Die zehn Sonette für Franziskus
El Greco - Hl. Franziskus und Bruder Leo,
über den Tod meditierend. 1596-1601
Verlag A.R. Meyer
Berlin-Wilmersdorf
Juni 1911
Inhalt
Die zehn Sonette für Franziskus
Mit Blüten wollte ich Dich überschütten
Bleiche Rosen schimmern durch tief dunkle Gärten ...
Nur Deine Hände, Deine weißen Hände
Die Mädchen sitzen still und lächeln viel
Wir wollen näher aneinander rücken
Ich greife in den Himmel hinein
Wir saßen auf den Knieen stummer Greise
Doch eines Abends siehst du dich in Gassen
Nun werden die Nächte bald tiefer und stummer
Einen Hof, so grau und eng und öde, nenn ich meine Trauer
Die Katzen kreischen auf den Treppen
Die Gassen so eng, und die Gärten so still
Im Anfang war es, daß ich noch blind und blöde war
Und plötzlich sind, die Dir die Liebsten waren
Ich wandle um das Heimatsnest bedächtig
Vielleicht muß es sein, daß ich so vertiere
Ich fand mich Nachts in einem weiten Raume
Nun, da es Abend, laßt uns wieder reden
Für Kaete van Biema
Ist dies mein Leben noch? .. . Ich weiß es nicht...
Und ist mein Leben nicht in diesen allen
Und war in meiner Mutter Mädchenbangen
Auch träumte ich von Kronen und von Krücken
Auf Bergen stand mein Geist in dieser Nacht
Dies alles: Weiden, Felder voll Kamillen
Erst wenn du dann ganz fremd bist allen diesen
Ich weilte unter Menschen schon zu lange
Denn wollt' ich zu Euch reden, müßt' ich prahlen
Die vielen Katzen, welche um mich sind
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22. - 23. 05. 1910
Ich sehe einen schmalen Purpurstreifen
Hinrieseln über meines Thrones Stufen,
Und während rings im Saal sie »Vivat« rufen,
Muß ich verstohlen knien und danach greifen.
Da muß ich grüßen, was die Brüder schufen,
Und weiß die Saat der schweren Stunden reifen
Und sehe sie die Schlachten-Sicheln schleifen
Und sehe einen Tanz von Silberhufen …
Doch Du stehst neben mir mit wehem Lächeln
Und weisest mir die Wunden deiner Hände
Und in der weißen Stirn die Dornenmale.
Indeß die Pagen trotzig Kühle fächeln,
Und Weihrauch duftet um die Feuerbrände,
Und aller Jubel lauter singt im Saale.
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Daß eine Welt uns von den Brüdern trennt,
Und müssen dennoch immer »Brüder« sagen,
Und daß wir alle ihre Leiden tragen,
Und all ihr Sehnen uns im Herzen brennt;
Und alle ihre ungestillten Fragen,
Und was ihr Sinn mit Schrecken nur erkennt,
Daß alles dieses unser Geist benennt,
Und ihre Wunden noch uns Wunden schlagen:
Das trägt die Schuld, daß wir nun stets gefangen
Oft Frieden schließen, wann wir kämpfen müßten,
Und sind verwirrt und zag und aufgelöst
Und haben vor dem Morden stets ein Bangen,
Und ist uns oft wie Schwachen, Mattgeküßten,
Und schämen uns, als ständen wir entblößt.
Sie haben immer Stein auf Stein gelegt,
Und keiner hat ein Lied dabei gesungen.
Sie haben schweigend mit dem Raum gerungen,
Und ihre Mienen blieben unbewegt.
So haben sie zum Himmel sich geschwungen,
Kein Leid und keine Lust hat sie erregt -
Und haben still den Meißel weggelegt
Und sprachen wie im Glück: »Es ist gelungen!«
Doch Einer kam, der trug in seiner Hand
Die goldne Kugel und die Blütenkränze
Und alles, was die Kinder sich erbaten,
Und schwang die Fahne übers ganze Land
Und führte ihre freien Freudentänze. -
Sie aber schritten stumm zu neuen Taten.
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Wir tasten uns verschüchtert hin gleich Blinden,
Die in sich doch des Lichtes Fülle haben,
Um unsre Stirnen flattern scheue Raben
Und krächzen Lieder mit den rauhen Winden.
Wir hören viele Schritte um uns traben
Und sorgen, ob wir je den Garten finden,
Wo uns der Friede lächelt unter Linden.
Doch plötzlich nahen feierliche Knaben,
Und führen schweigend uns durch tiefe Gänge
Zu einem Brunnen, drin das Silber rinnt,
Und schwinden stumm und trauernd, wie sie kamen.
Da schmecken wir verschmachtende Gesänge,
Und jeder steht in schwerstem Schmerz und sinnt
Und prägt in sich der letzten Dinge Namen ...
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Die Pfauen schreien von den Höhen immer,
Und gelb und drohend stürzt der Fluß hinab,
Und wie ein dumpfes, schwer verhülltes Grab
Ist plötzlich unser allzu enges Zimmer.
Und längst vergessen ist der Wanderstab,
Und niemand kommt mit einer Lampe Schimmer,
Und immer ist dicht neben uns Gewimmer
Wie von Gebärenden ... O graues Grab!
O graues Grab, das sind so deine Stunden,
Da wir enttäuscht und voller Ängsten sind,
Und jeder Sonnenschein ist ganz entschwunden.
Und fühlen uns geknechtet und gebunden,
Und wird zur Geißel Regen uns und Wind,
Und Pfauenschrei und Alles schlägt uns Wunden!
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Zu Zeiten gehn wir aus dem Kreis der Strengen,
Der bleichen Selbstzerwühler und Asketen
Und treten unter lärmende Proleten,
Die lauter sind und sich ins Volle mengen,
Und wir verlassen jene, die da beten
Zum Gott in ihrer Brust und sind im Engen.
Und gehn zu denen, welche morden, sengen
Und alles Stille unter sich zertreten.
Und bleiben dann bei ihnen kurze Zeit,
In Nächten voll Verachtung, Scham und Trauer,
Und sind totwund und weh von ihren Taten
Und so beschmutzt von ihrem Pöbelstreit -
Und kehren wieder hinter unsre Mauer
Voll Reue, Allein fremd und wie verraten ...
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In meinen Händen liegt das nackte Schwert,
Mit dem ich schlage und geschlagen werde,
Denn nirgends ist ein Ding auf dieser Erde,
Das nicht an sich den eignen Sold erfährt.
Und einstens bin ich wie die junge Herde,
Die in der Nacht der Knecht des Herren schert
Und wenn der Tod des Zitternden begehrt,
Bleibt nur des Sterbens ängstliche Gebärde:
Das nackte Schwert stumm an die Brust gepreßt,
Und fühle, wie sich jäh das Auge schließt,
Da zur Erfüllung kommt das große Morden.
Und halte noch ein letztes Leuchten fest,
Das über meinen Stahl sich scheu ergießt -
Und plötzlich ist mir neues Land geworden ...
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So fahren wir in ärmlich engem Kahne
Verstoßene und ausgesetzte Jünger,
Des Herren Ring erglühend uns am Finger,
Ich mit dem Buch und Du mit seiner Fahne.
Und fühlen uns als Herrscher und Bezwinger,
Als Fürsten in Kapuze und Sutane;
Doch ist ein Ziel gesetzt dem flüchtigen Wahne,
Das unser Stolz gering macht und geringer:
Dann möchten allzugern wir sicher landen
In stillem Hafen, wo die Tauben nisten
Und Sonne spiegelt auf verklärten Zinnen,
Und müssen bleiben in den bittren Banden
Und wie Verstoßene das Dasein fristen,
Die nie sich ihres Sehnens Preis gewinnen.
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Warum wir stets das Heimatliche schmälen
Und gehen mit der Miene der Verächter
Und sind des eignen Glückes niemals Wächter
Und immer uns mit schwerem Grame quälen,
Und liegt in uns unheimliches Gelächter:
Warum wir so verdammtes Los erwählen,
Warum? ... Was frommt ein stammelndes Erzählen
Von Schütz und Opfer, Dulder oder Schlächter!
Wer fühlt, wie uns die eigne Sichel trifft,
Wen drückt die Last des selbstgewählten Zwanges,
Da unheilvoll der wehe Stolz sich rächt!
Wer trinkt, wie wir, des eignen Unmuts Gift,
Wem wird zur Qual die Mühe seines Ganges,
Wer ist, den seine Macht und Stärke schwächt!
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Und immer haben wir das Wort »vielleicht ...«,
Damit wir selber tröstlich uns belügen,
Mit dem wir leidlich unsern Haß betrügen
Und unsre Liebe, die entmutigt schleicht.
Dies Ungewisse liegt auf unsren Zügen
Als Schatten, welcher nie der Sonne weicht,
In dem Enttäuschung und Genuß verbleicht
Und jedes Leid und lockende Vergnügen.
Und immer sind wir seltsam fremd und krank
Und spielen lächelnd, schlaff mit den Geschicken
Und sitzen wie Entseelte, starr und kühl,
Als welchen niemals eine Tat gelang,
Wie tote Götter mit fern fernen Blicken
Und dem »vielleicht ...« im fröstelnden Gefühl.
12. 06. 1910
Das elfte Sonett.
Für Margot
Als nun die Männer lange schweigen wollten
Und fühlten schon der Zukunft stumme Qual,
Ward ihre Sehnsucht Fleisch mit einem Mal
Und trat zu ihnen, die dem Gott schon grollten.
So ward das Wunder vom erlauchten Gral
Geschenkt den Zagen, die wie Kinder schmollten,
Als sie ihr schwerstes Schicksal tragen sollten,
Und auf ihr Kleinliches fiel hell ein Strahl:
Der Strahl der Gnade traf sie plötzlich groß,
Und Wunder wurden ihnen gottgeweiht
Und Herrlichkeiten ohne Zahl gegeben,
Denn DU standst vor uns, und in Deinem Schoß
Lag leuchtend Lust und Leiden aller Zeit,
DU, kleines Mädchen und DU, großes Leben!
1906
.Mit Blüten wollte ich Dich überschütten,
Mit weißen, flatternden, duftigen Flocken,
Die Dich wie Amoretten umgaukelt,
Tändelnd um Nacken und Brüstchen geschaukelt,
Und zärtlich gestreichelt die goldigen Locken …
Ich ging durch ein Dorf, auf dessen Hütten
Die Sommersonne versengend brannte;
Wo vor verhängten Fenstern in Scherben
Kranke Blumen fiebernd versterben - - -
Der ich Dein jauchzendes Lachen kannte!
Ein Teich träumt da, ein totes Auge.
Umsäumt von dürren, verwelkten Kressen,
Ein ausgestorbener Saal, ohne Zecher.
Bienen umsummen die leeren Becher - -
Könnt ich Dein jauchzendes Lachen vergessen!
1906
.Bleiche Rosen schimmern durch tiefdunkle Gärten ...
Kleine Mädchen mit großen, scheuen Augen
Blinzeln nach knospenden, weichen Jünglingsbärten,
Gleich wie Falter an samtenen Blüten saugen.
Schwere Lieder träumen an murmelnden Strömen -
Und die Mädchen schreiten schneller und kichern ...
Plötzlich errötend, wie wenn sie im Herzen sich schämen,
Blättern sie hastig in ihren frommen Büchern.
Abends im Saale entkleiden sie sich verlegen,
Jede zittert und bangt in seligem Wissen,
Bittet die Jungfrau Maria um ihren Segen
Und preßt das glühende Antlitz tief in die Kissen.
1909
.Nur Deine Hände, Deine weißen Hände
Und alles, was in ihnen weint und lacht!
Wenn ich Dich eines Abends - Ally - schände,
So zittern sie wie Vögel in der Nacht.
Ach Deine Hände mit den Silberringen,
So schmal, so leuchtend wie aus Elfenbein, -
Wie Deiner Laute Lieder weicher klingen ...
O Myrrhen und Krystall im goldnen Schrein.
O meines Herzens tiefste Feuerbrände,
O jedes Lied, das Sehnsucht mir erdacht
O Deine Hände, Deine weißen Hände,
O alles, was in ihnen weint und lacht!
26. 01. 1910
.Die Mädchen sitzen still und lächeln viel
Und flüstern unter sich und sind verlegen,
Wär' einer jetzt von uns so recht verwegen,
Es wäre ihm ein leichtes Liebesspiel....
Die Mädchen trippeln schüchtern hin und her,
Wie aufgescheuchte Vögel, und erröten;
Wir aber blicken ernst, als wie zum Töten,
Und stehen steifer da und seufzen schwer....
Die Mädchen werden nun nach Hause gehn,
Etwas enttäuscht und in geheimem Kummer;
Uns aber flieht in dieser Nacht der Schlummer,
Indes wir stets die Holden vor uns sehn....
1908
.Wir wollen näher aneinander rücken,
Noch näher. . so! nun gib mir Deine Hand!
Sahst Du im Sonnenstrahl den Tanz der Mücken,
Bis ihnen, allzu schnell, die Sonne schwand ...
Mich fröstelts noch - auch meines, Deines Lebens
Tänzelnde Spiele sterben bald in Nacht! -
Noch faß ich Dich und halte Dich - vergebens!
Die Stunde eilt, da wir uns, jäh erwacht,
Nach dieses Traumes Glück noch trunken bücken. .
Vorbei! - einsam, wie kalt! - Die Sonne schwand!
Wir wollen näher aneinanderrücken,
Noch näher.. so! - Und gib mir Deine Hand.
1906
.Ich greife in den Himmel hinein,
In die weißen Wolkenfahnen,
Die sind so frühlingsduftig, so rein,
Wie lachende Röckchen im Sonnenschein,
Und lassen mich Wunder ahnen!
Da ist besonders ein lustiges Paar,
Zwei aufgeblähte Bengel! -
Vielleicht sinds Mäntel, wunderbar,
Vielleicht - - zwei Spitzenhöschen gar
Von einem Posaunenengel.
Patsch! ich tappe tief hinein,
Verflogen ist der Schimmer …
Mir wird verteufelt feucht ums Bein,
Bloß Illusion! Das ist gemein!
So geht mirs im Himmel immer!
1909
.Wir saßen auf den Knieen stummer Greise,
Und ihre Hände wühlten uns im Haar,
Und rings war tiefstes Schweigen wunderbar,
Wir aber dünkten selig uns und weise.
Doch als das neunte Jahr vollendet war,
Da schieden wir aus diesem goldnen Kreise
Und zogen aus zur weiten Weltenreise
Und hielten uns zur großen Pilgerschar:
Die schweigend leiden, die in ihrer Hand
Nur einen Eichenstab und Zehrung tragen.
Staub liegt auf ihrem armen Büßerkleide.
Sie wandeln langsam hin, als wie gebannt,
Durch Dörfer, Wiesen, Wogen von Getreide
Und können niemand ihre Heimat sagen ...
16. 12. 1909
.Doch eines Abends siehst du dich in Gassen,
Die Du noch nie betratest. Tiefe Keller ...
Da scheinen alle Dinge Dich zu hassen,
Und unwillkürlich gehst Du schaudernd schneller.
Dann mußt Du Dich durch niedre Bögen bücken,
Und Kinder werfen kreischend Dich mit Steinen,
Ein schlimmes Wort ist hinter Deinem Rücken,
Dir ist, als müßtest Du verzweifelt weinen …
Und lange dunkle Gänge wie zum Sterben,
Ersticktes Wimmern hinter schwarzen Scheiben,
Verstohlne Winke, feig, wie ins Verderben,
Und Schreie, die in Deiner Seele bleiben -
07. 1909
.Nun werden die Nächte bald tiefer und stummer,
Und die Tage kauern sich angstvoll zusammen.
Wir aber liegen in lastendem Kummer
Um unserer Wünsche verglimmende Flammen.
Kaum, daß bisweilen ein Stern aufleuchtet
Und weh erbebt und dann niedergleitet ...
Die Stirnen glühen uns weinbefeuchtet,
Indes die Seele in Trauer hinschreitet …
Sieh, unsere Seelen sind wie die Nächte,
Wie die Nächte im Spätherbst, die stummen, matten,
Und es ist, als ob jeder sein Leben hinbrächte
Zwischen einsamen, steilen Wänden von Schatten ...
1908
.Einen Hof, so grau und eng und öde, nenn ich meine Trauer:
Hier in schwerer, schreckhaft tiefer Nacht, die düster lastet, schleifen
Meine Leidenschaften ihre Ketten hinter hoher Mauer.
Ihre magren Hände zitternd nach den Sonnenstrahlen greifen …
Fern herüber tönen Lieder,
Hüpfend frohe Walzerweisen,
Drüben lachen Wiesen, und der Himmel will sich nimmer trüben:
Wogt das Leben auf und nieder, Wünsche frei ins Weite reisen,
Jubel, Leben groß und frei. ..- fern – drüben!
Doch mühselig stöhnend und verzweifelnd düster immer schleifen
Meine Leidenschaften ihre Ketten hinter hoher Mauer,
Ihre magren Hände zitternd nach den Sonnenstrahlen greifen
In dem grauen, engen, öden Zuchthaushofe meiner Trauer.
1910
.Die Katzen kreischen auf den Treppen -
Und alles wieder totenstill.
Und dann ein Schleifen wie von schweren Schleppen ...
Plötzlich ein Schrei – schrill!
O wüßtet ihr, daß solche Nächte
Die Seele treffen wie ein Schwert!
Wie oft ward mir beschert,
Was meine Siege immer schwächte!
Ich gehöre ja zu denen,
Die ihr Haupt gesenkt tragen müssen,
Und es gibt für mich kein erfülltes Sehnen
Und kein Vergessen in goldnen Genüssen.
Nur ein Reichtum verpesteter Schrecken
Und immer etwas, das mich totschlagen will.
Eine Angst vor qualvoll schreiendem Verrecken.
Alles so entsetzlich totenstill! So totenstill!
1908
.Die Gassen so eng, und die Gärten so still,
Das Städtchen wie in Träumen,
Wie wenn ein Totwunder sterben will,
Ein Weinen bebt in den Bäumen …
Der Regen weint: Vergib ... vergib ...
Wie Tränen eines Kindes -
Ein Mädchen hatte mich so lieb - -
Das leise Singen des Windes:
Der Wind singt leise ein altes Gedicht
Von bald verflogenen Träumen -
Am Tor erlischt das letzte Licht,
Und Weinen bebt in den Bäumen....
08. 11. 1909
.Im Anfang war es, daß ich noch blind und blöde war,
Und daß ich mich durch einen dunklen, engen Gang tastete,
Und daß es rings um mich kalt und kahl und öde war,
Daß ich nur immer voll Furcht war und betete und fastete …
Aber dann kam es so, da ich fühlte, wie ich verlassen war,
Und daß ich nicht durch die freie, offene Welt wandelte,
Da ich dann eine Türe fand und bald in den großen Gassen war
Und sehend wurde und stolz war und lachte und handelte!
Bis ich eines Tags oder eines Nachts wieder an meinen Füßen, oh!
Ketten fand, schwere Ketten, und kein Morgen sich rötete
Und kein Abend mir, nie, nie! Und ich muß wieder büßen, oh!
Fasten, beten und büßen! Oh, daß einer käm und milde wär und mich tötete! --
Sommer 1910
.Und plötzlich sind, die Dir die Liebsten waren,
Entglitten, nicht entglitten nur, Verhaßte
Und mehr als Fremde Dir und harte Feinde.
Du aber stehst wie Einer, der verpraßte
Den ganzen, goldnen Reichtum, ließ ihn fallen
Verträumt aus müden Fingern, ihm verblaßte
Die bunte Wunderwelt der Himmelshallen,
Und als er endlich ahnungslos erwachte,
Sah er sich einsam durch die Oede wallen.
Und was ihm schmeichelte zuvor, verlachte
Ihn nun und stand mit abgewandten Mienen
Voll Spott, der seiner nur im Grimm gedachte.
Denn die Dir heut noch mit Ergebung dienen,
Sind mehr als Deine strengen Herrscher morgen,
Und übermorgen weißt Du nichts von ihnen
Und stehst verlassen mit Genuß und Sorgen,
Mit Deiner Wollust, Deiner Qual allein,
Und trauernd staunst Du, daß sie von Dir gingen,
Die Dir die Liebsten waren, fern. . so fern!
Und fragend quält Dich namenlose Pein,
Indes sie ihrem neuen König singen - - -
So war es: Einer schenkte mir sein Fühlen
Und tröstete den Gram mit Zaubertönen;
Jetzt kränken seine Briefe, seine kühlen. .
Und Freund war mir des Andern schmale Hand;
Da sah ich sie im Haare einer Schönen
Begehrlich wühlen, und ihr Wunder schwand..
Und Einen liebt' ich, wie man selbst sich liebt.
Bis eines Tags ein Andrer vor mir stand;
Nun weiß ich, daß es keinen Bruder gibt!
Und den ich segnete, wenn er mich schlug,
Des Bild mir göttlich glänzte ungetrübt,
Er kennt mich nicht und ist sich selbst genug ...
So ist es: Einsam steh ich und verwaist,
Die mir die Liebsten waren, - trüber Trug! -
Sind mir so fremd, wie wer vorüber reist,
So fremd, wie Einer, der vorüber reist - - -
Und wenn dann ihre großen Feste sind,
An Sommerabenden die Fackelreigen,
Und alle glücklich: Mann und Weib und Kind,
Steh ich am Fenster in vergrämtem Schweigen.
Doch unten weht der Flammenzug vorbei,
Und Leichte singen unter Blütenzweigen;
Mir aber ist ums Herz so weh, als sei
Dies alles nur ein toter Schattentraum,
Und sind doch Menschen aller Sorgen frei,
Die glücklich taumelnd zwischen Busch und Baum,
Und deren Lichter kleiner bald verschwinden,
Und höre ihr beschwingtes Lachen kaum
Und stehe ungelenk gleich einem Blinden
Verloren fremd im Dunkel, scheu und schwer,
Und fühle, daß ich nie den Weg kann finden
Zu ihrer Menschlichkeit, und bin so leer
An Glücksgefühl und Leichtigkeit und Wärme,
So einsam und verwaist und freudeleer....
14. 02. 1910
.Ich wandle um das Heimatsnest bedächtig
Jedweden Tag, und immer schlürfen Greise
Denselben Weg und lächeln seltsam leise,
Teils stillvergnügt und teilweis niederträchtig.
Und in der Ferne sind die weiten Stätten,
Voll Leben, Brausen, Lüsten und Gefahren,
Mit meiner besten Brüder stolzen Scharen,
Wo wir bezahlter Lenden Feste hätten!
Ich aber wandle täglich ganz bedächtig
Ums Heimatsnest und treffe meine Greise
Und lächle selbst wie sie schon seltsam leise,
Teils stillvergnügt und teilweis niederträchtig ...
1910
.Vielleicht muß es sein, daß ich so vertiere
Als Lump, als Vagant,
Vielleicht muß es sein, daß ich bald verliere,
Was ich kaum fand!
Vielleicht muß es sein, daß ich Skorpionen
Im Geiste trag,
Daß ich euch fühle, ihr Dornenkronen,
Jed jeden Tag!
O Dornenkronen! O Martyrschauer!
O alles dahin!
Vielleicht muß es sein, daß ich so voll Trauer,
So voll Wollust bin!
1908
.Ich fand mich Nachts in einem weiten Raume,
Und viele Menschen gingen ein und aus,
Und alles war mir wie in einem Traume,
Denn nie zuvor kam ich in dieses Haus,
Und nie zuvor saß ich in diesem Saale,
An diesem Tisch, auf dem ein welker Strauß
Hinstarb in häßlich buntbemalter Schale,
Und sah mich um: welch ein Gewimmel rings!
Und wie auf Larven fiel das Licht, das fahle:
Dicht neben mir ein Weib wie eine Sphynx,
Und lehnten müd an ihren Kavalieren
Viel blasse Mädchen, und wie Perlen hings
Von ihrem Haar - Wie sich die Kleinen zieren,
Sie fühlen sich wohl nicht ganz heimlich hier -
Und tiefe Augen übernächtigt stieren ...
Und plötzlich steht ein großer Hund vor mir
Und starrt mich lange an und ist verschwunden.
Und wie ein Schauer kam's von diesem Tier,
Kam über mich, wie ich es nie empfunden,
Ein Staunen, eine Frage riesengroß,
Gleich wie ein Wunder ungeahnter Stunden,
Ein graues Rätsel aus des Wahnsinns Schoß,
Und war doch alles, wie es vordem war,
Die Andern sahen hin und lachten bloß,
Als wäre dies ein Bild nur und so klar,
Sie alle tändelten in leichtem Spiele
Als wie zuvor -. O glücklich leichte Schar!
Ihr lebt das Leben, habt die festen Ziele,
Wir sind wie Kinder, welche immer staunen,
Wir sind so selten, Eurer sind so viele,
Ihr habt Charakter, und wir haben Launen.
Ihr wurzelt wachend festgefügt im Raume,
Ihr lärmt, wir wagen furchtsam nur zu raunen!
Und ist uns immer wie in einem Traume - -
Die bleichen Hände mit den müden Gesten,
Das leise Flüstern in versteckten Gängen,
Der letzte Nachhall von verklungnen Festen,
Des Mondes Schimmer auf verträumten Hängen,
Das zarte Schmecken feinster Süßigkeiten,
Das keusche Lächeln schöner Frühlingskinder,
Der schlanken Mädchen wiegend Walzerschreiten,
Die Abendlieder müder Ährenbinder,
Die Zärtlichkeit von altvertrauten Räumen,
Der Farben buntes Ineinanderfließen: -
Kein Leben! nur ein Sehnen und ein Träumen,
Ein Schatten nur und Träumen von Genießen ...
12. 10. 1909
.Nun, da es Abend, laßt uns wieder reden
Von unsern Träumen und von unsern Liedern
Und dem, was einst auf schillernden Gefiedern
In seinen Himmel führte einen jeden.
Und gib mir deinen Trank und laß mich spenden
In leuchtendem Krystall aus meinem Schreine
Der tiefsten, süßen Schwermut dunkle Weine,
Auf daß die Wonnen sich im Rausch vollenden.
So laß uns auf zum weiten Saale steigen,
Der schwindelnd hoch in Wolken ragt vermessen,
Wo sich die Seelen taumelnd selbst vergessen, -
Und dann verstummen und für ewig schweigen ...
Für Kaete van Biema
Juli 1909
I.
Ist dies mein Leben noch?. . Ich weiß es nicht ...
Die violetten Lämmer in den Zweigen,
Der stumme Waid, der mit dem Winde spricht;
Und der Aktinien schillernd wirrer Reigen.
Wo sah ich das: den Baya und sein Nest,
Die lila Wolke, die im Bambus schimmert ...
Klingts nicht wie Märchen, die ihr fiebernd lest,
Wenn Nachts der Sturm im Park gespenstisch wimmert
In Schleiern flattern Tauben ängstlich schnell,
An schlanken Mädchen blühen samtne Reben,
Bananen reifen auf des Panters Fell:
Ich weiß ja nicht. . ist dieses noch mein Leben? …
Juli 1909
Und ist mein Leben nicht in diesen allen:
Den Sternen, die im Tanz wie Glocken klingen,
Dem blauen Sinnen schüchterner Syringen,
Und in den grünen Gängen der Korallen? …
Und fall ich nicht, wenn jene Sterne fallen,
Und sing ich nicht im Hauch der Abendschwingen,
Und blüh ich nicht im Dufte der Syringen
Und leuchte in den Wundern der Korallen? …
Bin ich ein Andres? ... Sind nicht diese Welten
In meinem Leben? .. Sind sie nicht mein Leben? ...
Bin ich nicht Klee und Frucht von Tamarinden,
Bin ich nicht Flötenspiel und Kränzewinden,
Ist nicht mein Leben jenes Weibes Schelten
Und jenes Greises lächelndes Vergeben? ...
Juli 1909
III.
Und war in meiner Mutter Mädchenbangen
Und meines Vaters langverhaltner Lust,
Und meine Hände bebten in Verlangen,
Und zog die Zitternde an meine Brust.
Gebettet waren wir in sammtne Flammen,
Wie dunkler Zweige Silberblütenpracht
Schlugen die Sterne über uns zusammen,
Die heißen Sterne unsrer Hochzeitsnacht.
Und einstens säen meine eignen Pfeile
In meinen Leib Blüten so quellendrot -
Als Mörder ende ich vom Henkerbeile,
Und jedes Sterben ist in meinem Tod.
Juli 1909
IV.
Auch träumte ich von Kronen und von Krücken -
Erst zechte ich mit allerlei Gelichter,
Und trunken sah ich viele Schalksgesichter,
Und stand dann schwindelnd zwischen lauter Brücken.
Da fühlte ich, wie dieses Lebens Tücken
An jeden finden: sei er auch ein schlichter,
Verwehter Träumer, Mönch, Narr oder Dichter -
Dann plötzlich seh ich sie ein Mädchen schmücken.
Sie hängen Hermelin um ihren Rücken,
Und säen in die Locken Sterne golden,
Und endlich strahlt sie auf erhöhtem Throne.
Und - winkt mir still, da fallen meine Krücken,
Und als ich freier kniee vor der Holden,
Reicht sie mir lächelnd ihre Blütenkrone ...
Juli 1909
V.
Auf Bergen stand mein Geist in dieser Nacht,
Einsam, im Dunkel ... graue Wolken zogen
Gespenstisch groß vorbei - - - ich träumte weit,
Weithin in die Unendlichkeit des Himmels.
Ich war dem Monde nah in dieser Nacht,
Ich habe die Sterne ausgelöscht ... ich griff
Nach Gottes Mantel, der im Sturme dahinflog,
Und zerrte ihn herab um meine Schultern.
Zum Gotte ward mein Geist in dieser Nacht!
Meine Fäuste haben die Welt zertrümmert!
Ich schrie laut auf in das nächtige Schweigen.
Die göttliche Einsamkeit brach mein Herz!
Juli 1909
VI.
Daß meine wegemüde Seele bald
Ein Obdach fände! .. Daß ein Stern mich brächte
Zu einem kleinen, stillen Birkenwald,
Ins weiche Bette stummer Sommernächte!
Doch dies ist nur ein Traum voll Seligkeit -
Daß meine Träume doch mein Leben wären,
Und wäre sonst kein Raum und keine Zeit,
Kein Weh, kein Lied, kein Ziel und keine Zähren!
In meiner Träume weißem Birkenwald
Würde ich glücklich lächelnd meine Hände
In Frieden falten. ..- Daß mein Herze bald,
Das wegemüde, bald! ein Obdach fände! --
Juli 1909
VII.
Dies alles: Weiden, Felder voll Kamillen,
Und irgendwo ein Pferd an einem Baum,
Und weiße Türme fern im blauen Raum
Und Abends ein verweintes Lied im Stillen.
Und Dampf und Hast und Lärm und viele Räder,
Verworrenes Getriebe, Last auf Last,
Und über allem Rauch und Eisenmast,
Und schwerer Schienen kreisendes Geäder:
Dies alles kann uns keine Antwort geben,
Es ist und schafft und eilt und träumt und singt,
Und wenn es dennoch dich zur Rede zwingt:
»Das Leben ist ... ja Freund, was ist das Leben?« ...
Juli 1909
VIII.
Erst wenn du dann ganz fremd bist allen diesen
Und fühlst dich selbst nicht mehr und deinen. Schmerz,
Der kühle Glanz von Perlen und von Erz,
Ein Wasser und der Schimmer feuchter Wiesen
Und Heines Weh' und Eulenspiegels Scherz,
Die Märchen von den Rittern und den Riesen,
Und Völker: Langobarden, Gothen, Friesen,
Und Verse von Horaz und von Properz
Sind alles dir und mehr als Freund und Schwestern,
So staunst du, daß du einst um Menschen littest,
Und daß du Leben sahst in ihrem Lärme.
In festen Formen starrt dein Heut und Gestern.
In ewiger Ruhe ist es dir, als glittest
Du still dahin wie dunkler Vögel Schwärme ---
Juli 1909
IX.
Ich weilte unter Menschen schon zu lange
Und lernte fast mit ihren Maßen messen.
Und hatte Deiner Größe ganz vergessen.
Nun ist mir so vor Deinem Reichtum bange.
Nun steh ich wie ein Kind vor Deinen Gaben:
Vor Falken und Jasmin und bunten Steinen,
In allem such ich Lachen oder Weinen,
Und Du bist über solchem doch erhaben.
Du gibst und nimmst mit immer starren Linien,
Und Schönheit ist im Nehmen wie im Geben,
Und mehr als unser in Gefühlen Leben
Ist Deiner Birken Wuchs und Deiner Pinien!
Juli 1909
X.
Denn wollt' ich zu Euch reden, müßt' ich prahlen,
Und müßte rechten, strafen und vergeben -
Ich will fernab in meinem Schlosse leben
Und einsam schweigend meine Bilder malen!
Sie sollen mich den stolzen Narren nennen,
In ohnmachtsstierem Haß Tyrannen schelten,
Denn Ihrer keinem will ich etwas gelten,
Und keiner soll sich rühmen, mich zu kennen.
Fernab von Eurem Frieden, Euren Schlachten,
Von allem Eurem Wichtigtun und Handeln,
Will ich durch meine freien Säle wandeln
Und malen, lächeln und Euch tief verachten ...!
1908
.Mond, du silberner Spiegel,
Darin meine Seele sich spiegelt -
Mond, Du leuchtendes Siegel,
Damit das Schweigen der Nacht versiegelt!
Die zarten Kinder, die Sterne,
Stehen in deinem schattigen Garten,
Und blicken still in die Ferne,
Wie in seligem Schauern und Warten.
Wie wenn sie in Bangen warten
Auf die Seele eines verstorbenen Poeten,
Stehen sie zitternd in deinem Garten
Zwischen den duftenden Wolkenbeeten....
Aber mit deiner Strahlen Riegel
Hast du das Tor verriegelt:
Mond - Du silberner Spiegel,
Darin meine Seele sich spiegelt!
1908
.Die vielen Katzen, welche um mich sind,
Die wie versonnen in den Räumen schreiten,
Durch deren Fell oft meine Finger gleiten,
Sind lieber mir als Schwester, Freunde, Kind!
In ihren Augen liegt ein Fragen fremd,
Ein staunendes Nichtkeimen, Nichtgekanntsein,
Ein trauriges, vereinsamtes Verbanntsein,
Ein wehes Wundern, daß ihr nicht vernehmt …
Und so versuchen immer wieder weich
Sie eure Seele in geheimem Singen -
Ihr aber tut mit ihnen wie mit Dingen,
Und eure Welt ist fern von ihrem Reich!
Ich möchte dich so gerne glücklich sehn:
Du stehst am Fenster zwischen lauter Blüten
Und lächelst allen, die vorüber gehn,
Und alle grüßen: »Möge Gott dich hüten!«
Wir wandeln durch die Wiesen Arm in Arm,
Du pflückst dir einen Strauß .. Feldblumen, schlichte -
Dann eine stille Bank, abseits dem Schwarm,
Da lesen wir - bescheidenes Glück! - Gedichte.
Und wenn wir reich beschenkt nach Hause gehn,
Umklingt uns noch ein Singen und ein Weben -
Ich möchte dich so gerne glücklich sehn,
Mit dir in diesem stillen Glücke leben!