Max Herrmann-Neiße "Letzte Gedichte Erinnerung und Exil" 1941

 


 George Grosz


Letzte Gedichte

aus dem Nachlass
herausgegeben von Leni Herrmann

 

Barmerla Book Sales Ltd.
Barthold Fles Verlag

London

1941


Inhalt

I Erinnerung und Exil
 

Glück heimatlicher Landschaft

Neißer Erinnerungen

Breslauer Winternacht

Nächtlicher Heimzug im Gebirge

Nächtliche Autofahrt

Erinnerung

Über diesem Lande

Der schwarze Wald

Nacht am Bergsee

Bild der Heimat

Eichendorff

Entzauberung der Fremde

Spätes Liebeslied

Winterliche Bruderschaft

Damals

Weihnachts-Dank

Silvesterbekenntnis

Monolog auf fremder Bühne

Nebeltag in London

Fremder Park

Ein Licht geht nach dem andern aus

Die Zerstörung

Die Rettung

Zwischenspiel auf den Höhen

Nach dem Fest

Heimatlos

Verlangen nach Liebe

Lied im Sommerabend

Verloren

Angst der Nächte

Sommer-Regen

Tag voll Zirkus

Gebet an den Herbst

Niemals werden wir dazu gehören

Liebeslied

Eingekreist

Unvergänglicher Sommer

Bei den Sommerbeeten

Lässiger Herbstmittag in London

Tagesbeginn

Unter dem Vollmond

In verwandelter Gestalt

Herbstliches Sterben

Meiner Träume Totentanz

Gebet um Rettung vor der Flut

Absage ans vergangene Jahr

Begrüßung eines neuen Jahres

Frage an das neue Leben

Letztes Widerstreben

Die Gesichter

österliche Zuversicht

Der Klang der Glocken

Der bedeutungsvolle Augenblick

Neuer Frühling

Diese Stunde

Genugtuung

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I. Erinnerung und Exil

»O, wie war glücklich ich,
als ich noch mit euch
sahe sich röten den Tag,
schimmern die Nacht!«
(Klopstock)

»Wir haben wohl hienieden
kein Haus an keinem Ort.
Es reisen die Gedanken
Zur Heimat ewig fort.«
(Eichendorff).

 

20. 06. 1932


Glück heimatlicher Landschaft

Diese Stadt und ihre Giebelgassen,
deren Türme Mittagsrauch umwand,
wird noch einmal liebevoll umfassen
Blick und Herz, eh wir ins offne Land,
unser Glück zu suchen, vorwärts drängen.
Schon hat uns die schattige Chaussee;
rote Kirschen an den Bäumen hängen,
und ein Hase flüchtet in den Klee.
Zärtlich streift der Wind die Ährenwelle,
Mohn und Kornblum schaukelt sanft ihr Grün.
Uns bestürmt mit wütendem Gebelle
aus dem Händlerkarrn ein Hündchen kühn.
Erntewagen fahren hochbefrachtet,
in den Lüften schwebt der Lerche Lied.
Alles Glück, nach dem die Sehnsucht trachtet,
harrt auf den, der es im Kleinsten sieht.

Dann umfängt in seiner Märchenstille
uns des Waldes Weltverlorenheit;
zahm wird aller Abenteuerwille,
glückverheißend nur der Kuckuck schreit.
Birke silbert, Tanne winkt und Buche,
um die Stämme stiebt Eichhörnchenjagd,
klopfend ist ein Specht auf emsger Suche,
eintönig der Quell sein Sprüchlein sagt
und versteckt sich hinter dichten Farren,
eine Lichtung duftet Thymian,
unsichtbare Grillengeister schnarren,
aufgeschreckt entflattert ein Fasan.
Lassen wir zu stummer Rast uns nieder,
lautlos aus den Büschen tritt das Reh,
und das Glück ist, ruft der Kuckuck wieder,
wahr in allem, was ich atmen seh.

Wenn gestärkt wir nachher weiter wandern,
Abendröte unsern Pfad verklärt,
golden spinnt von einem Strauch zum andern
sich ein Glück, das scheinbar ewig währt.
Ziehen wir im letzten Sonnenglühen
in ein wohlgemutes Dörfchen ein,
wird es bunt an allen Fenstern blühen
und gemütlich vor der Schenke sein,
wo wir, uns erholend, gerne bleiben,
Landbrot, Käse essen, Räucherwurst,
Langeweile mit Gesang vertreiben,
mit Getreideschnaps und Bier den Durst.
Was die Gastwirtstochter freundlich brachte,
kam voll Liebe aus dem Heimatland.
Alles Glück, an das die Sehnsucht dachte,
gibt sich dem, der es im Kleinsten fand.


23. 08. 1930

Neißer Erinnerungen

Hatte ich, junger Student, einen Ausflug ins Oesterreichische
                  hinüber gemacht,
wurde meinem Vater immer eine Schachtel Virginia
                  mitgebracht.
Ich sah schon beim Wandern, wie er behaglich qualmt
                 und lacht.
Aus einem offenen Fenster sang eine Stimme beharrlich:
                 » Steh' ich in finstrer Mitternacht ...«
Der Berg wurde langsam dunkel., bedrohlich stumm,
längst war das letzte Haus versunken, in den Büschen ging
                 der Waldkobold um,
der Bach plapperte sinnlos weiter, meine Schritte hatten
                 unwillkürlich eine ängstliche Hast,
der Mond trat aus der Wolke, und ich war auf der einsamen
                 Landstraße sein einziger Gast.
Wie glücklich war ich, wenn mir mit schwankender Lampe
                 ein Fuhrwerk entgegen kam,
daß ich das mürrische »Grüßgott« des Lenkers
                 für einen Segen nahm,
vielleicht hat aus dem Wagen ein Hund mich an gebellt,
aber ich war ihm dankbar, als hätte er sich wie ein lieber
                 Begleiter zu mir gesellt.
Dann winkte eine Wiese, und ich habe mich auf einen Heu-
                 haufen gehockt,
mich als Abenteurer gefühlt! Aber die glückliche Heimfahrt
                 hat mehr gelockt,
und ich tippelte weiter, bis endlich die Lichter der Bahn
                 mich führten mit ihrem soliden Schein,
da war ich gerettet und trat in die Hütte der Haltestelle
                 mit mir selber zufrieden ein.
In ihrer nach Petroleum riechenden Dämmerung
                 etwas zu warten, war nicht schlecht,
ich machte in Muße das Gedicht dieser Abendwanderung
                 zurecht:
es blühte ein Paradies von Bildern, von Worten. Was wird nun
                 zuerst gepflückt?
Und als der Zug sich hören ließ, war ich von seiner Ankunft
                  nicht besonders entzückt.
Doch saß ich dann mit wohligem Genuß der Ruhe in meinem
                  Coupe.
Mein Gegenüber, ein schönes Mädchen, schlief. Um ihren
                  jungen Mund zuckte ein traumhaftes Weh.
Das Rollen der Räder hat mein Gedicht in den richtigen
                   Rhythmus gebracht,
und ich fuhr mit seliger Märchenfracht reich beschenkt
                   durch die Nacht.
Allzu rasch war die Stadt erreicht, schon bekamen die Kirchen
                    Gestalt,
der Zug trabte an den Festungswällen vorbei und machte
                    an dem roten Bahnhofskasten mit einem Ruck halt.
Das Mädchen erwachte und sah nun leider alltäglich
                    über die Maßen aus,
und ich schritt verärgert mit den paar Passagieren durch den
                    Hühnerschlaf der ablehnenden Straßen nach Haus.
Aber dort hatte mein Vater noch Zeitung lesend bis zu meiner
                    Heimkehr gewacht.
Stolz und mit der nötigen, den Reiz erhöhenden Verzögerung
                    wurde ihm jetzt die Schachtel Virginias mitgebracht.
Wir blieben noch lange zusammen, er rauchte, wir tranken,
                    es war wie Silvesternacht …
Stets, wenn es mir später gutging, hab ich an diese Augenblicke
                     unvergleichlichen Glückes wehmütig gedacht.


29. 01. 1930

Breslauer Winternacht

Nachts kriecht die Kälte aus dem Odereise
und färbt den Mann der Würstchenbude blau.
Um den Matthiasplatz in irrem Kreise
trabt wahngetrieben eine Zeitungsfrau.
Im Torweg Liebespaare stumm erstarrten
zu gotisch keuschen Statuen von Stein.
Den Grogerhitzten, die sich grölend narrten,
gefrieren ihre heisren Stimmen ein.
Das Droschkenpferd und hinter ihm der Wagen,
sie schleppen sich als bald Gelähmte fort.
Und ein Student mit hochgeschlagenem Kragen
verlor die Würde und das Ehrenwort
und sehnt sich nur noch nach der warmen Klause.
So leer wie jetzt war nie der Straßenschacht.
Verdächtige lauern heut an keinem Hause,
auch Tiere bargen sich vor dieser Nacht.
Ins Nichts des Himmels treibt bedrohlich düster
durchs Wolkeneis ein Totenschiff: der Dom.
Und fluchend mit den Schollen wirft als wüster,
heilloser Trunkenbold der Oderstrom.


Anfang Januar 1929

Nächtlicher Heimzug im Gebirge

Die Nacht ist wie ein Sack um uns gepackt,
in dem wir, fast erstickt, nach Atem zappeln.
Wir ahnen da den Fels nur kahl gezackt
und nah am Pfad die starre Wacht der Pappeln.

Wie Blinde gehre wir den gewohnten Paß,
unsicher, ängstlich, stets bereit zu stürzen.
Die stille Welt, die wir bewohnten, Haß
und Liebe; nichts kann uns den Weg verkürzen.

Stumm bleiben selbst die Hunde hinterm Zaun,
es gibt uns kein Gestirn ein gutes Zeichen.
Zur dir auch, Liebste, hab ich kein Vertraun
und weiche, willst du deine Hand mir reichen.

Armseliges Trompetervolk beläuft
lustlos wie wir die dunklen Irrtumsgänge,
ein Schatten groß aus goldner Flasche säuft,
ein Mädchen macht sich tapfer durch Gesänge.

Im Fenster einer Hütte flackert Licht,
man stürmt sie, raubt sich Wärme, Brot und Liebe.
Nachher kennt keiner mehr das Angesicht
des Nachbars, schleichen wir geduckt wie Diebe.

Bis jäh der Mond aus Wolkenwällen tritt,
da schwingen die verzauberten Posaunen
sich an die Engelsmünder, unsern Schritt
verlockt Musik zu nachtverliebten Launen.

Wir tanzen schallend durch der Dörfer Schlaf,
ein Kätzchen flieht, und hinter unserm Lärmen
droht Zorn. Es reißt verstört am Strick das Schaf.
Bald werd ich mich am Heimatherde wärmen.

Wie Sieger ziehn wir mit Fanfarenmacht
in unsern Markt, um schadenfroh zu wecken,
die wohlbehütet leugnen dieser Nacht
Gefahr, Verhängnis, Rätsel, Reiz und Schrecken.


28. 08. 1930

Nächtliche Autofahrt

Bäume, weißbehemdet, grelle Besen
fegen unsre Straße, ohne Laut.
Manchmal wächst ein starres Schattenwesen,
und ein Dorf, aus lauter Schlaf gebaut,
schwimmt als grüne Meerfrau durch den Nebel.
Schleier winken aus dem Grabenschlamm.
Wie ein Lotse sitzt der Mann am Hebel,
fährt uns furchtlos auf dem schmalen Damm
zwischen Tod und Hoffnung. Sterne schaukeln
mit dem Tosen unsres trunknen Schiffs.
Aber ihn wird kein Gespenst umgaukeln,
und er bändigt, sicher seines Griffs,
Sturm und Sterbensangst. Nichts kann geschehen
Wie Brautjungfern jetzt die Häuserreihn
hold errötend schon den Weg umstehen.
Sieger fährt er in die Stadt hinein.


03. 02. 1925

Erinnerung

Wie lang ist das her, ich stand nachts auf dem Altane,
sah in ein dunkles Gebirge mit Sternen behängt
bis hinab zu der Tanne schwarzflatternder Fahne
und dem Bach, der mich immer mit Klagen bedrängt.

Menschen schliefen. Es riefen sich seltsame Geister
gehässig durch das nachhallende Einerlei,
bis der Glockenturm, der erfahrene Zaubermeister,
seinen Mund auftat zu gebietendem Zwei.

Kein Baum rührte sich mehr. Nur der Bach rann weiter,
wie ein Tauber unkundig jeder Gefahr.
Die Sterne stiegen nach Haus auf der Himmelsleiter,
der Wandrer nahm seinen Schatten nicht mehr wahr.

Ich trat als Flüchtling ins Zimmer, bei Dir mich zu finden,
und barg mein Haupt bei dem Deinen, das weltenfern schlief.
Da fühlt ich mich einsam im Weltenraume erblinden
und rief nach Dir, doch dein Schlaf war mütterlich tief.

Ein ruhiges Meer, fern jedem verwüstenden Wahne,
von keinem Sturme und keinem Gewitter bedrängt.
Wie lang ist das her? Ich stand nachts auf der Altane,
sah ein Gebirge mit seligen Sternen behängt.


12. 04. 1925

Über diesem Lande

Ich kranke an der Kargheit dieses Landes:
es gönnt sich selbst und andern keinen Glanz;
in dieser Wüste gnadenlosen Sandes
gedeiht kein Glück, welkt jeder Liebeskranz.

Wärst Du nicht neben mir, wär ich verlassen,
denn auch des Freundes Antlitz feindlich gleißt:
was ich verehre ist ihm Grund zum Hassen,
und er belächelt, was mir Hölle heißt.

Der Baum am Weg blüht nur um Deinetwillen,
denn keiner sieht ihn so wie Du und ich.
Wir bergen uns geschwisterlich im Stillen
und sind einander herzlich heimatlich.

Wir haben beide unsern Stern verloren
in eine Unglücksnacht feindlichen Tuns.
Ich bin für Dich, Du bist für mich geboren;
wir dulden keine Opfer neben uns!

Innig umschlungen lassen wir uns fallen
und fragen nicht, wohin der Sturz uns reißt:
nur Du und ich, unendlich über allen,
was diesem kargen Lande Leben heißt.


14. 05. 1925

Der schwarze Wald

Der schwarze Wald von Tannen um den Teich,
den silbern leuchtenden, ein düstrer Zwang
ist meinem Los in deinem Leben gleich:
wie hemmt mein Schwersein deinen Überschwang!

Du warst geboren, wie ein Falter leicht
über die Wiesen dieser Welt zu wehn,
von Sterbensangst und Altern nie erreicht
ein Glücksstern über jedem Zelt zu stehn.

Da riß ich dich in meine karge Nacht
und band dich an mich Block von Haß und Leid,
hab' dich so bang und bös wie mich gemacht
und ewig mit der Welt in Widerstreit.

Nur, um nicht einsam vor der eignen Qual
zu Grund zu gehn, zerstört vom eignen Zorn.
Du liebtest mich und nahmst das Kains-Mal
auf deine Stirn, der Schmerzenskrone Dorn.

Die andern sehen nicht den Heiligenschein,
der dich Märtyrerin der Liebe schmückt;
sie sehn nicht deines Herzens tiefste Pein,
die Angst um mich, die immer dich bedrückt.

Sie schelten, weil dein Blick nicht immer lacht,
sie höhnen, weil dein Schritt nicht immer schwebt,
der unter meiner Nöte Übermacht
sich nicht mehr sorglos in die Wolken hebt.

Ich aber fühl' dich heilig schmerzensreich
bei mir, sodaß mir Werk um Werk gelang;
im schwarzen Wald von Tannen du der Teich,
der silbern leuchtende ein Leben lang!


17. 07. 1929

Nacht am Bergsee

Nachts fängt der See von Liebe an zu singen;
die Berge hören stumm, was er verspricht.
Die Uferschenken, müd vom Gläserklingen,
liegen in schwerem Schlaf und stören nicht.
Auch eine kleine, schüchtern zarte Quelle
wagt sanft zu sagen, was sie sich ersehnt,
und zu des Wassers weißer Spiegelhelle
der Mond sich auf die Gipfelbrüstung lehnt,
wie eine Dame, die sich selbst bewundert
und ihre Perlen streut ins Wellenspiel.
Vor ihm versinkt Jahrhundert um Jahrhundert,
Mensch gilt und Fisch gleich wenig oder viel.
Und ich, Atom, verloren, vom Balkone
sehnsüchtig blickend auf den Brückenglanz,
den jetzt der Mond zur himmlischeren Zone
hinüberwirkt, betäubt vom Sternentanz,
verbrenn' im Lichtermeer wie eine Mücke.
Doch sah ich noch, indes mein Auge brach,
den See in seinem hochzeitlichen Glücke
und wußte, daß er mir von Liebe sprach.


13. 06. 1930

Bild der Heimat

Bild der Heimat, vor mich hingestellt:
Giebel, Gärten, Lauben, einst erlebt,
Fenster, wo die Fahne farbig schwebt,
Säle, festlich bis zur Früh erhellt,
Stille Stunde unterm Sternensteg
auf dem Wall im Duft des Heus verbracht,
oder einer wundersamen Nacht
Brückenrast auf dem Nachhauseweg.
Da und dort mir eine Freundin schlief
hinterm Vorhang ihren Mädchenschlaf,
eine, die ich nie in Wahrheit traf,
stets erwartet blieb der Liebesbrief,
immer spielt ich den verlornen Sohn,
tat mich gütlich an erdachtem Gram,
aber unterirdisch spürt ich schon,
wie das wahre Leid mir näher kam.
Bild der Heimat, Traum nur war es oft,
bloß verstohlen für mich aufgebaut,
und ich hatte längst nicht mehr gehofft,
daß es mich noch einmal so vertraut
überraschte als ein Gastgeschenk,
das die Hand betastete und wog,
bis ich, alter Liebe eingedenk,
zärtlich die Verlorne an mich zog.
Wieder Giebel, Gärten, Feld und Berg,
überm Froschgesang der Abendstern,
wieder ist der Bürger Tagewerk
meinen Träumen seltsam nah und fern,
wie ihr sonntäglich gewohnter Tanz.
Die ich stets gewann und stets verlor:
Heimat, schmückt mich wieder jetzt dein Kranz,
welches Leid steht diesem Glück bevor?


12. 10. 1932

Eichendorff

Das Wunder, das wir in der Heimat fanden.
Bewahrte deiner Lieder Melodie.
Wenn wir am Marktplatz nachts untrennbar standen,
Umwob uns Schwärmer deine Poesie:
An allen Giebeln wallten festlich Fahnen,
Am Fenster war ein Mädchenangesicht,
Ein Trunkner fand nach Haus in Zickzackbahnen,
Der Brunnen sprach romantisch dein Gedicht.

Und Sonntags zogen wir hinaus zur Aue,
Mit irgend einem lieben Ding am Arm.
Der Fluß verlor sich, das Gebirg' ins Blaue,
Es blies ein Waldhorn friedlichen Alarm,
Die Jäger knallten, ohne daß sie trafen,
Die Hunde bellten nur aus Übermut,
Und gingen wir zuletzt unschuldig schlafen,
So war die Welt in deinem Sternbild gut.

An jedem Allerseelenabend brachte
Ich deinem Grabe Blumenstrauß und Licht.
Der Flammenwald bei seinen Toten wachte,
Es betete ein Mädchenangesicht.
Der Himmel glühte über allen Grüften,
Die Bäume rauschten und ein Käuzchen schrie.
Es wehte aus den mondverklärten Lüften
Der ferne Segen deiner Poesie.


14. 12. 1932

Entzauberung der Fremde

Auch das Ziel der schönsten Reise
scheint dir eines Tages schlecht,
und es hat auf ihre Weise
schließlich doch die Heimat recht.
Hügel, die dich sonst verführten,
Wiesen, die im Abendschein
dich mit ihrer Sanftmut rührten,
werden plötzlich nichts mehr sein.
Hoher Nacht besternter Bogen
über weitem Ozean,
den die Wünsche überflogen,
den wir wie in Fiebern sahn,
wird sein Magisches verlieren,
und was dich so lange hielt,
hat mit Mädchen, Blumen, Tieren,
Sand und Welle ausgespielt.
Schien das alles noch so prächtig
und voll ungewohnter Lust,
ist die Heimat übermächtig
schließlich wieder uns bewußt.
Kann sie nicht mit dem sich messen,
was die fremde Landschaft bot,
überblüht sie unvergessen
einmal doch das Alpenrot
und des Meeres Silbernächte,
holt dich mütterlich nach Haus.
Plötzlich sind die Zaubermächte
der gepriesnen Fremde aus.
Ganz bescheiden wirst du leise
das, was deinesgleichen sind,
und bist bald in alter Weise
wieder deiner Heimat Kind.


22. 01. 1928

Spätes Liebeslied

Dich zu kennen! Was Dein Bildnis gibt,
ist ein schwaches, wandelbares Spiel:
jeder sieht Dich anders, der Dich liebt.
Wenig gab ich Dir, Du gibst mir viel.
Dich zu nennen! Was Dein Name hält,
ist ein blasser, flüchtiger Begriff,
wie ein Stern, der schon ins Nachtmeer fällt,
fern dem Winternebel um mein Schiff.
Dich zu suchen! Was Dein Traum verheißt,
ist ein Glück, das kein Verdacht uns nimmt.
Wenn die Unrast früh Dich von mir reißt
und der Morgen schon verloren schwimmt,
wag' ich kaum zu glauben, daß die Not
einst wird überstanden sein und leicht,
daß die Hand, die heut mir Bittres bot,
dann die süße Frucht der Güte reicht.
Dir zu fluchen, wenn nicht schnell genug
Wunsch und Wollust sich durch Dich erfüllt,
ist der Husch von einem Schwalbenflug,
der die Sonne nur im Nu verhüllt
und verschwunden ist wie nie geschehn -
oder ob ihn nur mein Schreck erfand?
Wenn wir tief uns in die Augen sehn,
faßt von selbst sich kindlich Hand und Hand,
Dich zu halten, daß Du nie vergehst,
mich zu halten, daß Du stets mich fühlst.
Wenn im letzten Hauch Du einst verwehst,
schattenhaft mir noch im Haare wühlst,
sanft im Reigen wolkenblassen Scheins,
schattenhaft ich streife an Dein Haar:
Was wir lebten, war doch immer eins,
Leid und Angst und Spiele, wunderbar!


06. 02. 1932

Winterliche Bruderschaft

Gott segne dich, du Fremder, den ich denke,
indes ich einsam hier am Schreibtisch bin
und mich in meines Werkes Welt versenke,
Gott segne dich! Wo gehst du einsam hin?

Weiß ist die Winternacht um dich gehügelt,
es grüßt dein Schreiten leis ein Lied aus Schnee.
Fühlst du es, wie mein Wunsch sich jetzt beflügelt,
dir nah zu sein an dem vereisten See?

Da war am Tag der Schlittschuhläufer Treiben
nur Blechmusik und Handel und Geschrei.
Jetzt unter Sternen, die unnahbar bleiben,
in Andacht schweigend wandeln nur wir zwei!

Wind stäubt, daß wir uns nicht verlassen meinen.,
von Zeit zu Zeit uns Flocken ins Gesicht. -
der Schreibtisch brückt sich über meinen Beinen!
und doch such' ich mit dir ein tröstlich Licht.

Da blinkt es auf! Wir wollten schon verzagen,
ein Schlitten fuhr sehr stolz an uns vorbei. -
Wir trinken Grog und wollen Du uns sagen,
in Wüstheit lärmen brüderlich wir Zwei.

Warm bist du jetzt geborgen in der Schenke,
ich überlasse dich der Kellnerin;
auf Wiedersehn, du Fremder, den ich denke,
indes ich einsam hier am Schreibtisch bin!


01. 07. 1932

Damals

Damals noch, vor einem Jahre
war die ganze Welt uns gut:
blühten blond noch deine Haare,
hatten wir noch Lebensmut,
glückten mir noch die Gedichte,
glückte dir noch mancher Sport,
hielt dem Menschenangesichte
noch das Trostgestirn sein Wort.
Damals hatt' ich noch Gefährten,
saß nicht einsam im Cafe,
holde Wochen sorglos währten
sommerlich bei Berg und See.
Abends klappten Nagelschuhe
ihren ländlich derben Tanz;
dann ging durch des Dorfes Ruhe
heim ich unterm Sternenglanz.
Damals lebt' ich fast in Frieden
mit der Welt und meinem Stern,
war mir Schönes noch beschieden,
hatte mich die Heimat gern.
War auch manches schwer zu tragen,
fühlt' ich mich gesund und jung,
heut bleibt mir von diesen Tagen
schmerzhaft nur Erinnerung,
bleibt vor Künftigem ein Grauen
und an dem, was ist, Verdruß.
Immer muß ich rückwärts schauen
nach begrabenem Genuß.
Nie kann den Verlornen heilen
Sehnsucht nach vergangnem Jahr,
und ich zweifle heut bisweilen,
ob es damals wirklich war!


24. 12. 1935

Weihnachts-Dank

Ich lausche auf den Klang der Weihnachtsglocken;
auch in der Fremde geben sie uns Mut.
Das Licht strahlt, wie am Baum, in deinen Locken,
und einen Stern trag ich an meinem Hut,
wenn ich bei dir jetzt durch die Straßen trotte,
wo jeder als ein Heiliger König drängt
mit seinem Gabenpäckchen heim zur Grotte,
in der sein Christkind das Geschenk empfängt.

Auch mich erwartet wieder ein Zuhause
und einer Tanne heimatliches Licht,
der Duft von einem festlich guten Schmause,
ein Schimmer Glück auf deinem Angesicht.
Vielleicht sogar vergißt du, was gewesen
und was heut nur noch schmerzlich Scham erweckt,
vielleicht kann ich in deinen Augen lesen:
du hast der Fremde Weihnachtstern entdeckt.

Und fehlt der Schnee auf Giebeln und auf Bögen,
das Flockenspiel um den Laternenschein
und was wir sonst hier noch vermissen mögen
an winterlichem weiß Verzaubertsein,
und ist die Stimmung hier so ganz verschieden
von einstiger Weihnachtszeit im Heimatland,
so sind wir dankbar für den Weihnachtsfrieden,
den unser Flüchtlingslos noch einmal fand.

Noch einmal darf ich mich geborgen meinen,
vergessen, was der Wahn der Welt noch plant,
darf wieder wie ein Kind vor Freude weinen,
das von der Feindlichkeit ringsum nichts ahnt,
weil ich bei dir bin, deine Stimme höre
und weiß : noch bist du mir ein wenig gut.
Wir lauschen auf den Trost der Weihnachts-Chöre
und haben wieder für die Zukunft Mut.


31. 12. 1935

Silvesterbekenntnis

Das Jahr ist um. Ich weine ihm nicht nach.
Muß man von Toten stets nur Gutes sagen?
Es war für mich voll Gram und Ungemach,
Enttäuschung noch in seinen besten Tagen.
Es hat auch dir viel Gutes nicht gebracht;
für das Versäumte darfst du mich anklagen,
und heut, in dieses Jahres letzter Nacht,
bekenne ich mein eigenes Versagen.

Ich weinte immer dem Vergangnen nach
und habe dich mit meinem Leid belastet,
statt daß ich deiner Trauer Trost zusprach.
Wenn jetzt der Zeiger sich der Zwölf zutastet,
möcht' ich beschämt auslöschen meine Schmach
und, eh die Uhr das neue Jahr ankündigt,
gut machen, was ich ungewollt verbrach,
begraben, was im alten. ich gesündigt.

So sei es allen Übels Grabgeläut,
wenn dann die Glocken durch die Nacht erklingen,
und Auferstehungsgruß dem Neujahrs-Heut,
mit dem wir in die bessre Zukunft gingen!
Schon fühl' ich, wie das Alte so versank,
daß wir uns seiner Not nicht mehr entsinnen
und mit silvesterlichem Lethetrank
das Kommende voll Zuversicht beginnen.

Es wird Entscheidung schaffen und Gericht
und so die Reinigung in allen Dingen,
der Menschheit ein entgiftetes Gesicht
und eine freie Haltung wiederbringen,
wird über alle Niedrungen der Schmach
des neuen Bundes Regenbogen weben.
Wir weinen dem Gewesnen nicht mehr nach.
Das Jahr ist um. Glückauf zu neuem Leben!


 04. 03. 1936

Monolog auf fremder Bühne

Wer stellte diese seltsamen Kulissen
hier um den Weg, den jetzt mein Leben nimmt,
was ist das für ein Spiel? Laß mich es wissen,
verborgner Gott, der über mich bestimmt!
Ich kenne nicht die Meinung meiner Rolle
und weiß nicht, welches Stichwort für mich gilt,
doch bin ich alles Lust- und Kummervolle
mit Andacht vorzutäuschen gern gewillt.
Was mag im Fenster das Gesicht bedeuten,
ist es die liebe Schwester, die mir fehlt?
Vergangenes, an dem wir uns erfreuten,
lockt wie ein Spuk und lächelt unbeseelt.
Und wenn wir auf das Heimische verzichten,
tut uns das Fremde jemals hier genug?
Mag es mir auch die schönste Rolle dichten,
der eigne Wunsch wagt einen höheren Flug,
der mich aus diesen dürftigen Kulissen
und in das Künftige hinübernimmt.
Wann wird er mir erfüllt? Laß mich es wissen,
verborgner Gott, der über uns bestimmt!


14.01. 1936

Nebeltag in London

Der ganze Tag war Abend: Lampen brannten.
Die Stadt lag in dem Nebelmeer versunken,
daß wir uns kaum als Körper noch erkannten
und schwankten geisterhaft, vom Dunst betrunken.

Des Parkes Bäume fahl wie Algen schwammen,
durch die das Ungestaltete gespenstert.
Es dampften unsichtbare Opferflammen.
Die Häuser waren Schatten, blindgefenstert.

Bis eine tausendjährge Kathedrale
ihr Bildnis wies, von Magischem umwoben,
und ihre Türme sich mit einem Male
aus dem Verwunschnen märchenhaft erhoben.

Als dann die Vesperglocken klar erklangen,
flatterten Möwen auf mit weißem Schreie,
die das Gespinst, das uns umfloß, durchdrangen
und eine Ahnung öffneten ins Freie.

Da hing wie ein verführerisches Zeichen
die Sonne, noch umflort, bereit zu leuchten
in voller Pracht, sobald die Nebel weichen,
die Stadt auftaucht aus ihrem Grab, dem feuchten.


21. 02. 1936

Fremder Park

Vom immergrünen Rasen blickt ein Pfau
durch die besonnten bronzenen Portale.
Weiß bleibt der Brunnen vor des Himmels Blau,
     geflügelte Löwen tragen die Schale.

Verborgenes wird in den Büschen laut.
Die Barke liegt reglos auf dem Kanale,
in dem der Park sein Spiegelbild beschaut:
     geflügelte Löwen tragen die Schale.

Es knirschen Schritte unsichtbar im Kies,
vom Rosenhügel führt ein Lied zutale.
Verwunschen träumt das fremde Paradies,
     geflügelte Löwen tragen die Schale.

Das Haus hält sich im Schatten, kühl und grau,
erblindet sind die Fenster in dein Saale.
Langsam verfällt des Brunnens alter Bau,
     geflügelten Löwen entsinkt die Schale.


01. 02. 1936

Ein Licht geht nach dem andern aus

Ein Licht geht nach dem andern aus,
und immer dunkler wird das Haus.
Ich bin allein beim Lampenschein,
ein Leuchtturmgeist in all der Nacht,
der in dem Schlaf der andern wacht
und Angst hat, auf dem Meer zu sein.

Von fern und nah umflattern blaß
der andern Liebe mich und Haß,
gelockt von meinem späten Licht;
ihr Stöhnen tönt mit Lust und Leid
in meine große Einsamkeit,
ihr Gram weht kühl um mein Gesicht.

Schon liegen sie, wie Tote tun,
als probten sie, im Grab zu ruhn,
und nur ihr Atem flackert sacht.
Ich fürchte dieses Schlafes Bann,
der mich für immer halten kann,
und bleibe wach in all der Nacht.

Für immer schloß vielleicht das Tor,
von dem der Schlüssel sich verlor,
bin ich vom Feind umstellt.
Verfallen ist mein Vaterhaus,
ein Licht geht nach dem andern aus,
und immer dunkler wird die Welt.


18. 03. 1936

Die Zerstörung

Wie haben sie mein Dasein ganz zerstört!
Wo sind die Tage, da ich friedlich lebte,
gesichert mein Gespinst aus Worten webte
und glaubte, daß die Zukunft uns gehört?
Wo sind die Künstlerfreunde aus der Bar,
die Späße, die wir harmlos nächtlich trieben,
wo ist das Ungefährdete geblieben,
darin ich meinem Glück so nahe war?

Wie haben sie ein ganzes Volk zerstört!
Wo blieb der Männer ehrliches Vertrauen,
das mild Beschauliche mit Kind und Frauen,
das Grübeln, das die Ewigkeit beschwört?
Wo blieb des Elternhauses Harmonie?
Wer konnte dies Bestehn in Maß und Ehren
zu räuberischer Raserei verkehren
und welken lassen, was einst frei gedieh?

Wie haben sie die ganze Welt zerstört!
Die guter Zukunft hold entgegenblühte,
beseeltem Gleichmut und bewußter Güte,
und nun auf die verruchte Lockung hört.
Die Reue ums verlorne Paradies
streift unsern Sinn mit vorwurfsvollem Traume;
dann treiben wir in menschenleerem Raume,
den die Zerstörung den Zerstörten ließ.


04. 04. 1936

Die Rettung

So lang schon bin ich der verlorne Sohn,
umduftete mich nicht der Maienflieder,
so lang vernahm ich keine Lerchenlieder,
sah nicht in Sommerfeldern roten Mohn.
So lang nicht saß ich vor des Dorfes Krug
lustig bei Landbrot, Schnaps und Bauernschinken,
sah nicht die Mädchen von den Äckern winken
dem Zuge, der mich rasch vorübertrug.
So lang lag ich nicht mehr im frischen Heu,
so lang hört ich nicht mehr den Bergbach fließen
und würde wieder gern die Welt genießen:
ich bin heut nicht mehr vor der Freude scheu!
Trotz allem wüsten Treiben dieser Zeit,
der Todesangst, in der die Menschheit zittert,
trotz der Verachtung, die mein Herz verbittert,
bin ich zu jedem neuen Glück bereit.
Vielleicht ward ich nach allem Leid erst jetzt
im Letzten reif, die wahre Lust zu spüren,
mich selbst zum Unbegrenzten zu verführen,
zu gehn durch Leidenschaften unverletzt.
Doch es genügt schon kleinerer Genuß,
mich wieder unbefangen froh zu machen:
ein harmlos derbes Possenspiel belachen,
zu zweit spazieren an dem Sommerfluß,
allein lustwandeln durch die Märzallee
und erstes, junges Frühlingsgrün entdecken,
des Herbstes Wein in stiller Laube schmecken
und Winter feiern auf besonntem Schnee,
mit Freunden tauschen manches kluge Wort,
ein Buch, das mir einst lieb war, wieder lesen,
von leichter Krankheit angenehm genesen
im Liegestuhl in mildem Luftkurort.
Und wär es nur ein Lied im Grammophon,
das meiner Abendstimmung Reim begleitet:
es hätte mich ins Heitre heimgeleitet,
ich wäre nicht mehr der verlorne Sohn.


10. 05. 1936

Zwischenspiel auf den Höhen

Immer höher stieg die Gasse,
die uns aus der Häuser Zug
zu der luftigen Terrasse
in des Himmels Nähe trug,
wo wir nach den Wolken griffen,
unter uns im Frühlingstag
spielzeughaft mit kleinen Schiffen
sanft der See und lässig lag.

Spielzeughaft mit kleinen Wagen
fährt am Ufer eine Bahn.
Aus den Hügelwäldern ragen
Wirtshausfahne, Kirchturmhahn.
Hinter den verklärten Weiten
steht in Weiß der Berge Wall.
Hoher Ahnung Seligkeiten
wehn gestaltlos durch das All.

Unsrer Toten letzte Schleier
streifen uns und sind entschwebt,
da zur geisterhaften Feier
sich die Abendluft belebt,
denn in ihrem Schattenreigen
hat das Menschliche nicht Macht,
und wir Erdgebundnen steigen
abwärts in den Bann der Nacht.

Immer tiefer fiel die Gasse,
die uns aus der Wolken Flug
von der luftigen Terrasse
wieder ins Gewohnte trug,
und uns blieb nur: zu verzichten,
uns der abgrundnahen Zeit
einzureihn mit Spiel und Pflichten,
bis das Wunder uns befreit.


07. 06. 1936

Nach dem Fest

Nun ist das Fest gefeiert,
getrunken ist der Wein,
liegt wieder schwarz umschleiert
der Talisman im Schrein.

Erloschen ist das Lachen,
verwelkt der Blumenstrauß,
die stummen Stuben machen
das Haus zum Trauerhaus.

Kein Wunsch ist drin geblieben,
der Gutes mir erbat;
die mich mit Worten lieben,
vergaßen auf die Tat.

Was ich erwartet habe,
hat niemand mir beschert;
es war die schönste Gabe nicht,
was mein Herz begehrt.

Aus den Gefangenschaften
hat niemand mich befreit.
An jeder Wohltat haften
die Flüche dieser Zeit.

Da sich des Festes Schimmer
im Üblichen verlor,
ist alles wieder schlimmer,
als je zuvor.


 23. 06. 1936

Heimatlos

Wir ohne Heimat irren so verloren
und sinnlos durch der Fremde Labyrinth.
Die Eingebornen plaudern vor den Toren
vertraut im abendlichen Sommerwind.
Er macht den Fenstervorhang flüchtig wehen
und läßt uns in die lang entbehrte Ruh
des sichren Friedens einer Stube sehen
und schließt sie vor uns grausam wieder zu.
Die herrenlosen Katzen in den Gassen,
die Bettler, nächtigend im nassen Gras,
sind nicht so ausgestoßen und verlassen
wie jeder, der ein Heimatglück besaß
und hat es ohne seine Schuld verloren
und irrt jetzt durch der Fremde Labyrinth.
Die Eingebornen träumen vor den Toren
und wissen nicht, daß wir ihr Schatten sind.


Juni 1936

Verlangen nach Liebe

Laß mich noch einmal die Liebe erleben,
die meine welkenden Jahre verjüngt,
daß wir uns wieder dem Schwärmen ergeben,
einer im andern sich zärtlich verjüngt,
daß wir den Frühling im Blut uns erwecken,
uns verwandeln im Liebesgespräch,
taumelnd in Küssen die Ewigkeit schmecken,
sterbend vereint sind im Abschiedsgespräch,
wieder am Morgen zum Leben erwachen,
wieder zur Liebe, zum frühen Tod,
einem Tode in kindlichem Lachen,
der nur ein Spiel ist vom. wirklichen Tod,
der uns den Glanz und die Stille wird geben,
die unsre furchtsame Unrast verneint.
Laß mich noch einmal die Liebe erleben,
die meine welkenden Jahre verneint!


30. 06. 1936

Lied im Sommerabend

Wer Geduld hat, wird gerettet;
wer sich opfert, wird verschont.
Wer sich selbst auf Dornen bettet,
wird mit Rosen bald belohnt.

Abends an dein Blumenhange
duftet sommerlich der Wall,
und befreit von allem Zwange
schwärmt ein Menschenherz ins All.

Schwerer Stunden Furcht und Kummer
wird vom linden Wind verweht.
Durch der Büsche ersten Schlummer
leis ein guter Engel geht.

Lautlos läßt der Bach sich fließen,
daß er nichts Verwunschnes weckt.
Ihre Feueraugen schließen
Eulen, im Gesträuch versteckt.

Fern verliert sich die verstaubte Stadt,
der Wahn und die Gefahr:
weil ich an das Märchen glaubte,
wird das Abendwunder wahr.

Wer Geduld hat, wird gerettet;
Wer sich opfert, wird verschont.
Wer sich selbst auf Dornen bettet,
wird mit Rosen bald belohnt.


23. 05. 1936

Verloren

Ich komme nicht mehr zurecht mit dem Leben,
ich bin verwunschen in fremdes Geschick,
daß auch meine Freuden kein Glück mehr ergeben.
Ins Leere verliert sich mein williger Blick.

Ein Bittres verbirgt sich in allen Geschenken,
daß Furcht mich vor jeder Wohltat befällt,
und weil ich stets an das Verlorne muß denken,
so ist mir der Gegenwart Gutes vergällt.

Die kleine Freude an Tier und Blüte,
an Menschen und Büchern und Bildern verblaßt.
Was einst ich besah mit verklärender Güte,
ist heut mir lästig, zuwider, verhaßt.

Nahm früher ich teil an allem Gedachten,
war gern gesprächig, gesellig, bewegt,
heut scheint mir so sinnlos das Reden und Trachten,
weil es immer mich selbst nur unfruchtbar erregt.

Die Welt ist alt und bösartig geworden,
es überrennt uns ein wüstes Geschlecht.
Es findet sich in all dem Drohen und Morden
mein friedliebendes Leben nicht mehr zurecht.


27. 02. 1936

Angst der Nächte

So lag ich einst, vor ach wievielen Jahren,
in einer Kammer im Großvaterhaus.
Am Dorf vorbei hört' ich die Züge fahren,
und unterm Schranken nagte eine Maus,
die Räucherschinken hingen an der Decke,
es rüttelte der Wind am Schindeldach.
Ich lag sehr klein in meinem Bettverstecke
und lauerte und hielt mich krampfhaft wach.
Vom nahen Sumpf kam das Gequak der Unken,
im Hofe bellte altersschwach der Hund.
Ich sah des Ofenfeuers letzte Funken,
und bald verdunkelte sich Stund' um Stund'.
Der Garten stöhnte vor den Fensterscheiben
und rang mit einem Feind in stummem Streit,
in allen Büschen war ein fremdes Treiben,
die Nacht schien mir wie eine Ewigkeit.
Auch heut fühl' ich mich wieder so verloren,
als läg' ich in der ganzen Welt allein,
als wäre Feindesland vor meinen Toren
und morgen müßte ich sein Opfer sein.
Doch hier hält nahe meiner Schlummerstätte
nicht Nahverwandtes friedlich seinen Schlaf,
als ob ich mich entfernt von allem hätte,
was mein ist, als der Fluch der Zeit uns traf,
als wäre ich vom Schicksal eingefangen
in etwas, das der Totenkammer gleicht,
als wäre meiner Kindheit Angst vergangen,
daß nun die letzte sichrer uns erreicht.


20. 07. 1936

Sommer-Regen

Der Tag war grau und barg geheimen Gram
und ließ die Sonne nur durch Schleier scheinen,
bis abends der ersehnte Regen kam,
in seinem Fluß den Kummer wegzuweinen.

In vollen Zügen trank die Nacht das Naß,
sie duftete nach sommerlichen Wonnen,
und Menschenliebe war und Menschenhaß
in dieser Sintflut großem Strom verronnen.

Ein warmer Wind hat sanft die Welt bewegt
und schaukelte sie zwischen den Gezeiten,
bisweilen stöhnte sie, vom Traum erregt,
der sie entführt in wesenlose Weiten.

Schon tropft es dünner. Eine Esse raucht.
Gelüste werden wieder wach und Sorgen.
Und aus den letzten Regenschauern taucht
mit feuchtem bronznem Leib der nackte Morgen.


20. 01. 1936

Tag voll Zirkus
(Dem Maler Martin Bloch)

Der ganze Tag war außer Rand und Band,
daß man vergaß auf Ruhe, Speise, Trank,
geduldig harrend an der Kasse stand,
Kind unter Kindern, vor Erwartung krank,
erregt von der Musik, die drin begann,
indes man hier kaum von der Stelle kam,
voll Neid auf den so bunt livrierten Mann,
der wie des Schatzes Hüter sich benahm.

Doch als man endlich in die Halle trat,
vom Stimmgewirr der Massen taub gemacht,
Trapez und Ring und straff gespannter Draht
hoch oben blitzten aus der Kuppel Nacht,
man willig mit den andern eingereiht
im weißen Bade der Scheinwerfer saß,
das Wunderbare anzuschaun bereit,
und, daß noch andres Leben war, vergaß.

Schon triumphierte der Fanfarentusch,
erschien der Abenteuer stolzer Zug,
die Rosse, prächtig unterm Federbusch.
der Elefant, der den Gebieter trug,
die Narrenschar in ihrem Mummenschanz,
auf Stelzen, zwergenhaft, mit Schirm und Hund,
der Gaukler Märchenstaat in vollem Glanz
phantastisch geisternd im Manegenrund.

Doch kaum verrauscht, war es von neuem hell
und zauberte in unerschöpfter Schau:
am Himmel fast, auf flüchtigem Gestell,
entschwebte furchtlos eine schöne Frau,
und eine andre war im Käfigzwang
dem fauchenden Getier Herrin behend,
ein Schwesternpaar mit wildem Lustschrei sprang
aufs Steppenpferd, das ungezügelt rennt.

Die Elefanten gehn gemach im Kreis,
Seelöwen spielen gern mit ihrem Ball,
geschickt tanzt jemand ungeschickt auf Eis,
der Clown macht schmerzlos einen lauten Fall;
ein Esel weigert störrisch sich, mit Recht,
für jeden, der da kommt, Reittier zu sein.
Die Anmut auf dem Seile hüpft, bezecht
reißt ein verlorner August alles ein.

Hold rundete sich im Trikot die Brust
des Mädchens, das in wüsten Wirbeln schwang;
nah beieinander war Gefahr und Lust.
Verzaubert saß man noch auf seiner Bank,
als Dunkelheit die Halle überfiel
und leergebrannt lag der Manegensand.
Doch weiter ging im Traum das bunte Spiel:
die ganze Nacht war außer Rand und Band.


24. 09. 1936

Gebet an den Herbst

Holder Herbst, aus deinem reichen Segen
gib auch meiner Dichtung reife Frucht!
Laß die Trauben glühn an allen Wegen
meiner unverzagten Lebensflucht,
laß die Äpfel wuchten an den Zweigen
in der Hügelgärten goldnem Kranz,
die papiernen Drachen höher steigen
in des Abendhimmels bunten Glanz,
rötlich die Spaliere sich belauben,
dran mein Lied sich farbig aufwärts rankt
und, wie du mit Äpfeln und mit Trauben,
schließlich sichtbar seinem Schöpfer dankt,
daß er diese Berge mit den Reben
mir noch einmal zum Geschenke macht.
Gib auch meinem Herbst gewordnen Leben,
herbstliche Natur, von deiner Pracht!


24. 08. 1936

Niemals werden wir dazu gehören

Diese fremde Welt und ihr Gehabe,
was ihr Vorzug ist, und was ihr fehlt,
jeder Mangel, jede gute Gabe,
was sie zeigt, und was sie uns verhehlt,
kann im Augenblick uns wohl betören,
daß man sich als ihresgleichen glaubt,
seinen Anspruch fügsam niedrig schraubt -
dennoch wird man nie dazu gehören!

Machst du dich vertraut mit Brauch und Sprache
feierst ihre Feste wohlgesinnt:
plötzlich siehst du dich vor dem Gemache,
wo das Unzugängliche beginnt:
sein Geheimnis wirst du nie beschwören,
diese dunklen Tore schließen dicht.
Lächelte dir freundlich ein Gesicht -
dennoch wirst du nie dazu gehören.

Mittags auf der Bank im Park, geborgen,
mit den andern hier in Friedlichkeit,
fühl' ich mich zuhaus und ohne Sorgen,
es erfragt bei mir ein Kind die Zeit,
Liebespaare lassen sich nicht stören,
und ein Hündchen wagt mit mir ein Spiel -
ein Verbannter fordert ja nicht viel!
Dennoch darf ich nie dazu gehören.

Einsam treiben wir von Land zu Lande,
überall der ungebetene Gast.
Einsam bleiben wir, der Heimat Schande
beugt den Rücken uns mit schwerer Last.
Teilnahmslos lauscht unsern Trauerchören
eine Welt, die unser Leid nicht faßt,
nicht, was unser Leben liebt und haßt,
niemals werden wir dazu gehören.


Sommer 1936

Liebeslied

Bist du bedroht, so bin ich selbst verloren,
dann weiß ich erst, wie uns die Liebe eint;
hat sich das Schicksal wider dich verschworen,
so hat es mein Verderben auch gemeint.
Nah beieinander standen die Gestirne,
die dich und mich entsandten in die Welt.
Der Nachtgedanke hinter meiner Stirne
ist deinem Traume innig zugesellt.
Was dich jetzt ängstet, muß auch mich bedrängen,
wie mich beglücken wird, was dich beglückt:
das gleiche Schwert wird überm Haupt uns hängen,
der gleiche Kranz auch, der uns schließlich schmückt.
Erinnre dich des Vierblatts, das wir fanden,
daß eine Lust erblühte jedem Jahr,
wieviel Gefahr gemeinsam wir bestanden,
wie oft die Furcht vor Bösem grundlos war.
Wenn wir verzweifeln wollten und verzagen,
im letzten Augenblick war alles gut,
beschenkte uns mit wieder leichten Tagen
der Cherub, der uns ungern Schlimmes tut.
Auch jetzt wird er das Schwerste dir ersparen,
bringt er dich sicher durch die dunkle Schlucht,
wie wir dereinst auch wieder selig waren
trotz Krieg und Todesdrohung, Not und Flucht.
Du mußt dem Engel, der dich schützt, vertrauen:
es ist der gleiche, der auch mich betreut,
er wird uns eine neue Heimstatt bauen,
daß die verlorene uns nicht mehr reut.
Dann sind wir wieder sommerlich gebettet
im Duft der Wiesen, wenn der Mond erscheint.
Bist du erlöst, so bin auch ich gerettet,
weil ewig uns der Liebe Schicksal eint.


01. 09. 1936

Eingekreist

Immer schwerer kränkt des Lebens Tücke
mein so leicht verwundbares Gefühl.
Ausgeschlossen blick' ich von der Brücke
auf der See sonntägliches Gewühl,
auf die Lust der Ruderer und Schwimmer,
der gesellig Lagernden am Strand.
Ausgeschlossen war ich ja schon immer
von dem allen auch im Heimatland.

Dennoch konnte ich bestehn und gelten,
wurde mitgezählt und mitgehegt,
hatte meine Welt, gleich andren Welten,
um das eigne Sternbild sich bewegt,
war ich frei, zu bleiben und zu schweifen,
aufgetan vor mir lag Tag und Nacht,
durfte ich nach jeder Gabe greifen,
die den Menschen zuversichtlich macht.

Plötzlich fing es an, mir zu entschwinden,
und ich sah mich, ohne jeden Halt,
hin und her geworfen von den Winden
in der Fremde, wo ich nichts mehr galt.
Ungewiß war alles und zerrüttet,
abenteuerlich der nächste Schritt,
jeder Weg zum Glück zurück verschüttet,
auch des Traumbilds linder Trost entglitt.

Unheilvoll umringt mich nun das Leere,
und ich kann ihm nirgendhin entgehn.
Feindlich stumm im Dunkel stehn die Heere,
und kein Friedensengel ist zu sehn.
Abgebrochen wurde jede Brücke,
die mir einen Pfad ins Freie weist.
Immer enger hat des Lebens Tücke
den Verlornen tödlich eingekreist.


03. 09. 1936

Unvergänglicher Sommer

Um diesen Sommer wurden wir betrogen,
uns ward verwehrt das Spiel in seinem Garten,
sein Reigen ist an uns vorbeigezogen,
und nun ist Herbst und nichts mehr zu erwarten.

Der Dunst begräbt des Parkes grünes Glänzen,
es nimmt der Wind die Blätter von den Bäumen;
doch schmückt mein Herz mit bunten Sommerkränzen
sich in den ewig jungen Dichterträumen.

Da ist der Schatz der Düfte und der Farben
noch schöner, unvergänglich mir vorhanden:
die warmen Mittagwiesen mit den Garben,
der Abendsee mit seinen Lichtgirlanden.

Das bleibt und kann mir nicht genommen werden,
auch nicht durch des Geschickes bösen Willen.
Nicht heimatlich im Himmel -Lind auf Erden,
besteht mein wunderliches Glück im Stillen.

Da blick' ich auf den Kampf der Meereswogen
und lasse Sand durch meine Finger gleiten;
ward ich um das Vergängliche betrogen,
so währt mein Reich erdachter Wirklichkeiten.


18. 08. 1936

Bei den Sommerbeeten

Als wir zu den bunten Beeten kamen,
duftete es heimatlich vertraut.
Allen Blumen gabst du zärtlich Namen
und mit ihnen blühtest du als Braut,
wieder allem Sommerglück versprochen,
das die Erde ewig jung bewahrt.
Stets aufs neue bist du aufgebrochen
hoffnungsvoll zu frischer Lebensfahrt.

Inniger die Farben sich vermählten,
blau und rosa lag der Kranz im Gras.
Malven ihre Märchen dir erzählten,
weil dein Lächeln ihr Vertraun besaß.
Nahmst mich mit in deine Feenreiche;
wo du warst, verschönte sich die Zier,
und die Wasserlilien im Teiche
schlugen ihre Augen auf zu dir.

Nie gelingt es mir, dich zu beschenken,
daß die Freude dich berauscht wie Wein:
mag ich noch so Schönes mir erdenken,
schließlich ist sein Wert vor dir zu klein,
denn du bist verwöhnt mit jedem Wunder
der Natur, als ihr geliebtes Kind,
dem die Menschenwerke Trug und Plunder
und bedauernswerter Aufwand sind.

Meiner Verse Glanz auch muß verblassen
vor der Beete bunterem Gedicht;
wirst mich nur aus Mitleid nicht verlassen.
Ärmlich steh' ich und beschämt im Licht,
das euch Blühende als seinesgleichen
in des Sommers großen Reigen bringt.
Aber meine Liebe wird nicht weichen,
die dir Hymnen auch im Schweigen singt.


 21. 09. 1936

Lässiger Herbstmittag in London

Vor jedem Haus liegt mittags eine Katze,
von Küchendüften glückhaft noch umweht.
Auch ich verdaue träg auf der Matratze
und weiß, daß meine gute Zeit vergeht.

Es lohnt nicht mehr, sich eifernd aufzuraffen.
Ein Mensch wie ich hat hier nichts mehr zu tun,
als: seine Dichtung schön zu Ende schaffen
und sich am letzten Tage auszuruhn.

Die Engel haben diese Welt verlassen,
in der das Friedliche nicht mehr gedeiht;
die Farbigkeit des Alls ist am Verblassen
und das Verehrungswürdige entweiht.

Nur manchmal blüht aus lässigem Verweilen,
dem Aufschub, den man sich noch einmal gibt,
ein wenig Gleichmut, unser Herz zu heilen,
ein wenig Trägheit, die sich selber liebt.

Auch diese kleine Rast ist bald verronnen,
doch macht sie jetzt den Augenblick mir leicht,
kann ich mich wie die Katze müßig sonnen,
solang des Herbstes letzte Wärme reicht.


20. 10. 1936

Tagesbeginn

Der Tag beginnt. Im Neubau wird gehämmert.
Die Kavalkade trabt zum Morgenritt.
Der letzte tröstlich gute Traum verdämmert,
darin man keine Wirklichkeit erlitt.

Es rauscht das Wasser in die Badewanne.
Das Tor schlägt zu. Man bringt das Morgenblatt.
Du witterst den Geruch der Kaffeekanne
und hebst dich hungrig von der Lagerstatt.

Vor deinem Fenster ist dies graue Grauen,
in das die Straße leer und lustlos gähnt.
Was wird sich ihr gezwungen anvertrauen
im Gang zum Werke, das man wichtig wähnt.

Noch steht der Nebel hemmend vor den Wegen,
es sänftigen Geschäftigkeit und Hast.
Ich will mich auf die andre Seite legen
und weiter schlafen als ein träger Gast.

Wird nebenan das Telefon auch tosen,
ich halte mich, solang ich es vermag,
Schmarotzer, in dem wohlig Wesenlosen
verborgen vor dem anspruchsvollen Tag
.


01. 11. 1936

Unter dem Vollmond

Unter dem Vollmond geht es sich gut in den Straßen
durch der Herbstnacht theatralische Schau,
märchenhaft hebt nun sich, über die Maßen,
der am Tag so unscheinbare Bau,
Türme treten aus abgelegnen Verstecken,
zeigen schamlos ihr leuchtendes Ziffernblatt
und mit prahlendem Glockenschlage schrecken
sie den Obdachlosen von flüchtiger Ruhestatt.
Dann das Denkmal, der fremde bronzene Reiter
hat eine unwiderstehlich sieghafte Macht,
und gebieterisch treibt seine Geste mich weiter
durch das Gehege der herbstlich umnebelten Nacht.
Über dem leeren, unsagbar verlassenen Platze
kreisen noch grelle Reklamen in. sinnloser Pflicht,
um den toten Springbrunn streift eine Katze,
Vögel zwitschern verstört von dem künstlichen Licht.
Auch das andre, das himmlische, will uns verstören,
strahlt es jetzt zwiefach, aus Wolken und aus dem Fluß:
magisch wird es den Schlafwandler betören,
daß er über die Wasser schreiten muß,
wird es den Mörder aus der Verborgenheit jagen,
wenn wie ein Scheinwerfer plötzlich der Glanz ihn faßt,
und einen Dichter in die Unendlichkeit tragen,
wo der Zauber der Mondnacht in Schönheit verblaßt.


28. 11. 1936

In verwandelter Gestalt

Mit einem Male hat mich die Gewalt
über das eigne Leben ganz verlassen:
ich irre in verwandelter Gestalt
durch einer fremden Ortschaft leere Gassen.
Was hat mich unversehens schwach gemacht,
zu dem, was mir zuwider bleiben sollte,
und mich Enteigneten dorthin gebracht,
wohin ich niemals mich verlieren wollte?
Und warum bleiben diese Fenster blind
und spiegeln mir mein Angesicht nicht wider,
daß ich wie ein zur Nacht verirrtes Kind
vor Abgesperrtem jage auf und nieder?
Die Lippen stammeln bebend ein Gebet,
an dessen Kraft die Ängste nicht mehr glauben:
vielleicht, daß doch die Mutter wartend steht
im letzten Bogen dort der Marktplatzlauben.
Sie sind es nicht, die heimatlich vertraut
mir auf dem Weg zur Schule Schutz einst boten,
wenn Regen rann. Kein heimatlicher Laut,
kein menschlicher. Ich bin im Reich der Toten.
Da ist es unnütz, auf die Uhr zu sehn
und zeitliche Erlösung zu erharren,
hartnäckig vor verschloßnem Tor zu stehn
und ungeduldig mit dem Fuß zu scharren
und sich zu fragen: »Wie kam ich hierher,
wohin mich keine Neigung locken konnte,
und über das Gefürchtete, das Meer,
und gab für Nebeltage das Besonnte?«
Undeutbar fremder Weisung preisgegeben,
die mir die Kraft mich mitzuteilen, nimmt,
wank ich durch dieses umgelebte Leben,
darin kein Hauch zu meiner Stimmung stimmt,
und wenn sich einst die blinden Fenster füllen
und die Gesichter mir erkennbar sind,
fehlt mir der Laut, mich ihnen zu enthüllen,
weht mich an Seßhaftem vorbei der Wind,
spielt er mit mir wie mit verwelktem Laube,
das längst entblättert in den Abgrund treibt,
daß alles, was ich liebe, was ich glaube,
als morsches Strandgut auf der Strecke bleibt.
Denn hier ist nichts, dem es Verwandtes brächte,
sie sind in ihrem trägen Totsein reich,
die Sterne ihrer geisterlosen Nächte
sind niemals meinen Angstgestirnen gleich.
Auch das geringe Gut, das wir doch lieben,
Besonderheit der Hausung, des Verzehrs,
das Schnäpschen abends zwischen sechs und sieben,
der Trubel dann des wimmelnden Verkehrs,
was unsrer Welt in all dem fremden Treiben,
wie Tod dem Leben, doch zu gleichen scheint,
bleibt Schein. Wir stehn vor blinden Fensterscheiben,
im Tod noch mit dem Toten nicht vereint,
in jeder fremden Ortschaft leeren Gassen
aufs neue ohne Zuversicht und Halt.
Und weiter wandert, von sich selbst verlassen,
mein Leben in verwandelter Gestalt.


05. 10. 1936

Herbstliches Sterben

Der Wind wühlt in der Wälder goldnem Vließ
sie mitzureißen in sein wildes Schweifen;
es fallen aus dem Laub die überreifen,
die letzten Früchte, die das Glück uns ließ.

Herbstsonne gibt der Welt den Abschiedskuß,
noch einmal sich die Zärtlichen umfassen.
Dann sind die Lauben öde und verlassen,
kein Lampion mehr schaukelt auf dem Fluß

Es fand das All sich eine Höhle, Nacht,
um ungesehn sein Sterben zu vollbringen;
schon hält der Engel mit den schwarzen Schwingen
am Weg ins Winterliche schweigend Wacht.


24. 10. 1936

Meiner Träume Totentanz

Meine Toten sind im Traum behende,
wieder mich zu kränken, zu erfreun:
niemals kommen wir zu einem Ende,
nächtlich wird sich unser Spiel erneun.
Wieder will ich meinen Feind gewinnen,
aber er bleibt fremd und unbestimmt;
das Gespräch muß ewig dort beginnen.
wo er mir mein Selbstvertrauen nimmt.
Schließlich geht er wieder wie vor Jahren
ohne Abschied aus der letzten Nacht,
und ich werde nimmermehr erfahren,
welchen Vorwurf mir sein Schweigen macht.
Gegenüber sitzt mit Glas und Karte
meines Vaters Bild und trinkt mir zu;
doch auf deren Trost ich nächtlich warte,
meine Mutter hat Gewissensruh
in dem Schattenreich noch nicht gefunden,
wie gehetzt eilt sie an mir vorbei
und ist, nicht zu halten, schon entschwunden.
Zitternd wach' ich auf von meinem Schrei
und vermag doch nicht zu unterscheiden,
was gestorben ist, und was mir lebt.
Meinen Wachtraum der vergangnen Leiden,
der vergangnen Freuden Duft umschwebt,
und er trägt mich noch einmal hinunter
zu den Gärten, wo das Tote blüht:
wieder ist mein Freund unheimlich munter,
der von bösen Trunkenheiten glüht.
wieder wird sein Stolz sich überheben,
wieder pflichte ich ihm ängstlich bei,
wieder eilt an unserm leeren Leben
meine Mutter ohne Gruß vorbei.
Was wir einst entbehrten, was wir hatten,
gibt sich meinem Traum gespenstisch hin,
und die Toten werden mich umschatten,
bis ich selber ihresgleichen bin.


04. 12. 1936

Gebet um Rettung vor der Flut

Gott, laß mich abseits gehn, wenn dies geschieht,
das große Morden, das sie vorbereiten,
laß mich mit der Geliebten und dem Lied
über das Blutmeer trocknen Fußes schreiten!
Gib einem deiner Engel das Geheiß,
auf eine ferne Insel uns zu bringen,
die nichts vom Irrsinn unsrer Welten weiß,
wo Vögel paradiesisch uns umsingen,
wo wieder wie ein heiliges Gebet
sich Tag und Nacht in deinen Frieden fügen,
wo über meinem Schlummer segnend steht
dein Angesicht mit meines Vaters Zügen,
und ich bin wieder dein bewahrtes Kind
und darf dem Guten kindlich gläubig bleiben,
denn alles Wüste rüttelt nur als Wind
ohnmächtig draußen an den Fensterscheiben.
Ich aber im Gehäus mit Frau und Buch
kann Andacht im Versteck der Verse halten
und unberührt von dieser Zeiten Fluch
den Widerstand der Rechtlichen gestalten,
im Wirtshausgarten bei dem Glase Wein
an rosenfarbenen Eidechsenmauern
mit der Geliebten und dem Lied allein
das große Morden schuldlos überdauern,
indes die Welle an das Ufer schlägt
mit der Gewißheit ewigen Bestandes,
die Sonne über das Gebirg sich trägt
abseits der Schlachten des verworfnen Landes.
Bis einst ein Vogel, der von weither flog,
auf meinem Fensterbrett beginnt zu singen
mit einem frommen Ton, der niemals log,
daß längst die Jahre des Verfalls vergingen,
daß aus der abgelaufnen blutgen Flut
die Heimatfluren wieder blühend steigen
und uns ihr unverwüstlich reiches Gut
in alter Herrlichkeit und Milde zeigen.
Laß mich nach Hause gehn, wenn dies geschieht,
zurück in die vertrauten Friedlichkeiten,
laß mich mit der Geliebten und dem Lied,
Gott, in das mir Gemäße schließlich schreiten!


 Ende 1936

Absage ans vergangene Jahr

Das vergangne Jahr sei ganz vergessen,
aus dem Buch des Lebens ausgerissen,
niemand soll von ihm die Ziffer wissen,
denn ich habe nichts in ihm besessen,
nichts, was Wohltat mir gewesen wäre
oder leidlich mich getröstet hätte.
Nein, es trieb von Stätte mich zu Stätte
immer schlimmer in das Ungefähre.
Glaubte ich ein Angebind zu halten,
wurde es aus meiner Hand geschlagen.
Aus verlornen Abenden und Tagen
konnte sich kein Segensjahr gestalten.
Das Ersehnte mußt ich mir versagen,
was mir zukam, wurde mir entwendet.
Wie es anfing, hat das Jahr geendet,
mit Enttäuschungen und Niederlagen,
deren Bitterkeit ich fast noch schmecke.
Doch jetzt will ich sein nicht mehr gedenken
und das tote Jahr so tief versenken,
daß auch sein Gespenst mich nicht mehr schrecke.


Januar 1937

Begrüßung eines neuen Jahres

Wieder stehn wir am Grab eines Jahres und schweigen,
weil es keinem von uns etwas Gutes erwies;
aber des kommenden Züge, die fern sich schon zeigen,
sie verheißen vielleicht uns das Paradies.
Eh wir uns vorbehaltlos ihm hoffend ergeben,
sei noch leis unsrer Toten in Liebe gedacht,
die das vergangene Jahr aus unserem Leben
mit sich nahm in die alles vernichtende Nacht:
ihnen als Trankopfer seien die dunklen Schlucke
unsres ersten Glases Wein geweiht
oder der scharfe Schnaps, der mit einem Rucke
uns und sie von verlogener Rührsal befreit.
Denn sie sind gerettet und nicht zu beklagen,
freuen sich nun schon, auf selige Inseln entrückt,
während uns noch die Angst vor all den Plagen
dieses von Gott verlassenen Erdraums bedrückt.
Sie zu verscheuchen, greifen wir wieder zum Glase,
und mit Bittrem sei Bittres hinuntergespült,
alle Furcht vor Bomben und giftigem Gase,
auch die Verlassenheit, die jetzt der Friedliche fühlt,
um desto zuversichtlicher dann in das Neue,
in die verheißene läuternde Klärung zu gehn
und ohne Bitternis, ohne Begierde und Reue
alles Gewesne endgültig versinken zu sehn,
aus dem Schlamm der Verwilderung, aus dem Verderben
aufzuerstehn in des Lebens vollkommenen Wert.
Der zertrümmerten Schönheit noch schimmernde Scherben
fügen sich wieder zusammen, unversehrt,
zu dem Gral, bei dem wir uns heil vereinten,
um des Anbruchs erste Begrüßung zu sein.
Alle Tränen, die wir im alten Jahr weinten,
sind im Wunder verwandelt zum Willkommenwein,
mit dem wir nun in vollen Jubelakkorden
den Übergang feiern ins unbelastete Jahr.
Doch, sind wir vom Glück der Erneuerung trunken geworden,
niemals vergessen wir die noch vorhandne Gefahr,
weiter werden wir unser Gelöbnis halten,
wach zu bleiben und Hüter des Ewigen Rechts
und, wie immer die Wege der Welt sich gestalten,
zu bewahren die Würde des Menschengeschlechts.


22. 01. 1937

Frage an das neue Leben

Noch ist mir nichts Gutes im neuen Leben gelungen,
nichts, was meinem Anspruch an Schönheit und Gleichmaß
                   genügt;
das alte hatte. in Fülle umblüht und umklungen,
aus Leichtem und Schwerem sich doch zum Besitze gefügt.

Da holte die Hand aus dein unerschöpflich Vollen
den selten versiegenden Segen des Wohlklangs empor.
Ist nun für immer das alles verweht und verschollen,
liegt es jetzt hinter dem uns versperrten Tor?

Noch streichle ich dankbar das Buch der vergangnen Gesichte,
das mir versiegelte, dessen Trost mir doch blieb,
und warte geduldig auf wieder beglückte Gedichte,
in denen das neue Leben sein Rühmen sich schrieb.

Die Möwen haben es immer in Schwärmen begleitet,
seit ich die Fahrt durch das Unbekannte begann,
daß meine einst kleine Welt sich so wundersam weitet,
wie es der kühnste Traum sich niemals ersann.

Ist es ein günstiges Zeichen oder ein Drohen,
was ihr Flügelschlag und Geschrei mir weist?
Versink ich im Niederen, steige ich auf zu dem Hohen,
führt mich ein feindlicher oder ein guter Geist?

Wird es mich wieder in Fülle umblühn und umklingen,
mit paradiesischem Duft, eine-in Lied, das nicht lügt,
wird mir im neuen Leben das Gute gelingen,
das meinem Anspruch an Schönheit und Gleichmaß genügt?


28. 01. 1937

Letztes Widerstreben

Ich wehre mich, ich will mich nicht ergeben,
nicht eingestehn, daß ich am Ende bin.
Ich hänge noch an dem verfehlten Leben
und suche dem Entwesten einen Sinn.
Ich spiele noch, verlottert und verlogen
ein lächerlich gewordnes Märchenstück
und habe doch uns beide längst betrogen
um das uns zugedachte bißchen Glück.

Sogar das Gute, was uns nun beschieden,
verleugne ich selbstquälerisch verstockt:
statt mich zu freun am noch gewährten Frieden,
bin ich von jeder bösen Lust verlockt,
die mich zurück ins längst Verpönte steuert
und nach schon schal Gewordnem dürsten macht,
nach einem Glanz, der niemehr sich erneuert,
nach einem Land, das doch versank in Nacht.

Die Stimmen, die aus dem verlornen langen,
beneiden mich, daß ich ihm heil entkam:
was einst es würdig schmückte, ist vergangen,
und übrig blieb der Ekel und die Scham.
Als könnt ich es wie damals wiedersehen,
gibt meine Sehnsucht sich dem Toten hin.
Ich wehre mich, mir tapfer zu gestehen,
daß ich noch einmal jetzt am Anfang bin.


12. 02. 1937

Die Gesichter

Und schließlich sieht man sich die Menschen satt,
die paar Gesichter, die sich wiederholen,
als wäre eins vom anderen gestohlen:
das leere, wie ein unbeschriebnes Blatt;
das andre, durchgestrichen kreuz und quer,
als ließe ein verzweifelt böses Wesen
uns wie zum Hohne seine Runen lesen
und mache ihres Sinnes Deutung schwer.
Vielleicht lockt noch ein Frauenangesicht,
das Ungewisse mädchenhafter Mienen,
von einer Märzensonne sanft beschienen,
und rot Erregendes im Rampenlicht.
Vielleicht ist noch um einen Greisenmund
ein wenig, was uns angeht, zu entdecken,
läßt uns der Haß im fremden Blick erschrecken,
tut uns ein wehes Lächeln Tiefes kund.
Was hilft es? Schließlich wird auch dies zuviel:
man hat von alledem genug erfahren.
Der Maskenzug aus allen Lebensjahren
verblaßt zu einem fahlen Schattenspiel.
Wenn es versinkt, wird mir im Spiegel dann
das eigne Antlitz gegenüber bleiben
als ein vertrauter Freund in all dem Treiben,
daß man die Einsamkeit ertragen kann.


28. 03. 1937

Österliche Zuversicht

Ich warte auf das österliche Werden,
des neuen Frühlings grünes Auferstehn,
die Wiederhehr der jungen Lämmerherden,
der Liebespaare in den Parkalleen.
Schon blüht es schüchtern an geschütztem Platze,
schon schwebt der Sang der Vögel festlich hell,
sonnt mittags auf dem Fensterbrett die Katze
ihr nicht mehr winterliches, neues Fell.

So will ich mich in deinem Lächeln sonnen,
als hätte wieder sich mein Glück verjüngt,
als hätte auch für mich der Lenz begonnen,
daß uns des Tages Last erträglich dünkt.
Die Winde wehen südlichere Wärme,
darin die Welt als Liebes-Schaukel schwingt,
und aus der Straßen wieder heitrem Lärme
das Lied der großen Lust am Leben klingt.

Wir hatten fast die Weise schon vergessen
und wagten kaum noch, unbeschwert zu sein;
nun setzen wir, das Ostermahl zu essen,
uns fröhlich an den Tisch zu Lamm und Wein.
Die Primeln prangen farbig in der Vase,
auf weißer Tafel flammt der Strahlen Tanz,
und feierlich mit frischgefülltem Glase
begrüßen wir den Auferstehungsglanz.

Er darf nicht wie der Winterschnee vergehen,
sobald die Woche sich der Lust entwöhnt,
des Alltags graue Wände uns umstehen
und keine Osterglocke mehr ertönt.
Im Sinn uns bleiben soll des Lenzes Klingen,
um unsre Welt dies helle Erstlingslicht,
daß wir vereint das ganze Jahr verbringen
in österlich verklärter Zuversicht.


07. 04. 1937

Der Klang der Glocken

Den Klang der Glockenschläge hör' ich gern,
wenn eine Turmuhr nächtlich zählend hallt:
ich liege wach, im Fenster steht mein Stern,
Erinnerung mich wieder sanft umwallt.
Den heimatlichen Schall glaub' ich zu hören,
wenn er die Zwölf warf in der Gassen Schlaf,
als könnte er noch einmal mich betören
wie einst, da ich den Freund am Brunnen traf
und wir die langen Nachtgespräche hatten,
in die von Zeit zu Zeit die Turmuhr rief,
und oben hinterm Vorhang huschten Schatten
im Gasthauszimmer, wo die Fremde schlief.
Jetzt bin ich hier der Gast auf fremder Erde,
vom Heimatboden durch das Meer getrennt,
und wenn ich morgen früh erwachen werde,
grüßt mich Musik, die meine Sehnsucht kennt,
gleich jenem Glockenspiel der Stadt am See,
das dem Verbannten schon so tröstlich klang
und über Giebeln voller Märzenschnee
das Banner seiner Sonntagsbotschaft schwang.
Und manchmal läßt mich Krankheit nachts nicht schlafen,
dann sinn' ich allem Überstandnem nach
und sehne mich nach einem sichren Hafen,
und wieder läutet es durch mein Gemach,
ein Chor, in dem die Glocken sich vereinen,
die da und dort ich Tag und Nacht vernahm,
in dem die Schmerzen aller Wesen weinen,
um deren Freundschaft ich allmählich kam.
Doch einst wird mir die Stimme milder klingen.
die oft mich jetzt mit Strenge ehern schreckt;
und schließlich mich in einen Schlummer singen,
aus dem nichts Zeitliches mich mehr erweckt.


12. 04. 1937

Der bedeutungsvolle Augenblick

Jetzt weiß ich, daß er damals einsam starb,
als mich die unsichtbare Hand berührte,
die mich aus dem Gewühl der Straßen führte,
wo ein Plakat für eine Ware warb,
der Zeitungshändler eine Nachricht schrie,
mich Frauen mit dem Duft der Kleider streiften,
daß meine Sinne voll Begier ausschweiften,
beschwingt von geiler Frühlingsmelodie.
Und ich, trotz meiner Jahre, war bereit,
mich jeder neuen Lockung hinzugeben,
zu fliehn ins abenteuerliche Leben
aus dieser überfälligen Ehrsamkeit.
Schon folgt' ich blindlings einem schlanken Bein,
da spürte ich die Hand mich sanft umfassen,
mich abseits ziehn zu unbelebten Gassen,
und fand mich plötzlich schauerlich allein,
einsamer, als bei Nacht verirrt im Tann
sich hoffnungslos von Baum zu Baum zu tasten,
so einsam, wie man nur im Großstadthasten
sich in der Welt verlassen fühlen kann.
So einsam, daß mir jede Lust verdarb;
die Sehnsucht nach dem Schönen ward zuschanden,
der ferne Freund auch kam mir längst abhanden.
Jetzt weiß ich, daß er damals einsam starb.


25. 04. 1937

Neuer Frühling

Die Gartenzäune werden frisch gestrichen,
es riecht nach Farbe und nach Lenzbeginn,
und was der Wind bewahrt vom Winterlichen,
verliert allmählich Wichtigkeit und Sinn.

Die schönen Frauen wagen sich ins Freie,
zu leicht bekleidet schon, und frieren sehr;
die schönste lotst mit heisrem Wollustschreie
ihr Hündchen durch den tödlichen Verkehr.

Die Omnibus-Chauffeure schmettern heiter
ein Lied, wie Sieger strahlend, hoch vom Bock.
Ein Roß geht närrisch durch mit seinem Reiter.
Buntscheckig sprüht der neue Häuserblock.

Sogar das Elendsviertel will sich schmücken:
an trüben Fenstern grüßt ein junges Grün,
und meine Hoffnung baut sich Blumenbrücken
zur Sommerinsel, wo die Rosen blühn.


01. 05. 1937

Diese Stunde

Diese Stunde jetzt kommt nie mehr wieder,
diese nächtliche, die mich beglückt:
friedlich lebe ich für meine Lieder,
von der Zeiten Drohung nicht bedrückt,
noch geborgen vor dem Weltgerichte,
das vielleicht schon morgen mich zerstört,
während beim vertrauten Lampenlichte
heut die Stunde mir allein gehört.
Heut noch darf ich Bier und Schnaps genießen,
sieht das Katzentier mir freundlich zu;
meines Werkgehäuses Fenster schließen
gut und sichern mir die Schaffensruh.
Friedlich schlafen drüben schon die Meinen,
ihre Liebe spür' ich mich umwehn.
Unser aller Los darf ich beweinen,
ohne sie zu ängsten, ungesehn;
ohne daß es mich zu schwer belastet,
aus der Trauer reift mir ein Gedicht.
Eines blinden Schöpfers Hand betastet
aus der Ferne zärtlich mein Gesicht.
Dennoch blutet heimlich schon die Wunde,
scheint auch meine Nacht noch unversehrt,
die Gewißheit, daß mir diese Stunde
und ihr Wesen nie mehr wiederkehrt.


08. 03. 1937

Genugtuung

Solang es alles das noch gibt:
den Park, die Bilder, die Gedichte,
die Frau, die mich unendlich liebt,
das Abendglück beim Lampenlichte
mit Rundfunk, Katze, Buch und Trunk,
und nächtlich wohl geborgne Stunden
am Schreibtisch voll Erinnerung
an längst vernarbte alte Wunden,
an längst gebüßte alte Lust,
an längst zum Lied gewordne Leiden,
davon der Traum in meiner Brust
ganz ohne Reue konnte scheiden
(vielleicht noch einmal wird verliebt
man wie in Jugendtagen glühen ...)
solang es alles das noch gibt
und wir uns hoffnungsvoll bemühen
in Ehren unser Werk zu tun
und unsrer Weisung treu zu bleiben,
solang wir Seit' an Seite ruhn,
berührt uns nicht das wüste Treiben,
das draußen sich gewaltig wähnt,
anmaßend an den Fenstern rüttelt,
mit Raubtiermaule, wildgezähnt,
die Mähne furchterweckend schüttelt,
doch nur gespenstisch uns entsetzt
als Wahn, dem wir nicht angehören,
und wird im Amoklauf zuletzt
vor unserm Tor sich selbst zerstören.
Wir aber, im vertrauten Raum

des Friedens auch auf fremdem Boden,
gefaßt in Wirklichkeit und Traum
vor Daseinsangst und Seelentoden,
was kann uns Böses noch geschehen,
wenn wir auf unsern Stern vertrauen,
getreu zu unsrer Losung stehn
und friedlich unser Feld bebauen?
Solang es alles das noch gibt,
sind unsre Jahre nicht verloren,
wird aus dem Leben, das uns liebt,
der Zukunft guter Geist geboren.


 

Fortsetzung der Gedichte Teil II