Yvan Goll
Films
(Verse)
Verlag der expressionistischen Gedichte
Berlin Charlottenburg
1914
Inhalt
Karussell am Friedrichsbahnhof
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Der Herausgeber spricht:
Der Expressionismus ist keine neue Religion, die hier gegründet wird.
Er ist schon längst das tägliche Brot der Malerei. Er ist eine Seelenfärbung,
die (für die Techniker der Literatur) noch nicht chemisch analysiert war
und daher keinen Namen hatte.
Expressionismus liegt in der Luft unserer Zeit, wie Romantik
und Impressionismus die einzige Lebensmöglichkeit früherer
Generationen waren.
Expressionismus entfernt sich streng von ihnen. Er verleugnet
jene Kunstgattungen des l'art pour l'art, denn er ist weniger eine
Kunstform als eine Erlebnisform. Im Goetheschen Sinn.
Expressionismus nähert sich der Klassik. Er hat mehr Gehirn als
Gefühl, er ist mehr Extase als Traum. Und so ist er klassizistisch,
ohne den Anspruch zu haben, je klassisch zu werden.
Ein Markt von Mänteln und von Pelerinen.
O reicher Ruhm der Reise: Meere, müssige Matten.
Das Lächeln kleiner Ballerinen
Ist der entfernten Grossstadt Sprach' und Schatten.
Und hell
Wie ein gestrandet Schiff bricht es nach aussen,
Ein weisses Schiff zur Nacht: Das Grandhotel!
Doch rings das Dorf
Hat Gärten, die von vollem Sommer laut erbrausen,
Und einen Platz mit alten Fiakern, -
Dreieckige Laternen flackern, -
Das Dorf -
»Hotel zur Zivilisation!«
Ein Schweizerhaus. Ein Dreadnought. Ein Boulevard:
Ich schluchze überall nach Gott!
Ich weiss: ich hab ein rotes Herz und schwarzes Haar:
Ich weiss so viel und weiss nicht Gott!
Oft trösten
Die Röten stilisierter Hirten Den Verirrten . . .
Da schenk' ich mich ganz Ausgelösten
Der blauen Schattentochter, die am Wegbaum kniet . . .
Und schluchze noch nach Gott,
Der vor mir flieht . . .
Karussell am Friedrichsbahnhof
Mit zartem Zebra unter dem runden Himmel
Von Spiegeln in den Urwald fahren!
Wie will ich meine Augen füllen!
Am Tunnel schreien die Rauchfanfaren!
Die Erde weht mir zu!
Die Omnibusse stürzen hintenüber in den Glast,
Ein weisser Wolkenengel vom Tanzpalast
Schluchzt aus der Gondel: Liebling du!
Doch wichtiger ist mir mein Opfer:
Die Götter Griechenlands will ich erhängen
Längs an den Bogenlampensträngen
Der steilen Friedrichstrasse!
Doch meine Sehnsucht ist viel goldener
Als diese Anemonen im Korb der kleinen Frau.
Mein Bruder sei, wer Glück und Güte hat.
Ich will die roten Autos meines Uebermuts
Hinschleudern in das Fieber dieser Stadt,
Bis ihre Plätze überlaufen . . .
Ich floh ins Glutgebirge des Asphalts!
Am Boulevardpass zerschmolz
Das Sonnenherz zu lauter kleinen Münzen.
(Die Mittage sind unfromm.)
Und letzte Tropfen Golds
Der Erde faulen ranzig in den Bars . . .
Da schwenkt ein Traum die grünen Fahnen
Meines Tals . . .
Noch immer gross im hohen Seidenhut,
Du mein Verfolger: Nachbar in der Tram
Und Reiter am Kurfürstendamm!
Aus braunem bärtigem Gesicht
Dein goldhaft Lächeln immer bricht,
Auf dass ich sei in deiner Hut.
Gottschatten du: o sei mir gut!
Gestalt der Wolke, Duft im Wein,
Du ganz allein,
In dem mein fremdes Wesen ruht!
Silberne Zimbeln schritten in den Morgen hinein.
Die Flüsse der Heere zerfrassen die Nächte.
Und rings die blumigen Wälder erloschen.
Die Dörfer heulen zerknirscht
In den roten Kriegswind.
Dumpfe Wolken trinken die Landschaft auf.
Landstrassen und Ebenen bekommen Flügel.
Fahnen rauchen.
Knöcherne Trommeln wanken vom Hügel.
Und irgend ein himmelblauer Husar
Spuckt die ersten Blumen ins Gras.
Gold
War gerollt In der Nacht,
Und beide, Clo und Gynn,
Tänzerin und Tänzerin,
Hatten getollt und hatten gelacht.
Aber morgens, von den Fräcken verlassen,
Fanden ihre blassen
Hände sich . . .
Morgen weinten Clo und Gynn,
Und sie flohen, Tauben im Winde,
Bis zur seligen Insel hin.
Und ihr nachtschwarzes Tanzgewand
Flatterte mit der Nacht über Land,
Dass sie nun standen wie rosa Wolken,
Dass sie Hände hielten wie Möwen,
Dass sie Hüften bauschten wie Wellen,
Dass sie Füsse trugen wie Muscheln,
Dass sie stiegen, morgengross,
Schoss an Schoss.
Wie Hirsche, die an Brombeersträuchern schnuppern,
Will ich um deine Augen zärdich sein
Und leis umrauschen deine Schulter . . .
Dass du an meiner Brust mit ihren Schlucht und Bächen
Und ewigem Gesang
Schlürfest den grossen Ueberschwang
Bis hin zu Zeus.
Wie geschmückt
Mit einer breiten Orchidee
Zeigte ich den Knaben im Cafe
Und allen Frauen auf dem Boulevard -
Und verzückt
Von diesem grossen Leben
Loderte und stach
Sein Auge so und war
Wild wie ein Raubtier, dem ich eben
Den Käfig zerbrach.
Verflossen blaue Wälder, blaue Triften . . .
Ich bete deinen dunklen Sommer an!
Mit deiner Augen schwarzgemischten Giften
Erwürg' ich diesen ungeheuren Gram.
Du witterst Tang und Meer,
Bewegter Hafenplatz mit bunten Hüten.
Dein Gang ein Rauschen brauner Kaffeeblüten.
Und deine Sklaven tragen mich vor deiner Liebe her.
Und aus den Locken schüttl' ich mir die kalten Winde
Für deine Sonnengüte . . .
Schon wenn du die steile
Treppe betrittst,
Hebt sich mein hohes Haus und blitzt
Hell über die Häuserzeile
Und ist mit Himmel so gefüllt
Und schwillt
Und trägt uns über die Finsternis
Wie ein Luftschiff, das seine Seile
Zerriss . . .
Du grosse Kraft,
Du grüner Sommer, du Gebirg, du grosse Kraft,
Du Freiester in Erdenhaft:
In jedem Zweig und Blatt
Wiegt sich die Trunkenheit der Meere,
Die Armut goldener Käfer und der Reichtum härener Knospen,
Glück blasser Augen und der Schmerz von Witwen . . .
In deine Krone flüchten die einsamen Orgeln,
Und schwalbig aufgescheuchten Himmeln
Bist du ersehntes Grab . . .
Hügel und Tal . . .
Aus schwachem Leibe schöpfe ich mein Licht,
Aus hohlen Augen wächst und bricht
Mein brennend Leben.
Jedoch von meinem Sein
Werden die dunklen Zimmer alle leben,
Von meiner Stille wird das Haus erbeben.
Und sterbe ich, gepflückt von leisen Winden,
Dann wird die ganze Welt mit mir erblinden
Und überlebt mich nicht.
Rausch ist verrauscht und Lust erlöst:
Die wollenen Blumendochte
Schwälen barhaupt ins Astwerk.
O manch eine trunkene Tochter
Verstössen aus dem Weinberg
Entblösst
Das Haumige nun, in das sie sich verstrickte . . .
Und manch ein gewesener Gott,
Kaum dass er sie erblickte,
Erwirbt sie billiger als eine Barkokotte . . .