Ernst Blass
die verstreuten in Zeitungen
Zeitschriften und Anthologien
erschienenen Gedichte
geordnet nach der von Thomas B. Schumann beim Carl Hanser Verlag herausgegebenen Anordnung. (siehe "Ernst Blass - Funde")
Die bis 1921 entstandenen Gedichte,
die nicht in Gedichtbänden aufgenommen wurden
Meck, meck, meck
(Herrn Fritz Engel, dem Entdecker und Protektor, ehrfurchtsvoll zugeeignet.)
I.
In dem Kreise Neustettin
Viel verborgne Schneider bliehn.
Nähend manche Lodenhose
Blühn wie Veilchen sie im Moose.
Unter ihnen laut man pries
Einen, welcher Wittstock hieß.
Dieser schrieb so manch Gedicht.
(Das Wort »Metrik« kannt er nicht.)
... Oder wenn ein Knopf der Hose
Abgerissen oder lose ...,
All dies machte Herr Wittstock.
Denn dies war sein Lebenszweck.
II.
Bis ihn endlich an das Gängel-
Band nahm Redakteur F. Engel.
(Welcher, wenn er protegiert,
Nicht ganz unbedenklich wierd.)
Aus dem Neustettiner Vorort
Riß er ihn (und schrieb ein Vorwort).
Und so kam Herr Wittstock her,
Ohne Nadel, ohne Scher.
Und so sangst du in Berlin,
Schwan du von »bei Neustettin«!
Herzhaft, immer frisch vom Stengel.
(Und entdeckt hat dich Herr Engel).
Glück gibts nirgends, - leider, leider.
(Ungefähr so singt der Schneider.)
Und Herr Engel, Pace-Macker
Meint: »Wie heißt? Acker ist Acker.«
III.
Glück gibts nirgends, - leider, leider!
Ach, am Zeitgeist sind die Schneider
Mitarbeiter - immer schon.
Und es blüht die Konfektion.
1911
erschienen in: „Die Aktion“ Nr: 1 1911
Nehmen Se jrotesk - det hebt Ihnen
Ein alter Mensch trinkt eine »Weiße mit«.
Die Sonne glotzet laut und unablässig.
Vier Leute kommen heim von einem Ritt.
Ein Kritiker wird plötzlich sehr gehässig.
Betthasen schwirren schweinisch, aber nett,
Ein Oberlehrer kauft sich einen Kragen,
Er hat den alten nun genung getragen.
Ein flacher Neger starrt in die »B. Z.«.
Der Himmel hängt wie eine Dyspepsie
Herab auf Wilmersdorf, die Dichterstadt.
Ein Puter putert sich verzerrt und matt.
Und eine Henne ruft: Kikeriki.
1912
erschienen in: „Die Aktion“ Nr: 2 1912
A. R. Meyer-Abend
I.
Lautensack am Meyer-Abend
Wirkte einfach, frisch und labend.
Gegen schlimme Pfarrhaussitten
Hat er klar und fest gestritten.
Daß sein Geist nicht aufgeweckt,
Ward ersetzt durch Dialekt.
In dem Pfarrhausstück (bei Meyer)
Wirkte frisch der Hinterbayer.
In der Vollkraft seines Seins
Trat er auf - und las sich eins.
Blieb der Beifall auch sehr schwach,
Lebhaft klatschte der Verlach.
II.
Dies war Lautensack. Hiernach
Alfred Richard Meyer sprach.
Die mäandrische Verkrümmung
Freier Verse wirkte Stimmung.
Seine »Semilasso« - Dichtung
Paßt nicht sehr in meine Richtung.
Eine klein Bohemegeschicht
Folgte und gefiel mir nicht.
Denn Erotik, A. R. Meyer,
Ist nicht Dichtung, - A. R. Meyer!
Und bei dieser Dichtkunst Mängeln
Wuchs der Wunsch, sich rauszuschlängeln.
III.
Mich mäandrisch rauszuschlängeln
War mein Wunsch, bei allen Engeln.
Aber wer sich still bezwang,
Das war ich auf meiner Bank.
O, ich möchte von Paul Zech'en,
Den ich schätze, hier nicht sprechen.
Nur Frau Rest Langer sei
Schnell erwähnt noch, eins zwei drei:
Las mit vielem schönem Fleiße
Schur und Ruest und Herrmann (-Neisse) ..
Einen ganzen Dichterreigen ..
(Lichtenstein nicht zu verschweigen.)
1912
Erschienen in: „Die Aktion“ Nr: 2 1912
Karneval
Weltleute, die sonst dichten, tanzen jetzt
Und glauben, mir dadurch zu imponieren.
Ich kroch schon unentwegt auf allen Vieren
Und bin hier trotzdem, scheint mir, nicht geschätzt.
Kommis und Abenteurer bringen's weit.
In jedem Nacken sitzt ein loser Schalk,
Behend und sieghaft, und er tuschelt breit ...
Und die ich liebe, ist ein dummes Balg.
1913
erschienen in: „Simplicissimus“ 17 – 03. 02. 1913
Pause
Ich habe so lange hier allein gesessen.
Schön ist es, an das Fenster zu treten,
Zu sehn den vom Winter durchwohnten, späten
Nachmittag; der ist klirrend weit und vergessen.
Und nicht länger sucht' ich den Dingen Namen -
Alles Verhüllte war geisterhaft klar---
Und durch die geöffneten Fenster kamen
Luftzüge kalt und wunderbar.
1913
erschienen in: „Die Aktion“ Nr: 3 - 1913
Große Stadt
Die bunten Lichter sind schon angesteckt.
War dieser Tag denn grau und voll von Qualen?
Es stehen Mädchen an den Hausportalen.
Vom Hute ist ihr Angesicht bedeckt.
Und ein des Tages grausames Gebäude
Schwimmt auf mich zu als sei's ein großer Schwan.
In süßem Sonnenaufgang regt sich Freude.
Durch Schleier ziehn Gefährte ihre Bahn.
Im dunklen Samt des hohen Himmels schimmern
Die Abendsterne, die man nicht erlangt.
Durch Schmutz der Straße und durch farbig Flimmern
Nahn Wunderdirnen, schneeig und erkrankt.
Seht Menschen, die sich sachlich schwarz bewegen!
Die Läden glühn in fleiß'ger Frömmigkeit.
Die Stadt ist mir oft wertvoll grad deswegen,
Weil sie im Grund unfestlich, ungeweiht.
Wenn Influenza um die Ecken braut,
Werfen Etagen sich im Nebelfieber.
Dann wieder hochpoetisch hingebaut
Stehn Häuser, und Vergangnes klingt herüber.
Wo aber einst dein Mund sich meinem beute
Von Herzlichkeit dann sprechend unentwegt -
Die ganze Gegend dieser Stadt ist heute
Für mich sehr heftig pathogen belegt.
1913
erschienen in: „Die Aktion“ Nr: 3 - 1913
Bordell
Der Fünfzehnmarksekt ist nicht zu genießen.
Der Raum sprießt bunt und wie ein Korbgeflecht
Mit Spiegeln, die Blitze von Licht verschießen.
Die Mädchen sind zwar lebhaft, aber schlecht.
Wie Hirsche stark, lautlos und voll Geschrei -
Sie tragen Netze, welche maschig fließen
Um Glieder, die sie uns gern überließen:
Nur eine reizt; auch sie nicht einwandsfrei.
Schlimm stehts, wenn Fraun stören statt zu betören.
O großer Hund, der an dem Eingang schlief!
O bunter Raum, der mitternächtig rief!
Uns ist, als ob wir einem Schiff gehören -
Das wippend uns führe, mit Licht am Bug hinaussteuernd
durch die Nacht unverwandt,
Ganz schräg über das wolkigblaue, noch dunkel liegende Süd-
deutschland.
1914
erschienen in: „Die Aktion“ 4 - 1914
Christus
Christus wird kommen als mein Freund und Retter,
Wenn Tag und Nacht sich mir im Kopf verwirrn,
Hell er erscheinen, wenn das dunkle Wetter
Durchs Fenster mächtig zieht in mein Gehirn.
Ich sehe immer auf die langen bleichen
Vorhänge und die Wände im Gemach:
Ein Luftzug kann durch die Gardinen streichen,
Und alle Dinge würden minder flach.
Die Lampe, die auf meinem Tische steht,
Kann ihre Hände falten zum Gebet
Und Bitten sagen, fromm und schlicht.
Sie wird ein Kind sein unter deinen Augen,
Sie wird sich hell von deinem Glänze saugen
Und sprechen, o ich höre wie sie spricht.
1914
erschienen in: „Die Argonauten“ 1 Seite 10 -1914
Vorfrühling
Es sind schon wieder Mädchen in dem Park.
Hellblauer Himmel streicht gleich einer Hand
Über dein Angesicht. Die Luft hat Mark.
Nachmittag ist im schon beschenkten Land.
Die Vögel machen flatternden Radau.
Der Ärger, vormittags, war er so arg?
Du fühlst die Luft nahrhaft und schwingend stark
Zuweilen nur ist sie ein bißchen rauh.
Was man nicht könnt' den ganzen Winter lang:
Im Freien sitzen, viel, auf einer Bank,
Das kann man wieder, o der Luft sei Dank.
Man kann die ganze Stadt hier übersehn.
Links ist der Sonne Abenduntergehn,
Rechts kühne Wolken, die nach Westen wehn.
1914
erschienen in: „Die Argonauten“ 1 Seite 93 -1914
Wag ich es, Freundin, dir davon zu sagen,
Daß noch ein weitentfernter Rasen grüne?
Ich habe doch erlernet, zu entsagen
Der letzten Hoffnung einer kleinen Sühne ..
Die Bäume, die dereinst im Leben waren,
Erheben ein verzaubertes Geäst.
Und was verblieb in ehemaligen Jahren,
Ist heute fort bis auf den letzten Rest.
Verlor ich mich in langverwunschnen Wegen?
Ein wenig Wasser rinnt von jenem Stein.
Nun tritt mir Ende überall entgegen.
Ich sprach - mit wem? wie lange? so allein.
1915
erschienen in: „Die Argonauten“ 2 Seite 147 - 1915
An Stefan Georges fünfzigstem Geburtstag
12. Juli 1918
Ein seliger Hauch und tiefe Glockenstimmen,
von seinen Tagen wundervoll gewährt,
durchdringen eines schweren Traumes Glimmen
mit Hoffnung, die befreit und neu ernährt.
In öder Wetter dunkelstem Ergrimmen
erstrahlt ein Glanz verklärend und verklärt,
in strenger oder hingegebener Weise
ein Leitstern auf der namenlosen Reise.
Der Dichter, der der Menschen Herz erschüttert,
erhebt es auch aus tiefverworrener Schlucht.
Die Kronen beugen sich, wenn es gewittert,
verjüngter stehn sie nach der Donner Flucht.
Das Herz wird ruhig, das genug gezittert
im reinen Sturme der gestrengen Wucht.
Es scheint der Sterne Wandel und Verbleib
zu gleichen der Gedichte hehrem Leib.
Der grüne Lorbeer ewiglich bekränzet
des Dichters Haupt. Schon wandelt die Gestalt,
von einer andern Sonne rein geglänzet,
auf schönen Pfaden ruhiger Allgewalt.
Sein Werk hat die bedürftige Welt ergänzet,
getreulich wuchs es auf, ein ganzer Wald;
in flüchtiger Tage Hast und heftigen Mühn:
ein Wald der Hoffnung und des ewigen Grün.
1918
erschienen in: „Das junge Deutschland“ 1 Seite 241 - 1918
Die nach 1921
entstandenen Gedichte
Aus »Mohammed«
Das Pulsen, das Jagen, das dringende Toben,
Das Blut ist dahin, der Sturm ist verstoben.
Das Wasser noch fällt, und es klingt wie im Traum,
Und leise bewegt sich der schlafende Baum.
Die Wolken ziehen, die keiner hält,
Die Luft ist stumm - nur das Wasser fällt.
Das Wasser fällt noch von Stein zu Stein,
Es mündet vielleicht in die Ewigkeit ein.
Es hüpfet noch leise, schon stockt sein Lauf,
Zu Ende die Reise, nun höret es auf.
Der steinerne Fall ist ein bärtiger Mann,
Sein Haar ist felsig, er sieht dich nicht an.
Die Nächte sind um, die Tage sind um.
Der Wind schnarrt dunkel sein Dumdideldum.
Der ziehenden Wolken vergessener Traum
Berührt den versunkenen Schläfer kaum.
Zu Stein wurden Arme, zu Stein das Geschlecht,
Zu Stein der Muskeln und Adern Geflecht.
Ihr süßen Götter, nun bin ich gefeit,
Nun jagen mich nicht mehr Dämonen der Zeit.
Ich harre mit meinem gewaltigen Gewicht,
Ich starre mit meinem gewaltigen Gesicht.
Ich habe den Tod und bin der Tod,
Ich fürchte nicht mehr Verwesung und Kot.
1924
erschienen in: „Saat und Ernte“ Seite 444
die deutsche Lyrik unserer Tage
herausgegeben von Albert Sergel
Deutsches Verlagshaus Bong Co – Berlin und Leipzig
1924
Nacht
Verworrenes Cafe, farbig Gewitter!
Musik und Dirnen, und die Pauke tollt!
Die Whisky's! Diese Angostura bitter,
Die man schon trinkt, bevor man sie gewollt -
Und deine Augen, bläulich, süß und bebend
In deines schmalen Körpers Eleganz,
Nun starr und fremd und nun schon wieder lebend
Zu deines Lächelns halbverwehtem Tanz!
In dieser sehnsuchtsvoll verlorenen Nacht
Gibt auf die Ordnung des Betriebes acht
Im Hintergrund, seriös, Direktor Keller.
O Thymian, dein welkend buntes Blut
Bewegt mein Herz, schon stürzt es banger, schneller,
Und lieben werde ich dich, coûte que coûte!
1924
erschienen in: „Das Tagebuch“ 5 Seite 1270 - 1924
Scotch Terrier
Wie schön, o Scotch, mit deinem Palmenzweige
Begegnest du mir auf dem Bürgersteige!
Der Nachmittag ist da, die sechste Stunde.
Ich kann den Blick nicht lassen von dem Hunde.
Ich hör der Straße klingendes Gewirr
Und vom Cafe ein Klappern von Geschirr,
In meiner Nähe, schweigend, wundersam
Rollst du soeben über einen Damm.
In dich gekehrt und ruhig Schritt für Schritt -
Es nimmt dein Herr dich an der Leine mit.
So ziehst du hin, einsilbig deine Bahn,
Zottelig und klein und dennoch wie ein Schwan.
Ich bleib zurück, verlier dich im Gewässer
Der großen Straßen wieder - lebe wohl!
Und dem nicht nachzufragen ist wohl besser,
Was du als Hund mir warst, was als Symbol.
1924
erschienen in „Das Dreieck“ 1 Seite 91 - 1924
Zum 50. Geburtstag Rainer Maria Rilkes
Zwei französische Gedichte Rilkes in deutscher Nachdichtung von Ernst Blass
Chemins
I
Chemins qui ne mènent nulle part
entre deux prés,
que l'on dirait avec art
de leur but detournés,
chemins qui souvent n'ont
devant eux rien d'autre en face
que le pur espace
et la saison.
III
Reste tranquille, si soudain
l'Ange à ta table se décide;
efface doucement les quelques rides
que fait la nappe sous ton pain.
Tu offriras ta rude nourriture,
pour qu'il en goùte à son tour,
et qu'il soulève à sa lèvre pure
un simple verre de tous les jours.
Wege
I
Wege zwischen zwei Wiesen,
Wege, die nirgends landen,
Darf man sagen von diesen,
Daß ihr Ziel kam abhanden?
Liegt doch häufig alleine
Vor ihnen nah und weit
Nichts als der Raum, der reine,
Und noch die Zeit.
III
Wenn plötzlich sich an deinem Tisch erklärt
Der Engel -, bleibe still und ohne Not;
Glätte die Falten unter deinem Brot
Und mache so das Tischtuch unversehrt.
Biet' ihm von deiner ungeschlachten Speise,
Daß er sie kosten mag in seiner Weise,
Und daß die reine Lippe mag berühren
Den Alltagstrank, den wir zum Munde führen.
1925
erschienen in: „Die literarische Welt“ 1 Nr: 9 Seite 1 - 1925
Pause
Wir nahmen diese farbigen Getränke
Des Nachts in einer tanzerfüllten Bar -
Geschliffene Gläser, Kniee, Handgelenke,
Es ist kein Zweifel, daß das wirklich war.
Wir hörten ja auch all die Gassenhauer,
Erhitzte Rufe, sahen helle Mienen,
Und alles dies ist uns nicht fremd erschienen,
Wir saßen still, und nichts lag auf der Lauer.
Merkwürdig war sie dennoch, diese Pause,
Da nichts geschehen ist und nichts gediehn.
Fast ohne Möglichkeit, mir zu entfliehn,
Bin ich nun wieder, wie man sagt, »zu Hause«.
Wo sind wir, als wir tranken, nur geblieben?
Ich möcht es wissen, doch ich weiß nicht was.
An meinem Schreibtisch sitze ich vertrieben
Und dichte wieder Fragen als Ernst Blass.
1925
erschienen in „der Querschnitt“ 5 Seite 779 - 1925
Fort von Berlin!
Ich bin gegangen durch viele Straßen
In dem mir scheinbar bekannten Berlin.
Ich sprach mit Menschen, die neben mir saßen,
Sie grüßten mich und ließen mich ziehn.
Nun liege ich einsam in den Kissen
Und fühle nur, daß alles war.
Und dennoch ist es mir ganz entrissen
Und auch im Grunde garnicht klar.
Auf meinem Nachttisch tickt die Uhr,
In meiner Nähe ist ein Schrank.
Und ich, dem alles widerfuhr,
Bin nicht gesund und bin nicht krank.
Ich seh noch eines Mädchens Glieder,
Ich höre Plaudern überall;
Dazwischen meiner eigenen Lieder
Einsilbig alten Regenfall.
Dort vor dem Fenster ist die Straße,
Das nächtlich windige Berlin.
Die ihr mich meßt mit falschem Maße,
Laßt mich, ich bitt' euch, wieder ziehn!
1925
erschienen in „Das Tagebuch“ 6 Seite 1570 - 1925
Lied
Laßt, bevor zu Bett ich gehe,
Mich ein kleines Liedchen singen,
Laßt es freundlich mich vollbringen,
Daß es ganz im reinen stehe.
Morgens hat es mich begleitet,
Mit mir durch die Straßen gings,
Mittags lag es ausgebreitet
Oben, unten, rechts und links.
Abend kam, die bunten Lichter
Hielten lachend es umfaßt,
Und die menschlichen Gesichter
Schienen froh und ohne Hast.
Munter habe ich genommen
Ein erfrischendes Getränk,
Und es ist mir vorgekommen,
Wie ein heimliches Geschenk.
Und nun sitze ich zu Hause.
Also ist es nicht vergebens,
Teilzunehmen ohne Pause
An dem heiligen Fest des Lebens!
1927
erschienen in „Die literarische Welt“ 3 Nr:35 Seite 3 - 1927
Bahnhof
Das ist der Bahnhof mitten in der Stadt:
Schon auf dem Schulweg sahen wir die Uhr,
Bräunlichen Stein, gebäudige Statur
Und dieses übermächtige Ziffernblatt.
Von diesem Bahnhof ging dann vieles aus.
Auf diesem Bahnhof kamen wir nach Haus.
Der Wartesaal!! Beim Klang der Kaffeetassen
Verließen wir und wurden wir verlassen.
Ja, damals hab' ich H. zum Zug gebracht
Und manchen Tod der Trennung durchgemacht.
Doch war's nicht von verklärtem Licht ein Wink,
Als mich hier J. im vorigen Jahr empfing?
Die meisten gehn entschlossen und gereift,
Nur Kinder warten: wenn der Zug erst pfeift!
Hier raucht es. Das Gepäck wird aufgegeben.
Und quere Züge fahren durch das Leben.
1929
erschienen in „Berliner Tageblatt“ 05. 07. 1929
Hinweis
Seit bald achtunddreißig Jahren
pfleg' ich nachts im Bett zu liegen.
Unter Dunkel und Gefahren
laß ich wiegen mich und fliegen.
Über Dächer hin und Straßen,
wo die Autos rufend rennen.
Sei es, daß sie mich vergaßen,
sei es, daß sie mich nicht kennen.
In der Fremde, im Hotel
und in fremden Pensionen
pfleg' ich nachts im Bett zu wohnen,
eben nicht originell.
Bleibt dies Hin-zum-Fenster-Blicken,
bleibt dies leise Uhrenticken
mit Gewohnheiten auch verwebt,
habe ich es doch erlebt.
1930
erschienen in „Die literarisch Welt“ 6 Nr: 27 Seite 3 - 1930
STROPHEN AUS EINEM ROMAN
Liebesbrief
Als im Gedränge zweifelvoller Stunden
ich damals deine lieben Augen fand,
vergaß ich meiner Bitterkeiten Wunden,
und einfach hab ich mich dir zugewandt.
Ich machte Scherze, doch es war kaum Scherz,
eh' wir es wußten, waren wir bekannt,
ich streichelte dein Haar mit meiner Hand,
in Freundschaft lehnte sich schon Herz an Herz.
Und Liebe kam mit ihrem feinen Fluge,
die manchmal schmerzte, fester dann verband,
dann wieder trennte, aber niemals schwand,
wir folgten ruhig unserer Seelen Zuge.
Unfaßlich sind nun Stunde, Tag und Zeit,
weil Liebe dauert alle Ewigkeit.
Gefährtin der Liebe
Mein liebes Weib! Wie tief du mich ergreifst!
Das Wunder du der Wunder, o Musik,
die du mich dunkel und unsterblich streifst
und alles weißt, auch das was immer schwieg,
was ungeklärt am Tage war und blieb
und was die Nacht, ein seltner Braus, durchfährt:
mir ist, als ob's in deinem Sein sich schrieb,
in deinem Kommen gütig sich erklärt.
Nun klingt es dunkel und wie langverjährt
und doch wie Heil, das einmal wiederkehrt,
Verheißung, daß es dann auf ewig bliebe,
gefunden und geführt durch ewige Liebe.
Gefährtin des Leides
Als man mich preisgab schweren Übermächten,
warst du die letzte Wärme, du mein Halt,
so habe ich in qualenvollen Nächten,
nichts als nur deinen Namen noch gelallt.
Die Leiden, die mich fraßen und mich schwächten:
das Bett, das Fensterkreuz, die Ungestalt
der Ängste und der Träume und der schlechten
Einschließung hinter Bergen hoch und kalt.
Und was ich sonst an Fremdem noch ertrug,
und was an Übeln sonst noch zu mir fand,
Entstellung und Erniedrigung und Wahn -
Ich träumte doch vom heimgekehrten Zug:
daß du entgegenkämest an der Bahn
mit freudigem Schritt, Maiglöckchen in der Hand.
1930
erschienen in „Die literarisch Welt“ 6 Nr: 35 Seite 3 - 1930
An Baby!
I.
Pharao sah einst im Traum, wie sieben magere Kühe
Sieben fette verschlangen, selbst aber blieben sie dürr;
Pharao, glücklicher Mann! Was ich an mageren Kühen
In meinem Leben geseh'n, zählen kann ich es nicht.
Hab' sie im Wachen geseh'n, mechanisch zehrende Horden,
Leben, Natur, Poesie fraßen die Scheusale kahl.
Ja, sie verfolgen mich selbst bis in die Träume am Morgen
Mit ihrem schleppenden Fuß und ihrem schluckenden Maul.
II.
Dies sind Jahrzehnte der Dürre! So komme, lieblichste' Baby,
Wieder zu mir in die Bar, wo ich als Dichter begann,
Wo deine Haare noch glühen, und wo noch rötlich der Flip ist,
Wo der Mixer den Trank rüttelt und schüttelt wie einst.
Lasse den Fremden das Amt der Vermehrung von Unsinn und Unglück;
Wir müssen's tragen, jedoch machen können wir nichts,
Als vergessen, Geliebte, das alles verwüstende Rindvieh,
Das das Leben und uns langsam schlingt in den Schlund.
III.
Gott läßt nur Eisen noch wachsen? Mir hier einen Whisky mit Soda,
Weil noch die Tasche nicht leer, weil noch der Arzt, es erlaubt...
Immer noch währt etwas Freude. Es währt noch ein bißchen vom Leben,
Und ich sitze mit dir artig und lachend am Tisch.
Draußen verrollet die Zeit. Wir heben die bunten Getränke
Ewig an unseren Mund, und sie schmecken uns noch.
Freundlich trägst du das Kleid, das schwarze, matte Georgettekleid,
Dein Aug' grüßet mein Aug' und deine Hand meine Hand.
IV.
Manchmal naht sich der Kellner, und manchmal erscheint so ein Fräulein,
Das Schokolade, Konfekt und Zigaretten verkauft,
Manchmal tanzen die Menschen, und manchmal ist eine Pause,
Doch ich fühle das kaum, denn ich fühle nur dich:
Wie dein süßes Gesicht der göttliche Schöpfer gebildet,
Wie du durchdacht und naiv bist für den Abend geschminkt,
Wie deine Blicke sich geben, verloren und leise verführend,
Braun und in Trauer kokett, heimlich, gewagt und gelind.
V.
Baby, mit sanftesten Feuern wirst du mich wieder entzünden?
Und paradiesischen Traum findet dein launischer Freund,
Wenn wir die bunte Spelunke, die schwimmende Höhle verlassen,
Und ein Berliner Chauffeur fährt uns als Amor nach Haus?
Baby, nun lachst du so weiblich und übermütig verstohlen,
Von meinem ganzen Gesang glaubst du natürlich kein Wort.
Doch beteuern? Ich kann's, ich kann es beinah beschwören:
Ach, deine Süße, sie ist noch mein gewissestes Glück.
VI.
Ja, ich gebe es zu, es waren die holdesten Stunden,
Die ich in Leichtsinn und Flirt hinbringen konnte bei dir,
Die ich mir nahe bei dir in lockerster Laune gestohlen -
(Manchmal herrschte ja auch wohl noch ein schärferer Ton).
Von deinem Reize gefesselt, entfesselt war dann der Besorgte,
Und mit dem feurigen Drang wuchs das poetische Herz -
Freundin, die Gläser der Bar bewahren geschliffen und farbig
Glitzernde Spiele des Nichts, Göttersekunden des Lichts!
1930
erschienen in „Berliner Tageblatt“ 07. 09. 1930
Kranker Schlaf
Es fallen mir grüne Bäume ein
an einer staubigen Chaussee.
Langweilige Landschaft. Ich ziehe allein.
Ich ziehe und stecke im Weh.
Im Weh des Himmels, im Weh des Lands.
Ohne Ausdruck und Widerhall.
Verschwunden das Licht, verschwunden der Tanz
und der vertraute Krawall.
Geboren wurde ich einst in Berlin,
Berlin lag von je an der Spree.
Nun muß ich mich immer weiter müh'n
auf einer heißen Chaussee.
Und wieder ist man unendlich klein,
und wäre man nicht geboren,
so würde man nicht so traurig sein,
nicht so lebendig verloren.
Es kommt entgegen ein fremder Mann,
gleichgültig bis an das Grab.
Und wer hier irgendein Lied begann,
der bräche es gern wieder ab.
1931
erschienen in „Die literarische Welt“ 7 Nr. 39 Seite 3 - 1931
Der Schlager
Über eine Stadt ergießen
sich zuweilen Regenschauer.
Von den zwei, die sich verließen,
klagt manch trüber Gassenhauer.
Menschen trinken in der Schenke,
ruhelos und dumpf sich sehnend,
ewig leuchtende Getränke,
ewig aneinander lehnend.
1931
erschienen in „Die literarische Welt“ 7 Nr. 39 Seite 3 - 1931
Der Hund
Ich denke an eine Straße zurück,
Die war verzaubert und bunt,
An reizvolle Mädchen, zufälliges Glück,
an diesen und jenen Hund.
Besonders an einen, der zottelig und grau,
Dessen Rasse man Skyeterrier nennt,
Er war in der Großstadt gegründetem Bau
Ein seltsames Element.
Er führte wie in ein Märchen hinein
Und war wie ein springender Quell.
Sein Augenaufschlag war warm und rein,
Und tief sein dunkles Gebell.
Der Tag schwand dahin, und der Abend kam,
Der Hund ging still wie ein Lamm
Im toller werdenden Zauberkram
Des funkelnden Kurfürstendamm.
1931
erschienen in „Die literarische Welt“ 7 Nr. 39 Seite 3 - 1931
Trübsinn 1931
Die Drehtür geht, und einer naht.
Die Tische steh'n, die meisten leer,
Die leeren Stühle um sie her -
Wer weiß, auf welchem Breitengrad?
Die Wendeltreppe geht hinauf.
Es brennt das Licht. Es wird gelacht.
Der Zeiger steht, gehemmt im Lauf,
Doch ist es ganz bestimmt nach acht.
Am Eingang ist noch der Portier,
Der Zeitungskellner und der Boy.
Es ist nicht schön in dem Cafe,
Doch anders nicht im nahen Bräu.
Ob wohl die Dame noch wird kommen?
Ich glaub' es nicht, doch möglich wär's,
Inmitten des verschwommenen Meers
Wartet die Seele wie benommen.
Die Dame Tod - die Dame Leben.
Ich sitze noch allein am Tisch,
Der Kaffee, den ich trank soeben,
Ist problematisches Gemisch.
Es ist jetzt Zeit, nach Haus zu geh'n,
Das heißt in eines Zimmers Fremde,
Und angetan mit einem Hemde
Dem Dunkel ins Gesicht zu seh'n.
Du siehst die Sense Felder mäh'n,
Im Himmel oben krächzen Kräh'n,
Sandmänner werden um dich steh'n,
Und mächtige Schlummer dich verweh'n.
1931
erschienen in „Berliner Tageblatt“ 29. 11. 1931
Nachts
Auf des Daseins geschwungener Brücke,
Gehen wir Tag für Tag unseren Gang.
Auf des Daseins geschwungener Brücke,
Sind wir begleitet von langsamem Sang.
Wolken sind oben und Wellen sind unten.
Sterne brennen in endloser Zahl.
Sommer erscheinen mit ihren bunten
Dörfern und Wiesen. Die Winter sind fahl.
Menschen kommen und haben Gesichter,
Und sie reden laut und belebt.
Manche sind Freunde und manche sind Richter.
Und in der Erde ist einer und gräbt.
Auf des Daseins geschwungener Brücke,
Höre ich dann und wann so ein Lied,
Kann nicht recht vorwärts und kann nicht zurücke,
Doch ich fühle, daß alles geschieht.
Zeitungsausriss nicht datiert und nicht zuzuordnen
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