Einsame Stimme - Du

Inhalt

2. Du
 

Dank

Liebeslied vor Weltuntergang

Kummer der Verzauberung

In der Fremde

Traumwege zur Liebe

Verzicht

Nachtfahrt

Sieg einer Liebe

Vernichtende Sturmnacht

Die Gewißheit

Lied Einsamer

Insel im Meer

Altern

Der Liebe Traumwald

Abschiedslied

Der Traum vom Orient

Resignation

Der Frauen Heimweg

Nacht am Meere

An einen Backfisch vom Bayrischen Platz

Nebel der Einsamkeit

Ich denke dein

Wir sehn einander an - - -

Dein Spiegel

Erlebnis auf der Caféterrasse

Glückliche Stunde

Lied

Stadtbahnflucht

Ermutigung

Liebeslied

Ich trieb dich fort . . .

Geheimnisvolle Stimme

Vor deinem Munde schmerzt ein schwarzer Schleier

Lied im Dunkel

Strenges Liebeslied

Die Hand

Elegie der Liebe

Ballade

An deinem Geburtstage

Flucht in die Liebe

Winternacht

Vergeltung

Der letzte Abend

Fürchte dich nicht

 

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II. Du

 

18. 08. 1925

Dank

Wie Blinde das Gewühl der Stadt bestehen,
wenn eine linde Hand sie sicher leitet,
kann ich Hilfloser heil durchs Leben gehen,
weil du mir alle Wege hast bereitet.
Du räumst von meinem Pfad Gestrüpp und Steine,
und über'n Wildbach weißt du eine Brücke,
hast einen Trost, wenn ich verzweifelt weine,
ein liebes Wort, schmerzt mich der andern Tücke.
Wie schäm' ich mich ! Ich sollte dich beschützen,
der gute Engel deines Lebens werden,
und kann nichts bessern und niemandem nützen,
bin nur als Last und Ärgernis auf Erden.
Der noch die kleinen Freuden dir verbittert,
verdammt zum steten Lästern der Verlornen,
daß deine liebewillige Seele zittert
vor meinem Wort, auch vor dem ungebornen,
bei jedem Opfer bebt, ob es genüge,
bei jeder Gabe, ob sie mir gefalle.
Was schenk' ich dir dafür? Die kleine Lüge
des Lieds, das dich besingt - und denkt an alle!
Du würdest mir den Mond vom Himmel holen,
ins tiefste Meer für mich nach Sternen tauchen,
du hättest mir zulieb' gedarbt, gestohlen.
Du wirst im Sterben meinen Namen hauchen.
Du bist das Wunder. Ich kann nur gestehen,
daß mir mein Leben nichts als Schmerz bereitet
und meine Tage ungestraft vergehen,
weil deine Güte immer mich geleitet.


07. 11. 1922

Liebeslied vor Weltuntergang

Ich schreibe »DU«, ich Sprech' es laut,
ich spür' den Herbstduft deiner Haut,
als ob du mir den Griffel lenkst,
malt er mir auf, was du jetzt denkst.
Dies Haus gleicht deinem Elternhaus,
der Mann dort mit dem Blumenstrauß
bin ich, der so zu dir einst kam,
im Wind küßt du mich wundersam,
im Wagen, der vorüber fährt,
hast du ein Stelldichein gewährt,
und wenn die Turmuhr sieben schlug,
sie mich zu deiner Liebe trug.
Das Zimmer dort im Lampenschein
ist dein und mein, für uns allein,
und unten rauscht die Großstadt fort,
die Magd tauscht mit der Magd ein Wort,
bevor sie schließt des Hauses Tor,
noch schlüpf ich durch, zu dir empor,
wo wir in unserm Leuchtturm sind
wie Gotteskind bei Gotteskind.
Der Großstadt wildes Sintflutmeer
rauscht draußen leer, nirvanaleer:
trieb Haus und Zelt nicht längst zerschellt
in die Unendlichkeit der Welt?
Eisschollen trugen Hof und Hort
zum Orkus der Ozeane fort,
Turm ward Ruine, Trümmersand -
nur wir auf diesem Zauberland
umarmen uns, Flut flieht und flieht,
wir wissen nicht, was rings geschieht:
schwankt unser Dach, tanzt unser Stern?
Der Zimmerkäfig, die Latern',
die noch vor unserm Fenster hält,
vielleicht beim nächsten Anprall fällt,
wie schon der Baum im Garten fiel,
Plakatzaun ist der Winde Spiel,
schwand doch Balkon, barst Keller schon,
das Telefon gibt keinen Ton,
und näher sinkt der Decke Druck,
Kronleuchter stürzt und Wändeschmuck,
und Schutt der Ewigkeit begrub
Napoleon und Engelsbub.
Noch standen wir schweigend umarmt:
ob unser sich kein Tod erbarmt.
Schlug letzte Uhr, reißt Gottes Hand
hinüber uns zum andern Strand?


20. 01. 1924

Kummer der Verzauberung

O Kummer, nicht die Liebe zeigen können,
die einer für den andern in sich trägt,
sich selber nicht die schönste Stunde gönnen,
wenn heiß mein Herz nur für das deine schlägt!

O Kummer, wieder unbeholfen schweigen,
wenn so beredt die Sehnsucht in uns drängt,
das Wunder ihrer Zärtlichkeit zu zeigen,
und doch die Last an jeden Schritt sich hängt.

O Kummer, innerlich vor Lust verbrennen -
und keiner kommt aus seinem Winter fort!
Wie gerne gäben wir uns zu erkennen,
und finden beide nicht das Zauberwort.

O Kummer, unsre Zeit verrinnen spüren,
und dennoch wird das einzige Glück versäumt,
es blüht so nah mir hinter diesen Türen,
die man zu öffnen feige stets nur träumt !

Und auch im Traume bleibt man auf der Schwelle
als einer, der das letzte niemals wagt.
O Leben: Welle strömt hinab und Welle,
und das Erschütterndste bleibt ungesagt.

O Leben, wo uns Götter nie vergönnen,
daß die verlorne Stunde wieder schlägt!
Ob Tote sich die Liebe zeigen können,
die einer für den andern in sich trägt?


 17. 11. 1923

 In der Fremde

Vielleicht ist alles gar nicht wahr,
und daß ich in die Fremde fahr',
früh kaum ein Traum noch blieb,
aus dem dich meine Stimme rief,
du liest im Bett von meinem Brief
nur dies: »Ich hab' dich lieb!«

Ich hab' dich lieb und bin bei dir,
obwohl in fremder Stube hier
ich einsam schlaflos lag,
ich dachte dein, da ward mir warm,
da hielt ich dich in meinem Arm,
und froh begann mein Tag.

Mein Tag war bald schon wieder kalt,
und ich stand abgetakelt, alt,
auf fremdem Platz allein.
Du gehst, von meinem Wort umwärmt,
in deinen Blicken lächelnd schwärmt
das Glück: »Er dachte mein!«

Wie einer, den man morgen hängt,
inbrünstig an das Liebste denkt,
so schmerzhaft denk' ich dein.
Ob ich zu dir noch einmal fahr',
ob ich schon morgen Schatten war
und ließ dich auch allein?

Und dir blieb nichts mehr als ein Brief,
aus dem noch meine Stimme rief,
noch rief: »Ich hab' dich lieb!«
Der Schatten einen Schatten traf,
du weinst dich einsam in den Schlaf,
aus dem kein Traum dir blieb.


14. 10. 1923

Traumwege zur Liebe

Aus dem Alabaster der Wand wachsen Kandelaber,
Teppiche gehn auf den Treppen mit uns ins Haus.
Oben plötzlich spricht ein verschlossenes Tor sein »Aber!«,
wir alle stehn verlegen, schleppen uns traurig ins Dunkel
                   hinaus.

Wo die Lüfte sich flügelnd schwingen und schweben,
wo aus Bächen von Winden die liebliche Stimme zerstiebt,
zärtliche Hände den Vorhang aus duftenden Reben heben,
damit wir Einlaß finden, wo alles einander liebt.

Lachend stehn wir im Saale. Paare, die uns gewahren,
rufen uns Glückliches zu, trinken uns Traumschönes zu.
Die mit der goldenen Schale, die Kindliche von zehn,
                   zwölf Jahren,
die ich erträumte, erschuf, sagt so süß zu mir: »Du!«

Wenn sich die Schemen vergessen, kann sich die Trauer
                  berauschen;
schlägt die Uhr ihre Stunde, ist alles Traumglück aus.
Hab' ich nur Flücht'ges besessen - mit keinem Gott mag
                  ich tauschen,
traumhaften Kuß am Munde, geh ich nach Haus.

Aus dem Schatten der Nacht wachsen Flammen,
der Schein auf den Regensteinen führt mich nach Haus.
Du hast so lange gewacht! Nun sind wir zusammen,
unsern Tag zu beweinen, furchtsam vor nächtlichem Graus.

Furchtsam vor Träumen, die trügerisch schwingen und
               schweben,
wenn aus flüchtigen Winden die schmeichelnde Stimme
                zerstiebt,
bis die zärtlichen Hände gemeinsam den Vorhang heben
und wir Einlaß finden, daß eines das andere liebt.


09. 02. 1925

Verzicht

Wie froh ging einst ich weit ins Land hinein,
so daß ich ungern nur die Rückkehr fand,
an jedem neuen Weg voll Sehnsucht stand
und wünschte, frei und heimatlos zu sein!
Wegweisers Finger schien mir bitt'rer Hohn.
Der Bauer fuhr ins Dorf den Abendklee,
mich dünkt, er führe über'n großen See.
Kurz vor dem Dorf mußt' ich als guter Sohn
zurück zur Stadt, die mich zufällig hielt,
zum Tisch mit Speis' und Trank, zum Bücherschrank,
zum Bett auch, drin ich wohlig nachts versank —
und hätte Abenteurer gern gespielt!
Geborgen in der Kissen weicher Hut
erträumt' ich mir in Wiesenheu und Wald
und Höhlen Abenteurerauf enthalt,
war Flüchtling, Räuber, Wild — und wohnte gut!
Vielleicht sprang mir ein Hase übern Schlaf —
ich rieb die Augen, und die Uhr schlug vier -
und eben war um mich noch Waldgetier,
als ich die Magd am Bach im Tale traf.
Jetzt bin ich der Gefang'ne einer Nacht,
wo draußen Regenlied, hier Gaslicht singt,
der Wände Haß mich zur Verzweiflung bringt,
der Bilder Schweigen mich zum Narren macht.
Du sprichst, ich liebe dich — noch dies ist Zwang,
ich möchte wüten, und ich bin besiegt,
kein Traumschiff über blaue Meere fliegt.
Wo blieb vergang'ner Jahre Überschwang?
Heut' bin ich alt, Gefühl welkt und Verstand,
nur deine Nachsicht läßt mich nicht allein.
Wie froh ging einst ich weit ins Land hinein
Jetzt bin ich froh, daß ich ein Obdach fand.


14. 09. 1921

Nachtfahrt

Der Nachtzug stürmt die Stadt. — Verirrt' ich mich,
ein Armer, in die samtne zweite Klasse?
Mein Stolz will Wollust, und er schirrte dich
für mein Gelüst, Geliebte, an die Kasse!

Die Frau, die drüben eines Mannes Arm
angstvoll umfaßt, ist deiner Schmerzen Schwester;
noch spür' ich deine Trostliebkosung warm
an mir, du Glück verzettelter Semester.

Der Nachtzug schleift. Die Diva ruht sich aus
von allen falschen Schauern ihrer Rolle,
das Licht in ihren Augen tut sich aus,
ihr Mund verliert sich ins Geheimnisvolle.

Ich kehre heim, in das, was mir bekannt ist,
und muß mich mit verstellter Strenge schützen;
wem von der eignen Brunst das Haus verbrannt ist,
dem kann kein Brunnen kühler Fremde nützen.

Der Nachtzug hält. Das Dunkel trägt mich fort
von Menschen, denen es ein Wunder gönnte. —
Du schweigst. Da wag' auch ich kein Liebeswort.
Uns raubt ein Schlaf, der nicht mehr enden könnte.


18. 08. 1922

Sieg einer Liebe

Du siehst die Welt - und siehst sie wieder nicht:
Gott will dir gut und macht dich blind vor allen
Unseligkeiten, die als Lasten fallen
auf meinen Tag mit schrecklichem Gewicht.

Er läßt dich immer spielen wie ein Kind,
unwissend, schuldlos an des Unrechts Härten,
ein Engel in den Paradiesesgärten,
die meiner Leiderkenntnis Höllen sind.

Und läßt dich dennoch mein Gefährte sein
und meine Not mit holden Sonnen trösten,
von allen meinen Rosen blühn die größten
und buntesten, gelabt von deinem Wein!

Scheinst du im Lager meines Feind's zu stehn
und triffst du mich ins Herz mit seinen Waffen,
zwingst du mich nur, dich immer neu zu schaffen
zur Schwester, deren Träume mit mir gehn.

Zwingst du mich nur, getreuer meiner Pflicht,
sie opferwillig durch die Tat zu stützen,
und wirst mich vor der eignen Feigheit schützen.
Leicht wird durch dich mir noch der Welt Gewicht


 04. 02. 1924

 Vernichtende Sturmnacht

Ist unser Haus ein Zelt im Wüstenwind?
Die Wände wanken, und die wilden Tiere
schaun durch die schattenhaften schon zu mir herein;
ich rufe sie, sie sollen bei mir sein,
ich bin besorgt und bang' mich wie ein Kind:
Klappern Skelette oder Torscharniere?
Ich selber schaukle auf geworfnem Floß,
die Wogen schlagen über mir zusammen,
mit letzter Kraft halt' ich mich angeklammert.
Der Untergang verhaßter Zeit mich jammert,
jetzt liebe ich, was einst mich so verdroß,
und wünsch' ihm Rettung aus des Weltbrands Flammen.
Und immer ruft und ruft mich dieser Schrei,
woher, wohin, ich kann es nicht ergründen,
bald klagte es im Garten, nun im Flur . . .
Ertönt er, meine Angst zu äffen, nur
und will nicht Hilfe, ist nur Zauberei,
lockt mich zu nichtigen Gedankensünden?
Ich wage nicht, mit ihm die Welt zu fliehn,
nicht, mit dem Sturm uns alle zu vernichten.
Ich will noch eine Weile dieses Wenige sein,
was Mensch genannt wird, Spiel für Lust und Pein
und doch beglückt, wenn es aus Melodien
des Sturms sich eine pflückt, sie zu bedichten,
und was sich schmeichelt, daß der wilde Wind
einbricht in seine welkenden Papiere
und wirbelt sie zu einem Werk zusammen,
das Kraft hat, eine Menschheit zu entflammen,
vor dem Jahrhunderte wie Tage sind
und Hingegebene die wilden Tiere.
- Der Traum verrauscht. Der Morgen in die Schmach
zerstörter Menschen bei zerstörten Dingen
blickt schadenfroh und höhnisch roh herein.
In seinem grausam wahren Frührotschein
ist unser Haus ein Zelt, das Wind zerbrach,
würg' ich an Worten, die mir nie gelingen.


21. 06. 1926

Die Gewißheit

Die Altbekannten meines Parks verschwanden:
das Negermädchen und die blonde Frau,
der Mann auch mit dem Hündchen kam abhanden.
Der schönen Mutter Haare wurden grau.

Wenn jetzt dein blasser Mund beim Arzte leidet,
sitz' ich verlassen hier auf einer Bank,
mein Blick, der sonst am Kinderspiel sich weidet,
ist wie der deine: matt und liebeskrank.

Der reglos leere Teich kann ihm nichts geben.
Ganz künstlich wirkt der kleinen Wiese Grün,
Theaterspuk, nicht sommerliches Leben,
und wie im Rampenlicht die Rosen blühn.

Die Menschen sind in Zeitungen versunken
und sehen nicht, daß hell die Sonne bricht,
als gold'nes Bad mit sprühend lichten Funken,
durch pralles Laub wie ein Urwaldgedicht.

Die Bonnen rings im Kreise plappern Dummes,
im Wagen brüllt die fürchterliche Brut,
ein Photograph wartet des Publikumes.
Ist jetzt auf deinen Leidenslippen Blut?

Nachts lagst du, deine Hände fromm gefaltet,
ein Totes auf der Bahre, starr im Bett.
Auch meine Hand ist angstvoll jetzt erkaltet,
schon wank' ich wie ein Schatten ums Boskett.

Zu Recht vertrieben aus dem Paradiese,
dem Park, der mir jetzt fremd und feindlich ist,
verhaßt dem Teich, den Bäumen und der Wiese,
fürcht' ich, daß du mir auch entfremdet bist.

Und dennoch, ist auch einsam unser Zimmer,
bringt keinen Gruß und hielt dich nicht zurück:
ich fühle, du bist mein und bleibst mir immer
und findest heim zu mir aus Schmerz und Glück.


 18. 05. 1924

Lied Einsamer

Wenn wir sprechen wollen,
Wind verweht das Wort,
lärmend Bahnen rollen
überm Haupt uns fort,
die viel schneller landen
am erwünschten Ziel,
eh' sich endlich fanden,
Pfade noch so viel.
Zwischen unsern Herzen
tobt das Meer der Zeit,
und des Leuchtturms Kerzen
sind so weit . . . so weit . . .
Singen auch die Glocken
sel'ger Inseln schon,
ach, ihr frommes Locken
bleibt erhoffter Ton,
ihre Blütenwiese
eines Traumes Au,
fern der Paradiese
Saum im Aug' der Frau.
Längst uns Tote hatten
Wandrer eingescharrt,
nur noch unsre Schatten
sind in sich vernarrt.
Aus dem liebevollen Werk
stürzt Stück um Stück.
Wenn wir lieben wollen,
Wind verweht das Glück.


09. 10. 1923

Insel im Meer

Das Zimmer ist voller Parfüm: die Frau ging zum Ball.
Lichter blitzen, erblinden. Das Haus ist leer.
Was nützt einem Dichter sein Ruhm? Überall
wird er sich einsam finden, Insel im Meer.

Verlass'ne, vergess'ne Insel, die bald versinkt,
ohne Leuchtturm, ohne Hütte, nur Schilf schwermütig
rauscht,
ein Vogel schreit, Hundegewinsel, kein Stern blinkt.
Wogen die Welt verschütten; Klage, der niemand lauscht.

Öde, die niemand entzaubert. Erde, von der niemand weiß.
Ohne Gruß verstummt ihre Lust, ohne Dank verblaßt
ihre Nacht.
Kein Traum von drüben bedauert, daß Sommermittage heiß
hier liegen mit offener Brust, sehnsüchtig ein Abend
hier wacht.

Lichter blitzen, erblinden. Der Himmel bleibt leer.
Sich selbst zerstört Sturmes Ungestüm, Wogenprall.
Einsam muß ich mich finden, Insel im Meer.
Zimmer erstickt an Parfüm. Die Frau ist beim Ball.


01. 05. 1926

Altern

Im Warten auf das Wunder ward ich alt,
kein Frühlingskuß gibt mir die Jugend wieder.
Die Nacht bangt vor des Todes Allgewalt,
der Tag sinkt vor ihm auf die Knie hernieder.

Ich stehe zwischen ihnen, ganz gebannt
von deiner Miene: hast du mich vergessen?
Du blickst, als hättest du mich nie gekannt.
Hab' ich nie Hand in Hand mit dir gesessen?

Und gibst du mir ein spätes gutes Wort —
willst du mich trösten, oder darf ich hoffen?
Ich lehn' am Brückenrand, die Welt fließt fort,
und dort im Dunkel ist der Orkus offen.

Nur eine kleine Biegung deiner Hand,
der weißen, schmalen, löscht mich aus dem Leben.
Du maltest meine Zeichen in den Sand,
schon wird es meinen Namen nicht mehr geben.

Schon fall' ich in des Todes Allgewalt,
sinkt auf mein Haupt die dunkle Wolke nieder.
Im Warten auf das Wunder ward ich alt,
kein Frühlingskuß schenkt mir die Jugend wieder.


01. 01. 1925

Der Liebe Traumwald

Könnt' ich dir wieder etwas Glück bedeuten,
und möchte uns ein neues Brautjahr blühn!
Im Wald, an dessen Lenz wir uns erfreuten,
werden noch einmal meine Träume kühn.

Wir lauschen in der Lichtung unsrer Liebe:
rauscht fern die Welt . . . ist sie vielleicht schon tot
Nur, daß mein Blick in deinen Blicken bliebe,
ist unser Abendtrost und Morgenrot.

Lärmt fern die Stadt? Schweigt es in den Ruinen?
Wartet auf uns ein leerer Platz am Tisch?
Wollen uns Dinge schaden oder dienen?
Verlangen Spiegel uns gebieterisch?

Fern raunt von uns Gerücht wie von Verbrechern,
längst toten, die man noch nach Jahren schmäht,
hocken Verwüstete bei ihren Bechern,
von Lästerung und Feindschaft aufgebläht.

Wir gehn als Mörder um in ihrer Rede
und sind so sanft in unserm Liebeswald,
beim Duft der Luft, des Quells und der Resede
verwandelt zu waldlieblicher Gestalt.

Wir tanzen, wenn im See die Glocken läuten,
zu sel'gem Tod uns in das Waldesgrün ...
Könnt' ich dir wieder etwas Glück bedeuten,
und möchte uns ein neues Brautjahr blühn!


14. 02. 1925

Abschiedslied

Niemals weiß ich, ob ich wiederkehre;
jeder Abschied kann für immer sein.
Tret' ich morgen, heimgekehrt, ins leere,
ohne dich todfremde Zimmer ein?

Kann dem Himmel einer fernen Stätte
ich Gebundener nicht mehr entfliehn?
Bannt ein Wahn mich plötzlich? Und ich hätte
nur den Trieb, mit dem Gewölk zu ziehn!

Ist des fremden Flusses Lockung mächtig?
Schwimm' ich schon in tolle Häfen ein?
Oder schließt ein Hügel mitternächtig
den in Spuk verwirrten Schläfer ein?

Du auch schläfst und hörst doch Züge rollen
und erträumst, daß einer heim mich führt. -
Tausend Jahre bin ich längst verschollen,
wenn dich früh des Lebens Kuß berührt.

Uber Brücken ging es, über Matten,
Strom und Himmel flössen ineinand',
unter mir, als friedlich kleiner Schatten,
lag, ein Hauch im Meer, mein Heimatland. -

Du sagst meinem Bilde Liebesworte,
schmückst dich zärtlicher mir zum Empfang,
zierst mit Kränzen meine Heimkehrpforte
und beginnst beglückt zur Bahn den Gang.

Fall'n deine Umarmungen ins Leere,
stürzt die ganze Welt in Trümmer ein?
Niemals weiß ich, ob ich wiederkehre,
jeder Abschied kann für immer sein.


16. 06. 1925

Der Traum vom Orient

Der Sand der Mark war eine ferne Fabel,
als ich im Traum das Morgenland gewann.
Ich blickte auf den braunen Mädchennabel,
der eben seinen starren Tanz begann.
Ein warmes Streicheln wehte von den Palmen,
und eines Fernen Singsang kam und schwand
Der Käfer von den heimatlichen Halmen
kroch plötzlich zärtlich über meine Hand
und brachte meiner Kindertage Wiesen,
den Duft der Felder und der Berge Wind,
daß die Oasen in den Paradiesen
mit meinem Vaterland verschwistert sind.
Wo ich auch bin, des heimatlichen Hauches
lieblicher Zauber ist um meinen Wahn.
Es wiegt im Tanze dieses braunen Bauches
sich Bergwald und der Ähren Ozean.
Wenn einst die Abendsonne goldne Schleier
über den Schlaf von See und Halde warf,
ersehnten wir uns Abenteuer freier
in einer Wildnis, wo man alles darf,
und dichteten der Büsche grüne Zelte
zum Aufenthalt für Jäger der Prärie
und flohen vor der väterlichen Schelte
in der Indianersteppen Poesie.
Und wenn wir klein in unsern Kammern lagen
erbebend vor des Schultags böser Pflicht:
»Wie werd' ich morgen zu bestehen wagen,
wenn meinen Namen streng der Lehrer spricht
dann half uns vor der schwierigen Vokabel,
die zu behalten man vergebens sann,
im holden Traum der braune Mädchennabel,
der eben seinen starren Tanz begann,
und tanzte über Korridor und Bänke
und über des Magisters scheelen Mund
uns in den Leichtsinn märchenhafter Schwanke,
und tanzte alles Ärmliche zugrund':
den Sand der kargen Mark. Und es zermalmen
wollüstigere Welten dieses Land.
Ich floh: mich streichelte der Duft der Palmen,
ein fremder, süßer Singsang kam und schwand
. . .


01. 01. 1924


Resignation

Wohin lebst du mit mir im Sturz der Jahre,
in welche Nacht fällt dieser Tage Glanz?
Liegst du mit mir einst auf der gleichen Bahre,
und jeder Stern trägt einen Dornenkranz?
Mißmut war meiner Stunden stete Stimme,
die fahle Lampe über fahlem Grab.
Der trübe Strom, in dem ich leblos schwimme,
zieht, Lebensfrohe, dich zu mir hinab.
Die Stürme schlafen. Kein Gestirn hält Wache.
Im Eis starb unsrer Frühlingsfahrten Kahn.
Wann landen wir im Hafen, hat die Rache
des Schicksals sich an uns genug getan?
Was hat es meine Schuld an dir zu rächen,
was trifft es dich, wenn es mich treffen will?
War zuviel Glück, als wir an Bergesbächen
einst wandelten, in unsrer Liebe still?
War zuviel Glück, als wir in Großstadtfesten
einst taumelten, in unsrer Liebe laut?
War's Hochmut, daß der Mann mit den Gebresten
im Arme hielt die allerschönste Braut?
Warum trifft dann auch dich die harte Strafe?
In deinem Lächeln noch der Schmerzenszug
macht rührend dich in deinem tiefsten Schlafe,
als ob dich ewig meine Geißel schlug
und ich mit dir ins Nichts herniederfahre,
dich wüst mitreißend in den Höllentanz,
teuflisch dich schleudernd in den Sturz der Jahre
lind bös' verdunkelnd deiner Tage Glanz.


24. 08. 1914

Der Frauen Heimweg

O das Nach-Haus-Gehn der geliebten Frauen
mit Gliedern, glühend noch, vom Schwärmen schwer,
durch abendliche Straßen, trostlos leer,
wo schwarze Schilder scheel und schreckhaft schauen.

Laternen lauern da und dort, verlebte
Larven von Greisen, tödlich jedem Glück.
Wie Szenerien von einem alten Stück
stehn graue Häuser, die kein Gott umschwebte.

Dann landet ihr in einer ganz verlassen
feindlichen Stube, die nichts wissen mag,
wo alle Blüten eures Bluts verblassen.

Wo keine Lampen weiche Hände haben,
Angst vor dem Dunkel wird euch klein und zag,
jetzt weinend in ein kaltes Bett vergraben.


23. 07. 1923

 

Nacht am Meere

Der fernen Küste zärtlich treue Lichter
grüßen mich Einsamen der Meeresnacht.
Ob drüben auch ein weltverlorner Dichter
krank von Erinnerung und Sehnsucht wacht?

Der Leuchtturm blitzt durch einen Wald von Masten.
Der Segel Falter huschen schattenhaft.
Scheinwerfer mit geheimnisvollem Tasten
das Strandgut von den Uferplatten rafft.

Ich, preisgegeben den Unendlichkeiten
und zwischen Fels und Welle ausgesetzt,
möchte zu dir über die Wasser schreiten,
da grad' der Sichelmond den Dunst zerfetzt.

Die Möwen, die am Morgen mich umspielten,
als ich verzweifelt auf der Brücke stand,
entbrannt nach dir, die ferne Hügel hielten,
wo sind sie vor des Dunkels Grabeswand?

Sie könnten mich zu dir hinübertragen,
noch eh' der Hügel grüne Lockung fiel.
Wo sind sie? Nur die Schiffssirenen klagen.
Und einsam zieht der Totenbarke Kiel.

Die jeder leugnet, der sie kennen müßte,
die nimmermehr zum Hafen wird gebracht:
ihr Lämpchen und das Licht der Jenseitsküste
grüßen mich Einsamen der Weltennacht.


14. 02. 1926

An einen Backfisch vom Bayrischen Platz

Ich liebe dich, du schwarzgelockte Pleite,
die Schmalheit deiner Beine ist verrucht!
Warum stört stets an deiner grünen Seite
ein Rechner, der die Liebesblicke bucht?
Dein kurzes Röckchen birgt Krieg oder Frieden,
dein Lächeln macht zum Jüngling, macht zum Greis.
Und hab' ich sieben Tage dich gemieden,
zieh' ich am achten wieder meinen Kreis
um deine hochmütig flimmernde Seele,
die jedesmal ein neues Spiel beginnt.
Du schaukelst dich, unnahbar wie Kamele,
durch deiner Freier heit'res Labyrinth.
Zum Markt, den du regierst, hast du verwandelt
die Sklavenmärkte aus dem Orient;
nicht du wirst hier, wir werden hier verhandelt,
dein Namenszug in unserm Fleische brennt.
Du wählst den aus, der deinem Willen zage
sich beugen darf und deine Pracht bezahlt. -
Ich habe alle Nächte, alle Tage
nur stets mit einer falschen Macht geprahlt.
Längst ging das Grau'n an meiner grünen Seite.
Dich anzulächeln war mir Atemnot.
So bist du, Mädchen, meine letzte Pleite,
lind deine schmalen Beine sind mein Tod.


25. 01. 1925

Nebel der Einsamkeit

Unfaßbar bin ich stets allein gelassen:
ich schreite durch den Nebel neben dir,
der Raum dort ist Gespenst, und es verblassen
die Schatten von erträumter Lebensgier.

Stand dort ein Freund mir unter der Laterne,
war er nicht wirklich, als ich zu ihm sprach,
und plötzlich wünscht' ich ihn in weite Ferne,
weil er mir doch einmal den Treuschwur brach.

Es schwebten Kinder, Frau'n an mir vorüber,
wie eines Spuks lautlose Schattenschar.
Der Liebestraum in mir ward trüb' und trüber:
wir sah'n, daß jedes am Ermatten war.

Und wagten doch einander nicht zu stützen,
wir lachten Sonntag, und wir trugen Groll.
Auf dein und mein Herz zielt des gleichen Schützen
nachtfarb'ner Bogen sieghaft unheilvoll.

Wir waren fast bereit, uns zu vernichten:
wir gaben selber eins den andern preis.
Ich ging, verstockt, mein eig'nes Lied zu dichten;
du träumtest dir ein Kleid aus Gold und Weiß.

Wir waren nur zu feig, die Welt zu hassen,
und jeder folgte eigenem Begehr.
Unfaßbar sind wir stets allein gelassen
und taumeln fremd nebeneinander her.


Weihnachten 1923

Ich denke dein

Ich denke dein: das ist wie Blütenzweige,
in deren Schattenschutz ich sicher ruh',
und deine Stimme spricht: »Schlaf' nur! Ich neige
mich über dich, mein Haar deckt sanft dich zu!«

Ich denke dein: und alle Welten sterben,
in deiner weißen Stirn aufzuerstehn;
gastlichen Trankes Glas zersprang zu Scherben,
gleich Schatten fremde Frau'n in nichts verwehn.

Ich denke dein, ich fasse deine Hände,
du sprichst zu mir, und jedes Wort ist nah,
als fielen all' die tausend Weltenwände
seh' ich dich, wie ich einst bei mir dich sah.

Ich denke dein: Wind singt und Kinder spielen,
und über fremde Brücken wallt die Welt,
ich aber bin in all' den seltsam Vielen
so eigen Herz an Herz zu dir gesellt.

Glaubt eine fremde Frau zu ihr mich neigen
und spiegelt schon sich drin mit schönstem Du -
ich denke dein: das ist von Blütenzweigen
ein Schattenschutz, in dem ich selig ruh'!

Und deine Haare decken sanft mich zu.


02. 03. 1925

Wir sehn einander an - - -

Wir sehn einander an, wie man ein Bild
mit höflicher Befremdung ansehn mag,
und jeder geht in seinen eignen Tag
und tut sein Werk und trägt vor sich als Schild
die Selbstgerechtigkeit der eignen Tat,
die schicksalhaft, doch ohne ihn, geschieht
und über ihm nun längst als Wolke zieht,
sein Blick zu ihr empor schon birgt Verrat.

Wir sehn einander an mit dem Entschluß,
nie zu erkennen unsers Wesens Kern.
Wir sind uns bös', wir haben uns wohl gern,
unwirklich, wie's im Schattenreich sein muß.
Das ist ein seltsam leichenhaftes Spiel,
das nie zu einem guten Ende führt.
Mein Mund, der deine Hände zag berührt,
weiß nicht, was mir an ihnen just gefiel.

Wir sehn einander an: ganz anders war
die Miene, die uns eben schön noch schien.
Verwandeln wir uns, eh' Sekunden fliehn,
sind vor dem nächsten Blick schon hundert Jahr
und mehr vergangen? Ist dein Angesicht
mir eines fremden Sternbilds Deutung kaum?
Ängst' ich als Quälgeist deinen Liebestraum?
Wir sehn einander an und sehn uns nicht!


24. 03. 1925

Dein Spiegel

Ich ging zu Bett und löschte das Licht,
da lag dein Spiegel auf der Diele
und behielt im Mondschein dein Angesicht
und trieb mit den Sternen seltsame Spiele.

Daß die Katze ihn zu umwandeln begann
wie einen Teich, der sie heimlich erregte,
und geriet in den unwiderstehlichen Bann
des Taktes, in dem sich dein Atem bewegte.

Im Garten tanzte verlassen das Gras.
Durch des Wanderers Hand rann der Sand der Pfade,
daß er von seinem Grame genas
auf der einsamen Bank der Nachtpromenade.

Alles das war in deinem Spiegel zu sehn.
Ich schaute, wie verzaubert, im Scherben
die Wolken über den Himmel gehen
und die Sterne an einem Windhauch sterben.

Und wie mein Licht erlosch der Mond,
entschwand die Katze zu einem Schatten,
als Berge, groß und ungewohnt,
sich vor mein Bett gelagert hatten.

Auf ihren Häuptern sträubte das Gras
sich empor in ohnmächtigem Schrecken.
Der Wanderer starb; was er besaß,
war ein armseliger Bettlerstecken.

Der blieb als Erbe in meiner Hand.
Nichts sah ich mehr in deinem Spiegel
als mich selbst an dem Stabe wanken durchs Land:
da schob sich vor jedes Tor ein Riegel.

Da griff ich den Spiegel, zum Letzten bereit,
dich an meine Seite zu zwingen,
und zu einem Schlummer voll Ewigkeit
entschliefen wir mit den dunkelnden Dingen.


31. 05. 1924

Erlebnis auf der Cafeterrasse

Dies schmale Frauenbein auf dem Omnibusverdecke,
noch grade in der knappen Hast des Haltens erhascht,
war wie ein heimlicher Gruß für mich, der im Verstecke
hinter der großen Zeitung auf der Cafeterrasse sein
                             Schnäpschen nascht.

Mein Gegenüber spürt auf meinem Antlitz kaum den
                             Schimmer,
den genießerischen, sieht kaum die Geste meiner erregten
                             Hand.
Ich brauche einen Kontrast und blicke durchs Fenster hinein
                             ins Wirtshauszimmer
auf die Kartenspieler und die stehengebliebene Uhr an
                             der Wand.

Wohin flogst du, Idol? Oder bist du schon beim
                             Zusammenstoße
von Omnibus und Lastwagen elend zermalmt und zerfetzt?
Ich träume mich höher empor bis zu deinem Schoße,
und küsse im Traum deine Brust und deine Augen zuletzt.

Daß ich sie nicht sah, nur den Schimmer des Seidenstrumpfes
und die schmale Melodie der frühlingshaften Knie ...!
Drin freut sich im Spiegel der Spieler seines Trumpfes,
und einer greift nach meiner Zeitung: »Gestatten Sie?«

Und schon sitz' ich entblößt und weiß, daß ich nichts erhaschte,
als was ich längst lieblicher noch in mir trug.
Wenn ich das Dasein einmal in seiner Nacktheit überraschte,
war das doch nur vergang'nen Lebens überzähliger Spuk!


21. 09. 1923

Glückliche Stunde

Manchmal sprichst du lieb zu mir,
dann ist alles wieder gut,
so, als wäre nie gewesen
Bitternis und schweres Leben.
Hast vielleicht ein Buch gelesen,
das war herzlich lieb zu dir,
und du spürst, wie wohl es tut,
einem Menschen Glück zu geben.

Oder fürchtest einen Traum,
der dich schmerzhaft büßen läßt,
quält mit Trauer dein Gewissen,
jagt dich durch die Flucht der Nächte,
und in ihren Finsternissen
träfst du mich und fühltest kaum,
daß ein Quell die Stirn dir näßt,
der uns beiden Kühlung brächte.

Neigtest dich zu ihm hinab,
wie zu etwas, das dich hemmt,
und ich bliebe dir verborgen,
kann der Blinden auch nicht nahen.
Krank erwachst du in den Morgen,
stumm steh' ich an deinem Grab,
darf, was mir unendlich fremd,
ohne Lüge nicht bejahen.

Wäre gern so lieb zu dir,
Schweigen mir nur wehe tut,
wünschte, deiner Lust zu leben,
betete, du wärst genesen,
Glück zu nehmen, Glück zu geben. -
Manchmal bist du lieb zu mir,
dann ist alles ewig gut,
ist kein Schreck, kein Weh gewesen.


19. 02. 1923

Lied

Kenn' ich dich? Kennst du mich? Nein.
Wiesen, wo wir spielten, sind längst im Dämmer.
Nebel braun. Des Werktags Gehämmer
schlägt die stärkste Sehnsucht klein.

Stand ein Adler überm Tal,
da ich selig war, wo ist sein Verwesen?
Du wardst krank an mir und bist genesen,
du lachst, und mein ist die Qual.

Gingen ins Ewige hinein,
für die Welt blind, Glück der Liebe zu finden.
Nebel braun. Die Lichtung sahn wir schwinden.
Kennst du mich? Kenn' ich dich? Nein.


14. 02. 1924

Stadtbahnflucht

Mich stürzt die Stadtbahn durch der Fenster Flucht,
ach, jede Stube flüsterte: »Verweile!«,
doch mich entführte längst die Sturmeseile
des Zuges, der sich selbst blindwütig sucht.

Sah ich das denn: ein Krankes rang die Arme,
ein Kind saß eifrig übers Buch gebeugt,
in neues Leid ward hier ein Mensch gezeugt,
dort wühlte ein Verwöhnter sich ins Warme.

Am Ofen ein Verfolgter sich verbirgt,
ein Greis stumpfsinnig auf sein Ende lauert,
ein Weib im Spiegel ihr Verblühn betrauert,
im Kerker der hat seinen Kopf verwirkt.

Und ich befrei' ihn nicht? Ich fliege weiter,
ein Passagier wie andre, spiele bloß,
ich lese meine Zeitung, teilnahmslos,
unnahbar, oberflächlich trist und heiter.

Von keinem Zeichen wirklich überzeugt:
das Antlitz gegenüber reizt nur flüchtig,
gewiß ist dieses Mädchen lebenstüchtig
und wird von keiner Angst, wie ich, gebeugt.

Verbirgt mich gut mein Kleid der neusten Mode?
Vielleicht entgleist der Zug - ich schau' nicht auf,
ich kann nicht mehr zurück, ich bin im Lauf
und laufe unaufhaltsam bis zum Tode.

Ich leugne, daß mich deine Sehnsucht sucht.
Mag treiben mich der Welten Sturmeseile,
zu spät nun hör' ich weinen dich.: »Verweile!«
Längst jag' ich leblos mit der Sterne Flucht.


02. 10. 1925

Ermutigung

Kehrst du heim mit der drohenden Antwort und weinst ...
Aber eben noch war ich auf seligen Inseln,
freute mich, lebte und schuf! ... Und nun soll ich winseln,
weil du dich nah der Schande und Armut meinst?

Was der Kellner heut' mittag Spaßiges sprach!
Eben mußt' ich es laut im Erinnern belachen ...
Soll ich nun plötzlich traurige Mienen machen,
reuig bekennen, was ich an dir verbrach?

Grade ist mir so tänzerisch leicht zumut;
als ich jetzt deinen Schritt im Treppenhaus hörte,
war ich wieder der jung schon von dir Betörte,
spürt' ich dein Mädchenlachen mir prickelnd im Blut.

Damals war uns die Frühlingswiese zu eng,
spotteten wir des Morgen und sogen das Heute
bis auf den letzten Tropfen der köstlichen Beute.
Müssen wir nun schon alt sein und ängstlich und streng?

Soll'n wir verzweifeln, weil einmal die Stunde geizt;
weil es jetzt dunkel wurde vor unseren Scheiben?
Aber es wird doch nicht ewig Abend bleiben;
fror dich im Freien, schon ist deine Stube geheizt.

Wer noch lebt, hat hundert Wege zum Glück,
und die herbstlichen Hügel halten das Leuchten
der versunkenen Sonne auch in den feuchten,
nebelumsponnenen Schanzen zurück.

Laß uns reuelos leben und lieben wie einst!
Sieh' das spielende Kätzchen, die weidenden Kühe ...
Lohnte sich jemals des Menschen Verzweiflung und Mühe?
Morgen lachst du grundlos, so wie du heut weinst.


22. 10. 1925

Liebeslied

Wenn dir andre Rosen brachten,
Dornen waren stets von mir;
wenn dich andre lachen machten,
ich schuf Leid und Tränen dir.
Saß ich auch an deinem Bette,
fühltest doch, wie fern ich blieb !
Sommersee und Bergeskette
hatte ich in Wahrheit lieb!
Küßt' ich tröstend deine Hände,
war mein Herz bei einem Hund,
hing mein Blick am Schmuck der Wände
inn'ger, als an deinem Mund.
Ach, ich habe viel verschuldet,
dort auch, wo ich viel vergab,
und die Schmach, die ich erduldet,
grub sich selbst ihr Armengrab.
Hab' dich stets allein gelassen,
war dir meine Hilfe not.
Tat wie blind, wenn in den Gassen
du dich gabst für unser Brot;
wollte wissen nicht, und wußte
doch, wie sehr ich dich zerrieb.
Wenn ich einmal wach sein mußte,
war ich's als ertappter Dieb.
Fremder Duft um deine Kleider,
fremdes Glück in deinem Blick - - -
Ich Schlemihl verzichte leider,
füge mich in mein Geschick,
das ich selber so nur wollte,
das mir sehr zu Recht geschah -
dem ich doch im stillen grollte,
weil ich mich verächtlich sah.
Wenn dich andre lachen machten,
wie ertappt verstummten wir;
wenn dir andre Rosen brachten,
Dornen waren stets von mir.


11. 11. 1925

Ich trieb dich fort

Ich trieb dich fort - nun sehn' ich mich nach dir,
nun wird mir meine Einsamkeit zur Pein,
ich sitze schuldbewußt; hätt' ich ein Tier,
ich spräch' von dir, wir dächten beide dein!
Des Zimmers Wärme macht mich nun nicht warm,
ich friere, wie du in der Fremde frierst,
ich weiß dich strömen mit dem Menschenschwarm,
in dem du immer dunkler dich verlierst.
Mich schmerzt es, wie du dich zu lächeln zwingst
und obdachlos bei Schatten dulden mußt.
Ach, jedes Opfer, das du still mir bringst,
wird mir zum Fluch. Ich bebe schuldbewußt.
Ich sehe deinen müd'gehetzten Blick,
der Hände Zittern an dem Glas mit Wein,
ihr zages Tasten nach dem Vorhangstrick ...
Wie sind wir beide furchtbar jetzt allein!
Warum hab' ich die Insel dir verwehrt,
da doch mein Herz zu deinem nur gehört?
Was nun mein Traum so inbrünstig begehrt,
bei dir zu sein, warum es selbst zerstört?
Am Flusse, über dem kein Stern mehr wacht,
kniet jemand, den sein Herz nicht weiterführt,
und harrt auf eine Antwort aus der Nacht,
die teilnahmslos und schweigend sich nicht rührt.
Erreicht der Liebesruf ihn noch einmal,
und kann ihm noch einmal die Welt verzeihn?
Spürst du jetzt meine eig'ne Todesqual,
und wird sie dir genügend Rache sein?
Wie Feme meine Stube mich umschweigt -
hin ich als ein dem Tod Geweihter hier:'
Ich warte, daß ein Schimmer Licht sich zeigt.
Ich trieb dich fort, nun sehn' ich mich nach dir.


01. 03. 1925

Geheimnisvolle Stimme

Klangst vorüber wie ein Ton
ferner Sternenmelodie,
Stimme du im Telefon ...
Wessen warst du? Darf ich nie
ihn erblicken? Ist er gar
Feind und meiner Welt verhaßt,
der doch, wunderbar, jetzt war
mir Verlass'nem lieber Gast?
Klangst vorüber, wurdest stumm,
wurdest unerreichbar fern,
flohst verzichtend wiederum,
herb enttäuscht auf deinen Stern,
spürtest nicht, wie ich dir nah'
und zur Antwort war bereit.
Daß die Zwiesprach' nicht geschah.
daß du Ewigkeiten weit
mir entschwebtest wie ein Spuk,
so, als hätt' ich nur geträumt!
War ich nicht bereit genug?
Hab' ich allzu lang' gesäumt,
zu erwidern diesen Klang,
der vielleicht von drüben kam,
daß die tote Mutter, bang',
meinen Ruf nicht mehr vernahm?
Hab' ich etwa nicht erkannt
ihre Stimme, so vertraut,
hat sie mich, wie einst, genannt
mit dem liebsten Koselaut?
Weil sie keine Antwort fand.
ist sie nun für immer tot.
Und ich Tauber mißverstand
letzten Gruß, den sie mir bot!
Keine Hand von drüben reicht
dann sich meinem Sterben gern,
hilft mir übern Abgrund leicht
auf den mütterlichen Stern.
Einsam sinke ich, verdammt,
in das schattenlose Nie,
wenn die Ewigkeit durchflammt
dieses Sternes Melodie.


21. 10. 1914

Vor deinem Munde schmerzt ein schwarzer Schleier

Die letzte Wehmut dieser Regenstunden
umrankt das Röcheln einer lahmen Leier -
Noch hat sich Herz zum Herzen nicht gefunden,
da schmerzt vor deinem Mund ein schwarzer Schleier.

Wir steigen stumm, zersplitterter, und spähen
in jeder Droschke heimlich dunkle Zelle -
Vielleicht, daß wir uns selbst versöhnter sähen,
hielten wir unser Leid getrost ins Helle.

Verspätet spuken Greise durch die nassen
Laubgänge mit entschlummerter Gebärde -
Laß mich noch einmal deine Hände fassen
und warten, daß es wieder Weihnacht werde.


29. 08. 1925

Lied im Dunkel

Laß die Sehnsucht, die Vergang'nes wieder
sucht und doch das Neue meint!
Auch die Fremde welkt. Und Reue weint
dort wie hier, und Angst hat keine Lieder.
Hebt der Berge Schnee den Tag zu Sternen?
Ob der Wald nachts an die Mauern rauscht?
Wer dem heimlich steten Trauern lauscht,
wird die Freude und das Glück nie lernen.
Abschied mahnten bald der Herde Glocken,
Hauch im Laub, des Baches Klageton,
mahnt die Welt am ersten Tage schon,
und zum Leichtsinn kann kein Fest verlocken.
Keines Mädchens noch so junger Schritt
nimmt den meinen zum Vergessen mit.
Lachte ich? Daß ich indessen litt,
und mit meiner eig'nen Schwermut stritt,
ahnt und fühlt nicht, wer so ohne Schwere
unter ewig blüh'nden Linden geht,
von des Winters Winden nie umweht.
Mir wird stets zur Last, was ich begehre,
und zum Kummer, was mich erst erfreute.
Kätzchen starb. Geburtstagsblume bleicht.
Als es fast zu meinem Ruhme reicht,
weiß ich, daß ich nichts vor dir bedeute,
und verzichte auf den Trotz, der wieder
etwas träumt, was Treue scheint.
Jeder Sommer welkt. Und Reue weint
überall. Der Tod hat keine Lieder.


13. 03. 1926

Strenges Liebeslied

Dir gefällt nicht, was ich schreibe.
Mir gefällt nicht, was du lebst.
Daß ich trotzdem bei dir bleibe,
daß du trotzdem mit mir lebst,
hat mit Rosen uns umsponnen
und mit Kälte überschneit.
Leben wir in Sommersonnen
oder in der Winterzeit?

Ach, wir strecken zag die Hände,
dunkelt's, nacheinander aus.
Plötzlich schrecken Feuerbrände
feindlich von dem Nachbarhaus.
Ach, wir fangen an zu reden,
was der andre überhört.
Stille Stunden haben jeden
schließlich schon einmal betört.

Schwüre lügen. Reden lügen.
Schweigen lügt und Wahrheit schmerzt.
Sich mit Güte zu begnügen,
fühlt sich kaum ein Mensch beherzt.
Was ich träume, was ich treibe
stirbt, wenn du es nicht erhebst. -
Dir gefällt nicht, was ich schreibe.
Mir gefällt nicht, was du lebst.


30. 06. 1926

Die Hand

Es dunkelt. Eine Hand, die Blumen pflegt,
ich sehe nur die Hand am Fenstereck,
sie hat sich wie ein weißes Tier bewegt
und zog sich still zurück in ihr Versteck.

Nun läßt mich ihr Geheimnis nicht mehr los,
ich wandle durch das abendliche Land,
mich quält Begier und wird wie Sehnsucht groß,
auf meinem Herzen liegt die fremde Hand.

Sie führt mich in der Lindendüfte Traum ...
Ich will erraten, wem sie wohl gehört:
der einsam Alternden im dunklen Raum,
von Trauer um den toten Mann zerstört?

Der einsam Jungen, die es nicht mehr wagt,
als Lahme sich dem rohen Spott zu nahn,
die einen, der ihr Zärtlichkeiten sagt,
nur kennt in ihres Wochenblatts Roman?

Einsam und glücklos muß sie sein wie ich,
der schmerzlich durch den fremden Abend trabt;
so gab sie nur den stummen Blumen sich,
hat nur dies bißchen Schattenglück gehabt,

den kleinen Trost, ganz ohne jedes Wort
den stumm Verblühenden noch wohlzutun,
zu warten, bis gleich ihnen welk, verdorrt,
sie wehrlos fällt ins todesdunkle Ruhn.

Mir aber wird so Nacht wie Heimkehr mild,
mir bleibt im Traume wie ein Liebespfand,
wie eig'nen Seins geschwisterliches Bild:
der unbekannten Freundin weiße Hand.


04. 06. 1923

Elegie der Liebe

Jede Liebe ist voll Einsamkeit,
jede ist an die Schwelle der Schwermut gebaut,
wo des Zweifels Todesangst urwaldlaut
in die Wollust der Nächte schreit.

Alles, was der Mensch zum Menschen spricht,
ist noch tiefer als Schweigen und Totsein stumm.
Leidenschaftssturm biegt jede Zärtlichkeit krumm,
wenn er sie nicht wie ein Spielzeug zerbricht.

Jeder Spiegel des Herzens wird trüb,
in den Lauben des Glücks nächtigt Schreck.
Nirgends bleibt der Sehnsucht ein Versteck,
seine Fangarme schleudert der Alltagspolyp.

Er erhascht dich, führten dich noch so weit
Flügel des Schwärmens, von heiligen Himmeln umblaut.
Der Hochzeiter sinnt Flucht, heimlich weint die Braut:
jede Liebe ist voll Einsamkeit.


03. 04. 1926

Ballade

In fremder Stadt, im Hospital,
ganz maskenhaft und fieberfahl,
im leiddurchstöhnten Krankensaal
mein Schmerzensangesicht.
In fremder Stadt, im Ballokal,
ganz maskenhaft und fieberfahl,
im lustdurchstöhnten Orgiensaal
dein Schmerzensangesicht.
Wie uns die gleiche Schwermut eint,
und Leid und Lust im Grunde weint,
was Trauer scheint, was Freude scheint,
sich in der Tiefe gleicht!
Es hängt am Kreuz der gleiche Christ,
ob du im Rausch leichtsinnig bist,
ob schwerfällig mein Schweigen ist
und jedem Witz entweicht.
Du opferst dich in Fest und Spiel,
und ob dein Mund der Welt gefiel,
sein Rot zu wenig war, zuviel:
es ist das gleiche Weh
wie meins, das einsam sich verliert,
und dessen Schmerz kein Lächeln ziert
in meines Zimmers Angstgeviert,
wenn ich dich nicht mehr seh.
Du fährst wie ich, dem Tod geweiht,
in fremde Welt und fremde Zeit.
Der Weg zu dir ist ganz verschneit,
der Weg zu mir verweht.
Wo du bist, schmückt der warme Süd
das Boot mit Sonne, und es blüht
ein Paradies, und niemand müht
sich um ein Angstgebet.
Wo ich bin, ist der Tag so karg,
die Straße kalt, die Stadt ein Sarg,
und wie ein Friedhof liegt der Park
in stummer, grauer Not.
Ich hocke kalt auf einer Bank,
ich bin vor Gier nach dir todkrank;
was ich von deinen Lippen trank,
ist Trauer heut und Tod.
Und tot liegt dann im Hospital,
ganz maskenhaft und marmorfahl,
im kahlen, kalten Leichensaal
mein Schmerzensangesicht.
In fremder Stadt im Ballokal,
wird maskenhaft und totenfahl,
beim Schlag der Uhr mit einem Mal
dein Schmerzensangesicht.


18. 08. 1926

An deinem Geburtstage

Der ganze Tag ist: an dich denken,
die Hügel wünschen grün dir Glück,
die Wiesen wollen dich beschenken,
der Feldweg führt zu dir zurück.
Die Wagen auf der Straße karren
das eine Lied, das von dir singt.
Die Hütten an den Hängen harren
des Abends, der dein Sternbild bringt.
Ich selber geh', von dir umschlungen,
weil mich der Wind wie du liebkost,
im Tal das Glöckchen hat geklungen
wie deiner Stimme holder Trost.
Dann stieg ich in des Städtchens Stille,
wie nahe an dein Herz hinab,
durch eines Friedhofs Mondidylle
um das verlass'ne Dichtergrab,
den Schritt zu unserm Haus zu lenken,
und gab mich ganz an dich zurück.
Die Jahre bleiben: an dich denken,
und bei dir sein, ist höchstes Glück.


18. 08. 1926

Flucht in die Liebe

Ich will mein Haupt in deine Hände legen,
die Augen schließen ... (unsre Liebe singt) ...
und nichts mehr fühlen als den kühlen Segen,
der meiner Stirn jetzt endlich Frieden bringt.

Es rauscht der Ozean in unserm Schweigen,
die nächtlichen Gebirge leuchten groß,
die Wolken weben ihren weißen Reigen,
und Sterne fallen in des Waldes Schoß.

Nun trink' ich aus dem Becher deiner Hände
die bittren Tränen meiner Lebensnot;
wenn ich euch tröstliche einst nicht mehr fände,
so wäre es mein letztes Abendrot.

Versänke eine Welt im Grab der Nächte,
auch ihr Erinnern schwände hin wie Wind.
Kein Lied von unsrer Liebe Botschaft brächte
zu dem Gestirn, auf dem wir nicht mehr sind.

Noch fühl' ich deines Herzens sanfte Schläge,
durch deine Hände meinem Herzen nah. -
Oft war ich für den schönsten Traum zu träge;
nun dauert mich: wie vieles nicht geschah!

Geschlossnen Auges mal' ich mir viel Gutes,
Gedenken dessen aus, was niemals war.
Ich gleite auf den Fluten deines Blutes
in Abenteuer, tief und wunderbar.

So süß ist es, mit dir sich zu verlieren:
das All verstummt, nur eine Quelle tropft,
es raschelt von des Waldes kleinsten Tieren,
und eines Vögleins Herz verängstigt klopft.

Kann ich noch mehr, was unser ist, erleben,
als Schweigen, das uns hochzeitlich umschlingt?
Ich darf mein Haupt aus deinen Händen heben,
die Augen öffnen: unsre Liebe singt!


Weihnachten 1925

Winternacht

In meinem Garten tappt die Winternacht,
die weiße Hand betastet meine Scheiben;
ich bin in Todesängsten aufgewacht:
dringt sie herein, mich grausam zu entleiben?
Vergang'nes, das im Traum mir nahe war,
baut keinen Wall jetzt um mein schwaches Bangen;
auch ich verließ es, war es in Gefahr,
und bin vor seiner Not beiseit' gegangen.
Du schlummerst neben mir, dornröschentief,
daß ich dein Märchen nicht zu wecken wage,
so friedlich, wie ich selbst als Kind einst schlief,
noch nicht gehetzt von jedem Glockenschlage.
Träumst du die Liebe, die ich dir nicht gab,
und bist nun glücklicher mit meinem Schatten?
Ich nehme als Geheimnis mit ins Grab,
wie lieb dich immer meine Träume hatten.
Wie oft lag ich so schlaflos Nacht um Nacht,
war innig zärtlich zu dir in Gedanken!
Was aber hat der andre Tag gebracht?
Verbitterung und Schweigen oder Zanken!
O könntest du, was meine Brust verschließt,
die Innigkeit für dich, nur einmal schauen,
nur einmal ahnen! Doch im Dunkel fließt
der Strom des Bluts einsam zum Todesgrauen.
Ich wage nicht, noch einmal deine Hand
mit einem leichten Streicheln anzurühren,
daß nicht, verstrickt vom gleichen Schicksalsband,
wir beide nieder ins Nirwana führen,
daß ich nicht diese letzte. schwerste Schuld,
dich völlig zu vernichten, auf mich lade.
Ich nehme Abschied, stumm und in Geduld
ergeb' ich mich auf Gnade und Ungnade.
Ich bin bereit. Das Opfer sei gebracht!
Sie soll mich aus dem Paradies vertreiben.
Doch weit ins Land schon wankt die Winternacht,
und ich darf noch ein Leben bei dir bleiben.


02. 05. 1924

Vergeltung

Die Tiere spielen nicht mit mir. Die Menschen sind mit mir
                  nicht ernst.
Die Straße, die ich täglich geh, sie war mir fremd so früh
                  wie spät.
Du lächelst fremd, wenn du mir bleibst und wenn du dich
                  von mir entfernst:
was ich in deinen Augen seh, ist wie mein eigner Blick unstet.

Unstet und flüchtig muß ich sein, stets auf der Jagd nach
                  einem Wahn:
zu Haus mein Zimmer wird zur Qual, und draußen quält mich
                  alles Land,
und nachts durch meine Träume hin rast sinnlos eine
                   Eisenbahn,
und stürzt vom Viadukt ins Tal und wird zermalmt von
                   meiner Hand!

Doch meiner Hand gebleichtes Blatt welkt sinnlos in sein
                   Herbstgeschick,
in vieler Tode losem Staub spielt ahnungslose Kinderschar,
und aus des Teiches Spiegel trifft mein Blick nur wieder
                    deinen Blick,
und gleitet über welkes Laub und sieht: wie Schnee ist
                    unser Haar.

Ist unser Haar nicht brüderlich erblüht zu neuem
                   Frühlingslicht
und schimmert weiß wie Blütenland, daß Gott in seinen
                  Schoß uns pflückt?
Ich Blinder bangte Gram und Tod und glaubte an die
                  Sterne nicht,
zu denen nach dem Weltenbrand die Einsamen ihr Stolz
                  entrückt!


02. 05. 1924

Der letzte Abend

Ich fürchte mich, die Fenster zu verhängen,
Licht anzuzünden, eh' die Dämm'rung tot ist:
mag sich der Sturm in meine Stube drängen,
die doch im Strome ein verlornes Boot ist!

Von fernen Feldern weht es in mein Sehnen.
ich sehe nur den Stern im Fensterrahmen,
und möchte mich an deine Schulter lehnen,
und gebe dir die schönsten Kosenamen.

Auf jenem Sterne beben deine Schwestern
vielleicht ins Dämmern eines neuen Tages,
mir unerreichbar wie das Glück von gestern,
verschollen mit dem Ton des Glockenschlages.

Das Tischtuch nur mit seinem weißen Scheine
hat noch ein wenig Bild um mich gebettet,
dann schmilzt es in die Tränen, die ich weine,
weil Angst mich in den Abendkummer kettet.

Aus nachbarlichen Kammern Lampen mahnen,
wie sie mit Licht das Dunkel zu verscheuchen.
Ich aber lausche nach den nahen Bahnen,
die auf unsel'ger Flucht vorüberkeuchen.

Ich weiß: nie können sie ihr Ziel erreichen,
da längst die Welt aus Früh und Abend tot ist.
So mag mit ihr nur auch mein Heim verbleichen,
das auf der Sintflut nun das letzte Boot ist!


10. 09. 1925

Fürchte dich nicht . . .

Fürchte dich nicht, weil deine Tage gezählt sind!
Brennt auch die Lampe schon trüber, fürchte dich nicht!
Wie wir im Schimmer des Mondes aufs neue vermählt sind,
unter der letzten Nacht noch das Meer mit uns spricht,
Sterne die weißen Rosen über uns streuen,
und aus den Tiefen das Lied des Delphins zu uns steigt,
wird sich uns immer die Fahrt durch die Welten erneuen,
ist unser Sang nicht zu Ende, wenn er hier schweigt.
Über die Ströme, so groß sie auch sind, führen Brücken,
goldne und solche aus Marmor, aus Holz wechseln ab,
und du lächelst der Blinden, die klagend schmücken
in dem längst vergessenen Lande dein Grab.
Denn du stehst schon strahlend auf höherem Hügel;
Blumen, die jene nicht kennen, umduften dich mild,
Vögel, die jene nicht ahnen, mit bunterem Flügel,
sind die Zier auf dem lebenden Zauberbild.
Fabeltiere streichelst du, hast für das Dürsten
der Traumschimären seltsame Tränke bereit,
weilst unter Wundern, bist mit den himmlischen Fürsten
über den Zelten der irdischen Wirklichkeit,
einer von denen, die durch das Märchen erwählt sind,
plötzlich aus tiefsten Nächten nahe dem Licht.
Fürchte dich nicht, weil deine Tage gezählt sind!
Brennt auch die Lampe schon trüber, fürchte dich nicht!


 

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