George Grosz
Musik der Nacht
Die Rabenpresse
Die blaue Reihe
Band 12
Berlin 1932
Inhalt
Man soll Abschied nehmen . . .
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28. 01. 1932
Dies Wort kommt mir von Gott, das andre bringt der Wind;
doch beide will ich dankbar aufbewahren:
ich bin vor beiden ja so hilflos wie ein Kind
und wie ein Greis weltweise und erfahren,
von beiden überrascht, von beiden schön beschenkt,
und ahnte kurz vorher noch nichts von ihnen.
Vielleicht, daß morgen sie ein andrer Dichter denkt -
heut sind sie mir im Schöpfertraum erschienen.
Heut bleiben sie mir nah, bis daß der Tag verblaßt.
und werden mich noch in den Schlaf geleiten.
Wie schön das Herz mit ihnen schwärmt und liebt und haßt
und feiert und erleidet die Gezeiten!
Als Rose blüht das Wort, als Herbstlaub stirbt es bunt,
ein Zauber zwingt das welke noch zum Leben,
tauch ich nach ihm bis auf den tiefsten Meeresgrund,
wird ihm und mir Unsterblichkeit gegeben.
Mir nur, soviel ich selbst in ihm enthalten bin,
soweit mein Wesen sich im Wort bewährte.
Wenn ich in ihm von vielerlei Gestalten bin,
Vertrautem Feind und Feindlichem Gefährte,
verwandelte mein Werk mich, der es staunend schuf,
und hatte mich zu binden und zu lösen
Gewalt. Und immer folg' ich seinem Ruf
zu Glück und Leid, zum Guten und zum Bösen.
27. 03. 1929
Immer wieder diese Abschiedsstunde,
wenn wir in der Bahnhofshalle sind:
weltverloren sucht der sehnsuchtswunde
Blick im andern Blick sich, tränenblind.
Wieder lassen wir uns dann entführen,
jeder in ein andres fremdes Land.
Du am Meer, ich im Gebirg': wir spüren
überall einander Hand in Hand.
Was wir immer einsam auch erleben,
hat erst durch den andern Form und Glanz,
an dich denkend will das Glas ich heben,
und mich hält dein Arm beim fernen Tanz.
Siehst mit meinen Augen das Gewimmel
einer südlich bunten Märchenbucht.
Über mir am deutschen Kleinstadthimmel
ist dein Mund des Mondes rote Frucht.
Durch dein offnes Fenster bringt das Rauschen
warmer Nachtflut meinen Liebessang.
Aus dem Winterwinde hört mein Lauschen
hier beseligt deiner Stimme Klang.
Immer haben wir uns so gefunden
über Weltenweiten, Berg und Meer,
und es werden unsre Abschiedsstunden
nur der Blumensteg zur Wiederkehr.
17. 03. 1932
Marmorn strahlt Diana durch die Zweige,
die allmählich an den Frühling denken;
ihrer Nacktheit will des Bettlers Geige
seine letzten Winterlieder schenken.
Mittags kann der Sonne erste Wärme
diese weißen Hüften schon liebkosen,
und es scheint die lauten Sperlings-Schwärme
Eifersucht jetzt lenzhaft zu erbosen.
Auch die Pärchen auf dem Schlittschuhteiche
flammen von verjüngter Lust entzündet,
und es hat sogar die Göttergleiche
greisenhaften Wünschen sich verbündet.
Der Gelähmte darf, um zu gesunden,
seine welken Hände an sie legen.
Aber dann jagt sie mit ihren Hunden
hochzeitlich dem Frühlingsgott entgegen.
Mitte Juni 1931
Sommernacht, das Fenster offen.
Wir: im Dunkel wach und lauschen,
wie die Regenströme rauschen,
und wir bangen, und wir hoffen.
Jeder stumm für sich, geschieden
von des andern stummem Frieden.
Jeder sehnt sich, mit dem andern
Liebesgärten zu durchwandern.
Regen schweigt. Die Winde rauschen.
Jeder bleibt in seiner Lüge,
wird verstohlen zärtlich lauschen
auf des andern Atemzüge.
Träumt, daß in dem Lied der Winde
eines sich zum andern finde,
und liegt reglos wie in Schnüren,
nicht den andern zu berühren.
Seinem Schweigen nur zu lauschen,
bis in jedes Herzens Hämmern
Regenströme wieder rauschen
und wir unerlöst verdämmern.
07. 08. 1930
Man soll Abschied nehmen . . .
Man soll Abschied nehmen,
eh das Schönste kam,
sei es unter Tränen
und mit düstrem Gram.
An dem besten Tage,
den der Himmel gab,
greift man auch mit Klagen
zu dem Wanderstab,
kann sich kaum bequemen,
wenn die Glocke schellt -
man soll Abschied nehmen,
wenn's am schwersten fällt.
Scheint auch heut die Sonne
farbiger als je,
und die Bäche kommen
frischer in den See,
blau die Wiesen blühen
märchenhaft geschmückt,
und in dieser Frühe
alles köstlich glückt:
bald ist nur noch Schemen,
was jetzt lebt und leibt.
Du sollst Abschied nehmen,
eh es dich vertreibt.
14. 11. 1928
Tiergartenwege, herbstlaubüberhäuft -
ich träumte gern von dem, was glücklich macht;
der Mensch, der wie gehetzt vorüberläuft,
hat fröstelnd an ein Obdach nur gedacht.
Die Spatzen hüpfen hungrig um die Gruft.
In seiner Tasche ist kein Bissen Brot.
Und plötzlich geht ein Klingen durch die Luft,
als läute eine Glocke Sterbensnot.
Es wirft der Wind Wildenten in das Grau,
das winterlich schon aus der Weite winkt.
Mich rührt das Witwenantlitz einer Frau,
das noch zu jung in Einsamkeit versinkt.
Der Teich ruht wie vereist, stumm und berußt,
feindlich verschlossen halten sich die Boote
und leugnen alle sommerliche Lust,
zur Überfahrt bereit nur für das Tote.
November 1929
Ich wache auf. Ich weiß nicht, wo ich bin.
Schiffbrüchig trägt mein Traumfloß durch die Flut
der stummen Dunkelheit sein Märchengut,
und kein Gestirn weist ihm jetzt mehr, wohin.
Wo blieb das Lied, das wildem Meere glich?
Wo ist ein Spiegel, der mein Antlitz zeigt?
Wie fremd und boshaft mich die Nacht umschweigt!
Frau neben mir, erwach auch du und sprich!
Ins Leere greif ich, niemand ist mir nah,
nicht einmal eines Feindes Schreckgestalt,
kein Zweig am Uferrand als schwacher Halt,
der Leuchtturm nicht, den ich von ferne sah.
Durchs Fenster fließt das ewig gleiche Nichts;
ich weiß, daß es auf mein Verderben sinnt.
Und ehe noch der neue Tag beginnt,
trifft mich der strenge Spruch des Weltgerichts.
20. 10. 1931
Berliner Herbstabend 1931
(Für Willi Schaeffers)
Ich wandle die bunten Straßen entlang
im Herbstwind der Abendstunde.
Aus einem Schank gröhlt Kampfgesang,
da stirbt mir die Strophe im Munde.
Es rascheln die Blätter über den Damm,
wie Ratten den Kahn verlassen.
Ein Demonstrationszug marschiert sehr stramm
und weiß von nichts als von Hassen.
In allen Häusern steh'n Läden leer,
sind Wohnungen zu vermieten.
Es scheint ein ganzes Bettlerheer
sein Elend feilzubieten.
Dazwischen schreiten unberührt
die hold verwöhnten Frauen,
verführend, von sich selbst verführt,
und lassen sich beschauen,
in Duft und Schmuck wie einst und je,
auf hohen, schmalen Beinen,
und wissen nichts von fremdem Weh
und nichts vom eignen Weinen,
wenn sie hier stolz Parade geh'n
in dieser kurzen Stunde.
Doch kann ich ohne Gnade sehn
die Falten an ihrem Munde,
die heimliche Angst in ihrer Brust
vor Altern, Alleinsein und Darben.
Bei Blumenhändlern welken berußt
die letzten Sommerfarben.
Dort, wo die Allee ins Wolkenmeer schwimmt,
geht groß die Sonne unter,
und ein Reklameluftschiff nimmt
vom Himmel die Sterne herunter.
Auf der Cafeveranda trotzt
dem Frost ein Liebespärchen.
Manch unverschämter Laden protzt
mit lauter Luxusmärchen.
Die Sipos schützen seine Fracht:
mit dienstlich mürrischen Mienen
schreiten sie paarweis' und geben acht.
Zwischen den Straßenbahnschienen
liegt ein roter Kinderballon,
den wird man bald überfahren.
Die Puppe im Frisiersalon
strotzt blond von falschen Haaren.
Es hüllen mich in ihren Dunst
Fischküchen und Drogerien.
Der Filmplakate krasse Kunst
wird über uns ausgespien,
und nicht erfolglos: schon drängt es belebt
vor allen Kinokassen,
Billetthändler flüstern, der Portier hebt
aus dem Auto die Dame. Verlassen,
ganz ohne Ziel und ohne Lohn
trott ich, mit nichts im Bunde.
Fern schaukelt des Mondes Lampion
im Herbstwind der Abendstunde ...
Februar 1932
Du hast es überstanden.
Uns ängstet noch die Nacht,
eh wir den Frieden fanden,
von Engeln heimgebracht
zu jenen heil'gen Hügeln,
wo jeder Baum uns kennt,
das Hündchen mit den Flügeln
um Sternenbeete rennt,
der Eltern Trostgesichter
mir wieder nahe sind,
und alle Himmelslichter
erstrahlen für ihr Kind.
Die Schwester, die erträumte,
spielt zärtlich mit mir dort,
und was ich hier versäumte,
erfüllt sich Wort für Wort.
Doch mitleidslos erwarten
den andern, der mir gleicht,
die Martern in dem Garten,
den kein Gebet erreicht.
Nichts Lebendes darf teilen
dies grausame Geschick,
nie kann die Wunde heilen,
vergönnt ist ihm kein Blick
zurück in seine Zimmer,
wo er sich glücklich fand.
Nun bleibt sein Dulden
immer zur Einsamkeit verbannt.
Wo werden wir einst landen,
ist unsre Zeit gezählt?
Du hast es überstanden,
was uns noch quält.
04. 03. 1932
Musik der Winternacht
(Für Hermann Hesse)
Es ist die Luft ringsum voll dunkler Lieder,
bin ich in langen Winternächten wach.
Im Hofe hebt mit klirrendem Gefieder
der Winde Flug sich vom beschneiten Dach.
Der Himmel, ein Gebirg aus Kälteschauern,
verzerrt im Echo höhnisch jeden Laut.
Doch sind einander durch die dünnen Mauern
die Seufzer aller Schlafenden vertraut.
Die Träumer scheinen Herz an Herz zu liegen,
von ihrem Atem ist der Park entfacht,
und in der Bäume dürrem Wipfel wiegen
sich die verlor'nen Klagen dieser Nacht.
Dann fangen die Laternen an zu läuten,
die einsam steh'n am düsteren Kanal.
Leis klingend bebt das Eis, die Sterne streuten
in seinen Spiegel flüchtig Strahl um Strahl.
Auf ihnen spielt die Schwermut ihre Weisen
als Zauberin, die in den Selbstmord lockt.
Verscholl'ner Schiffe Angstsirenen kreisen
um einen Tauben, der am Ufer hockt.
Er beugt sich zum erfror'nen Grund hernieder
und sucht zu schauen, was die Nacht ihm sagt.
Es ist die Luft ringsum voll dunkler Lieder,
in denen Lust und Grauen lacht und klagt.
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