Einsame Stimme - Ich

Inhalt

III. Ich

Mein Lied

Grauer Sonntag

Dunkler Sonntag

Ende einer Lebensflucht

Wahnsinnsnacht

Toter Abend

Herbststunden

Heimkehr in den Herbst

Die große Sehnsucht

Herbstliche Versuchung

Wintertod

Die letzte Flucht

Hoffnungslose Abendstunde

Eine Maiandacht

Der Einsamstolze

Begegnung

Eine Nacht

Bitte um Vernichtung

Lied des Todgeweihten

Rückkehr

Schwermut im Mai

Erzwungener Abschied

Vorfrühling

Einsame Dämmerung

Mutter

Heilloser Herbst

Unfruchtbar

O du Stadtbahnzug auf der Brücke

Triumph der Eigensucht

Strophen ahnungsvoller Nächte

Freudlos und gefangen

Zu meinem vierzigsten Geburtstage

Verlorner Talisman

Nächtliche Angst

Die Welt wird still

Unseliges am Meer

Haß eines Abends

Großstadt-Wunder

Einer imaginären Photographie

Überirdische Frühlingsnacht

Verlornes Meer

September

Großstadtfrühling

Das ferne Fenster

Tod im Frühling

Aschermittwoch-Couplet

Sommernacht

Tragödie

Regenabend

Verbrecherischer Abend

Abendlied

Gebet an den toten Vater

Der Winter siegt

Lied eines Bettlers

Menschenlos

Das Nachtmärchenschiff

Sehnsucht nach den Wäldern

Kranken-Nacht

Abstieg

Das eine Mal

Das glücklose Jahr

Klage

Beichte

Mein Grab

 

 

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III: Ich

19. 01. 1924

Mein Lied

Das Lied, das mich umschwebt, ist nicht das gleiche,
das draußen auf den Straßen Wandrer führt,
das auf dem fernen, stillen Abendteiche
die Stirn des einsam Rudernden berührt.

Das drüben von den Feldern aus dem Feuer
leichtsinnig Lagernder Rauchwolken weht,
das über eines Knaben Abenteuer
als das Gestirn des Vaterhauses steht.

Das dich durch alle Bitternisse leitet
und durch des Glücks gefährlicheren Wahn,
das in den Schlummer eines Müden gleitet
aus dem Geräusch nächtlicher Eisenbahn.

Das Lied, das mich umschwebt, stieg aus den Wunden
der eignen Traurigkeit und hat nicht Kraft
und schwebt schon nicht mehr, liegt, wie ich, gebunden
als Schmerzensbruder meiner Lebenshaft.

Und kennt von jedes Menschen Wanderschaft
so wie von mir nur alle bösen Stunden.
Und doch hab' ich mein Fest in ihm gefunden!


13. 06. 1924

Grauer Sonntag

O dunkle Wolken, die nicht regnen wollen,
und sommergrüner Wind, der herbstlich schon
die Seele ängstet! Ferne Donner grollen,
verlassen friert mein Wort auf dem Balkon.

Ich sprech' es vor mich hin - kein Laut erwidert.
Brandmauern starren trostlos in das Grau,
ein Schornstein stöhnt. Am Zaune plötzlich biedert
sich falsch mir an die böse Nachbarsfrau.

Nur meine Kätzchen spiel'n im Gartengrase
unschuldig und von jedem Husch beglückt,
der jäh, mit einer wilden Jagdekstase,
ihre kindlich tierischen Träume schmückt.

Fern bellt ein Hund. Mich bannt die dunkle Stube.
Ich bin zu wund und wage keine Flucht
in diesen Großstadtfluch: denn eine Grube
lauert auf mich an jeder Straßenbucht.

Heimtückisch lockt der nahen Stadtbahn Rollen,
droht einer Turmuhr stündliches Gebot.
O Wetterwolken, die nicht blitzen wollen,
und ängsten doch mich Einsamen zu Tod.


10. 08. 1924

Dunkler Sonntag

Es fiel ein Mensch todwund. Ich ließ ihn liegen,
lief, herzenshart in meinen Schmerz vernarrt,
trat nieder Blumen bunt und schlug nach Fliegen,
und habe mir mein eignes Grab gescharrt.

Sang vor mich hin, doch war mein Lied schon brüchig,
in sich zerfallen und ein Selbstbetrug.
Wie krank ich bin, verdächtig und anrüchig
den Menschen allen, fühlt' ich selbst genug!

Doch wollt' ich täuschen, lächelnd Sonntag spielen,
wo jede Stunde doch die letzte scheint,
und aus den Räuschen, aus den allzu vielen,
nur die todwunde Menschenschwermut weint.

Toteinsam weint und von sich selbst verlassen,
wie sie verließ den, der im Sterben lag.
Nun sind mir feind die Felder, die verblassen,
des Weges Kies, am Rain der Sichelschlag.

Ich falle selbst todwund, man läßt mich liegen,
bleibt herzenshart in seine Lust vernarrt.
Mein Blut färbt Blumen bunt und tränkt die Fliegen.
Und irgendwo hast meiner du geharrt!


07. 06. 1924

Ende einer Lebensflucht

Wie einsam lassen mich die bunten Straßen,
die vielen Menschen, Tiere und Gefährte!
Der seines Tisches Obdach mir gewährte,
er schweigt, wie alle, wenn sie bei mir saßen,
als macht mein Blick die ganze Welt verlegen,
der jeden gleich mit meinem Leid belastet.
Und meine Flucht erreicht, wo sie auch rastet,
der Schreck, so sehr wie auf den schlimmsten Wegen.
Die Flucht, die durch Cafés und Bücherzimmer
und Warenhäuser hastet und Promenaden,
sie nimmt kein Engel endlich auf in Gnaden,
und einsam, unstet, flieht und flieht sie immer.
Ich sitze lächelnd unter viel Gesichtern
und bin doch trostlos leer und fern von allen,
und höre ihr Gespräch haltlos verhallen,
und ihre Mienen flackern mit den Lichtern.
Ich Einsamer im Lichtermeer der Straßen
bin keinem nur ein wenig Wegs Gefährte,
kein Ort ein wenig Wärme mir gewährte,
nur Schatten scheel an meinem Lager saßen,
und stahlen meinem Tag und Traum den Segen,
und haben Werk wie Feste mir belastet,
kein Obdach weiß ich, wo mein Kummer rastet,
der Tod auch kommt mir nicht als Freund entgegen,
er hat auf seiner Maske jenen Schimmer
der Widersacher, die mir höhnisch schaden,
will mich vor ungerechte Richter laden,
zählt meine Schuld mir her und stundet nimmer.
Ich schwinde unter schwindenden Gesichtern
und bin im großen Sterben noch fern allen,
muß ungehört im Weltenall verhallen,
erlösche: eins von Milliarden Lichtern.
Wie einsam läßt mich auch dies große Sterben:
kein Mensch steigt Arm in Arm mit mir hinab,
mein gläsernes Geheimnis geht in Scherben,
und niemand blieb, daß er es weitergab.
So tot für immer, ohne einen Erben,
unwiderruflich, ohne Spruch und Frucht,
ohne Gedenken, dürfte keiner sterben;
so trüb' verkommt nur meine Lebensflucht!


31. 10. 1923

Wahnsinnsnacht

Plötzlich, mitten in der Nacht im selben Haus,
das deinen Schlaf umwacht, spielt einer Klavier,
spielt wie zur Schlacht, seltsamen Graus,
tanzt sich umnachtet ins Satansrevier.

Du hörst ihn singen: so winselt ein Tier,
ein Tier in der Schlinge, in Todesnot,
immer wird klingen im Herzen dir
dieses Todesringen im sinkenden Boot.

Plötzlich ist Stille, die dunkler droht
als der schrille, der heisere Schrei.
Du horchst auf den Korridor. .. der Tod
hinkt die Stiegen ... empor, vorbei …

Ein meckerndes Lachen, unwahr, wie geträumt,
das jeden Schlaf ins Erwachen jagt.
Du hörst ihn haltmachen, als ob er säumt -
die Riegel krachen, er hat es gewagt.

Ein verzweifeltes Ringen. Dissonanz,
wie wenn ein Haupt auf die Tasten schlägt.
Du hörst ihn singen den Totentanz,
lorbeerumlaubt er die Tasten schlägt.

Der Sieger der Schlacht zollt sich selber Applaus,
der dich umgebracht, spielt scherzend Klavier.
Wahn warf diese Nacht über das Haus,
irr' im Herzen lacht sein Schatten mir.


24. 05. 1924

Toter Abend

Schiffe, Tiere, Masken, Falter wehn durch meinen wachen
                   Traum …
Gestern war mein Haus voll Gäste - dieses Abends Seen
                   verblassen,
malt sein Schattenreich das Alter, läßt mich weinen, lachen
                   kaum,
Wasser welkt um die Paläste, ihre Säle stehn verlassen.

Morgen werd' ich nicht mehr wissen, was mir Holdes heut'
                   geschieht,
was mich Böses heut' verbittert. Morgen bin ich hundert Jahr':
Hab' mich aus dem Schnee gerissen, und die Schar der Leute
                   flieht,
wenn mein Sturz zu Tal gewittert, des Lawinenfalls Gefahr.

Schiffe, Tiere, Masken, Falter werden raschen Laufs zermalmt,
es begräbt das Haus die Gäste, Bilder gelb und rot verblassen,
Tod für alle wird mein Alter: wenn der Scheiterhaufen
                   qualmt,
brennen tausend Traumpaläste, drin ich selbst, vom Tod
                   verlassen!


11. 10. 1925

Herbststunden

Wenn die Sonne noch einmal zärtlich warm zu uns ist
und plötzlich, nach einem letzten Kusse, verschwunden,
wie eine Geliebte, die man jetzt lange vermißt,
die übers Meer fuhr - in diesen Stunden
spätherbstlicher Abende, zärtlich wie junge Frau'n,
die eben verhaßtes Mutterwerden erfuhren,
und sie wandeln noch einmal, schön anzuschau'n,
am Korso, verführerischer als Huren -
in diesen Stunden sind wir, ganz kindlich verschwärmt;
mit allen Schülern und Schülerinnen im Bunde,
und haben uns wieder unnütz, wie einst, gehärmt
und gingen wieder, wie einst, in der Platzkonzertrunde.
Die Uhr schlägt sieben, die Eltern warten zu Haus',
aber die Angebetete ist zu begleiten,
schon naht der Rivale; fliehst du, lacht er dich aus;
es schrecken und schmeicheln des Lebens Unheimlichkeiten.
Es drohen Dämonen. Morgen kann die Zensur
eine ganze Familie vernichten.
Aber im dunklen Flur
der Abschiedskuß läßt mich überirdisch dichten!
Das Schicksal will umworben sein und gewagt.
Was weiß die Schule von meinen schlaflosen Nächten?
Werd' ich nach alten Schlachtendaten gefragt -
wer kennt die Schlachten, die meine Bettstunden schwächten:'
Wer glaubt den Stern, wer glaubt den Mond und das Boot,
das in der Wolken Meer mein Wachen erschreckte,
wer glaubt mir, daß ich, noch schlaflos im Morgen rot.
mich unter der Decke bebend versteckte?
Keine Entschuldigung gilt. Was die Glücklichen feit.
wird uns zum Verderben. Wir dulden und schweigen.
Es umschließt uns des Winters Ewigkeit
mit seines Dornenröschenschlosses Zweigen,
daß man einschlummert, die Liebste nicht mehr vermißt;
sich einwühlt in die Wehmut herbstlicher Stunden.
Wenn die Sonne noch einmal zärtlich warm zu uns ist
und plötzlich, nach einem letzten Kusse, für immer
                   verschwunden.


06. 09. 1923

Heimkehr in den Herbst

Wenn es Herbst wird, treibt mich's, heimzukehren,
Abschied eines Lebens im Gedenken.
Städte sterben. Bleibt nichts, um zu zehren
von den sommerlichen Fahrtgeschenken?

Sah ich gestern erst die Hügelketten,
Kreuzweg, Mauer, Fluß im Häuserschatten,
Schwalbennester an den Turmrosetten,
Abendtrauer alter Kasematten?

Schmerz noch rauschte, noch das Schwere glänzte,
Nacht und Morgen war ein großes Schwärmen,
und die Fahne bauschte, die bekränzte,
märchenbunt sich überm Hafenlärmen.

Ihre Falten hatten tausend Bilder,
Lust und Leiden schien in gleichen Farben. -
Nicht zu halten, blich der Schmelz der Schilder
und die seidenbunten Zeichen starben.

Trug es plötzlich grausam mich von dannen,
riß der Sturm der Fahrt die Welt ins Leere,
unersetzlich nebelhaft zerrannen
Sang der Lerche, Duft der Walderdbeere.

Städte sterben. Landschaften, in deren
Lied ich schwebte, wurden blasse Schemen.
Wenn es Herbst wird, treibt mich's, heimzukehren,
Abschied von des Lebens Lust zu nehmen.


19. / 20. 01. 1924

Die große Sehnsucht

Die Wolken sind meine künftigen Schwestern und Brüder,
bald werd' ich mit ihnen die Welt und ihr Wesen fliehen,
ohne Schmerz, ohne Schwere. Ich Lebensmüder
sehne mich danach, wie sie durch die Himmel zu ziehen.

Noch bin ich gebannt in meine dürftigen Wände,
muß mich mit dem Schreiten im Käfig begnügen,
muß um ein wenig Speise und Trank falten meine Hände,
müssen meine Augen vor dem, was hier schön heißt, lügen.

Und ich weiß doch schon alle Wonnen, die mich nachher erwarten,
wenn unendlich im All meine Gedanken jagen,
mich mit Sternen umstrahlt der Paradiesesgarten
und die Engel der Ewigkeit mich auf ihren Flügeln tragen.

Wo ich wie ein Kind ruhe, spiele selig mit ihrem Gefieder,
und spüre nicht, daß unter mir die Jahrhunderte vergehen.
Die Wolken sind meine künftigen Schwestern und Brüder,
bald werd' ich mit ihnen über der Welt hinwehen.


14. 11. 1925

Herbstliche Versuchung

Der Wald war schwarz um mein Verlassensein,
zum Selbstmord wollte mich sein See verlocken.
Es nebelte. Und Allerseelenglocken
drangen gewaltsam in die Gassen ein.

Wie Grabeskerzen standen in dem Dunst
die tränenschweren Lichter der Laternen.
Versunken war der Sonne Liebesgunst
und jedes Märchen von den goldnen Sternen.

Unsichtbar blieb, was jetzt den gleichen Gang
dicht neben mir zum gleichen Ziele machte.
Der kurze Weg war tausend Ängste lang,
vielleicht ein Traum, aus dem ich nie erwachte.

Der Totenblumen welkender Geruch
umwebte ihn und Rauch von Opferflammen.
Wie über einem Sarg das dunkle Tuch,
schlug über mir die schwere Nacht zusammen.

Erdrosselt schwieg der Laut in meiner Brust,
der einen Leidensbruder suchen wollte.
Hier war kein Raum für Sehnsucht mehr und Lust;
ich wußte nicht, was jetzt noch helfen sollte.

Nichts Lebendes kann in den Gassen sein,
die schadenfroh vermummt wie Henker hocken.
Das All umlauert mein Verlassensein
und will mich in den dumpfen Tod verlocken.


 01. 12. 1925

 Wintertod

Ich steh' am Fenster, auf der Stadt liegt Schnee,
die weiße Decke überm Häuserbett,
und überall steigt blauer Atemhauch zum Himmel.
Nun laufen wohl Gespenster Schlittschuh drüben auf dem See,
die Flocken tanzen stumm ein Menuett,
und an dem Rodelhügel ist von Schattenschlitten
                   ein Gewimmel.

Die Nacht ist silberhell und ohne Scham,
ich bin in ihre Nacktheit sehr verliebt.
Der Ofen hinter mir im Zimmer schneidet eine Fratze,
da längst der Mond als mein Rivale kam,
der Glückliche, dem sie sich ganz ergibt,
schon schmeichelt sie an ihm sich brünstig, eine weiße Katze.

Ich zieh' den Vorhang zu und lösch' das Licht.
Ich möchte meine dunkle Einsamkeit
selbstquälerisch als Wollustschmerz genießen.
Ich höre, wie ein Zweig im Garten unter seiner Last zerbricht,
wie der Schnee unter den Schuhen getreten schreit,
wie der Bach, vom Frost erdrosselt, aufhört zu fließen.

Auch mich würgt Winter, daß ich jetzt vergeh',
kein Frühling weckt erfrornen Rosenstrauch,
mein Leben schneite ein und wurde leise.
Du stehst am Fenster, auf der Stadt liegt Schnee,
zum Himmel steigt lebendig blauer Atemhauch,
aber ich trotze starr mit leidversteinter Miene unter dem Eise.


17. 10. 1923

Die letzte Flucht

Furcht wird mich fassen, weil plötzlich die Stadt verstummt,
die Fenster versperrt, die Tore geschlossen werden,
aus dem Stundenschlage unheimliche Drohung summt,
in den Schaufensterspiegeln macht es verdächtig Gebärden.

Unterm Asphalt noch scheinen Heere zu gehn,
Schatten der Wolken über die Giebel fliehen,
plötzlich ist kein Mond und kein Stern mehr zu sehn.
Leere Elektrische langsam wie Leichenkondukte ziehen.

Die Vögel des Parkes schweigen, der Platz löscht aus,
ein Pferd am Wagen rast herrenlos durch die Gassen,
taub und blind geworden duckt sich das Haus.
Alles hat mich verlassen. Furcht wird mich fassen.

Bis auch der Stundenschlag nicht mehr summt.
Kein Ast im Wind macht mehr Gebärden.
Die Stadt verstummt. Die Welt verstummt.
Ich muß ein Windhauch des Ewigen werden.

Heimatlos die Wolken kommen Lind gehn,
ungetröstet die Schatten sich treffen und fliehen,
niemals mehr ist ein Mond, ein Gestirn zu sehn.
Dunkel muß ich durch die Unendlichkeit ziehen.


25. 03. 1925

Hoffnungslose Abendstunde

Wenn er in der dunklen Hinterstube
sehnsuchtsvoll ans Fenster trat,
war er, wie der Bär in seiner Grube,
nur umgeben von Verrat.
Gradeüber wuchs die düstre Mauer
fensterlos in ew'ge Nacht -
noch der Vogel war in seinem Bauer
mehr als er mit Licht bedacht.
Draußen lag im Sonnenschein das Leben
einer glücklicheren Welt,
durften Lerchen durch den Himmel schweben
über ewig hellem Feld.
Augen, die so gut nicht sehen konnten
wie sein sehnsuchtsvoller Blick,
sich in silberklaren Seen sonnten;
immer Nacht war sein Geschick!
Sein war eine Stadt, wo Gärten bleichten,
zwischen Wände eingezwängt,
Birkenzweige nicht den Stern erreichten,
wenn er überm Hofe hängt.
Kümmerlichen Trost das Lied der Leiern
und der Bettler Singsang gab,
und der tausend Dächer Stumpfsinn bleiern
deckt ein einz'ges Riesengrab.
Hunde heulten in verschloss'ner Kammer,
hatten Wiesen nie geschaut.
Immer schlug ein wüster Eisenhammer
auf die Häupter herrisch laut.
Bleiche Hände aus den Kellern streckten
durch die Gitter ihr Skelett.
Stummgemachte sich vergebens reckten
von dem bitt'ren Folterbett.
Dem Verlornen blieb zur Totengrube
nur der bange Schattenpfad,
als er in die ewig dunkle Stube
hoffnungslos vom Fenster trat.


18. 10. 1923

Eine Maiandacht

O Vater, vergangene Abendandacht maimild:
ich zählte die Falter, die sich am Altar verbrannten
in den flackernden Kerzen am Kreuzigungsbild,
indes unsre Seelen sich heimlich schuldig bekannten.

Warm wogt der Himmel über dem Kirchenplatz,
die Schwalben segelten jauchzend in Weihrauchwellen.
Es klingelt, wir knien. Ich sehe den Silberschatz
blinken unter den Fliesen der Kapellen.

Bekreuze mich vor dem Satan. Dann stehen wir auf
und singen den großen Chorus der Märtyrerleiden.
Mein Blick verliert sich, er schaut von des Kreuzes Knauf
lästerliche Dämonen Fratzen schneiden.

Ich bin wohl verloren. Auch habe ich leise gelacht
über das falsche Gegröhl meines Nachbars zur Linken,
sah immer wieder die Kirchenratten zur Nacht nagen,
wo unter den Fliesen die Reichtümer blinken.

Vernahm aus fernen Gassen Kindergeschrei,
dachte an die zärtlichen Paare im Parke
und erwachte, als längst die Andacht vorbei -
»Wer fährt mit der Schwester im Schwanenteich in der Barke?«

Wir sind die verlassenen Schächer im Kreuzigungsbild,
Nacht war es, als wir einer den andern erkannten.
O Vater, vergangene Abendandacht maimild,
und wir die Falter, die sich am Altar verbrannten!


September 1923

Der Einsamstolze

Ich öffne die Balkontür und rufe den Wind herein,
der draußen die Nacht umwirbt:
er stürmt ihr weiter nach und läßt mich allein.
Ich rufe den Selbstmörder, der einsam stirbt
auf einer Bank im Mondenschein:
er sieht mich nicht, er sieht nur die Frau,
für die er sich erschießt.
Ich rufe den Obdachlosen im Neubau:
er hockt auf den Ziegeln und genießt
eines Sternes Fall, der ihm Glück verheißt.
Ich rufe den Dieb, der die Villa umkreist,
ich rufe den Wächter, der sie bewacht,
ich rufe den guten, rufe den bösen Geist
der Nacht.

Ich schließe enttäuscht die Tür. Nichts hat mich erhört.
Der Mensch, der mit mir im Zimmer ist, bleibt verschlossen,
ist taub und stumm für mich, ich bin taub und stumm für ihn,
er ist mein Spiegelbild, wie ich unstet und zerstört,
was kann ich tun? Meinen Tag hab' ich genossen,
er war warm oder kalt; Wolken zogen; die Sonne schien -
er war mir auch so fern!
und ist mit Wolke, Sonne, Sturm und Stern
den großen stummen Strom hinabgeflossen.

Ich verhänge die Balkontür, nichts darf mehr in meine
                   einsame Welt herein.
Ich will kein Echo, singe selbstgenügsam meine
                   todgeweihten Melodien.


03. 07. 1923

Begegnung

Arm in Arm zwei Schwestern
durch den Abend gingen,
die mein Lied von gestern sich als
Falter fingen.

Doch es hat ihr Singen
nicht mein Heut' gefangen,
seines Traumes Schwingen
streifen ihre Wangen.

In dem Ährenrauschen
halt' ich mich verborgen,
lüstern zu belauschen
ihre Liebessorgen.

Doch ich höre wieder
nur die eignen Lieder:
wie sie fremd verschweben,
ohne mich schon leben!

Abend fremd und Morgen
meinen Traum vertauschen.
Einsam meine Sorgen
mit dem Nachtmeer rauschen.

Immer wieder hingen
im Geäst die bangen
Nachtwachen in Schlingen
irren Grams gefangen.

Daß die fremden Schwestern,
die beglückt heimgingen,
nur von meinem Gestern
ein Gespenst mitbringen.


 15. 10. 1923

 Eine Nacht
(Dem lieben Oskar Loerke in Herzlichkeit)

Nachtstille. Nur der Wind spielt mit sich selber,
und Schatten haben viel Geheimes vor.
Verächtlich fällt ein Blick, ein herbstlich gelber,
aus der Laterne überm Gartentor.

Durch den wagt eine Katze sanft zu schreiten,
vorsichtig, daß dies Licht sie nicht betört:
das Geisterhafte könnte sie verleiten,
daß sie im Tanz sich selbst nicht mehr gehört.

Ein welkes Blatt dreht auf der Erde trunken
sich um den eignen sichren Totenschlaf.
Stumm schlägt ein Zorn aus den Gestirnen Funken.
Kein Bote meines Traums den Boten traf

mit Träumen der geliebten Unbekannten:
im Grab der Nächte liege ich wie blind
herznah den unsichtbar, wie ich, Verbannten.
Urstille. Mit sich selbst nur spielt der Wind.


13. 10. 1923

Bitte um Vernichtung

Vielleicht, daß ein Vogel die Flügel jetzt faltete
im Garten am Fenster ganz nah
und mich schützte seine Gebärde;
sich vor der Stadt am Hügel gestaltete
ein Schatten, der mir ähnlich sah,
damit ich gerettet werde.

Er empfing die Wunde, die mir zugedachte,
er haucht meinen Namen, stirbt still -
nur mein Licht hat gezittert ...
Vernahm er, daß ich eben lachte,
hat, daß ich ewig leben will,
sein Sterben verbittert?

Fremde gehn rastlos die fremden Wege,
die Sterne stehn bettelhaft leer,
der Mond bootet verlogen:
öde liegen alle Landungsstege,
und sinnlos wirft das Weltmeer
seine toten Wogen.

Daß endlich das Herz der Erde erkaltete,
da nichts mehr entstand und geschah,
kein Morgen mehr sich rötete!
Daß ein Vogel die Flügel entfaltete
im Garten am Fenster ganz nah
und seine Gebärde mich tötete!


15. 09. 1923

Lied des Todgeweihten

Mein Leben welkt, im Herzen Herbst,
mein Stern wird blasser Tag um Tag.
Wenn du dir auch die Wangen färbst,
du alterst jeden Stundenschlag.

Er naht durch deines Gartens Gras,
ob er sich noch so lang verbarg.
Und wer an deiner Seite saß,
wird einst Begleiter deinem Sarg.

Und wer dich um ein Nichts verließ,
er denkt im Spiel des Sees nur dies:
Staub wird, was einst mir Liebstes hieß,
und jede Flöte Abschied blies.

Es gibt kein Wunder, keinen Trost,
es bleibt am Raine keine Spur.
Wen du betrügst, wen du liebkost -
du tust es einem Toten nur.

Für wen du deine Wangen färbst,
mit Schatten bald sich paaren mag.
Das Leben welkt, das Herz hat Herbst,
der Stern wird blasser Tag um Tag.


23. 05. 1923

Rückkehr
(Für den lieben. Fritz Grieger)

Die Eitelkeit in eines Pastors Gruß
am Weg zur Post: wie vor so vielen Jahren;
der Winkelkneipe roten Lastergruß
pflück' ich wie damals, scheu und unerfahren.

Das neue Villenviertel, Haus an Haus,
verspricht mir unerhörte Sensationen;
doch dort auch spähn mißtrauisch nach mir aus
die Bürger von verborgenen Balkonen.

Der Glanz des Denkmals hat sich überlebt;
der Park, der einst entstand, ist alt geworden.
Duckmäuser hatten nicht umsonst gestrebt:
heut prangt ihr Würdewanst bepflanzt mit Orden.

Die Freunde, einst wie Abenteurer noch,
der ganzen Welt mit jedem Triebe offen,
sie tragen kümmerlich ihr Ehejoch
und leugnen ihrer Jugend liebstes Hoffen.

Frühschoppen, Amt und Klatsch und Abendbier,
die Kinder, Kirchgang und Romane lesen:
sonst nichts! Und diese sterben doch wie wir,
und sind hernach, gleich uns, wie nie gewesen.

Bin ich an ihrem Tag vorbeigefahren,
bleibt mir als etwas, das doch mein sein muß:
ein Weg, ein Fluß, wie vor so vielen Jahren,
und einer Winkelkneipe roter Gruß!


21. 05. 1923

Schwermut im Mai

Zieh an mir vorbei,
bunter Reigen,
der so festlich schwelgt!
Morgen schon vielleicht muß die Schalmei
unerbittlich und für immer schweigen,
und das Pfingstlaub liegt verwelkt.

Leidest nicht auch du,
fremder Schatten,
an geheimem Gram?
Schließ dein scheues Herz nicht länger zu!
Schwieg sich nicht, auch wenn wir Freunde hatten,
in Verzweiflung unsre Scham?

Lächelst jeden an,
sanftes Wesen,
das im Sande spielt:
dich begraben schon der Abend kam.
Augensterne, draus ich Glück gelesen,
ihr auch in den Abgrund fielt!

Kurz ist jeder Mai:
von den Zweigen
stäubt schon alle Pracht.
Zieh an mir vorbei,
bunter Reigen,
in. die ewige Nacht!


Herbst 1920

Erzwungener Abschied

Wie oft noch muß ich wieder Abschied nehmen,
zurückzukehren in mein Leidgeschick,
nun sind die Ferienfelder nur noch Schemen,
und an verhaßten Straßen siecht mein Blick.

Wie oft noch soll sich alles wiederholen,
was mich seit Jahren mit Verzweiflung schlug,
von fremdem Willen wird mein Werk befohlen,
das ich sonst längst schmerzlos zu Grabe trug.

Ein fremder Wille zerrt mich in Bezirke,
an deren Zärtlichkeit mein Herz nicht glaubt,
und aus den Liebeshänden meiner Birke
werd' ich feindselig über Nacht geraubt.

Noch gestern nacht war mir die Silbermähne
des Mondes nahe in verwunschner Flut -
wenn ich geschloßnen Auges dort mich wähne,
vergess' ich nicht, was diese Nacht mir tut.

Und weiß, gefangen in mein Sterbezimmer
durch etwas, dem ein Wahn sich unterwarf,
verlor ich dieses Glück am Meer für immer
und alle Heimat, deren ich bedarf.

Von allen Kräften, die mich mütterlicher
verjüngen könnten, kerkerhaft verbannt,
welk' ich dahin und weine bitterlicher
mein ausgesetztes Leben in den Sand.


28. 02. 1923

Vorfrühling

Aus Grünem kroch des Bockes Horn.
Mein Schmerz ist fern. Die Fremde wühlt.
Der Frühling pocht mit goldnem Dorn,
am Strauch der Stern hat Licht gefühlt.

Der Acker tanzt im Abendglast,
Schneeglöckchen sinnt, das Kreuz verstummt.
Die Stadt verschanzt im Dunst sich fast,
wie noch in Winter eingemummt.

Und durch mein Zimmer Blitze gehn
unendlich in das Land hinaus,
am Schreibtisch sitzend muß ich sehn
das Abendrot ums Heidehaus.

Aus Grünem lauscht des Bockes Horn.
Mein Heil ist dort, wenn Glück nicht trügt.
Traumsommer rauscht schon goldnes Korn,
Wort ist an Wort zum Feld gefügt.

Mein Schmerz ist fern, wird zum Gedicht:
ich schreite durch sein Rauschen hin.
Am Strauch der Stern hat neues Licht.
Und wem verblaßte, was ich bin?


12. 06. 1923

Einsame Dämmerung

Ich verdorre: kein Liebeswort trägt mehr Blüte;
um mein Herz ist immer Herbst, es friert.
Unaufhörlicher Regen ertränkt jede Güte.
Ich bin ein gefangenes Tier im Zimmergeviert.

Ja, wüte nur immer in Tönen, wüte,
der über mir brüderlich wüst musiziert:
auch du auf dem Meer in der Einsamkajüte,
in die das Angstgesicht der Dämmerung stiert!

Was erwartest du? Eine Fahne am Strande?
Auf weißer Düne die Gnadenbank?
Die Brücke, auf der weiß die Frau zu dir schwebte?

Uns bringt kein Morgen mehr zum Lande:
während wir träumten, die Heimat versank,
versank auch die Fremde und alles, was lebte.


 

07. 09. 1922

Mutter

Mutter, daß ich dich nicht mehr habe,
hat mich zum Spiel jeder Untreu' gemacht:
Reue bekennt am verlassenen Grabe,
um wieviel Liebe sie selbst sich gebracht.

Ist es so weit schon, daß trostloser Regen
einer Herbstnacht allein mich umfängt,
daß mein Leid auf lichtlosen Wegen
traurig an Träume von dir sich hängt?

Stimmen, deren Gesicht ich nicht sehe,
schwimmen toteinsam an mir vorbei.
Plötzlich, als ob mir's von dir geschehe,
wird mir zum Trost dieser Stadt Wüstenei.

Alle sind hier verwaist und betrogen,
alle, die lieben, sind dein Sohn!
Unter des Herbsthimmels bröckelndem Bogen
hoffen auf Tod, die Verlognem entflohn.


04. 10. 1925

Heilloser Herbst

Ich kenne jetzt sogar den Herbst nicht mehr.
Einst war mir seine Schwermut so verschwistert!
Wenn unter meinem Schritt sein Laub heut knistert,
bleibt fremd mir sein ersterbender Begehr.

 

Die Farben seines Tags sind allzu klar,
der Hunde Bellen klingt mir nicht mehr magisch.
O schwiegen sie! Verstummen nur ist tragisch
und schweigend wissen, daß der Sommer war!

Jetzt ist mein Herbst nicht mehr des Sommers Frucht,
nicht mehr der Abschied von erlebter Liebe,
von der ein letzter Blick doch bei mir bliebe -
nein, eine hoffnungslose, arme Flucht.

Mich höhnt die Kälte und mich peitscht der Wind,
und sinnlos in den Himmel steigen Drachen,
die meine Erdenschwere nur belachen,
und sind ein Spielzeug meinem Feind: dem Kind!

Denn ich bin plötzlich mehr als Greise alt,
gehässig alt, dem Herbste überlegen,
geh' winterlich dem Winter schon entgegen,
ihm gleich an Haltung, Stimme und Gestalt.

Und doch vom Herbst im Wichtigsten besiegt,
weil ohne seines stillen Sterbens Segen,
und also auch dem Winter unterlegen,
in dessen Hut des Herbstes Ernte liegt.

Die Kinder tanzen mit dem tollen Wind
auf Stoppelfeldern ihren wilden Reigen,
sie brauchen Lust und Leid nicht zu verschweigen,
weil sie an Lust und Leid unschuldig sind.

Und ihre Drachen, wie die Sehnsucht bunt,
beglücken, ob sie stürzen oder steigen.
Doch wie die Blätter rieseln von den Zweigen,
rinnt stumm mein Leben in den dunklen Grund.

O Sommerwiesen ohne Wiederkehr!
Ich wußte, diesmal war es ohne Gnade.
Die Morgenwiesen und die Abendpfade
kennen mich Abgeschiedenen nicht mehr.


03. 10. 1922

Unfruchtbar

Im Strome des Nachthimmels treiben die Wolkenschollen,
Sturm stößt sie widereinander, Sterne zersplittern,
weiße Trümmer ins All, eine Lampe im Fenster hat
                   ausgelitten …
was wir schreiben, was wir wollen,
du Stubenhocker, du Wandrer, wie klein wir zittern
vor eines Tropfens Fall, eines trunkenen Heimkehrers
                   Schritten!

Wer sagt: Ich, will sich entrüsten, als Märtyrer fühlen,
jagt geliebter Frau nach? An Urwaldpalmen
lächerliches Insekt! Mein Tisch, meine Vase wird länger
                   leben.
Deinen Brüsten, deinen kühlen,
blüht eine neue Brautnacht. In herbstlichen Halmen
ist mehr Frucht versteckt, Ewigkeit in der Eintagsfliege
                   Schweben!

Ich habe nur diesen Blick aus nächtlichen Fensterscheiben,
nur das Streicheln am Holz, an der Stirne des Glases Kühle,
eine ohnmächtige Geste, ein Lächeln über die eigenen
                  Schwächen,
das vor seiner Kühnheit erschrickt! Keine Gespenster
                  bleiben
von meinem Sterben, kein Stolz in eines Enkels Gefühle,
keine Totenfeste, keine Feinde, die sich an meinem
                  Gedächtnis rächen..


16. 02. 1923

O du Stadtbahnzug auf der Brücke

Die Jagd nach dem bißchen Wärme und Fraß,
durch Straßen Gerenne im dürftigen Kleid:
wie ist mir der Tag voller Tücke!
Wenn ich wartend in Vorzimmern demütig saß,
dann wurde nach Stunden mir böser Bescheid.
O du Stadtbahnzug auf der Brücke,
du trägst uns auf leuchtenden Flügeln fort,
du spiegelst uns Villen und fremden Markt,
wir wären in anderen Welten;
dort würde mir wohl das erwünschte Wort
von dem Kind, das mit seiner Liebe nicht kargt,
ich erlebte, was hold ist und selten!
Auf der Eisbahn wär ich noch einmal jung,
ohne Schule und Pensum der Gymnasiast,
der Dieb verbotener Küsse.
Ich armer bin reich an Erinnerung,
ich trabe fröstelnd und glaube fast,
ich erlebte die Jugendgenüsse,
die meiner Jugend doch waren versagt,
die ich heut noch ersehne, zu spät,
wo mich junge Paare verlachen!
Nach dem bißchen Fraß und Wärme die Jagd,
die mir auch nicht einmal zum Glücke gerät,
Traum von Jugend, um alt zu erwachen.


19. 10. 1923

Triumph der Eigensucht

Ich höre obdachlose Katzen schrein:
ich öffne meine Tür, sie sind nicht da.
Der Hügel, den ich gradeüber sah,
der dunkle, könnte Golgatha wohl sein.

Nie reinigt Regen sein Gestein vom Blut,
nie weht von seinem Weg der Wind die Spur.
Fühllos, unnahbar schlägt vom Turm die Uhr,
ich bin allein, und niemand ist mir gut.

Die Katzen wildern in der Vögel Schlaf,
sie riefen nicht nach mir, auch dieses nicht!
Vom Hügel grinst Hotelverandalicht.
Der Regen geht zur Ruh. Der Wind wird brav.

Die Welt bleibt ungefährlich: Schlummer schützt
den müden Bürger, der vom Kreuz nichts weiß.
Sanftmütig karrt die Nacht im alten Gleis,
das Leben weiter sich bequem. Abnützt.

Die Katzen fanden einen sich'ren Fraß;
wer stärker war, wurde behaglich satt.
Der Totenengel steht über der Stadt,
die tut, als ob sein Nahen sie vergaß.

Kein Platz, kein Berg mag Golgatha mehr sein,
es ist kein Mensch, der selbst sich opfert, da.
Auch ich verleugne, was ich leuchten sah,
und bleibe eitel und verstockt allein.


01. 07. 1924

Strophen ahnungsvoller Nächte

Immer hör' ich nachts die Kette klirren,
rastlos tappt Gefang'nes an die Wand,
kratzt mit kraftlos freiheitsgier'ger Hand
im Verließ, um das die Schatten schwirren.

Immer neben mir, dem Herzen näher,
atmet es geängstet und gehetzt,
liegt ein Leben rettungslos zerfetzt,
lauern Stunden, eingemummt, als Späher.

Schreiten unaufhörlich, feindlich leise,
dennoch fühl' ich ihr verstohl'nes Gehn.
Möchte, Fremder, gern dein Antlitz sehn,
müd' wie meines von der Weltenreise.

Wann sind endlich alle wir am Ziele,
wo der Jäger, mit dem Opfer eins,
fallen wird, und Ströme roten Weins
reißen fort des Schicksals Würfelspiele?

Wo wir alle totgehetzt hinirren
durch ein labyrinthisch dunkles Land ...
Lang' schon hör' ich nachts die Ketten klirren
und das Tasten an der Kerkerwand.


25. 11. 1920

Freudlos und gefangen

Ich weiß nichts mehr, das mich erfreuen könnte,
der Wolken und gottnahen Wanderschwingen
einziger Lebenstrost ist mir versagt,
und wenn mir auch ein Leichtsinn noch vergönnte,
mich waldumrauscht obdachlos hinzubringen,
mir fehlt der Mut, mit Heimaten zu ringen,
auf die mein Traum nicht zu verzichten wagt.

Ich hänge noch zu sehr an meinem Leben,
selbst, daß mich die Geliebte sterben schickte,
zwang nicht den Abschied in mein feiges Blut.
Es ekelt mich, wie meine Tage kleben
an jeder kleinsten Hoffnung. Ich erstickte
den Totenengel, der mich mild anblickte,
obwohl ich wußte, er nur meint es gut.

Daß immer noch die wilden Blumen brennen,
daß Falter nah'n und bleiben, Menschensöhne
frei sind zu gehn, wohin ihr Herz sie treibt:
dies holde Märchen darf ich nicht mehr kennen,
es sei denn, daß ich selber mich verhöhne
oder nutzlos an einen Wunsch gewöhne,
der martervoll mir unerfüllbar bleibt.

Sucht ihr mich einzuschläfern mit Genüssen,
die mir nicht einen Hauch von dem ersetzen,
was mich als Kind zu liebkosen begann,
so werde ich euch ewig hassen müssen,
weil eure Spiele mich so niedrig schätzen,
als nähme ich vorlieb mit euren Fetzen,
ich, den kein Wunder mehr erfreuen kann.


23. 05. 1926

Zu meinem vierzigsten Geburtstage

Vor meiner Türe stehn die Stunden still,
die mich ins nächste Jahr hineingeleiten.
Ob es mich liebt mit neuen Zärtlichkeiten,
ob es mich wieder nur verwunden will?

Die Uhr schlägt zwölf: ich bin, wie stets, allein,
und niemand mag von meinem Schicksal wissen;
auch du wirst jetzt, mir fern, verloren sein
und mich in deinem Glücke nicht vermissen.

Du schläfst, der Bergwind streichelt dein Gesicht
mit seiner kühlen Hand. Im See versanken
das Dorf, die Bäume und das letzte Licht,
und auch an mich die zärtlichen Gedanken.

Noch spielt die Jazzband unten im Hotel:
man hört gespenstisch sich die Paare drehen.
Mein Lebenssommer, ach, verging so schnell;
der Herbst läßt alle Blüten ganz verwehen.

Dann bleibt nur noch der Winter, trüb und kalt,
und immer dunkler werden meine Tage,
und, eh ich jung war, bin ich grau und alt,
klingt lächerlich, was ich dir Liebes sage.

Ich halte auf die Augen meine Hand,
um nicht zu sehn, in welchen Tod ich gleite.
Noch ahn' ich dich, noch streift mich dein Gewand -
und schon gehst du nicht mehr an meiner Seite.

Was täusch' ich mir ein letztes Wunder vor?
Als ob nicht jede meiner Lebensstunden
sich ganz in Einsamkeit und Not verlor.
Wo hat mein Lied ein Echo je gefunden?

Fällt es so schwer, des Lebens letztes Stück
einsam hinabzugehn und zu verschwinden?
Ich bin bereit und schau nicht mehr zurück
und werde dich erst drüben wiederfinden.


27. 11. 1920

Verlorner Talisman

Umsonst hat meine Heimat warten müssen
in diesem Sommer auf den Schmerzenssohn,
und hatte sich geschmückt von Herzen schon,
ihm von der Stirn die Traurigkeit zu küssen.

Ich trug den Talisman in meiner Tasche
und wagte nicht an seine Kraft zu glauben,
so ließ ich mir den Zauber schließlich rauben,
nun liegt mein Glück verbrannt, ein Hügel Asche.

Nun liegt die Heimat wie im Feindeslande
ein Wintergrab. Da sie verlassen starb,
als ich um Lust in fremden Gassen warb,
sank ich in die Verlorenheit der Schande.

Die Heimat wird noch neuen Frühling haben,
ich aber muß nur immer tiefer sinken,
wenn frisch ergrünt ihm ihre Birken winken,
der besser nützt des Talismanes Gaben!


11. 09. 1925

Nächtliche Angst

Woher kommt diese Furcht in mir, die nächtlich
mich nun in ihre trüben Wirbel reißt?
Sah nicht auf mich ein Mädchen heut verächtlich
mit einer Miene, die Unheil verheißt?
Es hingen tote Falter in den Hecken
des Gartens, und die Lieblingskatze starb.
Ich kann mich vor der Sintflut nicht verstecken,
vergebens mein Gebet den Wind umwarb;
er schüttelt zürnend an den Fensterläden,
weil ich mich feig vor seiner Macht verbarg.
Ich kenne allzu gut die eignen Schäden
und weiß: mein Leben ist verfehlt und arg!
Wer friedlich jetzt mit ruhigem Gewissen
und ohne böse Träume schlafen mag,
kindlichen Angesichts in seinen Kissen
und ohne Sorge vor dem nächsten Tag,
gefeit vor Mädchenblicken, die verächtlich
ihn treffen können, wie man Wüstes wägt,
weiß nichts von dieser Angst in mir, die nächtlich
mich stets mit ihren Schreckensträumen schlägt.


24. 02. 1923

Die Welt wird still

Wenn sogar das Glück dir Niederlagen bereitet,
bist du am Ende des Weges, den das Geschick für dich will:
bald umfängt dich Betäubung, deinen Händen entgleitet
Buch und Becher. Die Welt wird still.

Und verweht der Schnee, darf noch ein Frühling dir blühen;
blüht er um deine Spuren, blüht in dir selber nie:
alles ist blaß wie Erinnern, Spiegelbild jeder frühen
Sehnsucht nach Lust, Traum-Melodie.

Unerreichbar für dich, so nah seine Zweige scheinen,
duftet der Flieder, Kinder spielen dein Lebensgedicht,
Glück einst, jetzt macht seine Fata Morgana dich weinen,
aber dies Weinen tröstet nicht.

Wenn sogar der Schmerz dir wird zur versandenden Wüste,
bist du am Ende des Weges, der dich ins Dunkel weist.
Einsam bestehe das letzte: daß der Verräter dich küßte!
Lächle! Sieger: dein Herz vereist.


12. 08. 1924

Unseliges am Meer

Das Leben ist so kurz. So wenig Freude
ist mir beschieden, und auch die vergällt
mir mein Gewissen, und mein Herz befällt
ein Schrecken, daß ich meinen Tag vergeude.

Auch jeder Tag war leer, wenn ich mich mühte,
denn nichts wird mir zur Blüte und zur Frucht.
Vor deiner Güte bin ich auf der Flucht,
bis ich am Meer mit ihm vor Scham erglühte.

Da sprachen Fahles neben mir die Schatten,
sang unter meinem Fuß für sich der Sand,
der meinen Gruß nicht wollte und verstand,
warb ich um Kahles, das die Felsen hatten.

War Distel auf den Felsen, sie zu rühren;
sie aber starrten in das Meer hinein,
harrten der Nacht und ließen mich allein.
Die Brücke wollte mich zum Tod verführen.

Es lockt die stete Melodie der Wogen,
die Lichter überm Wasser winkten: »Komm!«
Es läuteten im Meer die Glocken fromm
versunkner Städte, grüßten Toresbogen.

So leicht war's, in die Flut hinabzutauchen
und plötzlich nichts zu wissen mehr vom Boot,
das mich zurückfährt, nichts vom Abendrot,
in dem die Schornsteine der Heimat rauchen.

Doch ich bin feig. Und noch das bißchen Freude,
das mein Gewissen eifernd mir vergällt,
auch wenn es wie ein Rausch mich überfällt,
schmerzt mich zuletzt als Tag, den ich vergeude.


25. 10. 1924

Haß eines Abends

In all den abendlichen Häuserhügeln,
die seltsam auf dem Tal der Straße lasten,
sich heimlich nur mit Fühlern Lichts betasten,
gespenstisch winken mit den Vorhangflügeln
abgründig heller Fenster oder Höhlen
voll Dunkelheiten, die auf Totes warten,
und unten in dem dürftigen Vorhausgarten
sich selbst ein Ständchen trunkne Schelme gröhlen,
wo ist bei schwüler Ampel Venus mächtig,
wo zwingt man Kinder unterm Gelb der Kerzen,
wo flackert Gas zu frevelhaften Scherzen,
wo greift nach Nacktem Nacktes dunkelnächtig?

Ich bin wohl tot. Die Hügel all begraben
mein Schwärmen, das den Wald der Stadt durchjagte.
Wenn einer zärtlich Falsches nur mir sagte,
würd' ich vom Glück doch eine Lüge haben!
Doch eine Lüge jetzt, mich zu beflügeln
in all dem widerlichen Alltagshasten!
So fühl' ich stets auf meiner Straße lasten
den Haß von abendlichen Häuserhügeln.


 14. 11. 1924

 Großstadt-Wunder

Über mir immer Wolken, unter mir immer Asphalt,
sag' ich »Fels, Blume, Berg«, lachen die Larven.
Wenn um Schneewittchens Sarg die Zwerge harfen,
macht in der Abendgasse ein Armer den Nachbar kalt.

Unter den Steinen strömen Meere von Schmutz,
über den Giebeln flügeln die Rachedämonen,
und die Teufel, die in meiner Brust wohnen,
spiegeln ihr Weinen in unserer Dirnen Putz.

Die Bahnen, die Autos jagen. Das Leben ist feil.
Wir fahren von Fest zu Fest über Leichen.
Wie sehr wir im Spiegel verhaßten Mördern gleichen,
wir wollen's nicht ahnen, bleibt unser Leib nur heil.

Unser Leib ist uns heilig und sonst nichts mehr.
Du leidest, ich lächle. Ich leide und Tausende sterben.
Die Stadt stürzt, geht mein Likörglas in Scherben,
Schiffe sinken, will ich bewegtes Meer.

Ich bin der Tyrann, alles ist in meiner Gewalt.
Der ermordete Nachbar muß seinem Mörder vergeben.
Ich selber aber küsse Schneewittchen ins Leben,
über mir Sterne, unter mir samten Asphalt.


20. 01. 1925

Einer imaginären Photographie

Ich fühle, ich werde dich einst noch kennen lernen;
ich sah dein Gesicht auf einer alten Photographie.
Dein Blick schien mir der Steg zwischen unseren Sternen
und dein Mund meiner Lieder Melodie.

Es hing dein Bild in einem schmutzigen Kasten
der fremden Stadt schon lange und war fast verdorben.
Vielleicht bist du sechzig Jahr oder gar schon gestorben -
dennoch werden wir einst am gleichen Baume des
                   Schattenreichs rasten.

Mütterlich wirst du den Ermüdeten pflegen,
kann mein Haupt in deinem Schoß Märchen träumen,
über uns singen die Nachtigallen in den weißen Bäumen,
und ein gütiger Wind spricht mit zittriger Stimme seinen
                   himmlischen Segen.

Vielleicht wirft er auch in unsre gemeinsam gefalteten Hände
einen Stern wie eine silberne Hochzeitsspende,
schwingt seinen Zauberstab: und es weichen die Wolken-
                   wände,
ich sehe dich, du siehst mich, und wir sterben an dieser
                   Legende.

Unser letzter Traum schaut noch, wie sich unsre Gestirne
                   entfernen,
immer winziger schwinden im Himmel, der allzu tief - - -
Ich fühle, wir müssen uns einmal kennen lernen
und mißverstehen, was einer zum Ufer des andern
                   hinüberrief.


16. 05. 1925

Überirdische Frühlingsnacht

Nacht, wie blühst du auf in abertausend
Sternenstürzen über meinem Zimmer,
da der Sturm das Dach hinwegtrug brausend
und zerriß der Fiebernden Gewimmer!
Und zerriß das Röcheln sel'ger Paare -
doch die Schläfer lagen schwer wie Steine,
einsam Tote wie ein Teil der Bahre,
und die Trunkenen von bösem Weine
überlebten dieser Winde Wüten,
das umsonst an ihren Träumen rüttelt.
Doch es fielen alle Sternenblüten,
aus dem Himmel dieser Nacht geschüttelt.

Und die Nacht war abgeblüht in tausend
Sternenstürzen über meinem Zimmer ...
Wie in gläsern freier Gondel hausend,
glitt ich klingend durch die Wolkentrümmer,
sang mein Lied, bewußtlos starrer Sänger,
der als Marmorbild gespenstisch tönte,
mondenbleicher Schatten-, Rattenfänger
den zerstörten Weltenwald verschönte:
Silber wob ich über seine Öden,
spiegeln ließ ich seine toten Meere.
Sternentrunken tanzten auf den Böden
nur der Ratten aufgeregte Heere.

Denn die Menschen waren längst vergessen,
auch die Schläfer und die trunknen Schächer,
Erde hat die Sterbenden gefressen,
Regen kam auf Tote, als ein Rächer,
der sie schwemmte zu den gift'gen Tiefen,
die sie unerkenntlicher vermischten,
daß die Engel, die nach ihnen riefen,
sie in keine Auferstehung fischten.

Ich nur, einsamer als Tote, tausend,
abertausend, lebend, schwebend immer,
mit der großen Weltvernichtung sausend,
sitze ewiglich in meinem Zimmer.


07. 07. 1925

Verlornes Meer

Ich sehne mich nach einer Nacht am Meere:
die Schenken schließen, und ich geh' allein
hinab zum Strand, um in der großen Leere
der Weltunendlichkeit für mich zu sein.

Da lehne ich dann auf der Landungsbrücke,
sie scheint zu schwimmen, und es treibt mein Traum
hinaus ins All, und über jedem Glücke
vergangnen Jahres wirbelt höhnisch Schaum.

Der Leuchtturm tastet sich mit seinen Fühlern
von neuem immer wieder auf die Flut
und wird zurückgespült. Mit immer kühlern
Nachtwinden streift der Ozean mein Blut.

Blinkfeuer grüßen. Inseln winken, sinken.
Ganz draußen zieht ein Lichtschiff seine Bahn.
Zu meinen Füßen glucksend scheint zu trinken
Nachtwandlers Schiffbruch den Salzwasserwahn.

Die Stadt hinter den Dünen ward begraben
mit Kneipen, Kirchen, Schelm- und Priesterwort.
Die Nacht ist schwarz. Der Wogen dunkle Raben
ballen sich über dem versunknen Ort.

Allein ich lebe, in der großen Leere
des Weltensterbens zweifelhaftes Glück.
Ich sehne mich nach einer Nacht am Meere
und kehre nimmermehr dorthin zurück.


August 1925

September

Mein Lied versiegt, und alles geht zu Ende:
das ist des Lebens Herbst, wo nichts mehr lohnt.
Ein Grabmal liegt an jedes Weges Wende,
ein leeres, drin auch kein Gespenst mehr wohnt.

Dies kleine Zwischenspiel in Alpengärten
und an des Bergsees sänftigendem Grün
war wie ein Traum in meines Daseins Härten -
am andern Tage sah ich's nicht mehr blühn.

Des schönen Mädchens Schicksal blieb verschollen,
dem ich vielleicht in Träumen nahe bin.
Und wieder über meinem Haupte rollen
die Stadtbahnzüge sinnlos hastend hin.

Das dürft'ge Gras am Bahndamm müde flackert,
das magre Asternbeet verlischt im Staub.
Ein Huhn im Stall, als säh' es Sonne, gackert,
und rußbedeckt hängt hoffnungsloses Laub.

Was soll ich hier? Wohin den Blick ich wende,
blieb nichts vom Fluche dieser Stadt verschont.
Mein Lied versiegt, und alles geht zu Ende:
das ist des Lebens Herbst, wo nichts mehr lohnt.


23. 04. 1925

Großstadtfrühling

O Frühling früher, glücklicherer Zeiten,
da mich entführten Wiesenweg und Wald
mit ihrem jungen Grün in alle Weiten!
Heut haft' ich hier in Wüsten von Asphalt;
wie ein Gefangner wank' ich alle Tage
von Haus zu Haus den vorgeschriebnen Paß,
und kehre pünktlich, mit dem Stundenschlage,
zurück ins sonnenlose Gramgelaß.
Und keine Primel, keine Anemone
blüht in der Öde dieser Steinchaussee.
Als ob ich an des Todes Toren wohne,
droht rings um uns der steinern starre See.
In Sand und Stank welken die Frühlingswinde,
und ohne Birkenlied und Tannensang.
Dem Himmelsbunt bin ich im Staub der Blinde
und tappe mich an kalter Wand entlang,
wenn draußen Wärme auf die frischen Beete
die liebewirkend güt'gen Hände legt
und warmen Regens Kuß, der lang' erflehte,
der Erde bräutlich braune Brust bewegt.
Vielleicht in irgendeiner Kinohöhle,
wo Tag wie Abend sich gespenstisch schminkt,
mit falschem Licht, Orchestrions Gegröhle
dem Frühlingswalzer in die Arme sinkt,
darf ich, im Bild gespielter Zärtlichkeiten,
vor Lenzkulissen träumen mich zurück
zum Frühling früherer Herzwunderzeiten,
zum Grün von Wiesenduft und Waldesglück.


16. 10. 1923

Das ferne Fenster

Gehst du ans Fenster, siehst du drüben ein Licht,
bei dem dir Fremde wachen.
Du sehnst dich nach ihnen; sie wissen es nicht.
Du schmiegst an die Scheiben dein Gesicht
und ahntest gern, was sie machen.

Vielleicht im Zimmer dort, ganz allein,
friert die Frau deiner Träume.
Sie ängstet sich, sie schloß sich ein,
sie sehnt sich, einem gut zu sein,
starrt fröstelnd auf herbstliche Bäume.

Weht ein Blatt im Hof vom herbstlichen Ast,
löschen ringsum die Kerzen,
ist ihr wie dir so traurig fast,
liegt der Himmel wie eine Last
auf ihrem armen Herzen.

Fremd bleibt dir ewig ihr Gesicht,
ihr Weinen und ihr Lachen.
Jede Nacht quält dich dies fremde Licht:
du stehst wie auf anderm Gestirn, weißt nicht,
wofür sie schlafen und wachen.


Februar 1923

Tod im Frühling

Der letzte Wintersturm schlägt wie ein Schwert
Eiswunden in des Wandrers nackte Stirn -
Er schmeckt auf liedbereiter Lippe doch
des nahen Frühlings zarte Ahnung schon.

Wär' sein Gemach zu Haus nicht so verlassen,
erwartete es seine Wiederkehr,
er bände diesen Trost zu einem Strauß
und trüge ihn der Leidgefährtin heim.

Die fahle Stadt, der er den Rücken kehrte,
hat zuviel Wege, Leichtsinn zu verleiten,
hat zuviel Spiegel, die mit Freundschaft täuschen,
und spielt die Jahreszeit wie das Gefühl.

Und ihre Kälte bleibt in meinem Blute,
dacht' ich sie mit dem Mantel abgetan.
Vergebens werd' ich mir den Lenz erwandern,
sterben am Berg, von dem ich ihn schon sah.


21. 02. 1926

Aschermittwoch-Couplet

Spät nachmittags, um halb fünf Uhr,
lieg' ich, wie eine alte Hur',
immer noch im Bett.
Kaffee und Brötchen blieben stehn,
die Briefe warten unbesehn
auf dem Frühstückstablett.

Im Munde ekelt der Geschmack
von zuviel Kognak und Tabak.
Die blöde Melodie
vom letzten Tanz werd' ich nicht los,
den dummen Text: » Was machst du bloß
mit dem Knie... «

Ach, schwärmt man aus, bleibt man zu Haus:
es ist zuletzt der gleiche Graus,
ein verlornes Spiel.
Man fühlt sich so und so vergehn.
Es ist so zwecklos aufzustehn.
Wo lohnt sich noch ein Ziel?

Wo lohnt sich irgendeine Müh?
Man stirbt so hin, ob spät, ob früh -
da hilft kein Gebet!
Betrinkst du dich? Hältst du Diät?
Man stirbt so hin, ob früh, ob spät,
verwelkt ... verwest ... verweht ...


25. 07. 1922

Sommernacht

Vor deinen Sternen hab' ich nicht Bestand,
du Sommernacht geschwisterlicher Nähe:
was Gutes auch durch meine Hand geschähe,
ist nichts vor deiner Ewigkeiten Brand!

Wohl steh ich, groß wie du, im Nu entflammt;
doch kurze Zeit nur, und die Glut verlischt,
kaum, daß Unfaßliches dem Blut sich mischt,
schon liegt es wieder träge und verschlammt.

Um so viel erdendumpfer währt mein Schlaf,
je menschvergeßner ich mich übernahm.
Zuletzt folgt jedem Werk nur tiefe Scham,
und Herrenspiel büß' ich als ärmster Sklav.

Des Astes Schatten an der Gartenwand
könnte mich töten, wenn ich nach ihm sähe;
hab' ich vor dieser Sommernächte Nähe,
noch vor dem fernsten Stern doch nicht Bestand.


22. 10. 1922

Tragödie

Ein alter Mann, so alter Mann.
der sich in Decken hüllen muß,
am Ofen hockt, am Ofen hockt.
Wie bin ich krank! Die Frau begann
erst jetzt zu folgen dein, was lockt
und schmerzhaft sich erfüllen muß.
Ein wenig Tanz, ein wenig Wein:
schon ist sie ganz und ewig dein!
Und mir gibt Buch und Alkohol
doch nicht Ersatz für solchen Schatz.
Und wenn ich fröstelnd warten muß:
jeder Schritt im Korridor
täuscht mir der Liebsten Heimkehr vor.
Der Regen hier im Garten muß
doch überschwemmen Straßen, Platz
und Promenade, wo sie geht
und unter der Laterne steht,
weil ich ein gar so alter Mann,
daß ich sie nicht mehr halten kann,
daß mir im Ohr die Glocke klingt,
die Sterbeglocke klingt und winkt -
oh man die Liebste tot mir bringt. ...
Ob schüchtern sie am Tore klinkt
und leise sich ins Zimmer schiebt,
von einem fremden Mann geliebt,
noch ganz von seiner Welt umhüllt.
daß ich mich schlafend stellen muß
und wie im Tod erstick'.
Und dennoch mich ihr Bild erfüllt,
ich schau nach ihrem hellen Fuß
und wage keinen lieben Blick
durchs halbgeschloßne Augenlid ...
Sie aber summt die Melodie
von ihrem letzten Tanz im Saal
und löscht das Licht, als ob ich schied
wohl übers Meer und käme nie
zurück zu ihr einmal!


22. 11. 1924

Regenabend

Ob draußen Lenz, Herbst, Sommer, Winter spinnt,
wenn dieser rührend stete Regen rinnt,
werd' ich in warmer Stube wieder Kind,
liebe die Lampe und das Bücherspind.

Bin wieder Freund mit Büchern wie vor Jahren,
nehm' diesen, jenen Band in meine Hand
mit einer Zärtlichkeit, die sehr erfahren
und schlicht ist, die ich lang' nicht mehr empfand.

Und finde da und dort den guten Spruch,
der wundersam zu meiner Stimmung paßt,
sage von Herzen nun zu jedem Buch:
wie dank' ich dir, mein sanfter Abendgast!

Sehe zum erstenmal die wahren Züge
der weißen Büste auf dem Bücherschrank:
vergangnen Gram und längst verblühte Lüge,
und doch mein einz'ger Freund heut', drum hab Dank!

Die Katze schläft zutraulich an dem Blatt,
das Hieroglyphen meines Wahns bedecken:
dem einz'gen Wesen ward ich Ruhestatt
und heil'ges Obdach in der Welt der Schrecken!

Ich bin mit allein diesem Glück vereint:
der Lampe, die so märchenselig scheint,
dem Bücherschrank, der mit mir lacht und weint,
der Büste, die zur Zukunft mich versteint.

Der Katze auch und ihrem weisen Ernst,
der noch Hingebung stolz und einsam macht,
wieviel mehr dir, auch wenn du dich entfernst
und in der Fremde ankerst deine Nacht!

Mein letzter Traum dem Wunder noch nachsinnt,
das dich und mich einst zueinander führte.
Wenn dieser seltsam stete Regen rinnt,
mein Herz sich gern mit Liebesmärchen rührte.

So gern wird meine Sehnsucht wieder Kind,
spielt mit der Katze und dem Bücherspind,
das Herz, wie einst bei Abenteuern, klopft
im Takt des Tränenstroms, der tropft und tropft ...


22. 07. 1924

Verbrecherischer Abend

Stirbt ein Insekt vor mir, vom Licht verbrannt:
ich kann nicht helfen, und ich kann nicht töten,
ich bin so fremd bei seinen Marternöten
und bliebe gern versteckt und unerkannt.

Wie schäm' ich mich! Der letzte wehe Ruck
des Fühlers weist in vorwurfsvollem Hassen
auf den, der seine Pein im Stich gelassen
und sich betäubt mit einem Porterschluck.

So hilflos bin ich immer, niemals treu
den schönen Worten, die ich gern verschwende,
an allem zweifelnd, nur das Lebensende
erwartend als Gewißheit; lebensscheu.

Ich bliebe gern ein Lied, das niemand kennt,
und flüchtete im Rausch von Abendröten!
Doch es wird bald mich ohne Gnade töten,
und lacht des Falters, den das Licht verbrennt.


 25. 04. 1923

Abendlied

Der Wind spricht durch die Birke abendlind,
geschwisterlich, mit innig süßen Silben:
erschrickst du vor des Sommertags Vergilben,
wiegt er dich in den Schlummer wie ein Kind.

Durchs offne Fenster in dein Träumen dringt
die Wärme aller dieser lichten Zimmer,
von einer Lampe noch vielleicht ein Schimmer
der fremden Frau, die am Klaviere singt.

Du wartest, bis der Beifall sich erhebt,
beneidest alle, die dort atmen dürfen,
und wirst dann einsam deinen Nachttrunk schlürfen
wie einer, der nur noch zum Scheine lebt.

An fremdem Glück sieht sich dein Auge blind,
das eigne läßt du ungegrüßt vergilben:
umsonst spricht durch die Birke abendlind
der Wind geschwisterlich mit süßen Silben.


10. 11. 1925

Gebet an den toten Vater

Vater, zu dem ich so lange nicht sprach,
weil ich dein Totsein nicht wecken wollte,
weil ich inzwischen so Schlimmes verbrach,
daß ich mich vor dir verstecken sollte:
hilflos, verachtet jetzt und verarmt,
muß ich doch deinen Schatten beschwören,
daß deine Nachsicht sich meiner erbarmt -
Du oder niemand sonst wird mich erhören!
Viele Versprechungen wehten vorbei,
Herbstwind entführt die welkende Habe.
Nur der Krähen Verrätergeschrei
zankt um das Erbe am offenen Grabe.
Liebe und Freundschaft waren bemüht,
aber sie kannten den Platz nicht zum Landen,
kamen verspätet oder verfrüht,
machten sich eins am andern zuschanden.
Und ich suche und suche umsonst,
dort lockt ein Obdach, mir ist es verschlossen,
dort lockt der Schatten der Buche umsonst,
Jahre des Glücks sind für immer verflossen.
Wie ich an deiner Gruft einst stand,
bin in die Fremde schutzlos gegangen,
zeig' ich dir heut' meine leere Hand,
die kein Almosen harmlos empfangen.
Schönes Wort und zärtlichen Blick
schenkten sie mir und verschwanden für immer,
spielend genossen sie mein Geschick
in dem Schutz ihrer sicheren Zimmer.
In ihres Lebens gefälligem Hohn
ward meine Sorge lächelnd begraben,
und nun vergaßen sie lange schon,
daß sie mich einst bedauert haben.
Fern ist die Welt mir, und -war nur so nah.,
Feinde und Freunde sich geizig verstecken.
Vater, den ich seit Jahren nicht sah,
laß mich endlich dein Totsein erwecken !


23. 11. 1925

Der Winter siegt

Es beben die Kerzen der Szene im Schnee meines Lebens,
vor Gier nach Liebe ist mein Herz eiskalt.
Wonach ich mich sehne, es ist nachher stets vergebens:
hob sich der Vorhang, war alles falsch und alt.

Das Stichwort fehlt, der Chor hat sich verloren.
Wem darf ich traun? Ist jeder Traum Betrug?
Ich bin in eine Winterwelt geboren,
es lockt der Liebesfraun Nachtschattenzug.

Sie wehn vorüber mit den Blicken von Blinden,
und drüben sinken sie meinem Feind an die Brust.
Ich suche sie ewig und darf sie niemals finden,
doch ihm, dem Spötter, schenken sie alle Lust!

Durchs Doppelfenster noch hör' ich den Wirrwarr der Welten,
die Straßenbahn wettert, und Auto um Auto schreit.
Das Liebeserlebnis ist in der Umarmung auch selten
und im Alleinsein das Glück der Einsamkeit.

Nachmittage träumen im Regen, Inseln verstohlen.
die Lampe blinzelt, als erwarte sie wen …
Zu mir kommt kein Wunder, und ich kann mir keins holen,
ich werde stets vor verschloßnen Pforten stehn!

Auch wer mich liebt, weiß nichts von meines Lebens
heimlichen Ängsten, stumm und ungestalt.
Was ich begann, es war nachher immer vergebens,
hob sich der Vorhang, war alles falsch und alt.


09. 03. 1925

Lied eines Bettlers

In eine Welt, die mich nicht will, verloren,
nutzlos für sie zu ernstem Tun und Spiel,
bin keinem Wesen ich als Glück geboren,
mir selbst mit jedem Atemzug zuviel,
weiß mir mit meinem Tag nichts anzufangen,
vergeude sinnlos wachend Nacht um Nacht.
Von allen, die durch mein Gemach gegangen,
behielt ich nichts, hat keiner mein gedacht.
Ich bin ein Hindernis dem großen Wandern,
das unaufhörlich nach der Zukunft zieht.
Ich lebe stets vorbei an allen andern
und singe kein der Zeit genehmes Lied.
Herzt eine mich, so muß ich sie verraten,
bin ich die Flamme, die ihr Opfer frißt,
und träumte sie von heil'gen Liebestaten,
gelten sie einem, der sie rasch vergißt.
Ich geh wie ungesehen durch das Leben
und durch den Reigen seiner Märchenfraun,
er hat mir, doch ich kann ihm nicht vergeben,
ich kann sein Bild, er nicht das meine schaun.
Ich streife ihre sichren Siegerschritte
von ihnen unerblickt, ein scheuer Wind.
Ob ich an ihnen froh wär' oder litte:
jede bliebe unnahbar Götterkind!
Und morgens lieg' ich wieder vor den Toren,
und keiner achtet auf mein Harfenspiel,
in eine Welt, die mich nicht will, geboren,
mir selbst mit jedem Atemzug zuviel.


14. 06. 1926

Menschenlos

Vorbei und wird nie wieder wahr,
daß Jugend mich besonnte,
als ich von jedem neuen Jahr
das Glück erhoffen konnte.
Als ich noch jungenhaft verliebt
an die Erfüllung glaubte,
daß es für mich auch Mädchen gibt
und Lorbeer meinem Haupte.

Vorbei und wird nie wieder gut,
daß Ährenlied und Klingen
des Bergbachs gleich mit meinem Blut
sich durch die Welten singen.
Als ich noch morgendlich verschwärmt
durch Wald und Felder jagte,
vom Hündchen liebevoll umlärmt,
dem Wind Gedichte sagte.

Vorbei und wird nie wieder sein,
daß ich wie Lerchen schwebte,
verloren, arm und ganz allein,
doch ohne Schwere lebte,
erwachte morgens wohlgemut
und legte froh mich nieder,
schlief wie ein Kind in Mutterhut:
vorbei und kehrt nie wieder.


21. 10. 1925

Das Nachtmärchenschiff

Die Maus im Gebälk, der Wurm in der Wand,
vor dem Fenster der Zweige Wehn,
meine Hand auf dem Tisch: eine Totenhand,
als hätt' ich sie nie so gesehn.
Und das Lampenlicht sticht. Unhörbar spricht
ein ferner, unheimlicher Gast,
ich sch' sein umschleiertes Schattengesicht
und gleiche ihm selber fast.
Ich bleibe hier und bin auch dort,
um Weiten weit ihm nah,
doch keiner von uns spricht ein Wort
von dem, was ihm geschah.
Eines Kindes Schifflein aus Papier,
das mittags im Brunnen fuhr,
zieht wie ein richtiges Schiff jetzt hier
auf meinem Blatt seine Spur,
und ich weiß: der Fremde ist an Bord
und fährt in seinen Traum.
Auch meine Sehnsucht segelt fort ...
Draußen im Garten der Baum
wird Wolke über dem Ozean.
der uns beide trägt,
bis uns plötzlich ein Orkan
auf die einsame Insel verschlägt.
Dort werden wir zwei uns brüderlich lieb.
Wir spähen nach dem Boot,
das einst auf dem Teich unsrer Kindheit trieb.
und spähen und hoffen uns tot.
Ich halte in meiner Totenhand
seine kalte Hand ... Wir wehn
mit dem Wind vor dem Fenster ... Und Meer und Land
sind nicht mehr im Nebel zu sehn.


24. 02. 1926

Sehnsucht nach den Wäldern

Im Wald, der mir so schmerzhaft fern verrauscht,
spricht sein Gebet ein Bach jetzt unter Farren.
Der Abend hält den Atem an und lauscht,
das Einhorn mag im Laub noch lässig scharren.

Dann jagt der Schneewind der Gebirge scharf
die Nacht des Waldes, die ich jetzt nur ahnen,
im grünen Lampenschirm nur träumen darf,
und um den Gletscher wehn die Wolkenfahnen.

Doch in der engen Stube meiner Wut
schwelt nur die dumpfe Luft der Kerkerzellen;
ich dulde stumm und bin mir selbst nicht gut.
Ans Fenster treiben feindlich Regenwellen.

Feindselig bellt im Hof ein fremder Hund,
schleicht ruhlos über mir ein Mensch im Zimmer. -
Jetzt grüßt der Mond den jungen Wiesengrund
und schenkt ihm eines Liebesblickes Schimmer.

Mich hier liebt nichts. Auch kein traumhafter Hauch
von unerreichbar süßem Sternversprechen.
Erinnrung flüchtet untern Hochzeitsstrauch,
die Rosen längst vergangnen Glücks zu brechen.

Die Märchenlichtung finde ich nicht mehr,
das Einhorn starb, der Wald hat sich verschlossen.
In meinen Träumen irr' ich kreuz und quer:
hier wuchs kein Grün, da ist kein Bach geflossen!

Vergebens hab' ich in die Nacht gelauscht,
ein herzlich liebes Abschiedswort zu hören.
Die Welt, die mir so schmerzhaft fern verrauscht,
erblüht am Haß, mit dem wir uns zerstören.


10. 02. 1926

Kranken-Nacht

Rastlos schachtet Bahn an Bahn. Krank durchwache ich
                      die Nacht.
Fenster schließen sanft sich zu, und zwei Stimmen werden still.
Der vergangnen Jahre Wahn wird noch einmal durchgemacht,
eh' ich in die letzte Ruh bitter lächelnd eingehn will.
Mich umflüstert so viel Spuk der verlornen Jugendzeit:
alles, was ich mutlos war, schleicht und lauert an der Wand,
und zu Licht und Wasserkrug bleibt es ewiglich so weit,
wie zur toten Mutter Haar und zu Vaters Schattenhand.
Meines Lebens Bettelgang war verfehlt mit jedem Weg,
was ich ließ und was ich tat, war am eignen Stern Verrat.
Als ich übern Zaun mich schwang in des Parkes Privileg,
Wildnis ohne Beet und Pfad war es, was mein Fuß betrat. -
Sonne überm Vaterhaus, Mittagschlaf an weißer Wand,
Hängematte wie ein Nest unterm Apfelblütenzweig!
Walzerlied von Johann Strauß, wenn ich lauschend
                 draußen stand,
der Konzerte Abendfest macht den Knaben blaß und feig.
Sterne im beschneiten Dach, Dialog der Winternacht,
da ich vom Theater kam, an des Dramas Pathos krank!
Frühlingswind am Wiesenbach, hab' dir einen Kranz gebracht,
stumm vor Seligkeit und Scham, doch du sagtest mir
                  nicht Dank.
Herbstwind peitschenknallend jagt Hungerweiden in den Fluß,
und ich starre in den Rauch, wo die Sommerfee verbrennt ...
Hab' ich »Abschied« leis' gesagt, fühlst du, daß ich bleiben
                  muß,
war es nur ein Blick, ein Hauch, und es hat uns nichts
                  getrennt. -
Mutter tot und Vater tot, und die Heimat fremd und fern.
Was einst jung war wurde alt und das Zärtliche vergrämt.
Stumpf ess' ich das Gnadenbrot; wo ich bin, bin ich nicht
                  gern.
Nirgends wächst ein starker Halt. Auch das Glück hat mich
                  beschämt.
Dennoch bindet alles fest. Wohin sollte ich entfliehn?
Nichts vermag der kühnste Sprung, wenn kein Ufer
                  ihn empfing.
Lockt es mich, nach Ost und West mit den Wolken
                  fortzuziehn -
keine Quelle zaubert jung den, der so wie ich verging.
Keine Freude mehr, kein Leid. Nur das eine menschlich
                  mahnt:
daß ich nicht vergessen kann, was ich einst so stolz begann.
Blume du am Frühlingskleid, hab' dein Welken schon
                  geahnt!
War ich jemals wirklich Mann? Jüngling nur, und Greis
                  sodann!
Der vergangnen Jahre Wahn hat mich nun hierher
                  gebracht:
letzte Rast vor dunkler Ruh, die von Menschen nichts
                  mehr will.
Alle Angst ist abgetan. Mich umarmt die Mutter Nacht.
Kindlich schließt der Blick sich zu, und das Herz wird
                  endlich still.


25. 07. 1926

Abstieg

Wie sich alles nun verliert
und die Hände nichts mehr halten!
Was das Leben schmückt und ziert,
muß verblassen und erkalten.
Was ich gestern noch erbat,
kann mich heut nicht mehr beglücken.
Alt bin ich und ohne Rat
vor Verführungen und Tücken.
Was mir jetzt sich gern ergibt,
wird von mir nicht mehr genommen,
hab' ich gestern es geliebt,
heut ist es zu spät gekommen.
Stumm seh' ich mir selber zu,
meinem Welken und Verzichten.
Fern mir, deine Welt, bist du,
meine kann ich stets nur dichten!
War Erfüllung wirklich nah,
wußt' ich nicht sie zu erfassen,
wartete, bis nichts geschah,
um mich schließlich selbst zu hassen.
Liebesaugen, Liebesmund,
Brüste, mir zum Spiel ergeben,
schmales Bein und Hüftenrund -
und ich kann es nicht erleben!
War vor aller Lust gelähmt,
blieb verzagt und ganz verschlossen,
und sie ging, gekränkt, beschämt -
und ich hab' mich nicht erschossen!
Lebe weiter wie ein Greis,
den man nur aus Mitleid füttert.
Da ich meine Schande weiß,
bin ich in den Tod erschüttert.
Nichts reißt mich zum Tag empor
aus dem Schattenchor der Alten.
Weil ich alles nun verlor,
muß ich fallen und erkalten.


08. 08. 1926

Das eine Mal

Dies alles siehst du immer nur einmal:
hier von der Höh' das herbstlich fahle Land,
der Wald, die Wiesen und den Fluß im Tal,
im Abendgold der Hügel grünen Rand.

Des Städtchens winzigkleine Giebelzier,
als Spielzeug eines Riesen aufgebaut,
der fernen Gassen wimmelndes Getier,
ihr irres Laufen ohne Sinn und Laut.

Das andre auch: den sanften Alpensee,
auf den die stillen Gipfel schweigend sahn,
tief unter ihrem ewig kühlen Schnee
lag träg' im Traum der Mittagsglut mein Kahn.

Auch lagerten wir einst auf weißem Sand
und träumten mit des Meeres Melodie ...
Fest halt' ich deine Hand in meiner Hand
und weiß, dies Wunder wiederholt sich nie.

Die grauen Segel flattern ... fern.. . . und nah ...
wie Falter, und wir blinzeln in ihr Spiel ...
Die Farben, die mein Auge damals sah,
trug bald ein welkes Blatt, das herbstlich fiel.

So stirbt, was eben war, und ist vorbei,
und, was du heut noch hältst, ist morgen fort.
Und nachts der Katzen dir gewohnter Schrei
klang anders stets an jedem andern Ort.

Du ahnst die Angst, die hinterm Lachen stand.
Lind lachst wie alle blaß im Bühnensaal.
Voll Kreuzen ist das winterliche Land.
Dein ganzes Leben war: dies eine Mal!


09. 07. 1925

Das glücklose Jahr

Vielleicht bin ich des Sommers nicht gewohnt,
nicht mehr gewohnt, mich freier zu verlieren
an Seen, wo es sich zu feiern lohnt,
zu liegen und durch Felder zu spazieren,
und wie ein Kind zu spielen ohne Sinn,
im Boot zu fahren, Berge zu erklimmen,
von Schützenfesten fröhlich den Gewinn
heimwärts zu tragen und ein Lied anstimmen.
Wenn auf dem Meer die Sonnenspritzer kreisen,
vor einer Kurkapelle glücksbereit,
dem altbekannten Lärm der Wagnerweisen,
sich wieder widmen wie zur Schülerzeit,
die Runde mit den andern ernst zu gehen,
an eines Mädchens Knie sich zu berauschen,
nachts auf der Landungsbrücke einsam stehen,
der Fluten großem Chorgesang zu lauschen.
Das Porterbier im kleinen Schifferschank,
des Kurtheaters volle Dialoge
erhascht von draußen auf der Gartenbank,
die Schiffslaterne schaukelnd auf der Woge;
des Bergwalds unaufhörliches Geraun,
seltsamer Vögel Schreie in den Dünen,
die lockende Silhouette nackter Fraun,
grelle Artisten auf den Sommerbühnen,
wenn Bäume, wie ein künstlich Ding erhellt,
zwischen den Stühlen, Tischen und Büfetten
unheimlich wirken, lasterhaft, entstellt.
Bei offnem Fenster Schlafende in Betten,
denen der Mond die Totenmaske gibt,
das Feuerwerk vom Rummelplatz verschnarchen,
und was sich eben himmlisch noch geliebt,
stumpf schaukelt in der Stuben Sintflutarchen.
Vielfält'ger Zauber sommerlicher Fahrt,
so oft erlebt in all' den früheren Jahren,
andachtsvoll in Gedanken aufbewahrt,
nie werd' ich wieder deinen Glanz erfahren.
Auf Berg' und Meere sieht der gleiche Mond,
wie einst spielt Sonne mit des Waldes Tieren.
Ich aber bin des Glücks nicht mehr gewohnt,
nicht mehr gewohnt, mich völlig zu verlieren.


09. 06. 1924

Klage

Bin in der Welt, und bin doch nicht darin,
der Wind der Zeiten geht über mich Gräslein hin,
Akazienduft und Mühlenwassersang
sind Wunder abseits meinem Einsamgang.
Die Büsche grünen und blühen und tragen Frucht,
doch mir grünt, blüht und reift nur Eifersucht,
die liebste Stimme spricht an mir vorbei,
dich anzublicken ist fruchtlose Quälerei,
kein Blick von mir trifft einen Blick, der ihn hält,
keiner Frau meine Huldigung wohlgefällt,
ich schwärme in den Nebel, ich kniee ungesehn,
wenn ich dicht neben dir stehe, kannst du mich nicht verstehn.
Ein Hüglein trüb' vergräbt mich trostlos stumm,
mich übertönt im. Garten der Bienen Gesumm,
das Rot und Gelb der Blüten ist wirklicher hier,
und die geschminkte Frau und das Katzentier,
als mein Leben, das schüchtern alles umwirbt
und in Sehnsucht nur immer stirbt und stirbt,
keinen Nachbarn hat, kein' Wand an Wand,
unterm Fuß keine Furche wirkliches Land,
eine Dornenhecke trennt es von Nachbars Klee,
ich rufe mein Lied vergebens über den See:
das Schilf bewegt sich, die Flut raunt ihr Einerlei,
die Stimme des Windes flüstert an mir vorbei,
ich will. mich demütig in ihren Klang verwehn,
ihre Silben über mein Feld als Schnitter gehn,
vernichtet liegt alle Güte am andern Tag,
und herzlos mäht jede Blüte der Sichelschlag,
der Knecht fährt lachend die grausame Ernte ein;
sprech' ich ihn an, schleudert er einen Stein
nach meiner hilflos bittenden Stimme hin.
Bin in der Welt, und bin doch nicht darin!


22. 05. 1923

Beichte

Ich überblicke mein Werk wie am letzten von allen Tagen:
und ich sehe ein seltsam fremdes Kind
plötzlich Züge aller Frauen tragen,
die mir in Wahrheit, im Traume, einst lieb gewesen sind.

Müßte ich morgen schon fort, ich könnte ungerührt scheiden,
ließ ich doch nichts als ein wenig Erinnerung hier
an die Lieder kleinlich zäher Leiden,
und viel Zärtlichkeit für Stein, Strom, Wolke, Blume und Tier.

Immer war ich allein, auch mitten im Menschengelichter,
auch wenn man herzlich umfangen mich hielt,
Vaters Sterben besah ich als Dichter,
Mutters Angst, deine Not und die eigne auch hab' ich gespielt.

Schließlich gelüstet's mich kaum noch nach neuen Versuchen,
da ich das trostlose Ende schon weiß:
wem ich lächle, der wird mir bald fluchen,
unter viel ewiger Jugend bleibe ich Greis.

Letzte Verlockung: fremdes Schicksal als eignes zu denken,
wie vertauscht als Unbekannter zu gehn.
Ungestraft darf ich doch keinen Aufschub mir schenken,
und auch dieser wird bald vor verschlossenen Toren stehn.

Trostlos verhüll' ich mein Haupt am letzten von allen Tagen,
mache mich gegen das eigene Spiegelbild blind.
Nichts darf ich mit mir hinüber tragen,
da mir alle Dinge weder wahrhaft leid, noch wahrhaft lieb
gewesen sind.


06. 01. 1924

Mein Grab

Auf allen Gräbern werden Lichter sein,
nur ich im Dunkel im Selbstmörderwinkel
muß ganz verachtet liegen, ganz allein,
geschmäht nur ab und zu vom bösen Dünkel
der Selbstgerechten, die vorüberziehn
und heuchlerisch den Blick zur Seite wenden,
und derer, die vor Prunkgrabmälern knien
und ihren Gott mit Flammenorgien blenden.

Ihr Fluch verklingt im dämmrigen Gehall
der Abendglocken, die an mich nicht denken.
Endgültig würgt uns ab der schwarze Wall,
auf den sich sternenlose Wolken senken.
Die letzten Lichter löschten. Leere schweigt.
Ein Vogel raschelt in verwelkten Kränzen.
An mich denkt nichts. Die Trauerweide neigt
und hebt die Arme irr in Todestänzen.

Und nichts bleibt mir von meinem Dichtersein
als eines Nichtigen fruchtloser Dünkel.
Auf allen Gräbern werden Lichter sein,
nur meines dunkelt im Selbstmörderwinkel.


 

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