Der Torso 1918 - Iwan Goll

Iwan Goll

Der Torso
Stanzen und Dithyramben

Roland Verlag
München
1918


Inhalt

Stanzen

Vorwort zu den Stanzen (fehlt in der Originalausgabe)

Schöpfung I – III

Frühling I – IV

Sonne I – III

Mond I – V

Wald I – III

 

Dithyramben

Der Torso I – V

Noemi I – VI

 

Der Panama-Kanal

Die Arbeit I – IV

Die Weihe

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Claire Studer zu eigen

 

S T A N Z E N


Schöpfung

I

Irgendwo zerbrach die Himmelsschale,
Und die Sonne, wie verwundet,
Flatterte, Gold und Lava blutend,
Um die aufgerissene Erde.

Rosa Meere
Leuchteten im Frühling ihrer Wellen,
Rauschende Palmen stiegen,
An den Korallen reiften
Die Sternenfrüchte.

Irgendwo erbebte ein Gebirg
Bis in seine starren Gletscher,
Und der erste Tropfen, der sich löste,
Eine Träne zu Tal,
War das erste Lächeln Gottes.

II

Sprühender Dreizack,
Brach das Wort aus stummem Ozean;
Dunkel schillerte der Grund der Erde.

Und die blauen Hämmer des Geistes
Und die Flöten der Engel
Schollen um den entzündeten Himmel.

An des Dunkels eroberten Ufern
Stand der Mensch, einen Pfeil in der Stirn,
Den roten Mund
Offen groß wie einen Triumphbogen:
Hier und da, wenn es ihm einfiel,
Befahl er der kreisenden Sonne zu stehen.

III

Zur Hügelhochzeit
Stürzten Fliederfontänen zu Tal,
Bäume waren voll Weltumarmung,
Und dem Frühling schlugen die Schläfen.

Da, aus dunkler Erdenhütte
Brach ein goldener Orgelsturm:
Zwischen Himmel und Erde gestemmt,
Säule des irdischen Gesanges,
Stand der Mensch.

Aus dem steinernen Leid,
Tief im rauschenden Schoß der Liebe,
War der Herrliche auferstanden!


Frühling


I

Von blauen Lerchen zuckt die Morgenlippe.
Narzissen trägt wie himmlische Medaillen
Der auferstandne Hügel um die Brust.

Doch ich verblieb in meinem tiefen Kniefall,
Mein schwarzer Busch
Umhängte sich mit goldnen Faltern nicht.

Im Schmerz der Schlucht verraucht
Das Blut der Liebe und der Erde:
Kein Frühling kann den Menschen je
Aus seines Zweifels Qualen ganz entwölken.

II

Noch keine Nacht war so verstürzt in Frevel
Und keine Vorstadt winterlich so arm:
Der Frühling und der Morgen kamen auch!

Die magren Dämme blühten Löwenzahn,
Daß sie von tausend Sternen herrlich schienen,
Die blassen Menschen schmückten sich damit.

Von goldnem Glücke schien die Welt umwundert,
In leisem Lächeln jeder wohl befreit:
Und doch, sie schleppten hinter sich den Schatten,
Aus ihren Blicken wich das Sterben nicht!

III

O Iris, blaue Muschel und Perlmutter,
Wie morgenhell, wie himmlisch aufgezündet
Entrollte sich der tiefe Gott und schwebte!

Der tiefe Gott, aus Erde ausgebrochen,
Mit spitzen Speeren sich zu Tage kämpfte
Und nun in lila Himmel hingeduftet.

Der tiefe Gott,
Der auch aus meinen Augen blühen wollte,
Derselbe Gott, der sich aus mir ergoß,
Er blieb verschlossen und in Nacht verwünscht!

IV

O Frühling, der sein Glück nicht halten konnte
Den Rosen stürzten ihre Herzen aus,
Der Mohn verrauchte wie ergoßnes Blut.

O Frühling, der aus heiliger Geburt
Sich triumphierend in den Mittag bäumte:
Erhebung und Ergebung war der Abend.

Ergebung war's und hoffnungsvolle Demut:
Und da erstand der Mensch aus seiner Trauer
Und öffnete sein unbefreites Herz
Und wußte doch, daß er nicht einsam starb!


Sonne


I

Je goldener du aus den Nächten steigst
Und über unsrer blinden Wimpern Schlaf
Wie eine immer neue Blume blühst,

Je feuriger du deine Räder schwingst,
O Karussell am pfingstengoldnen Himmel,
Je schäumender du aus den Wiesen schwillst:

Je schwärzer dunkelt es in unsern Augen.
Du schlägst zu weiten Mantel über uns,
Und beugst mit deinem Licht uns tief zur Erde,
Wo Zweifel dunkel unser Herz umwächst.

II

Dir schwoll ein Acker zu verschlungnem Urwald,
In den du schnaubend wie das Einhorn brachst:
Der Schierling zischte um dein Maul wie Schaum.

Du fuhrst hernieder wie ein Wasserfall,
Und um dein rauschendes Getos
Rankte sich Schmetterlinge bunter Wind -

Unendlichkeit, Unendlichkeit
Auf diesem engen Flecken Acker-Erde,
In dem mein Körper schwer und dunkel lag,
Wie toter Stein in heißem Lebenstrubel.

III

Es schollen deine Pauken wild und schwer,
Männlicher Baß im irdischen Konzert:
Es war dein Mittag wie ein roter Stierkampf.

Da saugtest du mein Blut zu dichter Wolke,
Daß es in deinen Tod hindonnerte,
Und deinen Blitz in dunkle Nacht fortpflanzte.

Und nun die Berge eingeäschert sind,
Die Städte alle blind zur Erde stürzten,
Nun steh ich tief in meines Wesens Nacht
Und bin den Tod der ganzen Welt gestorben.


Mond

I

Wie unerbittlich aber schwelltest du
Kleiner Modistinnen einsames Herz
Und polternder Klaviere Himmelssehnsucht.

Wie unerbittlich streutest du dein Leuchten
In dunkelnde und fröstelnde Alkoven
Und hinters Gitter der Gefangenen.

Aus der entbrannten Hölle ihres Herzens
Schrieen die Menschen und verzweifelten
Und rissen sich die Brust im Irrsinn auf
Und starben dran, daß du so schön gewesen.

II

Und als du plötzlich, wie ein wunder Vogel,
Vom Himmel flattertest und deine Flammen
In roten Federn niederfallen ließest:

Wie gräßlich fuhr dein Strahl über die Erde!
Die Tiere hatten Phosphor in den Augen,
Die Häuser brannten ab wie Scheiterhaufen.

Die Menschen, die um dunkle Plätze irrten,
Apachen und Kokotten und Gendarmen,
Sie glaubten wie Indianer an dein Sterben
Und feierten den Tod in dieser Nacht.

III

Wie sollten wir dich anders denn verstehn,
O roter Mund, der sündig sich verzerrte:
Wir Schmachtenden, auf stummer Erde hockend!

Kalt in Mansarden warfst du dein Gemecker,
Und über die verstummten Krankensäle
Ließest du goldne Lerchen zwitschern.

Wir alle standen an die Welt gekreuzigt
Und mußten dich mit unsern Augen schaun,
Und mußten an den Schmerz und an das Sterben glauben
Und mußten doch noch immer weiter hoffen!

IV

Und eines Nachts troff Blut auf unser Antlitz:
Dein Blut, zu unsres Krieges Blut gemischt,
Rann um die Erde wie ein runder Ring.

Verwundete, tiefknieend bei Kartätschen,
Aufschäumten ihre Lippen von dem Roten,
Und Sterbende ersoffen an dem Trank.

Es war kein Heil im Himmel noch auf Erden:
Wir mußten unsre Häupter tief vergraben,
Wir mußten unsre Lieben tief verschütten,
Und klagten, daß wir eher nicht gestorben.

V

Doch da, als Tänzer und geschminkte Maske,
Befreitest du die Gräber. Säulen barsten,
Der Marmor klirrte, Kränze lösten sich.

Aus deinem Schwelen gläsern stieg ein Christ,
Und blau bemalte, blecherne Marien
Erstrahlten mitten in Geranientöpfen.

O Tänzer, der die Toten all erlöste,
Indessen wir in Schutt und Schmerz und Schlaf
Hinschnarchten und ein Glück verschmähten:
Die Toten lebten und wir waren tot.


Wald


I

Durch Disteln war der Gang zu dir,
Verschlossen du im glühenden Kosmos
Wie ein Patriarch inmitten Gottes.

Prunkend schienst du staubigem Wanderer,
Verklärt und befriedigt,
Ein heiliger Knecht der Erde;
Und der Fremde fühlte sich fremder noch.

Goldene Leuchter troffen von süßem Abend,
Um die Leiter letzten Sonnenstrahls
Wirbelten geschäftig die rosa Engel,
Und die Nymphen, deine Töchter,
Hingen ihre silbernen Leiber um deine Lade.

II

Ein Veilchen fiel
Mir plötzlich wie ein blauer Stern zu Füßen:
Ich trug es in den goldnen Abend hin.

Wir beide mit unsern Augen
Leuchteten uns an und loderten gewaltig:
Wir beide hätten so gern geschrieen und geküßt!

Aber unsre Sprache war so schwach!
Und die Liebe so unsagbar traurig!
Wir welkten und wir starben auseinander.

III

In deinen tiefen Tieren aber,
Aus feuchten Augen wie aus gleichem Geiste dunkelnd,
Tratst du ebenbürtig mir entgegen, Wald!

O, dein Geschöpf zu sein,
Nichts als ein Ton der Erde,
Der Schmetterling ein bunter Tropfen Sonne,
Und schlanke Füchse
Mit starkem Blut aus nahen Büschen fühlen:
Hingabe sein und brüderlicher Friede!

O, tief in deinen Tieren wußte ich,
Wie heilig Erde war,
Und ich ergab mich dir
Und ging in deinen Düften auf.


D I T H Y R A M B E N

Der Torso


I

Von allen Händen, die zum Himmel schwuren, die im Mein-
eid den Bruder anklagten, die den Mord des Menschen
unternahmen,
   Von allen Händen diese Sohneshand, ein fünfzackiger
Stern, steigt aus dem verschütteten Steinfeld.
   Die Frühlinge, die grün Vorüberwehn, meinen, das Meer
sei vorübergerauscht und habe die Schädelmuscheln
und Händesterne ausgespien!
   Aber es war ein Ozean irrer Menschen: In schreienden
Wellen schlug er sich durch Europa, bis zum Kap von
Gibraltar, und zerrüttete die Welt. Diese Hand ist nun die
Blüte, unausrottbar. Wie der Löwenzahn tausendzackig auf
den ärmsten Angern selbst herumstreift,
   So tausendfingrig steht die abgeschnittene Menschen-
hand über den Gräberhügeln: Weißer Schrecken der Nächte.
   Wenn die Menschen nach den Sternen schauen, stolpern
sie inzwischen über die eigenen Gerippe.
   Überall, wo der Bauer den Pflug einsetzt, wo der Maurer
die Erde schaufelt, überall steigt die Hand kreidig ins Licht,
   Und er erschrickt und kniet und möchte sie küssen: aber
der Meineid des Bruders klagt lauter als sein Gebet.

II
 

Ach, nicht nur die Hand des Schwurs, der Arm der großen
wallenden Liebe ist abgehackt.
   Ich sehe ihn noch wie einen Hügel im Feuer der Schlacht auf-
flattern: dann fiel er wie ein toter Vogel.
   Ihr armen Brüder, ich werde euch nie mehr umarmen!
   Ihr habt mir die himmlische Geste unmöglich gemacht,
in der ich einst die tausend Freunde an den Herd meiner
Brust raffte.
   Meinem Bruderwink war die ganze Menschheit unter-
tan, denn was konnte auch der schlechteste Verbrecher
gegen das Lächeln meiner Liebe?
   Ihr armen Brüder, ich werde euch nie mehr umarmen.
Wieviel Schwärme der Sehnsucht auch gen Abend ziehn,
wieviel Schiffe golden vom Ozean uns besuchen, wir werden
sie nicht mehr erreichen.
   Wie sollen wir unser Mitleid kundtun, wie nun reuig uns
zerknirschen oder um Liebe betteln gehen?
   Uns fehlt der Arm des Gebets, die rührende Bitte. Wir
erkennen uns und dürfen uns doch nicht bekennen.
   Ihr armen Brüder, ich werde euch nie mehr umarmen.

III

Weh, der Mensch ist ein Rumpf geworden, ein gieriger,
gefräßiger Magen und Bauch.
   Der Stern der Hand, die Säule des Arms und die Kugel
des Hauptes fielen von seinen Schultern.
   Denn auch das Haupt ist abgeschlagen: das seidene Haar
trieft im Staub des Schlachtfelds.
   Die kleinen Könige schmeißen nach ihm wie in der
Jahrmarktsbude die Knaben nach gemalten Negerköpfen:
   Mit glotzendem Aug' stürzte das tote Haupt des Men-
schen in die Sägespäne.
   Weh, nur der Rumpf blieb leben! Ihn verbrämte man mit
der Schärpe des Siegs.
   Kein Stöhnen hilft: die Mörser stöhnen besser. Kein
Schreien, die Kanonen brüllen lauter.
   Der tote Rumpf muß leben in Ruhm und Sieg. Der tote
Rumpf darf nicht sterben.

IV

Europa, du schlitternder Torso!
   Auf dem Sockel der Massengräber stehst du, tief im
Jahrhundertschutt der Schlachten.
   Nichts als ein schwarzer Knäuel, ein rauher Krampf der
Erde gegen den Himmel.
   Du massige Anklage gegen den Menschen: Torso, du
unsterbliches Denkmal des Mords,
   Um dich tanzen die nächsten Sieger schon, du Götze
des eisernen Kriegs.
   Gelbes Meer wird kommen, dich umrauschen. Die
weißen Neger von Amerika werden dich umschleichen.
   All deine Freiheit wird als schöner Traum entflattern.
Deine Märtyrer werden ihre Tyrannen auf Knien küssen.
   Auf dem Newsky-Prospekt wird ewiges Begräbnis sein.
In Kaiserschlössern harter Tower eingerichtet.
   Europa, du bröckelnder Torso, du Rumpf der Welt!

V

Aber in tausend Jahren vielleicht, irgendein Dichter, der dich
aufsucht, irgendein neugeborener Mensch der Liebe,
   Wenn er mit seinem Finger die Lüge der Zeit wegkratzt:
unter der Uniform aus Stahl wird er das vergessene Herz
entdecken!
   Denn sieh, die Mörder vergaßen, das Herz zu töten.
   Wie ein verschütteter Brunnen wird es über die gestürz-
ten Gräber springen,
   Ein lebendes Zeichen, das purpurne Licht wird aus dem
Winter der Erde sprühen.
   Dein Herz, o Mensch, dein Glaube!
   Du glühender Torso, in dem die Seele Gottes wohnt, du
altes Kunstwerk der Welt, du Mensch! Was da bedarf es
noch der Hände und Arme! Was bedarf es der Worte und
Wünsche! Was Kanonen und Revolutionen!
   Dein Herz, dein einziges Herz wird reden.
   Der Mensch wird wieder selig sein, der Unsterbliche!


Noemi


I

Ich trage so schwer an der Schicksalserbschaft
Meiner Bibelmütter,
Meiner Prophetinnen,
Meiner Königinnen.

Es rauschen so mächtig aus dunklen Jahrhunderten
Die Gottesjahre,
Die Tempeljahre,
Die Ghettojahre.

Es singen so wirr in meiner geborstenen Seele
Die Jahrzeitenfeste,
Die Himmelsfeste,
Die Totenfeste.

Es schreien so tief in meinem tollen Blut
Die Patriarchen,
Die Helden,
Die Söhne!

Hör, Israel, Adonoi war dein Gott, Adonoi war einzig!

II

Ich bin die Tochter des Frühlingsvolks!
Andacht und Opfer vergeudend,
Riß ich die Erde in meinen Wirbel.
Mein Gebet war das menschliche Echo
Der Asphodelengesänge
Und Ölbaumsymphonien.
Mein Himmel war wolkig erbaut
Über den weiß erblühten Gebirgen,
Und die goldenen Sternenzeichen
Tief in dunklen Seen nachgebildet.
Jeder Mann trug stolz sein Zedernhaupt.
Jeder Jüngling eine wandelnde Akazie,
Israel so fromm wie ein Frühlingshügel!
Salben und Öle dufteten um seine Glieder,
Und in seinen großen Augen
Lächelte Gott.
Opfer war die Sprache der Patriarchen,
Und die Engel die Antwort des Himmels.
Jede Mädchenklage war ein Taubenpaar,
Jede Frauenbitte blondes Lämmchen,
Und des Kriegers unwirsch Kampfgelübde
Rauchte dumpf im Blut der Stiere auf.
Aber die Feste auf den Mandelhügeln,
Und die Tänze im süßen Weinberg,
Zimbeljubelnd kränzten sie das Jahr.

III

Ich bin die Tochter des Talmudvolks!
O Tempel, in dem die Kupferleuchter
Wie Bäume ihre Siebenzweige entfalteten,
Wo statt der Märchensterne
Ewige Ampeln die mystische Nacht
Beunruhigten.
In goldenen Bechern hielt man Gott gefangen.
Brokat und Purpur ziemte seinen Priestern.
In Porphyrarkaden versargt
Lag der sterbende Himmel.
Als Israel von seinen Hügeln gestiegen,
Zerschlug es sich an Felsenschluchten
Sein grauendes Lockenhaupt,
Zerrieb an Fliesen seine verflachten Knie.
Die Sonne hing verkohlt und schwarz in der Straße,
Ein Lämpchen nur bestrahlte das Tempelvolk.
O Israel, verwitterndes Gebirg,
Alternder Gletscher,
In Schrift und Zeichnung und Kabbala
Erörtertest du kalt
Den Prozeß des Himmels.
Aber versteint war deine Seele,
Vereist dein Herz!

IV

Ich bin die Tochter des Ghettovolks!
Der schnarrenden und schnorrenden Rabbis,
Der Waisenkinder und Totengräber.
In dumpfen Kellern, triefenden Gewölben,
In spanischen Türmen, rumänischen Höhlen
Hab ich geschmachtet.
Wo ist Elohim,
O ihr Kodoschim?
Oi, oi, oi,
Und wo ist Adonoi?
Am morschen Altar schüttelt ihr die Palmen,
Mit faulen Zähnen kräht ihr Klagepsalmen.
Mit Litaneien und Schreien
Wollt ihr Gott befreien,
In klebrigen Kaftanen
Imitiert ihr die Geste der Ahnen,
Beim blutigen Pogrom, in der Kerkerkette,
Im Mordviertel der Zyklopenstädte
Nennt ihr euch Erben
Und wollt nicht sterben!
O Volk der duftenden Schwestern und denkenden Brüder,
Auferstehe, mein Volk, und lasse die Lieder
Und lasse den Gott der Schriften und Klagen
Begraben!
Hör, Israel!

V

Höre!
Du hast einen Geist,
Du hast einen Geist, mit Blut und Gott gespeist,
Du hast einen Geist, in allen Feuern der Schöpfung rein
   geschweißt,
Du hast einen Geist, auf allen Meeren und Landstraßen
   weitgereist,
Du hast einen Geist, von allen Philosophien, Poesien,
   Geometrien, Industrien der Menschheit umkreist,
Du hast den einen, einzigen, ewigen Geist.

Hör Israel!

Dein Geist erleuchte die fünf Kontinente,
Dein Geist bemeistre die vier Elemente,
Dein Geist erobre die drei Reiche,
Dein Geist befreie die zwei Menschen,
Dein einer Geist!

Hör Israel!

Mit deinem Geiste wirst du alle Tode der Welt
verlebendigen:
Dein Geist ist die Pforte zum Eden,
Dein Geist ist die Hucht nach Nirwana,
Dein Geist ist die Barke gen Elysium!
Dein Geist! Deine Erkenntnis! Dein Alleswissen!

Hör Israel!

Dein Geist ist die glänzende Neugeburt,
Dein Geist ist der alte Gott,
Zum Sohne der Menschheit verjüngt.
Dein Geist ist das Leben!

Hör, Israel, dein Geist ist dein Gott, dein Geist ist einzig!

VI

Zu Neumond will ich auferstehen!
Die schwarzblauen Hechten salben mit dem Öl der Nuß,
Und den Geliebten empfangen mit sternklarem Kuß.

Zu Neumond will ich wandern gehen!
Und über den Himmel das Glück meiner Liebe verkünden,
Und auf der Erde den Sieg meiner Liebe gründen.

Zu Neumond will ich tanzen gehen.
Die Menschen aus ihrem Traume wecken,
Über den Städten das neue Licht anstecken.

Zu Neumond will ich auferstehen!
Den hohen Geist wie Phönix aus der Asche heben,
Dem alten Glauben den Namen Erkenntnis geben.


D E R  P A N A M A – K A N A L
Erste Fassung von 1912. Überarbeitet 1918.

Die Arbeit

I

Wo einst der Karaibe träumend sein Floß
Über die Seen trieb, wo bunte Papageien
In verwachsenem Urwald hingen, und mit Litaneien
Die Affen sich verfolgten; wo der Spanier groß,

Und waffenglänzend, stolz nach leichtem Sieg,
Die Erde küßte und sein eigen nannte:
Und jeden Gott, der aus den lohenden Feuern stieg,
Mit seinem Fuß zertrat, weil er den Christ schon kannte,

Da schwenkten kleine, schwarze Eisenbahnen
Des Rauches weiße Meldungsfahnen
Und fraßen Wunden in die kreidigen Felsen.
Die starren Urwaldpalmen wurden rings gefällt,
Es flügelten über die tote Welt
Die Kranenstorche mit ihren neugierigen Hälsen.

II

Wo aber Steinwust lag, mit grünem Moor geschminkt,
Da war von eklen Träumen die weiße Sonne umblinkt.
Wulstiges Moskitogewimmel
Schwälte über Graben und Trift,
Heiß war von ihrem Geschmeiß und Gesumm der
   Mittagshimmel,
Jeder Stich von Sonne tötete wie Gift.

Aus den Sümpfen stieg mit grünbraun unterwühlten
Augen eine Pest und überspie Tal und Plateau
Und hatte schwarze Zähne, und diese stanken so
Bei ihrem Biß, daß ihre Opfer schon wie Aas sich fühlten.

Aus den Brunnen und den Stromgewässern
Stieg über Schienen und Röhren die Plage der Ratten und
   Schleichen,
In den Wellen war es wie ein Spiel von Messern,
Und sie fraßen sich satt an den gedunsenen Pferdeleichen.

III

Doch die Erde bäumte sich vor all dem Frevel,
Ihr rindiger Leib, ihr dürstender, wand sich gequält
Wie eine Natter, wenn sie neu sich schält!
Aus den Schluchten schwärte gelber Schwefel.

Die Gebirge, von den Tunnels durchbohrt,
Fielen wie Gips von Gebälk; Lehmlawinen von Wolken
   umflort -

Und die Städte, die wie Moos im Felsen angeschossen:
Städte aus Ziegeln, aus Stroh oder spitzem Gezelt,
Um ein Badehaus, ein Spital, einen Tempel gestellt,
Plötzlich waren sie von Erde Überflossen.

Alle Werker hatten gleiches Eis geschlürft, alle hatten in
   gleichen Pfannen
Fische des Gatun gebraten, und sie tanzten sonntags
   zusammen; -
Aber die großen Totenstädte inmitten
Schieden sie bald wieder nach Völker- und Göttersitten.

IV

Da, von Zeit genagt, von Blut gehöhlt, von Gold und Qual
Geätzt, erstand durch See und Fels und Sandwust quer
Endlich der Kanal.
Bogenlampen leiteten ihn nachts von Meer zu Meer.

Tags aber war von Metall und Pumpen und Stöhnen ein
   Schall,
Wie eine Wolke von Dynamit sprengte den Himmel der Hall!

Je ein Ein- und Ausgang wuchsen die eisernen Schleusen,
Jeder Zoll von kleinlichem Hammer beschlagen,
Ungeheure Hügel, von kleinen Stahlgehäusen
Wie von Promethiden in die Tiefe getragen. -

Und wenn diese Tore sich öffnen werden,
Wenn zwei feindliche Ozeane mit Gejubel sich küssen -
O, dann müssen
Alle Völker weinen auf Erden.


Die Weihe

Alles, was dein ist, Erde, wird sich nun Bruder nennen,
Alle Wasser, die bittern und die süßen,
Die kalten Ströme und die Quellen, die brennen,
Werden zusammenfließen.

Und dort wird der Herzschlag der Erde dauernd wohnen,
Wo des Golfstroms Natter sonnenschuppig sich ringelt
Und mit heißem Blutlauf Kaps und Inseln aller Zonen
Umzingelt.

Feuerholz Brasiliens, Tannenstamm aus Nord,
Und Europas glatter, gleißender Stahl:
Schiffe finden sich von jedem Dock und Fjord
Hier am Kanal.

Rauch der Kohle aus fernen Ländern und Schichten,
Tausendjähriger Wald, schwer zerdrückter Quarz,
Wächst wie ein breiter Baum zu den Wolken, den lichten,
Aus der Erde Schwarz.

Alle Masten schimmern wie ein Bündel Speere
Über der friedlichen Völkerzahl,
Und beim Rauschelied der Motore und der Meere
Zittert der Kanal.

Rot und grün dazwischen hängen die Wimpelgirlanden
Wie gefangene Vögel in einem großen Wald;
Ihr Gezwitscher schallt
Von Stange zu Stange.

Und ein jeder singt die Weise seines Lands,
O Geflitter von Sprachen und Lauten!
Aber die vielgereisten Matrosen und Argonauten
Verstehen sich ganz.

Alle Menschen im Hafen, auf den Docks, in den Bars,
Alle reden sich voll Liebe an,
Ob im Zopf, im Hut, in Mütze, ob blond oder schwarzen
   Haars,
Mann ist Mann.

Jeder Mann ein Bruder, den man schnell erkennt,
Jenes Aug' aus Mahagoni, jenes ein Dolch aus Erz,
Jenes, das wie ein Stern in ruhigen Nächten brennt,
Jenes, eine Blume voll Schmerz:

Ach, die Augen aller trinken Brüderschaft
Aus der Weltliebe unendlich tiefer Schale:
Denn hier liegt verschwistert alle Erdenkraft,
Hier im Kanale.


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