Gedichte von Ernst Toller (ein Anfang)
Auswahl einiger Gedichte:
Der Ringende
Mutter, Mutter, Warum bist dus nicht?
Kann ich nicht jene Frau,
Die mir mit ihrem Blute
In dunklen Nächten Herzschlag lieh.
Aus frommem Herzen Mutter nennen.
So will ich weite Wege wandern.
Oh, daß ich einst vom Suchen nicht ermüdet.
An stachlichen Ligusterhecken träumend.
Dich, Mutter, fände.
Bin ich nicht selbst mir Mutter?
Du, Frau, gabst stöhnend
Einmal Leben mir.
Ich starb so oft seit jenem Tag,
Ich starb
Gebar mich
Starb
Gebar mich
Ich ward mir Mutter.
Marschlied
Wir Wandrer zum Tode,
Der Erdnot geweiht,
Wir kranzlose Opfer
Zu Letztem bereit.
Wir Preis einer Mutter,
Die nie sich erfüllt.
Wir wunschlose Kinder
Von Schmerzen gestillt,
Wir Tränen der Frauen,
Wir lichtlose Nacht,
Wir Waisen der Erde
Ziehn stumm in die Schlacht.
Gang zum Schützengraben
Durch Granattrichter,
Schmutzige Pfützen,
Stapfen sie.
Über Soldaten,
Frierend im Erdloch,
Stolpern sie.
Ratten huschen pfeifend übern Weg,
Sturmregen klopft mit Totenfingern
An faulende Türen
Leuchtraketen
Pestlaternen . . .
Zum Graben zum Graben.
Alp
Auf einer Stange morsch und faul
Hockt das Völkergewissen,
Um die Stange tanzen drei Kinderknochen,
Aus dem Leib einer jungen Mutter gebrochen.
Es blökt den Takt das Schaf bäh bäh.
Geschützwache
Sternenhimmel.
Gebändigtes Untier
Glänzt mein Geschütz,
Glotzt mit schwarzem Rohr
Zum milchigen Mond.
Käuzchen schreit.
Wimmert im Dorf ein Kind.
Geschoß,
Tückischer Wolf,
Bricht ins schlafende Haus.
Lindenblüten duftet die Nacht.
An die Dichter
Anklag ich euch, ihr Dichter,
Verbuhlt in Worte, Worte, Worte!
Ihr wissend nickt mit Greisenköpfen,
Berechnet Wirbelwirkung, lächelnd und erhaben,
Ihr im Papierkorb feig versteckt!
Auf die Tribüne, Angeklagte!
Entsühnt euch!
Sprecht euch Urteil!
Menschkünder ihr!
Und seid . . .?
So sprecht doch! Sprecht!
Ich habe euch umarmt
Ich habe euch umarmt mit Flammenhänden,
Worte wurden blutdurchpulste Speere,
Die euch
Zum Lichte, rauschendem, erlösten.
Ihr Tausende, fabrikgemartert, Arbeitssielen,
Ihr wurdet einzig strahlend Auge,
Ihr wurdet einzige gestraffte Hand,
Die ich ergriff in brünstiger Umklammrung —
Ich spreche ich?
Sprach ich zu euch?
Der Mensch,
Der farbige Ellipsen um Sonnenbälle fliegt.
Er sprach zu euch.
Der Mensch!
Der Mensch!
Menschen
Krieg verjährte zum Gespenst,
Das knöchern seine Finger
Um die gekreisten Völker krallte.
Menschen taten von sich ihre Hüllen,
Leeren Auges starrten sie gekuppelt,
Keiner war, der Bruder lächeln mochte,
Keiner, der dem andern seine Arme bot,
Worte, die sie sprachen, waren Masken,
So saften sie beisammen,
Mumien oder Grammophone.
Soldaten
Ich kann die Gesichter meiner Kameraden nicht
vergessen.
Sie ließen sich in Fabriken führen und zu Maschinen-
teilen pressen.
Vierjähriger Krieg hat ihre Seelen erdrückt und ihre
Augen geblendet.
Das Menschliche ihrer Gesichter bespien, da starb es,
geschändet.
Bei Dirnen aus dunklen Hafenschenken und
schmutzigen Bordellen
Sieht man oft unter geschminkten Masken ein gütiges
Lächeln quellen.
Aber die Gesichter meiner Kameraden gleichen
erstarrten Lachen —
Gott! Bruder! Mensch! Werden sie jemals wieder
erwachen?!
Deutschland
Durch das Gitter meiner Zelle
Seh ich Kinder spielen.
Eingespannt in enge Zelle,
Kerkerjahre . . . Marterjahre .
Deutschland,
Deine Söhne werden
Viele Jahre
Nicht mit Kindern spielen.
Aufrüttelung
Zerbrich den Kelch aus blitzenden Kristallen,
Von dem die Wunder perlentauend fallen.
Wie Blütenstaub aus dunkelroten Tulpen.
Wir schritten durch die Dämmerwelt der Wunder,
Verträumte pflückten Märchen wir mit weichen Händen,
Aus Sonnenstrahlen formte Glaube Kathedralen,
Von hochgewölbten Toren fielen Rosenspenden . . .
Da! Dissonanzen schrillten: Mord!
Wir blickten traumschwer blinzelnd auf
Und hörten neben uns den Menschen schreien!
Wir sahen die Gemeinheit in Europa Orgien feiern.
Zu unsern Füßen gurgelte Verzweiflung . . .
Es schrie ein Mensch.
Ein Bruder, der das große Wissen in sich trug
Um alles Leid und alle Freude,
Um Schein und quälende Verachtung,
Ein Bruder, der den großen Willen in sich trug.
Verzückte Tempel hoher Freude zu erbauen
Und hohem Leid die Tore weit zu öffnen.
Bereit zur Tat.
Der ballte lodernd harten Ruf:
Den Weg!
Den Weg! —
Du Dichter weise.
Den Toten der Revolution
Todgeweihte Leiber
trotzig gestemmt
Wider den Bund
der rohen Bedränger,
Löschte euch Schicksal
mit dunkler Gebärde.
Wer die Pfade bereitet,
stirbt an der Schwelle,
Doch es neigt sich vor ihm
in Ehrfurcht der Tod.
Den Lebenden
Euch ziemt nicht
Trauern,
Euch ziemt nicht
Verweilen,
Euch ward Vermächtnis,
Getränkt
Vom Herzblut der Brüder,
Euer
Wartet die schaffende
Tat.
Lastend
Bedränget den Nacken
Die Zeit.
Aufsprengt
Dem helleren Morgen
Die Tore!
Mauer der Erschossenen
Vor Schrei und Aufschrei krümmte sich die Wand.
Wie aus dem Leib des heiligen Sebastian,
Dem tausend Pfeile tausend Wunden schlugen,
So Wunden brachen aus Gestein und Fugen,
Seit in den Sand ihr Blut verlöschend rann.
Weißes Morden raste durch die Tage,
Erde wurde zu bespienem Schoß,
Gott ward arm und nackt und bloß,
Doch die Wand in starrer Klage,
Mutter allem Menschenschmerz,
Nahm die Opfer leise an ihr stummes Herz.
Durchsuchung und Fesselung
Nackten Leib brutalen Blicken preisgegeben,
Betastet uns ein schamlos Greifen feiler Hände,
In Fratzenbündel splittern graue Wände,
Die Pfeilen gleich gen unsre Herzen streben.
Pflockt Arm und Fuß in rostge Kette,
Brennt Narben ein den magren Händen,
Ihr könnt, ihr könnt den Leib nicht schänden.
Wir stehen frei an der verfemten Stätte!
So standen vor uns die Geweihten,
So starben sie am Rand der Zeiten.
Schlaflose Nacht
Metallne Schritte in die Nächte fallen,
Die Posten buckeln durch die Höfe ohne Rast,
Wir lauschen schlaflos in das starre Hallen,
Ein schwarzes Schweigen wächst im schwarzen Glast.
Uns alle wirbelt Zwang durch die Gezeiten,
Uns alle eint der Kreaturen Qual,
O Fluch der Grenzen! Menschen hassen ohne Wahl!
Du Bruder Tod wirst uns vereint geleiten.
Spaziergang der Sträflinge
Sie schleppen Zellen mit in stumpfen Blicken
Und stolpern wie geblendet im Quadrat,
Gehetzte, die im Steinverlies ersticken.
Gehetzte, die ein Paragraph zertrat.
Im Eck die Wärter träge lauern,
Von Sträuchern rinnt ein trübes Licht,
Das kriecht empor an starren Mauern,
Betastet schlaffe Körper und zerbricht.
Der Himmel öffnet sich wie rote Wunde,
Die brennt und brennt und brennt.