Inhalt
Es kommen die Stunden, die uns trennen---
Meines Vaters Schatten hinkt vor mir her ...
Besuch des reichen Onkel Agrariers
Auch den Verspielten blüht ein Himmelreich---
An den Exzentrik des »Zirkus Blumenfeld«
Die Dame, die an der Zirkuskasse sitzt, denkt:
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07. 11. 1912
Für Alfred Kerr
Ein schwarzer Strich schwebt schwingend durch den Rummel
Von gelben Straußenfedern überdacht,
Aus tiefen Augen windet sich die Nacht,
Und Provinziale schwimmen auf dem Bummel.
Und eine Frau, die Kopfweh rasend martert,
Welkt zwischen Wänden und vergeht in Scham,
Ein invalider Rumpf hausiert mit Kram,
Ein Viehprotz hat sich eine Braut gechartert.
Doch du stehst fern, hoch über allen Wegen,
In schwarzen Bäumen stumm auf dem Balkon,
Und fühlst den Stern von jedem Menschensohn
Erblühn - - zersplittern - - Trostlos tropft der Regen.
03. 08. 1911
Wallfahrtschoral der Jungen
(Für Franz Jung)
Wir sind die Jungen:
Mit zukunftszarten, schamschwachen Knochen,
Von neuen, vernichtenden Stürmen zerbrochen,
Wund und zerrungen - - -
Aber wir wollen ja siegen!
Wir wollen j a unsre Stimmen hören,
Wir wollen Seelen besitzen und Töchter betören
Und jemanden haben, an den wir uns schmiegen - - -
Doch wir sind stets allein!
Wir haben auch niemand, mit dem wir sprechen.
Wir werden uns in uns selbst zerbrechen -
Es muß wohl so sein!
07. 10. 1911
Es kommen die Stunden, die uns trennen - - -
(Für Franz Jung)
Wir können auch nicht zu denen reden,
Die unserm Herzen am nächsten stehn:
Denn die Worte sind allzusehr für jeden,
Und unsre innigsten Zärtlichkeiten
Müssen uns immer wieder entgleiten
Und vag vergehn …
Es kommen die Stunden, die uns trennen,
Und ein Blick, der eine Mauer errichtet,
Und kalte Gebärden, die sich nicht kennen,
Und Dinge, die wie Verrat sich kleiden,
Und so eine Nacht, da die Seelen sich scheiden,
Und ein Lachen, das ein Leben vernichtet -
Und wir wissen dann kaum, wie das alles ward,
Und stehen ernüchtert und ganz verstört
Und suchen nach etwas, das einst uns gehört,
Aber unser Antlitz bleibt bitter und hart -
Und unser Streicheln ist wie ein Vertuschen,
Und wir wissen, daß jetzt unsre schmeichelndsten Küsse
Nur unser ganzes Wesen verpfuschen,
Und es ist uns immer so weh, als müsse
Sich jeder töten
In unentrinnbarer Scham - - -
Aber wir wissen ja kaum, wie das alles kam!
Und senken beschämt den Kopf und erröten ...
Und bleiben für ewig flügellahm!
15. 09. 1913
Prometheus
Stöhnend zu ringen mit dem Werk, das werden soll,
Und niemals frei zu sein, noch stets vom Leid der Erden
toll
Und rasend bäumen sich in dem verhaßten Joch
Und Freundschaften Gefangener, der längst verblaßten
doch!
Und immer nach dem letzten Stolz der sehr geliebten Frau
noch hungern müssen
Und seiner Eltern gutgemeintes Gnadenbrot nur ungern
küssen,
Und als Geketteter in bitter-weichen Banden sein
Und wie ein Tier in Sehnsucht nach fremden Landen
schrein:
O solch Martyrium, in Untergründen, jedem Blick
verhüllt!
Lächelnd zu gehn, wenn doch an mir sich das Geschick
erfüllt!
Wer tötet den Adler, der mir grausam am Herzen frißt?
O, die ihr taghell geht und doch von meiner verängsteten
Nächte Kerzen wißt -
Bald wird mein Stern an eurem Haß zuschanden sein!
08. 02. 1913
Meines Vaters Schatten hinkt vor mir her …
Der Mutter Atem lockt mich schwer -
Meines Vaters Schatten hinkt vor mir her …
Meines Vaters Schatten ist scheel und schief -
Meiner Mutter Hohn verheert mich tief.
Wie Peitschenschlag fühl ich ihn fallen -
Meines Vaters Fäuste sich bitter ballen …
Mein Vater legt lauernd eine Last
Auf meine Seele, die ihn haßt.
Meine Mutter läßt mich im Dunkel schmachten,
Seit ihre Augen zum Mann mich machten.
Ihr Atem lockt mich, schwül und schwer -
Meines Vaters Schatten hinkt vor mir her ...
07. 02. 1911
Schwere Stunde
Denn ich bin weniger, als der
Nackten Fußes über Stoppeln geht,
Dem nirgends ein Haus steht,
Und trägt sein Schicksal schwer - - -
Denn ich bin weniger, als welche
Nachts in einem verdorrten Garten hocken,
Entsetzen hängt sich in ihre Locken,
Und Trauern tropft in ihre Kelche - - -
Denn ich bin so zerstört, bespien,
Daß ich mein Antlitz nicht sehen will,
Daß ich im Staub vergehen will
Und immer knien.
Immer so knien, wie einst
Schwer die Hand auf mir lag:
Verlassen lastet der Tag
Über dir und du weinst - - -
Bitterlich weinst du, wie ein
Kind, das im Dunkel irrt.
Alles Leben verwirrt
Sich dir ganz, und du bist immer allein.
Herbst 1911
Morgenlied
Meine halbgeschloßnen Augen schauen
Schon das Flimmernde des Morgenblauen.
Jedes Blut und jeder Blick
Flackert fahl vor meinen Lidern,
Mein verscheuchtes Traumgeschick
Wagt kein Winken zu erwidern.
Immer kommt ein banges Brausen her,
Und der Atem fliegt und bauscht sich schwer -
Noch einmal steigt die Stirn ins Meer
Der Nacht und holt sich dunkle Dinge...
Mir ist, als ob ich singe - - -
Als ob etwas aus mir singt,
Was wie ein Schlaflied klingt,
Aber auch wie ein weckendes Getöse -
Und ich ängste mich wieder:
O meine armen erweckten Glieder!
Nun kommt dies Gute und Böse
Des vergangnen Tages - nun kommt
Sehnsucht und Trauer und Verrecken,
Speien und Schmecken,
Welkes und Vages, das keinem frommt,
Auf dem noch die purpurnsten Träume lasten
Wie Ketten und dem sich auch keine Wollüste schenken.
Dem das Beste die sinnlose Nacht der Betten
Und Garnichtswissen und Totsein und Fasten.
Und ich fühle jeden Atemzug
Der Tausenden, die noch schlafen,
Alle stachelnden Strafen
Ihrer tückischen Träume, alle Sachen,
Die tot um sie sind,
Und ihr Herz wie ein ungeborenes Kind.
Und spüre die Tausende, die jetzt erwachen
Und ihre tastende Gebärde nach dem Wasserkrug
Und ihr unfrohes Aufstehen,
Und die Tausende, die jetzt zur Arbeit gehen. ..
Und wieder die schöne Träume haben
Von einem nackten Knaben,
Von einem Mädchen und einem Hunde,
Ihr Lächeln mit offnem, genießendem Munde,
Und die Tausende, die ganz tot ruhen
Wie schwere, versiegelte Truhen.
Und unten im Morgenschein noch ein letztes Laternenlicht,
Und in der Brust verdämmernd ein schwankes, schmerzendes
Nachtgedicht ...
16. 09. 1913
Wunder des kleinsten Blickes
Wie dank ich dir dies größte Wunder, Gott:
Du gabst mir, alles Klein' und Kleinsten Herrlichkeit zu sehen
Und noch in Andacht und ergriffenem Verstehen
Zu knien vor einem halben Nichts - ganz ohne Spiel und Spott!
Du gabst mir, daß ein Schritt im Dunkel so mich reich
Und reifer macht - ein Hund im Flusse schwimmend,
viel Gestalten
Auf einer Brücke, ein Trunkner auf einer Bank, das
Händefalten
Von einem Greis und eines Gassenbuben frechverschmitzter
Narrenstreich,
Als Husch nur im Vorüberwehn erhascht
An irgendeinem Fenster Mädchen, die sich kichernd kämmen,
Eichhörnchen hüpfend in den Birkenstämmen,
Frauen bei Peinlichem humorvoll überrascht,
Wenn eines Bildes Fetzen tanzt im Wind,
Als Spinnen an den Scheiben gehn Schatten von Blumen,
Wie ein Pferd den Fuß hält, und wie Brotkrumen
Auf einem Fensterbrett bei Scherben einer Puppe sind -
Dies alles zu genießen ohne Spiel und Spott
Und solchen Klein und Kleinsten Herrlichkeit zu sehen,
Und ganz in Andacht, Demut und Ergriffenheit davor
zu stehen.
Wie dank ich dir dies größte Wunder, Gott?
Juli 1911
An eine Jüdin in Schwarz
1
Daß ich dich gefangen hielte, Deiner Seele
Blutenden Wind,
Daß ich mit dir spielte,
Wie mit einem Kind!
Daß deine Kehle
Das Mal meiner Zähne trüge!
Du braune Lüge!
Wie eine Katze
Streichst du durch Sommerabendzeit
Unter Linden - - - -
Meine Glut schürft nach dem Schatze,
Fühlst du nicht, wie sie giergrabend schreit:
»Ich will finden!«
Du braune Seligkeit!
In der Frühe nahm ich ein Bad - - -
Deine Strümpfe sind ja durchbrochen -
Über meinen Pfad
Sind Schnecken gekrochen.
Schwarzes Kleid, weißes Linnen, braune Haut
Und die rote Wunde - - -
Wie mir graut
Vor deinem tiefsten Grunde!
__________________
O hätte ich Hunde!
Daß ich dich umfangen hielte
Als meine Braut!
Daß ich mit deinem Leichnam spielte!
Du bist zu laut!
Sieh, ich bin Weh,
Das nie vergeht, Sieh, ich bin Klee,
Der nie in Blüte steht …
O mein ersticktes Gebet! O Salome!
2
Ich ließ mein Auge fallen
In dein Auge wie in einen Brunnen, Ich hörte es widerhallen,
Wie ein Stein gurgelt im Grunde –
Deine Hände sind wie Hunnen
Oder wie Hunde.
Sie morden und brennen.
Sie kennen
Mehr als deine Augen kennen.
Sie rennen
Manchmal nach einem Ding
Wie Windspiele;
Sie haben manchen Ring
Und viele
Düfte, die in meinen Augen brennen …
Sie runden
Und dehnen sich wie Katzen.
Sie kratzen …
Oft sind sie wie Schlangen.
Sie lassen sich nicht fangen
Und sind verschwunden …
Sie haben ihre Stunden.
Sie erbleichen
Und werden rot
Wie Jungfrauen - - -
Sie gleichen
Zwei Wolken im Blauen.
Nachts sind sie tot.
Dann hasse
Ich sie. - Wenn sie vor mir sterben,
Wird mir so vor ihnen grauen--
O lasse
Sie über meinem herben
Abend ein helles Dach erbauen!
Du Frucht der Frauen!
Du braune Frau Zebaoth!
09. 02. 1913
Der Dichter im Restaurant
Der Dichter glotzt verstockt in Rauch und trinkt
Viel schweres Bier und fühlt sich ganz verlassen -
Er denkt gerührt an sie, die schmal, verschminkt
Sich jetzt Bettfreunde wirbt in dunklen Gassen.
Er denkt der vielen Bürger, die ihn hassen,
Es kommt ihm schmerzhaft bei, daß er ja hinkt,
Er sehnt sich weit nach luftigen Terrassen,
Wo Rosen blühn und sanft ein Vogel singt.
Mißtrauisch schielt der Wirt nach ihm.
Ein Gast Hetzt höhnend seine Freunde auf und stiert.
Die scheelen Frauen tuscheln unter sich -
Der Dichter träumt sich Purpur und Palast
Und eine, die ihn liebt. Sein Blick verliert
Sich himmelhoch und leuchtet königlich.
25. / 26. 06. 1913
Das Lied von der Freundschaft
Freunde sind: die deine Tür belauern,
Jedem Glücke feind, das dir geschenkt ist,
Neidisch, wenn dein Schifflein leicht gelenkt ist,
Und erlöst, wenn deine Augen trauern.
Freunde sind: in deinen feigen Stunden
Schale Zuflucht und verlogne Rettung,
Freunde sind: in Schuld und Scham Verkettung
Und ein weher Weg zu Wut und Wunden.
Freunde sind: die dir das letzte rauben,
Daß du nackt, dem Lachen preisgegeben,
Nichts mehr willst, als ohne Freunde leben
Mit der Frau, der deine Nerven glauben!
05. - 07. 07. 1913
Besuch des reichen Onkel Agrariers
1
Er hockt im Sofa wie ein fremdes Tier,
Das bös und hämisch unser Sein bespeit,
Er blickt mit Bauernaugen blöd und stier
Auf jedes Glück, das friedet und befreit.
Er spitzelt mild: »Du trinkst wohl sehr gern Bier? «
Und wühlt proletenhaft in meiner Zeit -
Ich dulde stumm, verstockt wie ein Fakir,
Das Haupt geneigt, zu neuer Qual bereit.
Was wir verehren, ist ihm Hekuba,
Er schlägt nach uns in breitem Selbstbehagen -
Wir sind verkommen, ach, ich weiß es ja! -
Er stampft brutal durch unser Blütenfeld,
Er mordet Geister mit dem feisten Magen
Und würgt die Seelen kalt mit seinem Geld.
2
Endlich reist er. Wie ein Alpdruck weicht,
Fällt die Lähmung und das lange Lauern
Feiger Selbstverleugnung. Licht und leicht
Blüht der Tag, befreit von diesem Bauern.
Wie der Zeiger zag und zögernd schleicht!
O die Feindlichkeit zu überdauern,
Die wie ein Verräter uns beschleicht,
Daß wir hoffnungslos im Dunkel kauern!
Endlich reist er. O das große Glück,
Frei zu sein und Ketten abzustreifen
Und ins Leben, das uns liebt, zurück!
Aber noch ist meine Welt befleckt,
Und ich fühle: plumpe Hände greifen
Nach der Frucht, die meinem Gaumen schmeckt!
03. 03. 1913
Die Anprobe des neuen Anzugs
Er sieht befangen, wie der Schneider an ihm zupft,
Und ärgert sich, daß er so linkisch steht und hilflos stiert,
Ihn äfft im Spiegel sein verlegnes Zerrbild, und er friert
In seinen Unterhosen wie ein Vogel, den man rupft.
In einer Ecke hat sich die Tapete abgelöst,
Auf einem roten Blumenmuster krabbelt eine Spinne -
plötzlich sagt
Der Schneider sehr devot, ob so der Sitz dem gnädigen Herrn
behagt
Der fährt zusammen, stottert was und fällt in sich zurück
und döst.
Und peinlich weiß er, daß die rechte Schulter schief
Und daß die Brust zu spitz ist, und er ängstet sich wie
schuldbedrückt,
Er möchte fliehn, er denkt: Ich werde ganz bestimmt noch
mal verrückt! -
Dann spricht der Schneider plötzlich: »Danke sehr!« und
neigt sich tief.
24. 02. 1913
Abend von Golgatha
Aus einem Kintopp wankt ein welker Walzer,
Ein Nachtcafe steckt seine Lichter an,
Ein Straßenmädchen prüft ihr Drum und Dran,
Hartnäckig pendelt ein gewiegter Balzer.
Im Silbergrau verschwinden matte Masten,
Aus einer Klinik ängstet Helligkeit,
Ein Wellblechhäuschen hockt wie eingeschneit,
Und protzig glüht ein öder Schulbaukasten.
Ich wandle planlos, denn ich weiß, daß ferne
Mein Mädchen jetzt für unsre Liebe ficht,
Ich bete stumm, ich werfe ein Gedicht
Gepeitschter Sehnsucht in die kalten Sterne.
Und plötzlich kommt aus meinen Kindertagen
Das Tragische, wenn ich in Winkel floh,
Und dann der andern Stimmen, plapperfroh,
Verzerrt mir klangen, fremd und wie verschlagen.
Ein Droschkengaul muß stehn und hilflos warten,
Zwei Obdachlose läuten am Asyl,
Taub, tot starrt einer Villa Vestibül,
Und trostlos dämmernd schweigt der Spittelgarten.
15. 09. 1913
Auch den Verspielten blüht ein Himmelreich –
O Sehnsucht, etwas zu sein, auf Grüßen zu grasen,
Die üppiger blühn, Ehren gefaßt zu empfangen,
Oft ein ergebnes Lächeln, einen dankbaren Blick zu erlangen,
Mit Hochmut und Überlegenheit Rauch in die Luft zu blasen,
Sich zu fühlen als einer, dem vieles erlaubt ist,
Und der, manches Schicksal zu leiten, ein Recht hat,
Der ein Herr heißt, Frauen, Krieger, Magd, Knecht hat,
Dem jeder Wink gewährt und jede Glosse geglaubt ist,
Sich mit Reichtum vor jedes Recht zu rammen,
Von allen geschützt werden, alles bereitet zu finden,
Kränze verteilen zu dürfen und Hände binden,
Und von langen Geschlechtern voll Adel und Achtung
zu stammen -
O solche Sehnsucht, die immer erwacht in uns und oft unterdrückt wird,
Und doch immer wieder rumort, vor der wir uns schämen
wie vor einem heimlichen Laster,
Daß wir lügen lernen und gaukeln vor uns und vor andern
immer verhaßter -
Ist dennoch der letzte Himmel, mit dein ein jeder Verspielter
beglückt wird;
Und in dem er sich selber als seinem Heiland begegnet
Und als der, so das Kreuz hat, sich selbst mit dem Kreuze
segnet!
11. 11. 1912
Station B.
Es hält der Zug.
Ein Angesicht auf einer Faust
Klebt breit am Fenster, das vorübersaust.
Im nächsten Wagen redet ein Verschwemmter klug.
Zwei Kellnerjungen lungern unbeachtet.
Ein fürchterliches Kind will plötzlich Bilder haben.
Ein Schaffner schnauft in seinen Pelz vergraben.
Ein Frauenhirn fühlt, wie es sich umnachtet -
Indessen sich der Zug weiter ins Dunkel schachtet ...
23. 03. 1913
Früher Lenz
Veilchensucher singen. Bettler glänzen.
Aus den trunknen Taschen tanzt das Geld.
Jeder Friedhof wird ein Lilienfeld.
Melodien gedeihn auf Leichenkränzen.
Ein Theater stirbt, verloren, mutlos.
Vögel zwitschern. Kinder fliegen weiß.
Hosenknöpfe starren sommerheiß
Busen lächeln. Bürger schaukeln hutlos.
Kirchen wiegen sich im Chorgesange.
Berge bummeln. Promenaden schrein.
Frommen Seelen fällt Verbotnes ein.
Mütter strampeln. Väter fehlen lange.
Dunkle Schlummerstuben sind verschlossen.
Betten jauchzen. Ruten werden zart.
Weiße Höschen halten Himmelfahrt.
Mund und Schoß und Augen quelln zerflossen.
Ein Verliebter schwebt im Duft und dichtet.
Alle Welt ist einem Hunde gut.
Wundersam erblüht der Frauen Blut.
Und ein irrer Mensch wird hingerichtet.
13. 07. 1912
Die Kurtisanen
Sie liegen bis zum Abend in den Betten
Und lesen hingelümmelt alte Schwarten
Von edlen Räubern und von grausen Fahrten
Und drehen zwischendurch sich Zigaretten.
Und hin und wieder kommt die alte Vettel
Mit neuem Klatsch und zweifelhaften Speisen
Und hockt am Bettesrand mit vielen weisen
Ratschlägen und mit widrigbösem Bettel.
Wenn es dann dunkel ist, gibt den Romanen
Man ungern Abschied, schmückt sich jung und hell
Und eilt zum Ballhaus hin mit leisem Trauern.
Dort thronen aufgebaut die Kurtisanen
Mit feinen Fressen und verderbtem Fell
Wie fremde Tiere, die unheimlich lauern.
August 1913
Der Selbstmord
Ich höre ihn mit schreckhaft schlappen
Gebärden auf der Treppe tappen
Und schluchzend seinen Schlüssel drehn
Und schwer ins leere Zimmer gehn.
Ich weiß: er darf kein Licht mehr machen.
Ich fühle ihn verbittert lachen
Und wie erstarrt am Fenster sein,
Stier in die stumme Nacht hinein.
Und dann nach dem Pistolenkasten
In einem jähen Fieber tasten;
Noch lang vor einem Bilde knien -
Und plötzlich mit den Wolken ziehn ...
16. 08. 1913
Das Sittlichkeitsdelikt
Die Sonne stach. Er wankte durch die Wälle
Und sehnte sich nach allem, was er sah.
Vor seinen Augen stiegen bunte Bälle,
Und plötzlich waren weiße Wolken da.
Und in dem Weiß begann ein Kind zu leuchten,
Und schmale Beine tanzten hoch und hell,
Und Duft fiel wie von Fingern, die sich feuchten,
Und Nacktes wirbelte ein Karussell.
Dann war es, daß die Hände streicheln mußten,
Und daß das Kind bösartig häßlich schrie,
Und daß er es mit schmerzhaft unbewußten
Gebärden schlug und ihm ins Antlitz spie.
Und daß er Blut an seinem Kleid erkannte
Und fühlte, wie er jedes Ding verlor,
Und wie verraten durch die Felder rannte,
Und Hunde heulten hinter jedem Tor.
Februar 1913
Der Orkan
Dächer fallen flackernd auf die Felder,
Menschen werden an die Wand gebreitet,
Eine Wolke gegen Giebel reitet,
Über Katzenköpfe flüchten Gelder.
Rosenstöcke fliegen weltvergessen,
Pferde kleben klappernd an den Mauern,
Leichtbeschwingt Luftsegeln breite Bauern,
Und verhungert züngeln alle Essen.
Ofen kriechen kummervoll und heulen,
Fledermäuse jagen mit Perücken,
Selbstmordsüchtig schaukeln sich die Brücken,
Bürger pappen an den Anschlagssäulen.
Gaslaternen werden bunte Pfeile,
Lampen steigen silbern und zerplatzen,
Kirchturmspitzen senken sich in Glatzen,
Blechbaracken kriegen klingend Keile.
Spitzenhöschen kreisen als Kometen,
Barchentbuxen bauschen sich geschwollen,
Säbelbeine fangen an zu rollen,
Zwiebeln tanzen irre aus den Beeten.
Frauen schweben sanft wie Schirme nieder,
Kinder kugeln zickzack in die Keller,
Federhüte laufen immer schneller,
Und ein Hund verwechselt seine Glieder.
28. 06. 1913
An den Exzentrik des »Zirkus Blumenfeld«
(den Partner von Firoetty, amerikanischer Faßspringer)
Du hattest zu viel Andacht vor der Trauer
Und fühltest dich zu klein für eine Tat:
Das ganze Dasein ward dir eine Mauer,
Dahinter lagst du zitternd auf der Lauer
Und wurdest Flüchtling, Opfer – Akrobat!
Du schließt die Augen, läßt dich flackernd fliegen
Als irrer Stern im Sturme durch den Raum,
Du läßt dich blitzend wie Rapiere biegen,
Du machst dein Seufzen zu beseelten Siegen,
Du bist ein Heiland - und du weißt es kaum.
Du schminktest deine Angst zur frechen Fratze,
Die über sich und über alle lacht,
Du fällst sehr lange, stumm, wie eine Katze,
Und singst im Sausen lächelnd: Ich zerplatze ...
Und stehst dann plötzlich, wie aus Traum erwacht.
Du hast die keusche Scheu, dich preiszugeben,
Weil du das ernste Leben wahrhaft liebst,
Du gönnst dir nicht, die Maske aufzuheben,
Du läßt dich taumeln und verloren schweben,
Daß du auch nicht die kleinste Blöße gibst.
Das Körperliche glitt von deinen Gliedern,
Du schreckst im Abend wie ein schriller Ton,
Sie klatschen dir - du darfst dich nicht erwidern,
Du bleibst in deiner Brust mit allen Liedern,
Die Sehnsucht singt, und hüllst dich ganz in Hohn.
Du bist die Kraft, die nie ein Hindern kannte,
Du machst dein Schicksal scheel zu einem Spiel,
Sie lachen über das, was dich verbannte,
Und wissen nicht, daß Wahnsinn dich berannte:
So gibst du dich und doch behältst du viel!
Und hast dich wie in einen Berg verschlossen
Mit aller Bangigkeit in deinem Blut,
Und treibst im Lügenlichte deine Possen,
Vom Narrenkleid wie einem Spuk umflossen
Und immer als ein Kind, vergrämt und gut.
Die Dinge können dein Gefühl nicht schlagen,
Du weißt von ihrem Haß und hegst ihn recht:
Du würfelst mit den Wunden. Leicht zu tragen
Dünkt dich Verachtung. Lob und Feiertagen
Entziehst du dich und machst dich grau und schlecht.
13. 07. 1913
Die Dame, die an der Zirkuskasse sitzt, denkt:
So schafft ihr Maß und Satzung unsern Trubel,
Denn alle Dinge gehn zu Gott zurück:
Ihr Werk wird Wirrsal und ihr Jammern Jubel,
Und ihre grauen Tage geben Glück.
Denn der verkaufte heut für einen Rubel
Um diesen Abend hier sein Meisterstück;
Der hungerte; der stahl; für unsern Trubel! -
Und alle Dinge gehn zu Gott zurück.
Seht: diese Bürger zaubert Zirkusluft
Zu Schwärmern, leichtbeschwingt und ohne Kette,
Und ihre Frauen haben Dirnenduft.
Uns aber macht ihr Geld zu harten Herrn.
Wir liegen wach und rechnen oft im Bette
Und haben Häuser, Hof und Heimat gern.
12. 10. 1913
Der zwei Gräber Gespräch
Beide:
»O diese Nacht blieb schwül und schwer
Und ganz voll Seltsamkeit:
Der Himmel warf uns Sterne her,
Wir standen mondbeschneit,
Und zwischen uns gebettet war
Bei Mond und Stern ein Liebespaar---«
Das eine Grab:
»... Ich fürchte noch den harten Mund
Der Frau, die in der Frühe kam:
Sie weinte sich die Augen wund
Und schritt ganz groß in ihrem Gram -
Ein Kind hat mich geschmückt, das sang
Und spielend durch die Kreuze sprang.
Eine hat Blumen von mir gestohlen.
Es malte mich ein wüster Mann,
Falter glühten dann und wann
An meinen Gladiolen ... «
Das andre Grab:
»Die Weiber mit dem Wasserkrug
Zankten um meinen Stein -
Einer, der an die Brust sich schlug,
Stand lang bei mir allein.
Eine schwarze Sippe voller Grimm
Lästerte verschnörkelt schlimm.
Ein Mädchen hat meine Rosen begossen,
- O siecher Blick, der Tröstung sucht! -
Einer hat seinen Gott verflucht
Und sich auf mir erschossen. «
Beide:
» . . Aber nun naht unsre Nacht
Und ist uns herzlich gut:
Sie schenkt uns alle Sterne und macht,
Daß der Mond uns zärtlich tut …
Und zwischen uns - - o wunderbar! - -
Bei Mond und Stern - - ein Liebespaar---!«
16. 06. 1913
Resignation
Ein paar von meinen Versen werden bleiben,
In eines Mädchens Herz, in eines Dichters Kopf,
Und Frauen werden meinen Namen über ihre Liebe schreiben
Als eines Wissenden, der jede Sehnsucht segnet - - - -
Doch heut darf jeder hinterhältige Tropf
Mich schmerzhaft kränken; und am Abend, wenn es regnet,
Press' ich ganz einsam meine kalten Lippen an die Scheiben.
Und nichts ist mein, als: so mein Leben zu ertragen
Und manches denen, die mich hören, schön zu sagen.
Oft lächelt ein Gefestigter sehr eitel, wenn er mir begegnet,
Oder ein fremdes Kind schielt bös aus einem Wagen - - - -
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