Lallen und speicheln und schlagen öliges Aß.


Morpheus Puer

Der träumende Knabe sieht seine Mutter nicht mehr, hört nicht
   ihr Sprechen,
Nur die Gestalt über viele Sessel gestreckt, umwunden von
   Leintuch.
Da weiß er so viel, und fühlt seine gläsernen Augen zerbrechen,
Und flieht und springt, verfolgt von Geruch von diesem Geruch.

Er springt über Treppen, fremden Tempels tönende Treppen,
Und hinterdrein der Geruch von Weihrauch, Nelke und was
   er nicht kennt.
Über das offene Oben fahren des Himmels November-Steppen,
Aber im Nebel des Raums der Christen geheime Lampe brennt.

Ihn drosselt Duft und stummer Schrei. Da schwillt ihm entgegen
Priesterzug, die Lichte wallen, Hoboe schallt.
Kränze schwanken, Wolken, Verwesungsregen,
Und der Pontifex schreitet mit Sphärengewalt.

Tränen und Geister werfen ihn um. Es hacken
Und wälzen Dämonen-Orgeln ein rasendes Walzer-Geplärr.
Einmal noch streift ein erkaltender Kuß seinen Nacken,
Schluchzen hetzt ihn durchs Traum-Haus, wollüstiger Herr.


Tiefes erwachen

Ich bin erwacht. Wohin trug mich Erwachen
In alten Raum von Schatten, Bank und Baum?
Ich trat durch eine falsche Türe Traum . . .
Und kann mein Wachen nicht mehr schlafen machen.

Ich lande hier wie Flocke und ein Flaum,
Und habe mich nicht mehr, als wie auf Zungen
Geschmack rückkehrt, und nur wie zart gelungen
Erinnerung auflauert lau und kaum.

Oder stürzen noch immer die Vasallen
Die Ungetreuen von des Engels Schwert?
Und vom Geheul, das höllenabwärts fährt,
Bin ich ein Laut und letztes Widerhallen?

Bin ich ein Splitter aus dem Stimmenhundert
Der wahrverborgenen Wesen? Nur ein Ruf,
Ein Abschall dumpf von spätem Geister-Huf,
Der jäh erwacht, Ich sagt, und sich verwundert?


Schauder

Kehr du ins Zimmer der ersten Nacht!
Hör du, wie deine Mutter schreit!
Siehst du die Alte? Sie grinst und nickt,
Lacht und schaukelt dein kleines Bad.

Fährst du ans Licht aus schrecklichem Schlaf -
Riesige Fremde, die dich erwürgt!
Vor deinem Fenster rostet ein Baum,
Nur die uralte Fliege dröhnt.

Immer noch steht der heilige Berg.
Kreuz und Kuppel des Tempels blitzt.
Über siebenmal siebzig - ins Licht -
Stiegen knien die Pilger hinan.

Immer noch stehn die Schwangern im Tal.
Halten den Leib und falten die Hand.
Doch in den Tempel-Buden des Bergs
Tanzen die Huren zu Schelle und Baß.


Vision

Das scheinende Haupt des Pharao sinkt auf die Brust.
Die Hände klirren über die Löwen-Lehne.
Langsamer Rauch und schrittlose Harfen-Luft. -
Im großen Fenster immer die Segel, immer die schmiegenden
   Geschwader.

Im dunklen Flur steht der Sklave mit überfließendem Traubenkorb.
Die Mädchen der Küchen singen russisches Lied. Im Herd
   Erzväter-Feuer.
Auf dem Markt sind Kränze zu verkaufen. Falscher Blumen Duft
   und viel Kinder-Schritt.
Auf der Terrasse rötliche Priesterinnen üben erhabenen Gang.

Kommt denn, ihr Freunde, zum Fest! Viel ist zu gewinnen in den
   Grotten.
Auf Inseln rieseln die Flöten. Wie eine müde Geliebte umfängt
   uns Flußfahrt.
Unsere Schultern sind frei. Nicht versengt unsere Wimpern Mord.
Mit bebendem Mund sehn wir den gelassenen Kranichen nach.

Nun glühen rings die Kuppeln von allzu innerlichem Taumel.
Auf allen Minaretts ekstatisch breitet der Astrolog die Arme aus.
Von goldnen Ufern winken uns ernste Vollendete! Frauen tauchen
   in tiefste Sonnenschwärze.
Dahin unsre Schuld. Wir leben! Wir atmen im Gleichmaß einer
   unbekannten Liebe.


Müdigkeit

Tiefe Schwester der Welt
Weilt auf bewimpeltem Bord,
Schützt ihren Krug vor dem Glanz,
Der schon im Westen zerstürzt.

Mit dem Gelächter des Volks
Löst sich das Schifflein und schäumt.
Aber die Göttin und Gold
Rollt mit den Wellen noch lang.

Herz und Atem versinkt,
Woge, in welchen Schlag?
Mischt schon die Fledermaus
Elemente und Mohn?

Abendgestade und Blick
Schwinden hin. Kiel und Delphin.
Lebt noch über der Bucht
Maulbeer, Limone und Öl?


Vergängnis
        I

Bleib bleib! Tritt nicht zur Tür, geh nicht davon!
Wenn du nicht küßt, ist all mein Scheinen Hohn.
Wohin verschütt' ich meine Schale Schein,
Netzt du dein Aug', und tauchst dein Haupt nicht ein

Noch sprüht in mir ein zarter Klippen-Schaum,
Noch noch verstrahlt mein Haar Marien-Saum.
Noch haben meine Brüste Wesen Licht.
Komm komm, vergeude ihre Stunde nicht!

Noch wirbelt mir mein Innen-Stern und gellt.
Bald wird er langsam. Meine Wange fällt.
Laß laß mich nicht! Wie sinnlos ist mein Schoß,
Durchkost nicht deine Mundes Wahn sein Moos.

Sieh, sieh mich fließen, meine Sang-Gestalt
Noch ohne Krähe Krampf und Knitter! Bald
Ein Spiel-Gott wirft den abgeschnurrten Klang,
Mein Elfenbein zu Unrat und Gestank.


Vergängnis
        II

Der Schritt der Tanzenden bricht ab und wankt.
Den sie begann, der Tanz hat abgedankt.
Im Lampen-Nu ihr Mädchenschuh wird breit.
Die Hand hat Adern. Auf das Haar fällt Zeit.

Noch bäumt das Fest sich auf dem gleichen Ort.
Noch schäumt der Bläser. Ein Gestirn verdorrt.
Ein Strahl, der durch den Himmel säumt, wird kalt.
Ein Licht stürzt ab von junger Frau Gestalt.

O Atem nicht mehr gut, bewölkte Haut,
Schon ernster Schritt, o Blick hoch überbraut!
O Niedergang der Brust, o Mund gesenkt,
An dem das oft noch alte Lächeln hängt!

Vergängnis: Regen, nasse Stadt und Gang
Durch Morgen-Qualm und Husten, Abendzwang
Der Nähmaschinen, wenn das Gaslicht faucht,
Und edles Haupt in beide Arme taucht!


Notwendigkeit

Weh uns, wir heißen: Hinundher!
Und unsre Mutter: Mindermehr!
Hier Linksherum, dort Rechtsherum
Heißt unser Stadt und Königtum.

Und unser Kind nennt sich: Kannsein!
Es schielt sein Augen-Zwitterschein,
Und unsre Gottheit Janus spricht
Mit zweien Munden das Gericht.

O komm, so komm, Notwendigkeit,
Zerwälze unsern Widerstreit!
Stürz ein die Babel irrgetürmt,
Daß winkellos die Straße stürmt!

Ja, mein Ichbin heißt nun Ichmuß!
Mein Sumpf ist Fluß und Überfluß!
Triumph, mein Traum wird Trommelschlag,
Und aller Tag zum Schöpfungstag!


Verheißung

Es stapft dahin, das alte Menschentier,
Die Stirn kommandostumpf, die Lippe stier!
Aus himmellosen Pfützen-Augen glotzen
Drei gelbe Gierden und ein trübes Trotzen.

Vom Grabe ist der Felsen weggewälzt.
Der Gott ist fort. Ein Quastenschächer stelzt,
Und lehrt mit krächzenden und frechen Blicken
Das hohe Wort zu knechten und zu knicken!

Der Gott ist fort. Im Hinterhalt der Welt
Wird er Musik. Schon stampft er auf und schnellt
In unser Herz den Schlag von seinen Zeiten,
In unsere Schritte spannt er ein sein Schreiten.

In unsere Sehnen greift ein Sänger-Krampf.
Groß fallen wir in Dithyramben-Dampf.
Wir werden unter weisen Eichen wallen,
Lichtherrscher Alle Hand in Hand mit Allen!


Völker

Ich sehe sie. Es schieben ihre Frauen
Durch Sonntags-Gold die Kinderwagen her.
In Mücken-Netzen schaukelt durch das Blauen
Ein Licht-Gelächter. Frühling riecht nach Teer.

Ein Dunst von Spiel steht über ihren Plätzen.
Ewig ist Jahrmarkt: Bude, Zelt und Stand.
Vom Strand die Männer kommen jetzt mit Netzen,
Im Augenstern des Meeres blassen Brand.

O Unverführte, wenn die Tennen klopfen,
Erzvater schwankend keltert den Genuß!
Der Sonne Stier brüllt. Eure Stirn trägt Tropfen,
Doch keinen Schweiß aus Bauch und Überdruß.

Hier knattert nicht gewitzt des Drachens Flügel,
Der Eisen-Böse, der die Wolken kirrt.
Es weidet oben auf dem seligen Hügel
Des Ursprungs Lämmer Euer Lieder-Hirt.


Geistige Freude

Es ist in einer unbekannten Frühe,
Da letzter Stern anwächst zu riesigem Schein.
Gewaltige Eos kommt. Das Werk der Mühe,
Kasernen und Fabriken krachen ein.

Und Tempel, die noch nie so göttlich brannten,
Mit brüllenden Kuppeln in den Himmel stehn,
Und Menschen sieht man nur mit ausgespannten
Umarmungs-Armen, große Kreuze, wehn.

Auf den geborstenen Gräbern selbst die Toten
Am Hügel sitzen, atmend, aufgedeckt,
Wie Kinder früh am Bettrand, starr, mit rotem,
Zerbrochenem Mund, das Antlitz aufgebleckt.

Nach Nord, Süd, Ost und West vier Tuben beben.
Auf allem Munde kniet das Eine Wort.
Gott selber wirft von seinem Gnadenort
Sich uns gehüllt in Strahlenstaat ans Leben.


Schönheit

Bist du ein Mensch noch - Odem, Gang und Sinnen,
Du Mann nicht, Weib nicht, Stern nicht und Geschlecht?
Was wählst du gnädig, vor dir hinzurinnen,
Mich niedern Bach und Bettler ohne Recht?

Ich wehe durch den Herbst, ein taubes Innen,
Beruhigt, Weide, Rauch und Strohgeflecht.
Tief bin ich leer, kaum Atem mehr, von hinnen,
Sanftmut im Gras, Weg, der sich heller schwächt.

Soll ich dein Antlitz aus den Nächten heben,
Auf deren Grund es treibt, vom Gott entführt,
Dein Schreiten heben, Lachen, Tanz und Schweben
Aus Pol, Traum, Fremde - kühl und ungeschürt?

Und bist du da, soll ich mich gut ergeben
In müdes Fließen, das dich nicht mehr spürt?
Soll ich im Wagnis eines Blickes leben
und sterben, wenn mein Schatten dich berührt?!


Phänomen

Das Feuer sagt sich aus, es sagt sein Rauch,
Der überall dem Urdreifuß entweicht.
Die Blume singt sich aus dem Chaos-Strauch,
Es singt der Wind den Sinn, dem er nur gleicht.

Der nackte Baum, ein Gott und Erzprophet,
Grau in die Harfe aller Himmel greift.
Sein Lied zerschweigt ihn, daß er starrer steht,
Wenn ihn der Tausendfalter Schnees umschweift.

Die Antilope ziert sich auf dem Grat,
Wie Mädchen tritt durch das Gewölk ihr Wert.
Und wüst verkündet sich als Sumpf-Verrat
Der Rüssel-Eber, der durch Forste fährt.

Wir sind die Stummheit Gottes, und er schweigt
In schwachen Schwaden unsern Sinn durchs Haus.
Wenn gut im Flur sich nun die Lampe neigt,
Gestirnte Worte wandeln ein und aus.


Viertes Buch

Laurentin der Landstreicher

Sprüche

 

Proömium

Heda, Master dieses Einkehrhauses, einen Whisky!
Heda, Mann, Schenkenwirt der großen Wasserscheiden!
Ich bin durstig südwärts der Beringstraße.
Ich fror, so muß ich mir ein Feuer machen!
Durstig werde ich sein nordwärts Assuan und des Jupiter Hamon,
Ich werde das Feuer löschen müssen.
Drum, Master, Euern Whisky her! Und nun seht, wen Ihr
   beherbergt!
Ich gefalle Euch nicht. Sehe nicht aus wie ein Zobeljäger.
   Bin ich ein Derwisch?
Oder kam ich auf Seiltänzerwagen her, ein Liebling der Dörfer?
Nein! Ich will Euch sagen: Ich bin allzusehr nach Osten gegangen,
                        so kam ich allzusehr nach Westen!
Das ist meine erste Narrheit, meine erste Weisheit.
Ich bin voll Wanderung und voll Ungeziefers.
Aber ich lache, denn in mir ist unvergängliche Freude. Ich schenke
       meinen juckenden Leib an Insekten weg.
Ich bin der heilige Landstreicher, unheilig frevelhafter Stifter,
   verlauster Kirchenvater neuer hinreißender Kirchen.
Ich bin der heilige Dreikönig mit der goldenen Papiermütze.
Immer ist mein Tag, täglich ist mein Tag, ich bin nicht
   fortzubringen von den Türen.
Ich sage meine Sprüche her,
Ich male alle Teufel an die Wand.
Ich bin kommen, ich komme, das Gesetz aufzulösen,
Ich, der Todfeind, Verhöhner, Henker aller Henker, Richter, Jurys,
   Präsident, Aldermen, Kadis und Alkalden!
Ich bin betrunken! Aber ich komme noch über Euch, ich komme
   noch über mich mit Nüchternheit und Zorn!
Das ist mein erster Spruch!
Heda, Master, noch einen Whisky, und nicht den letzten!


Der Vorwurf

Glaubst du, ich wäre unverständlich, verständiger Tropf, weil du
   mich nicht verstehst?
Ist unsichtbar das Gestirn, das du Triefäugiger nicht siehst?
   Der Sternenmeister sieht es.
Ist unhörbar die erhabene Wirrsal, der chaotische Kanon, Zebaoths
   Marschlied, der Strahlenchor des Morgens,
   den du Stumpfhöriger nicht hörst?
Und was verstehst du denn, Verständiger?
Und was ist dir klar, der du Klarheit forderst von mir?
Verstehst du und hast ergründet das süße Leiden des Löwenzahns,
   dessen gespenstige Krone ein Kind in die Welt bläst?
Und ist dir klar des Wassers Zusammenlauf, daß der Tropfen
   nicht einsam bleiben will und zum Leib zusammenströmt,
   zur Gemeinde der Versprengte, Einzelne?
Du zählst die Halme und mißt die Gewässer, du Statistiker, du
   Statist der Lebendigkeiten!
Aber Halm und Gewässer bleiben dir fremd, wie die geflügelten
   Sterne.
Und bist du hinabgestiegen, - der du die Worte so klar und ver-
   ständig setzest, in das Gottesgeheimnis der lebendigen
   Grammatik?
Ermißt du - der du sie mißt und gebrauchst - die gespendete
   Gnade der Formen, die Bedeutungen der Konjugation
   und der Syntax,
Die schwesterliche Zartheit des Genitivs und das Partizipium ein
   erstarrter Höllensturz, Himmelfahrt, die Gott durch großen
   Zuruf in Schwebe hält?
Aber ich weiß, du hassest mich, weil ich weiß! Mein Wissen ge-
   fährdet dich in deinem Stieren.
Dein innerlich Unfruchtbares ruft mir höhnisch sein Kusch zu.
Aber ich lasse nicht ab.
Ich trompete dir entsetzliche Reveille!
Ich bin dir verhaßt wie einer, der aus dem stickigen Bett den
   traumlosen Vielfraß rüttelt und ruft:
      Auf, es ist Morgen!
Ich funkle in den Morgen, eine ungeduldige Tuba.
In meinem Metall bebt schon die Schwingung der letzten Posaune!


Warnung und Lehre

Wehe dir, mein Mensch, wenn du lassest von deiner Welt,
Wehe dir, wenn du ermüdest in deiner Leidenschaft!
Du wirst zur wachsenden Wüste über deinem lebendigen Grab.
Lallende Glocken schlägt Stunde für Stunde die Leere in dir.
Widerlich wird dir dein Antlitz.
Du höhnst dir entgegen.
Schief wird dein Mund, so will es Gott, zum Zeichen! Nicht rettest du dich in Gedanken,
Sie denken die Verfluchung nicht aus, sie machen dich nicht durstig,
Sie tränken dich nicht. Du schielst vor Nichtigkeit.
Deine Tagworte peitschen dich abends aus.
Lüge, Lüge, Lüge pfeift jeder Hieb.
Deine Eitelkeit, letzte Labung, versickert im Sand.
Am Morgen findest du dich nicht, du greifst nach dir, ob du bist.

Was lehre ich zur Gesundung?
Ein Wort lehre ich zur Gesundung: Hingabe!
Was ist Hingabe?
Sieh an, sage ich dir, hier auf dem niedrigen Ästchen wippend die
   kleine Bachstelze!
Wie unaufhörlich ihr Schwanz wippt, ein Schwimmer auf dem
   Sprungbrett, bereit, sich in den Raum zu werfen! Wie
   ihr Körperlein in die Idee des Wagemuts ausläuft! Wie
   ihr ganzes Wesen Abstoß ist!
Sieh an, sage ich dir, diesen durchsichtigen, zartblättrigen Erlen-
   bäum! Er wächst nicht mit Schultern in den Raum. Er
   durchstreichelt ihn, er durchzittert ihn. Er ist wie ein
   leiser Taumel vergoldeter Sphäre. Gläsern durchfahren
   ihn Vögel, die er nicht aufhält. Der Abend, ein Teppich
   hinter ihm. Er gleicht einem Markt zu kühler Stunde mit
   seinem Treiben.
Spür an, sage ich dir, hier am Bachrand, die Minze überall! Gleicht
   ihr Geruch nicht, grünstaubig, dem windigen Knaben-
   spiel?
Sieh die Flammen an! Wie verschiedenartig sie sind! Wieviel Ge-
   schlechter und Sippen von Flammen gibt es! Die einen
   gotisch. Spitz falten sie sich und stechen mit Inbrunst
   empor. Die anderen aus dem Raub des Prometheus. Mit
   allen Fingern schüttelt und zerzackt ihr auftrotzendes
   Haupt das Schicksal!
Soll ich noch mehr nennen?
Fragst du noch immer, was Hingabe ist?
Hingabe ist die Gnade, mit allen Sinnen zu sehen!
Sehen aber ist die Gnade, abzusehen von sich selbst!
Wer aber von sich absieht, wer aber von sich aufsieht, der trägt
      die Welt in sich.
Wer aber die Welt in sich trägt, der kann nicht verstummen, der
      kann nicht verwüsten, denn er liebt!
Es ist Lobpreisung und Fluch!
Er berechnet nicht, er verkauft sich an keinen Zweck,
Er haßt die Ingenieure und Diplomaten.
Er hat keinen schiefen Mund,
Seine Gedanken sind kein tückisch gewordener Selbsthaß.
Er dreht sich, er singt, er klatscht in die Hände
Unter dem zunehmenden Mond.


Der Mächtige

Wie kannst du, o Mächtiger, ertragen das Erblassen der Sklaven,
   wenn sie in deiner Türe stehn?
Wie ist es möglich, daß du nicht aufspringst und sie an beiden
   Händen fassest?!
Siehst du nicht, wie ihre Knie auf Wolken gebeugt sind, wie ihre
   Augen weiß werden, wie ihre Hände nichts mehr von
   sich wissen, wie ihr Atem schmachtet?
Du aber knarrst mit deinem Stuhl,
Du aber schnarrst mit deiner Stimme!
Doch ich sage dir: Du bist sklavischer als der Letzte deiner Skla-
   venschaft.
Er ist frei, weil er leidet, vor dir!
Du aber bist stumpf und von Gewicht,
Mit niedriger Stirn gehässiger Knecht deiner Gesetze.

Die Götter lachen über dich.
Sie halten sich den Bauch über deine Stimme.
Ich sage dir, wir leben, die Wesen dieser Welt zu erkennen in
   ihrem Wesen.
Was aber heißt Erkennen?
Erkennen heißt teilhaben am Schicksal des Erkannten,
Erkennen heißt, ein Hicetubique sein!
Ist Erkennen und Lieben zweierlei?
Erkennen und Lieben ist einerlei.
Du aber bist ohne Erkenntnis, grausame Unfruchtbarkeit, leeres
   Grönland . . .
Darum flüchtest du dich in deine Einrichtungen, in deine Diszipli-
   narordnungen, Komitees, Statuten und Erlässe!
Ich aber will deine Einrichtungen zerschmeißen, deine Disziplinar-
   ordnungen anzünden, deine Komitees ausräuchern, dich
   aus deinen Statuten und Erlässen peitschen!
Ich bin mit Magiern im Bunde, ich bespreche Asmodi und die
   mächtigen Geister der Heiligen!
Morgen bin ich des Papstes Tischgenoß.
Lerne, sage ich dir, geh in dich! Ich halte Wort.
So wahr ich zerfranste Hosen habe, und in der Tasche fünfund-
   siebzig Centimes und einen deutschen Groschen . . .
Ich halte Wort.
Hörst du? Sieh mir ins Auge, vergeh!


Der Nichtige

Wer aber ist, und wahr ist,
Er blickt sich um . . .
Da liegt die goldene Wandrung seines Vormittags:
   Dort war ich, was ich hier bin.
   Hier bin ich, was ich dort war.
Adler des Mittags heben ihn hin.
Schritt und gute Luft in den Lungen.

Wer aber nichtig ist,
Er blickt sich um . . .
Da schwebt der Staub, stockt Schotter-Hohn:
   Bin ich der Nebel, der ich dort war?
   Hinweg, du Nachmittag!
Lüge will Vergessenheit.
Schuld erseufzt Vernichtung.
Um Dämmerung fleht ein Schatten.


Der Fluch

Es ist ein Fluch über uns.
In uns heißt er: Böser Wille.
Nur Absicht ist in deinen Augen,
Darum wird Einsicht ihnen nicht zuteil.
Du siehst, nur was du willst, zu sehn,
Du siehst, dich zu vermehren, in die Welt.
Das heißt Leben.
Böser Wille ist in deinen Händen,
Zweck zwackt deine Finger.
Was seufzt du! - Wüste!?
Die Welt ist leer, weil sie von dir so voll ist!
So lebst du ohne Gnade.
Doch willst du wissen
Geheimnis der Größe, Geheimnis der Genien?:
Lebe aus Gottes Hand!


Das Unrechte

Es ist ein falscher Schmerz in dir . . .
Drum hörst du nicht den Finken in der Fichte.
Es sticht dich böse Unruh auf . . .
Drum ruhst du segnend unter Buchen nicht.
Du schielst zuviel nach den Füßen der Weiber . . .
Drum hast du Liebe verlernt
und wischst den Untergang des Lichts von deiner Wange.


All-Wirkung

Es schwankt ein Nest in hoher Linde.
Bewegt ist es von deinem alten Kinderschlaf.
Ein toter Vogel liegt im faulen Laub,
Du saßest mit im Rate seines Schicksals.
O du Sebastian.
Dir stecken alle Pfeile der Welt in der Brust!
Doch, sieh, auch dein Pfeil
Steckt aller Welt in der Brust.
Du bist die Spinne großen Netzes . . .
Die Schöpfung harrt des Worts,
Das in dir harrt,
Des Baumspruchs, der sie erlöst.
Du aber wankst hinter den vielen Farben der Frauen.


Weiß und Schwarz

Gott schuf die weißen und die schwarzen Engel.
Gott schuf die schwarzen und die weißen Narren.
Alles Weiße schaffet Süßigkeit.
Alles Schwarze schaffet Bitterkeit.

Doch so entscheidet Gott:
Am letzten Tag unsichtbar sind
Die weißen Engel und die weißen Narren.
Das Lichte stirbt im Licht.
Doch sichtbar sind und wirklich am letzten Tag
Die schwarzen Engel und die schwarzen Narren.
Gott mißt allein das heißere Herzklopfen.
Ins Paradies geht ein sein Widerspruch.
Sagt, wie nennen wir also die Welt?
Die Wert-Vertauschung laßt sie uns nennen.


Unmut

Daß all dies noch Sprache ist,
Noch voriges Verlauten.
Gebunden, angekettet, gesetzt!
Und überall möchte ich schon hinaus,
Ich laure durch die Löcher meiner Zerlumptheit.
Aber dies hier ist Welt und wird immer rund,
Und überall die alte Geformtheit!
Da aber sind auch Worte, und eins fängt das andere,
Mystische Polizeispitzel, Angeber, Untertanen -
Oder setzen sich zusammen an einen Tisch,
Löffeln - die Sätze - aus einer Schüssel,
Starr, pünktlich, gehörnte Bauern!
Er aber, der Fremdling,
Der Weise, der Ausgescherte,
Der Sträfling,
Wie nagt an der Luke, wie nagt er am Eisen-Gitter,
Kann nicht entwischen -
Er,
Der erhabene Ausreißer!


Unwandelbar

Da hilft kein Wasser aus dem Versiegen schöpfen,
Da hilft kein Feuer aus dem Verlöschen schlagen,
Da hilft keine Erkenntnis vom Himmlischen, Kühnen, Reinen!
Da bist du, da bist du!
Deine Stimme ist nicht lauter, als sie laut ist,
Dein Mut nicht mutiger, als er Mut hat.
Je mehr du schreist, je weniger Gesang!
Je mehr du tobst, je weniger Tat!
Was übertreibst du? - Die Rampe wankt, aber die Seelen
   bleiben unerschüttert.
Ich weiß, ich weiß,
Es tönen unterm Himmel noch Heilige, noch Anmutige,
   noch Vollender!
Wo bist du, wo bin ich?!
Ja, friß die Erkenntnis,
Verzweifle,
Aber knie, wirf dich hin, bete an!!


Schicksal

Die Siege des Großen, gesiegt, werden vor
Ihm hinfällig und nichtig,
Die Gebirge des Großen, überstiegen, werden
   vor ihm niedrig und nichtig.
Er ächzt, weil alle Höhe gleich tief ist.
Er seufzt, weil keine Tat ihn übertrifft.
Er wächst,
Aber ewig gleich ist der Abstand. -
Das ziellose Herz zweifelt, wütet an sich,
Wohin es auch versucht, wohin es auch gelingt! -
- Aber die Götter höhnen. -


Der Hexenmeister

Ich bin der alt-wilde Hexenmeister,
Der ausgewitzte Magier und Teufels-Trotz,
Der Luchs und Urlist-Zauberer!
Zerbeiß' ich zornig meine Schifferpfeife,
Erstickt wo ein Gerichtshof.
Immer tret' ich in den Schädelkreis,
Persisch hohe Spitz-Tiara auf dem Kopf.
In meinem Katz-Felleisen klappert
Ein Wolfsherz, Eulenaug' und Krötenmilz.
Schwarzes Mondkorn streu' ich auf mein Feuer.
Mit meinem Ahriman-Stab lock' ich das Volk:
Die Sporen-Großen, den behängten Staats-Troß,
Die grauen Goldzahn-Satrapen,
Die zwinkernden Groß- und Klein-Ladenhüter,
Die fetten Maul-Gestank-Vetteln,
Die buntrock-geschäftigen Geist-Störer lock' ich!
Sie kommen!
Herbei, herbei, hereinspaziert, Herren und Damen!
Ich lasse euch tanzen nach meinem Taktstab.
Zehntausend Stunden müßt ihr mir tanzen!
Zehntausend Stunden zuckt mein Zorn,
Bleibt lustig meines Gottes Wohlgefallen!
Tanz, tapp, tritt fehl, du Asthma!
Stirb nie erwachter Gottlästerer!
Ich bin der alt-wilde Hexenmeister,
Der Luchs und Urlist-Zauberer.
Ich keuche vor Musik.
Edler Rache Schweiß tropft von der Stirn mir.
- Erquickt, o Tropfen, diese Wüstenei! -
Doch du Gelichter, tanze!
Tanz, du Seuchen-Dung,
Taktlos, du Akt-Aas und Verordnungs-Furz!
Tanzt, tanzt nach meinem Stab, Gold-Galgenvögel!
Ich breche nicht den Bann,
Zu Tode tanz' ich euch!
Wie kitzelt euer Todes-Angstgeschrei
Mein Hokuspokus-Hohngelächter!!


Die Feuerpaten

Es ward dem König der glänzende Knabe geboren.
Da nahten mit Gaben drei Fürsten des Feuers.
Über den Kinderschlaf schwangen sie ihre Pfannen.
Funken fuhren um ihre glühenden Barte.
Der erste segnete seine Flamme:
»Sei Feuer«, sprach er, »Knabe, lodernd unlöschlich!«
Der zweite segnete seine Flamme:
»Sei Feuer«, sprach er, »Knabe, weitscheinend und sichtbar!«
Der dritte aber fluchte seiner Flamme,
Ließ sich umlecken die Faust von lüsterner Flamme:
»Sei Feuer«, sprach er, »Knabe, darein ich
Tauche die Faust, die nicht schwarz wird und Asche.
Sei Feuer, lodernd unlöschlich, weitscheinend und sichtbar!
Doch wie nichts andres verzehre dich selbst nicht!
Entzücke, süß entzündeter Schein, aber stirb nicht!
Sei Feuer, Knabe, in das du die eigene Faust tauchst!
Unleidender, leide den Fluch zu Ende!«

     Da entsetzten die Gäste sich alle der Feier!


Die Meister

Seht, es gibt so viele Antlitze!
Hört, es gibt so viele Beschaffenheiten!
Aber die Meister haben nur eins gelehrt.
Aber die Meister sind einig gewesen.
All Lebensschlaf ist Vielfalt!
Hört mich, ihr babylonischen Träumer,
Ihr Tausendtoren, ihr Auseinandersprecher, ihr
   Charaktere und aufgeblasenen Babeltürmer!
Verbissen in verständige Tollheit,
Was wißt ihr vom Auge der Pferde,
Was von der sinkenden Hand des Kranken,
Was vom Hinwandel der Frauen,
Ihr Gewaltsamen, Fischäugigen!?
Da glaubt ihr zu besitzen, wo man hineinstößt,
Da glaubt ihr zu haben, wo man heraussäuft!!
Aber dennoch, ihr Bluthunde -
Nur ein Hauch, nur ein Haar, nur ein Schritt,
Euer Auge hat Schein zum Scheinen -
So wenig fehlt zur Erlösung.
Aller Schlaf ist Babel und Vielfalt,
Aber Erweckung ist Einfalt!
Das wissen die Meister,
Wanken einfältig trunken,
Kennen die Augen der Pferde
(Ihr Auseinanderwisser!),
Folgen mit hohem Lobspruch
Der Einfalt des Werkes, dem Wandel der Welt.


An die Sibylle Mara

Einsam sind wir auf dem Erdenstern.
Eitle Peitsche treibt uns wie Kreisel.
Zu Spiegel werden alle Geschwister.
Süß tänzeln wir im Spiegel-Labyrinth.

Doch Nächte sind. - Es zerbricht das Spiegelnde.
Zwischen blitzenden Splittern strömt unser Urfluß.
Die Leere ersäuft und geschwollenes Nichts,
Wenn der heilige Wind des Gesanges sich hebt.

Da sprechen wir unsere Sprache, die Sprache des Sirius,
Aller Wesen Sprache auf allen Sternen.
Wir schreiten in tiefumschlungener Heerschar.
Das Herzklopfen Gottes sind wir da. Nichts andres.


Dämonen

O fühle nun,
Da die Dämmerung mit ihren Krähn
Und modrigen Altarfetzen
Flattert über die Entlaubnis,
Da Grabeskerzen taumeln,
Und Harpyien windig niederfahren
Durch Zwielicht und Zweifelherbst -
O fühle du die alten Götter hocken auf den Bergen,
Böse über Zigeuner-Kesseln, die Verbannten!
O fühle du die Entzweiung der Mächte,
Zu deinem Haupt geballt die beiden Balger!
Der schickt dir Regen, boshaft Boreas -
Der Seelenherzog
Hermes über die schwankenden Lampen
Läßt er dich stolpern des Erebus.
Günstig ist dir der Leto-Sohn
Und günstig der Löser,
Günstig auch Kypris . . .
Doch dir zu Häupten
Ilischer Kampf der Dämonen!
Du selbst der Staub nur ihrer Schlacht,
Du selbst der Schreck nur ihres Schreis,
Das Beben der Sphäre,
Kurzhaftender Blitz ihrer Pole,
Du nur der alte Sohn ihrer Balance.


Die Lerche

Ich springe aus dem nächtigen Laub auf.
Ich spanne mich wie einen Bogen in den Morgen.
Näher donnert die Sonne, noch unterirdische Pauke
   Näher dem Gekräh!
Auf frühen Schollen frühen Lebens finde ich die Lerche . . .
»Geliebter kleiner Vogel, irdener Vogel, bist du da und gleichst
   an Farbe und Einfalt dieser Erdenscholle?«
»Ich gleiche der Erdenscholle, mein Freund, ich bin sie selbst, ich
   bin Erde, die über sich ansteigt.«
»Steigst du an und bist trunken ohne Trunk?«
»Ich steige an, mein Freund, und bin trunken. Ich ward, als der
   Geist innehielt im Flug und rückwärts sah ich den Morgen.«
»Bist du so hoher Abkunft, und falb doch, und ohne Ansehn?«
»Ich bin gering und falb von Ansehn, denn zusammengedrängte
   Leichte bin ich, Gestalt des Geistes, Seele, Überwindung,
   Aufbruch, Aufschwung, Anstieg!
Ich bin armselig, damit gewaltig unter dem Feuer mein Gesang sei.
Ich bin Verheißung, Tröstung, Hochamt, Unverlöschliches von
   unten nach oben!«
»O kleiner geliebter Vogel!«
»Ein Gleichnis bin ich, mein schwerer Freund, wie du selbst!«


Die Vollkommenen

Sie haben sich zusammengetan auf der Wiese und sagen:
     Wir sind schön.
Innerlich ist ihr Morgen, Gottes Schritt ihr Tanz.
Unentwirrbar glücklich ihre Augen!
Ihre Augen scheinen: Wir sind vollendet!
Von seligem Gesetz geflügelt die Hoboe ihres Atems.
Ihr Atem spielt: Wir sind vollkommen!
     Aber warum jetzt dieser Schauer auf ihrem Tanz?
     Diese Angst, diese dünne Bosheit?
     »Warum wird hochmütig eure Stirn, ihr Schönen,
     Warum hart und gebieterisch euer Nacken?!
     Warum läßt euer Fuß den entzückten Schritt?«
»Siehst du denn nicht, du Tor, es ist ein Schatten auf uns.
Siehst du denn nicht, sie schleicht um unsre Vollendung?
Sie trübt den Teich unseres Gleichmuts mit Mangel.
Siehst du sie dort? Am Rasenhang sitzt sie.
Sie sieht zu uns her, die Unvollkommene, die häßliche Agnes.
     Sehnsüchtig verschränkt sie die Hände ums Knie.«
     »Geh von uns, geh von uns!
     Du kannst nicht mit uns sein!
     Hörst du uns, geh doch!
     Du dort. Geh fort, du!
Wir leiden, wir scheiden, wir stoßen dich aus.«

Ja, geh nur, geh du nur, Agnes, den wehmütigen Weg hier hinab,
Wo die Pappeln schon scharf werden, geh!
Geh in deinen bitteren Tag, dort, wo die lauten Höfe schon
   dampfen.
Meine Torheit aber wendet sich ab.
Meine Torheit aber fragt meine Weisheit:
Ist das Vollendung, ist das Vollkommenheit, was ausstößt und
   abscheidet?
Meine Weisheit aber sagt zu meiner Torheit: Einzig nur das ist
   Vollendung, einzig nur das ist Vollkommenheit, was
   ausstößt und abscheidet!
Meine Torheit aber greift sich ans Herz, meine Torheit aber ruft:
     Wehe denn also der Vollendung,
     Fluch denn über die Vollkommenheit!


Lobpreisung

Wenn aber die Vollkommenheit ihr Kleid zerreißt
Und niedersteigt in den Dunst der Küchen,
Wenn aber die Vollendung, unendliche Charis,
Sich legt zu des Schreibers Armseligkeit,
Wenn aber die unantastbare Fürstin
Den Aussatz küßt und lächelt den Mißgeburten . . .
Dann werfe ich mich zur Erde, dann weine ich, dann lobpreise ich.
Denn ich bin ein Prediger der rasenden Spannungen.
Ich reiße die Pole auseinander um des feurigen Stromes willen.
     Über alle Triebe preise ich den Durst,
     Über alle Elemente das Feuchte,
     Über alle Bewegung das Strömen!


Die Widersacher

Es werden aber kommen die Trockenen
Und preisen das trockene Element.
Es werden kommen die Gefrorenen
Und preisen die Starrheit als Bewegung,
     Du traue nicht den Männern des zweiten Worts
     Den Wider-Wörtlern, den Ant-Wörtlern.
Den Läufer will der Lahme meucheln.
Der Läufer aber kennt die Welt,
Lädt sich den Kobold auf den Rücken,
Geht mit dem Haß durch,
Der sich selbst zergrinst.


An die Dichter

O Dichter, alle meiner Zeit,
Vor deren geliebten Namen
Der Knabe oft in hohes Grauen schwand!
O Dichter,
Mitsterbliche, gefährtenhaft,
Verloren wandelnd über die vielen Meridiane:
Ich komme gesenkt,
Ich rühre euch an
Mit meinem Saum,
In großer treulicher Liebe.
O Dichter,
Erschallende, tröstende Bojen,
Von Gottes Güte getan
In diesen zynischen Taifun!
(Er hält sich an euch an
Mit armen Armen, der Schwimmer.)
O Dichter,
Ihr großen, immerschreitenden
Mit aufgedrehtem Antlitz Blinden!
Und immer immer
In weißem Kleid, mit Schritten,
Immer, immer - ihr Blinden straßenhin!
Ich komme, ihr Heiligen,
In eueren schallenden Morgen,
Wo geistiger Stern noch weht.
Da toben noch nicht die hartherzigen Räder,
Und nicht gerben Elend und Hohn
Der Frauen schlafenden Schein.
Ich komme, ihr geneigten Häupter!
Ihr mit den starren Lidern des Bildwerks!
Ich nahe euerer donnernden unhörbaren Küste,
Ich stehe vor euerem stummen, erbrausenden Wald.
Mit gebeugtem Knie,
Ehrfurchtsvoll wecke ich euch,
Daß ihr herüberseufzet zu mir
Von euerer Schiffahrt!
Ich spreche in eueren Traum:
- Immer müssen erste Menschen sein
Wieder atmend auf neuem Ararat. -
Ich rufe euch zu heiligem Schicksal,
Ich trage euch Martyrium her,
Und nur Verlust und nur Verfolgung!
Ich leite euch,
Wie ein Knabe einen riesigen Blinden leitet.
Ich führe euch zu untenwachsender Zusammenkunft.
Ich bereite euch vor zu dem Genuß des weitergereichten
   Weins.
Ich lade euch in die Katakomben
Zu großer Verschwörung, zu tiefem Geheimnis.


Geheimnis

So reich bist du, als du tränenreich bist.
So frei bist du, als du dich selbst überspringst,
So wahr bist du, als du dich kannst verwerfen.
So groß bist du, als klein vor dir der Tod ist.
So tief bist du Wunder,
Als du tiefe Wunder siehst!


Unwichtig

Ich bin ein Freund der vielen Feuerwasser,
Ein Kunde der Betrunkenheit.
Denn es ist viel Gericht in mir.
Drum sage ich mir manchmal:
Geh fort du!
Weise mir manchmal die Türe.

Weh, wenn das Wort dem Geist beischläft,
Die herrische Gattin!
Entbildet sind die Bilder,
Zum Schall verschachert das Wesen.

Nun sitz' ich hier, Freund aller Feuerwasser,
Schaue die Bilder der Schmetterlinge,
Die Blüte des Apfelbaums.
Bin der Staub, der ich bin,
Ein niederer Mönch nur,
Ein Saufbruder der Vorhöfe,
Nichts wert,
Nichts wertend,
Unwichtig und quitt!


Was ein Jeder sogleich nachsprechen soll

Niemals wieder will ich
Eines Menschen Antlitz verlachen.
Niemals wieder will ich
Eines Menschen Wesen richten.

Wohl gibt es Kannibalen-Stirnen.
Wohl gibt es Kuppler-Augen.
Wohl gibt es Vielfraß-Lippen.

Aber plötzlich
Aus der dumpfen Rede
Des leichthin Gerichteten,
Aus einem hilflosen Schulterzucken
Wehte mir zarter Lindenduft
Unserer fernen seligen Heimat,
Und ich bereute gerissenes Urteil.

Noch im schlammigsten Antlitz
Harret das Gott-Licht seiner Entfaltung.
Die gierigen Herzen greifen nach Kot -
Aber in jedem
Geborenen Menschen
Ist mir die Heimkunft des Heilands verheißen.


Mein eigener Henker bin ich

Du wirst so viel meinem Wortwerk nur glauben,
Als ich selbst vom Welt-Werk zu glauben vermag.
Dich Hellhörigen täusche ich nicht,
Der mit preußisch-jüdischem Grinsen des Feinds
Mein nächtliches Zimmer teilt.
Dich täusche ich nicht, mich täusche ich nicht,
Keinen täusche ich, auch die Nachwelt nicht.
Du richte mich nicht!
Ich selbst richte mich, da ich mich baue.

Leicht hat das Leben, wer stimmlos ist.
Aber die bösen Ohren der Unsingenden
Ersehnen wollüstig, daß falsch singt, wer singt.
Wenn ich daneben singe,
Bin ich ein Gelächter im Gefüge.
Nicht brauch' ich deinen Lustschrei, Grinsender!
Ich singe mich, ich baue mich.
Mein eigener Lenker bin ich so.
Dies ist meine angeschmiedete Freiheit.


Sein und Treiben

Erkennen ist noch Hast.
Auch Können ist Unrast.
Wer wirklich ist, der ist!
Der wohlgeborene Hund darf sein.
Der mißgeborene Hund muß springen.


Gestörtes Gleichgewicht ist die Welt

In die Trompete von feinem Metall
Stößt ein unhimmlischer Hauch. Warum?
In die Trompete von trübem Metall
Stößt ein himmlischer Hauch. Warum?
Waagschalen-Gesetz herrscht inmitten des Baus.
Doch ist gesorgt, daß das Zünglein nicht ruht.
Geheimster Mangel zermalmt unsern Mut.
Das Ohr des Horns hört seinen Schall gut.


Der weinende Zerstörer

Wer ist der grimmigste Verbrecher?
Der unter Tränen dich zerbricht, ist es.
Wer ist der böseste Vernichter?
Der die Trümmer streichelt, ist es.
Wer ist der kälteste Zerstörer?
Der die Scherben um Verzeihung bettelt, ist es.
Wer ist der furchtbarste der Feinde?
Den ihr nie hassen werdet, ist es.
Hört es Frauen, Mädchen!


Liebe

O ihr Königssöhne und Jünglinge!
Einst waren Nächte. Es wölkten sich die Tanzsäle um euch.
Wach waren Zimbel und böser Duft der Cafes.
Da hinget ihr an der Gelassenheit der Göttinnen.
Wie der leise Nebelkranz am Atem der Alpe
Schwebte eure Sehnsucht um die Almen der Sitzenden,
Hing im Geklirr ihrer Zierate.
Und ihr sagtet: Wir lieben!

Was ist geschehen? Die Säle haben sich entwölkt.
Ein Sträfling streut Sand aufs Parkett, als gälte es Mord
   zu verschütten.
Der lange Entzückungsschrei verflattert im Geheul.
An einem wackligen Bette stehst du, Jüngling!
Die Glieder der stolzen Schrittmeisterin sind ein Gespött.
Du gingst mit einer sanft strahlenden Fürstin schlafen,
Nun sitzt eine arme graue Krähe am Bettrand,
Eine fröstelnde Witwe verhüllt den Verfall ihrer Brust.
Wer sagt noch: Wir lieben?

Ich aber traurig auf meinem Stein sitzend lehre euch, ihr
   Königssöhne und Jünglinge!
Wehe, wer nachhängt dem Schmelz und dem Schimmer!
Er hat sich dem Reichtum verschrieben,
Der Fledermaus, die aus allen Herzen Gott saugt.
Er ist verfallen der Begierde,
Er ist verfallen der Enttäuschung . . .
Denn das sind die Pförtnerinnen der beiden Tore.
Der Enttäuschte wird nimmermehr glauben,
Der Ungläubige nimmermehr leben,
Nie sagt der Unselige mehr: Ich liebe!

Das Geheimnis aber ist: Zu lieben das Ärmste,
Zu lieben der eingefallenen Wange Göttlichkeit,
Zu lieben den Blütenfall unter dem Frauenaug',
Zu lieben die Süßigkeit der Gebrechlichen.
Zu den Schmerzen gehn, ist das Geheimnis, und Schmerz
   werden!
In des Abgrunds Tiefe, wo es nicht Willen gibt noch Lüge,
Mag flüstern die Lippe: Ich liebe!


Der reine Mensch

Wenn ein reiner Mensch deinen Raum betritt,
Läßt sich Gottes Gegenwart nieder auf Stuhl und Tisch.
Der Sonnenstrahl zittert vor Andacht,
Aber die Spiegel erblinden,
Und alles Böse in dir wird müde.
Deinem Teufel wird übel,
Wenn süß dein Herz zu flattern beginnt.

Er aber steht da, der hohe Arme,
Mit fast zerrissenen Stiefeln,
Verschossen der Samt seines Überrocks.
Doch begrüßt er dich
Weise mit der Höflichkeit des Paradieses.

Aus bösem Traum erwacht
Siehst du in seine großen Augen, -
Gedämpfter Jubel aller Mittelmeere
Schläft still in ihrem Licht.
Und seine einfache Stimme hörst du,
Die spricht immergut mit alten Eltern.

Da wieder, totes Herz,
Strömst du empor
In großer Mütterlichkeit
Zu ihm, zu allem Sterblichen.

Wieder erwachst du in Verheißung!
Verheißung:
Daß dereinst jeder seinen Acker bestellt,
Daß ein Meister des Abendgedankens sein wird,
Wer am Morgen ein Meister des Pflugs ist.

Wenn ein reiner Mensch deinen Raum betritt,
O Gegenwart Gottes!


Stufenleiter

Ich bin vornehm, sagt der See,
     Ich steh' still.
Doch unedel bist du, Fluß,
     Du fließt irr!

Fließe ich, so fließe ich
     Doch vorwärts.
Edler Steher, stehst dich ab
     Zum Sumpf einst.

Rollt das Meer aus seiner Tiefe:
     Kruppzeug!
Fälschen ihre Ohnmacht um
     Zum Wert gern.

Kannst du fließen, See? Und du,
     Fluß, stillstehn?
Also ist dein Adel Neid, dein Fernlauf
     Knechtschaft!

Ich nur fließe, Pack, und ich nur
     Steh' fest.
Tief aus mir allein wächst Flut,
     Wächst Stillstand!

Bricht ein Sturm aus: Lügnerin
     Atlantis!
Wer bewegt dich, sag's mir, wer
     Entläßt dich?

Nur mein Wille, der dich stillt,
     Dich toll macht.
Ich allein bin einig, und mein Wert
     Ist: Frei sein!

Singt ein Stern: Du Sturm bist meiner
     Herkunft.
Erzgeheim erreget dich
     Mein Einfluß.

Ruhe bin ich und mich meidet
     Maßlust.
Denn ich weiß, mein hoher Wert
     Ist unmein.

Was an mir geschieht, heißt Licht.
     Ihr teilt es.
Preiset drum das erste Wort
     Des Urmunds.


Fünftes Buch

Haus der Verfluchung

 

Vorspruch

 

Sei Wächter, du erstes Wort,
Mit hohem Stabe vor schwarzem Tor!
Sei Türmer, du erstes Wort,
Mit beschwörendem Horn hinab und empor!

Zurück! Das ist ein böses Haus,
Seid auf der Hut vor Fluch!
Flieht den Hur!
Hier pocht verführtes Blut, hier pendelt Irrtum-Uhr.
Die Gänge sind voll Rauch,
Die Feuer gingen aus.
Von huschendem Besuch
Ist Pfeifen da und Schatten, Flattern und Gefauch.

Die Treppe spöttelt, Decke bröckelt, pfiffig tröpfelt was.
Vielleicht blieb wo ein Sarg stehn, und man spürt es fast.
In Modersälen schlecht verklebte Spiegel sind
Vom starren Lächeln eines Eitlen blind.
Aus Bodenkammern pfeifen Peitschen Nacht und Tag.
Ein Lügner fehlt sich selbst. Ist es gespielter Schlag?

Ich weiß nicht.
Nichts weiß ich, auch mein Geheimnis nicht,
Das eures ist.
Es wandert durch die Gänge kleingewürgtes Licht.
Ein Mütterchen-Licht, das kein Wort spricht,
Nur mahnt und weist und kreist wie um Mord . . .

Weh, zwischen uns steht Wort,
Masse und Mauer aus dichtem Ort!
Ich kann nicht zu Gott durch Wort.
Fort aus dem Wort,
Fort aus dem hallenden Haus!
Wer eintritt, kann nicht mehr hinaus!
Es späht kein Spalt, es schallt kein Schein -
Zurück! Betet!
Wann wird es Leben sein!?!


Erwachen

Das Erwachen des abschüssigen Trinkers auf der Pritsche der
   Polizei-Wachtstube!
Das Erwachen des Zuhälters, nicht auf den gepriesenen Fliesen
   der Zelle, nein, im zerkeuchten Hurenbett!
Das Erwachen des jungen Defraudanten nach der letzten seligen
   Nacht des Reichtums!
Das Erwachen des Verseuchten im Spital, wenn er die aussätzigen
   Augen nicht öffnen kann!
Das Erwachen des Gläubigen nach einer Todsünde!
Das Erwachen des glänzenden reichen Kindes unter den Tüchern
   des Artistenwagens!
Das Erwachen der Ehebrecherin!
Das Erwachen des Mörders!
Das Erwachen des Gehässigen, wenn er sich übel schmeckt im
   Munde und sein Haß sich selber haßt!
Das Erwachen in aller Sünde!
Das Erwachen in allem Ekel!
Alles Erwachens bin ich erwacht in dieser Stunde!
Ich fühle mich an. - Was habe ich mit mir begonnen?
Erwacht bin ich wie ein Liebender, den die Liebe verläßt, und er
   liegt da, ausgestreckt, und grinst!

Ich ging schlafen in diese Welt, beide Hände voll Besitzes, den ich
   zu Bette nahm, wie ein Kind, und an die Brust drückte.
Nun bin ich erwacht, und an meinen Fingern klebt harter, leimiger
   Sirup und Kandiszucker.

Aller Farben sind sieben. Aber was soll es, wenn das Herz sie nicht
   erschafft?!
Alle Zaubereien sind dahin! - Aber im Vorhaus scharren die
   Gläubiger mit kotigen Stiefeln,

Und mich wirft öde, tränenlose, gottlose Reue hin und bannt mich!


Zerfall

Ich gehe ganz zerfallen über die Straße,
Wie ein Korb voll Äpfel bin ich, den ein Bube umstieß.
Nun rolle ich nach allen Seiten in Staub und Kot.

Schon wohnen in meinen guten Früchten die langwortigen Würmer,
Was eins war und rund, das fressen sie bräunlich entzwei.
Überall in meiner Seele höre ich das Rascheln der Entzweiung.

Wirst du mich zur Sammlung blasen in der Wüste,
Daß ich aufspringe aus diesem Schleppen und Schwanken und
   schreie: Ich glaube!?
Und daß die Seele meiner Seele wie ein Sopran über den Chören
   schwebt?!

Oder werde ich ewig durch die Zimmer mich scheinen und spiegeln?
Immer schamloser die Verwesung weisend unter dem Hemde. . .
Bis ich ein mattes Grinsen der Verdammnis verlösche!


Aus meiner Tiefe

Aus meinen Tiefen rief ich dich an.
Denn siehe, plötzlich war der metallische Geschmack des ganzen
   Irrtums auf meiner Zunge.
Ich schmeckte über alles Denken Erkenntnis.
Ich fühlte gleiten das böse öl, womit ich geheizt bin.
Süßliche Müdigkeit spielte in meinen Knochen,
Ich war zur Geige worden des ganzen Irrtums.
Ich fühlte meine Schwingungen auf einem fernsten Traumkap,
Und wollte auf, mich wehren, mich gewinnen, wahren . . .
Doch sank ich hin gespenstisch
Gelähmt in träge pochende Verzweiflung.

Aus meinen Tiefen rief ich dich an.
Ich rief wie aus versunkenen Fiebern tretend: Wo bin ich?
Tieftaumelnd stand ich in schwankender Landschaft, im Schwindel
   geheimer Erdbeben, und rief: Wo bin ich?
Ich erkannte die Welt. Sie hing an einem letzten zuckenden Nerv.
Ich sah den Todesschweiß der Dinge. Sie schlugen um sich in
   eckiger Agonie.
Aber wie edle Kinder, die das Weinen bekämpfen, lächelten sie
   demütig von unten empor.

Da fuhr ich aus meiner Einsamkeit,
Da fuhr ich aus Krampf und Kammer,
Da drang ich ein in die Säle. Sie rauschten wie der Grund
   städteteilender Ströme.
Über mich schlug das Scheppern der Teller, Getümmel der Stimmen,
   der Schritte Trommel-Verrat und
   Schreibmaschinen-Geläut.

Ich rief dich an aus meinen Tiefen.
Aber mein Antlitz trug sein Grinsen umher.
Mit der rechten Hand strich ich den Kitt meines Lächelns zurecht.
Und alle taten also.
Wir saßen zueinander, doch jeder gerichtet in anderen Winkel.
Mit beiden Händen bedeckten wir eine Stelle unserer Anwesenheit,
der wir nicht trauten.
Wir redeten lange Streifen von Worten. . .
Die aber waren geboren am Gaumen,
Und nicht gelangen uns Frohsinn und Schmerz,
Wie unsere Gurgel log.

Aus meinen Tiefen rief ich: »Wo bin ich, wo sind wir?«
Umstellt von Unabänderlichkeit, verstoßen in erbarmungslose
   Gelächter, verschlagen aufs Eiland schiffbrüchiger Kartenspieler!
Unsere Ruhe ist Tod,
Unsere Erregung Fäulnis!
Wir sind gebeizt, gesalzen, geräuchert von böser Entwöhnung!
Verlernt ist der Ursprung,
Verlernt der ruhende Blick,
Verlernt das Daliegen in den Himmel!
Aus meiner Tiefe rief ich dich an,
Denn hier rettet kein Wille mehr, hier rettet nur Wunder.
Tu Wunder!


An den Richter

Ich habe meine Lampe ausgelöscht und mich zu Bette gelegt in mein
   fremdes Bette.
Da wallte mir durchs Fenster die bleiche Welt der Nacht, und der
   aufgebaute Berg beugte sich über meine Brust und wankte.
Die reißenden Hunde bellten in den schattenlosen Höfen des
   Mond-Dorfs und ich
Verwarf mich und stand auf und zündete die unwillige Lampe
   wieder an.

Ich will nichts von den Früchten und Speisen genießen, die noch
   auf meinem Tische stehn, obgleich es mich gelüstet.
Ach, die Befriedigung vertritt uns deinen Weg, und wer weich
   kniet, betet heiser.
Mit dem Apfel lockt der Arzt das kranke Kind von seinem Weinen
   ab, um Fieber zu messen;
Weh uns, verheert von Lockung und Genuß, allzubereit, die Stätte
  des ewigen Erkenntnisschmerzes zu verlassen!!

O mein Richter! Meine Feinde haben mich enträtselt, durchschaut
   und geschlagen.
Sie verwarfen mich, und ich mußte mich mit ihnen verbünden.
Sie schalten mich: Scheinmensch, charakterlos, eitel, träge, gleich-
   gültig, zu klein zur Sünde, zu gering zur Wohltat, schwach
   im Frevel und wertlos in der Reue, -
Und ich hörte sie, und fuhr gegen mich, und gab ihnen recht
   - mein Richter - und muß mich hassen!

Ich bekenne - und wenn auch dies Eitelkeit ist, weh, vermag ich
   nichts dagegen, bekenne dennoch:
Ich war an diesem einzigen Tage so klein und niedrig, mittelmäßig
   und schwach, wie nicht einer an meinem Tisch -
Höflich war ich aus Angst, lobsprecherisch aus Feigheit, aus Träg-
   heit zweizüngig und ohne Halt. Liebe vergalt ich mit böser
Hoffnung, Sorge mit sorglosem Schwachsinn.
Es ist nicht die Lust der Zerknirschung, wenn ich mich mit dem
   weidenden Vieh vergleiche.

Wie köstlich ist der kommende Tag, mein Richter, wie träumt
   man sich wandeln im Gebirg, wie hoffend auf Größe!
Aber der abgestorbene Tag ist schrecklich, man sieht sich ungern
   nach ihm um, wie nach einem Kübel voll Kehricht.
Wird es immer so sein? Mein Tag immer so sein, bis zum letzten
   Tage?
Und wird sich im schmutzigen Kranken noch die alte Sturmglocke
   der Schuld empören?!

Mein Richter, ich weiß nichts vom kommenden Tag, von jenem
   Tag, nicht, ob du wirst zu Gerichte sitzen, mein Richter.
Aber deinen Gerichtstag fürchte ich nicht, deine Erhabenheit nicht,
   dich nicht, mein Richter, mich fürchte ich, ich fürchte mich,
   Mich!
Meine lahme Seele fürchte ich, mein stummes Herz, den unver-
   zweifelten Blick, den Leichtsinn, das So und So, das leere
   Achselzucken!
Ich weiß nicht, ob du bist, mein Richter, aber ich wünsche, daß du
   bist, mein Richter, und will deine gute Rute besprechen.

Ich sitze in diesem kalten Zimmer vor meiner Lampe. Horchst du
   an meinem Fenster? Ich kann die Sterne sehn.
Ich wende meinen Kopf scheu zum Fenster, und rufe dir diesen
   Gesang zu, und mache diesen Gesang den Schlafenden kund.
Meine Lampe erfriert. In das Grab des schrecklichsten Todes sehe
   ich, ich sehe den geistigen Tod,
Ich fühle das fieberlose Übel, Trägheit des Herzens:
Mit kalten Fingern sitze ich da, ohne Hilfe und völlig ratlos.

Bald werde ich mich unter die Decke legen, meinen Leib dehnen
   und ruhig atmen.
Laß es nicht zu, mein Gott, dieses Stunde um Stunde, dies Heute
   und Gestern, dies Immer und Ewig!
Aber vielleicht hast du keine Macht über mich, wie ich keine Macht
   über diesen Gesang habe, der in seiner Wahrheit noch
   gleisnerisch ist.
Und nicht einmal den Wahnsinn darfst du mir mit seinen Sperber-
   schwärmen und großen Steppen schenken!


Gebet um Reinheit

Nun wieder, mein Vater, ist kommen die Nacht, die alte
   immergleiche.
Sie durchschreitet uns all die Wunderblinden mitten im Wunder.
Und die Stunde ist da, wo die Menschen, unwissend des tiefen
   Zeichens,
Vor ihr Wasser treten, den Kopf eintauchen und die beschmutzten
   Hände spülen.

O heilig Wasser der Erde, doppelt bestimmt, zu tränken und zu
   reinigen!
O mein Gott, o mein Vater, heilig Wasser der Geisterwelt!
Ist nicht meine Sehnsucht nach deiner Kühle Gewähr, daß du
   springst und spülst,
Ist nicht mein Zweifel noch das Hinlauschen nach deinem süßen
   Gefälle?

Ich senke meinen Kopf und tauche ihn in die Feuchte des Lampen-
   kreises.
Ich halte dir meine beschmutzten Hände hin, wie ein Kind, das am
   Abend der Waschung wartet.
Nach einem lügnerischen Tage will ich mich sammeln, um in dieser
   Spanne wahr zu sein.
Ich will mich in meiner Hürde zusammendrängen, bis das Geheul
   meiner Eitelkeit verstummt.

Dein Psalmist, mein Vater, hat wider seine Feinde gesungen,
Und ich, mein Vater, folge ihm, und singe einen Psalm hier wider
   meinen Feind!
Ach, ich habe keine Feinde, denn wir Menschen lieben einander
   nicht einmal so sehr, um uns Feinde zu sein.
Aber ich habe einen Feind, einen gewaltigen Feind, der mich berennt
   und an alle meine Tore pocht.

Ich habe einen Feind, mein Vater, der an meinem Tisch sitzt und
   Völlerei treibt,
Während ich meine verdorrten Hände falte und darbe, und sich
   am Fenster die Hungrigen drängen.
Ich habe einen Feind, der aufstoßend nach der Mahlzeit seine
   Zigarre raucht und fett wird,
Während ich immer geringer werde, und zusehn muß, wie er das
   Gut meiner Seele verpraßt.

Ich habe einen Feind, mein Vater, der meine edle Rede in Geschwätz
   verkehrt und in Selbstbetrug.
Ich habe einen Feind, der mein Gewissen liebedienerisch macht,
   und meine Liebe mit Trägheit erstickt,
Ich habe einen Feind, der mich zu jeder Niedrigkeit verleitet, zur
   Wollust des Sieges an den Spieltischen,
Der ich doch ein Meister der göttlichen Genüsse bin.

Warum hast du mich mit diesem Feind erschaffen, mein Vater,
   warum mich zu dieser Zwieheit gemacht?
Warum gabst du mir nicht Einheit und Reinheit? Reinige, einige
   mich, o du Gewässer!
Siehe, es wehklagen all deine wissenden Kinder seit eh und je über
   die Zahl Zwei.
Ich tauche meinen Kopf ins Licht und halte dir meine Hände hin
   zur Waschung.

Befreie mich, reinige mich, mein Vater, töte diesen Feind, töte mich,
   ertränke diesen Mich!
Wie selig sind die Einfachen, die Unwissenden, selig die einfach
   Guten, selig die einfach Bösen!
Aber unselig, unselig die Entzweiten, die Zwiefachen, die zu- und
   abnehmenden Gegenspieler.
O heilig Gewässer, um dein und meiner Größe willen, hilf mir!


Gebet gegen Worte

Ich flehe dich an in dieser Stunde um deine schneidendste Peitsche.
Durch die Zelle streue ich meine Schritte, immer bereit, dir ent-
   wendet zu werden.
Ein falscher Krampf in mir. Ich raffe meine Zerflüchtigung heran.
Um dich zu beschwören, um dich zu durchbohren, flüstere ich:
   Wahrheit, Wahrheit, Wahrheit!

Aber mein Geflüster ist Lästerung. Ich rolle nach anderem Gesetz.
Wohl weiß ich: Wahrheit ist nur des Wahrhaftigen Wahl auf
   Erden.
Wir sind erwählt oder verworfen durch unsre Geburt.
So grauenvoll, grausam, hoffnungslos ist diese Welt. Wer versteht
   mich?

Es muß gesegnet sein und ausgesandt, wer da kommt den Wurm
   zu bestehn.
Sie saßen zu Gericht über uns, eh' wir geboren wurden:
Wir sind zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, Brüder! Wir haben wo
   Blumen gepflückt.
Nun stößt sich unsere redliche Zunge an ihren Lügen wund.

Selig sind, denen gegeben ist reiner Grund.
Sie wachsen empor, geradeaus. Ihre Blüte ist selbstverständlich.
Der Himmlischen Blick ist Ruhe, und ihre Hand ist unbedingt.
Wir aber reißen an Stricken. Unsere Arme sind seilzerschnitten.
   Wie bald, ach, werden wir müde!

Du aber schlägst deine Lügner mit bösem Gedächtnis.
Es schrumpft der Arien Huld dahin, der Frauen Eintritt, Nacht,
   Garten und wirrer Traum.
Du hast die Welt entweitet, du hast sie verwortet.
Dahin! Und unsere Lüge lugt uns aus Worten an.

Mein Gott, erhoben sind die Seher zu deiner Blindheit.
Weithin dunkelt der Meister über den Marktplatz.
Wenn noch Gnade waltet über den Kerkern, laß sausen die
   letzte Peitsche!
Verschließe, blende, verstumme mich! Mach mich wachsen zu
   deinem Wort!


Pfingstelegie

Die Eichen sind die alten noch,
Des Stammes Vater-Macht die gleiche,
Und über meinem Haupt, es ist der alte Strom . . .
In mir das Pochen ist das gleiche noch . . .
So war's, so war's,
Als mein Kinderblick in ferne Nacht aufschrak,
Als Liebe, Liebe mächtig in mir klopfte,
Streichelnde Hand erzitternd
Ihr treuen Verlorenen euch nicht ließ, nicht ließ.

Wohin bin ich, wohin ist er,
Den Gott einst zur Schule brachte,
Ans Tor geleitend die kleinen Schritte,
Die er sandte über lächelnden Klosterhof,
Noch einmal mahnend, daß er rein bleibe,
Hold wachse und nicht sein Antlitz verwandle?!

Wohin sind wir, ihr Lieben? Wer stand in uns auf?
Welch schwarzer Bruder, schlechter Bettgenoß?
Daß wir uns nicht erkennen,
Erschrecken vor unsern Gliedern,
Wegwenden vor unserer Lippen-Verderbnis!
Bist du es noch, schwerer Mann unter der Eiche,
Der einst Abschied nahm,
Ein reines Schmerzenslicht verbergend?!

Wir trugen einen Feind in uns.
Nun trägt er uns, trägt unseres Namens Hauch,
Blickt unsern Blick.
Da ward der Scheideblick zum Seitenblick,
Und unser Ruhemund verriet die Ruh',
Wort log den Himmel fort,
Die Welt fiel zu.

O seht, o seht,
An Kalk und Kreide klammert sich liebender Wuchs,
Der gelben Stengelsterne Ruhe,
Steinnelke und Strauch
Uneitel still . . .
Der Mensch allein ist Wüste.

Welcher Stab hat
Unsere Stirn berührt,
Daß wir pfiffig keuchen,
Drähte über die Wiesen werfen,
Mit falschen Wolken höhnen den Himmel?
Daß wir nicht mehr glauben an Baum und Gras,
Verflucht zum Irre-Sehn
Die Leere belauern, die Höhle behorchen,
In Feuer-Blendwerk blasen,
Toben und schlagen in Schaum und Nichts!
Ach, wir verrieten des Vaters Geheimnis!
So blieb uns nur
Des Jahrmarkts Spiegellabyrinth.
Nun hängen wir geschäftig
An einem Lügenzunder Worts.

Verlaß uns nicht,
Der an der Hand mich zur Schule führte,
Und lächelte im Torgang . . .
Verlaß uns nicht, der diese Räume
Mit Pfingst-Windstille überwältigt,
Verlaß uns nicht in unserer Eitelkeit!
Tritt ein und offenbar
Dich ausgebrannten Herzruinen!
Daß wir erwachen in das vergangene Antlitz,
Mit einem Schrei
Uns wiederfinden und in großen
Tränen entlächeln:
Dies alles, ach, dies alles war nicht wahr!


Einem Denker

Dein Blick, mein Bruder, hat mich erschreckt.
Ich habe um deinen Mund und über deinen Brauen einen fremden
   Mangel entdeckt.
Meine Sphäre war traurig,
Ihr mißfiel deine Art,
An der Spitze des Tisches zu sitzen, zierlich geduckt,
Mit gekreuzten Armen, freundlich, listig, kätzchenhaft.

Tu dieses Ducken aus deinen Augen, mein Freund!
Laß ab von der Bereitschaft des Anklägers und Angreifers!
Wie deute ich mir,
Wie verstünd' ich's,
Daß du den feurigen Talar des Richters unverbrannt durch die
   gleichgültigen Räume trägst,
Daß dein Wort dir gelingt, dein Schlaf dir gelingt, du Schläfer,
   an dir vorbei, du nicht Erwachter?!

Wie soll ich dein Gebrechen nennen, Schläfer?
Ich will dein Gebrechen Selbstgerechtigkeit nennen, Schläfer!
Denn wer zu Gericht sitzt
Über die Sünder,
Sitzt hinterm Kreuz, ist im Recht, braucht seiner Schuld nicht zu
   gedenken, darf seine Sünde vergessen,
Und der Henker erspart die Pflicht, sich selbst den Kopf abzuhaun.

Ich bitte dich mit der Hand auf dem Herzen, ich beschwöre dich,
   laß ab davon!
Es ist mir sehr wohl bekannt, was uns alle zur Anklage treibt, zu
   Urteil, Bannstrahl, Ächtung und zu der Seligkeit des Hohns.
Du aber bist wie ein Knabe
Und scheinst nicht zu wissen,
Daß du nur angreifst, um dich vor dir zu verteidigen, daß du mit
   deinem Schilde die eigene Blöße bedeckst. . .
Aber vergiß nicht, daß Aussatz und Räude dereinst unsern
   erhabensten Triumphschrei zum Gespött machen.

Ich will dir ein Wort sagen, das du nicht begreifen wirst.
Ich sage dir: Die Selbstbehauptung im Geiste ist Selbstvernichtung,
   die Selbstvernichtung im Geiste aber ist Selbstbehauptung.
Kennst du die starke Waffe
Der wirklichen Sieger?
Sie verachten das Wort, sie ziehn die Niederlage dem Sieg vor,
   sie ergeben sich, sie lassen sich gefangennehmen . . .
Denn furchtbar ist der Demütige, furchtbarer der Reine, der sich
   erkennt, und ein Tamerlan, wer sich aufgibt!

Ich tadle deine Philosophie, mein Bruder, weil sie die Philosophie
   der Gerichtshöfe ist,
Sie ist dialektisch, forensisch, sie betet das Wort an und die Unter-
   Scheidung der Worte.
Aber die Worte sind bedingter noch als die Dinge.
Die Dinge verstellen den Geist, die Worte verstellen die Dinge,
   und der Geist der Worte
Ist wundersam und angenehm zu fassen in seinen Gefügen und
   Reimen, aber eitel und trostlos für die Leidenden.

Sprich, o sprich mir nicht von all dem Frevel, der dir widerfährt und
   dich vereinsamt.
Glaube mir, die Unvollkommenheit, die uns trennt, ist lange nicht
   so groß wie die Unvollkommenheit, die uns vereint.
In dir ist aber noch
Der alte Adam allzusehr!
So hängst du dich an Ehre, Mut und Mannheit, an die Tugenden
   der Bestie und ihre Vollkommenheit,
Vergissest, daß die Vollkommenheit die Lilie der göttlichen
   Vernichtung ist.

Du bist zu schnell an den Betten vorübergegangen, auf denen die
   gelben Sterbenden rasten,
Du warst, mein Bruder, mit Gerichtsakten beschäftigt, als die
   Sträflinge ihren einstündigen Marsch im Hof anhuben.
Du kennst jene Weisheit nicht,
Höher als alles Mitleid!
Du kennst nicht jenes Hindurcherkennen, plötzlichen Aufgang
   anderen Lichts, die Demokratie der Ungleichheit, und das
   Bewußtsein, daß wir alle Hände haben,
Du kennst noch nicht jene kostbaren Tränen, deren man wenig in
   einem Leben vergießt.


Gebet

O du letzter Hort,
O du benedei mein Wort,
Da Zunge Lügen schlagen muß und Schall!
O tu meinen Betrug
In deinen Niagarafall!
Tu meinen Fluch in deinen Flug
Und meinen Schein in dein Ein,
O du Gewässer, bade rein
Meines Lügens Lügenwiderhall !!

Was falsch und fehl aus meinem Munde bricht,
Es werde wahr, weil du es führst,
Und lächelnd es verkehrst und kürst. . .
Wenn mein Mund Lüge spricht,
O wende, wandle sie, du Hort
In deinem Hauch und Licht!
O benedei mein Wort,
O du Hoffnung, Ost und Osterort!


Der Feind

Er tritt uns an, er tritt uns an,
Der stattliche beredte Mann -
Wir ruhten kindlich unterm Baum ins Blau.
Er teilt den Busch und hält Umschau.
Mild lädt er ein, nimmt unsern Arm,
Es faßt uns Lust und Wirbel warm.
Er führt und hat uns schon verführt,
In den Schenken sind die Feuer geschürt.
Wir lassen uns fallen in Lärm-Bad,
Fad wird unser Atem und Verrat.
Wir hören Gott nicht aus den Uhren schlagen,
Und rülpsen grinsend Wohlbehagen.

Er aber sitzt mit uns zu Tisch und zecht,
Er hockt in der Musik und macht sie schlecht.
Er ist der Oberste in unserm Amt,
Geht auf und ab, diktiert, was uns verdammt.
Doch läßt er gute Ruh und spricht uns zu:
Was bist du für ein Mensch, wie edel bist du!
Du bist ganz und eigen und kein Schein. -
Dies du, du, du, du frißt sich ein
Wie eine Milbe in unser Ohr.
Um unsre tiefe Wunde tut er einen Flor.
Und sein Wort ist flüsternd: Heute nicht!
Und sein Wort ist lüstern: Wozu der Verzicht?
Und sein Wort ist wispernd: Ist das deine Pflicht?
Und er lächelt, wenn er spricht:
Du fürchte nichts, fern, fern ist das Gericht.
Ächzt unser Engel und sind wir krank,
Hebt er uns auf die Opium-Bank,
Füllt unsern Mund mit vielem Rauch. -
Wir grölen, er grölt mit und schlägt uns auf den Bauch.

Wehe, wenn er unsre Süße ausgesogen hat,
Und ist er unsres heiligen Seimes satt,
Wirft er uns wie einen Stengel hinter seine Statt.
Wie rafft er seinen Mantel da, der alte Feind,
Wenn unsre schwarze Brandstatt nicht mehr weint,
Wenn uns das Antlitz im Rücken steht,
Aus Tausend-Traumsumpf unsre Kehle kräht,
Wenn unser Mund wie ein zerquetschter Hund fleht,
Und blutig unser Auge rollt, -
Da stampft er und hebt sich auf, der große Bold!
Drückt sich die Nacht aufs Haupt mit Stern-Geweih,
Bricht aus, der Hirsch, in einen stolzen Schrei,
Senkt dreimal seinen Stab, streift uns hinab, -
Wir sinken wie ein leichter Stank ins Bett-Grab.
Auf keinem Ost-Wind rettet uns ein: Sei!
Wir sind aus Gott gefallen und vorbei.
Wir werden in kein Reich eingehn,
Nie kann, was wir vertaten, auf erstehn!


Hölle

Nacht, ein Manteltanz in meiner Zelle!
Eisig mißt den Rücken eine Eisen-Elle,
Aller Atem meutert, böser Knecht.
Füße sind am Pol erfroren,
Widrig bäumt sich das Geschlecht.
Finsternis gießt böse Milch in meine Ohren,
Pumpwerk stampft durch stumpfe Poren,
Bin ein schwerer Berg und zugepecht.

Ach, ich wollte so gut schlafen,
Und nun schreiten um mich meine fernen Strafen,
Leiberkreis wie Pauken-Schritt, Schritt, Schritt.
Ich bin nur Gewicht und Masse von Unschlitt.
Weiß durch meine Knochen Schuld-Sirenen pfeifen,
Und in meiner Kehle piept ein kleines Säuglings-Keifen,
Meine Enkel klagen an. Ich piepse mit.
Ach, es ist nicht Qual von dieser Erde,
Und kein Schmerz von hier diese Beschwerde,
Und kein Leid von unserm Leid, was ich jetzt litt.

Ticken wächst zum Takt, in fremde Uhrenschläge,
Und geheimes Werkzeug schallt - Beil, Hobel, Säge.
Greisend fühl' ich, daß ich Grinsen bin.
Und ein Schwindel schwingt mein Grinsen hin.
Und ich möchte fallen, fallen, fallen
Durch das Schallen dieser Nacht in Nacht, aus allen
Nächten, durch die Uhren, Ahnenuhren und Urahnenuhr
Und mich wieder rollen und mich wieder ballen,
Mich zerschellen an das Chaos-Schallen,
Krallen an die letzte Mutterschnur.


Verwüstung

Wann fiel ich ab? Nun irr' ich fremden Weg.
Bin selbst mir fremde unbetretne Zone.
Wo bin ich hin, der ich noch in mir wohne?
Und was mich einst gehütet und gehegt,
Wo ist es hin, daß meine Nacht nicht trägt
Der Lieben Bild? Daß ich von bösem Mohne
Auf toten Füßen hin und her bewegt,
Mich kranken Schlafes durch den Frühling frone?

Wohin ich fliehe, springt Kommando-Schrei
Auf meinen Nacken, und ein Scharten-Messer
Zerreißt den Rücken und macht doch nicht frei.
Das Aas gedeiht für Grab und Abzugswässer.
Ich lass' mich los. Und mit geschwächtem Brennen
Durchwank' ich die ergrünenden Gehennen.
In Nächten bin ich feucht verdorrt,
Wie Rauch erwürgt mich ausgesprochnes Wort.
Als Götze grinst verlogen, was ich sage,
In fremden Ekel kehrt sich meine Klage.


Trübsinn

O meine Freunde, was war dies vorige Scheinen,
Da ich euch tanzte und wohlgefiel?
Gelogene Nacht und Rausch von falschen Weinen.
Hinab ist all das Spiel.
Nun sitze ich im alten Stank und Moor.
Eine Ratte hopst über meinen Fuß,
Ein Schnecken-Ekel steckt in meiner Kehle.
Ich lebe nicht - ich schwele
Mit ranzigem Öl und Ruß.
O die ich euch mit falschem Strahl,
Ihr Lieben, und mit geschminkter Stimme freute,
Heute mit einem Mal
Hock'ich in meinem Spinnennest in meinem Wurmverschlag -
Orest, gehetzt von meinen alten Lügen.
Mein Herz im Dreck stößt sich nicht ab zu Flügen,
Und schon verfault der Leichentag.
Die gänzlich sündig ausgeworfene Natur,
Aus ihr kann nichts mehr Freude, Größe, Reinheit zücken . . .
Vor mir seh' ich auf Eisenbahnbrücken
Den Abend brandig niedertropfen und geborstne Flur.
Von meiner schlaffen Maske bis zu jenen fernsten,
   ausgebrannten Streifen
Seh' ich nur Wellenfelder der Verwesung schweifen.


Schwere Stunde

Mitternacht! Wie bin ich fremd vertaucht!
Unerwünscht verkohlt es rings um mich.
Starr von Besinnung ist mein Nacken verstaucht.
Ein Hund winselt und leckt mir die Hand.
Wehe! Jetzt habe ich Großes erkannt,
Großes, nicht zu ersagen, nicht zu erschweigen!
Ich sah die alte Flut steigen,
Die ihre Küste nie überläuft,
Die nie aus ihrer Grenze tritt und träuft.
Mit meiner Grenze hab' ich die Grenze des Hundes erkannt.
Mir und euch bleibt sie unbenannt.
Mit meiner Hand
Fühlte ich Wärme fremd-verwandt.
Ein Geheimnis durchstieß mich: Es stimmt etwas nicht:
Fieber ist all dieses warme Schlagen,
Geschwür diese Form, die wir tragen.
Da rief ich dem Walten ein: Halt!
Mein Halt verhallt . . .
Gleichmäßig pulste die Seuche weiter.
Wimmernd war plötzlich die Lampe erkrankt,
- Ein Kind, das weinend zu Bette verlangt -
Alle Dinge atmeten rhythmisch und schnell.
Die Welt war Angina Gottes, Pest, Eiter!


Gesetz des Bogens

Wenn ich ersticke in den Meeresengen
Schlafloser Nacht im Bett, das mit mir fliegt,
Fühl' ich die Kraft sich in mein Schweben zwängen,
Die alle Welt zu ewigem Kreise biegt.

Ich weiß: Was vogelfroh emporgeflogen,
Was in der Fläche hinflieht übersonnt,
Es stürzt hier ab in vorbestimmten Bogen,
Und schließt sich dort geheim zum Horizont.

Ich würge an der Ahnung jener Zweiheit,
Die alle Wesenszahl zu Null ergänzt,
Und das betrunken strömt, das Wort der Freiheit,
Umwallt mich öd, ein lorbeernes Gespenst.

Wenn ich mich schnelle von der Seelensehne,
Gelöst mich werfe in den Raum verzückt,
Stürzt schon die Gravitations-Hyäne
Auf meinen Nacken, den sie niederdrückt.

Ach, keuchend durch die alten Meeresengen,
Erstickt im Bett, das durch die Frühe schießt,
Fühl ich mich schrecklich in der Mitte hängen,
Und zwischen einem Nadelpaar gespießt.

Und aus der Tiefe meines Flusses spricht es,
Und muschelhaft ein Wort durchs Ohr mir hallt:
Du bist der Punkt nur dieses Gleichgewichtes,
Und was Balance ist, heißt Gestalt.


Schrei

Es wandeln oben vielleicht die reinen Dämonen,
Ernste Frauen,
Weilende Augen ohne Ebbe,
Mit abwärts schon wachsendem Mund . . .

Aber wir unten,
Wir Knechte,
In diesem Pfuhl von Luft!
Ausatmend, einatmend,
Die Zeit vertreibend,
Gute Vergesser . . .
Und dennoch
Von uns befallen,
Von uns befallen.
Im Hals den großen Skorpion,
Der an den Gaumen juckt.
Den gebundenen Teufel
Mit Stachel und Scher',
Den mordenden Asmodi,
Der zum Mund ausfährt,
Verbindlich, eitel, Wohlgestalt,
Der Lügenvater
Über unsere
Edle
Von Wahrheit blutende Lippe.
Wir unten, wir!
Hilflos wir Knechte,
Erstickt vom Betrügen,
Erwürgt vom Verraten,
Gebeugte Auswandrer
Wir aus uns selber,
Verbrecher, verfolgt
Von gemordeten Worten.
Wettläufer ins Aus,
Preisspringer ins Ende,
Von den Türmen der Stunden -
Zerekelt, ewiglich, elend, -
Träge uns schleudernd in Schlaf!


Bekenntnis

   I

O hätte ich entsagt, anstatt zu sagen,
Den heiligen Nebel nicht entweiht!
Im Armut-Gold von Feiertagen
War' mir noch süße Straßenzeit.
Mein Herz dürfte in schwarzen Fluren schlagen,
Mein zart Gespenst durch Säle schleichen,
Anbetend im Verzagen,
Selig im Nie-Erreichen.
Mich trüge, mir geheimnisvoll, ein Gang
Durch Eichenraum, Friedhöfe und Gesang.

   II

Nun aber verließ ich die reine Geburt,
Ließ den tiefen Ort.
Böse vertauschte ich hier und dort,
Da fiel ich und bin verhurt.
Ich warf List, Lüge, Macht in die Welt,
Ernte nun Ekel und Aus.
Die süßen Hoheiten sind entstellt,
Entzaubert das heilige Haus.
Ich stehe in Garderoben-Wust,
Meine Herrin ist trübe Lust.
Ach, als ich's nicht hatte, war es Stern,
Als ich's nicht wollte, der Gnade flüssiges Herz!
Nun, da ich's habe Brust an Brust,
Verlor ich Liebe und halte Verlust.

   III

Selig, die zweifelten - sie werden glauben,
Selig, die irrten - sie werden erkennen.
Selig die Narren - sie werden rein entbrennen,
Der Sünden-Baum wird sich belauben.
Unselig nur, die ohne Liebe waren,
Die lau-sandigen Scharen,
Ohnsehnsucht heißen die Saharen.
Es werden erhoben gefallene Feuer,
Doch ein Gelächter sind die Unfruchtbaren.

   IV

Hinter jedem Wort stockt Scham.
Zwischen Alpha und O ein Huren-Gram.
Was haben wir, da wir sagten, getan?
Geprunkt, gepraßt, geprahlt.
Der Tisch trägt abgeschmolzen Licht,
Unsre Backen sind bemalt -
Die Freunde fort, sie haben uns bezahlt,
In unsrer Gurgel grinst Gericht!
Die Welt ist uns von Wortes Art,
Als Lüge weh auf halbem Weg erstarrt.

   V

Was nützt uns denn die gute Lüge, die gelang?
Weib, was frommt der falschen Jugend Krampf und
Zwang?
Was wir der Welt verbergen, bleibt gedoppelt in uns stehn.
Es beißt nach innen, was nach außen gleißt,
Denn unser ist ein hoher Geist,
Dem müssen wir uns eingestehn.
Wir haben einen Herren fürchterlich,
Sein Schritt entgegnet unserm Schlich.
Uns ist keine Nacht ohne Gericht,
Daß wir erkennen den Sinn von unserem Mund,
Des Haars Bedeutung, der Stirne tiefen Grund -
So wird uns zum Gesicht unser Gesicht.
Denn wir sind zur Wahrheit gemacht,
Und unseren Herrn verführt nicht Trubel und Pracht.
Und wenn auch Wort dem Wahn erlag,
Weh über deinen Jüngsten Tag,
Tagt er in dir nicht Tag für Tag!

   VI

O Welt, in der aus Liebe nichts geschieht!
O schöner See, auf dem kindliche Dampfschifflichter
   schweifen!
O Abend-See, wenn uns die Lockung zieht,
Schluckst du gleichmütig glucksend unsre Leichen.
Noch ist Zenit-Licht da, das uns nicht kennt.
Ein Stern, der uns nicht sieht und den wir sehn, entbrennt.
Und fremde Möwen fahren um die Molen.
In meinem Rücken knirscht der fremde Kies und fremde
   Sohlen.
Mein Nächster neben mir versperrt sich böse . . .
Und die einst in mir schlug,
Begeistrung, die ich trug,
Fraß sich wie Spinnen selber auf. Getöse
Hör' ich aus den Beratungszimmern. Tolle
Wie schartige Messer scharf erfiedern eine große Rolle.
Nun ist es Nacht! Vielleicht in einem fernen Leibe spinnt
Die ersten Schmerzen schon mein Kind,
Indes ich mein Gesicht mit Mätzchen süß behänge.
Die Einsam-Grenzentrüben trubeln im Gedränge,
Ich Grenzentrüber truble mit.
O schwerer Sinn,
O Welt, in der aus Liebe nichts geschieht! Ein lauer Mörder unter Mördern zieh' ich hin.

   VII

Wir wachten auf in unerschöpflichem Morgen,
Den Stromfahrt füllte. Kies, Geheimnis-Alm.
Wir durften lieben, lieben!
In unserer Lade war das Licht verborgen.
Gott fiel in unsre Tasten, und wir waren Psalm.

Zu Mittag fanden wir uns in getragenen Küssen
Und bauten Bögen unserem Brücken-Stolz.
Das Licht umwimpelt schwieg.
Wir wußten nichts vom Schiffslos auf den Flüssen,
Die wir auf Balken trieben und auf faulem Holz.

Nun kam die Stunde des Sumpfs. Um unsre matte Güte
Schwemmt Schlamm und Schwärze, Ratte, Molch und Flaus.
Das Licht hängt starr am Mast.
Wir hocken naß und leer. Es fährt um die Kajüte
Des Herzens Eitelkeit, die letzte Fledermaus.

   VIII

Es werden aufduftende Kränze vorübergetragen.
Ich sehe dahinter grinsen ein Drahtgeflecht.
Ich bin geschlagen.
Den hinter süßem Huren-Lachen, das sich erfrecht,
Hör' ich die arme röchelnde Gurgel klagen.
Ein Schleier weht über schwebenden Mädchen-Schein,
Dahinter aber ziert sich hübsch ein Totenkopf.
Was willst du Tropf?
Nach Blumen riecht jedes Begräbnis-Haus.
Tritt ein!
Die Verwesung rings ist frisch und zauberisch.
Wein her,
Und trinke dein wissendes Herz unter den Tisch!

   IX

Wieder werden Gelächter die nächtlichen Städte durchwehn,
Lichterschnüre sich über die Brücken winden.
Nicht wird vor dem Vorhang das Lächeln der Diven schwinden.
Wir aber müssen in den Spiegeln Untergehn,
Die uns verwerfen und vor uns erblinden!
Wir haben die Nacht mit gefährlichem Zauber verführt.
Ein süßes Gespenst entstieg unsern gleißenden Schwaden.
Leise rief Gott. Sein Ruf hat uns nicht gerührt,
Der uns lud in Wüste und Not, zu den wahren Gestaden.
Nun hat das Gespenst seinen faulenden Schein entfacht
In unserem Haar, wenn wir die Tische verblenden.
Wie wir auch blenden, wir fühlen uns überall enden.
Der scheinende Alb lacht, lacht.
Ein klebriger Nebel hängt von unseren Händen,
Wenn wir verschwenden die elend erklirrende Nacht.

   X

     Eine Linde blüht weiß.
     Um Kraut taucht ein Falter-Kreis.
     O wie leer ist der Ort,
     Leicht wie ein Tropfen Wort.
     Böser Pfeil fährt durch meinen zarten Flaum.
     Roher Menschenhahn kräht . . .
     Um mich der Traum, in mir der Traum
     Tut nun weh.

   XI

O hätt' ich niemals, niemals mich süß geschmückt
Und das gewollt, was euch entzückt!
Nein, meinen kleinen Schatz ganz hingegeben,
Nicht eitel ihn zerlogen zu Geweben,
Mich nicht gerüstet und gerückt!
Wie leicht war' da die starre Hand zu heben,
Wie weit war' ich zu euch entrückt,
Wie tief im Leben!

   XII

Ich kann nicht schlafen in diesem Kampf.
Die Heere kenne ich nicht, wenn eitler Dampf
Mich umwölkt, und jeder Reim
Mich näßt wie Lüge mit süßlichem Schleim.
Ist das noch immer Spiegel-Schlacht,
Hab' ich meinen Menschen umgebracht,
Um blutig zu glänzen? Nein, nein!
Ein Öl ist in mir noch unversehrt,
Ein Flämmchen sich immer noch aufwärts kehrt:
     - Ich weiß Wert -
Noch immer schlägt etwas nach oben.
Der hohe Geheimnis-Wind facht es an -
Meine Lippe verlernt nicht das Loben,
Daß ich in schlaflosen Schwere-Beschwerden,
     In Neige und Rest
Noch hoffen kann, dies hoffen kann:
Der Mühlstein, der meine Schulter preßt,
Wird Flügel werden, muß Flügel werden!

   XIII

Gott, du gabst mir einen argen Stein zu schleppen,
Der zäh in meiner Seele nicht schmilzt. -
Er ist von trägem Moos schon ganz umfilzt.
Manchmal auf meinen Jakobstreppen
Fall' ich zusammen atemlos;
Denn dieser Stein ist groß.
Oft aber ist er ganz umschlagen
Von Flammen der riesigen Musik,
Die du mir auch erlaubst zu tragen. -
Dann bricht mein Blick,
In Tränen-Sternen, die du heilig hältst.
Musik in uns! Ein Taumel ungeheuer!
Sie ist das auf der Zeit schiffbrüchige Feuer
Deiner Erinnerung an dich selbst!


Die Vermaledeiung der Erde

Ich rotte dich aus meinem Himmel aus!
Sei das Erbrechen meiner Engel, sei
Das Eiterkorn in meinen Harmonien!
Wie die Diener ein ausgestorbenes Haus
Versiegeln und die Geräte überziehn,
Bedeck' ich meinen Sammet mit Tücher-Wüstenei
Und impfe Sitz und Sippen mit Ruin.

Sei, was du warst, sei Stern nicht mehr! Und preis
Geb' ich dich dem Getier mit gelbem Gebiß!
Blüh wie ein Bahnhofsgarten, grau verraucht!
Und klein im Kreischen des Maschinen-Schreis
Erstick' dein Schrei, der an mein Ohr nicht haucht
Geschminkt mit deines Lichtes frecher Finsternis
Sei Hure meines Raums, verfilzt verbraucht!

Aas sei dein Zeichen, deine Lust sei Aas,
Dein Lächeln sei getränkt von Aases Gift!
Aas sei die Zehrung, die dein Liebling kaut!
Es teilen deine Fürsten Leichenfraß,
Verwesung preise deiner Weisen Schrift . . .
Ich lehr' sie rechnen, daß den Kerker baut
Der Sklav' und seine eigne Peitsche flicht!

Und will mir gründen ein Geschlecht auf dir
Mit einem Rest von Himmel, der verbrennt
An meines Fluches Ordnung und Zwingherrn!
Ein Aug' kür' ich mit einem Schein von mir
Aus jedem Alter, daß es mich erkennt,
Und daß wir beide über deinem Lärm
Uns weinend finden, du verfluchter Stern!!


Verfluchung

Ich bin der Herr, dein Gott,
In meiner Hand versammelnd deine Stunden.
Ich habe dich erkannt und dich befunden.
Daß sie dich treiben in verdammtem Trott,
Sind meine Rotten, meine Flotten flott.

Der braune Samael,
In dieser Nacht schon kracht sein Knie zum Sprunge,
Daß er sich werfe in erwünschtem Schwunge,
Dein Haupt bestreue mit dem schwarzen Mehl
Und dich umlaste mit viel Befehl!

So schlag' ich dich im Schein
Der Nacht. Jäh wachst du auf wie unterm Kohlenwagen.
Schwarz stöhnend mußt du Kaukasus ertragen.
Gelähmt willst du empor, auf Straßen sein
Und bis ans Nordlicht aller Zeit Pein schrein und Schrein.

Ich schlage dich mit Fluch!
Vergiß, wie dich Lebendigkeit verwirrte,
Ins Blau erwachen und wie Winter klirrte,
Ruhm, Gruß und Buch und meinen großen Besuch!
Vor dir sei Sumpf und hinter dir Steinbruch!

Ich schlage dich von nun
Mit Wissen! Du erkenn mit Seel und Leibe
Das gute Meine, bäum dich auf, doch bleibe
Zerschwitzt im Bett zurück! Aus deiner Hände Ruhn
Dorr' jedes Opfer, Hilfe, Mut und Tun!

Ich schlag' dich! Sei umsonst!
Des Reichs Geheimnis teile mit den Weisen!
Nur du sieh mich durch einen Raum von Eisen
Als Feuerkern, in dem du dich nicht sonnst.
Fern meinem Stern, sei deinem Stern umsonst!

Ich schlage dich mit Lieb'!
Sei du geliebt von vielen, liebe keinen!
Wenn Freunde bleich sind, Frauen dich umweinen,
Zerknittre dich mit abgewandtem Hieb,
Weil dein Arm leer, wie deine Liebe blieb.

Ich schlag' dich mit Einsicht!
Schau um dich! Welche Anmut weht die Wesen!
Du sollst nur Adel aller Augen lesen,
Und zehnfach fühlen Wanst, Gestank und Gicht
Und was an reinem Schreiten dir gebricht.

Ich schlag' dich mit Verlust!
Verlier die Form, die Gnade der Gestalten!
Durch deine Finger rinn, nicht aufzuhalten!
Gespenst sei dir am Abend, trüber Wust,
Mit einem Flämmchen Schmerz, das du erst suchen mußt!

Mit Wüste schlag' ich dich!
Dein Tag sei Schlaffheit und dein Zeichen Gähnen!
Nur manchmal Haß klopft ziehend dir in Zähnen,
Dann plane Gift und Spitze, pfiffigen Stich,
Bis Gähnen dich erstickt mit deinem Schlich!

Ich schlage dich! Dörr aus!
Versieg! Von den bestaubten Wimpern falle
Nie mehr der Tropfen, Sinnbild allem Balle!
Sei ohne Brunnen Land, verwelktes Haus,
Präriegras ohne Durst, vergilbt und kraus!

Ich schlage dich mit Wort!
Ich schürze Wort um meine eigenen Hüften
Wie Wolke. Triff mich du aus deinen Grüften!
Geballter Plunder sinkt auf deinen Ort,
Und dich durchsticht dein abgepfeiltes Wort.

Ich schlage dich! Und sei
Lug selbst die Seele! Und wie scharfes Qualmen
Rückweht von nassem Holz, ersticken dich die Psalmen,
Die ich dir eingab . . . denn kein Mund ist frei.
So werde Wahrheit Wahn, und Trug dein Wehgeschrei!

Wie Raum durch Mauern dringt,
So dring' ich ein in dich mit meinen Fürsten,
Und sitz' auf deiner Brust, dein Herz zu bürsten
Mit leiser Hand, aus der ein Funken springt,
Daß dich verbrennt, was dir Verheißung bringt!

So bist du denn verheert,
Solang' die bösen Engel sich mir neigen,
Bis Rot aufspringt, aus Horizonten Reiter steigen
Und der verheißene Sturm in die Gebeine fährt . . .
Solang' ich bin, sei Tod und Leben dir verwehrt!!


Der Dichter

Ich habe mich aus verraten!
Mein entsetzliches Geheimnis und mein gütiges,
Aus den Kasernen der Verstellung ausgebrochen!!
Das gepflegte Antlitz meiner Lüge,
Das blatternarbige Antlitz meiner Wahrheit
Enträtselt sich zur Wahrheit.
Ich schrieb mir unbekannte Chiffernschrift,
Unerbittlich log ich Wahrheit.
Nun beginne ich mich zu bedeuten,
Nun beginne ich hinter meinem Weiß hervorzukommen,
Nun baue ich mich auf mit abgehackten Händen . . .
Hilflos
Höhn' ich mich Hilflosen von fern an.


Der Ritt

Als mich mein Traum verschlug,
Fand ich mich wandern im schönsten Nachmittag
Den Hügel nieder, der schwebte und mit Flügeln schlug,
Zu meinen Füßen lag
Das Land in Schwaden rauschend der gereiften Saat.

Ich kam wie aus viel Not,
Wie einer, der das Hemd der Krankheit von sich warf,
Und leichter und geschmeidiger sich tragen darf
Als je; - in Por und Ader pocht
Begeisterung das dünne Blut, das ihn nicht unterjocht.

So trat ich heiter ein
Ins Tal der Ernten, das von Korn und Sonne schwoll,
Um Brust und Hüfte schwankten
Ähren schwer und voll,
Die fast verwuchsen meinem eiligen Rain.
Doch leicht für meine Sohlen war der Traum,
Die vielen Vogelflüge mir zu Häupten sah ich kaum.

Die Vögel hatten hier wohl einen Sinn .. .
Und plötzlich war die Erde meinen Sohlen schwer, so schwer,
Als wirkte mächtiges Metall von unten her;
Mein Knie, mein Puls, sie stockten her und hin.
Ich sprach zu mir: Bannt meinen Schritt magnetisches Metall,
Was fahren diese Vögel schreiend klatschend unterm All? . . .

Dies aber sah ich: Überall
Zerknickt, zerdrückt die Ernte niederlag,
Wie von Regenschwall, wie von Hagelfall
Verheert. - Und im golden niederwandelnden Tag
Rings im Getreide sah ich viele tote Männer hingestreckt,
Die hatten Sonntagskleider an, doch ihre Köpfe waren schon
   schwarzgefleckt.

- Die liegen hier sehr lang' -
Dacht' ich und schloß das Aug'. Doch wie durch einen Riß
Sah ich die vielen schwarzen Köpfe, sah manch blinkendes Gebiß,
An aufgetriebenen Westen manche Silberkette blank:
- Die trugen Diebe nicht und nicht die großen Elstern fort -
So sagte ich - die Elstern, die so schreien über diesem Ort.

Ich schüttelte von Schultern nicht
Den Bann. Wie sehr ich kämpfte auch, ich mußte schaun . . .
Es froren und es stachen mich die Wurzeln meiner Braun.
Die Toten lagen starr im späten Licht.
Ich fühlte meinen Leib wie einen ungefügen Sack.
Doch plötzlich war's, als ritte ich, als trüg' mich einer huckepack.

Es trug mich einer huckepack,
Fest meine Schenkel preßten brüchiges Schulternpaar.
Es flatterte vor mir ein Schopf farbloses Haar.
Nur manchmal mühsam war, schwarz wie von Lack,
Ein Antlitz fragend hergedreht: Ob ich auch ritte recht. . .
Der Tote, der mich trug, er grinste schief, wie ein gutmütiger
   Knecht.

Auf dem ich ritt und ritt.
Er war schnellfüßig, wie nicht leicht
Ein Rennpferd ist, das nicht schnaubt noch keucht.
Doch plötzlich schwankte er und fiel in Schritt.
Er stand und wandte mir sein arm zerfreßnes Antlitz her . . .
Mir aber war's, als ob mein eigen Bild verwest im Spiegel wär'.

Er klappte mit dem Mund
Und sprach: »Mein Bruder du, es ist genug,
Genug, daß Gott für dich mich fällte und erschlug.
Ich nahm dein Los auf mich. Du aber bist gesund.
Nun sage mir: Ist so gerichtet denn gerecht,
Daß du mein Reiter bist und Herr - und ich dein Pferd und Knecht?

Steig nur aus deinem Sattel gleich,
Mach mein Genick von deinen Schenkeln frei!
Ich weiß, dir, guter Bruder, ist es einerlei.
Dein Aug' ist von Erbarmen naß, dein Mut ist weich.
Verwes' ich nicht für dich, von Wurm geschwärzt, vom Wind
   gebleicht?
Komm! Trag mich du ein Stückchen Wegs!
     Ich bin so leicht, so leicht.«

Ich aber lachte voll Gewalt
Und spornte seinen Leib mit meinem Schuh.
»Ich steige nicht von meinem Sitz. Lauf zu,
     Trab Marsch, lauf zu!
Und spiegelst du mir noch so sehr die eigene Gestalt,
Und bröckelt auch in deinem Antlitz ab mein eigenes Gesicht,
Ich bin dein Reiter, toter Bruder, und ich lass' dich nicht! -

Ich habe tief erkannt,
Ich tauchte auf den Grund der Angst! Die würgt,
Die sich zur Gnade nie verbürgt,
Ich fühl' von nun an ewig um den Hals die Hand.
Ich reite, weil's mich reitet! Wild bewußt der lückenlosen Not
Bin ich ihr Herr und Reiter gar auf meinem eigenen Tod!«

Und lachend riß ich ab
Vom Haselbusch die Gerte, und ich schlug
Des Toten Flanken leicht. Er seufzte auf und trug
Erst störrisch meine Last, doch bald im scharfen Trab,
Und folgte endlich willig meiner heiteren Gewalt.
So ritt ich in den Abend ein, und es umfing uns Wald.

Und dieser Wald - er war
Die Harfe meines Lebens übers Abendrot gespannt.
Und ich griff in die Stränge mit meiner großen Hand
Und nannte den Triumph und nannte die Gefahr!
Es flüsterte des Toten Tritt, zart flüsterten die Eichen mit -
Ich aber ritt auf meinem Tod und sang den Rausch von diesem Ritt.


Geburt des Lichts

 

Wir nicht

Ich lauschte in die Krone des Baums; — da hieß es im Laub:
     Noch – nicht!
Ich legte das Ohr an die Erde; - da klopft's unter Kraut und Staub:
     Noch - nicht!
Ich sah mich im Spiegel; mein Spiegelbild grinste:
     Du – nicht!
     Das war mein Gericht.
     Ich verwarf mein Lied,
     Und das lüsterne Herz, das sich nicht beschied.
Ich trat auf die Straße. Sie strömte schon abendlich.
Auf der Stirne der Menschen fand ich das Wort: Wir nicht.
Doch in allem Blicken las ich geheimnisvoll ein Lob,
Und wußte: Auch ich, vom lauen Trug entstellt,
Werde nochmals begonnen, weil neu ein Schoß mich hält
Wie all dies Wesen um mich. Da lobte ich den Tod,
Und weinend pries ich allen Samen in der Welt.


Geburt

Heut ward ein Kind geboren in die Welt. -
Anders und selig beugen sich die Bäume.
Versunkener das Licht vom Zelte wellt.
Wie Milch rinnt neue Hoffnung durch die ganz verdorrten Räume.
Das Ächzen des Alls löst sich in Atem zart.
Denn Hoffnung ward geboren in die Welt.

Ein Sohn heut in die Welt geboren ward.
Heilig ein weißer Tropfen hängt an allen Wesen,
Und alles Blicken ist von anderer Art.
Es schweigt einander zu: Wir sind erlesen,
Von Gott gesegnet neu in einem ersten Bad,
Weil eine Hoffnung heut geboren ward.

Ein Mensch, ein Mensch in unser Altern trat.
Und dies Geheimnis wissen Stern' und fernste Hänge.
Im Blumengrund und im Kristall taut Überwindertat.
Schweigsamer werden die schwarzen Laub-Gesänge.
Aus den Geschöpfen groß ein Innen-Leuchten taucht,
Weil Hoffnung neu in unser Altern trat.

Ein Geist erhob sich heut, der mit uns haucht.
Aus Todesschmerz erschien er unserm Scheinen.
In dieser Stunde waren die Verbrauchten unverbraucht,
Und ein Verheißungswind stieg auf in Krüppelbeinen.
Verzerrtes löste sich, das starr in Brand und Eiter lag,
Weil neue Hoffnung wieder mit uns haucht.

Ein Menschen-Sohn schlägt neuen Herzensschlag.
In Wehen lagen wir. Und alles ward um ihn gelitten.
Nun aber wissen wir: Weihnacht ist aller Tag.
Der Heiland wird aus jedem Muttermund erstritten,
Der uns mit seinem Schrei aus der Vernichtung hebt,
Drum beten wir zu diesem neuen Herzensschlag.

Ein Kind, ein Sohn, ein Mensch, ein Geist, ein Menschen-Sohn
   verwebt
Sich durch Geburt mit uns. Gott selbst in seinem Traume
In tiefster Ruh' regt sich vor Freude und bebt.
Aus dem verkohlt zerschossenen Lebensbaume
Ein Vogelschwarm Verklärung schwirrt hinauf und schwebt.
Gott lächelt und sein Traum der zur Verwesung strebt,
Weil ihnen beiden ein Erlöser lebt,
Weil neu uns allen ein Erlöser lebt.


Gesang der Begrabenen

Zartester Frühling! Nacht starb in frühen Schein.
Da war der Schnee geschmolzen von unseren Gräberreihn.
Unsere Hügel waren braun und rein.
Morgenwind wischte durchs Weidengerippe.
Unsere Lämpchen drückten die Totenbrust entzwei . . .
Unsere Lämpchen, sie scheinen durch Nebel, Zwielicht, Geschnei
Und lasten so schwer auf der Brust. Es sang unsere Sippe,
Sang ins Morgendämmern: Wir haben
Das Öl unserer Lämpchen nicht rein gebrannt.
Wir müssen den Ruß-Geist der Dochte tragen,
Die mit Rauch unsern Schlaf umschlagen;
Wir können nicht steigen und sind gebannt
An das Blaken und Flaken
Unserer qualmenden Schlacken,
An das Scharren und Rascheln und Warten
In diesem knarrenden Garten!
Bis das Licht allen Schlamm verflammt,
Sind wir zu harren in unsern Scharten,
Sind wir unsern Tod zu tragen verdammt!

Und werden wir niemals auferstehen
Und sollen ewig sitzen auf unserm Staub,
So schwand über Nacht doch der Schnee und Märzensonne ging auf,
Und wir sehen:
Unzählig von allen, allen Bergen wallt ein Mädchenheer.
In harten Armen tragen die Frischen gelbe Blumenlasten schwer.
Und unter ihrem seligen Wandern stürzen unsere Hügel ein,
Und all die trüben Lämpchen werden sanft und klein.
Aber unsere letzte arme Sehnsuchts-Unsterblichkeit
Hebt sich und steigt wie Saft in die Sohlen der Schreitenden auf.
Und von unsres klein-ewigen Gutes Dürftigkeit
Wird der selige Zug zu seligerm Lauf.
Und wie unser Licht in den wandernden Herzen sich ballt,
Aufschallt des Gesanges tausendstimmig tausendstämmiger
   Birkenwald.

Und werden wir niemals auferstehn,
Und ist unsere Zeit verflucht zu ewigem Tod . . .
Wir stöhnen nicht mehr in windige Früh',
Wir sehn:
Von des Gebirges unwegsamem Gipfelrot
Stürzt nieder ein Knaben-Gewimmel und jubelt und droht
Wie wolkige Woge und loht und dampft
Und spritzt herbrandendes Blitzgesprüh,
Und die Jünglinge nahen. Ihr Wandern stampft
Unsern Staub, der freudig aufwirbelt und schwebt.
Wir hören ein Rufen, Gesang, der sich hebt,
Der sich wälzet und wächst durch die Scharen geschürt:
»Uns hat Gott aus dem Lande Ägypten geführt!« -
Und wir fühlen: Wie Bogen spannt sich jeglicher Fuß,
Und jeglicher Schritt von Aufbruch und Exodus.
Ach, werden wir niemals auferstehn -
Und haben wir unser ewiges Leben verdreckt,
So sind wir dahin! Und dennoch, dennoch, wir wehn
Im letzten Schreiten, das über die Erde schreckt.
Wir Gespenster sagen: Das Leben war gut.
Wir verspielten unseren Zwielicht-Geist. Er entglitt.
Wir wurden zu Erde. Doch Erde ist gut, ist gut.
Erde, die einst der Fuß messianischer Jugend tritt!


Das Licht und das Schweigen

Wesen stieg nieder, um aufwärts zu steigen,
Wesen zerteilte sich, um sich zu sammeln.
Vereinigtes Licht und vereinigtes Schweigen
Zerschliß sich in Farben, zerspliß sich in Stammeln.
Sag, welcher Sinn hat dies Wesen getrieben,
Seine schweigsame Einheit zu morden?
Es mußte sich selber zerstückeln, zerstieben,
Daß es zerfallen erlerne zu lieben,
Denn ohne Liebe noch war's nicht geworden.
Und als das Licht seinen Mantel zertrennte,
Aufbrachen da seine farbigen Wunden,
Und als das Mutter-Schweigen entbunden
Die Unzahl klangkämpfender Elemente,
Ward Gott gegeißelt, ward Gott geschunden,
Der sich,
durch Liebe zu werden, verbannte.
Doch aus den Läuften traten Gesandte,
Die den Sinn des zerfallenen Lichtes verstunden.
Und sie atmeten in der Wölbung, den Hallen
Des Gottes-Zerfalls das Düften, das Schallen
Der Niederkunft; - in den Wäldern, an Hängen,
In der Straßen traurigen Abendgedrängen
Und im Saal, wenn ihn Orchester zersprengen,
Wenn Badende waten durch strahlende Furt,
Erfuhren die Weisen verzückt die Geburt.
Doch das Geborene neu zu gebären,
Sah man sie wandeln, leiden und lehren,
Das Urlicht und Schweigen in ihnen glomm,
Drum waren sie furchtlos und sagten uns: Komm!
Komm, komm, Mensch! An dir ist es, aus den Getösen
Das Schweigen zu schließen, das Lied zu erlösen!
Komm, komm, Mensch! An dir ist es, aus den Gewalten
Des Farben-Zerfalls das Licht zu gestalten!
Komm, komm, Mensch! Nur du wirst durch heilige Taten
Die werdende Gottheit lassen geraten.
Aus dieser Wirrsal, dem Wahn und aus Scheinen
Wirst du die Vielfalt zur Einfalt vereinen!


Nachtrag